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Kiffer Typen

Kiffer Typen: Der Esoteriker

Kiffer-Typen VI

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Esoteriker

Langsam schwebt er in den Raum und seine Aura hat er auch mitgebracht. Davon ist sein Körper umhüllt wie ein Wattebausch und sie signalisiert die Offenheit für alles, was dem Rationalisten den Kamm schwellen lässt. Der schräge Mitbewohner aus seiner WG gab ihm jüngst den Tip, in jeden gesprochenen Satz ein Wort mit „F“ einzubauen – so würde das Gleichgewicht im körpereigenen Alphabet wiederhergestellt werden. Und unser Freund richtet sich tatsächlich danach, denn irgendeine der gerauchten Papiertütchen mit Kräutermischung hat ihn auf den Trip seines Lebens geschickt: Er ist ein kiffender Esoteriker.

Zunächst wunderten sich seine Eltern darüber, dass das Kiefernholzsofa aus dem Kinderzimmer flog und nur noch auf Matratzen und Sitzkissen gesessen werden konnte. Als dann Duftlampen, indische Tücher und Salzkristalllampen Einzug hielten, ahnten sie, dass in ihrem Sohnemann tiefgreifende Veränderungen vorgehen, die sich auch in der Kuschelecke niederschlagen. Das wahre Ausmass der bürgerliche Katastrophe wurde ihnen aber erst klar, als neben den „Fünf Freunde“ Büchern von Enid Blyton plötzlich Werke mit seltsamen Titeln wie „Die Prophezeiungen von Celestine“, „Reiki für Anfänger“ oder „Heilen mit Steinen“ standen. Da aber sass unser Freund schon lange im grossen Fahrzeug mit Namen „Selbstfindung“.

Das dieser Mensch kifft, kann ihm gar nicht hoch genug angerechnet werden, denn die meisten Esoteriker wollen mit „Drogen“ nix am Hut haben. (Ob Angst oder Unwissenheit hier Pate steht, sei dahingestellt.) Oder sie gehören zu der noch schwerer zu ertragenen Sorte derjenigen, die früher Cannabis genossen haben, dann aber mit ihrem Konsummuster (zu viel oder nie wirklich was gemerkt) scheiterten und heute unter dem Deckmantel des „High ohne Drogen“ das hohe Lied der Abstinenz trällern. Dabei würde Poona ohne Charras gar nicht existieren.

Unser Freund raucht den Hanf als warmherzigen Begleiter in Richtung Nirwana, Paradies, kosmischen Ganzen oder wie auch immer sonst man das Unaussprechliche nennen mag. Er ist so frei, sich dabei nicht auf die kleinen THC-Moleküle allein zu verlassen, was seine Beständigkeit im Hier und Jetzt angeht. Aber trotzdem schlendert er mit einem milden Lächeln durch den Eso-Shop um die Ecke, ganz nach dem Motto: „Ich sehe was, was ihr nicht seht.“

Dennoch kann es passieren, dass auch er vor den Werken von Wilhelm Reich stehen bleibt um die allgegenwärtige Kraft des „Orgon“ -die Reichsche Variante der Lebensenergie (indisch „Prana“)- zu spüren. Oder er landet in einem Seminar mit dem Namen „Mit Klangschalen Haustiere von Flöhen befreien“. Dabei trägt er „Bioergothermische Schuheinlagen“ und hat sein eigenes vitalisiertes und energetisiertes Wasser im Jute-Rucksack mitgebracht. Sein Streben zu tieferen, inneren Wahrheiten nimmt zum Teil so groteske Züge an, dass er bei der wöchentlichen Aura-Soma Behandlung aus heiterem Himmel einen Urschrei loslässt, dagegen bei der Urschreitherapie alle Balance-Öle auf sein erigiertes Glied schüttet, sich wild auf die Leiterin der Session wirft und sie in die biegsamste Stellung des Tantra zerrt. Diese hält das („Gott sei Dank“) für die Früchte ihrer Arbeit und so kommt unser Freund mal wieder zum Poppen. Om.

Aber wie kommt jemand überhaupt auf den Trichter Gnome unter Steinen zu suchen, Wünschelruten zu basteln, literweise angegammelten Pu-Erh-Tee in sich reinzuschütten oder überall Mysterien zu sehen? „Komplexitätsreduktion“, schreit hier der Systemanalytiker, „verirrte Sinnsuche“, der schäfchenlose Pastor, „zu wenig körperliche Arbeit“, der Sozialdarwinist. Auf unseren esoterischen Freund trifft alles von dem Gesagten zu, er ist die Fleisch gewordene Verwirrung des Fin de siecle.

Vor lauter Apfelessig und Schamanenkursen hat er noch gar nicht bemerkt, dass er Opfer einer Konsumgeilheit ist, die von der wuchernden Esoterikbranche bedient wird. Das Fatale daran ist, dass vieles von dem Spuk tatsächlich funktioniert, nur kann unser Freund sich halt nicht entscheiden. Nur abends, wenn er mit Sportzigarette vor der Glotze hängt und wie in alten Zeiten Fussball guckt, fühlt er sich mit sich selbst und der Umwelt im Reinen.

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Kiffer Typen

Kiffer Typen: Der Experte

Kiffer-Typen V

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Experte

Während die andere Kinder auf dem Bolzplatz rumrannten, saß er über seinem Mikroskop und drang in den Mikrokosmos ein. Er hatte die Schularbeiten immer gemacht und war im Sport die Null. Sein Weg schien vorgezeichnet: Mit Glück würde er an der Universität als Dozent landen, mit Pech als höherer Beamter im Katasteramt. Doch es kam anders, denn irgendwann zog er vorsichtig an einer Pfeife, inhalierte, zog noch mal und viel grinsend nach Hinten. In diesem Moment war klar, dass sein zukünftiges Leben anders laufen würde, als Mami und Papi sich das vorgestellt hatten. Er konnte selbst nicht genau beschreiben, was mit ihm geschah, aber es war etwas Großes, Wichtiges. Fest stand: Ab nun würde er sein Leben in den Dienst der Wissenschaft um das Kraut stellen, welches ihm die erste gute Abfahrt jenseits von Muttis Kartoffelpüree und Vatis Modellbausatz beschert hatte. Er wurde zum Kiff-Experten.

Schnell stellte er fest, dass die meisten seiner Freunde vom Fahrzeug ihres Rausches keinen blassen Schimmer hatten. Kein Wunder, waren sie doch die indoktrinierten Kinder der Anti-Genuss-Propaganda, dem „Keine Macht den Drogen“ Schwachsinn. Drum wühlte er sich durch aufklärende Wälzer, sprach mit Leuten und probierte vor allem die verbotenen Früchte aus. Kurzum: Er fing an, selbst zu denken. Und er sammelte Kräuter, Wurzeln, Pflanzen, auch Pillen, Pulver und Flüssigkeiten, die alle nur eine Bedingung erfüllen mussten: Sie mussten geistbewegend sein. Seine größte Liebe aber galt weiterhin dem Cannabis. Ob Haschisch in Marokko, Charras in Indien, Marihuana auf Jamaika oder Natrium-Lampen im Wandschrank. Dieser Typ wußte bald alles, kannte jeden und hatte alles schon probiert. Über ph-Wert im Anbauboden konnte er genauso schwadronieren wie über die Heilkraft der Cannabinoide, Jack Herer hatte er schon die Hand geschüttelt und Matthias Bröckers noch was ganz anderes. Urlaub gab es für ihn nicht, höchstens Bildungsreisen, und die machte er nur in Länder, wo garantiert Hanf angebaut wurde. Unterhielt man sich mit ihm, bekam er nach spätestens zwei Minuten die Kurve zum Hasch, alltägliche Themen wie Sex mit Tieren oder Platinenlayout interessierten ihn nicht. Vielleicht hätte er sogar gern mal über was anderes gesprochen, aber er lebte und dachte halt nur in substanzbezogenen Kategorien. Nachts, wenn er in seinem Schlafanzug aus Hanffasern im Bett schlummerte, träumte er von riesigen Cannabis-Kongressen mit zwei Millionen Teilnehmern. Da war der Kalte Bauer garantiert.

Aber was nützen Wissen und Erkenntnis, wenn luftleer im Raum sie schweben? Wenn ohne Bodenhaftung und Bezug zur Welt sie nur um ihrer selbst willen vermehrt? Der Mensch der studiert, dreht sich im Kreise. Weich fällt sein Bart auf dicke Bücher, die er zu lesen sich verschrieben. Ihr Betreff ist immer eines, die heil´ge Pflanze, Hanf genannt. Und so werfen wir dem Experten ein Zitat von Goethe (dem komischerweise noch kein Cannabis-Genuss nachgewiesen wurde) zu: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum.“

Aber nicht jeder Kiff-Experte fristet sein Dasein als Mauerblümchen des wissenschaftlichen Randbetriebs. Durchaus gibt es Vertreter dieser Spezies, welche nach Jahren der Forschung ihren Elfenbeinturm verlassen um Gutes zu tun. Gutes? Ja, Gutes. Denn nachdem die ständige Meditation über den Hanf den Kiff-Experten zunächst in die ausgedorrte Wüste jenseits von Gut und Böse gebeamt hatte, wurde ihm in Zeiten der Ernüchterung zunehmend klarer, dass Leben immer Handeln ist. Und in der weisen Abwägung von Gefühl und Verstand leuchtete diesem Experten schließlich ein, dass er künftig Entscheidungen treffen wird, die andere näher zu sich selbst bringen. Welch´ eine liebenswerte Konstruktion des Lebens.

In der Tat haben wir es bei dem Kiff-Experten mit einem äußerst possierlichen Humanoiden zu tun, der sein Spiel des Lebens darin sieht, Mithilfe des heiligen Krauts und anderer Mittelchen sich und seine Umwelt stetig besser zu begreifen. Dass er dabei manchmal die Scheuklappen des Fachidioten trägt, sei ihm verziehen, er ist schließlich Forscher. In seiner seltenen Idealform ist der Experte der Mensch des nächsten Jahrtausend, denn er hat die tiefsten Abgründe und höchsten Höhen geschaut und lacht erst recht.

 

 

 

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Kiffer Typen: Der Sexmuffel

Kiffer-Typen IV

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Sexmuffel

Arterhaltung steht ja bekanntlich auf der Prioritätenliste der Säugetiere ganz oben. Etwas Spaß beim Sex haben unseren nahen Verwandten aus dem Tierreich zwar, aber der Zweck steht, glaubt man den Biologen, dabei immer im Vordergrund. Das soll bei uns Humanoiden ja anders sein, wir bumsen auch zum Spaß, sagt man. Wohl evolutionär bedingt hat sich dagegen beim Freund, dessen Betrachtung uns heute Kurzweil bringt, das entscheidende Organ von der Beckenmitte immer weiter Richtung Kopf verschoben: Der kiffende Sexmuffel.

Wo früher Tutti-Frutti noch für Aufregung in der guten Stube sorgte, leiern heute unzählige Fummelfilmchen in der Röhre – kein Wunder, daß der bekiffte TV-Glotzer keine Anstrengungen unternimmt in freier Wildbahn sein Glück zu versuchen. Bevor Mann sich einen Korb holt oder gar in die Verlegenheit kommt am Morgen danach nach Worten zu suchen zu müssen, läßt er es lieber ganz bleiben. In irgendeiner der unzähligen Rauchwolken, die er gen Himmel blies, saß Eros und verschwand aus dem Leben des launigen Genossen. So wichtig sind Frauen eh nicht, denkt er sich, und die ausgewachsenen Konsequenzen einer ungezügelten Eruption würden eh nur die Bude vollkacken, zudem wäre dann die Mark nur noch fünfzig Pfennig wert. Er hat sich entschieden eher Eierkopf als lendenstarke Existenz zu sein.

Oft geht diesem Verhalten allerdings ein traumatisches Erlebnis voraus: Vor ein paar Jahren geriet unser Freund nämlich völlig stoned in die Fänge einer sexbessenen Schuhverkäuferin, die ihn -seine Breitheit schamlos ausnutzend- peitschenschwingend durch die Wohnung trieb. Kein Wunder, daß er sich seither bedeckt hält – die einzigen Weiber, die ihn noch interessieren, gedeihen bei einer zwölfstündigen Dunkelperiode am besten. Um diese Damen kümmert er sich rührend, stets besorgt um ihr Wohlergehen. Wollüstig buhlt er um ihre Zuneigung, die sich in opulenter Harzproduktion niederschlägt. Die Bilder dieser Damen schmücken sein Zimmer, über ihr Verhalten weiß er wirklich Bescheid, ihre erotischen Geheimnisse liegen wie ein offenes Buch vor ihm, nur sie will er täglich neu erobern. Und am Abend will er sich berauscht von ihnen ins Bett fallen und sich nasse Träume schenken lassen. Zweisames Kiffer-Glück.

Die Entwicklung zum Sex-Muffel geht meist mit der Mutation zum Stubenhocker einher. Dann ist die Zeit nicht mehr fern, bis er im Bahnhofskiosk zum „Playboy“ immer gleich ein Paket Tempotaschentücher kauft. Ja, ja, heikles Thema Masturbation. Grundsätzlich fördert das Kiffen nämlich nicht die Abstinenz, Lust und Leidenschaft leiden nicht unbedingt. Eher scheinen es Hemmungen oder schlicht Faulheit zu sein, die den Sex-Muffel an sich selbst genug haben lassen. Sieht er eine Frau, denkt er weniger an Fummeln als an Familie, nicht an Koitus sondern Konflikte. Ohne Verantwortung im Nacken lebt´s sich halt erheblich unbeschwerter, zudem sind die Passwörter der Porno-Seiten im Internet wirklich leicht zu knacken. Daß sich selbst strahlungsarme Monitore beim Rammeln nicht so wie die warme Haut eines fleischlichen Partners anfühlen, hat der letzte Joint aus dem Kurzzeitgedächnis verbannt.

Esoterische Variante: Die Gewißheit der eigenen Unsterblichkeit durch den Gentransport läßt den Stoffel aus seiner Kopulationlethargie erwachen und in´s Tantra-Seminar pilgern. Dort darf er unter Anleitung den Fluß von Ying und Yang neu lernen, liiert sich eher aus Vernunftsgründen mit einer Sonderschullehrerin und stopft ein paar Jahre später auf dem Öko-Wochenmarkt seinem Kind vegetarische Dinkel-Bratlinge in den Schlund.

Nun darf man aber nicht denken, daß der Sex-Muffel keine ekstatischen Erfahrungen mehr macht: Sein letztes ausgesprochen sinnliches Erlebnis hatte der Sex-Muffel beim streicheln eines überdimensionalen, leicht angewärmten Glas-Bongs, seinen letzten trockenen Orgasmus beim schnuppern an einer 500 Gramm Tüte mit NL-Haze. Er und seine Freunde sind sich einig, daß zum Sex meist Frauen gehören und die machen eh nur Ärger, heben eventuell sogar das fest Weltbild aus den Angeln. Drum sitzt beim Sex-Muffel für alle Zeiten sein bester Freund nicht mehr in der Hose, sondern in der Hosentasche. Nicht der Pimmel, sondern die Pfeife liegt im Zentrum seines Seins. Bis dann eines Tages…

 

 

 

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Kiffer Typen: Der Fressflash-Kiffer

Kiffer-Typen III

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Fressflash-Kiffer

Es ist schon faszinierend, welche Blüten der Haschischkonsum treiben kann. Dass die Sinne geschärft werden, ist ja bekannt: Eine Orange kann zu einem gänzlich neuem Geschmackserlebnis verhelfen, das gut gebackene Brot den kernigen Mann herausschälen. Nur gehärt der nette Freund von dem wir heute sprechen nicht zu dieser Art sensibler Mensch.

Die abendliche Kräuterzigarette glimmt noch, da meldet sich bei unserem Freund ein Gefühl…, nennen wir es mal Schmachter. Obwohl erst vor zwei Stunden im Imbiss den Pommes rot-weiss (Fachjargon: Bahnschranke) reichhaltig zugesprochen, verspürt er schon wieder Lust auf Bewegung der Kaumuskeln in Verbindung mit Kribbeln auf der Zunge. Es lässt sich ahnen: Die Motivation zum Essen ist bei ihm weniger durch Hunger, als durch die Lust am Schaufeln bestimmt. „Huch, der kleine Hunger!“ Mit perfiden Werbesprüchen lockt das Fernsehen Richtung Kühlschrank, der beim Fressflash-Kiffer -wenn er denn nicht mal wieder pleite ist- gut gefüllt auf das Herrchen wartet. Nichts ist so erbauend wie der Blick in dieses volle Nahrungskästchen.

Was nun folgt, ist als der Regelkreis des Lukullus bekannt. Zunächst greift unser Freund nämlich zu den Leckereien und Naschereien aus den Food-Design-Fabriken, deren Wissenschaftler komplizierte chemische Gebilde zur Geschmacksknospenschmeichelei konstruiert und in Plastik verpackt haben. In einer Welt ohne Süssholzraspeln regiert das klägliche Derivat des Süssstoffs. Ob Wackelpudding, Milchreis oder Schokokram, binnen einiger Minuten hat sich der Blutzuckerspiegel des Haschbruders vervielfacht und unser Freund liegt genüsslich schmatzend auf dem Sofa. Riegel um Riegel wird nun eingeschoben, eine endlose Zufuhr, die eigentlich nur durch die Produktionslücken der kommenden Weltrevolution gestoppt werden kann, denn ein Sättigungsgefühl stellt sich dackelgleich nicht ein. Es kommt sogar vor, dass in der Hochphase des Exzesses Bananen in NutellaglÄser getaucht werden. Aber halt, es gibt durchaus ein Ereignis, welches den Kiffer aus seiner Weltumarmungstimmung rausreissen kann. Nein, nicht die Videocassette mit dem neuesten Machwerk von Teresa Orlowski, sondern vielmehr die Gier auf deliziäse Alternativen. In dem grossen Gemansche im Rachen fehlt nämlich der Kontrast, das Prickeln. Also rafft er sich auf und schlurft wieder zum Ort seiner Träume.

Nun tritt die zweite Phase des lukullischen Kreislaufs in Kraft, in welcher die Herzhaftigkeit die entscheidende Rolle spielt. Schluss mit dem SÜsskram, nun werden Brote mit Salami geschmiert, Pfannen mit Bratkartoffeln angeworfen, Schweinehälften aus dem TiefkÜhlfach gezerrt und kurz darauf duftet es in der Küche wie in der Eckkneipe gegenüber dem Schlachthof. Von den Finger trieft das Fett, eine Zahnlücke beherbergt einen Rindsfuss, kurzum, dass grosse Fressen hat begonnen. Vegetarier greifen jetzt kurzerhand zu Tofuwürsten, um wenigstens eine Ahnung von den steinzeitlichen Urgründen der Fleischverwertung zu bekommen. Die Aufnahme von Nahrung gehärt bei allen Primaten zu den Grundfähigkeiten des Lebens. So weit, so gut, aber wer hat schon mal von einem Gorilla gehört, der soviel Beeren frass, dass er Pickel auf der Nase bekam? Wahrscheinlich sind es weniger – wie so oft angenommen – die Abstraktionsleistungen, die uns Humanoiden von den Tieren unterscheiden, als vielmehr die Angewohnheit, kindliche (Fehl-) Entwicklungen im Alter durch Kompensationstätigkeiten auszugleichen.

Aber das ist natürlich alles nur dummes Gequatsche, was hier wirklich zählt, sind die enormen Entdeckungen der Psychoanalyse. Seit Freud steht doch fest, dass die Fresssucht eine Art oraler Masturbation ist. Gerade Schnullerkinder, die zudem noch ihr ödipales Verhältnis zur Mutter nie geklärt haben, neigen danach zu den Abfahrten im Reich des Lukullus. Oder sollte sich Freud im Kokswahn geirrt haben und die Dingen liegen ganz anders? Unser Freund tritt mittlerweile in die dritte Phase des Fresszirkels ein und macht da weiter, wo er angefangen hat: Nach all der Fleischeslust lechzt er nach etwas Süssem und wenn die Schokolade nicht alle ist, frisst er noch heute. Keine Frage, mit dem Fressflash-Kiffer haben wir ein gut integriertes Mitglied der Konsumgesellschaft in unseren Reihen, dessen Bedürfnisse einfach zu befriedigen sind. Seine Religion ist fest im Glauben an den grossen Aldi verankert, die Vorratskammer ist bei ihm Quelle der Inspiration und der Ruhe, ein heiliger Schrein, dessen Pflege er sich was kostet lässt, der Gang zur KÜche, die nÄchtlichen Ausflüge zur Tankstelle sind Wallfahrten. Und der Körper muss die Suppe auslöffeln, die ihm der oral gesteuerte Kreuzritter einbrockt.

 

 

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Kiffer Typen: Der Dauerkiffer

Kiffer-Typen II

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Dauerkiffer

Schön, wenn jemand sein Dasein ganz einer Sache widmet. Die Konzentration auf eine Gewerbe, ein Handwerk oder ein Hobby treibt oft Blüten der Wissenschaftlichkeit, die auf dem Boden des bedingungslosen Engagement gut gedeihen. Der Freund von dem wir heute sprechen, ist nicht von dieser akribischen Natur beseelt. Er, der sogenannte Dauerkiffer, raucht einfach aus Prinzip und hat schon lange vergessen, warum er überhaupt in die Tiefen des Rausches hinabsteigt. Vollziehen wir doch zur Veranschaulichung den Alltag eines Dauerkiffers einmal nach.

Morgentliche Rituale führen in den Tag und was dem Einen der Kaffee ist dem Anderen das SAT1 Frühstücksfernsehen. Unser Freund steht nach dem Aufstehen vor der Entscheidung, ob er das erste Bong vor oder nach dem Frühstück durchzieht. „Guten Morgen, liebe Sonne.“ So lässt sich der Tag gut an und gleich zweierlei ist erreicht: Zum einen ist die Körper-Geist-Einheit sofort wieder auf dem gewohnten THC-Level, zum anderen kann frühestens jetzt der erste klarer Gedanke gefasst werden. Und dieser dreht sich natürlich darum, wie die alltägliche Connection organsiert wird. Der Dauerkiffer ist nämlich schon mindestens zweimal mit Dope erwischt worden und trägt seither nur kleine Mengen am Mann. Apropos Mann: Das an dieser Stelle beharrlich die maskuline Form benutzt wird, ist pure Absicht, denn keine Frau kommt auf die Idee, sich dermassen aus dem bürgerlichen Leben zu beamen. Ob in einen Job eingebunden oder als Hänger vorm Fernseher, für den Dauerkiffer geht es im Leben darum, stets Bobel auf Tasche zu haben. In der Mittagspause geht’s dann schnell auf Klo oder hinters Haus, danach schmeckt der Kantinenfrass gleich viel besser. Die Arbeitskollegen wundern sich schon seit Jahren nicht mehr über die Kaninchenaugen des Betriebsgenossen („eine langwierige Augenentzündung“), auch nicht über seine Trägheit und seine langhaarigen, bombenlegenden Freunde. Die trifft unser Freund nach Feierabend. Auch sie kiffen gerne bis zum Umfallen, Abstinentler gehören selten zum näheren Bekanntenkreis. In lockerer Runde tauscht man die neusten Nachrichten aus dem Drogensektor aus. Wer wieviel anbaut, wer mit was gegriffen wurde, wann und wo gutes Haschisch erwartet wird. Unser Freund schickt die Jungs dann früh nach Hause, damit er noch in Ruhe alleine einen durchziehen kann. Harald Schmidt wartet schon.

Aber halt, wir wollen nicht den ganzen Krug der Häme über dem Langzeitraucher auslehren. Eine seit den 70er Jahren selten gewordene Spezies ist der spirituell motivierte Dauerkiffer, der auf der Suche nach dem Sinn im Leben den Hanf als probates Reisegefährt nutzt. Dieser Typ legt die Ohren an und stürzt sich mit Liebe in die Tiefen seiner Seele und Höhen des egolosen Daseins. Hut ab, interessant wird es vor allem dann, wenn man seine hehren Beweggründe dem Psychiater erläutern darf.

Wo hört der Spass auf?, könnte man nun fragen. Leidensdruck ist nicht vorhanden und das verantwortliche Eintreten für den demokratischen Rechtsstaat ist zumindest in Ansätzen vorhanden (vor allem, wenn es um die Diskussion um Drogenfreigabe geht). Vielleicht charakterisiert ein belauschtes Gespräch zwischen dem Dauerkiffer und seinem Freund das Wesen dieses Typs am besten: „Du, ich bin unsicher, ob unser Problem auf Unwissenheit oder Gleichgültigkeit beruht?“ „Weiss ich auch nicht, ist mir aber auch egal.“ Wir wünschen diesem Zeitgenossen, der sich auf seine Art dem Leistungsdruck der Ellenbogengesellschaft verweigert, „Gute Fahrt, wo immer Du bist“.

 

 

 

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Kiffer Typen: Der Schläfer

Kiffer-Typen I

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Schläfer

Man kennt ihn, den Freund, der schon mit müden Blick und schlaffen Schultern durch den Türrahmen tritt. Am Telefon war eigentlich verabredet worden, dass man „heute Abend mal wieder richtig einen losmacht“, schwer um die Häuser zieht, am besten willenlos breit. Beim Anblick der dann aufkreuzenden Gestalt sollte man -wäre man klug- alle Pläne gleich wieder über Bord werfen, aber die Hoffnung auf angetörnten Geselligkeit macht blind für die Realität. Dabei ist schon klar, sozusagen vorprogrammiert, wie der Abend verlaufen wird. Die Sachlage wird es sich im Sessel bequem gemacht, langsam den ersten Joint einrollen und alles deutet dann auf den Kiffer-Typ hin, der uns die ruhigen Stunden im Leben beschert: Den Schläfer.

Füsse hoch, denn der Tag war lang – dieses Motto durchzieht Denken und Handeln des Schläfers selbst wenn er nicht gearbeitet hat. Ohnehin lässt sich mutmassen, dass der Kiffer-Typ des Schläfers aufgrund seiner natürlichen Veranlagung das Joch der Arbeit meidet und sich lieber dem Müssiggang hingibt. Wenn er dann zufällig mal nicht kifft, kann dieser zur Lethargie neigende Mustermann durchaus in die hohen Weihen der Kreativität aufsteigen, um in einer ruhigen, geduldigen und sorgfältig ausgeführten Aktivität aufzugehen. Dies ist aber der Ausnahmefall, denn meistens ist er bekifft und müde – so taucht er auch im erwähnten Türrahmen auf. Von anderer Art ist der Schläfer, der den Rausch zur Stressbekämpfung nutzt. Er hat tatsächlich hart geschuftet und entspannt nun beim Joint oder Pfeifchen von den Tücken des Alltags. Hier gilt die Grundregel: Je grösser der Stress, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es danach abwärts in die Tiefen des Schlafes geht. Nur der Extremtyp wacht dann Nachts noch einmal auf und schreibt seinen geschäftlichen Traum auf den Zettel.

Mit diesen Typen umzugehen ist relativ einfach, solange man sich darüber klar ist, das Regsamkeit und Unternehmungsgeist keine Rolle spielen dürfen. Oft finden ja eh Menschen unterschiedlicher Wesensarten zusammen, zwischen denen Strömungen des charakterlichen Ausgleichs fliessen; ist dies der Fall, trifft der Schläfer auf den Hyperaktiven und alles wird gut. Machen es sich allerdings gleich zwei Schläfer allzu bequem miteinander, dürfte jeglicher animierender Esprit flöten gehen, dann legen sich alle Lebensgeister auf die faule Haut.

Mit dem Schläfer lässt sich kein Staat machen, aber ein gemütlicher Fernsehabend hat ja auch was für sich. Während die Kiste im Hintergrund flimmert wird bräsig parliert, ohne je in der Diskussion zu landen oder gar im Streit zu enden, denn auch dafür ist dieser Typ viel zu phlegmatisch. „Ändern kann man sowieso nix“, wird auf seiner Grabplatte stehen und oft hat er schon in Lebzeiten den entscheidenden Schritt gemacht, den Schritt von der Bequemlich- zur Gleichgültigkeit. Am Ende des Abends schläft dieses Genre eingekuschelt in Wohlgefallen friedlich im Sessel des Freundes, aus kleinen, roten Pupillen noch ab und zu blinzelnd, aber auch nur dann, wenn das Karate-Porno-Video eine lautstarke Szene verzeichnet. Alles in allen ein liebenswerte Typ, dieser Schläfer, der kaum Gelegenheiten zum sündigen nutzt und auf jeder Party als erster das Gästebett okkupiert. Er hat halt die Ruhe weg.

 

 

 

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Kymat – Sonic Plants

Da hörst du das Gras wachsen

Von Frequenzen, über Töne zu den Bildern: Kymat macht Musik mit Pflanzen und lässt das Ganze sichtbar werden

Klangteppich ist so ein Wort. Auf KYMAT „Sonic Plants“ wird er von Meyer & Consorten durch die Kirche der Unvernunft ausgerollt. Eklektisch die Auswahl der Instrumente, um ein florales Gesamtkunstwerk zu schaffen. Eine juvenile Dusche im Garten Eden – oder der kurischen Nehrung. Wer Dschungel-Assoziation hat, liegt nicht verkehrt. Meyer nutzt Aufnahmen aus einer Ayahuasca-Zeremonie und verquickt diese mit Synthetizer der alten Schule. Die lang gehaltenen Töne haben ja gerne etwas elegisches, das wird durch amüsante Brüche gemildert, ja aufgehoben. Gut, Humor ist im Rahmen von meditativen Soundtripps ja eher selten.

Immer mit Anklang an die Zeiten, als Otto noch mit Udo Lindenberg in einer WG gewohnt hat. Ein bisschen so, als ob ein peruanischer Shipibo-Indianer zusammen mit Dschingis von „Nordsee ist Mordsee“ auf einer in die Jahre gekommenen Jolle die Deutsche Bucht besegelt und außer einem Sack Grillen nichts dabei hat. Ziellos, ein mäandern durch die Tiefenentspannung. Wer ehrlich ist, der gibt zu, das er oder sie nicht weiß, wo die Reise hingeht. Die Fans von Sven Meyer eint der Glaube, das es gut werden wird. Meyer selbst ist seit Jahren im Auftrag vielfältiger Entspannungstechniken unterwegs. „Zurück zur Natur“, ist dabei die wiederholte Losung. Für KYMAT „Sonic Plants“ zapft der Meyerman über eine „MIDI Sprout“ genannte Apparatur seine Zimmerpflanzen an. Deren elektromagnetischen Felder übersetzt die Maschine in hörbare Frequenzen. Das muss nicht gut klingen. Aber durch Reverbs und Delays wird ein Schuh daraus, der Meyer zusammen mit Mini Moog, Jupiter 4 und anderen alten Gerätschaften durch den Wald trägt. Man möchte rasten, vielleicht für immer.

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Drogenpolitik

Im Wein liegt Wahn

Gift oder Balsam? Einstiegsdroge oder Medizin? Es kommt ­letztlich immer auf Dosis und Umgebung an, wie der Rebensaft kurz- und ­langfristig wirkt

Erschienen in: Junge Welt v. 25.10.2021

Über die Jahrtausende währende Einbettung in den sozialen Alltag hat Wein das geschafft, wovon andere Drogen nur träumen können: Als Substanz anerkannt sein, bei dem die Dosierung maßgeblich über die Wirkung bestimmt. Wie es zur herausragende Stellung des Weines kam, wirft Licht in eine weithin unbeleuchtete Ecke gesellschaftlicher Konsumkultur.

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Mixed Reisen

Renntag in Zandvoort

Bei einem Radrennen gab es vor einigen Jahren mal eine vergleichbare Adrenalineinfuhr. Aber dies hier ist stärker, wilder, irrer. Wir sind gerade mit ein paar Männern, die zu Jungs wurden, zwei Runden auf der alten Formel 1 Strecke im holländischen Zandvoort gefahren und springen mit Riesenaugen aus dem Porsche 911. „Hassu gesehen, ich so, du so!“ Wortfetzen, Schultergeklopfe, ich geil, du geil. Ein Instructor vorne weg, wir hinterher. Dran bleiben, nicht mehr als zwei Wagenlängen Abstand. Wahnsinn, bei der Geschwindigkeit. Die Kurven reißen am Körper, das Lenkrad will woanders hin, aber nach einer Runde will man schneller, mehr, besser sein. Ein Heidenspaß.

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Cannabis Hanf Historische Texte Psychoaktive Substanzen

Der Knaster-Mythos

Faserhanf (Cannabis sativa) wurde früher gelegentlich auf dem Lande, wie zahlreiche andere Kräuter auch, als Tabakersatz geraucht. Heinrich Marzell listet allein 40 hierfür genutzte Pflanzenarten in seinem „Neues illustriertes Kräuterbuch“ (1920/1935) auf. Dabei erwähnt er nicht einmal definitiv psychoaktive medizinische „Asthma-Kräuter“ wie den Stechapfel, an dessen gelegentlichem hedonistischen Gebrauch sich bis in die 1970er Jahre eine kleine experimentierfreudige Anhängerschaft erfreute, die sich entsprechende Zigaretten aus der Apotheke besorgte. Unter den „Asthma-Kräutern“ fand sich (bis zum Opiumgesetz von 1929) neben Tollkirsche, Bilsenkraut, Lobelie, Tee und Opium auch der tatsächlich psychoaktive aus Indien (und später von Sansibar) importierte „Indische Hanf“ (Cannabis indica, Wolfgang Siegel „Das Asthma“, 1912).