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Reisen

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

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Berliner Zeitung v. 02.11.2002 Stark gekürzte Fassung! Hier das Original

Die Leiden eines Emporkömmlings

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

Es war ein „ganz normaler Sonntag“, versichert Sam, als Alex ihr einen Heiratsantrag machte. „Wir waren auf dem Weg vom Sonnenstudio in die Videothek, da sagte der Alex, dass heiraten ja auch nicht schlecht wäre.“ Sam will gerade mit der romantischen Geschichte fortfahren, aber die Dame von RTL ist nicht zufrieden und sagt deshalb „Schnitt, noch mal, bitte.“ Neulich auf den Azoren. „Container-Alex und Sam zur Verlobung auf den Trauminseln“, so sollen die Headlines prangen und darum hat die Tourismus-Zentrale geladen. Seit Jahren stagniert der Touristenstrom, zusammen mit einer Münchener Medienagentur sind daher das Ziel und die Mittel festgelegt worden: Das Paar soll den Bundesbürgern die Inseln schmackhaft machen. Die Presse und deren Opfer kommen in einem Ressort an der Steilküste unter. Alle verstehen sich gut, auch dienstlich probt man den Gleichklang. Den einen geht es um die Erhellung von mausgrauen Alltagswohnzimmern mit dem Glanz eines schillernden Pärchens, den anderen darum, einen Platz im Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft zu ergattern.

Wir brauchen einen O-Ton

Ab jetzt beobachten die Medien jeden Schritt der beiden. Das Kamerateam filmt für RTL-Explosiv, der einsame Journalist schreibt eifrig in seine Kladde. Erste Station: Der Hafen von Vila Franca. Es geht hinaus aufs Meer, „Dolphin-Watching“. Die kleinen Racker sind tatsächlich zugegen, ein Rudel Fleckendelfine durchpflügt das Wasser. Ein Delfin schießt sich drei Meter hoch und setzt eine Mords- Arschbombe ins Wasser. Die Kamera läuft, ein gewagter Schwenk zwischen Sams Beine. „Wir brauchen einen O-Ton!“, bestimmt die Frau von RTL. Also raus das Mikro: „Ein tolles Erlebnis“, sagt Sam. Danke, Schnitt.

Abendessen, Alex betritt den Raum. Eine Mischung aus Zorro und Marlon Brando, Panzerkette um den Hals, Silberkette ums Handgelenk. RTL, Schreiberlinge und das Paar sitzen wieder an einem Tisch. Sam erzählt begeistert von Ereignissen aus Pool und Bad. Brandy, eine Zigarre, kommod lehnt sich Alex zurück. Mittlerweile sitzt man in der Bar, die Lampen sehen aus als wären sie vom blinden Bruder von Verner Panton designt, rote Cordhocker bevölkern den Raum. Das Meer, ja, das mag Alex, die fast unendliche Weite. Sein Traum? „Ein Bötchen“, sagt er bescheiden, „und dann rund um die Welt segeln.“

Alex Jolig braucht die Medien, denn sie waren es, die ihn zu einem Macho, zu einem Diplomatensohn mit Heckspoiler stilisiert haben, niveauvoller als Slatko, aber eben doch nur ein Emporkömmling aus einer Reality-Soap. Man konnte ihn zu Talkshows einladen, um seine musikalischen Gehversuche, seine Filmauftritte oder seine Liaison mit Jenny Elvers zu belächeln. Der Mensch Jolig blieb dabei uninteressant. Schon die Authentizität der blechernen Big-Brother-Beziehungskiste war nur eine scheinbare. An den Mischpulten des Fernsehsenders wurde genau darauf geachtet, welche Bilder über den Äther gingen. Die Damen putzten das Klo, während Alex in Macho-Pose auf dem Sofa schwieg. „Ich habe genau so im Haushalt gearbeitet wie alle anderen auch“, sagt Alex heute. Zu spät. Höhepunkt war sicherlich, als Kerstin dem guten Alex vor laufenden Nachtsicht-Kameras einen geblasen hat. So entstand das Image vom Pascha, der das pralle Leben in vollen Zügen genießt.

Darunter leidet er, denn ewig will er den Ballermann nicht mimen. Aber er ahnt, dass ein Star nur das ist, was über ihn bekannt wird – egal, ob wahr oder falsch, wichtig oder unwichtig, ganz egal auch, ob es dem Menschen dahinter gerecht wird. Aber im Gegensatz zu echten Stars bleibt bei vielen medialen Produkten des neuen Jahrtausends unklar, weshalb sie ihre exponierte Position in der Öffentlichkeit einnehmen. Jenny Elvers, Ariane Sommer, Verona Feldbusch oder „Party-König“ Michael Ammer: Der „Rohstoff Person“ ist dünn, der Einzelne reklamiert Beachtung aus keinem anderen Grund als der Freimütigkeit, mit der er seine Befindlichkeiten zur Schau stellt.

So steht für die Halb-Promis die Frage: Wie im Gespräch bleiben, ohne zum Gespött zu werden? Darüber grübelt Alex nach, darüber grübelt Sam nach. Hinter den beiden steht keine mächtige Plattenfirma, die den Medien mit dem Entzug der Werbeschaltungen drohen kann, wenn Unliebsames berichtet wird. Dabei sind Alex und Sam keine Witzfiguren, es sei denn, man hält die Typen aus der Nachbarschaft für unbedingt verarschenswert. Sam, 26, keck, manchmal dreist, erinnert an das gut aussehende Mädchen, das jeder noch aus seiner Schule kennt. Alex ist freundlich, hilfsbereit, jovial, auch wenn die Kameras nicht in der Nähe sind.

Als Paar sind sie in erster Linie verliebt, zudem aber zunehmend entsetzt darüber, wie die Presse mit ihnen umgeht. „Die machen mit uns, was sie wollen.“ Nach dem zweiten Brandy schlägt Alex deshalb vor, man solle mal was „über den Menschen Alex Jolig“ schreiben. Darüber, weshalb er in den Container gegangen sei. Seine damalige Sinnkrise habe bisher noch niemanden interessiert.

Reiten mit RTL

Frühstück, dann die nächste Station: eine Hazienda, auf der stolze Rösser ihr Stroh futtern. Der käseweiße Verwalter gibt sich zugeknöpft. Sam entdeckt schnell einen stattlichen Gaul in den Boxen, der Cowboy aber deutet auf eine 21-jährige Mähre mit Karies. Der Gedanke, dass Alex einen seiner Klepper womöglich von hinten besteigt, treibt ihm die Schweißtropfen auf die hagere Brust. Egal, RTL will Bilder, und Hans Alexander Jolig soll jetzt reiten. Der Rücken vom Klepper biegt sich so sehr durch, dass die Bauchdecke fast den Boden streift, Alex ist nicht besonders glücklich. Zu allem Überfluss will das RTL-Team Alex verkehrt rum auf dem Pferd sehen, ein wahrhaft explosiver Gag. Das Wuschelmikro schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar. Schnitt.

Und so geht es weiter. Von schwefelhaltigen Dampfterrassen über Teefabriken bis hin zum Grützwurst-mit-Schweinefleisch-Essen, sechs Stunden im Erdloch gebacken und nur mit Senf zu genießen. Inmitten des Wahnwitzes taumeln Sam und Alex. Und manchmal stehen sie recht verloren da. Dann nimmt Sam die Hand von Alex, drückt sie und fragt lächelnd: „Alles roger in Kambodscha?“


Für 100 Tage populär

Am 28. Februar 2000 zog Alex Jolig für die erste Staffel der „Big-Brother“-Show in den Container ein. Ebenfalls dabei: Jürgen, Zlatko, John, Thomas, Despina, Andrea Manuela, Kerstin und Jana. Nach 100 Tagen war das Spektakel vorbei. Zwei weitere Big-Brother-Shows folgten, dann erlahmte das Interesse des Publikums.
Die meisten Big-Brother Bewohner verschwanden wieder in der Versenkung. Alex Jolig versuchte sich als Schauspieler, Sänger und Werbeträger und geriet durch seine Affäre mit Jenny Elvers in die Schlagzeilen. Sein Mitbewohner Jürgen bringt gerade sein Buch „Ich sag s“ heraus, in dem er alte Big-Brother-Geschichten aufwärmt.

(Stark gekürzte Fassung! Hier das Original)

 

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Künstliche Intelligenz

Deep Fritz vs. Vladimir Kramnik

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.10.2002

Dummes Verhalten und intelligentes Berechnen

Der Wettkampf von Weltmeister Vladimir Kramnik gegen das Schachprogramm „Deep Fritz“ wirft erneut die Frage nach dem Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz auf.

Vom 4. bis 19. Oktober ist es soweit: Der inoffizielle Schachweltmeister Vladimir Kramnik, 27, tritt im Wüstenstaat Bahrain gegen das spielstärkste Schachprogramm der Welt mit Namen „Fritz“ an. Unter Experten gilt die Partie als offen, die Kontrahenten geben sich derweil selbstbewusst. „Kramnik wird die Partie langweilig halten müssen, wenn er eine Chance haben will“, behauptet Frederic Friedel, einer der Entwickler von Fritz. Das Programm gilt als mindestens ebenso stark wie seinerzeit „Deep Blue“, der IBM-Rechner, welcher 1997 gegen Garry Kasparov angetreten war. Weltmeister Kramnik bereitet sich seit einem Jahr auf den Wettkampf vor. Eine seiner Forderungen war, dass er das Programm vorzeitig erhält; ein Umstand, der Friedel Bauchschmerzen bereitet: „Das ist so, als ob ich vor einer anstehenden Debatte mit ihnen einen Klon ihrer Person bekomme. Nach kurzer Zeit weiß ich genau, welche Argumente sie brillant widerlegen und bei welchen sie Schwächen aufweisen.“

Seit Kasparov das Match gegen Deep Blue verloren hat ist es zu keinem Aufeinandertreffen der Potentaten menschlicher und maschineller Intelligenz mehr gekommen. Im Gegensatz zu Deep Blue, der nur für das Spiel gegen Kasparov konzipiert wurde, ist Fritz ein handelsübliches Programm, welches auf jedem PC läuft. In Bahrain tritt die Originalsoftware allerdings nicht auf einem Kaufhausrechner an. Acht Intel-Pentium Prozessoren werden parallel geschaltet und ermöglichen dem dadurch entstehenden „Deep Fritz“ an die 3 Millionen Stellungen in der Sekunde zu vergleichen. Zum Vergleich: Fritz 7 auf einem PC von der Stange berechnet in der gleichen Zeit rund 500 Tausend Stellungen. Deep Blue kam 1997 auf 200 Millionen Positionen. Damit ist das deutsche Programm zwar deutlich langsamer als Deep Blue, seine Algorithmen sind aber ausgefeilter. Die von IBM entwickelte Software war weithin in Silikon gegossen, das Programm musste einfach gehalten werden. Die Entwickler von Fritz testen und modifizieren Programmteile dagegen ständig. Das reicht für den großen Teil der schachspielenden Menschheit vollkommen aus, Fritz ist kaum zu schlagen – nur die rund 500 Schachgroßmeister in der Welt trotzen dieser Rechenkraft noch.

Wie sie das schaffen, bleibt weiterhin ihr Geheimnis. Im Gegensatz zum Rechner, der nach jedem Zug jede mögliche Zukunftsstellung zu bestimmen versucht, gehen die Großmeister offenbar anders vor: Glaubt man ihren Aussagen, sehen sie Schachstellungen eher als Bilder an. Abtauschkonfigurationen, Spielverlagerungen, Entwicklungschancen – das Schachbrett wird zum verinnerlichten Kunstwerk, in welchem komplexe Muster wiedererkannt werden. Trotz der Rechenleistung des Computer sind die Großmeister besser in der Lage Pläne für die ferne Zukunft zu schmieden. So erkennen sie bildhaft, ob eine Spielstellung zu einem Endspiel führt, welches erst in 30 Zügen für sie vorteilhaft ist. Ein Schachprogramm wie Fritz ist dagegen nur in der Lage maximal 14 Halbzüge im voraus zu berechnen, dann wird der Raum der möglichen Stellungen zu groß. Das Problem des Menschen dagegen: In seinen langfristigen Plänen existieren oft kleine Unstimmigkeiten, um nicht zu sagen Fehler. Diese Fehlschlüsse erkennt ein Programm zu 100 Prozent, innerhalb seines Horizontes von 14 Halbzügen entgeht dem Programm keine Chance, keine Gewinnkombination und keine Verteidigungsmöglichkeit. Je komplexer die Partie wird, umso mehr Schwierigkeiten wird Kramnik demnach haben die Übersicht zu behalten, ein Problem, welches Fritz nicht in sich trägt. Für das Programm existiert keine Kategorie wie „kompliziert“, noch kennt es „brillante“ Züge. So wird vermutet, dass Kramnik taktisch interessanten Stellungen aus dem Weg gehen wird.

Wie immer das Treffen der Koryphäen des Schachsport ausgehen wird, die Möglichkeit Künstlicher Intelligenz (KI) ist damit nur am Rande berührt. Das einst hitzig diskutierte Schlagwort KI hat einiges von seiner Aufgeregtheit verloren und viel an Erdung gewonnen: In vielen Bereichen sind Rechner zu Leistungen fähig, die vom Mensch ausgeführt zweifelsohne Intelligenz erfordern. Man denke nur an Landungssysteme für Flugzeuge, Expertensysteme, die dem Arzt als Diagnosehelfer zur Seite stehen oder die wenig bekannten Theorem-Programme, die selbständig mathematische Beweise finden, selbst solche, die bis dahin noch nicht bekannt waren. Ob das als intelligent bezeichnet werden darf, darüber wird seit einem halben Jahrhundert vor allem deshalb gestritten, weil man sich nicht auf eine allgemein gültige Definition von Intelligenz einigen kann.

Bis in die 90er Jahre gingen die Protagonisten der klassischen KI ausgesprochen oder unausgesprochen davon aus: Sobald die künstliche Erzeugung von Höchstleistungen gelungen sei, würden alle anderen Probleme des täglichen Lebens weitgehend lösbar sein. Tatsächlich beschränken sich die Erfolge der KI aber auf gewissermaßen künstliche Problemstellungen. Ein Hochleistungsrechner mit Greifarmen ist nicht in der Lage die Schuhbänder zu einer Schleife zu binden. Das kann jedes Kind lange bevor es mathematische Beweise lernt. Unscharfe Informationen bleiben demnach die Crux der KI.

Fremdsprachenübersetzungen sind ein weiteres gutes Beispiel dafür: Wörterbücher und Grammatikregeln der Sprachen dieser Welt liegen vor, trotzdem sind die Ergebnisse von maschinellen Übersetzungen erbärmlich. Warum? Weil Programme keinen Sinn in den Sätzen erkennen. Bei Menschen läuft die Sinnsuche regelmäßig und vorgeschaltet mit. Eine lausige Handschrift erkennen wir daher, weil wir den Sinn des Satzes nicht nur von seinen Buchstabenkombinationen her angehen.

Frederic Friedel, der Kasparov bei dessen Wettkampf gegen „Deep Blue“ sekundierte, hält seinen Fritz trotz fehlender Intuition und Sinnsuche für geistreich. Das das Programm letztlich nur schnell addieren, subtrahieren und vergleichen kann ist für Friedel kein Zeichen von Stumpfsinn, denn für ihn ist Intelligenz allein an beobachtbares Verhalten geknüpft: „Wenn ein technisches Verhalten ununterscheidbar von menschlichem Verhalten in einer Situation ist, dann spricht alles dafür das auch intelligent zu nennen.“

Fritz selbst beteiligt sich zur Zeit noch nicht an der Diskussion um seinen Verstand. Wenn es für ihn gut läuft in Bahrain, muss er die Prozessoren ohnehin erst spät warm laufen lassen: Seine Eröffnungsbibliothek umfasst zur Zeit rund 2 Millionen Partien, mit etwas Glück zitiert er zunächst nur aus einer ihm bereits bekannten Partie und fängt erst ab dem zwanzigsten Zug zu „denken“ an.

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Cannabis

Mythos: „Marihuana ist eine der Hauptursachen für Unfälle im Straßenverkehr“

Marihuana Mythen

Teil XII

Einmal erdacht verbreitet sich eine Idee oft sehr schnell und nachhaltig. Immer wieder zitiert, von Buch zu Buch weitergereicht, scheint auf einmal festzustehen, was eigentlich nur Annahme ist. Der Mythos ist geboren. Viele der Behauptungen rund um die Hanfpflanze stehen auf sandigem Grund, diese Serie hat sich zur Aufgabe gemacht, die Basis der Mythen zu überprüfen. Wie sieht es wirklich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der zwölfte Teil unserer Reihe behandelt den Mythos:

„Marihuana ist eine der Hauptursachen für Unfälle im Straßenverkehr“

Gegner einer Legalisierung von Cannabis argumentieren immer wieder, daß berau(s)chte Fahrer die Landstraßen und Autobahnen nicht nur extrem unsicher machen, sondern auch viele Unfälle verursachen. Stehen die Kiffer tatsächlich wie Cheech und Chong auf dem Standstreifen und fragen sich, wann sie ankommen und woher der ganze Nebel kommt?

 

DIE FAKTEN

 

Im diesem Mythos näher zu kommen ist es wichtig, sauber zwischen den verschiedenen Ursachen und Wirkungen zu unterscheiden. Fahren unter dem akuten Einfluß von Cannabis mag vielleicht von manchen als besonderes Erlebnis eingestuft werden, ist aber nicht nur gesetzlich verboten, sondern stellt auch eine unverantwortliche Gefährdung der Mitmenschen dar. Dies billigt aber nicht die momentan in der Bundesrepublik zu beobachtende Tendenz, auch bei nicht-akuten Cannabiskonsum den Führerschein zu entziehen. Vergleiche zum Alkohol sollten eigentlich helfen, die verworrende Rechtslage zu Vereinheitlichen und Recht und Gerechtigkeit wieder zusammenzuführen. Soviel vorweg – stürzen wir uns nun in das Zahlenmaterial:

In den USA wird der Zusammenhang von Drogen wie Alkohol und Cannabis und dem Führen von Kraftfahrzeugen und Unfallhäufigkeiten schon länger untersucht. In allen Studien war Alkohol in über 50 Prozent der Fälle präsent, Marihuana wurde weitaus weniger oft im Blut gefunden. Eine junge Studie, gesponsort von der „National Highway Traffic Safety Administration“ (NHTSA) analysierte annähernd 2000 schwere Unfälle auf den Highways der Vereinigten Staaten. 6.7 Prozent der Fahrer und Fahrerinnen waren Cannabis-Positiv. In mehr als 2/3 dieser Fälle rauschte auch Alkohol durch die Blutbahn und die Wissenschaftler meinten, daß hauptsächlich dieser für den fatalen Ausgang der Autofahrt verantwortlich war. Die Arbeit von R. Lawrence (1993) ist exemplarisch für die USA. Er untersuchte (nur) 39 Menschen, davon waren das Blut von 15 (39 Prozent) mit THC-Metaboliten gesegnet.

Bislang wagte man nur einmal, Kiffer unter kontrollierten Bedingungen auf den alltäglichen Wahnsinn des Verkehrs loszulassen. In einer international Aufsehen erregenden Studie schickte H.W.J. Robbe von der Universität Maastricht bekiffte Fahrer in die Stadt. Friedlich und langsam kurvten diese umher, größere Gefahren für Mensch und Tier blieben aus. Cannabis beeinflußt die Aufmerksamkeit nicht so stark wie Alkohol und im Gegensatz zu der Flüssigdroge fuhren die Teilnehmer langsamer als im Normalzustand. Dies liegt vermutlich auch daran, daß die Leute wußten, daß sie berauscht sind – die alkoholtypische Selbstüberschätzung blieb aus.

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Unfälle unter Alkohol sind zumeist Geschwindigkeitsunfälle, beim Hanf gibt es keinen prägnanten Unfalltyp. Bisher scheiterte die Wissenschaft daran, eine Dosis-Konzentrations-Wirkungs-Beziehung herauszufinden. Noch schwieriger ist dies natürlich für Dauerkiffer, die nicht so schnell unter Leistungseinbußen leiden.

Hans-Peter Krüger von der Universität Würzburg faßt zusammen: „Alkohol dämpft die Aufmerksamkeit, Cannabis perforiert sie.“ Bei Kiffer käme es, so Krüger, zu Löcher in der Konzentration, wenn sie Cannais konsumiert hätten. Der Professor führte jüngst den größten deutschen Roadside-Survey durch, das heißt, die Forscher griffen zufällig Autos aus dem Straßenverkehr und untersuchten den Speichel der Fahrer (mit ihrer Einwilligung) nach Drogen. Von den 3000 Proben enthielten nur 0,61 Prozent Spuren von Cannabis.

Es gibt noch andere überraschende Ergebnisse: Faßt man verschiedene US-Studien zusammen (Hausmann, Williams, Terhune, Drummrer) sinkt das Unfallrisiko sogar, wenn Cannabis konsumiert wurde. Gegenteiliges behauptet Marowitz (1995) der 9957 Fälle untersuchte. Danach verursachen Rauschhänflinge mehr Unfälle als Abstinenzler. Vorsicht ist immer dann geboten, wenn eine Untersuchung nur feststellt, daß der Fahrer „irgendwann“ in den letzten Monaten Hanf genossen hatte.

Trotz der Arbeit von Krüger fehlt es in der Bundesrepublik an verläßlichen Daten über die Häufigkeit der cannabisbeeinflußten Teilnahme am Straßenverkehr. M.R. Möller berichtete 1993, daß er im Rahmen einer Analyse von 660 Blutproben in 54 Fällen (nicht-akuten) Cannabiskonsum nachweisen konnte. T. Daldrup stellte nach einer Überprüfung von über 200 Blutproben von verunfallten, alkoholisierten Fahrern fest, daß ein Anteil von 11 Prozent THC-positiv war.

Aber was nützen all´ die Zahlen? Die Wissenschaft tut sich momentan schwer, einen Grenzwert für die Fahruntüchtigkeit nach Cannabiskonsum festzulegen. Und glaubt man einem Teil der Juristen, läßt sich ein „Nullwert“ nicht ohne weiteres ohne Verletzung geltenden Rechts festsetzen. Gleichwohl führt oft schon der Erwerb und Besitz der pflanzlichen Wirkstoffe zum Entzug der Fahrerlaubnis und zum Anordnung einer MPU. Und dies obwohl alle verfügbaren Zahlen nicht den Schluß zulassen, daß immer mehr Kiffer die Straßen unsicher machen. Noch verfehlter ist es, den Cannabisfahrten sogar „unterschwellig einen höheren Stellenwert beizumessen, als dies im Zusammenhang mit Alkohol der Fall ist“, wie der Bremer Rechtsanwalt Reinhard Bieniek sagt.

Auch um die gängige Praxis der Verwaltungsgerichte zu beenden, aufgrund des Fehlens eines Grenzwerts automatisch auf die generelle Fahruntüchtigkeit eines Cannabis-Liebhabers zu schließen, bemühen sich jetzt die Forscher vermehrt um die Festlegung eines Werts vergleichbar der 0.8 Promille-Grenze beim Alkohol. Ein Vorschlag lautet: Wenn im Blut (zwei Stunden nach Fahrantritt) mehr als 13 Nannogramm/Milliliter THC aufgefunden wird, gilt der Delinquent als unerlaubt bekifft. Andere Wissenschaftler schlagen vor, diese Grenze bereits bei 3-7 ng festzulegen. Wie auch immer entschieden wird: Die Hanffans hoffen, daß das Argument der Fahruntauglichkeit ein (letztes?) Rückzugsgefecht der Legalisierungsgegner ist.

 

Jörg Auf dem Hövel

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Cannabis

Marihuana Mythos 6: “Marihuana beeinflußt den sexuellen Reifeprozeß und die Fähigkeit zur Fortpflanzung”

Marihuana Mythen – Marihuana Fakten

Teil VI

Das Messer der Erkenntnis muß scharf sein, welches eine Schneise in die wild wuchernde Mythen rund um den Hanf schlagen will. Der Erfolg der Arbeit lohnt die Mühe, denn der wahre Hanf kommt zum Vorschein, entkleidet aller bewußt oder unbewußt gesäten und gewachsenen Behauptungen. Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der sechste Teil der Klärung beschäftigt sich mit der These

„Marihuana beeinflußt den sexuellen Reifeprozeß und die Fähigkeit zur Fortpflanzung“

Was für eine Horror-Vorstellung. Impotent und zeugungsunfähig fristen unausgereifte Kiffer und Kifferinnen ein fruchtlosen Dasein – sexuell frustiert fällt den Paaren nichts anderes ein, als den nächsten Bong blubbern zu lassen. Es gibt tatsächlich einen Mythos, der die Schädlichkeit von Cannabis für die Fortpflanzung und den sexuellen Reifeprozeß behauptet. Dem Hanf wird zugeschrieben, in die Produktion von Hormonen einzugreifen, welche die geschlechtliche Vermehrung der Spezies „Mensch“ steuern. So sei es möglich, nebuliert dieser Mythos um die Wirklichkeit, daß heranwachsene Humanoide sich langsamer als ursprünglich möglich zur sexuellen Reife entwicklen oder gar gänzlich unfruchtbar bleiben. Starker Tobak. Da hälz man sich doch lieber mit Schlabberbacke Markwort an

DIE FAKTEN

Ein Pferd sollte von vorne aufgezäumt werden: Ursprung jeder wissenschaftlichen Untersuchung ist eine Idee, eine ungefähre Vorstellung davon, wie ein Zusammenhang zwischen zwei Phänomenen aussehen könnte. Diese Idee gedeiht nicht aus dem Nichts, sondern ist durch das Umfeld des Wissenschaftler, durch seine Erziehung und seine Ansichten mitbestimmt, sogar präformiert. Die Behauptung der Schädlichkeit von Cannabis für die Fortpflanzungsfähigkeit des Mannes entstand in den Zeiten der „Reefer Madness“ Kampagne im Amerika der 30er Jahre. Neben vielen anderem Unsinn behauptete die staatliche Propagandamaschine damals, Marihuana würde aus jungen Männern weiche Waschlappen machen. Der Staat hoffte darauf, durch diese Taktik Jünglinge vom kiffen abzuhalten. Es ist dieser Hintergrund, der die Gelehrten in ihren Labors nach einem Zusammenhang suchen ließ – und sie fanden ihn. Anno 1974 beobachteten Forscher bei ihren Probanden, welche sie vier Wochen lang hatten kiffen lassen, einen abgesenkten Testosteronspiegel. Dieses Hormon ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon und wird im Hoden gebildet. Aber nicht nur der Level des sexy Hormons lag bei den 20 Männern niedriger als bei der Kontrollgruppe, auch die Spermien zeigten sich bei den Rauchern in erheblich weniger großer Zahl. Nachdem das Cannabis abgesetzt wurde, schnellte die Zahl der Spermien wieder in die Höhe und auch der Testosteronspiegel stieg wieder auf sein normales Maß an. Dieser Bericht löste eine Kontroverse aus, die jahrelang schwelte und bis heute anhält. Wie üblich, versuchten andere Wissenschaftler diese Ergebnisse zu bestätigen, dies mißlang zumeist. Weil sie zum Teil sehr hohe THC-Dosen verabreichten, konnte die Studie später noch einmal dahingehend bestätigt werden, daß man einen leichten Rückgang der Spermakonzentration beobachtete. In einigen Untersuchungen lagen die Veränderungen aber in einem Spielraum, der nur schwerlich die Interpretation zuließ, daß der Proband zeugungsunfähig ist. In anderen Untersuchungen wiesen die Forscher einen Rückgang der Spermien im Ejakulat um 40 Prozent nach, die Beweglichkeit der potentiellen Babys war um 20 Prozent herabgesetzt. Auch hier normalisierte sich die Lage aber nach dem Ende des Versuchs.

Lange Zeit kursierten die Bilder einer Forschungsarbeit in Wissenschaftskreisen, welche die deformierten Spermien von Männern zeigten, die als „Dauerkiffer“ bezeichnet wurden. Diese griechische Studie aus dem Jahre 1975 trat mit Mikroaufnahmen an die Öffentlichkeit, die stark geschädigte menschliche Spermazellen darstellten. Später stellte sich heraus, daß die Fotos manipuliert worden waren, und die Verfasser des Aufsatz mußten ihre falsche Darstellung in der Zeitschrift „Science“ korrigieren.

Ein Zwischenergebnis der Mythenaufklärung: Cannabis hat beim Mann eine leicht unterdrückende, aber umkehrbare Wirkung auf die Spermaproduktion.

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Hundertausende von Mäusen und Ratten wurde mittlerweile für Tierversuche mit Cannabis herangezogen. Wegen der nur bedingten Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den menschlichen Organismus und ihrer ethischen Unverantwortlichkeit sei hier nur kurz darauf eingegangen: In Mäusen führt die Injektion von THC nur bei extrem hoher Konzentration zu Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit. Bei männlichen Nagern nahm die Spermienzahl um 20 Prozent ab.

Wie sieht es nun bei den Damen der Schöpfung aus? Die Behauptung, daß Marihuana das Fortpflanzungssystem der Frau beeinträchtig, fand nie eine ernsthafte Unterstützung durch wissenschaftliche Studien. Die Generierung von weiblichen Hormonen wird durch Cannabis weder vermindert, noch gesteigert. Ratten und Affen mußten für einen Versuch hinhalten, der Beweisen sollte, daß THC den Eisprung behindert. Bei beiden Tiergruppen setzte die Ovulation tatsächlich später als gewöhnlich ein, nach dem Absetzen der Substanz verschwanden die Symptome aber wieder. Die Ergebnisse konnten allerdings nicht auf den Menschen übertragen werden, da Art der Verabreichung, das Lösungsmittel, die Konzentration und die hohe Dosierung unrealistisch waren. Die Relman-Kommission kam 1969 in seinem Bericht „Marihuana und Gesundheit“ zu dem Schluß, daß es trotz des weit verbreiteten Konsums von Cannabis unter jungen Frauen im fortpflanzungsfähigen Alter „noch keine Beweise für igendwelche häufig oder beständig auftretenden mißbildenden Wirkungen im Zusammenhang mit der Droge gibt“.

Es wird von einem Fall berichtet, in dem ein 16 Jahre alter Kiffer den Sprung in die Pubertät verpaßt hat; darüber hinaus gibt es keine Anzeichen dafür, daß THC das Potential hat, den sexuellen Reifeprozeß zu bremsen oder gar zu stoppen. Robert Kolodny vom Institut für Fortpflanzungsbiologie in St.Louis befragte 500 Kiffer und Kifferinnen und will herausgefunden haben, daß mit steigendem Marihuana-Konsum „die sexuelle Aktivität sowie die Häufigkeit des Orgasmus nachläßt“. Andere Studien bewiesen das Gegenteil: Cannabis macht sensibler, empfänglicher für die Berührung und den Geist des Partners.

Müde ob der im wissenschaftlichen Mäntelchen herumstolpernden Behauptungen und ihrer Gegendarstellungen kommt auch dieser Teil der Serie zu einem Ende. Einen Schluß abseits des Gezänks der Wissenschaft zu finden, ist nicht einfach, vielleicht am besten so, wie es die Labor-Eierköpfe nicht kennen, nämlich kurz und mit einem Lächeln: „Noch sind die Rastafaris nicht ausgestorben.“

 

Jörg Auf dem Hövel

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Wolf-Dieter Storl

HanfBlatt 2002

Der Kosmos am Wegesrand

Interview mit Wolf-Dieter Storl

Wolf-Dieter Storl ist Kenner psychoaktiver und germanisch-keltischer Heilpflanzen und weiß bildhaft von deren Mythen und Geschichten zu berichten. Er selbst lebt in einem Verhältnis zur Natur, das stark von seiner Verbindung zu den lebenden Pflanzen geprägt ist. In seinen Büchern, wie beispielsweise „Pflanzendevas“, vermittelt Storl die Perspektive, dass die menschliche Kultur maßgeblich von Pflanzen bestimmt wurde und wird und dass wir direkt von den Pflanzen lernen können. Wir treffen den „Wurzelsepp“ nach einem Vortrag, den er im Rahmen des Hamburger Hanffest gehalten hat. Storl fühlt sich in der Großstadt sichtlich unwohl, seine Augen fangen immer wieder dann an zu leuchten, wenn es um Pflanzen und alte Mythen geht.

HanfBlatt
Es entspannt sehr, durch den Garten zu schlendern und hier und dort einen Grashalm auszuzupfen, ihn zu zerreiben und daran zu riechen. Wie aber bist du darauf gekommen, in den Pflanzen ein Wesen zu entdecken? Wo wir vielleicht noch den Geschmack ersinnen, entdeckst du in jeder Pflanze eine besondere Wesenheit, die sich mitteilt. Das klingt für mich sehr esoterisch.

Storl
Als ich als Junge nach Amerika kam, bin ich anstatt Baseball zu spielen in die Wälder gegangen. In Ohio auf dem Land gab es Schlangen, Schildkröten, Waschbären, Opossums, und vor allem Pflanzen. Dort gibt es noch heute fast zehn mal so viele Pflanzenarten wie hier in Deutschland. Alleine 150 verschiedene Laubbäume – das war enorm faszinierend. Ich habe dann die Lehrer nach den Pflanzen gefragt und die antworteten nur: „God dammed weeds, they are not interesting“. Ich fand sie aber sehr wohl interessant und meine ganze Freizeit war ich im Wald und auf den Bäumen. Es gab keine Bücher darüber, keinerlei intellektuelle Information, und so saß ich da, habe die Pflanzen beobachtet und einen Spürsinn für sie entwickelt.

HanfBlatt
Also ein sehr frühes Interesse. In den 50er Jahren in den USA dürftest du dabei vom Hanf wenig mitbekommen haben. Es herrschte die Verteufelung des Hanfs.

Storl
Man sah nie eine Hanfpflanze, ich hätte nie gewusst, wie eine aussieht. Es war irgendein Rauschgift, dass die Leute zum Wahnsinn treibt, zu Mord und zu ausschweifender, perverser Sexualität.

HanfBlatt
Wenn man den Mord streicht, eigentlich alles Dinge die wir uns wünschen.

Storl (lacht)
Nicht wenn ihr im Mittleren Westen der USA aufwachst. Dort war Sexualität das Werk des Teufels. Eine vollkommen schizophrene Entwicklung.

HanfBlatt
Die sich bis heute durch die amerikanischen Gesellschaft zieht.

Storl
Klar, schau dir nur den Clinton mit seiner Tussi an. Hanf habe ich aber erst bei einer Reise nach Kalifornien kennen gelernt. Ich hatte enorme Angst vor dem Rauchen. Ich studierte dann Botanik, hörte damit aber bald wieder auf, weil ich nur im Labor stand und ich wollte ja raus in die Natur.

HanfBlatt
Das muss am Anfang der Hippie-Bewegung gewesen sein.

Storl
Auf den Campus kamen um 1964 die ersten Leute die Indien bereist hatten. Sie hatten lange Haare, sie hatten natürliche Klamotten, fließende Gewänder, sie haben Sachen gerne geteilt, sie hatten Zeit und saßen gerne im Grünen. Es waren Blumenkinder. Davon war ich natürlich begeistert. Der Begriff der „Hippies“ kam erst auf, als Journalisten in New York fragten: „Hey, was ist das für ein neuer Trend?“. Beatniks waren das nicht, Hipsters auch nicht, denn das waren die Leute aus dem Ghetto, die wussten, wo es die Drogen gibt. Aber gekifft haben sie, also nannte man sie Hippies. Das war die Zeit in der die ersten Flugzeuge regelmäßig nach Indien flogen. Dort entdeckten die Abenteuerlustigen eine völlig neue Welt. Die Inder konnten nicht wissen, wer diese Menschen waren, vielleicht ja Shiva und Parvati? Also nahmen die Ärmsten sie in ihre Hütten auf, haben sie bewirtet. Diese Leute haben auch die Sadhus kennen gelernt, Cannabis geraucht und kamen völlig ekstatisch zurück nach Amerika. Sie brachten ein Element der Ekstase mit. Lange Zeit hatte sie jeder gerne, Probleme mit der Polizei gab es kaum. Dies entwickelte sich erst, als die Bewegung politisiert wurde und Klassenkampf-Parolen Einzug hielten.

HanfBlatt
Was lehrte dich das Botanik-Studium?

Storl
Im Studium habe ich gleich gespürt, dass die Pflanzen wie tote Gegenstände behandelt wurden, die Wirkstoffe akkumulieren, Zellulose anhäufen und das war’s. Das waren reine Materialisten die dort lehrten. Sie sagten: „Die Pflanze lässt ihre Wurzeln nicht wachsen um Nährstoffe zu suchen. Dies würde ihr ein Motiv zusprechen, was nicht vorhanden ist.“ Ihrer Ansicht nach ist alles in der Natur einfach eine chemisch-mechanische Reaktion.

HanfBlatt
Seelenlose Biomassefabriken.

Storl
Genau. Ich wusste, dass stimmt nicht. Ich hatte über Jahre im Wald gesessen und die Natur empfunden. Ein Teil dieser Ansicht war sicherlich auch dadurch bestimmt, dass ich in meiner frühen Jugend einige Bücher der Romantik gelesen hatte. Aber das amerikanische Ethos unterscheidet zwischen „Kultur“ und „Natur“. Kultur ist zivilisiert und kontrolliert, die Natur ist wild. Dementsprechend wurden die Indianer behandelt. Genauso sind Wildkräuter aus dieser Sicht wertlos. Mir scheint es fast anders herum: Das was Kultur ist, dieser kurzgemähte Rasen, die ganze Entseelung. Der Wald ist für mich viel wertvoller und mit viel mehr Seele ausgestattet. Ja, ja, so ist es.

HanfBlatt
Das kam mir bei den Vegetariern schon immer etwas merkwürdig vor. Im Grunde genommen ist es auch ein Akt der Grausamkeit, wenn man eine Pflanze schlachtet, tötet.

Storl
Dann muss man es wie die Jains machen, die kein Karma mehr verursachen wollen. Sie setzen sich hin und nach 40 bis 60 Tagen entschweben sie ins Nirwana.

HanfBlatt
Schneller noch, wenn sie das Atmen eingestellt haben.

Storl
Es gibt keine Naturvölker, die Vegetarier sind, aber die Tiere werden respektvoll von ihnen behandelt. Vegetarismus ist eine späte zivilisatorische Entwicklung, die entstand, als die indische Gesellschaft um 500 v.u.Z. eine Krise durchmachte. Die ganzen Sekten wie der Buddhismus und Jainismus sich den Brahmanen gegenüber brüsteten, dass sie viel heiliger wären, weil sie keine Tiere essen würden.

HanfBlatt
Wie aber nimmt man Kontakt zu Pflanzen auf. Was können wir, als „Vertreter der gelangweilten genusssüchtigen Konsumkultur“, wie du es einmal nanntest, lernen?

Storl
Eine bequeme Antwort wäre: man pfeift sich eine Menge Shit rein, dies öffnet die „Pforten der Wahrnehmung“, wie Aldous Huxley das sagte und dann geschieht das. Ich denke nicht, dass dies automatisch geschieht. Als ich Ethnologie und Anthropologie studierte, unternahm ich eine Feldforschung unter Gärtnern in Genf. Ich tarnte mich als Gärtner, um die Gruppe dort zu studieren. Was mir dort auffiel: Wenn man stundenlang in einem Garten hackt, jätet und arbeitet, dann wirkt das wie das monotone schamanische Trommeln. Wenn man es schafft, das schnell schnatternde Gehirn zur Seite zu legen, dann kommt die Natur und spricht einfach. Dann kommen Sachen rüber. Das ist nicht etwas, was man mal eben am Wochenende macht, sondern das geschieht über eine lange Zeit. Zum Beispiel stand ich bei einem Busch, der viele Blattläuse hatte. Da dachte ich: „Eigentlich sollten hier ein paar Marienkäfer sein“. Ein Jahr später sah ich tatsächlich viele Marienkäfer an dem Busch.

HanfBlatt
Das hatte sich rumgesprochen.

Storl (lacht)
Ja. Wenn man solche Beobachtungen lange und öfter macht, dann merkt man, dass die Natur zuhört und reagiert. Natur ist nicht tot, sondern sie besitzt einen seelisch-geistigen Aspekt, der für uns meistens unsichtbar ist.

HanfBlatt Von diesem Prozess sind wir aufgrund der Kulturation stark entfremdet.

Storl
Vor kurzem war der älteste Medizinmann der Cheyenne, George Elkshoulder, ein guter Freund von mir, bei einer Schamanen-Tagung in Garmisch. Dort waren viele Schamanen aus der ganzen Welt und George war in der Hoffnung dahin gekommen, das diese Schamanen zusammen daran arbeiten, das der ganze destruktive Prozess auf dem Globus umgekehrt wird. Sein Eindruck war allerdings das dort nur, wie er es ausdrückte, „Ceremonial people“ waren, „Showmen“. Und er fragte mich, weshalb ich ihn überhaupt eingeladen hätte. Ich sagte: „Weil wir alles verloren haben. Wir haben keine sakralen Lieder, keine sakralen Tänze, und wir wissen nicht wie man mit der Natur umgeht.“ George sagte: „Ihr habt überhaupt nichts verloren. Ihr habt doch die Berge, die Tiere, Bäume und Pflanzen. Fragt sie. Fragt sie doch. Die sagen euch, was ihr wissen wollt.“ Dass der springende Punkt ist, dass wir nicht mal mehr wissen, wie wir fragen sollen, das hat er nicht begriffen.“

HanfBlatt
Müssen wir uns nur trauen zu fragen?

Storl
Dazu muss man wohl erst einmal die beengenden Annahmen der Psychoanalyse abstreifen. Selbst Jung deutet alle unsere Ideen als Projektion in eine leere Welt hinein – solch ein Kontakt zur Natur besteht danach nur in unserer Fantasie. Das ist eine Annahme, die nie irgendjemand bei den Naturvölkern haben würde. Das ist ein klares Produkt unserer kranken Zivilisation.

HanfBlatt
Projektionen sind ein wichtiges Stichwort.

Storl
Projektionen finden ja auch statt. Und viele Phänomene der New Age-Szene sind voller Projektionen. Diese Menschen hören ja überhaupt nicht zu, sie projizieren alle ihre Wünschen und Vorstellungen hinein. Wie viele Cleopatras sind inzwischen reinkarniert worden!

HanfBlatt
Und die Männer werden Napoleon.

Storl
Gleichwohl ist eine Kommunikation mit der Außenwelt, der Natur, möglich.

HanfBlatt
Aber wie kommuniziert die Natur?

Storl
In den Schulen wird uns eingedrillt nur nach der objektiven Außenwelt zu schauen. Alles muss wägbar, messbar, analysierbar sein. Das ist ein Kult. Aber es gibt auch eine andere Art der Wahrnehmung. Die kann man als innerliche Resonanz mit der Umwelt bezeichnen. Dies erlangt man, indem man sich seines Inneren bewusst wird. Dann sieht man die Welt mit dem Spiegel der Seele, nicht nur mit den äußeren Augen. Die Seele des Menschen kommuniziert dann mit der Seele der Natur.

HanfBlatt
Dagegen arbeitet eine wissenschaftliche Tradition, die alles einteilen will. Alle Pflanzen sind eigentlich individuell, jeden Moment anders, es herrscht buntes Chaos. Wir nennen es Löwenzahn, aber es könnte auch viele andere Namen haben.

Storl
Das ist ein Teil der äußeren Wahrnehmung und gegen diese Kategorisierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ein Löwenzahn kann mit den nach außen gerichteten Sinnen wahrgenommen werden, aber eben auch mit den inneren. Wir haben einen Seelenspiegel, der das innere Wesen des Löwenzahn wahrnehmen kann. Man kommuniziert nicht mit dem äußeren Wesen, sondern mit dem inneren. In den westlichen Industrieländern herrscht seelische Hungersnot. Und wir werden abgespeist mit einer Massenmedien-Industrie, die letztlich nur seelisches Junkfood bietet. Darum sind die sogenannten Drogen auch so bedrohlich. Es ist der Versuch etwas zu finden – wieder Zugang zu den seelischen Aspekten der Welt zu erhalten.

HanfBlatt
Kann das klappen?

Storl
Manche Pilze beispielsweise klinken den Menschen in die makrokosmische Intelligenz der Erde ein. Ganja kann den Menschen Zugang zur göttlichen Seele offenbaren – dazu muss man aber die innere Bereitschaft haben.

HanfBlatt
Zeit scheint mir eine große Rolle zu spielen. Und die nehmen wir uns wenig. Ein Wochenendseminar unter dem Titel „Jetzt höre ich meiner Pflanze zu“ kann es ja wohl nicht sein.

Storl
„Mit der Pflanze sein“ oder „Mit dem Tier sein“; dazu bedarf es schon Geduld. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Konsumgesellschaft von dem Frust des verlorenen Kontaktes zur Natur lebt. Wenn man nicht befriedigt ist, dann greift man zur Ersatzbefriedigung. Neue Klamotten, ein neues Auto. Das sich Finden in einem sprechenden und göttlichen Universum bringt Seelenheil. So geht man beispielsweise eine Straße entlang und sieht zwischen zwei Gehwegplatten einen Storchenschnabel hervorwachsen. Man riecht daran, stellt sich vor wie eine Ameise den Samen in die Ritze transportiert hat, und erinnert sich an alte Geschichten. Daran, dass der Geruch Depressionen lindert oder man erinnert sich an Adebar, den Storch. Schon geht man durch eine ganz interessante und beseelte Landschaft und rennt an den vielen Schaufenstern glatt vorbei. Pflanzen können dabei helfen uns mit der Heiligkeit des Seins zu verbinden. Aber wenn Mafiastrukturen einen Pflanzenmarkt beherrschen und Leute mit Knarren rumrennen, zudem der Staat Katz und Maus spielt, dann können sich die Leute hier die Rübe vollrauchen und sind trotzdem blöd und entfremdet. Ich habe Leute kennen gelernt, die rauchen Unmengen Cannabis, natürlich mit Tabak, obwohl der eine entgegengesetzte Wirkung hat und sind trotzdem so schlecht drauf wie vorher. Vielleicht hören sie die Musik, die sie gerne haben, ein wenig besser.

HanfBlatt
Hardcore! Die denken viel hilft viel.

Storl
Weiter geführte Konsummentalität. Ich höre Leute rauchen Skunk: Es ist eine Qual für eine heilige Pflanze unter Kunstlicht, in Nährlösungen und geschlossenen Räumen aufzuwachsen. Die Leute die das rauchen sind dann genau so wie die Pflanzen, denn die Pflanzen vermitteln das was sie sind.

HanfBlatt
In der Natur reicht es einem ja meist auch aus etwas sensibilisiert zu sein.

Storl
Ich habe vor vielen Jahren einen letzten LSD-Trip in der Natur genommen und ich fand das irritierend.

HanfBlatt
Zu „artificial“?

Storl
Ja, wie eine Plastikwelt. Aber selbst die psilocybinhaltigen Pilze bergen Gefahren. Ich habe Leute kennen gelernt, die ständig Pilze genommen haben. Die waren in einer Art Pilzwelt gefangen. Auch Terence McKenna, ein großer Pilzexperte, hat sich mit seiner „Time Wave Zero“ verrannt. Beschleunigte Geschichte, ein Attraktor und ein Kumulationspunkt, der zufällig genau auf seinen Geburtstag fiel: das ist typisch Pilzfreak.

HanfBlatt
Respektvoller Umgang ist auch bei Pilzen wichtig. Damit man sie nicht das ganze Jahr nimmt, wachsen sie ja auch im Herbst.

Storl
Bei den Naturvölkern ist es Tradition, dass die sakralen Pflanzen nur zu bestimmten Jahreszeiten genommen werden. Erdbeeren isst man auch nur im Juni und Juli. Der Fliegenpilz wird in den nordpolaren Kulturen zur Wintersonnenwendzeit genommen, weil er das Licht der Erde sichtbar macht. Auch Wein war einmal eine hochekstatische wilde Pflanze, dem Dyonisos geweiht. Und was haben wir heute? So völlig verschrumpelte Leute, die was von „wunderbares Bouquet“ und „Chateau Sowieso“ faseln. Eine totale Überästhetisierung.

HanfBlatt
Wen trifft man in den Weinkellern Würzburgs? Die spießigsten und konservativsten aller alten Knacker bei einer Mumienversammlung. Im pseudogepflegten Stil wird sich da die Kante gegeben.

Storl (lacht)
Das sind dann die wilden Mänaden. Oder nehmt das Beispiel Tabak in den indianischen Kulturen: Das wurde in genau bemessenen Dosierungen genommen und dann wurde -zack- die Seele aus dem Alltag rausgehauen um in die Welt der Geister zu gehen. Und bei uns? Dieses gelangweilte Rauchen bis einem die Zunge dick wird ist wieder Ausdruck der ewigen Konsumlust. Ich sehe diese Entwicklung auch beim Ganja. Mein Gott, was die jungen Leute da reinstopfen! Die stopfen viel rein, es kommt aber nicht viel raus.

HanfBlatt
Eine deiner Leistungen ist die Öffnung der Tür zu den Mythen, Geschichten und Betrachtungsweisen traditioneller Kulturen. Da hast du nicht nur eine Geschichte zu erzählen; manchmal erscheint es, als gäbe es Tausende. Die Menschen haben sich früher offenbar sehr intensiv mit den sie umgebenden Pflanzen auseinandergesetzt.

Storl
Die Kelten und auch die nordamerikanischen Indianer haben diese Geschichten von den Pflanzen bekommen. Das Wissen darüber habe ich den Cheyenne zu verdanken. Über 1 ½ Jahre bin ich mit einem alten Medizinmann oft durch die Wälder Montanas gewandert. Der sagte zu mir: „Bilde dir nicht ein, dass du die Rituale oder den Zugang zu den Pflanzen erfindest. Die Pflanzen suchen dich! Die Heilpflanze weiß, wenn du kommst. Sie geben dir die Rituale.“ Praktisch sieht das so aus, dass die Pflanze einem das Ritual gibt, wie man zukünftig den Kontakt aufnimmt. Das können Worte sein oder etwas Feuer. Die Pflanze gibt einem sozusagen ihre Telefonnummer und das Wählen ist das Ritual. Wenn man nicht richtig zugehört hat, dann kommt kein Kontakt zustande und man kann nur fantasieren. Genau dies sagen uns doch die Naturvölker auf der ganzen Welt: Wir sind nicht die einzigen Aktiven, die Pflanzen nehmen Kontakt auf. Vielleicht sind wir gar nicht so aktiv wie wir meinen.

HanfBlatt
Im Grunde genommen verdanken wir den Pflanzen und der Sonne das Leben.

Storl
Aus der Dialektik von Sonne und Erde besteht unser Planet. Die Sonne gibt die Energie und die verschiedenen Pflanzen nehmen verschiedene Aspekte dieser Energie auf und transformiert sie je nach Standort auf der Erde auf ihre Weise. Beim Essen vermittelt jede Pflanze diese Kräfte.

HanfBlatt
Und wir rasen mit Autos durch die Pflanzen, degenerieren sie zu Schnittblumen und stellen Plastikblumen her.

Storl
In Los Angeles ist es mittlerweile Aufgabe der Stadtgärtner, die großen Plastikpalmen an den Boulevards einmal im Monat abzuwaschen.

HanfBlatt
Bestehst du auf die pure Nutzung von Pflanzen und Heilpflanzen oder wie stehst du Extraktion und Synthetisierung gegenüber? Wo würdest du da die Grenze ziehen wollen?

Storl
Ich würde da keine Grenze ziehen. Wenn die Möglichkeit gegeben ist barfuss zu laufen, dann laufe ich lieber barfuss. So einfach und natürlich wie möglich. Klar, Destillieren, Potenzieren, dass macht ja auch Spaß. Aber wenn es um Heilung geht, um das heil werden, dann würde ich so nah wie möglich am Heil sein der Natur arbeiten. Bei den Kelten reichte eine Schale, Wasser, Feuer, die Pflanze und ein Segensspruch: „Hier das hilft.“ Das ist genügend. Die Einfachheit betrügt einen sehr selten im Leben.

HanfBlatt
Alchemie und Chemie dürsten nach der Vervollkommnung.

Storl
Dahinter steht die Vorstellung, dass die Natur unvollkommen ist – wir, die Menschen, müssten sie vorwärts bringen und das sei eine ehrenwerte Aufgabe. Davon halte ich nicht viel. Die Natur ist göttlich und vollkommen in Ordnung. In der Einfachheit und dem Leben mit der Natur sind wir am besten dran. Das ist alte daoistische Weisheit und das ist auch die Weisheit, welche die Naturvölker leben.

adh und az

Wolf-Dieter Storl hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Die einheimischen Kräuter behandeln tut „Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor“, die Praxis der Naturrituale erklären tut „Naturrituale. Mit schamanistischen Ritualen zu den eigenen Wurzeln finden“. Beide Bücher und andere Werke sind neu oder gebraucht zu bestellen bei Amazon:

 

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Marihuana Mythen 9: „Marihuana macht süchtig“

Marihuana Mythen – Marihuana Fakten

Teil IX

Weiter geht es in der Serie, welche die Mythen rund um die Marihuana-Pflanze analysiert. Um die Drogen ranken sich allerhand Vorurteile, Ungereimtheiten und auch bewußt gestreute Lügen. Wie sieht es nun tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Wissenschaft soll auch hier die wichtigen Fragen beantworten; schauen wir, was die Halbgötter in ihren weißen Kitteln wissen, was wir nicht schon geahnt haben. Im neunten Teil der Serie geht es um die Behauptung:

„Marihuana macht süchtig“

Erich Hesse schrieb 1966: „Die regelmäßige Aufnahme des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im Irrenhaus ist das Ende.“ Noch immer hält sich der Mythos von Cannabis als Suchtdroge. Gleichzeitig wird behauptet, daß eine Verbreitung des Gebrauchs zur weiteren Verbreitung der Cannabis-Sucht führe. Der Leiter der städtischen Drogenberatung in München, Rolf Wille, schrieb noch im letzten Jahr: „Die Cannabisabhängigkeit entwickelt sich als ein schleichender Prozeß. Über ein als angenehm erlebtes Anfangsstadium der Pseudoharmonie kommt es zu einer Gewöhnung und Einengung auf die Droge und im dritten Schritt schließlich zur Abhängigkeit.“ Ob es tatsächlich so einfach und unausweichlich ist, klären

 

DIE FAKTEN

 

Klare Begriffe sind notwendig, um klare Gedanken zu formulieren. Sucht ist kein klarer Begriff. Wurden früher Sucht und Abhängigkeit gleichgesetzt, um die unkontrollierte Zuwendung eines Menschen zu einem Stoff oder Gefühl zu beschreiben, unterscheidet man heute zwischen den Termini. Jeder ist von Nahrung und Schlafen abhängig, aber auch von emotionaler Zuwendung und Sinnerfüllung. Dies als negativ zu bewerten, macht wenig Sinn. Abhängigkeit ist also untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden. Bei der Sucht liegt der Fall anders. Wie Sebastian Scheerer, Kriminologe an der Universität Hamburg, sagt: „Während jeder Menschen von vielerlei abhängig ist, ist er keineswegs zwangsläufig auch nach vielerlei süchtig.“ Um die Verwirrung zu mindern, unterscheidet die Wissenschaft zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit.

Besorgte Eltern und Großeltern packen ihre Zöglinge noch heute gerne am Schlafittchen (eigentlich: Schlagfittich = Schwungfeder) und predigen die Abstinenz vom „Hasch spritzen“, da Sucht die unausweichliche Folge ist. Das ist -gelinde gesagt- blanker Unsinn. Das Potential für eine körperliche Abhängigkeit vom Hanf ist vergleichweise gering, aber entgegen vieler Vorurteile durchaus vorhanden. Nach dauerhaftem und exzessiven Konsum können Entzugserscheinungen beispielsweise als Nervosität, Reizbarkeit und Schlafstörung auftreten. Auch verstärktes Schwitzen und Appetitlosigkeit wurden beobachtet. Diese Symptome verschwinden aber alle nach einigen Tagen wieder.

Ernster zu nehmen sind die Gefahren der psychischen Abhängigkeit, obwohl auch diese -glaubt man den Ärzten- nur selten auftritt. Cannabis verändert den inneren Zustand des Menschen; er oder sie raucht, um glücklich oder -anders ausgedrückt- gut drauf zu sein. Problematisch wird dieses Verhalten dann, wenn andere Anstrengungen zur Erlangung von Zufriedenheit und Glück deswegen gänzlich vernachlässigt werden und nur noch der Joint das Wohlsein garantiert. Dann ist der Konsument psychisch abhängig. Dies wird vor allem in der westlichen Gesellschaft zur Gefahr für den jungen Kiffer, weil seine Bereitschaft eine tragende und leistende Rolle zu spielen abnimmt. Für den noch in der persönlichen Entwicklung stehenden Jugendlichen kann Cannabis-Konsum somit gänzlich andere Auswirkungen haben als für den Erwachsenen, der sich den Rauschhanf gelegentlich und bei entsprechender Lebenserfahrung sowie unter geeigneten Umständen zuführt.

Aber so einfach wie hier dargestellt ist es auch nicht, denn die Unterscheidungsgrenze zwischen körperlicher und psychischer Abhängigkeit bröckelt. Bei fast allem, was man freiwillig tut, ist die Frage nach der psychsichen Abhängigkeit nicht mit einem Ja oder Nein, sondern nur mit einem Mehr oder Weniger zu beantworten. Denn in gewissem Maße ist das Individuum von allem abhängig, was es gerne mag, von liebgewonnen Gewohnheiten bis zu geliebten Menschen. Die Neuropsychologen und Biochemiker widersprechen der Differenzierung zwischen körperlich und psychisch ohnehin schon seit längerem. Für sie spielen die auf physischen Mechanismen beruhenden biochemischen Vorgänge im Hirn die entscheidende Rolle. Damit relativieren sich für sie auch die Unterschiede zwischen Abhängigkeit „mit“ und „ohne“ Drogen, denn letztendlich entscheidet das Belohnungssystem im Kopf.

Jede Substanz kann als Suchtmittel mißbraucht werden und mit jeder Substanz passiert dies. Um als gefährlich und suchtbringend eingestuft zu werden, muß dem Cannabis nachgewiesen werden, daß eine wesentliche Anzahl seiner Konsumenten es nicht schafft, mit dem Gebrauch der Droge aufzuhören und zudem Konsummuster entwickelt, die andere Aktivitäten im Leben stark beeinträchtigen. Die bislang in den USA durchgeführten Studien haben erbracht, daß die Mehrheit derjenigen, die schon einmal Erfahrung mit Marhihuana hatten, nicht regelmäßig zum Spliff greifen. 1993 befragte man junge AmerikanerInnen im Alter von über 12 Jahren. 34 Prozent hatten schon einmal mehr oder minder kräftig inhaliert, aber nur 9 Prozent hatten in den letzten 12 Monaten eine Tüte eingerollt, 4.3 Prozent im letzten Monat und 2.8 Prozent im der vergangenen Woche. Eine longitudinale Studie mit jungen Erwachsenen zeigte ebenfalls eine hohe Rate der Diskontinuität des Hanfgenusses. 77 Prozent hatten schon einmal das Vergnügen, 74 Prozent dieser Menschen probierten es aber nicht im letzten Jahr noch einmal, 84 Prozent nicht im letzten Monat.

Natürlich gibt es Personen, die Hanf über mehrere Jahre hinweg genießen, gleichwohl aber nicht süchtig sind. Viele regelmäßige (aber mäßige?), ja sogar viele tägliche Nutzer der Droge sind durchaus in der Lage, ihren Lebensalltag in für sich selbst und auch sozial verträglicher Weise zu gestalten. Dosierung der Droge, Anforderungen des Berufs, soziales Umfeld und die persönliche Struktur des Konsumenten sind auschlaggebend für die Wanderung auf dem Grad zwischen Gebrauch und Mißbrauch. Im Handbuch der Diagnostik und Therapie hieß es 1993: „Cannabis kann über lange Zeit genommen werden, ohne das nennenswerte Folgen in psychischer oder sozialer Hinsicht auftreten.“ In der Feldforschung konnte ebenfalls nicht festgestellt werden, daß das Suchtpotential von Hanf hoch ist:

  • Eine Studie in der Republik Panama, die sich mit den Auswirkungen des Pot-Konsums von amerikanischen Soldaten in den dreißiger Jahren befaßte, kam zu dem Schluß, daß Cannabis keine Abhängigkeit verursache.
  • Der 1944 von LaGuardia-Komitee (benannt nach dem ehemaligen New Yorker Bürgermeister) veröffentlichte Bericht entkräftete viele Vorwürfe gegen den Gebrauch und schrieb: „Das Rauchen von Marihuana führt nicht zur Abhängigkeit im medizinischen Sinn.“
  • Der Gouverneur von Pennsylvania, Raymond Shafer, leitete eine Expertengruppe Anfang der siebziger Jahre. Nach ausgiebiger Sichtung aller verfügbaren Materialien konnte der Ausschuß sagen: „Marihuana führt nicht zu körperlicher Abhängigkeit, doch kann langfristiger Mißbrauch bei den Betroffenen zu einer psychologischen Abhängigkeit von der Droge führen.“

Die am häufigsten publizierenden Verfechter der suchtbringenden Natur von Marihuana und Haschisch sind oft Suchttherapeuten und Leiter von Entzugseinrichtungen, die gut versicherte Marihuana-Liebhaber in ihre Institutionen aufgenommen haben und für diese eine eigene Kategorie der Abhängigkeit kreierten. Ohne diesen Damen und Herren böse Absichten nachweisen zu wollen, sichert man so zumindest den Fortbestand der eigenen Anstalten. In den USA hat sich dieses Problem verschärft: Immer aufwendigere technische Möglichkeiten des Drogen-Nachweises in Firmen und Schulen haben dazu geführt, daß mehr und mehr Kiffer sich selbst als süchtig deklarieren um behandelt und nicht bestraft zu werden.

Jörg Auf dem Hövel

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Cannabis

Marihuana Mythos 13: „Marihuana ist eine Einstiegsdroge“

Marihuana Mythen

Teil XIII

Natürlich besitzen Mythen einen Sinn. Sie geben uns Sicherheit in einer verwirrenden Welt, erklären das Unerklärbare, vereinfachen das Komplexe. Aber was nützt all dies, wenn sie schlichtweg falsch sind? Wenn sie der neuen wissenschaftlichen Forschung nicht mehr Stand halten können? Dann gilt es Abschied zu nehmen. Auch um die Marihuana-Pflanze ranken sich allerlei Mythen. Wie sieht es aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Diese Serie klärt auf – dieses mal mit der Behauptung:

„Marihuana ist eine Einstiegsdroge“

Gabriel Nahas schreibt in der 1990 veröffentlichten fünften Ausgabe seines Werkes „Keep Off the Grass“, daß mittlerweile wohldokumentiert sei, daß Cannabis im Gehirn biochemische Veränderungen verursache, die den Konsumenten dazu verleiten andere, härtere Drogen auszuprobieren. Seit Jahrzehnten behaupten er und andere Forscher, daß Hanf eine Einstiegsdroge sei. Wer mehr oder weniger kifft, würde irgendwann automatisch mit Substanzen wie Kokain oder Heroin experimentieren. Legalisierungsgegner argumentieren aber nicht nur mit pharmakologischen, sondern auch mit sozial-psychologischen Erklärungsansätzen.

Nach Karl-Ludwig Täschner wirkt der Konsum von Cannabis gewohnheitsbildend und verfestige abhängige Verhaltensweisen. Um sich noch einen größeren Kick zu verpassen, sei der Griff zur Nadeln dann nicht mher fern.

DIE FAKTEN

Ist der Weg für den Rauschhanfliebhaber vorgezeichnet? Geht er oder sie Belastungen des Alltags immer mehr aus dem Weg? Wird das Verlangen nach immer stärkeren Manipulationen des Bewußtseins immer größer? Schon mit gesundem Menschenverstand kann das bezweifelt werden, denn Kokain oder Heroin bieten nicht unbedingt eine Steigerung der Cannabis-Wirkung. Die empirischen Fakten sprechen zudem eindeutig gegen diese Behauptung, denn nur ein winziger Teil der Kiffer steigt auf härtere Drogen um. Wohl haben in Deutschland 95 Prozent der Heroinkonsumenten früher Cannabis geraucht, 95 Prozent der Cannabiskonsumenten greifen aber nicht auf härter Drogen zu. Hans-Harald Körner, Verfasser des Standardkommentars zum Betäubungsmittelgesetz, schrieb denn auch schon vor drei Jahren: „Stellt man die geschätzte Zahl der Cannabiskonsumenten von vier Millionen in der Bundesrepublik der geschätzten Zahl von 100.000 Heroinkonsumenten gegenüber, so erkennt man schnell, daß Cannabis nicht zu Heroin führt.“ Für Amsterdam stellen Peter Cohen und Arjan Sas fest, daß 75 Prozent der Kiffer gar keine anderen Drogen probierten. Und das bei freier Verfügbarkeit von Hanfprodukten in Holland.

Und noch ein Beispiel: In Dänemark, einem Land mit überproportional vielen Kiffern, ist der Anteil der Konsumenten harter Drogen nur durchschnittlich.

In den USA stehen die Statistiken von Kokain- und Marihuana-User ebenfalls in keinem Zusammenhang. Der Kokaingebrauch stieg Anfang der 80er Jahre an – in dieser Zeit ging die Zahl der Kiffer zurück. Während der letzten Jahre ging die Zahl der Kokser zurück und mehr Leute rauchten wieder Gras. Seit 1974 wurden kiffenden High-School Schüler befragt, ob sie neben dem Hanf noch Kokain nutzen. Seit 1986 nimmt die Zahl dieser Multi-User stetig ab.

Für die meisten Jugendlichen stellt der Gebrauch von Cannabis eine (kurze) Episode in ihrem Leben dar. Unter Leitung des Soziologen Dieter Kleiber wurde in diesem Jahr eine große Studie veröffentlicht, die im Auftrag des Bundesministerium für Gesundheit die Konsummuster von jungen Menschen erforschte. Danach haben in den alten Bundesländern ein Viertel der 14- bis 15jährigen Erfahrungen mit Hanf. Von diesen stellen 90 Prozent den Gebrauch nach einer Probierphase wieder ein. Die Ergebnisse widersprechen, so Kleiber, „der Eskalationsthese, wonach der Konsum von Cannabis mit zunehmender Dauer quasi substanzinduziert härtere Konsumformen wahrscheinlich und somit einen Ausstieg unwahrscheinlicher macht“.

Seltsam mutet an, daß gerade Haschisch aus dem bunten Drogencocktail herausgegriffen wird, den ein junger Menschn im Laufe seiner Sozialisation ausgesetzt ist. Alle Untersuchungen belegen, daß Alkohol und Nikotin immer noch an erster Stelle stehen, bevor jemand Marihuana raucht oder Heroin nimmt. Und gänzlich ins Straucheln gerät die Einstiegsthese, wenn man sie auf Kiffer-Kulturen wie in Jamaika oder Costa-Rica anwenden will, denn dort ist die Zahl der Opiatabhängigen vergleichsweise gering.

Inzwischen ist den meisten Autoren klar, daß der Gang in die Heroinabhängigkeit natürlich nicht vom Cannabis abhängt, sondern eher durch Faktoren wie Persönlichkeit des Konsumenten, Umgebung und Sozialisation maßgeblich bestimmt wird. Daß der Weg in eine Suchtkarriere viel zu komplex ist, um auf die Schrittmacherfunktion von Haschisch reduziert zu werden, geben selbst die Verfasser eines Sonderbandes des Bundeskriminalamts zu. Es sind also eher drogenunabhängige Einflüsse, die eine „Umsteigen“ hemmen oder fördern.

In jüngerer Zeit wendet sich die Theorie der „Einstiegsdroge“ gegen ihre Verfasser: Einige Forscher behaupten, daß erst die Prohibition, also das Verbot der Hanfpflanze, den Kontakt zu härteren Droge fördere. Die drogenpolitische und strafrechtliche Einheitsbehandlung von Cannabis und anderer, „härterer“ Drogen, führe beim Jugendlichen zu einer gefährlichen Nivellierung zwischen den unterschiedlichen Substanzen. Nach dem Motto: „Cannabis ist verboten, aber harmlos, dann kann doch Heroin auch nicht so gefährlich sein.“ Die Argumentation scheint schlüssig: Wenn Cannabis gemeinsam mit anderen Drogen in die Illegalität gedrängt wird, werden diese eben auch räumlich, sozial und psychologisch miteinander verquickt. Die Erfahrung zeigt durchaus, daß es bei Dealern verschiedene Drogen zu erstehen gibt. Ein „Umstieg“ wird demnach nicht durch Cannabis, sondern durch die strafrechtliche Behandlung hervorgerufen.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Cannabis

Marihuana Mythen Teil 3: Marihuana ist eine Droge ohne therapeutischen Nutzen

Marihuana Mythen

Teil 3

Weiter geht es in der erbarmungslosen Serie, die mit den Marihuana-Mythen aufräumt. Politiker und Bürger reden über eine Pflanze, vielen von ihnen fehlt es am grundlegenden Wissen, um sich überhaupt ein Urteil erlauben zu können. Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Im dritten Teil der Serie geht es um die Behauptung:

„Marihuana ist eine Droge ohne therapeutischen Nutzen“

Warum sollte man auf den Hanf als Medikament zugreifen, wenn es effektivere Drogen gibt, die zugleich auch noch sicherer sind? Dies fragen die Gegner eine Legalisierung der Pflanze und sie weisen auf den reich gefüllten Medikamtenkorb hin, der für jede Krankheit sein Mittel birgt. Cannabis dagegen sei eine Droge, deren Nebenwirkungen beachtlich sind: Herzrasen, Angstzustände, Schwindel, Kopfschmerzen. Aus diesem Grunde steht es in den meisten Ländern auf der schwarzen Liste, die sich in Deutschland Betäubungsmittelgesetz nennt. Wenn überhaupt, will dieser Standpunkt nur das synthetisch hergestellte THC zulassen.

DIE FAKTEN

Seit Urzeiten benutzen Menschen auf dem gesamten Globus Cannabis als Medizin. Diese gewachsene Erfahrung bleibt in der heutigen wissenschaftlichen Diskussion oft unterbelichtet, dabei dürfte der Zugriff auf das medizinische Wissen alter Kulturen hilfreich sein. Ob in Indien, Persien, Asien, dem afrikanischen wie dem amerikanischen Kontinent – überall war (und ist) Marihuana als Mittel im Krankheitsfall oder als vorsorgende Maßnahme beliebt. Bereits 2300 Jahre bevor ein Wesen Namens „Gott“ seinen Sohn auf die Erde schickte, empfahl der chinesische Kaiser Shen Nung den weiblichen Hanf zur Behandlung von Verstopfung, Gicht, Malaria und Menstruationsproblemen. Auch die indische Ayurveda-Medizin (Bhang gegen Epilepsie, Asthma, Rheumatismus) und arabische Scholaren nutzten die heilende Wirkung des heiligen Krauts. Im Mittelalter heilte Kräutertantchen Hildegard von Bingen sowie Nicholas Culpepper mit Hanf.

Aber die Zeitreise braucht gar nicht so weit zu gehen, es reicht der Flug zurück ins Amerika des 19. Jahrhunderts. Die großen pharmazeutischen Unternehmen wie Eli Lilly, Squibb, Parke-Davis und Tildens erzielten mit dem Extrakt der Pflanze riesige Umsätze; zum Wohl des Volkes. In dieser Zeit war Cannabis eines der drei am meisten verschriebenen Medikamente in den Vereinigten Staaten.

Die Liste der Anwendungen ist lang. Einige Beispiele? Der grüne Star (eine Augenerkrankung, welche den Augeninnendruck erhöht und zur totalen Erblindung führen kann) kann erfolgreich mit Cannabis behandelt werden. Die pflanzlichen Substanzen erniedrigen nämlich den Druck des inneren Auges. Zwar bildet sich nach gewisser Zeit eine Toleranz, aufgrund der geringfügigen Giftigkeit von Cannabis kann die Dosis aber durchaus gesteigert werden, ohne daß es zu Schäden am Auge oder am sonstigen Patienten kommt. Bei größeren Toleranzproblemen kann für einen kurzen Zeitraum auch auf andere Medikamente ausgewichen werden und nach längstens acht Wochen Pause wieder Hanf konsumiert werden.

Jede(r) kennt ihn, den Fressflash. Die appetitanregende Wirkung des Cannabis´ wird in unterschiedlichen Kulturen schon lange genutzt. In neuerer Zeit ist diese Eigenschaft gerade für AIDS- und Krebs-Patienten in chemotherapeutische Behandlung entdeckt worden. Im Vergleich zu anderen Medikamenten bekommt der oder die Kranke wieder Hunger und die mit der Chemotherapie enhergehende ständige Übelkeit löst sich nahezu auf. „Das einst als Einstiegdroge verteufelte Cannabis bringt Hilfe und Linderung für unheilbar Kranke“, sagt Robert W. Gorter, 49, Leiter des Instituts für immunologische Forschung im Berliner Krankenhaus Moabit, der 120 Aidskranken den Hanf verschreiben will. Ein Blick in die Praxis: Bei einer in den USA 1990 durchgeführten Umfrage unter 1035 Ärzten für Geschwulstkrankheiten gaben 44 Prozent an, daß sie ihren Krebs-Patienten Marihuana empfehlen und ein Großteil von ihnen würde es empfehlen, wenn es legal wäre.

Cannabis wirkt über das zentrale Nervensystem muskelentspannend, Spastik, Schmerz und Steifheit nehmen bei Querschnittserkrankten ab. Unter Experten gilt der Hanf als einer der besten Anti-Epileptika überhaupt, zudem harmonisiert es den Bewegungsablauf. Depressiven Menschen kann Marihuana ebenfalls teilweise helfen, ebenso wie unter chronischen Schmerzen leidenden Personen. Nicht nur die englische Königin Victoria rauchte Gras, um ihre Mestruationsschmerzen zu lindern, Frauen in Südafrika berauschen sich noch heute mit „dagga“, um die Geburt zu erleichtern. Bei allen Anwendungen muß zusätzlich positiv bewertet werden, daß Cannabis eine sehr sicheres Medikament ist. Das Verhältnis von wirksamer zu tödlicher Dosis ist mit 1 zu 20 Tausend so günstig wie bei fast keinem anderen Mittel.

Forschungsinstitute in den USA haben vor allem zwischen 1970 und 1980 diverse Studien über die Wirksamkeit von THC und den Cannabinoiden durchgeführt. Zumeist wurde von Erfolgen bei der Behandlung der oben aufgeführten und einer Reihe weiterer Krankheiten berichtet. Die staatliche DEA (Drug Enforcement Agency) und andere Legalisierungsgegner versuchten daraufhin am Medical College of Virginia nach Nachweis zu führen, daß der Konsum von Marihuana gesundheitliche Schäden nach sich zieht. Aber entgegen ihrer Hoffnung kam es zu einem wissenschaftlichen Durchbruch als erkannt wurde, daß Cannabiskonsum starke Anti-Tumor Aktivitäten auslöst. Wie Jack Herer in seinem Buch „The Emperor Wears No Cloths“ eindrucksvoll nachweist, sucht die DEA seither jedwede Cannabis/Tumor Foschung zu unterbinden.

Dem synthetischen THC, (Marinol) seien auch noch einige Sätze gewidmet. Diese Pillen sind so konzentriert, daß eine Behandlung mit ihnen schnell zum Alptraum werden kann. Schlafstörungen, Durchfall, Reizbarkeit bis zu Anzeichen einer Psychose sind die gewaltigen Nebenwirkungen des Präparats. Es bleibt unverständlich, warum ständig auf chemische Neuerungen zugegriffen werden muß, wenn die natürliche Substanz erheblich effektiver und zugleich ungefährlicher ist. Vielleicht ist es gerade das Zusammenspiel der einzelnen Inhaltsstoffe des Grases, welches es für verschiedene Anwendungen so interessant macht. Eine Gewinn aus Marinol erzeilt in erster Linie nur wieder die pharmazeutische Industrie.

In aller Kürze: Die Klassifikation von Cannabis als Droge ohne therapeutischen Nutzen steht im schärfsten Gegensatz zur Realität, ist durch Erfahrungen in der Historie wie der Gegenwart widerlegt, steht auf wissenschaftlich tönernen Füßen und beruht heute nur noch auf politisch-moralischen Gründen.

Jörg Auf dem Hövel

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Beste Trompete in der deutschen Blaskapelle

blond, Juli 2002

Beste Trompete in der deutschen Blaskapelle

Warum das TV von blonden Durchlauferhitzern nie genug kriegen kann

Original PDF aus der blond

Es ist Foto-Shooting Termin, das Studio ist schäbig, der Rand der Jagdwurst auf den halben Brötchen biegt sich. Auf einem Bock räkelt sich feinste Katalogware, der Fleisch gewordene Traum aller Onanisten. Name: Kelly Trump, Alter: 31, Beruf: Porno-Darstellerin, Entschuldigung, ehemalige Porno-Darstellerin, aber das will hier eigentlich niemand hören. Klar, ab sofort ist Kelly (sie wird von allen geduzt) Moderatorin, vielleicht sogar Schauspielerin. Denn seit Mai moderiert sie „La Notte“ und begleitet schlaflose Männer mit Hand im Schritt durch die Nacht. Der TV-Sender Neun Live verspricht sich von Kelly und ihren „Erotik-Sketchen“ glühende Schwänze, was gleichbedeutend mit hohen Einschaltquoten ist.

Und deswegen sind sie gekommen, die Fotografen und Journalisten von „Blitz Illu“, „Coupe“ und den anderen Blättern. Vordergründig, also vom Verstand her, geht es darum, dass mal wieder eine Dame den Ausstieg aus der Hardcore-Branche und den Einstieg in die Erotik-Szene sucht, wie dass schon Dolly Buster und Gina Wild erfolgreich taten. Untergründig, also vom Becken her, stellen sich natürlich andere Fragen: Wie sieht die Frau aus, die in über sieben Jahren Hunderte, ja vielleicht Tausende von Lunten ausgeblasen hat, eine Frau, die sich beruflich literweise Sperma ins Haar hat spritzen lassen? So schroff würde das hier niemand formulieren, aber irgendwas zwischen Vorurteil und Fantasie nimmt jeder mit in den Raum und Kelly weiß das auch.

Scheu sitzt sie auf dem schwarzen Ledersofa und raucht eine Zigarette nach der anderen. In die Augen schaut ihr kaum mal jemand, dabei sind diese wunderschön- so grün, so tiefleuchtend grün. Sind das Kontaktlinsen? Die Tür muss schnell geschlossen werden, denn Kelly ist stets kalt. Schmale Taille, blonde Haare und ein riesiger Kunstbusen, einer, der das Rückgrat verbiegt. „Ich suche mir ein Wolf, wenn ich Dessous kaufen will“, sagt Kelly und die Kollegin von Blitz Illu nickt eifrig. Die beiden tauschen E-Mail Adressen aus und wollen demnächst zusammen suchen gehen.

Gesangs- und Sprechunterricht hat sie genommen, um auch in Filmen mit Sprechakt mitwirken zu können. Im neuen Streifen von Ralf König hat sie eine Nebenrolle – sie spielt sich selbst und muss es mal wieder mit einem Typen treiben. Aber egal, es ist ein Anfang.

Lockeres Gesprächsgeplänkel, dann die erste knallhart-journalistische Frage der Dame von Coupe: „Ist man als Porno-Star besser im Bett?“ Hui, gefährlich, aber Kelly, nicht mundfaul, retourniert: „Nein.“ Damit ist der Reigen eröffnet, endlich darf über Sex geredet werden. Und Kelly packt aus, denn sie steht nicht mehr unter Vertrag und muss nicht versichern, dass ihr das wütende Gerammel „enorm viel Spaß bringt“ oder, wie sie dass auf der Webseite ihres Produzenten ausdrückt, „die Kamera mir eigentlich einen zusätzliche Kick gab“. Heute klingt das etwas anders: „Kein normaler Mensch würde das zu Hause machen, was wir vor der Kamera veranstalten.“

Dass Frauen in den Porno-Filmen als immergeile Luder dargestellt werden ist Fakt. Nicht nur FeministInnen nehmen daran Anstoß, dass die Frau dabei zur bloßen Fickmaschine erniedrigt wird. Dadurch, so die berechtigte Annahme, wird dem Dauerkonsumenten ein reichlich schiefes Frauenbild eingebläut. Männer dient der Porno als Wichs-, Paaren eher als Inspirationsvorlage, beiden Gruppen ist aber meist klar, dass das fiese Löcherstopfen kein Abbild der Realität, sondern geiler Traum ist. Und alleinstehende Frauen? Die sind entsetzt über den gefühls- und phantasielosen Geschlechtsakt, sehen sich aber nicht in der Opferrolle, in die sie die alternde Emanzipationsbewegung stecken will.

Wie würde ein Porno aussehen, indem Kelly Regie hätte? „Viele weniger, na, du weißt schon, und viel mehr Erotik.“ Eigentlich ist Kelly schüchtern und die Hardcore-Jahre haben das nicht ändern können. Immer wenn sie ein Igitt-Wort in den Mund nehmen muss, flüchtet sie sich in Umschreibungen. Aber zunächst folgt die nächste höchst investigative Frage der Dame von Coupe: „Hast du einen Dildo zu Hause?“ „Nein“, sagt Kelly.

Aufgrund ihrer kinematisch dokumentierten, tiefgehenden Erfahrungen dient sie ihren Fans immer wieder als Beichtmutter. Freudig erzählt Kelly von einer unglücklichen Frau, deren Mann schwer abgetörnt davon war, dass die Frau, wie Kelly es ausdrückt, „beim Oralverkehr nicht…, na ja, du weißt schon, die wollte nicht…, na, halt das ganze Programm, du weißt schon…“ Leichte Unruhe in der Sofarunde bis jemand den Satz beendet: „…schlucken wollte?“ Erleichterung ringsum, Kelly errötet.

Der Deutsche Bürger ist von allen Europäern am meisten an Porno-Seiten im Internet interessiert, im Monat klicken rund 5 Millionen Lustbolzen zwischen Nordsee und Alpen auf triefende Webseiten. Die deutsche Hardcore-Film-Branche wirft monatlich mindestens 600 neue Produktionen auf den Markt, auch damit ist man europaweit führend. Und noch eine Zahl zeigt das Ausmaß der Katastrophe für Süßmuth, Schwarzer & Co.: Die braven Deutschen sind nach den USA zum weltweit zweitgrößten Verbraucher von Erotikartikeln aufgestiegen.

Allgegenwärtiger Sex, das ist weniger Zeichen für „Gewalt gegen Frauen“, wie dies die Emma-Fraktion annimmt, die Sexualisierung der Gesellschaft ist zum einem Zeichen ihrer Trivialisierung, zum anderen Nebenschauplatz eines ausgedehnten Körperkults. Voyeurismus und Selbstdarstellung halten diverse TV-Talkshows am Leben, und am lautesten johlt die Menge, wenn es um Ficken, Lecken, Blasen geht. Eine ganze Reihe von Fitness-Männerzeitschriften lebt nur vom Wunsch der Leser nach Oberkörperverbreiterung und Schwanzverlängerung.

Für Kelly Trump sind dies dagegen Zeichen dafür, „dass alles viel offener geworden ist und die Leute viel lockerer mit Sex umgehen“. Wo früher noch „alte Opas mit Fotoapparaten“ auf den Sex-Messen rumgerannt seien, wären dort heute vor allem Paare zu sehen. So oder so, das Wort „Moral“ ist heute keine Grundlage mehr für die Bewertung, ob etwas noch Erotik oder schon Pornographie ist. Höchstens die Ästhetik wird zur Abwehr herangezogen, ansonsten gilt der postmoderne Schlachtruf des „Erlaubt ist, was gefällt“.

Sicher ist: Die Arbeit mit halberigierten Penissen in Big-Mac-Stellungen ist anstrengend, vielleicht sogar aufzehrend. Auch Fußballer wechseln später, dann, wenn die Knochen nicht mehr mitspielen, gerne auf die Trainerbank oder in den Vorstand. Oder sie übernehmen eine Lotto-Toto-Annahmestelle. Auch Kelly Trump muss ein paar Gänge zurück schalten. Aber sie bleibt blinder Zeuge der Einsamkeit in deutschen Wohnzimmer und wird wenige, aber dankbare Abnehmer finden.
Jörg Auf dem Hövel

 

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Cannabis Drogenpolitik

„Wir wollen uns zeigen“

Zu Gast bei Sven Meyer, dem Organisator des Hamburger Hanffests

Schwer beschäftigt ist der Mann, als ich seinen Laden in Hamburg-Eimsbüttel betrete. Vor ihm sitzt ein Pfeifenverkäufer, das Telefon klingelt und kurz darauf betritt Kundschaft den Headshop. Sven Meyer, 30 Jahre alt, nimmt es gelassen: „Das nächste Jahr muss ich mir glaub ich frei nehmen und brauch´n Büro, und auch die Nachbereitung des Feste nimmt mehrere Tage in Anspruch.“ Montag morgen klingelte um 7.30 Uhr die Gartenbauabteilung, um ihn darüber zu informieren, dass es am Veranstaltungsort brennt. „Das war nur ein übereifriger Helfer der etwas Stroh verbrannt hat“, erzählt Sven lachend, „und seitdem steht das Telefon nicht mehr still“.

Das Hanffest zum Millennium war ein voller Erfolg, drei Tage lang feierten die Menschen ein friedliches und fröhliches Fest.  „Es ist toll, dass es den Leuten Spaß gemacht hat und die vielen Gratulationen freuen mich enorm“, sagt Sven, um gleich anzuschließen, „ich wollt auf alle Fälle nochmal Danke sagen, war echt´n Super-Spezial-Elfen-Maschinen-Hyer-Hanf-Fest. Ich hatte eigentlich am Schluss vor Albert Hofmann zu zitieren, der sagte auf dem Kongress für Bewusstseinsstudien vor einem halben Jahr in Basel mit Tränen in die Augen: ´Wir sind hier um glücklich zu sein`. Und ich hatte sehr glückliche Momente auf dem Hanffest; die Kinder, die den Seifenblasen hinterherjagten, die Stroh-Schlachten, der Besuch von dem Vogelschwarm, das Jaulen mit einem Hund, in der Nacht, bei Vollmond, der gut besuchte und extrem groovige Hanf-Move, die Stimmung im Schanzenpark, im Völkerkunde-Museum. Und dann die vielen mit anpackenden und Eigen-Power einbringenden Menschen, all die Sexy-Dancer und unterschiedlich gemischten Generationen, die Redner haben sehr schön gesprochen, speziell Christian Rätsch hat mir ´ne feine Gänsehaut verpasst, die DJ´s sind abgegangen, die Live-Act´s, die Totecs haben super geholfen und unglaublich fetten Sound gemacht, der nette Kreis von Leuten der sich getroffen hat…“ Sven kommt schwer ins Schwärmen und hört gar nicht mehr auf.

Ob es nun 2000 oder über die Tage sogar 12000 Menschen waren, die das Happening besuchten, ist ihm relativ egal. „Wir hatten ein schönes Fest, das ist das Wichtigste. Das Zählen überlasse ich anderen.“ Probleme gibt es bei der Anmeldung des Festes im Park als politische Demonstration. „Die Behörde hält das für ein Fest ohne politischen Hintergrund“, wundert sich Sven. Damit übernimmt die Stadt die Müllbeseitigung nicht. Loveparade lass jucken.

Wieder betritt Kundschaft den Laden und kauft Elixiere. Wir wollen just weitersprechen, als das Telefon erneut klingelt: Die Druckerei der Hanffest-Broschüre. „Ja, Herr Berger,“, sagt Sven, „das Geld ist schon überwiesen“. Es ist mittlerweile das dritte Hanffest in Hamburg und das erste Mal bleibt ein wenig Mammon übrig. „Jetzt kann ich es unter den Künstlern und Helfern aufteilen und habe meine Unkosten raus.“

Die Idee zum Hanffest kam ihm in Berlin. Leichtsinnig rannte er dort 1997 mit einem Hanfbüschel über die Hanfparade – die Polizei war nicht amüsiert und wollte ihn abtransportieren. Sven diskutierte, wurde aber trotzdem in die Wanne gehieft. Die Mitdemonstranten blockierten den Weg, die Situation eskalierte. „Da saß ich nun in dieser Wanne und draußen forderten 1000 Mitmenschen meine sofortige Freilassung. Ein bewegendes, aber auch gefährliches Erlebnis, denn die Polizisten im Auto sahen sich schwer unter Druck und wurden ziemlich nervös. Man muss nur den Mund aufmachen und was tun – dann helfen auch andere Leute.“

Ein Motto oder sonstige Sinnsprüche hält er für die Veranstaltung unangebracht. „Wir wollen uns zeigen, einfach da sein, so, dass man uns nicht ignorieren kann.“ Viele Kiffer haben Svens Meinung nach Angst „hinter ihrem Ofen rauszukommen und für ihre Interessen einzutreten“. In Hamburg nimmt er gerne jeden Faden auf, der in Richtung einer Legalisierung von Cannabis gesponnen wird. Er würde sich freuen, wenn überall in Deutschland Hanffeste organisiert werden würden. „Das kann ja klein anfangen, denn jeder arbeitet halt im Rahmen seiner Möglichkeiten. Nur nicht verkrampfen.“

Und die Pläne für 2001? „Es wäre schön, wenn im nächsten Jahr noch mehr Leute selbst drauf kommen würden, wie sie sich in das Fest einbringen. Mein Traum ist, dass einmal im Jahr in ganz Deutschland, ach was, weltweit der Hanf gefeiert wird.“