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Spritzig durch den Büroalltag

Die DAK legt eine Studie zum Hirndoping durch Erwerbstätige vor

Erschienen in der Telepolis v. 22.03.2021

Es gibt wenig belastbare Zahlen über die Verbreitung von Hirndoping. Schon vor sechs Jahren hatte sich die DAK aufgemacht dies zu ändern und eine groß angelegte Befragung durchgeführt. Damals hatte es in den Medien zwar gerauscht, las man die Zahlen aber genauer (Doping am Arbeitsplatz), konnte man weithin Entwarnung geben. Hirndoping – auch „Cognitive Enhancement“ genannt, war kein verbreitetes Phänomen. Nun legt die Krankenkasse erneut eine repräsentative Studie vor, in der das Doping am Arbeitsplatz untersucht wurde. Was gibt es Neues?

Je nachdem, wie streng die Kriterien angelegt wurden, kam der DAK-Report 2009 zu dem Ergebnis, dass ein bis fünf Prozent der Arbeiter und Angstellten selten oder öfter Medikamente zur Leistungssteigerung oder Stimmungsverbesserung einnehmen. Dieses Mal wurde in der Befragung zum einen darauf hingewiesen, dass es um verschreibungspflichtige Medikamente geht und nicht um frei verkäufliche Präparate. Zum anderen sollten die Befragten nur von einer nicht medizinisch notwendigen Einnahme berichten, eine indikationsgemäße Therapie der Depression oder ADHS wurde also ausgeschlossen.

6,7 % der Teilnehmer, so das zentrale Ergebnis, haben mindestens einmal in ihrem Leben pharmakologisches Neuroenhancement betrieben. 3,3 % setzen auf leistungssteigernde Substanzen, 4,7 % auf Mittel zur Stimmungsaufhellung (Antidepressiva) oder dem Abbau von Ängsten und Nervosität (primär Betablocker). Die Studienautoren gehen davon aus, dass die Dunkelziffer um etwa 80 % höher liegt. Zum Vergleich: Eine Studie von 2011 zeigte eine Lebenszeitprävalenz von 1,5 % bei Schülern und 0,7 % bei Studenten.

Der Anteil der Hirndoper, die in den letzten 12 Monaten tätig geworden sind ist deutlich geringer als der derjenigen, die jemals entsprechende Medikamente mit dem Ziel der Leistungssteigerung oder Stimmungsverbesserung eingenommen haben. „3,2 Prozent der Befragten geben an, innerhalb der letzten 12 Monate verschreibungspflichtige Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen zu haben. 1, 5 Prozent geben dies für die Gruppe der leistungssteigernden Mittel an, 2,1 Prozent für die Gruppe der Mittel zur Verbesserung der Stimmung und zum Abbau von Ängsten und Nervosität.“

In den Schulabschlüssen, der beruflichen Stellung und befristeten oder unbefristeten Verträgen unterscheiden sich die Konsumenten nicht signifikant. Aber: Je einfach das Tätigkeitsniveau, desto größer die Wahrscheinlichkeit, zumindest irgendwann einmal Cognitive Enhancement betrieben zu haben.

Wie so oft stellt sich die Frage: Ist das alles alarmierend? Vereinfacht gesprochen ist ein Anstieg des Hirndopings um 2 % in den letzten sechs Jahren zu verzeichnen. Berücksichtigt man, wie irre es da draußen in den Endzeiten des Neoliberalismus zugeht, ist das eher wenig. Auch daher sieht sich noch niemand aufgefordert, die üblichen Verbotsreflexe abzuspulen.

Die Motive der Anwender sind vielfältig, hauptsächlich geht es um konkrete Anlässe wie Prüfungen und Präsentationen. Ein wichtiger Punkt erscheint in der Studie spät und bleibt in der Berichterstattung unerwähnt: Am meisten wurden Medikamente gegen Angst, Nervosität und Unruhe genannt. 60,6 % gaben sie an. Rund ein weiteres Drittel der Nutzer nimmt Arzneimittel gegen Depressionen ein, ohne eine ärztlich gesicherte Indikation vorweisen zu können. Und 28,6 % verwenden Cognitive Enhancer im engeren Sinne, nämlich Medikamente gegen Schläfrigkeit (wohl primär Modafinil), ADHS (Ritalin) und Gedächtniseinbußen (Antidementiva). Summiert sind das über 100%, weil es Mehrfachanwender gibt.

Das eigentlich erstaunliche an der Untersuchung ist aus dieser Perspektive der vergleichsweise häufige Einsatz von den Betablockern wie Metoprolol und Propranolol, die im Grunde nur den Blutdruck senken. Ob man dies nun mit dem Schlagwort „Cognitive Enhancement“ oder „Hirndoping“ beschweren muss, sei dahingestellt. Ein weiteres Drittel betreibt ebenfalls keine Kognitionserstarkung im Sinne einer Steigerung der Merk- oder Lernfähigkeit, sondern eher Mood-Boosting, um den Anforderungen in einer Mischung aus Fröhlich- und Gleichgültigkeit gegenüber zu treten. Das dürfte die Fraktion sein, die bei dauerhafter Anwendung Richtung Burn-Out/Depression steuert.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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