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Experimental Tourism in New York

Woman, November 2005

Zwei Menschen sollen sich im Big Apple wiederfinden

Claudia und Jörg Auf dem Hövel

Claudia: Den Spontantrip haben wir Joël Henry zu verdanken. Er ist Franzose und Erfinder und hat sich Experimental Travel ausgedacht. Eine spielerische, neue Art, fremde Orte zu erkunden – und eine Kampfansage an das pauschale Einerlei. 40 verschiedene Reisemethoden hat er zu diesem Zweck entwickelt, eine sollen wir testen: getrennt in eine fremde Stadt zu fahren und uns zu finden, indem wir unsere Intuition zum Reiseführer machen. Klingt verrückt. Und wahrscheinlich ist es auch dieser Henry aus Straßburg. Trotzdem war ich sofort begeistert von dem Auftrag. Mein Freund Jörg war nämlich noch nie in New York, ließ sich auch nie überreden. Aber hiermit habe ich ihn rumgekriegt. Und stehe nun an der 5th Avenue und versuche, im morgendlichen Straßenlärm meine Intuition zu hören.
Zuerst ins MoMa, dort könnte Jörg mich vermuten, oder Central Park, dahin könnte es ihn als Erstes ziehen. Hinweise vorher waren natürlich verboten, und schummeln finde ich blöd. Gestern Nacht allerdings, als es sich so seltsam anfühlte, am Flughafen in getrennte Taxis zu steigen und in unterschiedliche Hotels zu fahren, da kam kurz der Gedanke, dass es ja nie jemand erfahren müsste, wenn wir doch … Aber der Experimental Traveller in mir hat gesiegt.

Jörg: Internationalität kündigt sich an: Der Mexikaner im chinesischen Fahrradverleih nimmt Euros als Pfand für ein italienisches Rennrad mit japanischer Gangschaltung. Ich hoffe zu wissen: Claudi wird nach SoHo gehen. Dort sind Mode, Kunst, Cafés. Hoffentlich denkt sie nicht andersrum und sucht mich im Central Park. Egal, auch dahin werde ich fahren. Mit dem Rad bin ich schnell – meine Geheimwaffe, um dieses Spiel zu gewinnen. Frühstück in einem Diner in der Nähe des Union Square. Wie ein schlechter Detektiv schaue ich über die „New York Times“ hinweg auf die Straße, fehlt nur, dass ich ein Guckloch bohre. Mein Tischnachbar spricht mich an, das ist wohl normal hier, Student aus Brooklyn. Der Grund meines Aufenthalts bringt ihn zum Lachen: „Mann, hier sieht man seinen Nachbarn oft Monate nicht!“

Claudia: Im Park ist es noch ruhig, ich könnte ihn schon aus der Ferne sehen. Doch zwischen den Joggern und asiatischen Kindermädchen, die Park-Avenue-Babys vor sich herschieben, keine Spur. Ich muss meine Strategie überdenken: Wenn er an Orte geht, die ich mag, und ich seinen Interessen nachjage, wird’s schwierig. Ich sollte bei der Routenplanung wohl besser beides bedenken.

Jörg: Das ist also Manhattan, der schwer genießbare Kern des Big Apple. Zu viel Höhe, nach einer Stunde habe ich Nackenstarre. Es ist genau anders herum als gedacht: Die Stadt wirkt uralt und wächst von oben nach unten. Maroder Asphalt, überall wühlen Fernwärmetrupps durch den Untergrund, aus den Löchern dringen Dampfwolken. Die Last der Wolkenkratzer drückt in die Eingeweide der Stadt. Plötzlich ein Touristenmenge, ich schaue hoch. Das Empire State Building. Drinnen Art déco, grüner Marmor, alte Rolltreppen. Oben Turmfalken-Feeling, ich habe den Überblick. Aber keine Spur von ihr. Mein Herz klopft trotzdem schneller. Ist es die Stadt oder das Spiel?

Claudia: Es gibt ein paar Orte, die romantisch wären zum Sichwiederfinden: das Empire State Building, die Fähre nach Staten Island, der Eisring am Rockefeller Center, die Brooklyn Bridge. Wohin zuerst? Im frisch umgebauten MoMa schaue ich mir den neuen Skulpturengarten an und suche Bilder von Pollock. Den mögen wir beide. Danach zum Times Square. Keine gute Wahl, je näher ich dem blinkenden Straßenzug komme, umso dichter der Menschenstrom. Selbst wenn er drei Meter entfernt wäre, könnte ich ihn übersehen. Lieber nach Downtown?

Jörg: Ein Obdachloser schlurft mit seinen Plastiktüten am Trump Tower vorbei, drinnen laufen Wasserfälle über Blattgold-Applikationen, dazu Sinatra mit dem Lied über seine Stadt. Der Verkehr steht mehr, als dass er rollt. Tausende, nein, Millionen Stadtneurotiker eilen durch die Schluchten und sind enorm lässig dabei. Feuerwehr, Ambulanzen, Presslufthämmer. Ein steter Schalldruck läuft die Wände hoch, reflektiert an Fassaden und beschert der Stadt 24-stündiges Brummen, ein urbaner Tinnitus. Gotham City, Sin City? Hier können alle nur verrückt oder glücklich werden, gleichgültig bleibt keiner. Mir gefällt es plötzlich. Das Seltsame an diesem experimentellen Reisen: Man ist weder allein noch zusammen, merkwürdiger Zwischenzustand, aufregend und unbefriedigend zugleich.

Claudia: Mein Plan ist gut: Die kleinen Straßen, Cafés, Antiquariate im Village – hier fühlt es sich an, als würde Jörg gleich um die Ecke biegen. Ich stelle mich in die Schlange vor der Magnolia Bakery, die Leute reden über Wirbelsturm Wilma, seine Ausläufer sollen die Stadt bald erreichen. Die Cupcakes müssen grandios sein, bei diesem Wartewillen. Oder ist das sogar das Erfolgsgeheimnis der klebrigen Törtchen, dieser kurze Stillstand, bevor alle weiterrennen? Ich kaufe vorsichtshalber zwei. Und entdecke gegenüber Marc Jacobs. Meine Intuition sagt: shoppen! Ein schlechtes Suchgewissen muss ich nicht haben, sollte Jörg vorbeikommen, wird er wissen, wo er nachzusehen hat. Auch wenn es natürlich bitter für ihn wäre: „Ihr habt euch bei Marc Jacobs gefunden?“ Zwischen den Klamotten liegen Buttons, Aufkleber, Flugblätter mit Anti-Bush-Parolen. Jacobs mag seinen Präsidenten wohl nicht, der Tresen seines schicken Ladens sieht aus wie der Fußgängerzonenstand einer Bürgerintiative. Und als ich zahle, schenkt mir der Verkäufer einen Aufkleber und sagt „Peace“, mit Nachdruck, als echtes Anliegen. Und ich weiß, wohin ich als Nächstes muss.

Jörg: Langweilig ohne sie. Was für ein Spiel soll das werden? Ein hoffnungsloses Unterfangen in diesem Gewusel. Und soll es am Ende was über unsere Liebe sagen, wenn wir uns nicht finden? Nichts für schwache Nerven, dieses experimentelle Reisen. Was hatte sie im Koffer? Es ist kühl, sie wird die dunkle Jacke anziehen. Das Problem: Sie ist bereit, für modische Extravaganzen zu frieren. Ich achte auf jeden und daher nach einiger Zeit auf niemanden mehr. Der Trick mit dem Rad hat versagt, ich bringe es zurück. Die wahren Chefs der Stadt sind ohnehin die Cab-Driver. Vier Taxis, vier Nationen, ich fahre mit Hindus, Vietnamesen, Puerto-Ricanern und einem Belgier. Überall Schlaglöcher, Fahrten wie auf dem Rummel.

Claudia: Ich habe mich verlaufen, muss mich erst mal wieder orientieren. Ein Mann im Businessanzug hilft. „Geradeaus, dann kommen Sie direkt drauf zu.“ Auf das große Nichts, das sich zwischen den Häusern auftut. Ground Zero. Der Missing Link zwischen dem New York meines letzten Besuches und der Stadt, wie sie heute ist: nicht mehr nur sorglos-gigantisch, ernsthafter. Ein Metallzaun umgibt das Areal, der Wilma-Wind bläst den fliegenden Händlern ihre Taschen-Fakes davon. Hier machen sie gute Geschäfte, weil kein Ort der Stadt mehr Besucher anzieht. Keine Ahnung, wie man hier Lust auf eine Plastik-Birkin bekommen kann. Die megafonverstärkte Stimme eines religiösen Eiferers brüllt: „Nur Gott kann dich retten!“ Es ist kein guter Ort, um sich allein zu fühlen. Trotzdem bin ich auf einmal ganz bei mir. Es dämmert, ich bin erschöpft vom Suchen. Kino vielleicht? Ein Film, der zu low budget oder zu amerikanisch ist, um jemals nach Deutschland zu kommen.

Jörg: Im Meatpacking District sollen selbst unter der Woche schon weiße Hengste auf der Tanzfläche gesichtet worden sein, trotzdem wähle ich die Bar um die Ecke meines Hotels in Chelsea. Zwei lasche Biere, ein kindskopfgroßer Hamburger. Im Fernsehen läuft Football, die Straße habe ich im Blick. Der Mann neben mir an der Theke kauderwelscht vor sich hin. Später im Hotelbett stelle ich mir im Halbschlaf vor, wie Claudia sich gerade in einem Nobelrestaurant von einem Mr. Big Drinks spendieren lässt. Krude Interpretationen von Sehnsucht. Morgen wird dieses Spiel ein Ende haben. Finde ich sie nicht, greift Plan B: Den Umschlag mit dem Notfalltreffpunkt darf ich um 16 Uhr öffnen.

Claudia: Meine Nacht ist traumlos, der nächste Vormittag vergeht im Flug. Little Italy, Chinatown, East Village. Ich hab keinen Plan mehr, freu mich einfach, hier zu sein. Versuche mir zu merken, was ich Jörg alles erzählen muss.

Jörg: Ich bin genervt. Dieses Spiel kann vielleicht in Paderborn, eventuell noch in Zürich gewonnen werden. Aber in New York? Es gibt jedoch noch eine sehr gute Spielregel: Man darf die Regeln auch ändern. Ich öffne den Umschlag vor der vereinbarten Zeit. „Times Square, 18 Uhr“ steht dort. Ich fahre schon um 16 Uhr hin. Und plötzlich sehe ich sie. Wie gut ihr dieser suchende Blick steht.

Claudia: Es hat nicht geklappt. Funktioniert hat es dennoch. Ich war allein unterwegs, trotzdem war Jörg dabei. Ich habe New York gesehen und ihn und mich. Und als wir uns endlich trafen, war es aufregend, sogar sexy. Darum heißt das Spiel wohl „Ero-Tourism“. Wir sollten das noch mal probieren.

 

Tipps:

Wohnungen von Privatleuten und individuelle Stadttouren organisiert Erol Inanc, ein Münchner, der seit 14 Jahren in New York lebt: http://www.echtnewyork.com

 

Literatur:

Joel Henry, „Guide to Experimental Travel“
Lonely Planet 2005
Nur auf Englisch erhältlich
ISBN: 1741044502
Rund 15 EUR.

 

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Wie München ist

Warum München die Hauptstadt Deutschlands ist

Oktober 2005

Sonnenpfützen schimmern auf Sitzflächen. Ein Cafe in Hamburg, Stühle und Bänke stehen vor der Fensterfront, Linden tröpfeln ihre klebrigen Tränen. Zum Espresso wird ein Glas Wasser gereicht, Tageszeitungen mit Holzhalter liegen auf den Tischen, hier bleibt man sitzen. Frank, ein Dreißiger mit wenig Haaren, hält mit dem Fahrrad an. „Ey, Frank, alter Lappen, was geht ab?“, tönt es fordernd neben ihm. Es ist Mark, ebenfalls in den ersten Zügen der 30, mehr Haare, nicht so dünn wie Frank, aber auch diesen stoppeligen Halbbartwuchs, Cordhemd in blau, alte Jeans, Clocks an den nackten Füßen. „Du bist zu spät“,

„Na und?“,

„Ich freu mich auch, dich zu sehen“.

Ein Aufstehen, ein Fahrradabschließen, ein Zugehen, eine Umarmung. „Erzähl!“

„Was denn?“

„Witzbold, wie war’s in München, du warst fast zwei Jahre dort. Also wie war´s? Wohnen, wo andere Urlaub machen? Oder was?“

„Es sei bei dir anders, aber ansonsten fällt mir auf, dass alle, die diese Frage stellen, ohnehin nur ihre Vorurteile bestätigt oder widerlegt haben wollen. Wer fragt heute schon noch, um dann zuzuhören? Aber ganz abgesehen davon, wie soll man ohne Vorurteile in eine Stadt einziehen? Denn Wünsche hatte ich nicht an die Stadt, ich wusste, es wird gut werden, weißt schon, wie ich meine. Schließlich bin ich es, der da hingeht.“

„Ja, ja, versteh schon, aber einen Batzen von schon mal Gehörtem bringt doch jeder mit in seine neue Bleibe. Normal.“

„Wir haben alles gehört: <München ist ein Dorf>, und <München ist spießig, aber das Umland ist toll>. Bei mir kam noch etwas dazu, das über Vorurteile hinaus ging, nämlich eine Abneigung gegen katholische Lehren und den damit zusammenhängenden Obrigkeitsglauben, der aus meiner Sicht von der Kirche aus seit Jahrhunderten virusartig auf das soziale Gefüge der bayerischen Gesellschaft übergegriffen hatte. Na ja, so ähnlich.
Um es schnell loszuwerden: Und irgendwie war es auch genau so, aber irgendwie war es genau anders. Keine Angst, es folgt jetzt keine differenzierte Abwägung von Gut und Schlecht für München, sondern es folgt eine hemmungs- und erbarmungslose Niedermachung einer Stadt, über der der Materialismus wie eine schwangere Blase hängt und das Licht der funkenden, selbstgenügsamen und daher zunächst immer auch nicht profitorientierten Idee für Jahre und vielleicht Jahrzehnte verdunkelt.“

„Na, das ist doch ein Scherz, es gibt auch in München Künstler und andere Penner.“

„Das war Mal. Gleich zu Beginn unserer Zeit dort ist Louis Marzaroli gestorben, ein Künstler aus Schwabing. Wenn ich traf, warnte er mich vor München. Sicher, das lag auch daran, das er auch privat nicht glücklich geworden war, aber er behauptete steif und fest, dass die künstlerische Szene in München eine reine Chimäre ist, ein potemkinsches Dorf, dass alle voreinander hin- und herschieben. Und selbst in der Vergangenheit lassen sich doch Beispiele der frustrierten Künstler finden. Lies doch mal Erich Kästners „Hausapotheke“, ein unfreiwilliger, aber furchterregender Beweis seiner Unlust am Leben in der Stadt. Ich sah Louis sterbliche Hülle im Krankenhaus, da passte keine Seele mehr rein, die saß am anderen Ende des Universums, so hoffte ich für ihn, bei Pasta und Rotwein, neben ihr eine schöne Frau.“

Die Bedienung, ein Rotwein, ein Astra, ein einparkendes Auto.

„Wie man sich dem Münchner Naturell am klügsten annähert?, fragst du mich. Das kann ich dir sagen, Mark. Mir reicht der Ausspruch: „Mir san mir“, in der freien Übersetzung so etwas wie <Wir haben’s voll raus>. Das ist der Fachausdruck für eine satte, bornierte Selbstzufriedenheit, gepaart mit krachlederndem Humor, immer rauf auf die Schenkel, har, har; Hauptsache wir bleiben subtil wie ein Panzerkreuzer. Ja, wir Bayern sind geschäftstüchtiger, schlauer, gottgläubig noch dazu! Neoliberale mit Hostienzugang, wenn es den Primat des Mammons nicht schon geben würde, für die Münchner müsste er erfunden werden.

Es ist ja auch kein Wunder, das die so satt sind. Die Verfettung der Bevölkerung ist sichtbar, selbst an heißen Sommertagen sieht man sie in den draußen in Restaurants oder Biergärten sitzen, um in praller Sonne schwitzend Schweinsbraten mit Soße zu fressen, dazu ein Liter Bier in sich reinschüttend und einen Krapfen hinterher werfend. Selbstzufrieden schmatzende, rosige Gesichter sind das, völlig mit dem Braten vor ihnen verschmelzende Zentauren, „Jo mei, is das a Hitz heut“ brummelnd, noch echte Stofftaschentücher aus der Hosentasche ziehend, Wildmosers in Herden, oft auch noch in Kostümen, Entschuldigung , Tracht nennt sich das ja, rumlaufend, „Zahlen, bitte“, kleines Trinkgeld an die Kroatin, das wär ja wohl gelacht, erstmal was leisten, „kann froha sein, dass sie hier ist, joa, hier sein darf (!). Lauter gestandener Mannsbilder und dralle Frauen, immer etwas älter wirkend. „Der hat´s geschafft,“ denkt der Mann und seine Denkblase wandert zum Fahrer des glänzenden Vehikels – „und der da nicht“, denkt sein Kind, das so herrlich brav an seiner Hand flaniert, den Fußgänger nachsehend. Da, mit einem sanften Ruck reißt es sich los, geht kurz ein Stück alleine des Weges, wundert sich über alles neu, wie bunt der Rock, wie schwarz der Mann, wie faltig der Opa, wie grün der Halm aus Plattenwegen. „Vorsichtig, da vorn, komm her“: die Mutter ruft, neu andocken, traute Sicherheit oder auch: hiergeblieben (!), du Wildfang, dich ordnen wir schon ein, und unter sowieso. Nachher gehen wir zu den Stoibers, eine Art Doku-Soap in Bayern, da wirst du lernen, wie man gerade bei Tisch sitzt, du Feuerkopf. Ab in den fetten BMW und davon brausend.“

„Ja, Ja, Frank, ich weiß Bescheid. Ein einziges Würgen.“

„Ja, klar, das sind jetzt Überzeichnungen, Mark, aber was tut das gut. Aber ich bleibe dabei: Nach oben buckeln, nach unten treten, so heißt es dort. Die Stadt bewegt sich zwischen genau zwei Polen: Duckmäusertum und Großmannssucht. Hier wollen sich die Erfolgreichen stets von den Erfolglosen unterscheiden. Letztere, und das ist das Neue, machen dieses Spiel auch noch mit. Sie schauen traurig aus der Wäsche, weil sie nicht so viel von diesem nutzlosen Dreck haben. Eine Kultur des Habens liegt wie eine feucht-schwangere Blase über der Stadt. Tropfen für Tropfen sondert sie ihr Sekret ab und alle, die davon lecken, werden mit einem Virus infiziert und der heißt: Neid.

„Was du Neid nennst, ist wahrscheinlich nur Broterwerb. Aber dir ist ja jede kaufmännische Haltung zuwider. Kaufen und Verkaufen, das ist für dich nur ein anderer Name für elegantes Bescheißen. Und Freude an der Arbeit zu haben ist blinde Unterwürfigkeit. Wenn ich nach deinen Tiraden auch mal etwas Sagen darf: der historische Prozess kennt nur eine Konstante: Veränderung, nicht Beharrung. Und die Welt befindet sich, diese Erkenntnis ist mittlerweile offensichtlich auch bei dir angekommen: im Wandel. Und dieser Wandel, ob wir das wollen oder nicht, ist ein ökonomischer. Und er bestimmt das Bewußtsein.“

„Komm mir doch nicht mit der <Welt im Wandel> Propaganda. Das musst du mir erstens nicht erzählen und zweitens: Das ist doch genauso wahr wie die „ewigen Werte“, und die hast du doch noch vor kurzem immer gepredigt, du Wendehammer. Wie denn nun? Dass das ökonomische Sein das Bewusstsein bestimmt, das kommt ja Gott sei Dank nicht von dir, sondern vom dem Mann mit dem Bart, aber auch hier gilt: Umgekehrt wird der zweite Schuh draus. Soll heißen: Wenn ich die Welt als gigantischen Tauschhandel sehen will, dann wird sie mir auch so erscheinen. Man stelle sich die Anwendung dieser Theorie auf alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens vor. Na, vielen Dank. Die Ökonomie unterliegt kulturellen und noch tausend anderen Bedingungen. Kapitalismus ist heute in erster Linie Konsumkapitalismus, im dem es um den Verkauf von aus meiner Sicht meist kranken Lebensanschauungen geht. Und vielleicht ist deine Argumentation vom „ewigen Wandel“ nur eine Bejahung des unablässigen ökonomischen Fortschritts, der auf diese Karte setzt.

Aber darauf wollte ich ja gar nicht hinaus. Das, was ich über München sagte, das gilt immer nur abstrakt, immer nur auf die Münchner als Gruppe bezogen. Sobald ich irgendeinen dieser Klöpse persönlich kennen lernten, stellte er sich als zwar sehr direkter, aber durchaus differenzierte Mensch heraus. Das Problem ist nur: meistens kam er oder sie dann gar nicht aus München, sondern war ein „Zugereister“, wie das so heißt. In knapp zwei Jahren habe ich nur zwei Münchner näher kennen gelernt. Einen Maurer aus Harlaching und eine Tischler und Designer aus dem Glockenbachviertel. Sie waren in München geboren, ich war alarmiert, aber trotz bösen Willens konnte und kann ich beiden Stadt-Vertretern nichts anhängen. Geordneter Bierkonsum, der eine wollte sogar kiffen. „Teert und federt ihn“, rufen da jetzt manche, aber die Drogenpolitik des Freistaates ist ein eigenes Thema, so abstrus, so hinter dem Mond, dass ich nicht weiter darüber reden möchte, weil ich mich nicht aufregen soll, sagt mein Arzt. Das erinnert mich an den Junkie, der aus Bayern flüchtete, der vertrug das Klima noch weniger als den schlechten Stoff.“

Ein Winken, die Bedienung: „Noch ein Bier, äh, bitte.“

„Mir auch noch Eines, bitte.“

„Du also wieder in Hamburg. Und hier ist alles besser, oder wie? Hier, wo man bewusst lässiges rumschlomt, ein Kiffergesicht macht und trotz erstklassiger Connection so Straight wie Rumsfeld ist? Hast du den Heroin-Chic der Schanze vermisst, oder was? Nebenbei, München hat eine Uni mit Zehntausenden von Studenten, du willst mir doch nicht erzählen, das die nicht ändern oder auch nur feiern wollen? “

„Ach, den bleibt kaum was anderes übrig, als sich Strähnchen zu färben. Absurd, die Schweinsteiger-Frisuren. Punk für Arme. Der gesamte Fankult um den FC Bayern lässt sich genau daran festmachen. Da geht’s nicht um die Identifikation mit der Seele bayerischer Spielkultur, sondern um die Identifikation mit dem Bankkonto und dem Pokalschrank des Vereins. Die Motzerei des Publikums ist schlimmer als beim HSV. Aber die Grundstimmung der Stadt ist sowieso wütend. Es ist Wut darüber, noch nicht so erfolgreich zu sein wie die anderen, Wut darüber, dass der Verkehr nicht richtig läuft, Wut darüber, dass die Großkopferten doch machen, was sie wollen. Wollte man München mit einem Ton beschreiben wäre es ein motziger Grunzlaut. „Dammischer Dreck“.

„Ich habe nach den Studenten gefragt. Aber egal, du willst mir erzählen die Stadtbevölkerung pöbelt den Tag so munter vor sich hin – so wie du jetzt?“

„Studenten? Da ist ja dagegen die Christian-Albrechts-Universität in Kiel ein brodelnder melting-pot. Wenn die ohne Schlips in der Jura-Vorlesung erscheinen ist das schon Revolution. Völlig konform. Sie atmen die gleiche Luft. Irgendein Museumsdirektor sagte mal: <Wenn man hier in München etwas gut findet, das unbekannt ist, ist das Gotteslästerung. Und wenn man hier etwas gut findet, was bekannt ist, dann ist es ein Hype. Eine interessante Stadt.>

Aber hör hin, ich habe ein Beispiel: Eine alte Oma führte bei uns um die Ecke in den Straßen ihren Hund Gassi. Wahrscheinlich pinkelte er ihr nicht schnell genug, auf jeden Fall motzte sie ihn die ganze Zeit an: „Du Saubuab, du dammischer Saubuab, jetzt komm hinni, du Saubuab.“ Ihre Tonlage vibrierte zwischen Aggression und Zuneigung, sie konnte ihre Liebe zu dem Tier nur in zeternder Form ausdrücken.“

„Das musste dir doch entgegen kommen.“

„Witzbold, ich pöbel vielleicht auch gerne, vielleicht um meinen Weltschmerz zu befreien, aber in mir wohnt doch keine aggressive Grundstimmung gegenüber den Dingen dieser Welt. Na, sei’s drum. Ich will hier jetzt auch gar nicht den Münchner das Gefühl für’s Schöne absprechen, aber es ist immer alles so brachial. Anstatt sich wie die Leute auf dem Land ihren Ursprüngen bewusst zu sein, denken die Freaks sie wären die Aufsteiger. Bei jedem Fest riecht es nach tumber Bauerntümelei, da vereint sich die motzende Grundhaltung mit kräftiger Fröhlichkeit und heraus kommt bestenfalls eine „zünftige Rauferei“, wie die das dann nennen.

„Du lässt ja kein gutes Haar an der Aktion. Wie bist du denn dort zwei Jahre durch die Gegend gerannt? Erzähl doch Mal was Positives!“

„Schwer, wenn man nicht kitschig werden will. Willst du was über die Landschaft hören, die fruchtbar-furchtbar, unfassbar schönen Berge?“

„Auch, aber lieber was aus der Stadt. Von den Menschen.“

„O.k., was ich sagen kann: Die Dickköpfigkeit der Münchner ist in gewisser Hinsicht charmant, denn sie ist kommunikativer als die Sturheit der nordischen Schlickrutscher. Im Biergarten kommt es schnell zum Erstkontakt mit den Aliens, ich sag’s dir. Das eine Mal saßen wir in einem solchen Garten unter Kastanienbäumen. Die Sonne schien, es war warm, brennend heiß sogar, aber unter den Bäumen war es kühler. Ein paar Metal-Freaks sprachen Tina und mich an. Der eine Langhaarige zeigte sich im Laufe des Gesprächs begeistert über den von uns auf dem Flohmarkt erstandene Salat-Schleuder. Aus seinem gepiercten Mund kam der Satz: „Die meisten Leute wissen ja nicht, dass ein feuchter Salat das Dressing überhaupt nicht richtig annehmen kann.“ He, he.

Ein anderes Mal saß ich alleine im Biergarten des Englischen Gartens, beim Chinesischen Turm. Ein Rentner hatte es sich auf der Bank schon bequem gemacht, es war Nachmittags, die Sonne schien mal wieder und sein Klappfahrrad stand direkt neben ihm. Ich setzte mich zwei Plätze neben ihn, wir schwiegen. Oben auf dem Turm spielte eine Kapelle, in Tracht, weißt du, täterä. Blasmusik, aber auch Interpretationen von bekannten Hits aus den 50ern. Na ja, nach der ersten Maß Bier tippte ich leicht mit den Fußspitzen mit. Der Rentner zog sich seine zweite Maß rein und blinzelte in die Sonne. So verging eine Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich war bei der dritten Maß angelangt, die hatte ich aber schon als Radler panaschiert. Kleine Bläschen formten sich über meinem Kopf. Die Band spielte. Langsam wandte sich der Rentner zu mir, grinste, und sagte: „Is’ a herrlich Sach’ heit.“

“Mehr nicht?“

„Mehr nicht. Und ich konnte auch nicht antworten, ich war zu beeindruckt von seiner Weisheit, denn besser konnte man es nicht ausdrücken. Es war herrlich: Sonne, Bier, dazu a Musi; Herz, was willst du mehr?“

„Einfach, aber gut.“

„Gut, weil einfach. So gefallen mir die Bayern am besten.“

„Und dann?“

„Nix dann, irgendwann habe ich mich auf mein Fahrrad geschwungen und bin nach Hause geeiert. Wobei ich keine 100 Meter an der Isar entlang gefahren war, als wieder einer dieser Deppen mich anpöbelte, ich solle auf der richtigen Seite fahren. „Rechtsfahrgebot“, brüllte er. „Rechtsfahrgebot, wenn ich das schon höre, so eine biedere Klugscheißerei.“

„Jetzt kommst du wieder ins Pöbeln.“

„Ach, ist doch wahr. Und weißt du, woran das liegt? Radfahrer sind die ursprünglichen Verlierer in München. Das Auto hat Vorfahrt, wenn nicht nach den Verkehrs-, so dann doch nach den sozialen Regeln. Fahrradwege, so meine Meinung, sind hier und meinetwegen auch anderswo nur Abschiebungsmaßnahmen, nur dazu da, den Fluss der Abgasheinis nicht zu stören. Und um der drohenden Abdrängung ins soziale Abseits entgegen zu treten, bedienen sich die Radler des üblichen bayrischen Tricks: Sie rüsten auf. Hier wird auf technisch hohem Niveau gegurkt, Gore-Tex am Bein, Carbon unterm Arsch, Fleece über den Schultern. Eine ständige Selbstbehauptung. Und ihr Stück Radweg wird dann auch wieder den strikten Regeln unterworfen. „Falsche Straßenseite“, ich weiß nicht, wie oft ich mir das anhören musste, selbst wenn der Radweg zehn Meter breit war. Der Höhepunkt war als mich irgendein Depp sogar im Wald bei Schäftlarn, einem Vorort an der Isar, anpöbelte, ich solle auf ihn auf der richtigen Seite überholen. Ich voll in die Bremsen, brülle: „Was ist denn nun schon wieder, Mann, Leben und Leben lassen, begreift es doch Mal.“

Aber du wolltest etwas Positives hören. Gleich nebenan von unserer Wohnung am Sendlinger Tor öffnete jeden Morgen um 6.15 Uhr Ida ihren Milchladen. Eine Miniatur-Ausgabe eines Geschäftes, aber mit Herz geführt. Mit Edamer belegte, frische Brötchen, Paninis, Nudelsalate, alles von dem Frauenteam dort selbst gemacht. Eine Goldgrube, zurecht. Manchmal, wenn ich im Hinterhof auf dem Balkon saß, hörte ich die Schläge auf das nackte Fleisch der Schnitzel. Mittagstisch. Jeden Nachmittag um 16 Uhr schloss Ida, aber vorher versammelten sich immer ein paar Leute auf der anderen Straßenseite von dem Laden. Ich wunderte mich zunächst, bis ich mitbekam, das Ida und ihre Frauen die Reste des Tages immer an Hilfsbedürftige verteilten. Sie konnten sich aussuchen, was sie wollten und Ida packte es ihnen in genau die gleichen schönen bedruckten Tütchen, die die anderen Kunden erhielten.“

„Dir blieb anscheinend nur eine schmale Lücke zwischen Naturverherrlichung und Ablehnung der Stadtkultur, etwas abgefedert durch Sozialromantik?“

„Vielleicht. München fördert den Kampf alle gegen Alle, die bleibende soziale Ungleichheit wird durch christliches Mitleid und Fürsorge abgedämpft. Es herrscht das Geld, und die Ideale, die kommen später, auch die <leistet> man sich. Ja, ich weiß, was du jetzt sagen willst: <Erst das Brot, dann die Moral>; alles bekannt, aber den globalisierten Kapitalismus gab es doch wahrlich nicht vor dem ersten Erscheinen der Demokratie. Er fußt auf ihr und seine habgierigen Macher sind drauf und dran diese aufzulösen.“

„Ach, Frank, der Humanismus und die Aufklärung ist der geistige Ausfluss eines mit viel Mitteln und wenig Rechten ausgestatteten global kapitalisierten Bürgertums. Das nannte sich Merkantilismus, du Schlaumeier. Und er ist daher nicht ohne Grund in Handelszentren entstanden. Oder auch: Nur weil es schlechte Fußballer gibt, muss ich ja deswegen den Fußball nicht insgesamt Scheiße finden.“

„Es ist wieder nur die halbe Wahrheit, die du da rausstöhnst. Der Humanismus und die Aufklärung sind nur in ihrem bewusstem Rückgriff auf die griechische Philosophie zu verstehen. Muss ich dir das sagen? Und zu deinem Fußballbeispiel: Wenn in den Regeln des Fußballs eine immanente Ungerechtigkeit eingebaut wäre, dann, erst dann, würden wir nicht mehr hinschauen.“

„Die deutsche Wirklichkeit bietet auch in Bayer nachweislich Schwächeren die allergeringsten Aufstiegschancen im Vergleich zu allen anderen, zum Teil viel liberaleren Staaten. Einmal arm, immer arm. Sie ist die Gesellschaft mit den geringsten Geburtenraten. Uns stören die lauten, langweiligen Balgen doch nur. Bei uns sind in 20 Jahren die Hälfte, ich wiederhole: die Hälfte der Menschen über 60 Jahre, also fast alles Rentner. Wir werden ein Seniorenheim. Es gibt noch nicht einmal genügend Kindergartenplätze, die Schulen zerfallen. Bei mir bewerben sich deutsche Abiturienten, die DEVIENITIF der deutschen Sprache nicht mächtig sind – zumindest nicht in schriftlicher Form. Die Wissenschaftler, und zwar nicht nur Gentechniker, verlassen das Land. Ach nö, das ist alles so faktisch, so kalt?“

„Ja, das ist die Form, die ich hören will. Kann ich auch: Dieses Gerede vom Aussterben der Deutschen ist doch hahnebüchen, die sollen doch alle Kinder aus der 3. Welt adoptieren, wenn sie so heiß auf Muttisein sind. Einwanderer rein, heiße Afghanen sollen die 60-jährigen meinetwegen dusselig poppen.“

„Da fällt dir nichts Besseres ein, was? Meiner Meinung nach sind aber nur das die Bereiche, aus denen sich eine Gesellschaft erneuert, und zwar geistig erneuert. Das sind die klassisch-staatlichen Bereiche: Kinder, Jugend, Bildung, Forschung, Lehre. Das gibt es aber hier nicht mehr oder kaum noch. Der deutsche Staat hat dafür kein Geld mehr, weil 6 Millionen Arbeitslose und 20 Millionen Rentner finanziert werden müssen. Und es werden täglich mehr. Und jetzt sag mir bitte nicht, dass das am Neo-Liberalismus liegt. Komm bitte nicht mit dieser verfickten Platte. Lass dir Besseres einfallen, als Antwort auf diese Herausforderung.“

„Für eine Herausforderung müsste ich nachdenken, das hier schüttel ich so aus dem Ärmel. Erstens: Wieder stellst du mich hin, als ob ich gegen Unternehmertum in jeder Form bin. Blödsinn, aber hinter jedem Unternehmer steckt halt eine Idee, weshalb er den Laden aufmacht und führt. Selbstverwirklichung? Gemeinwohlmehrung? Leben, um zu arbeiten? Arbeiten, um zu leben? Oder aber eben Raffung von Geld, weil er dann irgendwann eben doch dem Geist des Kapitalismus erlegen ist; hier definiert als habgieriges Anhäufen von Besitztümern auf Kosten von Menschen und Umwelt. Das ist das Problem. Wer viel arbeitet, soll viel verdienen, auch einverstanden, aber daran krankt es nicht. Es krankt an den egoistischen Geistern in der Gesellschaft, die ihr Wohl über das aller anderer stellen, nur um sich den dritten Porsche zu kaufen.

Bücher und Reagenzgläser kosten Geld, korrekt. Woher nehmen? Aus den Steuern, korrekt. Wer zahlt die? Wir. Wer oft nicht: Die Großkonzerne. Wer hat sie über Jahre veruntreut? Die von uns gewählten Damen und Herren. Was tun? Ehrliche Politiker wählen, geht nicht, gut. Denn auch Sie denken wieder nur an sich oder sind meinetwegen auch nur gefangen im falschen System.“

„Quatsch. Eine Politik, die sich spät, aber nun immerhin hinstellt und sagt: Wir brauchen mehr Arbeit, mehr Arbeitsplätze. Und leider macht die nicht der liebe Gott und die macht auch nicht der Schröder und die Merkel und auch nicht der Fischer, deren Rotweinkeller sind prallgefüllt, sondern die machen Menschen wie Du und ich oder meinetwegen auch irgendwelche Scheißkonzerne. Alles nur damit der Staat zumindest einen Teil seiner Ausgaben finanzieren kann. Und es müssen alle mit weniger auskommen, die die bekommen und denen, denen es genommen wird. Aber es muss erstmal wieder Menschen geben, denen etwas genommen werden kann, um es denen geben zu können, die es brauchen. Ja, das ist alles profan materiell. Aber Scheiße noch einmal: Das ist doch deswegen trotzdem richtig. Es entspricht menschlichen Erfahrungswerten, wenn ich schon nicht mit Kategorien wie Wahrheit kommen darf. Ich kann das doch nicht alles verdrängen, nur weil es mir noch so gut geht und weil mir die Argumentation nicht gefällt. Was wollt ich sagen? Ach ja: So eine Politik finde ich verantwortungsvoll und ehrlich. Und nicht kalt und herzlos, wie mir irgendwelche ahnungslosen ignoranten Spinner erzählen wollen. Leute, die die Wahrheit ignorieren, verdrängen, verdrehen. Leute, die sich dann auch noch anmaßen, moralisch im Recht zu sein. Gerade auf dieser Anklagebank sitzend, finde ich die Standhaftigkeit einer solchen Politik verantwortungsvoll und ehrlich. Aber Du glaubst nach wie vor am Deutschen Wesen, soll die Welt genesen. Na denn Prost, solang es hier noch Bier gibt.“

„Ein weiteres unkonzentriertes Scheinargument gysischer Ausprägung.“

„Aber wie waren wir darauf gekommen? Richtig, es ging um München, für dich wahrscheinlich die neue Hauptstadt des am Neoliberalismus leidenden Deutschlands.“

„Stadt ist immer auch ein State of Mind. Und der kollektive Geisteszustand der Stadt ist ein ewiges Zur-Schau-tragen. Und zur Schau trägt man halt nur Erfolg. Der wiederum bemisst sich hier und auch sonst halt vor allem ökonomisch. Und das, Entschuldigung, wenn ich da jetzt noch mal einhake, empfinde ich als schädlich. Nach München passt dieses Zurschaustellen auch deshalb so hervorragend, weil es historisch eingebettet ist. Erstens in die Architektur: Die Stadt strotzt vor Kulissen und demnach fühlen sich auch alle wie Schauspieler. Ein eitler Maskenball. Zweitens politisch, weil es eine stringente Verbindung vom Wittelsbacher Herrscherhaus, mit so glanzvollen Gestalten wie Ludwig dem Zweiten, über Strauß bis Stoiber gibt. Und der Rest sind Hofstaat, Narren, so wie Mooshammer, und Promis, die den nötigen Größenwahn nur mit ner Prise Koks gebacken kriegen. Es is a Woansinn. Am meisten gefreut hat mich daher der Feinstaub-Alarm. München für ein paar Wochen als Hauptstadt des Rußes in Deutschland. Dabei hatte man sich doch so eine Mühe mit dem Dreck gegeben. Der eine Dreck ins Bahnhofsviertel, der andere ins Hasenbergl. Tja, aber der feine, der ganz feine Dreck, der hat sich halt in allen Ecken der Stadt schon festgesetzt.“

 

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Reine Ruhe statt Radau und Rabatz

Telepolis, 18.10.2005

Nach dem Feinstaub erscheint die nächste EU-Richtlinie am Horizont, die vor allem eine Reduzierung des Verkehrslärms zur Folge haben wird

Die Auflage aus Brüssel ist eindeutig: Der Lärm in den europäischen Ballungszentren soll abnehmen, bis 2008 müssen Maßnahmen entworfen sein, die helfen, dass es hier erheblich leiser wird. Der Bundestag übernahm das EU-Verdikt aus dem Jahre 2002 mit dem Namen EG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (1) erst im Juni 2005. Nun herrscht Zeitdruck. Über die konkrete Umsetzung (2) wird nun gestritten, denn durch welche Maßnahmen der Krach auf den Straßen, Flughäfen und Gleisen abnehmen soll ist unklar.

Zunächst müssen bis 2007 die Lärmbelastungen in 31 deutschen Großstädten, an 12 Flughäfen, den Hauptverkehrsachsen mit mehr als 16.000 Kfz am Tag und einigen Haupteisenbahnstrecken kartografiert werden. Die grafische Aufbereitung dieses Lärms ist aufwändig, die Kosten werden auf mindestens 60 Millionen Euro geschätzt. Einige Städte, wie beispielsweise Bonn, sind mit der Erstellung dieser Schallimmissionspläne (vulgo: Lärmkarten) schon fortgeschritten (3), in den meisten Großstädten – wie zum Beispiel in Hamburg – steht man am Anfang (4).

Sieht man von den Lärmausstößen von Flugzeugen, Eisenbahnen und Industrieanlagen einmal ab, so ist es vor allem der Straßenverkehrslärm, der heute und in Zukunft in die Bürgerohren gelangt. Trotz hoher Spritpreise wird in Deutschland soviel Auto gefahren wie nie, 2004 haben sich der Gesamtverbrauch an Kraftstoffen und damit die klimarelevanten CO2-Emissionen gegenüber 2003 wieder erhöht. In den nächsten zehn Jahren, so die Prognose, wird der Kfz-Verkehr um rund 25%, der LKW-Verkehr um mindestens 50% ansteigen.

Anhand der Lärmkarten müssen in einem zweiten Schritt bis 2008 so genannte „Aktionspläne“ zur Vermeidung und Verminderung von Lärm erarbeitet werden. Schon bei der Erstellung der Karten wird es zu Zeitverzögerungen kommen, korrekte Aktionspläne aber werden die wenigsten Städte bis dahin vorlegen können. Damit steht Deutschland nicht allein da – im Gegenteil: In vielen europäischen Ländern ist die EU-Richtlinie nicht einmal in Fachkreisen virulent.

Die EU gibt keine Grenzwerte vor, die Aktionspläne werden aber überall dort zum Tragen kommen, wo am Tag durchschnittlich 65 dB(A) überschritten werden. Zum Vergleich: Die Lärmkarten von Hamburg und anderen Großstädten verzeichnen regelmäßig einen Straßenlärmpegel zwischen 60 und 65 Dezibel tagsüber.

Wie nun aber den nervenden Rabatz eindämmen? Lärm berechnet sich logarithmisch, zehn Dezibel mehr bedeuten eine Verzehnfachung der Schallenergie, drei Dezibel eine Verdoppelung. Ansonsten gelten die nationalen Vorschriften. Das deutsche Bundes-Immissionsschutzgesetz ( BImSchG (5)) sieht zwar Grenzwerte (etwa für Wohngebiete von 59 Dezibel tagsüber und 49 Dezibel nachts) vor, aber: Dieses Gesetz gilt nur für den Neubau und die wesentliche Änderung von Straßen und Schienenwegen.

Zusammen mit den technischen Maßnahmen ist zunächst eine überdachte Verkehrsleitpolitik Erfolg versprechend. Auf lange Sicht, so sind sich zumindest diejenigen Experten einig, die den Individualverkehr nicht für eine der ehernen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts halten, mehr aber noch eine Politik, die Verkehr zu vermeiden sucht.

OPA oder 2 OPA?

Spätesten ab 50 km/h, so die Forschung, ist es nicht mehr der Motor, sondern der Reifen, der ein Automobil zum Radaubruder macht. Die Abrollgeräusche der Pneus übertönen das Antriebsaggregat. Die Industrie experimentiert daher seit Jahren mit leisen Reifen und offenporigen Straßendecken, es ist von speziellen Gummimischungen, Radhausabsorbern und „Flüsterasphalt“ die Rede. Zwar sind moderne Reifen durchaus leiser als ihre Vorgänger, noch immer aber stehen Haltbarkeit und Hochgeschwindigkeit im Vordergrund bei Käufern und Entwicklern.Als ein Wundermittel zur Lärmbekämpfung gilt offenporiger Asphalt (OPA). Hierbei verläuft sich der Schall in kleinen Hohlräumen im Straßenbelag. Auf Schnellstraßen und Autobahnen konnten Reduzierungen der Emissionen um bis zu fünf Dezibel gemessen werden, was etwa einem Drittel der Schallabstrahlung entspricht. Unklar ist aber bislang, wie lange der empfindliche Asphalt hält. Ergebnisse aus Kopenhagen, wo die leise Decke verlegt wurde, deuten darauf hin, dass der ohnehin teurere Belag alle sechs Jahre ausgetauscht werden muss, wenn er seine dämpfenden Eigenschaften behalten soll.

Innerorts ist die Verwendung des „Flüsterasphalts“ zudem mit Problemen verbunden. Um einige zu nennen: Die Drainagen für den seitlichen Abfluss von Flüssigkeiten aus der Poren sind in der Stadt bei Straßen mit Bordsteinen sehr teuer, das Auftrennen und der anschließende Neuguss der Asphaltdecke bei Kabelverlegungen oder Kanalisationsarbeiten zerstört die Drainagewirkung, auslaufende Kraft- oder gar Giftstoffe dringen in den Asphalt ein, Salz und Split-Einsatz müssen neu koordiniert werden.

Um Teile dieser Probleme aufzulösen, befindet sich in Augsburg seit August 2003 ein zweilagiger, offenporiger Asphalt (2OPA) in der Testphase. Die obere Schicht gleicht dem normalen Asphalt und lässt keinen Schmutz durch, erst die zweite Schicht schluckt die Roll- und Antriebgeräusche. Laut bayerischen Landesamt für Umweltschutz (6) ist der 2OPA „ein voller Erfolg“. Die Minderung des Verkehrslärms gegenüber den Abschnitten ohne diesen speziellen Asphalt betrüge sieben dB(A). In Ingolstadt wurde der Belag dieses Jahr ebenfalls neu gegossen, eine erste Testmessung ergab laut dem bayerischen Umweltministerium eine Lärmverringerung von sechs Dezibel; das wären 75 Prozent. Ob der 2OPA auch in der Innenstadt eingesetzt werden kann und sollte ist umstritten.

Insgesamt, so schätzt Christian Popp von Lärmkontor (7) in Hamburg, lassen sich die Reifen-Fahrbahngeräusche mit den beschriebenen Maßnahmen langfristig um etwa fünf Dezibel, im Stadtverkehr um etwa drei Dezibel verrringern. Aus seiner Sicht müssen alle Pläne zum Lärmabbau viel deutlicher auf eine Änderung der Geschwindigkeit und die Förderung des Umweltverbundes setzen. Das heißt: zu Fuß gehen, Rad fahren, ÖPNV nutzen. „In Städten muss sich die Kfz-Geschwindigkeit, je nach Bebauungssituation, zwischen 30 und 50 km/h einpendeln.“ Dabei sei darauf zu achten, dass durch eine intelligente Straßenverkehrsführung ein stetiger Fluss des Verkehrs gewährleistet ist. Denn: „Anfahrende Autos erzeugen nun einmal mehr Lärm als gleichmäßig vorbei fahrende.“

Auch der jetzt veröffentliche Bericht des Sachverständigenrates für Umweltfragen (8) beim Bundesumweltministerium sieht ein Autobahn-Tempolimit von 120 km/h und im innerörtlichen Bereich 30 km/h vor. Das Gremium übergab der Bundesregierung ein Gutachten mit einem klaren Fazit: Das Auto schädige trotz aller technischer Fortschritte die Gesundheit weiterhin erheblich. „Die durch den Straßenverkehr verursachten Folgeschäden an Gesundheit und Umwelt“, so die Professoren, „sind nach wie vor unakzeptabel hoch“.

Laut Gutachten sind über 16 % der Bevölkerung nachts Pegeln von mehr als 55 dB(A) ausgesetzt. 15,6 % sind tagsüber Pegeln von mehr als 65 dB(A) ausgesetzt. Ab diesen Werten, darüber ist man sich einig, bestehe ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nervtötender Krach ist kein Einzelphänomen: 64 % der Bundesbürger fühlen sich durch Alltagslärm belästigt, sagt eine Studie des Umweltbundesamtes.

Die Macht der Spurt-Lobby hat bislang weitere Möglichkeiten der Lärmreduzierung verhindert

Dabei stehen die Alternativen bereit: Öffentlicher Personennahverkehr, Radfahren und der simple Fußgang stehen ganz oben auf der Liste, wenn es um Verkehrsvermeidung geht. Städte wie Zürich wurden durch solche Verkehrsplanungen erheblich befriedet. Die Stadt der kurzen Wege, in der Arbeit, Leben und Wohnen nicht mehr nur durch Autos zusammen geführt werden, ist für die Experten keine Utopie mehr, sondern naheliegendes und notwendiges Planungsziel. Und: Für die beteiligten Städte und Regionen muss die Investition in Lärmschutz nicht nur mit Kosten verbunden sein. Der Standortfaktor „Ruhe“ gewinnt zunehmend an Wert und damit auch der Grundstückswert in ruhigen Lagen. Kostenentlastungen im Gesundheitssystem wären eine weitere Folge von Lärmreduzierung.

Alternative Mobilitätsgarantien fristen nach wie vor ein Nischendasein, Erdgasfahrzeuge und Solarmobile haben auf dem Markt kaum eine Chance, der Hybrid-Antrieb setzt sich nur langsam durch. Die Macht der Spurt-Lobby hat bislang weitere Möglichkeiten der Lärmreduzierung verhindert: Ein Tempolimit auf Autobahnen würde nicht nur den Krach, sondern auch Unfallhäufigkeit und Schadstoffausstoß verringern. Fast scheint es, als ob die gesamte weltweite Automobilindustrie sich am deutschen Vorbild orientiert. Nach wie vor werden vor allem Automobile gebaut, die mit Hochgeschwindigkeit überzeugen wollen.

Für die gesamte Vollgas-Fraktion wäre es ein ökonomisches und psychisches Gräuel, zukünftig eventuell gleich doppelt ausgebremst zu werden: Auf der Autobahn schleichen müssen und in der Stadt sogar nur kriechen dürfen. Das schnelle Auto ist nach wie vor Machtsymbol und seit Jahrzehnten Innitiationsinstrument beim Übergang vom Jugend- ins Erwachsenendasein. Das mit Emotionen beladene Auto wird in der Freizeit heute noch häufiger genutzt als in den 90er Jahren – und auch die Fahrt zum 400 Meter entfernten Briefkasten ist nach wie vor üblich. Dieses Bewusstsein zu verändern, dürfte eine der schwierigen Aufgaben der Zukunft sein.

Zunächst aber wird die EU-Lärmrichtlinie für Krach in den Parlamenten sorgen. Die Aufregung wird sich zwar zunächst in Grenzen halten, denn individuell einklagbar sind diese Grenzwerte vor Gericht nicht. Gleichwohl stehen die Metropolen unter Zugzwang, denn die EU will Verstöße mit hohen Geldbußen ahnden.
Links

(1)
(2) http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl105s1794.pdf
(3)
(4) http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/stadtentwicklung-umwelt/umwelt/laerm/schallimmissionsplaene/altona/start.html
(5) http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bimschg/
(6)
(7) http://www.laermkontor.de
(8)

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21047/1.html

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Rezensionen

Rezension: Mind-Altering and Poisonous Plants of the World

HanfBlatt Nr. 119

Mind-Altering and Poisonous Plants of the World

Eine weitere Enzyklopädie bewusstseinsverändernder und giftiger Pflanzen

Südafrika ist ein Land mit einer bedeutenden psychoaktiven Flora. Der Konsum des lokalen Rauschhanfes („Dagga“, „Insango“) hat eine Jahrhunderte zurück reichende Geschichte. Leider besteht dort nach wie vor ein das gestürzte weisse Apartheitregime überdauerndes ursprünglich rassistisch motiviertes Cannabisverbot. Trotzdem wird der Hanf weiterhin als Genuss- und Heilmittel gebraucht. Der Südafrikaner Ben-Erik van Wyk, Professor für Botanik an der Universität von Johannesburg, ist ein Experte für die Nutzpflanzen seiner Heimat. Die unter seiner Mitwirkung bereits erschienenen Nachschlagewerke „Medicinal Plants of South Africa“ und besonders „People`s Plants“ sind unverzichtbar für jeden, der an den lokalen Heil- und Genussmitteln interessiert ist. Wyk ist besonders bewandert in Sachen „Channa“ (Mesembryanthemum tortuosum et.al., Sceletium), einem milden gekauten oder gerauchten Psychoaktivum, auf dessen medizinische Anwendung er Patente erworben hat. Mit Spannung erwartet wurde sein jüngstes mit Michael Wink, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Universität Heidelberg, verfasstes Nachschlagewerk „Mind-Altering and Poisonous Plants of the World“, das zeitgleich in deutscher Übersetzung erschienen ist. Attraktiv übersichtlich gestaltet und mit zahlreichen exzellenten Farbfotos und Tabellen angereichert kann es in Anbetracht der Fülle der Materie trotz seines Gesamtumfangs nur einen Einstieg bieten. Nach einem kurzen auf Vergiftungen abhebenden Intro werden in 204 sehr knapp gehaltenen jeweils einseitigen Porträts wichtige Giftpflanzen und -pilze mit oder ohne psychoaktive Wirkungen sowie deren Verwandte vorgestellt. 98 informationsüberladener Seiten sind diversen „Toxinen“ gewidmet. Ein lange Liste giftiger und/oder psychoaktiver Pflanzen und Pilze, sowie ein Glossar ergänzen die Zusammenstellung. Die wegweisende monumentale „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ des Genussmittelafficionados Dr. Christian Rätsch, die man hier mal wieder in einem Atemzug preisen muss, kann sie nicht ersetzen.

 

Michael Wink/ Ben-Erik van Wyk
„Mind-Altering and Poisonous Plants of the World.
A Scientific Accurate Guide to 1200 Toxic and intoxicating Plants.“
Timber Press 2008
www.timberpress.com
Geb., 464 S., zahlreiche Abb.
ISBN-13: 978-0-88192-952-2

 

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Elektronische Kultur

Der spielerische Krieg

Telepolis, 3.9.2005

Über die Verwischung von virtuellem und realem Krieg durch Videospiele

Die Entertainment-Industrie fokussierte sich bei Videospielen mit Kampfhandlung lange auf Szenarien im Zweiten Weltkrieg. Mit den Zeiten änderte sich das Feindbild: bei den Shootern der neuen Generation tummeln sich die Kombatanten in den Gefilden des Nahen Osten. Spiele wie „Battlefield 2“, „Full Spectrum Warrior“ und „America’s Army“ bieten nicht nur aktuelle Schauplätze, ihre graphische und taktische Qualität ist enorm gestiegen. Aus simplen First-Person Shootern mit dünner Handlung sind anspruchsvolle Simulationen geworden, die den Krieg optisch und physikalisch korrekt nachbilden. Dies ist kein Zufall, denn das (US-) Militär und die Spielhersteller kooperieren bei der Entwicklung virtueller Schlachtfelder.

Schon Mitte der 90er Jahre ließ die US-Army Soldaten an einer modifizierten Version des Baller-Klassikers „Doom“ trainieren. Um ihren Kämpfern noch realistischere Erfahrungen zuteil kommen zu lassen, gründete das Verteidigungsministerium 1999 in Kalifornien das ICT ( Institute of Creative Technologies (1), einem Joint Venture von Militär, Entertainment-Industrie und Wissenschaft. Paramount saß ebenfalls mit im Boot, das Filmstudio hatte im Jahr zuvor mit „Der Soldat James Ryan“ Maßstäbe in der realistischen Darstellung des Krieges gesetzt. 45 Millionen Dollar ließ sich das Verteidigungsministerium die Etablierung kosten, seither arbeiten Drehbuchautoren, Regisseure, Programmierer und Taktik-Offiziere Hand in Hand. Paul Debevec, der in „The Matrix“ die Spezialeffekte entwarf, hält am ICT ebenso Vorträge wie Drehbuchautor John Milius („Apocalypse Now“).

Im Jahr 2000 nahm das ICT mit dem Spieleentwickler „Pandemic Studios“ (2) Kontakt auf. Der Auftrag: Die Programmierung einer Kriegs-Simulation, die auf Basis des offiziellen „Field Manual“ der US-Army funktioniert. In diesem frei erhältlichen Gefechtshandbuch (3) werden acht unterschiedliche Konfliktsituationen und deren Lösung entworfen. Vor allem wollte das ICT den Kampf in Städten simuliert wissen. Ziel war, den Spieler mit allen Sinnen in die Story reinzuziehen und emotional zu verstricken. Schweißnasse Hände und Herzkopfen ändern die Entscheidungsfähigkeit, daraus lassen sich Rückschlüsse auf das Verhalten im Ernstfall ziehen. Drei Jahre später war es soweit, „Full Spectrum Warrior“ (4) wurde an die Armee ausgeliefert. Eine kommerzielle Zivil-Variante des „Spiels“ stand zunächst gar nicht auf dem Plan der Beteiligten, ein Jahr später kamen aber Versionen für Xbox und PC auf den Markt.

Wer nun glaubt „Full Spectrum Warrior“ fördert das rigide Ummähen möglichst vieler Gegner wird enttäuscht. Auch in der öffentlichen Version des Spiels geht es mehr darum Schusswechsel zu vermeiden und sich und seine Gruppe durch geschicktes Verhalten dem Gegner zu entziehen. Waffen sind zwar allgegenwärtig, ihr Gebrauch aber nicht immer die Lösung.

Wer gehorcht, hat Erfolg

Bei aller Detailtreue der virtueller Realitätsnachbildung bieten die modernen Taktik-Shooter aber doch nur eine saubere und unrealistische Variante des Krieges. Nicht nur, dass hier niemand sterben will und muss, die Unberechenbarkeit des bewaffneten Häuserkampfes bleibt außen vor. Weder wird ein Spieler von Querschlägern getroffen noch leidet die Waffe unter Ladehemmung. Pech, Zufall und technisches Versagen sind außen vor, von den zermürbenden Kampfpausen mal ganz abgesehen. In einem Spiel muss jede Handlung eine kausale Wirkung erzielen, sonst wird dem Spieler langweilig.

Neben der Stärke der Gruppe gegenüber dem Einzelkämpfer wollen die modernen Kriegsspiele vor allem auf eines hinweisen: Wer gehorcht, hat Erfolg. Bestes Beispiel ist hier wohl die frei erhältliche Simulation „America’s Army“ (5). Ein zackiger Sergeant drillt den Spieler zunächst beim Schießtraining, dann wird dem Rekruten die Befehlskette und der Kasernenalltag klar gemacht. Erst später wird hier in freudig in die Schlacht gezogen. Kein Wunder, es war das militäreigene MOVES-Institut (6) das die Software entwickelte.

Über die Website (7) lässt sich die Software seit 2002 zum Nulltarif downloaden, die virtuelle Fehde ist das erfolgreichste Rekrutierungstool des Internet-Zeitalters. Rund 5 Millionen Sessel-Soldaten sind registriert, um Online mit- und gegeneinander anzutreten. In einer Umfrage zum Bild der US-Armee gaben 40 Prozent der Jugendlichen an, ein positives Bild der Streitkräfte aufgrund deren Einsatz im Irak zu haben, weitere 30 Prozent begründeten ihre Freude an den GI’s mit „America’s Army“. Für wahre Fans gibt es darum auch die Möglichkeit direkt von der Homepage des Spiels auf der Rekrutierungsseite von Uncle Sam zu landen. Hier kann man den hart erdaddelten Spielstand als Referenz zu übermitteln. Das Spiel ist so erfolgreich, das Ubisoft im Oktober 2005 eine kommerzielle Version für Xbox und PlayStation herausbringt. Damit wird der Kundenkreis noch größer – und wohl auch jünger.

Chris Chambers, ehemaliger Major und Entwicklungsleiter für „America’s Army“, gesteht, dass das taktische Gemetzel der Rekrutierung dient. „Im dem Spiel geht es um Zielerreichung bei möglichst wenig Verlusten“, gibt er zu bedenken. Was er vergisst: Das gilt nur für Verluste in den eigenen Reihen.

Spielzeughersteller und Human-Maschinen

Die Zusammenarbeit zwischen Programmierern und Militär ist mittlerweile gefestigt: Das Software-Team von „Full Spectrum Warrior“ schnuppert in Abständen Kasernenluft, auch das Team von „America’s Army“ musste sich in Ford Benning (Georgia) von Original-Ausbildern schinden lassen. Schon die ursprüngliche Entwicklung kostete um die sechs Millionen Dollar, seit dem Erscheinen von „America’s Army“ steckte das Verteidigungsministerium weitere 5 Millionen Dollar in die Weiterentwicklung der Software. In „Camp Guernsey“, Wyoming, steht ein Simulator mit drei Großbildschirmen, an dem Soldaten mit echten Gewehren mit Laseraufsatz das Töten lernen. Als Software läuft eine abgewandelte Version von „America’s Army“.

Unterdessen unternimmt das ICT die nächsten Schritte in die Zukunft des virtuell-realen Krieges. Der Filmausstatter Ron Cobb, der schon Streifen wie „Total Recall“ und „Aliens“ ausschmückte, entwarf für die Armee den Soldaten der Zukunft, einen „Objective Force Warrior“. Wie sonst nur technische Waffensysteme wird dieser – gerade noch menschliche – Landser als komplettes System betrachtet, das Waffen, Rüstung, Tarnung und elektronische Geräte beinhaltet. Die Entwürfe sehen aus wie aus einem Cyborg Hollywood-Streifen, aber diese Human-Maschine soll in Serie gehen. Der Armeezulieferer „General Dynamics“ (8) hat die Ausschreibung für die Realisierung des Projekts gewonnen. Und: Der Spielzeughersteller Hasbro (9) soll bereits die Spezifikationen für den Cyber-Landser erhalten haben. Kriegs- und Spieldesign gehen Hand in Hand.

Das Militär hat sich auf die Konsolengeneration eingestellt. So ist der „Dragon Runner“ (10), ein ferngesteuerter, vierrädriger Roboter, der zur Aufklärung in Gebäuden auch im Irak eingesetzt wird, sehr leicht zu bedienen. Er wird über ein Pad gesteuert, was der bekannten Steuerungseinheit der Playstation nachempfunden wurde. Krieg und Entertainment, die schon durch das Fernsehen und die elektronische Medien ihren Todestanz gemeinsam aufführen, wachsen an weiteren Nahtstellen zusammen.
Links

(1)
(2) http://www.pandemicstudios.com/
(3) http://www.globalsecurity.org/military/library/policy/army/fm/
(4) http://www.fullspectrumwarrior.com/
(5) http://www.americasarmy.com/
(6) http://www.movesinstitute.org/
(7) http://www.americasarmy.com/
(8) http://www.generaldynamics.com/
(9) http://www.hasbro.com/
(10)

 

 

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Psychoaktive Substanzen Specials

Special Tabak: Und immer wieder blüht der Tabak

HanfBlatt, Juli/August 2005

Wunderschön üppig in gelbgrün blüht auf meinem Fensterbrett der Bauerntabak. Ich kann ihn gar nicht genug bewundern. Da erschüttert ein Anruf mein tristes Dasein. Es ist mein Kollege, der rasende Reporter: „Special Tabak, alles klar?!“ Na gut, „Bröselmaschine“ in den CD-Player eingeschoben, und los gehts.

Nie zuvor wurde auf diesem Planeten so viel Tabak konsumiert, wie heute, und die Zahl der Konsumenten ist, weltweit gesehen, immer noch im Steigen begriffen. In Folge der „Entdeckung“ Amerikas durch Columbus im Jahre 1492 und damit auch des Tabaks verbreitete sich nach einer Anfangsphase, in der er in Europa zunächst hauptsächlich als Heil- und Zierpflanze genutzt wurde, der den „Indianern“ abgeschaute Tabakkonsum (Rauchen, Schnupfen, Kauen) bis in die entlegensten Winkel der Welt. Dabei entspannen sich immer wieder Debatten und gab es örtlich Verfolgungen, die den gegenwärtig geführten in Sachen Cannabis nicht nachstanden (siehe „Smoke“ von Gilman/Xun (Hrsg.)).

Ein Drittel der erwachsenen Weltbevölkerung konsumiert mittlerweile Tabak, hauptsächlich in Form des Rauchens von Zigaretten, welches sich nachdem 1881 in den USA die erste Maschine zur massenhaften Zigaretten-Fabrikation entwickelt worden war, im 20. Jahrhundert als die zeitgemäße, der allgemeinen Beschleunigung Rechnung tragende, ohne großes Brimborium, selbst im Schützengraben unter Beschuss, vollziehbare Konsumform etabliert hat. Als Besonderheit halten sich in Indien noch Bidis (in ein Temburni-Blatt eingewickelter Tabak) und in Indonesien Kretek (Gewürznelkenzigaretten, siehe Hanusz „Kretek“). Obendrein wird dem nach wie vor in Süd(ost)asien verbreiteten Betelbissen oft Kautabak zugesetzt. In Deutschland sind aber Tabakkauen und -schnupfen, obwohl sie kurioserweise seit 1993 tabaksteuerfrei sind, aus der Mode gekommen. Dem Pfeiferauchen haftet der Muff des Antiquierten an. Lediglich das Rauchen von Zigarren, symbolisch für das erstarkende Bürgertum und den aufkommenden Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, findet, heute als Zeichen von Status und Geschmack beworben, immer noch seine Liebhaber. Bonbonartig aromatisierten Tabak aus kitschigen Wasserpfeifen zu qualmen, ist ein modischer Trend aus der islamischen Welt, der in letzter Zeit in entsprechendem Ambiente als stilvoll propagiert wird. Immerhin saugten schon Promis wie Willy Brandt und Angela Merkel am Schlauch, frei nach dem Motto „Ziehen, nicht Blasen“.

Schon vor 8000 Jahren soll Tabak angebaut worden sein. Diverse Nicotiana-Arten wurden von indianischen Kulturen genutzt (siehe Christian Rätsch „Schamanenpflanze Tabak“, 2 Bände). Nur der rosa-rot blühende Echte oder Virginische Tabak (Nicotiana tabacum) und untergeordnet der robustere und nikotinreichere Bauerntabak (Nicotiana rustica, in Rußland „Machorka“) haben sich zur Genussmittelproduktion etabliert. Einst im rituellen Kontext eingesetztes Hilfs- und Heilmittel der Schamanen, dann Inspiration für Dichter und Denker oder aber Treibstoff für Macher wie für Schwätzer, gilt Tabak heute als das profane Suchtgift schlechthin, ohne medizinischen Wert und mit tötlichen Folgen.

 

Tabak Havanna Smyrna White Orient
Nicotiana tabacum-Pflanzen der Sorten „Havanna“, „Türkisch Orient Smyrna“, „Griechisch Orient Weißblühend“, „Rotfront“ und kaum zu sehen Zier- und Wildtabak Nicotiana sylvestris.
im Winter testweise mittels eines simplen (IKEA)-Hydrokultur-Systems angezogen.
Wenn Tabak erst einmal angewachsen ist, dann sprießt er….

Für das Jahr 2000 wird Tabak von der WHO für weltweit 4,2 Millionen vorzeitige Todesfälle verantwortlich gemacht (siehe WHO „The Tobacco Atlas“). In Deutschland schätzt man die Zahl der jährlich vorzeitig an den Folgen des Tabakkonsums sterbenden Menschen auf bis zu 140.000. Krebs, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen gelten als todbringende Folgen des Tabakkonsums. Je früher ein Raucher anfängt, und je mehr er täglich konsumiert, desto kürzer ist laut Statistik seine Lebenserwartung, desto höher das Risiko an Folgeerkrankungen wie Krebs, chronischer Bronchitis, Lungenerkrankungen, Augenschäden, Durchblutungsstörungen mit erhöhtem Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko und im Alter eventuell eher an Demenz zu leiden. Mögliche Hautveränderungen werden von Medizinern ebenfalls als Argument gegen den Tabakkonsum vorgebracht. (Siehe Haustein „Tabakabhängigkeit“). Der Zigarettenrauch enthält bis zu 70 krebsauslösende Substanzen, daneben andere bedenkliche Gifte, wie Kohlenmonoxid, Benzol und Cadmium.

Cannabis- und Kräuterzigarettenraucher sollten sich übrigens nicht in falscher Sicherheit wiegen: Auch der durch Verbrennung entstehende Rauch anderer Kräuter ist reich an Teer, potentiellen Karzinogenen und Giftstoffen.

Ein weiterer Nachteil des Qualms ist, dass durch das sogenannte Passivrauchen nicht nur der sich eigenverantwortlich seine Lunge Teerende, sondern auch die in seiner Atmosphäre aus Rauch leben müssenden Mitmenschen, beispielsweise Raucher-Kinder, Kollegen oder Besucher öffentlicher Veranstaltungen über die allgemeine Geruchsbelästigung hinaus gesundheitlich beeinträchtigt werden. Viele Nichtraucher sind nicht länger bereit, sich durch Raucher einschränken zu lassen.

Bauerntabak Nicotiana rustica
Bauerntabak Nicotiana rustica

Nikotin ist der charakteristische Hauptwirkstoff des Tabaks. Dieses Alkaloid wurde in reiner Form erstmals von Reimann und Posselt im Jahre 1828 an der Universität Heidelberg isoliert. Es wirkt aktivierend und gleichzeitig emotional dämpfend. Die Wirkung hält, in den als Genussmittel üblichen Dosen inhaliert, etwa 20-90 Minuten an, in höheren Dosen und oral eingenommen auch länger. Bei zu hoher Dosis kommt es zu Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Darmkontraktionen, Schweißausbrüchen und kollapsartigem Blutdruckabfall. Etwa 0,04 bis 0,06 Gramm reines Nikotin gelten für Erwachsene als potentiell tödliche Dosis. Kinder sind schon bei 0,01 Gramm gefährdet. Der Tod erfolgt durch Atemlähmung. Tabak enthält je nach Sorte und Verarbeitung zwischen 0,05 und bis zu 8 % Nikotin. Nikotindauerkonsum, egal in welcher Form, wird als Ursache für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und die bekannten Durchblutungsstörungen („Raucherbein“) angesehen, die im späten Stadium Amputationen erforderlich machen. Auch der Potenz soll Nikotin nicht zuträglich sein. Nikotin wird ein hohes Suchtpotential zugesprochen. Der körperliche Nikotinentzug, eine allgemeine Mißstimmigkeit, dauert allerdings nur etwa 24 bis 48 Stunden. Das Verlangen nach Nikotin bleibt dagegen noch etwa 2 bis 4 Wochen erhalten. Es tritt später eventuell noch sporadisch auf. Um vor dem eigentlichen Nikotinentzug das Runterkommen von der Gewohnheit des Rauchens zu erleichtern, wird neuerdings mit pharmazeutischen Nikotinpflastern und -kaugummis aus der Apotheke „substituiert“, die manche Raucher als geradezu harten Stoff empfinden. Sie klagen über Schlafstörungen und Alpträume als „Nebenwirkungen“. Diverse Verhaltenstips, Entspannungsmethoden und therapeutische Hilfen zur Überwindung der Nikotinabhängigkeit werden angeboten, teilweise von den Krankenkassen finanziert. Ihre Effektivität steht und fällt im Einzelfall jedoch mit der generellen Bereitschaft des Rauchers, sein Verhalten wirklich ändern zu wollen.

tabakpflanze

Die Tabakindustrie bestritt jahrzehntelang den Zusammenhang zwischen ihrem Produkt und möglichen gesundheitlichen Folgen. Immer wieder konterte sie mit neuen angeblich risikomindernden Trends, wie einem niedrigen Nikotingehalt, der allerdings, wie sich herausstellte, ganz im Sinne der an Umsatzmaximierung interessierten Industrie, zu einer vermehrten kompensierenden Qualmerei führte. Der abhängige Konsument verlangt nämlich nach einem zünftigen Nikotin-Kick und danach seinen Nikotin-Pegel zu halten. Die Zigarettenfilter auf Celluloseacetat-Basis gerieten in Verruf, da ihre feinen Fasern auf die Dauer selbst möglicherweise krebsauslösend sind. Die zahlreichen industriellen Zusätze zur Verbesserung von Aroma, Brenneigenschaften, Geschmack, Inhalierbarkeit und Wirksamkeit, die durch das Beizen und Saucieren in den Tabak geraten, werden ebenfalls kritisch beäugt. Erst sie, und nicht (allein) der reine Tabak, seien für manche der durch die Verbrennungsprozesse entstehenden Schadstoffe und die mit ihnen verbundenen gesundheitlichen Folgen des Zigarettenrauchens verantwortlich zu machen. Sie würden auch die Attraktivität des Rauchens und damit das Suchtrisiko erhöhen (siehe dazu den Beitag von adh in diesem Heft). Einige esoterische Industrie-Kritiker gehen gar von der Unschuld des unbehandelten Tabaks und der relativen Harmlosigkeit des Nikotins aus, wittern in den in bösartiger Absicht von der skrupellosen Industrie eingesetzten Zusätzen das eigentliche Übel.

tabaktrocken

Nicht viel anders als im Falle von Koka, Opiummohn oder Rauschhanf hat die menschliche Leidenschaft für den Tabak auch ökologisch (Zerstörung noch intakter Biosysteme durch Expansion des Anbaus und Verarbeitungsprozesse, die auf Kosten der Umwelt gehen), ökonomisch (wirtschaftliche Abhängigkeiten), sowie kulturell und politisch weitreichende Folgen (siehe z.B. „BUKO Agrar Dossier 24: tabak“ oder Hengartner/Merki (Hrsg.) „Tabakfragen“). So sind der Tabak und seine Konsumenten nicht nur ins Visier von Gesundheitspolitikern, sondern auch von Ökologen und Globalisierungsgegnern (siehe www.rauchopfer.org) geraten. Die intensiv um Markterweiterung kämpfende Zigarettenindustrie sieht sich in den westlichen Ländern in der Defensive. Sie konzentriert ihre Aktivitäten zur Erschließung neuer Märkte für westliche Zigaretten durch aggressives Marketing jetzt verstärkt auf Entwicklungsländer (z.B. besonders auf Frauen und Kinder in Afrika und Asien, siehe Geist/Heller/Waluye „Rauchopfer“). Bei aller berechtigten Kritik am Gebahren der Tabaklobbyisten und dem destruktiven Konsumverhalten der Raucher, scheinen sich in dieser Debatte, insbesondere, was die Feindseligkeit und die Forderungen nach immer mehr „Rauchverboten“ betrifft, bisweilen linke und rechte Puritaner im Regulierungswahn und in lustfeindlicher Einigkeit die Hände zu reichen. Denn, was gerne vergessen wird, bei allen bedenklichen Auswirkungen, Rauchen ist immer wieder auch eine Lust, kann manchmal durchaus eine Bereicherung des Lebens sein, besonders wenn man es schafft, das Kraut nur gelegentlich zu genießen. Für viele Raucher ist es das oft selbst dann noch, wenn sie nicht vom Glimmstengel lassen können, sich also abhängig verhalten, so gesehen „süchtig“ sind.

Wären räumliche Einschränkungen des Rauchens zum Schutz von Nichtrauchern, Werbeverbote außerhalb von Fachmagazinen, Beschränkung des Verkaufs auf Fachgeschäfte, Verpflichtung zur Deklaration von Inhaltsstoffen und zweckgebundene Steuern für die Prävention bei Kindern und Jugendlichen und die Linderung der Folgen des Tabakkonsums noch nachvollziehbar, so trägt die Irrationalität, mit der die Schikane und gleichzeitige Ausnutzung der Tabakkonsumenten als Geldquelle inzwischen betrieben und wegen angeblich sinkender Konsumentenzahl als Triumph gefeiert wird, nicht nur absurde Züge, sondern führt offensichtlich zur Schaffung von Schwarzmärkten und Raucher-Subkulturen. Das Letztere ist vielleicht gar nicht mal so schlecht, sitzen die Raucher doch auf diese Weise bald in einem Boot mit den Gebrauchern anderer verteufelter Genussmittel. Da besteht doch Solidarisierungspotential! Dann stehen die Kiffer hinter der Turnhalle nicht mehr allein herum, sondern können sich mit ihren quarzenden Lehrern ein Stück weit darüber unterhalten, wie sich das so anfühlt, wenn man als sozial ausgegrenzter Betroffener einem geheimen Laster frönt.

Wie heuchlerisch die Hetze gegen die Raucher ist, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Staat bei einer Einnahme von mehr als 14 Milliarden Euro allein an Tabaksteuern (für das Jahr 2003), wozu noch Umsatzsteuern, sowie indirekt obendrein die Lohnsteuern der 100.000 in Tabakverarbeitung und -handel beschäftigten Menschen kommen, den Löwenanteil (mehr als zwei Drittel) am Umsatz der dagegen geradezu bescheidenen Tabakindustrie einstreicht, ohne dafür adäquate Gegenleistungen zu bieten, während die gesundheitlichen Folgekosten des Tabakkonsums in erster Linie über Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungen von der Allgemeinheit getragen werden.

In Anbetracht der hohen Preise für Zigaretten, die in erster Linie mal wieder die Ärmsten zu Billigprodukten (Feinschnitt und Steckzigaretten) oder zum Kauf auf dem Schwarzmarkt (2004 stellte der deutsche Zoll 25 Milliarden Schmuggelzigaretten sicher) nötigen, mag man als Abhängiger in Erwägung ziehen, sein eigenes Kraut anzubauen, so wie es zuletzt in den mageren Jahren der unmittelbaren Nachkriegszeit verbreitet war. Obendrein wäre in Bezug auf die Machenschaften der Tabakindustrie eine Selbstversorgung auch noch politisch oberkorrekt. Wer seinen Tabak selbst verarbeitet, behält gewissermaßen auch die Kontrolle über das Produkt, was er am Ende konsumiert, auch wenn das dann gesundheitlich nicht unbedingt weniger fragwürdig ist. Nikotinhaltiges Blattwerk lässt sich leicht gewinnen. Der private Anbau zur Selbstversorgung und ohne Verkaufsabsicht, in der Praxis sind das in Deutschland immerhin bis zu 99 Pflanzen pro Person, ist tabaksteuerfrei. Mindestens 50 Gramm getrocknete Tabakblätter pro Pflanze können geerntet werden.

Nicotiana tabacum
Nicotiana tabacum

100 Gramm sind durchaus realistisch. Eine Fläche von ca. 5 mal 5 Metern würde demnach für die Produktion von 10.000 Selbstgedrehten (mit je 1 Gramm Tabakblättern) ausreichen. Das sind, aufs Jahr gerechnet, 27 kräftige Kippen pro Tag. Im von der EU hoch subventionierten professionellen Anbau wird auf dieser Fläche sogar das Doppelte geerntet. Eine ganz legale Selbstversorgung ist für den durchschnittlichen Raucher also durchaus denkbar. Schon in einer einzigen reifen Tabak-Kapsel können 1500 bis 3500 winzige hochgradig keimfähige Tabaksamen enthalten sein. Eine voll ausreifende Tabakpflanze kann bis zu 150 Kapseln bilden! Die Samen liefern übrigens auch ein wertvolles Speiseöl. Sie werden im Freiland zwischen September und November reif. Man kann sie im Fachhandel (www.tabakanbau.de) erwerben oder Bauern um ein paar Samen bitten. Die bekannteste Sorte der Wessis ist der Badische Geudertheimer. DDR-Nostalgiker mögen sich für den „Rot Front“-Korso entscheiden. Reich an aromatischen ätherischen Ölen, aber hierzulande niedrig im Ertrag sind die früher so beliebten Orient-Tabake. Eine Nikotinbombe, aber geschmacklich verrufen, ist der Bauerntabak (s.o.). Bei der Sortenwahl ist zu beachten, wofür der Tabak genutzt werden soll (für Zigaretten, Zigarrren, Wasserpfeife, Kautabak etc.). Der züchterische Trend im professionellen Anbau geht übrigens zu Sorten mit vermindertem Nikotingehalt, aber auch geringerem Teergehalt. Die Samen bleiben bei dunkler, trockener und kühler Lagerung 5 bis 10 Jahre keimfähig. Man kann sie zwar auch im Blumentopf auf dem Fensterbrett ziehen, das ist aber nicht sonderlich ertragreich. Am Besten, man sät sie ab Ende März nicht zu dicht bei >10°C, besser aber bei 20°C, als Lichtkeimer oberflächlich ohne Erdbedeckung an einem geschützten Standort (Gewächshaus) aus. Sobald die Pflanzen etwa sechs Blätter haben, werden sie vorsichtig vereinzelt. Nach den Eisheiligen kann man sie hierzulande ins Freiland bringen. Etwa 45 cm Spielraum pro Pflanze sind gut. Ein warmer lichtreicher Standort, reichlich Wasser und genügend Dünger, und der Tabak sprießt prächtig bis zu 2 Meter in die Höhe. Schließlich müssen zur besseren Blattentwicklung noch die Blüten rechtzeitig geköpft und die Seitentriebe ausgezupft, sprich gegeizt werden. Näheres findet man in der Fachliteratur für den wiedererwachenden Tabakselbstanbau (Barth/Jehle „Tabakanbau und Tabakverarbeitung leicht gemacht“).

Schwieriger ist es da schon, den richtigen Erntezeitpunkt für die Blätter zu ermitteln, während sie an der Pflanze von unten nach oben aufsteigend dabei sind, sich in Richtung gelb oder erbsgrün zu entfärben. Noch komplizierter wird es beim langsamen Trocknen. Das Tabakblatt enthält zwar in jedem Falle mehr oder weniger Nikotin, entlockt den meisten Knarzern aber pur geraucht vor allem Hustenanfälle, denn erst durch das gekonnte Trocknen, Fermentieren, Soßieren mit Geschmack gebenden und die Brenneigenschaften beeinflussenden Zutaten und Mischen verschiedener Tabaksorten wird aus dem rohen Tabak ein aromatisches Genussmittel. Hier ist also enthusiastisches Tüfteln und Experimentieren des engagierten Hobbybauern oder eine Abkehr vom gewohnten Verwöhnaroma hin zum urtümlichen Rachenkratzer die Alternative. Wann sich gar der Guerilla-Anbau für den durchschnittlichen deutschen Lullenlutscher-Sargnagelschmaucher tatsächlich zu lohnen anfängt, steht allerdings noch in den Sternen. Bei aller Begeisterung für diese schöne und erstaunliche Pflanze, knuffige Grow-Magazine für den Underground-Kleinbauern Marke „Tabakblatt“ gibt es noch nicht am Zeitungskiosk. Auch Vereine, wie „Tabak als Medizin“ und „Tabak rettet die Welt“ („e.V.“) lassen noch auf sich warten. Aber wie lange noch?!

az

Indianertabak Nicotiana quadrivalvis
Indianertabak Nicotiana quadrivalvis
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Psychoaktive Substanzen Specials

Special Tabak: Smoke gets in your eyes

HanfBlatt, Juli/August 2005

Smoke gets in your eyes

Optimierte Nikotinanfluter: Industrie-Zigaretten und deren Zusatzstoffe

Jörg Auf dem Hövel

Was heutzutage von Maschinen zu einer Standard-Zigarette eingewickelt wird verdient des Namen „Tabak“ nicht mehr. Das pflanzliche Grundmaterial, die Blätter der seit Jahrtausenden genutzten Tabakpflanze, dient nur noch als hellbrauner Träger für einen bunten Cocktail aus Substanzen, mit denen die Zigaretten-Herstellern ein bestimmtes Geschmacks- und Wirkungsspektrum erreichen wollen. Schon ein hochwertiger Tabak wie der für kubanische Zigarren wird in einer Lauge getränkt, um das Kraut für den Connaisseur überhaupt genießbar zu machen. Kaum jemand würde getrockneten Tabak anzünden und dessen Verbrennungsprodukt in die Lungen gelangen lassen, wenn er nicht vorher einer subtilen chemischen Behandlung unterzogen worden wäre. Die moderne Zigarettenindustrie hat dieses Verfahren so weit verfeinert, dass bei einem relativ milden Rauch die maximale Nikotinaufnahme gewährleistet ist. Denn viel Nikotin im Körper bedeutet jede Menge Raucher, die nicht Schachteln, sondern Stangen kaufen.

Nikotin gilt als das wichtigste Alkaloid im Tabak. Beim Rauchen werden etwa 30% des in der Zigarette enthaltenen Nikotins freigesetzt, wovon wiederum bis zu 95% beim intensiven Inhalieren resorbiert werden. Die Aufnahme der Substanz über die Lunge ist aber kein Kinderspiel. Tabakrauch beißt und kratzt, nur die gewöhnte, abgestumpfte Lunge will mehr davon. Um aber auch die unerfahrenen und damit meist jungen Probierer zum Kioskkunden werden zu lassen setzen die Hersteller auf mehrere Zusatzstoffe, die den schmerzhaften Rauch milder erscheinen lassen. Das zieht vor allem junge Raucher an. Aus den sogenannten „Tabakindustrie-Dokumenten“, deren Herausgabe ein US-Bundesgericht Ende der 90er Jahre erzwang, geht hervor, dass die Fabrikanten der großen, weiten Freiheit aus dem Zigarettenmarkt bewusst einen Kindermarkt gemachten haben. Mit Erfolg, heute beginnen Raucher ihre Karriere zwischen dem 13. und 14. Lebensjahr.

Über die Jahre, so nimmt man an, wurden alle Parameter einer Zigarette so verändert, dass die Nikotinaufnahme maximal, der damit verbundene Inhalationsschmerz aber minimal bleibt. Chemie und Biochemie des modernen Zigarettenrauches sind relativ unerforscht, bisher weiß man nur, dass im Hauptstromrauch über 4800 Substanzen wirbeln. Rund 70 davon gelten als krebserregend oder stehen im Verdacht krebserregend zu wirken. Hierzu zählen vor allem die aromatischen Kohlenwasserstoffe (wie sie auch bei der Verbrennung von Diesel-Kraftstoff auftreten) und Armine sowie die Nitrosamine.

 

Ascher

 

Für die Glimmstengelhersteller ist Nikotin der Stoff ihrer Träume, denn regelmäßig genossen entsteht körperliche und psychische Abhängigkeit. Spätestens seit den 50er Jahren wird zwar jeder Schüler und Erwachsene vom Staat darüber aufgeklärt, dass „Zigaretten süchtig machen“, dem Erfolg der Zigarette tat das lange keinen Abbruch. Um die zunehmend misstrauische Gesellschaft von der Harmlosigkeit der Zigarette zu überzeugen, senkten die Firmen sogar den offiziellen Nikotinanteil im Tabak – wie sich jetzt herausstellte war dies ein Täuschungsmanöver, das auf der Überlistung der Messmethode beruhte. Das Vorgehen der Konzerne war gewitzt: Nikotin kommt im Rauch des Tabaks in zwei Formen vor, als gebundene, säurehaltige Substanz (in Salzform) und als „freies“ Niktotin. Die Messmethoden erfassen allerdings nur das gebundene Nikotin. Durch den Zusatz von Ammoniak, Harnstoff oder Soda in das Tabakgemisch und die Züchtung basischer Tabaksorten veränderten die Hersteller wie Philip Morris (Marlboro) und R.J. Reynolds (Camel, Winston) in den 60er Jahren den Säure-Base-Haushalt hin zu einer mehr basischen Mischung. Ab einem ph-Wert von sechs steigt nämlich der Anteil des freien Nikotins sprunghaft an. In einem internen Dokument schreibt die Firma R. J. Reynolds schon 1973 begeistert: „Dieses wird schneller vom Raucher aufgesogen und dieser nimmt einen deutlichen Nikotinstoß wahr.“

Der Trick bestand also daraus, den pH-Wert der Tabak-Mischung zu erhöhen, was den Nikotingehalt im Rauch erhöht, ohne aber die absolute und messbare Menge an Nikotin in der Mischung zu ändern. Gleiche Menge, höhere Verfügbarkeit für den Raucher – besser konnte es kaum laufen. Das zeigte sich auch an den Umsatzzahlen. Es wird angenommen, dass der Siegeszug der Marke „Marlboro“ auch auf dieses Effekt zurück zu führen ist.

Quälender Qualm

Der Griff in den Chemiekasten geht aber noch weiter. Die Liste der den Tabakhäckseln zugesetzten Mittel umfasst je nach Hersteller bis zu 600 Stoffe. Nur die Beimischungen können bis zu 10 % des Gesamtgewichts einer Zigarette ausmachen, eine Zahl, die von den Herstellern bestritten wird.

Zugemischt, und das geben auch die Hersteller zu, werden fast immer Zucker und Kakao. Zucker karamellisiert während des Verbrennens und sorgt für einen milden Geschmack, dieser sanfte Dunst lässt sich leichter inhalieren. Das Problem: Beim Verbrennen von Zucker entstehen krebserzeugende Aldehyde.

Ebenfalls beliebt im Cocktail ist das kühl schmeckende Menthol. Es findet sich heute nicht nur in Menthol-Zigaretten, sondern in geringen Anteilen in fast allen Fluppen, besitzt es doch lokalanästhetische Eigenschaften. Anders ausgedrückt: es betäubt die Bronchien und macht sie unempfindlicher gegenüber dem quälenden Qualm. Zudem führt das Inhalieren von Menthol zu einer höheren Atemfrequenz, einem erhöhten Atemvolumen sowie einer tieferen Inhalation des Rauches.

Auch das Feuchthaltemittel Propylenglykol ist fast immer enthalten. Es steht im Verdacht bei der Verbrennung gesundheitsschädlich zu wirken, aber genaue Studien hierzu fehlen. Aus dem ebenfalls oft zugesetzten Glycerin entstehen in der Glutzone giftige Epoxide.

Die Liste der giftigen Substanzen lässt sich weiter fortsetzen. Um die Eigenschaften des Tabakrauches genauer zu erforschen hat Verbraucherschutzministerin Renate Künast nun eine Kommission eingesetzt, die dem Wesen des Qualms auf die Schliche kommen soll. Die Überprüfung der toxischen Eigenschaften des Rauches dürfte allerdings bis zu zwei Jahren dauern, wie aus dem Ministerium zu hören ist. Wenngleich es danach kein Reinheitsgebot für Zigaretten geben wird, steht doch zu vermuten, dass diverse Zusatzstoffe verboten werden.

Zigarette

Unter http://www.verbraucherministerium.de steht schon jetzt eine Aufstellung bereit, die für alle Marken und Sorten deren Zusatzsstoffe aufführt. Für wahrliche Aufklärung sorgt dieser Katalog aber nicht, mussten die Hersteller doch nur die Mittel bei der Ministerin vorlegen, die in größerer Menge im Glimmstengel vorkommen. Genaue Mengenangaben fehlen völlig, vieles läuft zaghaft unter „Aroma“. So fehlt die Angabe von Menthol für normale Zigaretten völlig.

Aus dieser Sicht wirken die Bemühungen des Verbraucherschutzministeriums seltsam naiv, verlässt es sich doch vollständig auf die Angaben aus der Industrie. Ein unabhängiges Institut, das die Inhaltsstoffe von Zigaretten regelmäßig überprüft existiert in Deutschland nicht. Die Tabak-Industrie besitzt Hegemonie bei der Analyse des blauen Dunstes.

Der Clou für die Hersteller: Alle der von ihnen zugesetzten Substanzen sind legal, sie stehen in Tabakverordnung des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) von 1977. Institutionen wie das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg drängen nun darauf, dass dieses Chemo-Register extrem gekürzt wird, nicht zuletzt deshalb, weil es sich dabei eigentlich um Zusatzstoffe für Lebensmittel handelt. Der Toxikologe Heinz Thielmann vom Krebsforschungszentrum warnt: „Durch die hohen Temperaturen beim Rauchen entstehen daraus neue Substanzen, deren gesundheitliche Risiken fatal sind.“ Aus Sicht der Heidelberger müssen alle Zusatzstoffe, die dazu dienen, das Rauchen zu erleichtern und insbesondere das tiefere Einatmen des Rauches zu ermöglichen, sowie alle Beimischungen, die die Bioverfügbarkeit von Nikotin erhöhen, verboten werden.

Das mag zwar alles helfen die passionierten Rauchern vor allzu groben Eingriffen in ihren Körperhaushalt zu schützen, neben strengeren Kontrollen der Inhaltstoffe von Zigaretten muss es aber auch darum gehen, den Einzelnen zu mehr Selbstverantwortung beim Gebrauch dieser Droge zu führen. Angesichts der Fitness,- Wellness- und Öko-Food-Welle ist es ein weiteres Zeichen für die jedem Menschen offenbar inne wohnende Lust auf abstruse Widersprüche, sich täglich gleich mehrere dieser Chemo-Keulen reinzuziehen. Die massenhaft gerauchte Zigarette ist vielleicht das Symbol schlechthin für den völlig degenerierten Umgang mit psychoaktiven Substanzen in unserer Gesellschaft. Ohne Sinn(lichkeit) und Verstand wandern Verbrennungsprodukte in die äußerst sensiblen Lungen – und schon während des Ausatmens wird auf die Industrie gemotzt, die keine Feinstaubfilter in die Diesel-PKWs einbaut. Und als ob es irgendein Problem lösen würde, greifen immer mehr Konsumenten zur Light-Zigarette, in der Hoffnung auf einen gesundheitlichen Vorteil. Nur langsam besinnen sich starke Raucher darauf, dass es auf dem Zigaretten-Markt auch einige wenige Marken gibt, die keine Beimischungen vornehmen.

Das politische System hat sich weitgehend darauf zurück gezogen mit Hilfe gesundheitlicher Argumente moralisch-symbolische Politik zu betreiben, nicht zuletzt, um die Steuerungsverluste in anderen Sektoren mit restriktiver Innen- und Sicherheitspolitik zu kompensieren. Von der Doppelmoral der nicht zweckgebundenen Tabaksteuer mal ganz abgesehen. Aus Sicht der Tabak-Hersteller ist der an sich gerichtete Vorwurf der steten Perfektionierung ihres Produkts ohnehin absurd – sie richten sich einfach nach den sonst so hochgelobten Marktmechanismen.

Gute Rauchware, mäßig genossen, könnte durchaus ein zu pflegendes Kulturgut sein, sie ist eben mehr als nur ein „Suchtmittel“. Sie kann als Abgrenzungsobjekt gegenüber Eltern, einer hochkontrollierten Gesellschaft oder als Zeichen von Emanzipation wirken, mehr noch, sie kann sogar als Abschussrampe aus dem gewohnten Zeit-Raum-Kontinuum dienen.

Aber die meisten Konsumenten unterwerfen sich dem Diktat einer Massenindustrie, die eine Droge perfekt optimiert hat, ohne über die angewendeten Verfahren noch die benutzten chemischen Zusatzmittel Auskunft geben zu müssen. Bei jedem Hühnerei kann man inzwischen verfolgen, woher es kommt, unter welchen Bedingungen das Tier gelebt hat und – vor allem – welche Inhaltstoffe dieses Ei zum gesunden Nahrungsmittel machen. Bei dem zerhackten und in Papier eingerollten Kraut ist weiterhin unklar, welche Substanzen in welchen Mengen vorhanden sind.

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Chemie-Apotheken müssen schließen

telepolis, 15.07.2005

In den USA wurde ein Online-Händler zu 410 Jahren Haft verurteilt

In den vergangenen Jahren herrschten im Netz traumhafte Verhältnisse für experimentierfreudige Psychedeliker. In Online-Shops konnten sie neu synthetisierte, bis dato unbekannte und daher halblegale Drogen bestellen. Nun greifen Behörden und Justiz durch. Websites werden geschlossen, in den USA wurde ein Chemikalien-Händler zu 410 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auf den einschlägigen Websites wie www.omegafinechemicals.com wurden die Chemo-Varianten bekannter Drogen über Jahre unter der euphemistischen Bezeichnung „Research Chemicals“ angeboten. Es waren Spielarten der beliebten Drogen der Tryptamin- (LSD, DMT) oder Phenethylamingruppe (Ecstasy, Meskalin, Speed). Durch kleine Änderungen an der Molekülstruktur entstanden so ständig neue Drogen, die in keinem Betäubungsmittelgesetz standen.

Deren Namen klangen wie Droiden aus der Star-Wars Serie: 2-CT-7, DOB, 5-MeO-DET. Über die Jahre tauchten Hunderte von Internet-Auftritten auf, in denen man Abwandlungen bekannter Halluzinogene erwerben konnte. Der Us-amerikanische und europäische Drogenuntergrund bestellte eifrig und bescherte Händlern wie RacResearch.com Umsätze von bis zu 20.000 Dollar in der Woche. Die psychonautischen Versuchskaninchen erforschten die Substanzen am eigenen Leib und besprachen die psychotherapeutischen, spirituellen oder genussorientierten Fortschritte und Rückschläge in Netz-Foren und Chat-Räumen.

Die US-Drogenaufsichtsbehörde DEA wies immer wieder darauf hin, dass die in Küchen und Kellern zusammengebrauten Mixturen illegal sind, weil sie im „wesentlichen gleichartig“ zu bereits verbotenen Mitteln seien. Das stimmte nicht ganz. Einige der Substanzen sind zwar verboten, aber nur, wenn sie jemand nachweislich für den Konsum vertreibt. Eine Nutzung zu Forschungszwecken ist erlaubt. Den so entstandenen Graubereich für Substanzen, die zwar erforscht, aber nicht geschluckt werden durften, nutzten die Online-Drogisten weidlich aus.

RacResearch etwa bot über 20 unterschiedliche Präparate an, gab Gratisproben an Erstkunden ab und warb sogar auf Google. Eine andere Seite, www.pondman.nu, setzte ebenfalls auf Kundenbindung: Saisonangebote, „Nimm 3 für 2“ und Express-Lieferung. Bezahlt wurde mit Kreditkarte oder über Paypal.

Das Geschäft florierte, die Behörden griffen über Jahre nicht ein. Dann der Schock: Ein 18-jähriger Kunde von www.pondman.nu hatte den Beipackzettel für sein Produkt nicht gelesen und verstarb im vergangenen Jahr an einer Überdosis AMT, einem Antidepressivum, das bis in die 60er Jahre hinein in der Sowjetunion erhältlich war. Seine Unachtsamkeit wurde auch James Downs, 22, im letzten Jahr zum Verhängnis. Er verstarb an einer Überdosis 2-CT-21, das er bei der in Las Vegas ansässigen Firma „American Chemical Supply“ bestellt hatte.

In der Operation „Web Tryp“ schloss die DEA daraufhin im Juli 2004 fünf der größten Webseiten und verhaftete zehn Personen. Der Betreiber von pondman.nu, David Linder, 52, wurde im Mai diesen Jahres zu satten 410 Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem muss er die 700.000 Dollar, die er mit der Website verdient haben soll, zurückzahlen. Angeklagt ist derzeit auch Michael Burton von American Chemical Supply. Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe.

Mit den auf den Händler-Computern gefundenen Kreditkartennummern tasten sich die Behörden nun weiter vor. In Großbritannien wurden im Mai 22 Personen angeklagt, weil sie über die betreffenden Websites größer Mengen der illegalen Substanzen aus den USA bestellt hatten.

Auf drogenaffinen Webseiten wie www.erowid.org wird derweil vor der Anwendung von „Research Chemical“ gewarnt. Es gäbe keinen guten Grund dafür, so die Vorreiter der alternativen Drogenberatung, dass diese Chemikalien für den Freizeit- oder Entspannungsgebrauch sicher zu nutzen seien.

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Psychoaktive Substanzen

Die ultimative Pfeifenkritik

Zunächst: Ein paar Worte zum Rauchen

Rauchen stellt eine Belastung für die Atemwege dar. Aus gesundheitlicher Sicht, und die sollte gerade beim Rauchen nicht ausser Acht gelassen werden, ist ein Rauchgerät dann am ehesten akzeptabel, wenn der Rauch mit einem möglichst hohen Wirkstoff- und einem geringen Schadstoffgehalt über die Atemwege und die Lunge in den Blutkreislauf gelangt. Ein Teil der unerwünschten Stoffe ist in Wasser läslich. Im warmen oder heissen Wasser ist die Läslichkeit erhäht. Die psychoaktiven Wirkstoffe sind dagegen wasserunlöslich. Sie läsen sich aber in Alkohol und Fetten. Deshalb sind hochprozentige Alkoholika und zum Beispiel Milch ungeeignete Filtermittel in Wasserpfeifen und Bhong. Flüssigkeit hält auch Staub-, Aschepartikel und dergleichen zurück. Kalte Flüssigkeit und ein langer Weg führen zum Niederschlag teeriger Substanzen bevor diese die Atemwege erreichen. Allerdings bleiben dabei auch Wirkstoffe auf der Strecke.

Neuerdings verspricht man sich vom Verdampfen der Wirkstoffe eine geringere Belastung als von der beim klassischen Pfeiferauchen auftretenden Mischform von Verbrennung und Verdampfung, wobei beim starken „Ziehen“ oft mehr verbrannt als verdampft wird. Das Cannabis wird bei der neueren Methode nur bis zu der Temperatur erhitzt, bei der die Wirkstoffe in die Gasphase übergehen und inhaliert werden kännen. Was zurückbleibt wird nicht noch mal „übergezündet“ sondern verworfen.

Kommt der Rauch nun gefiltert und gut gekühlt in die Lunge, kann er zweifellos tiefer inhaliert und länger einbehalten werden. Das ist zwar effektiv, was den Tärn anbelangt, aber für die Lunge nicht gerade das Gelbe vom Ei. Deshalb gehen Überlegungen weiter in Richtung auf die Entwicklung eines Cannabis-Aerosols. Dabei ist die Wasserunläslichkeit der Wirkstoffe ein Problem. Eine derartige Zubereitungsform ist deshalb derzeit noch Zukunftsmusik und wird mäglicherweise der Pharmaindustrie vorbehalten bleiben. Solange werden Cannabisliebhaberinnen mit der Atemwegsbelastung leben und auf Warnsignale ihres Körpers achten müssen.

Ein möglichst konzentriertes Cannabisprodukt vorsichtig dosiert und nicht mit anderen Substanzen, insbesondere dem bekanntermassen bedenklichen Tabak, vermengt zu Rauchen, minimiert die gesundheitlichen Risiken. Rauchpausen bieten den Atemwegen die Mäglichkeit sich zu erholen. Bei sich anbahnenden Erkältungen und Infekten sollte das Rauchen auf jeden Fall eingestellt werden.

Rauchtechniken werden üblicherweise im verbreiteten gemeinsamen Konsum und dem damit verbundenen sozialen Austausch entwickelt und erlernt. Ziel ist dabei meistens, durch mäglichst genussvolle Inhalation auf dopesparende Weise optimal high zu werden. Eine genauere Erläuterung an dieser Stelle erübrigt sich.

Wenden wir uns jetzt dem Rauchgerät zu. Es folgt ein Einblick in die unbegrenzte Vielfalt teilweise bizarrer Rauchmethoden und phantasievoller Pfeifen.

Ein Hindu entspannt

Die geliebte Purpfeife – immer am Mann

Bevorzugt die metallische Version, da sich Holzkäpfe bekanntlich schnell in Rauch aufläsen. Muss nicht so häufig gereinigt werden, da edles Metall den Schmand verbirgt. Dennoch, alle Jahre wieder, wenn Dich der Bock überkommt mal wieder richtig rumzusiffen, dann greifst Du sie Dir einfach und fängst an zu reinigen. Als erstes gännst Du Dir den Spass, das verteerte Sieb abzufackeln. Dann werden mit kreisenden Bewegungen die Rohre freigebohrt. Die Einzelteile kriegst Du eh nicht mehr auseinander. Die schwierigste Aufgabe ist es, nachher den ganzen Siff wieder von den Fingern abzukriegen. Und wer jetzt Hustenanfälle bekommt, wird nie ein glühender Verehrer werden.

Die Protopipe

Der Roll«s Royce unter den Purpfeifen. Aber was soll«s? Die Protopipe musst Du täglich reinigen, damit die diversen metallischen Einzelteile nicht total verbacken. Und wer tut das schon? So wird die Protopipe leicht zur Wegwerfpipe. Gepuzzelt wird sowieso nur in den ersten Tagen.

Silver Palm Leaf – Die Designerpfeife

Flach wie eine Scheckkarte und schweineteuer. Der Rauch fährt Slalom und gelangt für eine Purpfeife angenehm gekühlt im Mundraum an. Durch das leider nur an einem simplen Magneten haftende abnehmbare Unterteil leicht zu reinigen. Muss sich in der Praxis noch bewähren.

Die Pickel-Pipe für den kleinen Zug zwischendurch

Diese Menschen wollen keine Freunde haben.

Staubsauger rauchen – nicht sparsam, aber effektiv

Einen Staubsauger rauchen ist mit Sicherheit eine der spendableren Methoden sein Dope unter die Leute zu bringen. Am Ansaugstutzen wird ein Joint, ein Chillum oder €hnliches angebracht. Inhaliert wird hinten am Gebläse. Ein Knopfdruck und ab geht die Post.

Der Standarddialog lautet: „Wollen wir «nen Staubsauger rauchen?“ „Mit oder ohne Beutel?“

Die Elektropipe

Eine wesentlich handlichere und praktischere Variante, die inspiriert vom traditionellen Staubsaugerrauchen entwickelt wurde. Bei dieser Pfeife steckt man sich das Mundstück keineswegs direkt in den Schlund, wenn man nicht wie ein Ballon aufgeblasen werden will, sondern versucht, in einer Qualmwolke stehend, soviel als mäglich zu erhaschen. Typische Frage: „Hat hier irgend jemand noch «ne Batterie auf Tasche?“

Das Blubbi

Der Klassiker aus dem Orient. Ziehen will gelernt sein. Wer sich die Qualmsuppe einbrockt, der muss sie auch ausläffeln. Das ist nicht gerade das gelbe vom Ei. Gut kommt die laszive Haltung am Schlauch.

Das Bhong

Eigentlich ein Blubbi mit weiter Inhalationsäffnung. Nicht nur von Pygmäen und thailändischen Bergvälkern gern genossen. Da weiss man, was man macht und blickt den Tatsachen umnebelt in«s Auge. Wann kommt das Bhong in Serie, in das man nur noch seinen Kopf stecken muss, so dass man in seiner Atmosphäre noch ein wenig verweilen kann?

Bauernregel: Ein Kopf ist ein Zug – Kopf zu, es zieht.

Das Schlauchboot

Achtung, Trendforscher: Im Sommer 1996 dümpelt Deutschlands Jugend unter umgekippten Schlauchbooten auf dem See. Badespass macht sich breit, wenn die Luftblase zu Cannabisqualm wird und zwei bis drei Lungen kräftig einatmen. Matthias Bröckers setzt noch einen drauf und taucht mit Schnorchel aus Hanfrohr. Wassersportler tauchen von einem Boot zum anderen.

Gute Stimmung in der Wilstermarsch
Gute Stimmung in der Wilstermarsch

Unter Glas – ein Heidenspass

Man braucht einen Bierdeckel, eine Nadel, einen Bobbel und, wer hätte das gedacht, ein Glas. Schmeckt wie beim Arzt und wirkt wie eine Encountergruppe. „Welcher Arsch ist jetzt schon wieder gegen den Tisch getreten? Und wer hat seine Friseurlehre abgebrochen?“

Die Bierdose – die Doppeldröhnung

Bierchen zischen, Dose zusammendrücken und für den Kawumm-Effekt die Unterseite einstechen. In der Mitte die Dosenoberseite perforieren, Rauchsubstanz draufbräseln und der Rest ist eigentlich klar. Schmeckt nach Bier. Wonach sonst?

Kawumm – und Du fällst um

Eines der am leichtesten selbst zu bastelnden Geräte. Zwecks äkologisch sinnvoller Zweitverwertung von Klopapierrollen empfehlenswert für jeden proletarischen Haushalt. Quasi der Archetyp für den Paranoiker, weil leicht und schnell zu entsorgen.

Ich wollte es verdrängen – Das Chillum

Ja sicher, das Chillum gilt als Inbegriff ritueller Inhalation in eingeweihtem Kreise bei schummrig-sentimentalen Indien-Flashbacks. Aber die Realität sieht oft anders aus:

Stein rein, Lappen rum, ruckzuck geht das Chillum um
Es muffelt und qualmt der ganze Saal
Die Gesichter werden bleich und fahl
Die Gedanken wenden sich zur Toilette hin
In der Mischung war wohl zuviel Tabak drin

Aermel rauchen

Eine ungewähnlich Steigerung des Chillum- Rauchens beschreibt Ralf Arndt 1982 in „Spiegelbilder“: „Es gab jetzt eine neue Rauchart, genannt „€rmel“. Das Schilum wurde dabei wie gewohnt angeraucht, dann nahm man eine Lederjacke, steckte das Mundstück in den €rmel und zog sich die Jacke über den Kopf. Ein anderer legte ein Tuch über die …ffnung des Schilis und blies kräftig rein. Nicht lange danach kam derjenige, der die Lederjacke über seinem Kopf hatte, heraus. Das war die extremste Art, Shit zu rauchen, die ich jemals kennenlernte.“

Obst und Gemüse – die Ökovariante

Die Früchte der Natur, ob Paprika, Gurke, Apfel oder Melone, selbstverständlich aus biologisch-dynamischen Anbau, geben dem Geschmack eine angenehm fruchtige oder gurkige Note. Die Aushälungsarbeiten sorgen für Vitamine und erbauliche Unterhaltung.

Keine Pfeife, aber ein Joint

Was viele nicht wissen: Der Joint muss nicht unbedingt mit einer †berdosis Tabak als Nikotinbombe gebaut werden. Er lässt sich von erfahrenen Dreherinnen ohne Umstände immer wieder neu entwerfen und locker in der Runde verhaften. Ein weiterer Vorteil: Die Dopeverteilung kann schnorrerfeindlich reguliert werden (guten Grund lassen). Früh übt sich, was ein Meister werden will. Ein Nachteil: Oft werden nicht mehr Worte gewechselt als „man bin ich stoned“, während man darauf wartet, dass sich endlich jemand erbarmt, den nächsten zu basteln. Der Klassiker von Wolfgang Neuss: „Don«t Biermann that Joint – die Asche ist gefallen.“ Oder anders: Wer den Joint hat, hat das Wort.

Eimer rauchen

Ein Flasche, deren Boden entfernt wurde, wird in einen mit Wasser gefüllten Eimer getaucht. Ein brennender Joint wird in die Trinkäffnung gesteckt, die Flasche angehoben und siehe da: Sie füllt sich mit Rauch. Jetzt den Joint abheben, Mund an die …ffnung, Flasche runterdrücken. Bundeswehrerprobt. Nüchtern gesehen sind „einen Klokasten rauchen“, „eine Wanne rauchen“, „einen See rauchen“, „ein Meer rauchen“ usw. nur Abwandlungen des banalen und gemeinen Eimer rauchens.

In der Mutter Erde

Die Gaia-Methode bringt die Konsumentin in innigen Kontakt mit Mutter Erde. Durch einen U-färmigen Tunnel wird urafrikanisch geschmaucht. Kies oder Moos ersetzt das Sieb, gesaugt wird am Loch oder am darin eingeführten Rohr. Die Indoor-Alternative: Der Topf von Muttis Yucca.

Die Grillsaison ist eröffnet!

Nach dem Vorbild der alten Skythen, nur auf dem Balkon, nie in der Wohnung, werden einfach zwei reife Pflanzen auf den gut angeheizten Grill geworfen. Markise runterlassen und die Nachbarn einladen.

Opa«s olle Piep

Haste schon mal Mottenkugeln geraucht? Macht nix, Opa«s Pfeife bringst noch viel härter. Bau« Dir wenigstens aus Alufolie «ne Einlage. Schnack für lange Gesichter: „Blättchen hab« ich nich«, aber ich hab« noch «ne Pfeife.“

Der Vaporizer

Erhebend, belebend. Das Prinzip der verdampfung durch wohldosierte Oberhitze scheint genial.
Alle im Saal werden leiser, jetzt kommt „Eagle Bill“ mit seinem Vaporizer.

Unsichtbare Dämpfe schmecken noch besser als das Gras riecht. Doch es fehlt das Kratzen, der Gestank, das Husten, die Tränen in den Augen. Nostalgie vergangener Tage. Das Ding ist zwar teuer und unhandlich, aber man hat das Gefühl, man tut sich was Gutes. Das ham wer uns verdient.

az, adh

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Cannabis

Interview mit Martin Krause Cannabis im Straßenverkehr

HanfBlatt, Mai 2005

Grenzwertig: Fahren und Gefahren mit THC

Interview mit dem Rechtsanwalt Martin Krause

Da wurde in Teilen der Kiffer-Gemeinde schon aufgejubelt, als das Bundesverfassungsgericht im Januar diesen Jahres entschied, dass ein Wert von unter 1,0 ng/ml THC im Blut nicht auf eine Fahruntüchtigkeit schließen lässt. Im Gespräch mit Martin Krause, Anwalt für Drogenverkehrsrecht, wird deutlich, warum die Entscheidung der höchsten Richter der Republik keinen Anlass zum Jubeln gibt, worauf Cannabis-Konsumenten achten müssen, wenn sie ihrem Hobby und zugleich einer mobilen, kraftfahrzeuggestützten Lebensweise frönen wollen und warum es wahrscheinlich weiterhin keinen THC-Grenzwert wie beim Alkohol geben wird.

martin krause
martin krause

Frage: In einer wichtigen Entscheidung hat das Verfassungsgericht jüngst einem Mann Recht gegeben, der gegen einen Führerscheinentzug geklagt hatte: Die Behörden hatte Restspuren von Cannabis-Abbauprodukten in seinem Blut gefunden. Wird es jetzt bald einen Cannabis-Grenzwert wie beim Alkohol geben?

Antwort: Sie meinen das Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit, bei dem es lediglich um ein Fahrverbot von einem Monat, nicht aber um den Entzug der Fahrerlaubnis ging. Ob der Mann letzt endlich wirklich Recht bekommt steht übrigens noch nicht sicher fest, denn das Verfahren wurde nur an das Amtsgericht Kandel zurückverwiesen. Grenzwerte wie bei Alkohol hat es nie gegeben und wird es wohl auch in absehbarer Zukunft nicht geben, wie der Bundesgerichtshof mehrfach klargestellt hat. Solche Grenzwerte sind generell schwierig, da die Reaktionen der Konsumenten unterschiedlich und oftmals in keinem Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung stehen. Das Gericht hat beispielsweise kein Wort darüber verloren, wann jemand fahruntüchtig, ähnlich 1,1 Promille, ist. Das Gericht hat auch nicht gesagt, welche THC-Konzentration 0,5 Promille entspricht. Das Gericht ist lediglich der Meinung, dass eine THC-Plasmakonzentration im Blut von unter 1,0 ng/ml in der Regel keinen Einfluss auf das Fahrverhalten hätte und bei einem solch’ geringen Wert daher deshalb möglicherweise keine Ordnungswidrigkeit vorliege.

Frage: Ist denn die Wirkung von Cannabis tatsächlich so unvorhersehbar? Wo sehen die Gerichte den Unterschied zum Alkohol?

Antwort: Cannabis wirkt nicht bei jedem gleich. Die Auswirkungen sind von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Manche vertragen 5 ng/ml, ohne dass sie besondere Auffälligkeiten haben, andere vertragen nicht mal 1,1 oder 1,2 Nanogramm sondern fallen beim Romberg-Test durch. Was die Meinung einiger Richter im Vergleich Cannabis und Alkohol angeht sind mir zwei interessante Entscheidungen in Erinnerung. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat einmal entschieden, dass Alkohol ein Genussmittel, aber kein Rauschmittel sei und nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gibt es sachliche Gründe für diese Unterschiede. Sie liegen in der unterschiedlichen Wirkungsweise und im unterschiedlichen Wissen über die Auswirkungen von Drogen. Alkohol führe nicht ohne weiteres zu Rauschzuständen und seine Wirkung sei weithin bekannt.

Frage: Die Gerichte scheinen die Literatur, die den Grenzwert einer THC-Plasmakonzentration bei 10ng/ml festgelegt sehen wollen, nicht heranzuziehen. Warum werden Autoren wie Grotenhermen/Karus (Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt, Heidelberg 2002), die sich wiederum auf Heishman (et al., 1997) und Liguori (et al., 1998) beziehen und ein dreiteiliges Grenzwertmodell entworfen haben nicht zur Beurteilung herangezogen?

Antwort: 10 Nanogramm ist viel zu viel. Wir haben die Promillegrenze gerade von 0,8 auf 0,5 beziehungsweise 1,3 auf 1,1 gesenkt, da wird niemand den hohen Wert von Zehn ins Gespräch bringen. Ich schließe aber auf Grund derzeitiger Entwicklungen und Forschungen in Holland und Belgien nicht aus, dass man sich hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit bei 5 ng/ml einigen könnte oder die Berechnung des sogenannten CIF-Wertes relevant werden könnte; das dauert aber sicher noch einige Jahre. Es gibt eben auch zahlreiche Gutachter, die sind der Meinung, dass schon 2 ng/ml zu viel sind und dieser Wert Einfluss auf das Fahrverhalten haben kann und beide Gutachter haben auf Ihre Art durchaus Recht. Das Problem ist und bleibt, dass der Konsum von THC im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar ist und von vielen verschiedenen Einzelfaktoren abhängt, nämlich Körpergewicht, Konsumart, Wirkstoffkonzentration, Set und Setting und so weiter und der eine bei 1,1 ng/ml erhebliche Ausfallerscheinungen haben kann und den Rombergtest nicht besteht und andere, die, sicher auch wegen der Gewöhnung und Toleranz, fünf oder auch zehn Nanogramm vertragen und manche sogar noch mehr.

Frage: Wenn schon die Jurisdiktion keinen Grenzwert findet, dann ist ja wohl die Chance auf einen solchen auf politischer Ebene gering. Wird also weiterhin das Verhalten des Verkehrsteilnehmers im Einzelfall entscheiden?

Antwort: Ja, jedenfalls in absehbarer Zeit, trotz der erwähnten Versuche im Ausland und des eventuell wichtiger werdenden CIF-Werts. Ich halte die derzeitige Praxis auch für richtig und gerecht. Es wäre nämlich unfair, dass derjenige, der weniger verträgt anders oder härter bestraft wird, als derjenige, der völlig bekifft am Straßenverkehr teilnimmt, denn es gilt wissenschaftlich als gesichert, dass ein Konsument, der an Cannabis gewohnt ist, auch mehr verträgt und weniger Auffälligkeiten hat. Das ist wie bei Alkohol. Wer nie oder selten Alkohol trinkt verträgt auf Grund der Tolleranzwirkung weniger als derjenige, der als „Gewohnheitssäufer“ eingestuft werden muss. Anders kann man sich auch nicht erklären, dass es Leute gibt, die mit 4 Promille überhaupt noch stehen können und andere, die bei 2 Promille klinisch tot sind.

Frage: Wie sieht das Vorgehen der Polizei konkret aus?

Antwort: Über die Schulungsprogramme der Polizeibeamten zur Drogenerkennung im Straßenverkehr und deren objektive und subjektive Wahrnehmungen könnte man stundenlang diskutieren. Sowohl die berühmten Pupillenerscheinungen als auch der polizeiliche Drogenschnelltest spielen dabei unter anderem eine Rolle. Beides ist aber nicht beweissichernd verwertbar. Große Bedeutung spielt deshalb unter anderem der erwähnte Romberg-Test.

Frage: Der besteht woraus?

Antwort: Beim sogenannten „Finger-Finger-Test“ steht der Betroffene gerade und die Beine sind parallel und direkt nebeneinander zusammenzustellen. Die Augen werden geschlossen und die Arme seitlich ausgestreckt („Schutzmann-Halt“). Sodann werden die Zeigefingerspitzen bei gestreckten Armen („Dicker-Bauch-zeigen“) langsam vor dem Körper in Nasenhöhe zusammengeführt, um mit den beiden Fingern zusammenzutreffen. Beim Rombergtest, der beschleunigtes oder verlangsamtes Zeitgefühl misst und zudem den Gleichgewichtssinn überprüft, ordnet der Polizeibeamte an, dass der Betroffene die Füße zusammenstellt und die Arme seitlich am Körper hängend anlegt („Normales stehen“). Der Kopf wird in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Der Betroffene zählt nach einem Startzeichen des Beamten der „inneren Uhr“ folgend 30 Sekunden ab. Ist diese Zeitspanne nach seiner Ansicht verstrichen, teilt er dieses dem Beamten mit. Beim Finger-Nase-Test steht der Betroffene mit geschlossenen Augen gerade. Die Arme sind seitlich am Körper hängend angelegt („Normal stehen“). Der Kopf wird in den Nacken gelegt und der Betroffene ballt beide Hände zu einer Faust, wobei er die Zeigefinder ausstreckt. Er führt die Zeigefinger mehrfach abwechselnd langsam zur Nasenspitze, um diese zu treffen. Die Augen bleiben bis zur Beendigung des Tests geschlossen.

Frage: Und wie sollte sich der Verkehrsteilnehmer verhalten? Muss er diese Tests überhaupt über sich ergehen lassen?

Antwort: Das kommt darauf an, wen Sie mit Verkehrsteilnehmer meinen und wem ich unter welchen Voraussetzungen etwas raten soll. Aus Sicht der Anwaltschaft ist es zumindest nie falsch, erstmal nichts zu sagen. Gar nichts, außer Name und so weiter und erst recht keine Angaben zum Drogenkonsum zu machen. Wenn der Polizist mich fragt, ob ich Drogen genommen habe, kann die einzig richtige Antwort eigentlich nur „Nein“ lauten und nicht etwa „ja, aber das ist schon länger her“. Man kann sich später immer noch äußern. Wenn der Betroffene allerdings wirklich nichts genommen hat und nur wegen Übermüdung rote Augen hat und er sich auch sonst keiner Schuld bewusst ist sondern er z.B. nur so komisch spricht, weil er gerade vom Zahnarzt kommt, kann man viele Probleme auf einmal erledigen, in dem man einfach den Aufforderungen der Polizei folgt. Sollte der Betroffene allerdings innerhalb der letzten 24 Stunden tatsächlich Haschisch oder Marihuana geraucht haben, wird ihm wohl jeder gute Rechtsanwalt raten müssen, den Romberg-Test auf keinen Fall zu machen. Fällt er nämlich durch diesen Test durch, kann aus der zunächst vorliegenden Ordnungswidrigkeit schnell eine Straftat werden. Die Polizei bzw. das Gericht müssen eine Fahrunfähigkeit beweisen. Es ist, mit einigen Ausnahmen, zwischenzeitlich höchstrichterlich mehrfach entschieden worden, dass eine Fahruntüchtigkeit nicht alleine auf Grund einer Blutuntersuchung oder der Pupillenerscheinung bewiesen ist. Wenn der Betroffene allerdings so dumm war und den Romberg-Test machte und durch diesen dann auch noch durchfällt, muss man sich ernsthaft fragen, wie doof der Betroffene eigentlich ist, denn mit Gewalt wird der Polizeibeamte einen Romberg-Test nämlich nicht durchführen können. Viele Betroffene fühlen sich objektiv sicher und sind auf Grund von vielen Fehlinformationen im Internet der Meinung, dass spätestens einige Stunden nach dem Rauchen eines Joints nichts mehr passieren könne. Das ist ein erheblicher Irrglaube, wie die gerichtliche Praxis zeigt und…

Frage: … einen Moment, gibt es weitere Ratschläge im Umgang mit den Behörden?

Antwort: Ich finde es nicht so gut, den Konsumenten hier Ratschläge zu geben, wie sie die Polizei und Justiz austricksen können, denn deren Arbeit ist sinnvoll und nötig. Besser fände ich, wenn sich der Cannabiskonsument darüber im Klaren ist, dass er bis zu 24 Stunden nach dem Konsum eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellen kann und Drogenwirkstoffe im Blut nachweisbar sind und er sein Auto deshalb einfach stehen lässt. Aber um Ihre Frage juristisch korrekt zu beantworten; nein, der Betroffene kann nicht zum Romberg-Test gezwungen werden. Das sieht Paragraph 81a Abs. 1 der Strafprozessordnung nicht vor. Wie sollte das auch praktisch gehen?

Frage: Nun, der psychische Druck an dem Test teilzunehmen ist je nach Persönlichkeit des Beamten größer oder kleiner, Zwang wäre da nur das letzte Mittel. Aber kommen wir zur Praxis vor Gericht. Die häufigste Frage, die an sie gestellt wird, dürfte ja sein: „Man hat Cannabiskonsum durch einen Blutuntersuchung nachgewiesen. Wie lang ist mein Lappen nun weg?“ Wie wird der Hanfgenuss in diesen Fällen vom Gericht bestraft?

Antwort: Kann eine Fahruntüchtigkeit bewiesen werden, liegt eine Straftat vor. Unter Umständen kommt sogar noch Straßenverkehrsgefährdung dazu. Nach Paragraph 69a Strafgesetzbuch kann das bedeuten, dass die Fahrerlaubnis zwischen 6 Monaten und einem Jahr entzogen wird, manchmal auch länger, je nach dem, wie sich der Betroffene hinterher verhält. Liegt nur eine Ordnungswidrigkeit vor und kann eine Fahruntüchtigkeit, also eine Straftat, nicht bewiesen werden, wird neben einer Geldbuße und Punkten in Flensburg in der Regel ein Fahrverbot von ein bis drei Monaten angeordnet, je nach dem, ob man Wiederholungstäter ist oder nicht. Viele Betroffene glauben dann in einem solchen Fall aber, dass die Sache erledigt ist und sie noch mal glimpflich davongekommen sind und kiffen weiter. Doch da haben sie sich gewaltig getäuscht, denn nun wird die Fahrerlaubnisbehörde, also das Landratsamt, auf den Fahrer zukommen und versuchen, den Führerschein zu entziehen. Weil Sie übrigens fragen, wie Hanfgenuss bestraft wird: Man darf auch nicht vergessen, dass Cannabis illegal ist. Da kann also auch noch ein weiteres Strafverfahren wegen Haschischbesitz kommen und wenn der Betroffene Cannabis während der Fahrt im Auto dabei hat sind die Probleme erst recht perfekt.

Frage: Will dann jemand seine Fahrerlaubnis wiedererlangen muss er meist zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), auch „Idiotentest“ genannt. Nach welchen Vergehensarten muss man zur MPU und unter welchen Umständen erhält man den Führerschein tatsächlich zurück?

Antwort: Diese Frage kann ich Ihnen unmöglich in Kurzform beantworten, weil das von ganz vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Ich könnte drei Stunden drüber referieren. Die Fahrerlaubnisverordnung ist viel zu umfangreich. Über dieses Thema schreibe ich gerade ein Buch und bin schon bei Seite 300. Wichtig scheint mir zu sein, schon vorher dafür zu Sorgen, dass der Betroffene nicht zur MPU muss. Es gibt durchaus zahlreiche Möglichkeiten und nicht jeder muss den Idiotentest? machen. Bei manchen scheint er mir allerdings sogar sinnvoll. Wer völlig bekifft am Straßenverkehr teilnimmt oder sich jeden Tag volldröhnt solle meines Erachtens sein Verhalten überdenken.

Frage: Sicher. Auf der anderen Seite steht das Problem, dass bei der heutigen Rechtslage eben auch die moderaten Raucher, die sich ein bis zwei Mal die Woche einen schwachen Feierabend-Joint genehmigen, mit Führerscheinentzug zu rechnen haben.

Antwort: Das sehe ich anders. Der bloße gelegentliche Cannabiskonsum, ohne das Vorliegen eines in Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu Paragrafen 11 bis 14 Fahrerlaubnisverordnung genannten Zusatzelementes oder einer nach Paragraf 14 Absatz 1 Satz 4 Fahrerlaubnisverordnung vorliegenden sogenannten weiteren Tatsache rechtfertigt keine hinreichend konkreten Verdachtsmomente für einen Fahreignungsmangel, mit der Folge, dass die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtswidrig wäre. Wer also zu Hause tatsächlich nur zwei mal pro Woche einen Joint raucht muss nicht zur MPU. Wichtig ist aber, dass der Betroffene nicht mit Haschisch angetroffen wird, weil die Verwaltungsgerichte ansonsten mathematische Konsumeinheiten berechnen und behaupten, dass man mit so und so viel Gramm viel mehr rauchen könnte und die Behauptung, dass man ja nur gelegentlich Haschisch rauche, damit widerlegt werden könnte.

Frage: Es wird beklagt, dass seit den Lockerungen bei Urteilen im Cannabis-Strafrecht manche Straßenverkehrsbehörden und manche Verwaltungsgerichte ihr Vorgehen gegenüber Cannabis-Konsumenten verschärft haben. Können sie das aus ihrer Praxis bestätigen?

Antwort: Mir ist von angeblichen Lockerungen der Strafgerichte nichts bekannt. Der Bundesgerichtshof hat schon im Jahr 1995 entschieden, was eine sogenannte geringe Menge ist und das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1994 klargestellt, dass Ermittlungsverfahren wegen des sogenannten Eigenkonsums eingestellt werden können. Daran hat sich nichts verändert. Im Gegenteil. Erst im Sommer letzten Jahres hat das Verfassungsgericht nochmals ausgeführt, dass Ermittlungsverfahren eingestellt werden können, so dass sich auch keiner wegen der Ungleichbehandlung zu Alkohol beschweren muss. Und auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat sich nicht verändert. Seit dem 5. Juli 2001 und dem 20. Juni 2002 wissen die Richter sehr genau, wie sie mit Cannabiskonsumenten umzugehen haben. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht haben klare Rechtsgrundsätze getroffen. Wenn man die Rechtsprechung richtig verfolgt und die Gesetze korrekt anwendet, bestehen hinsichtlich der Frage, wann jemand zur MPU muss, eigentlich keine großen Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass jemand mit mehr als 1,0 ng/ml THC am Straßenverkehr teilnimmt, wobei das auch den Führerschein kosten kann. Nur in Bayern ist die Rechtslage und Praxis etwas anders.

Frage: Nämlich wie?

Antwort: Normalerweise kann die Behörde den Führerschein sofort einziehen. Nach Paragraf 14 Absatz 4 und Paragraf 11 Absatz 7 Fahrerlaubnisverordnung muss die Behörde keine MPU anordnen, wenn jemand unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug führt. In dem sonst für so streng geltenden Bundesland Bayern kommt der unmittelbare Entzug nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshof aber erst ab 2 ng/ml infrage. Blutwerte darunter führen zur MPU.

Frage: Zum Abschluss interessiert uns natürlich ihre persönliche Meinung zu Cannabis.

Antwort: Wie wahrscheinlich zum Ausdruck gekommen ist, ergreife ich in der Öffentlichkeit keinerlei Partei für oder wider Cannabis. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe sehe ich in der reinen Information durch klare Fakten, ob sie mir – oder anderen nun passen oder nicht. Wie ich ganz persönlich zu der Sache stehe ist deshalb auch irrelevant. Ich bin Jurist und kein Sozialarbeiter.

 


 

Zur Person: Martin Krause, 35, ist seit über drei Jahren als Anwalt für Drogenverkehrsrecht in München tätig. Er verteidigt Klienten, die wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt sind. Einen Großteil davon steht wegen des Verdachts von Cannabis-Konsum im Straßenverkehr im vor Gericht. Krause ist als Autor für das „Handbuch Straßenverkehrsrecht“ und die Zeitschrift SVR (Straßenverkehrsrecht) und der JWO-VerkehrsR (Juristische Wochenzeitung Verkehrsrecht) tätig. Ende 2005 erscheint im ein Buch von Martin Krause, das dieser zur Zeit zusammen mit dem Pharmazeuten Patrick Lehmann und dem Biologen Andreas Stangl schreibt. Der knackige Titel: Drogenverkehrsrecht.