Kategorien
Elektronische Kultur Interviews Künstliche Intelligenz Mixed

„Ich verstehe nicht, was noch entschleunigt werden soll“

Hans-Christian Dany über den Stillstand des Kapitalismus und die Möglichkeiten eines Aufbruchs in eine unbekannte Zukunft

Das Ende des Kapitalismus wird regelmäßig vorhergesagt oder herbei geschworen. Der Autor und Künstler Hans-Christian Dany hat neue Anzeichen für das Hinauszögern des Endes der Ordnung entdeckt und plädiert in seinem neuen Buch „Schneller als die Sonne. Aus dem rasenden Stillstand in eine unbekannte Zukunft“ für einen Austritt aus der informationstechnischen Kontrollgesellschaft, in der jeder Beobachter aller anderen und ein von allen anderen Beobachteter ist.

Erschienen in der Telepolis

Dany lebt in Hamburg, sucht die praktische Umsetzung seiner Literatur und will gleichwohl geordnet kommunizieren. Wir verabreden uns zum Gespräch per Postkarten. Es ist ein Versuch, an das letzte Buch von ihm „Morgen werde ich Idiot“ („In einer Utopie der Idioten sehe ich die größte Gefährdung für die kapitalistische Maschinerie“) anzuschließen. Achtsamer Konsum, Entschleunigung, Big Data – im Interview erläutert Dany, warum diese Bewegungen und Phänomene nur Reparaturmaßnahmen sind und warum wir uns von der Annahme verabschieden sollten, zu wissen, wie eine bessere Welt aussieht.

Lass uns die Kernpunkte eines Zustands benennen, den du als „rasenden Stillstand“ bezeichnest. Fangen wir mit der Innovationslosigkeit an. Was gilt aus Deiner Sicht als Innovation?

Hans-Christian Dany: In vielen Bereichen gibt es einen faktischen Rückgang an technischen Innovationen. Das ist beim Rückgang der Patentanmeldungen zu bemerken, man denke an die Pharmaindustrie, wo sich die Innovationen in den letzten vierzig Jahren halbiert haben. Es wird zwar noch der gleiche Aufwand betrieben, Techniken zu erfinden, aber dieser Aufwand endet meist in Me-Too-Produkten, die nur wiederholen, was es ihre Vorgänger schon leisten. Es gilt einen Produktionszusammenhang am laufen zu halten. Einen Gewinn, für diejenigen, die das dann kaufen, ist da nicht zu sehen. Im Gegenteil.

Ein Beispiel?

Hans-Christian Dany: Die Computer verfallen seit einigen Jahren einer Verblödung anheim. Die Möglichkeiten werden nicht mehr ausgenutzt, die „Innovation“ bewegt sich nur noch dahin, neue Verwertungszusammenhänge aus den Wolken zu verkaufen.

Sind auch die Innovationen im Bereich des Sozialen nahezu verschwunden?

Hans-Christian Dany: Im Sozialen verfestigt sich seit den 70er Jahren die Annahme, es gäbe keine Alternative zu einer bestimmen ökonomischen Aufstellung. Das hat seine scheinbare Bestätigung im Zusammenbruch des Staatssozialismus gefunden. Man kann danach nur noch Rumbasteln am Kapitalismus, hier und dort was optimieren, Verfeinerungen vornehmen. Es gibt keine Alternative. Profitieren tun davon aber in erster Linie Minoritäten.

Das stimmt ja so nicht, die Lebensverhältnisse haben sich doch durchaus auch für die breite Masse verbessert.

Hans-Christian Dany: Es hat sich ein breiterer Zugang zum Konsum geöffnet und zur Arbeit, um das dafür notwendige Geld zu verdienen. Es gibt jetzt auch außerhalb der reichen Zonen des Westens Schuhe auf denen Nike steht, die an mehr oder minder gepflegten Arbeitsplätzen getragen werden können, damit sich die Putzmänner Reinigungsmanager nennen dürfe .

Seit Mitte der 90er Jahren gibt es wieder eindeutige Sender und Empfänger

Das Internet ist vielleicht die letzte große Innovation, mittlerweile eingemeindet ins System, folgt man Deiner Perspektive.

Hans-Christian Dany: Die hoffnungsvolle rhizomartige Struktur des Internet mit seinen Knotenpunkten, die auch alle Sender sind, mehr noch, dass jeder seinen Sender besitzen kann, fuhr Mitte der 90er Jahre gegen die Wand. Seither gibt es wieder eindeutige Sender und Empfänger. Die sozialen Netzwerke halten nur noch eine Illusion aufrecht, in ihnen darf kontrolliert gesendet werden. Damit meine ich weniger Zensur, sondern dass sich die Produktionsmittel in den Händen weniger befinden. Da kann man noch so viele Inhalte reingeben, das ändert nichts daran, dass die Leute heute kostenlose Lieferanten sind. Bestes Beispiel ist heute YouTube, wo nun wirklich keine Alternative mehr dargeboten wird: Die erfolgreichsten Pseudosender sind diejenigen, die Dinge auspacken, die sie gekauft haben. Da wird mit den Technologien nichts anderes gemacht als das, auf der Bedienungsanleitung steht.

Aber gibt es nicht auch da Parallelstrukturen, die zwar auf die physikalischen Strukturen aufsetzen, aber Prozesse abseits von Bewegungen in der Warenwelt vollziehen?

Hans-Christian Dany: Natürlich gibt es die. Das ist gerade einmal der Humus und die kurzfristige Destabilisierung, welche Stabilisierung des Vorhandenen aufrechterhält.

Das klingt nach Kulturpessimismus.

Hans-Christian Dany: Ein beliebter Vorwurf des liberalen Denkens. Aber es geht dort um reine Ökonomie, die immer enger um sich selbst zirkuliert und es nicht mehr schafft, irgendetwas über sich hinaus zu produzieren. Deshalb spreche ich lieber von einem Ökonomiepessimismus.

Aus Deiner Sicht behilft sich die Ökonomie durch sogenannte „spaltenden Innovation“.

Hans-Christian Dany: Der Markt erneuert sich nicht mehr darüber, dass ein besseres Produkt erfunden wird, sondern dass ein bestehendes Produkt in niedrigerer Qualität zu einem günstigeren Preis angeboten wird. Die Verfügbarkeit wird erhöht, neue Märkte werden erschlossen. Diese Strategie hat sich zu einer Leitformel entwickelt und die Kreativität ersetzt.

Die vielbeschworene Beschleunigung ist aus dieser Perspektive auch nur eine scheinbare?

Hans-Christian Dany: An die Stelle der Beschleunigung, bei der eine Kraft etwas in Bewegung setzt, ist eine kraftlose, selbstbezügliche Rotation getreten, deren nervöser Aktionismus die Illusion von Geschwindigkeiten vermittelt.

Warum hat es der Begriff der Beschleunigung soweit geschafft?

Hans-Christian Dany: Es hat sich noch nichts deutlich fassbares an die Stelle der Moderne gesetzt. Die sentimentalen Erinnerungen an die Moderne bilden sich beispielsweise in der gegenwärtig populären Theorie des Akzelerationismus ab. Dieser kritische Ansatz versucht sich als Neuauflage des Marxismus und sagt: Die Technologie beschleunigt sich, nur wir kommen nicht mit und müssen jetzt auch lernen, schnell zu werden. Dabei wird eine Rückkehr zu überholten Theorien des Zusammenbruchs beschworen. Krisen fungieren heute aber als Regierungstechnik, mit denen sich das bestehende Systemprinzip neu aufstellt, ohne sich im Kern zu verändern. Es bringt wenig, sich melancholisch daran zu erinnern, dass es einmal Widersprüche gab, die zugespitzt werden konnten, wenn durch die Zuspitzung der Widersprüche geherrscht wird.

Den Bemühungen einer Entschleunigung erteilst Du eine Absage. Warum?

Hans-Christian Dany: Ich verstehe nicht, was noch entschleunigt werden soll. Langsamer als es sich bewegt, geht es doch gar nicht.

Genauso stellst Du den „achtsamen Konsum“ in Frage. Wiederum, weil er nur ein Reparieren am falschen System ist? Kommen wir immer wieder darauf zurück?

Hans-Christian Dany: Wenn man sich Bücher wie das von Harald Welzer anschaut, fällt auf, dass dort in erster Linie käufliche Genügsamkeit benannt wird. Das meiste, was dort beschrieben ist, tut man sowieso nicht oder sollte man nicht tun. Selbstredend sollte man als Privatperson weniger verbrauchen. Das Problematische ist aber, dass dort Wohlfühlumgebungen hergestellt werden in denen der Selbstliebe gefrönt wird. In ganz vielen Erzählungen von Entschleunigung und achtsamem Konsum wird der kaufend Abbitte Leistende an einer Schuld beteiligt. Soundsoviel stößt man aus, soundsoviel ist man Schuld am Niedergang des Planeten, man beginnt zu rechnen.

Man hat es gewählt.

Hans-Christian Dany: Genau, das sind Beteiligungsmodelle für das Subjekt. Aber wir haben es nicht gewählt, oftmals haben wir keine Mitschuld. Abgesehen davon zielen Teile dieser achtsamen Bewegung darauf ab, den Konsum neu zu erfinden und mit Sinn auszustatten.

Manufaktum als Beispiel.

Hans-Christian Dany: Ja. Die guten alten Dinge gab es schon vorher. Es wird in Päckchen abgepackt und der verkorksten Bürgerlichkeit präsentiert.

Mit der Katastrophenstimmung lassen sich Ängste schüren.

Hans-Christian Dany: Wir haben einerseits eine Maschinerie, die versucht, die allernächste Zukunft so präzise wie möglich zu berechnen. Und dahinter zeigt sich ein dunkler Horizont drohender Katastrophen. Das sind individuelle Katastrophen, Krebs, Hunger, Krankheit, die wiederum aus unachtsamem Konsum entstehen, das sind gemeinschaftliche Katastrophen. Ich glaube, diesen Horizont der Katastrophen gilt es zu überwinden. Diese Katastrophenszenarien sind laufende Verhinderungen, die Alternative, die es angeblich nicht gibt, aber einfach nicht geben soll, zu denken.

Als Mechanismus, Neues zu verhindern, führst Du auch Big Data an.

Hans-Christian Dany: Es mutet schon seltsam an, dass sich Menschen auf ein „Was du gewünscht haben wirst“ reduzieren lassen. Big Data ist eine seltsame Wiederkehr eines im Grunde überholten Modells. Der Laplacesche Dämon war der mathematische Exzess der Aufklärung, die Vorstellung, dass bei Vorliegen aller aktuellen Daten eines Weltzustands sich die Zukunft voraussagen lässt. Anfang des 20. Jahrhundert wurde das widerlegt, das Dreikörperproblem erlaubt es gar nicht, die Zukunft von Körpern genau zu berechnen, aus der Quantenmechanik wissen wir, dass in den Atomen dauernd Prozesse stattfinden, die der Mensch nicht berechnen kann. Kapitalismus und Staatskommunismus haben sich vor langer Zeit schon entschieden, dass man zwar nicht berechnen kann, was dort auf der Quantenebene passiert, aber wir bauen trotzdem Atomkraftwerke. Genauso fatal scheint es jetzt durch den Wiedergänger des Laplaceschen Dämons mit dem etwas albernen Namen Big Data zu längst überwundenen Vorstellungen der Kausalität zurückzukehren.

Der Erfolg scheint Big Data Recht zu geben, das Verhalten von Menschen lässt sich weitgehend voraussagen.

Hans-Christian Dany: Was dabei passiert, ist: Es wird aus der Vergangenheit eine Variation errechnet. Die bleibt aber immer in dem verhaftet, was schon war. Dadurch steht alles still, denn die Maschinerie schließt alles aus, was nicht berechnet werden kann. Man schiebt Zukunft vor sich weg. Wenn die Maschine mir nur eine Variante von dem bietet, was ich schon mal gekauft habe, nun, dann kaufe ich auch zwangsläufig das. Wenn mir diese Szenarios als einziger Ausweg angeboten werden, dann gehe ich da auch rein. Man geht in Kreisen zwischen gerade eben und noch nicht. Es ist eine andauernde Fiktion, die sich nicht einmal als das einlöst, was in den letzten Jahren oft als „totale Gegenwart“ beschrieben wird.

In dem Buch verbindest Du die Systemanalyse mit Deinem subjektiven Erleben. Hatte das nur literarische oder auch didaktische Gründe?

Falls Du auf die Spielcasinoszenen anspielst – die habe ich gewählt, weil das Casino eine seltsam perfekte Stillstandsmaschine darstellt. Ein Setting, das seit 300 Jahren immer das gleich bleibt, obwohl es rund um die Uhr Zufall generiert, eine unbekannte Zukunft verspricht und dabei unverändert bleibt. Aber was tut dies Roulette mit mir und Millionen anderen, was zieht mich an seinem nachhaltigen Stillstand in den Bann? Man fühlt sich ja sicher darin, obwohl es keine wirkliche Zukunft gibt, sondern nur endlose Wiederholungen. Es geht um die Frage, was der Genuss daran ist zu verlieren.

Eine Metapher dafür, warum wir aus dem momentanen Zustand nicht flüchten?

Hans-Christian Dany: Vielleicht. Eine andauernde Risikovermeidung.

Für den Leser des Buches bleibt das Gefühl einer stillen Anklage, weil er, selbst wenn er oder sie sich bemüht, die bestehenden Verhältnisse humaner zu gestalten, von Dir als Reparaturdienstleister diskreditiert wird.

Hans-Christian Dany: Der Eindruck mag entstehen. Darum geht es aber gar nicht. Ich finde es ja gut, wenn Menschen verantwortungsvoll handeln und sich engagieren. Das versuche ich auch. Mir geht es um ein Bewusstsein dafür, was mit einem gemacht wird. In der Ebene des Alltäglichen sind allen enge Grenzen gesetzt. Wenn ich wirklich raus will aus der Zukunftslosigkeit, dann muss man mehr machen.

Du deutest die Fluchtlinien nur an.

Hans-Christian Dany: Es interessiert mich nicht, Anleitungen zu schreiben. Meine Neugier richtet sich zunächst auf die Abwendung von der Selbstbezogenheit des Menschen. Der Humanismus ist mittlerweile zum Problem geworden. Es gilt den Menschen nicht mehr in den Mittelpunkt zu stellen, es gilt, von der Selbstzentrierung weg zu kommen. Wir sollten neu lernen, dass es ganz viel außerhalb von uns gibt. Dem muss nicht nur in einer paternalistischen Geste Raum gegeben werden, sondern … Das ist viel, ich kann das gar nicht wahrnehmen, ich kann mich nur zurück nehmen. Bestimmte indigene Gruppen in Lateinamerika stellen die Erde in den Mittelpunkt, das ist ein ganz anderes Denken. Zur Zeit leben wir im Westen ja immer noch in einer endlosen Anmaßung.

Diese Durchlässigkeit erinnert an den künstlerischen Prozess.

Hans-Christian Dany: Die Kunst bietet Möglichkeiten, einen Raum zu schaffen, der vorher nicht gedacht werden konnte. Künstler können sich gegenüber dem Material zurück nehmen und dieses als das sein lassen, was sie nicht erfassen können.

Nach der freudigen Flucht ins Chaos entsteht ja irgendwann und zwangsläufig wieder Ordnung. Wie eine solche Ordnung aussieht, ist zunächst uninteressant?

Hans-Christian Dany: Diese Ansicht ist Teil des Problems. Man will immer eine Vorstellung davon haben, wie diese Ordnung aussieht. Dann trägt man aber wieder das mit, was man aus der Vergangenheit her kennt. Es braucht die Überschreitung des menschlichen Wissens hin zu einer Möglichkeit, die noch nicht festgelegt worden ist.

Dieses unbekannte Flugobjekt, das man werden soll, wie ernährt das die Familie?

Hans-Christian Dany: Ich muss kein UFO werden, sondern nur bereit sein, mich von ihm abholen zu lassen. Was die an Nahrung haben, das wissen wir nicht. Vielleicht haben die viel bessere Nahrung.

Das setzt voraus, dass die Reisenden nichts zu verlieren haben.

Hans-Christian Dany: Ich würde mich von der Angst, etwas zu verlieren, nicht ausnehmen. Aber die ist eine weitere Begründung für den Stillstand. Warum sollte es nicht besser werden können?

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.