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Reine Ruhe statt Radau und Rabatz

EU-Lärmrichtlinie, Verkehrslärm, Lärmkontor, Reifen /

Telepolis, 18.10.2005

Nach dem Feinstaub erscheint die nächste EU-Richtlinie am Horizont, die vor allem eine Reduzierung des Verkehrslärms zur Folge haben wird

Die Auflage aus Brüssel ist eindeutig: Der Lärm in den europäischen Ballungszentren soll abnehmen, bis 2008 müssen Maßnahmen entworfen sein, die helfen, dass es hier erheblich leiser wird. Der Bundestag übernahm das EU-Verdikt aus dem Jahre 2002 mit dem Namen EG-Richtlinie über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (1) erst im Juni 2005. Nun herrscht Zeitdruck. Über die konkrete Umsetzung (2) wird nun gestritten, denn durch welche Maßnahmen der Krach auf den Straßen, Flughäfen und Gleisen abnehmen soll ist unklar.

Zunächst müssen bis 2007 die Lärmbelastungen in 31 deutschen Großstädten, an 12 Flughäfen, den Hauptverkehrsachsen mit mehr als 16.000 Kfz am Tag und einigen Haupteisenbahnstrecken kartografiert werden. Die grafische Aufbereitung dieses Lärms ist aufwändig, die Kosten werden auf mindestens 60 Millionen Euro geschätzt. Einige Städte, wie beispielsweise Bonn, sind mit der Erstellung dieser Schallimmissionspläne (vulgo: Lärmkarten) schon fortgeschritten (3), in den meisten Großstädten – wie zum Beispiel in Hamburg – steht man am Anfang (4).

Sieht man von den Lärmausstößen von Flugzeugen, Eisenbahnen und Industrieanlagen einmal ab, so ist es vor allem der Straßenverkehrslärm, der heute und in Zukunft in die Bürgerohren gelangt. Trotz hoher Spritpreise wird in Deutschland soviel Auto gefahren wie nie, 2004 haben sich der Gesamtverbrauch an Kraftstoffen und damit die klimarelevanten CO2-Emissionen gegenüber 2003 wieder erhöht. In den nächsten zehn Jahren, so die Prognose, wird der Kfz-Verkehr um rund 25%, der LKW-Verkehr um mindestens 50% ansteigen.

Anhand der Lärmkarten müssen in einem zweiten Schritt bis 2008 so genannte „Aktionspläne“ zur Vermeidung und Verminderung von Lärm erarbeitet werden. Schon bei der Erstellung der Karten wird es zu Zeitverzögerungen kommen, korrekte Aktionspläne aber werden die wenigsten Städte bis dahin vorlegen können. Damit steht Deutschland nicht allein da – im Gegenteil: In vielen europäischen Ländern ist die EU-Richtlinie nicht einmal in Fachkreisen virulent.

Die EU gibt keine Grenzwerte vor, die Aktionspläne werden aber überall dort zum Tragen kommen, wo am Tag durchschnittlich 65 dB(A) überschritten werden. Zum Vergleich: Die Lärmkarten von Hamburg und anderen Großstädten verzeichnen regelmäßig einen Straßenlärmpegel zwischen 60 und 65 Dezibel tagsüber.

Wie nun aber den nervenden Rabatz eindämmen? Lärm berechnet sich logarithmisch, zehn Dezibel mehr bedeuten eine Verzehnfachung der Schallenergie, drei Dezibel eine Verdoppelung. Ansonsten gelten die nationalen Vorschriften. Das deutsche Bundes-Immissionsschutzgesetz ( BImSchG (5)) sieht zwar Grenzwerte (etwa für Wohngebiete von 59 Dezibel tagsüber und 49 Dezibel nachts) vor, aber: Dieses Gesetz gilt nur für den Neubau und die wesentliche Änderung von Straßen und Schienenwegen.

Zusammen mit den technischen Maßnahmen ist zunächst eine überdachte Verkehrsleitpolitik Erfolg versprechend. Auf lange Sicht, so sind sich zumindest diejenigen Experten einig, die den Individualverkehr nicht für eine der ehernen Errungenschaften des vergangenen Jahrhunderts halten, mehr aber noch eine Politik, die Verkehr zu vermeiden sucht.

OPA oder 2 OPA?

Spätesten ab 50 km/h, so die Forschung, ist es nicht mehr der Motor, sondern der Reifen, der ein Automobil zum Radaubruder macht. Die Abrollgeräusche der Pneus übertönen das Antriebsaggregat. Die Industrie experimentiert daher seit Jahren mit leisen Reifen und offenporigen Straßendecken, es ist von speziellen Gummimischungen, Radhausabsorbern und „Flüsterasphalt“ die Rede. Zwar sind moderne Reifen durchaus leiser als ihre Vorgänger, noch immer aber stehen Haltbarkeit und Hochgeschwindigkeit im Vordergrund bei Käufern und Entwicklern.Als ein Wundermittel zur Lärmbekämpfung gilt offenporiger Asphalt (OPA). Hierbei verläuft sich der Schall in kleinen Hohlräumen im Straßenbelag. Auf Schnellstraßen und Autobahnen konnten Reduzierungen der Emissionen um bis zu fünf Dezibel gemessen werden, was etwa einem Drittel der Schallabstrahlung entspricht. Unklar ist aber bislang, wie lange der empfindliche Asphalt hält. Ergebnisse aus Kopenhagen, wo die leise Decke verlegt wurde, deuten darauf hin, dass der ohnehin teurere Belag alle sechs Jahre ausgetauscht werden muss, wenn er seine dämpfenden Eigenschaften behalten soll.

Innerorts ist die Verwendung des „Flüsterasphalts“ zudem mit Problemen verbunden. Um einige zu nennen: Die Drainagen für den seitlichen Abfluss von Flüssigkeiten aus der Poren sind in der Stadt bei Straßen mit Bordsteinen sehr teuer, das Auftrennen und der anschließende Neuguss der Asphaltdecke bei Kabelverlegungen oder Kanalisationsarbeiten zerstört die Drainagewirkung, auslaufende Kraft- oder gar Giftstoffe dringen in den Asphalt ein, Salz und Split-Einsatz müssen neu koordiniert werden.

Um Teile dieser Probleme aufzulösen, befindet sich in Augsburg seit August 2003 ein zweilagiger, offenporiger Asphalt (2OPA) in der Testphase. Die obere Schicht gleicht dem normalen Asphalt und lässt keinen Schmutz durch, erst die zweite Schicht schluckt die Roll- und Antriebgeräusche. Laut bayerischen Landesamt für Umweltschutz (6) ist der 2OPA „ein voller Erfolg“. Die Minderung des Verkehrslärms gegenüber den Abschnitten ohne diesen speziellen Asphalt betrüge sieben dB(A). In Ingolstadt wurde der Belag dieses Jahr ebenfalls neu gegossen, eine erste Testmessung ergab laut dem bayerischen Umweltministerium eine Lärmverringerung von sechs Dezibel; das wären 75 Prozent. Ob der 2OPA auch in der Innenstadt eingesetzt werden kann und sollte ist umstritten.

Insgesamt, so schätzt Christian Popp von Lärmkontor (7) in Hamburg, lassen sich die Reifen-Fahrbahngeräusche mit den beschriebenen Maßnahmen langfristig um etwa fünf Dezibel, im Stadtverkehr um etwa drei Dezibel verrringern. Aus seiner Sicht müssen alle Pläne zum Lärmabbau viel deutlicher auf eine Änderung der Geschwindigkeit und die Förderung des Umweltverbundes setzen. Das heißt: zu Fuß gehen, Rad fahren, ÖPNV nutzen. „In Städten muss sich die Kfz-Geschwindigkeit, je nach Bebauungssituation, zwischen 30 und 50 km/h einpendeln.“ Dabei sei darauf zu achten, dass durch eine intelligente Straßenverkehrsführung ein stetiger Fluss des Verkehrs gewährleistet ist. Denn: „Anfahrende Autos erzeugen nun einmal mehr Lärm als gleichmäßig vorbei fahrende.“

Auch der jetzt veröffentliche Bericht des Sachverständigenrates für Umweltfragen (8) beim Bundesumweltministerium sieht ein Autobahn-Tempolimit von 120 km/h und im innerörtlichen Bereich 30 km/h vor. Das Gremium übergab der Bundesregierung ein Gutachten mit einem klaren Fazit: Das Auto schädige trotz aller technischer Fortschritte die Gesundheit weiterhin erheblich. „Die durch den Straßenverkehr verursachten Folgeschäden an Gesundheit und Umwelt“, so die Professoren, „sind nach wie vor unakzeptabel hoch“.

Laut Gutachten sind über 16 % der Bevölkerung nachts Pegeln von mehr als 55 dB(A) ausgesetzt. 15,6 % sind tagsüber Pegeln von mehr als 65 dB(A) ausgesetzt. Ab diesen Werten, darüber ist man sich einig, bestehe ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Nervtötender Krach ist kein Einzelphänomen: 64 % der Bundesbürger fühlen sich durch Alltagslärm belästigt, sagt eine Studie des Umweltbundesamtes.

Die Macht der Spurt-Lobby hat bislang weitere Möglichkeiten der Lärmreduzierung verhindert

Dabei stehen die Alternativen bereit: Öffentlicher Personennahverkehr, Radfahren und der simple Fußgang stehen ganz oben auf der Liste, wenn es um Verkehrsvermeidung geht. Städte wie Zürich wurden durch solche Verkehrsplanungen erheblich befriedet. Die Stadt der kurzen Wege, in der Arbeit, Leben und Wohnen nicht mehr nur durch Autos zusammen geführt werden, ist für die Experten keine Utopie mehr, sondern naheliegendes und notwendiges Planungsziel. Und: Für die beteiligten Städte und Regionen muss die Investition in Lärmschutz nicht nur mit Kosten verbunden sein. Der Standortfaktor „Ruhe“ gewinnt zunehmend an Wert und damit auch der Grundstückswert in ruhigen Lagen. Kostenentlastungen im Gesundheitssystem wären eine weitere Folge von Lärmreduzierung.

Alternative Mobilitätsgarantien fristen nach wie vor ein Nischendasein, Erdgasfahrzeuge und Solarmobile haben auf dem Markt kaum eine Chance, der Hybrid-Antrieb setzt sich nur langsam durch. Die Macht der Spurt-Lobby hat bislang weitere Möglichkeiten der Lärmreduzierung verhindert: Ein Tempolimit auf Autobahnen würde nicht nur den Krach, sondern auch Unfallhäufigkeit und Schadstoffausstoß verringern. Fast scheint es, als ob die gesamte weltweite Automobilindustrie sich am deutschen Vorbild orientiert. Nach wie vor werden vor allem Automobile gebaut, die mit Hochgeschwindigkeit überzeugen wollen.

Für die gesamte Vollgas-Fraktion wäre es ein ökonomisches und psychisches Gräuel, zukünftig eventuell gleich doppelt ausgebremst zu werden: Auf der Autobahn schleichen müssen und in der Stadt sogar nur kriechen dürfen. Das schnelle Auto ist nach wie vor Machtsymbol und seit Jahrzehnten Innitiationsinstrument beim Übergang vom Jugend- ins Erwachsenendasein. Das mit Emotionen beladene Auto wird in der Freizeit heute noch häufiger genutzt als in den 90er Jahren – und auch die Fahrt zum 400 Meter entfernten Briefkasten ist nach wie vor üblich. Dieses Bewusstsein zu verändern, dürfte eine der schwierigen Aufgaben der Zukunft sein.

Zunächst aber wird die EU-Lärmrichtlinie für Krach in den Parlamenten sorgen. Die Aufregung wird sich zwar zunächst in Grenzen halten, denn individuell einklagbar sind diese Grenzwerte vor Gericht nicht. Gleichwohl stehen die Metropolen unter Zugzwang, denn die EU will Verstöße mit hohen Geldbußen ahnden.
Links

(1)
(2) http://217.160.60.235/BGBL/bgbl1f/bgbl105s1794.pdf
(3)
(4) http://fhh.hamburg.de/stadt/Aktuell/behoerden/stadtentwicklung-umwelt/umwelt/laerm/schallimmissionsplaene/altona/start.html
(5) http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/bimschg/
(6)
(7) http://www.laermkontor.de
(8)

Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/21/21047/1.html

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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