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Elektronische Kultur

Der spielerische Krieg

Videospiele, Krieg, ICT, Warrior /

Telepolis, 3.9.2005

Über die Verwischung von virtuellem und realem Krieg durch Videospiele

Die Entertainment-Industrie fokussierte sich bei Videospielen mit Kampfhandlung lange auf Szenarien im Zweiten Weltkrieg. Mit den Zeiten änderte sich das Feindbild: bei den Shootern der neuen Generation tummeln sich die Kombatanten in den Gefilden des Nahen Osten. Spiele wie „Battlefield 2“, „Full Spectrum Warrior“ und „America’s Army“ bieten nicht nur aktuelle Schauplätze, ihre graphische und taktische Qualität ist enorm gestiegen. Aus simplen First-Person Shootern mit dünner Handlung sind anspruchsvolle Simulationen geworden, die den Krieg optisch und physikalisch korrekt nachbilden. Dies ist kein Zufall, denn das (US-) Militär und die Spielhersteller kooperieren bei der Entwicklung virtueller Schlachtfelder.

Schon Mitte der 90er Jahre ließ die US-Army Soldaten an einer modifizierten Version des Baller-Klassikers „Doom“ trainieren. Um ihren Kämpfern noch realistischere Erfahrungen zuteil kommen zu lassen, gründete das Verteidigungsministerium 1999 in Kalifornien das ICT ( Institute of Creative Technologies (1), einem Joint Venture von Militär, Entertainment-Industrie und Wissenschaft. Paramount saß ebenfalls mit im Boot, das Filmstudio hatte im Jahr zuvor mit „Der Soldat James Ryan“ Maßstäbe in der realistischen Darstellung des Krieges gesetzt. 45 Millionen Dollar ließ sich das Verteidigungsministerium die Etablierung kosten, seither arbeiten Drehbuchautoren, Regisseure, Programmierer und Taktik-Offiziere Hand in Hand. Paul Debevec, der in „The Matrix“ die Spezialeffekte entwarf, hält am ICT ebenso Vorträge wie Drehbuchautor John Milius („Apocalypse Now“).

Im Jahr 2000 nahm das ICT mit dem Spieleentwickler „Pandemic Studios“ (2) Kontakt auf. Der Auftrag: Die Programmierung einer Kriegs-Simulation, die auf Basis des offiziellen „Field Manual“ der US-Army funktioniert. In diesem frei erhältlichen Gefechtshandbuch (3) werden acht unterschiedliche Konfliktsituationen und deren Lösung entworfen. Vor allem wollte das ICT den Kampf in Städten simuliert wissen. Ziel war, den Spieler mit allen Sinnen in die Story reinzuziehen und emotional zu verstricken. Schweißnasse Hände und Herzkopfen ändern die Entscheidungsfähigkeit, daraus lassen sich Rückschlüsse auf das Verhalten im Ernstfall ziehen. Drei Jahre später war es soweit, „Full Spectrum Warrior“ (4) wurde an die Armee ausgeliefert. Eine kommerzielle Zivil-Variante des „Spiels“ stand zunächst gar nicht auf dem Plan der Beteiligten, ein Jahr später kamen aber Versionen für Xbox und PC auf den Markt.

Wer nun glaubt „Full Spectrum Warrior“ fördert das rigide Ummähen möglichst vieler Gegner wird enttäuscht. Auch in der öffentlichen Version des Spiels geht es mehr darum Schusswechsel zu vermeiden und sich und seine Gruppe durch geschicktes Verhalten dem Gegner zu entziehen. Waffen sind zwar allgegenwärtig, ihr Gebrauch aber nicht immer die Lösung.

Wer gehorcht, hat Erfolg

Bei aller Detailtreue der virtueller Realitätsnachbildung bieten die modernen Taktik-Shooter aber doch nur eine saubere und unrealistische Variante des Krieges. Nicht nur, dass hier niemand sterben will und muss, die Unberechenbarkeit des bewaffneten Häuserkampfes bleibt außen vor. Weder wird ein Spieler von Querschlägern getroffen noch leidet die Waffe unter Ladehemmung. Pech, Zufall und technisches Versagen sind außen vor, von den zermürbenden Kampfpausen mal ganz abgesehen. In einem Spiel muss jede Handlung eine kausale Wirkung erzielen, sonst wird dem Spieler langweilig.

Neben der Stärke der Gruppe gegenüber dem Einzelkämpfer wollen die modernen Kriegsspiele vor allem auf eines hinweisen: Wer gehorcht, hat Erfolg. Bestes Beispiel ist hier wohl die frei erhältliche Simulation „America’s Army“ (5). Ein zackiger Sergeant drillt den Spieler zunächst beim Schießtraining, dann wird dem Rekruten die Befehlskette und der Kasernenalltag klar gemacht. Erst später wird hier in freudig in die Schlacht gezogen. Kein Wunder, es war das militäreigene MOVES-Institut (6) das die Software entwickelte.

Über die Website (7) lässt sich die Software seit 2002 zum Nulltarif downloaden, die virtuelle Fehde ist das erfolgreichste Rekrutierungstool des Internet-Zeitalters. Rund 5 Millionen Sessel-Soldaten sind registriert, um Online mit- und gegeneinander anzutreten. In einer Umfrage zum Bild der US-Armee gaben 40 Prozent der Jugendlichen an, ein positives Bild der Streitkräfte aufgrund deren Einsatz im Irak zu haben, weitere 30 Prozent begründeten ihre Freude an den GI’s mit „America’s Army“. Für wahre Fans gibt es darum auch die Möglichkeit direkt von der Homepage des Spiels auf der Rekrutierungsseite von Uncle Sam zu landen. Hier kann man den hart erdaddelten Spielstand als Referenz zu übermitteln. Das Spiel ist so erfolgreich, das Ubisoft im Oktober 2005 eine kommerzielle Version für Xbox und PlayStation herausbringt. Damit wird der Kundenkreis noch größer – und wohl auch jünger.

Chris Chambers, ehemaliger Major und Entwicklungsleiter für „America’s Army“, gesteht, dass das taktische Gemetzel der Rekrutierung dient. „Im dem Spiel geht es um Zielerreichung bei möglichst wenig Verlusten“, gibt er zu bedenken. Was er vergisst: Das gilt nur für Verluste in den eigenen Reihen.

Spielzeughersteller und Human-Maschinen

Die Zusammenarbeit zwischen Programmierern und Militär ist mittlerweile gefestigt: Das Software-Team von „Full Spectrum Warrior“ schnuppert in Abständen Kasernenluft, auch das Team von „America’s Army“ musste sich in Ford Benning (Georgia) von Original-Ausbildern schinden lassen. Schon die ursprüngliche Entwicklung kostete um die sechs Millionen Dollar, seit dem Erscheinen von „America’s Army“ steckte das Verteidigungsministerium weitere 5 Millionen Dollar in die Weiterentwicklung der Software. In „Camp Guernsey“, Wyoming, steht ein Simulator mit drei Großbildschirmen, an dem Soldaten mit echten Gewehren mit Laseraufsatz das Töten lernen. Als Software läuft eine abgewandelte Version von „America’s Army“.

Unterdessen unternimmt das ICT die nächsten Schritte in die Zukunft des virtuell-realen Krieges. Der Filmausstatter Ron Cobb, der schon Streifen wie „Total Recall“ und „Aliens“ ausschmückte, entwarf für die Armee den Soldaten der Zukunft, einen „Objective Force Warrior“. Wie sonst nur technische Waffensysteme wird dieser – gerade noch menschliche – Landser als komplettes System betrachtet, das Waffen, Rüstung, Tarnung und elektronische Geräte beinhaltet. Die Entwürfe sehen aus wie aus einem Cyborg Hollywood-Streifen, aber diese Human-Maschine soll in Serie gehen. Der Armeezulieferer „General Dynamics“ (8) hat die Ausschreibung für die Realisierung des Projekts gewonnen. Und: Der Spielzeughersteller Hasbro (9) soll bereits die Spezifikationen für den Cyber-Landser erhalten haben. Kriegs- und Spieldesign gehen Hand in Hand.

Das Militär hat sich auf die Konsolengeneration eingestellt. So ist der „Dragon Runner“ (10), ein ferngesteuerter, vierrädriger Roboter, der zur Aufklärung in Gebäuden auch im Irak eingesetzt wird, sehr leicht zu bedienen. Er wird über ein Pad gesteuert, was der bekannten Steuerungseinheit der Playstation nachempfunden wurde. Krieg und Entertainment, die schon durch das Fernsehen und die elektronische Medien ihren Todestanz gemeinsam aufführen, wachsen an weiteren Nahtstellen zusammen.
Links

(1)
(2) http://www.pandemicstudios.com/
(3) http://www.globalsecurity.org/military/library/policy/army/fm/
(4) http://www.fullspectrumwarrior.com/
(5) http://www.americasarmy.com/
(6) http://www.movesinstitute.org/
(7) http://www.americasarmy.com/
(8) http://www.generaldynamics.com/
(9) http://www.hasbro.com/
(10)

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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