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Chemie-Apotheken müssen schließen

Research-Chemicals, Online, Chemie /

telepolis, 15.07.2005

In den USA wurde ein Online-Händler zu 410 Jahren Haft verurteilt

In den vergangenen Jahren herrschten im Netz traumhafte Verhältnisse für experimentierfreudige Psychedeliker. In Online-Shops konnten sie neu synthetisierte, bis dato unbekannte und daher halblegale Drogen bestellen. Nun greifen Behörden und Justiz durch. Websites werden geschlossen, in den USA wurde ein Chemikalien-Händler zu 410 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auf den einschlägigen Websites wie www.omegafinechemicals.com wurden die Chemo-Varianten bekannter Drogen über Jahre unter der euphemistischen Bezeichnung „Research Chemicals“ angeboten. Es waren Spielarten der beliebten Drogen der Tryptamin- (LSD, DMT) oder Phenethylamingruppe (Ecstasy, Meskalin, Speed). Durch kleine Änderungen an der Molekülstruktur entstanden so ständig neue Drogen, die in keinem Betäubungsmittelgesetz standen.

Deren Namen klangen wie Droiden aus der Star-Wars Serie: 2-CT-7, DOB, 5-MeO-DET. Über die Jahre tauchten Hunderte von Internet-Auftritten auf, in denen man Abwandlungen bekannter Halluzinogene erwerben konnte. Der Us-amerikanische und europäische Drogenuntergrund bestellte eifrig und bescherte Händlern wie RacResearch.com Umsätze von bis zu 20.000 Dollar in der Woche. Die psychonautischen Versuchskaninchen erforschten die Substanzen am eigenen Leib und besprachen die psychotherapeutischen, spirituellen oder genussorientierten Fortschritte und Rückschläge in Netz-Foren und Chat-Räumen.

Die US-Drogenaufsichtsbehörde DEA wies immer wieder darauf hin, dass die in Küchen und Kellern zusammengebrauten Mixturen illegal sind, weil sie im „wesentlichen gleichartig“ zu bereits verbotenen Mitteln seien. Das stimmte nicht ganz. Einige der Substanzen sind zwar verboten, aber nur, wenn sie jemand nachweislich für den Konsum vertreibt. Eine Nutzung zu Forschungszwecken ist erlaubt. Den so entstandenen Graubereich für Substanzen, die zwar erforscht, aber nicht geschluckt werden durften, nutzten die Online-Drogisten weidlich aus.

RacResearch etwa bot über 20 unterschiedliche Präparate an, gab Gratisproben an Erstkunden ab und warb sogar auf Google. Eine andere Seite, www.pondman.nu, setzte ebenfalls auf Kundenbindung: Saisonangebote, „Nimm 3 für 2“ und Express-Lieferung. Bezahlt wurde mit Kreditkarte oder über Paypal.

Das Geschäft florierte, die Behörden griffen über Jahre nicht ein. Dann der Schock: Ein 18-jähriger Kunde von www.pondman.nu hatte den Beipackzettel für sein Produkt nicht gelesen und verstarb im vergangenen Jahr an einer Überdosis AMT, einem Antidepressivum, das bis in die 60er Jahre hinein in der Sowjetunion erhältlich war. Seine Unachtsamkeit wurde auch James Downs, 22, im letzten Jahr zum Verhängnis. Er verstarb an einer Überdosis 2-CT-21, das er bei der in Las Vegas ansässigen Firma „American Chemical Supply“ bestellt hatte.

In der Operation „Web Tryp“ schloss die DEA daraufhin im Juli 2004 fünf der größten Webseiten und verhaftete zehn Personen. Der Betreiber von pondman.nu, David Linder, 52, wurde im Mai diesen Jahres zu satten 410 Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem muss er die 700.000 Dollar, die er mit der Website verdient haben soll, zurückzahlen. Angeklagt ist derzeit auch Michael Burton von American Chemical Supply. Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe.

Mit den auf den Händler-Computern gefundenen Kreditkartennummern tasten sich die Behörden nun weiter vor. In Großbritannien wurden im Mai 22 Personen angeklagt, weil sie über die betreffenden Websites größer Mengen der illegalen Substanzen aus den USA bestellt hatten.

Auf drogenaffinen Webseiten wie www.erowid.org wird derweil vor der Anwendung von „Research Chemical“ gewarnt. Es gäbe keinen guten Grund dafür, so die Vorreiter der alternativen Drogenberatung, dass diese Chemikalien für den Freizeit- oder Entspannungsgebrauch sicher zu nutzen seien.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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