HanfBlatt, Nr.91, Oktober 2004
Nützliche Varianten
Neue Lösungswege gesucht und gefunden. Wie der Staat mit Cannabis umgehen sollte
Das drogenpolitische Feld wird national und international von verhärteten Fronten dominiert. Auf der einen Seiten stehen Prohibitionisten, auf der anderen Legalisierer. Wer mit Diskussionsbeiträgen auf dieses Feld tritt, der muss sich schnell entscheiden und in die sichere Deckung der einen oder anderen Seite springen. So wird jede Studie, jede Forschungsarbeit, jeder Aufsatz und jeder Artikel schnell einer der Seiten zugeordnet. Unter diesen Bedingungen kann kaum vernünftige Wissenschaft, geschweige denn Politik betrieben werden. Bisher entsteht bei den Debatten mehr Hitze als Licht.
Gesucht ist ein Ausweg aus der leidvollen Ironie, das die Cannabis-Gesetze primär erlassen wurden, um den Konsumenten vor sich selbst zu schützen, diese Gesetze selbst aber die größte Gefahr für ihn darstellen. Also Freigabe? Die Idee der Legalisierung erfuhr auf politischer relevanter Seite schon immer äußerst wenig Unterstützung, während Entkriminaliserung in den frühen 70er durchaus en vogue war. In den USA beipielsweise, heute das Motherland des War on Drugs, entkriminalisierten 11 Staaten den Genuss und Besitz kleiner Mengen von Marihuana; die in den Jahren nachfolgenden Statistiken wiesen keinen Erhöhung des Konsums nach. Veränderte politische Großwetterlagen ließen keine weiteren Experimente zu.
Fest steht, dass die Prohibition gescheitert ist. Seit Jahrzehnten aber steht trotzdem hinter der Drogenpolitik der UNO und der globalen Regierungen der Glaube, dass immer mehr von demselben die Weltbevölkerung auf wundersame Weise zum drogenfreien Glück führt. Aber jede auch zukünftige Gesellschaft wird eine Drogenproblem haben, egal welche Drogenpolitik gewählt wird. Die Aufgabe ist, die Probleme zu minimieren, und zwar die Probleme, die durch den Drogenmissbrauch und durch die Politik selbst verursacht werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Wissenschaft von den Drogen, die Drogenpolitik und deren staatliche Durchsetzung allzu sehr auf die relativ wenigen Süchtigen fokussiert. Diesen muss geholfen, die Anderen müssen in Ruhe gelassen werden.
Eine Drogenpolitik, die die fundamentale Erkenntnis leugnet, dass Drogenkonsum Spaß bringen kann, und das ein hoher Anteil von Menschen durch diesen Spaß auch keine psychischen oder physischen Probleme bekommt, darf sich nicht wundern, dass die Jugend die gut gemeinten Botschaften der Aufklärung nicht erhört.
Leider ist das durch Schule, BRAVO und Kumpels vermittelte Wissen über Drogen schlichtweg mangelhaft oder gar ungenügend (Setzen, 6!). Und weil sie zur Zeit keinen Alkohol- oder Kokainabhängigen Mitschüler kennen, glauben Schüler nicht daran, dass einer dieser forschen Typen in fünf Jahren seine Nase nicht mehr aus dem Puder kriegt.
Im Kern exisitieren fünf Modelle, wie der Umgang mit Hanf, dessen Produkten und dessen Konsum reguliert werden kann. In der Tabelle unten sind neben den Vor- und Nachteilen die Realisierungsaussichten des jeweiligen Modells aufgeführt.
(1) Unter dem Begriff Entpönalisierung sind die Regulierungs-Möglichkeiten aufgeführt, bei denen der Besitz von Cannabis weiterhin illegal bleibt, aber mit milderen Strafen als bisher belegt wird. Hierzu gehört auch das holländische Modell.
(2)Der Begriff der Entkriminalisierung trägt in seiner unterschiedlichen Verwendung zur Verwirrung bei. In der oft genutzten Form meint er, dass Produktion, Verteilung und Verkauf illegal bleiben, aber keine strafrechtlichen Verfolgung des Besitzes für den persönlichen Gebrauch existiert. Ein Beispiel für eine ersatzlose Entkriminalisierung durch die Herauslösung bestimmter Straftatbestände ist der Vorschlag von Sebastian Scheerer, Kriminologe an der Universität Hamburg, den § 29 BtMG so zu revidieren, daß Handel mit nicht geringen Mengen weiterhin mit Freiheitsstrafe bedroht wird, der Handel mit geringen Mengen als Ordnungswidrigkeit zu ahnden ist und nicht auf Handel bezogene Tatbestände gänzlich straffrei gestellt werden.
In einigen anderen Definitionen der Entkriminalisierung bleibt aber die Möglichkeit der Geldbußen bestehen, die, wenn sie nicht gezahlt werden, doch wieder zu Gefängnisstrafen führen können.
Darum wird die sagenumwobende Entkriminalisierung hier in einen neuen Begriff überführt: Partielle Prohibition. Das erlaubt den Besitz von kleinen Mengen und einigen Pflanzen. Wie hoch diese Mengen dann tatsächlich sind, darüber lässt sich in den Einzelheiten trefflich streiten, hier soll nur der prinzipiell-praktische Weg aufgezeichnet werden.
(3) Die über Lizenzen regulierte Abgabe ist die erste von drei Variante, die dem Staat Steuereinnahmen bringt. Eine weitere ist die Gleichstellung von Cannabis mit Alkohol und Tabak, erst die dritte und letzte nennt sich Legalisierung und beinhaltet die Freigabe des Hanfs.
Welche Folgen das Entstehen einer Cannabis-Wirtschaftzweig nach sich ziehen würde bleibt Spekulation. Die Szenarien reichen von einer völlige Banalisierung der Droge in Richtung eines jugendlichen Massenkonsumprodukts (Alkopops) über die Billig-Fusel-Variante (knallt toll – bis zur Verblödung) bishin zur Connaisseure-Welt, die, ähnlich wie bei hochwertigen Weinen, den Rausch und das dafür nötige Produkt zelebriert. Aus Sicht einer Drogenpolitik, die unter der Prämisse arbeitete, dass jeder Nichtkonsument ein guter Bürger ist, weist diese Art der Regulierung noch weitere Pferdefüße auf. Würde Cannabis eine der Waren im Kreislauf der Konsumgüterindustrie, wäre es auch dessen Gesetzen unterworfen. Gänzlich freigegeben wäre es ein Marketingobjekt, dessen Bewerbung vielleicht offiziell verboten wäre, dessen Konsumenten aber viel zu kaufkräftig wären, um nicht Zielgruppe der Werbestrategie großer Konzerne zu sein. Schon jetzt spiel die Industrie mit den Symbolen der Hanfbewegung, jede Gesetzeslücke würden in Zukunft sicher ausgenutzt werden, um potentielle Kiffer von der ganzen und reinigenden Kraft des göttlichen Krauts zu überzeugen.
Unter strikter Lizenz des Staates würde der Cannabis-Behörde die unheilvollen Rolle eines Dealers zukommen, der an der Abhängigkeit einiger Konsumenten verdient. Diese Doppelmoral ist von Alkohol und Tabak bekannt. Die zweckgebundene Verwendung der Einnahmen aus der Cannabissteuer wäre ein Trost, dessen heilsame Wirkung sich wiederum schwer in Zahlen fassen lässt.
Wie auch immer sich die Politik zukünftig bewegen wird, sie wird weitere Steuerungsverluste vermeiden wollen. Keiner weiß genau zu sagen, ob das Verlangen nach Cannabis nach einer Neuregulierung des Besitzes ansteigen oder nachlassen wird. Die Wissenschaft geht zwar eher davon aus, dass es zunächst leicht ansteigen, sich später aber wieder auf dem gewohnten Niveau einpendeln wird, festlegen lassen will sich da aber aus gutem Grund kein solider Wissenschaftler.
Zieht man dazu noch in Betracht, dass Die Seuche Cannabis (SPIEGEL Titel 27/2004) zur Zeit mal wieder auf einem Hoch der medialen Aufmerksamkeitswelle liegt, die nach dem Prinzip Horror-Droge in Anmarsch für mehr Verwirrung als Aufklärung sorgt, dann sieht es für die Evolution der Drogenpolitik weiterhin mies aus. Dabei wären alle der hier genannten fünf Regulierungsmodelle ein Fortschritt gegenüber der herrschenden Stagnation.
Wie der Staat mit Cannabis umgehen kann
Regulierungsmodell |
Vorgehen |
Vorteile |
Nachteile |
Realisierungsaussichten |
Prohibition mit milderen Strafen (Entpönalisierung I) | – Strafen für Eigenbedarf werden herabgesetzt.– Strafbarkeit des Handels bleibt bestehen. | – Cannabis-Liebhaber werden nicht mehr „sehr hart“ für ihr Hobby bestraft. – Kann ein erster Schritt Richtung Normalisierung sein. |
– Konsum ist weiterhin stigmatisert, Genießer werden bestraft.– Kleinstmöglicher Schritt, der fälschlicherweise als ausreichend angesehen werden könnte.– Polizei u. Gerichte weiterhin stark beschäftigt.
– Schwarzmarkt bleibt. |
– Obwohl nur eine Normierung des Faktischen, da die Gerichte ohnehin schon oft milde Strafen ausstellen, ist eine Realisierung unwahrscheinlich: Die bei Politikern unbeliebte Cannabis-Diskussion wäre ausgedehnt, das Ergebnis dafür minimal. |
Prohibition mit Zivilstrafen (Entpönalisierung II: Geldbuße) | – Konsum und Besitz von Eigenbarf sind keine Straftaten mehr, sondern werden zivilrechtlich behandelt (Ordnungswidrigkeit). – Evtl. werden Geldbußen verhängt.– Der Handel bleibt strafbar. |
– Die Konsumenten sind nicht mehr vorbestraft. – Gerichts- und Polizeikosten fallen.– Hohes Maß an staatlicher Kontrolle möglich. Aus staatl. Fürsorgesicht blieben die Vorteile des prohibitiven Systems bestehen. |
– Wer die Geldbußen nicht zahlt oder sich für unschuldig hält landet doch wieder vor Gericht (50% in Süd-Australien). – Schwarzmarkt bleibt. – Stigmatisierung der Konsumenten bleibt. – Evtl. erhöht Polizei Verfolgunsgsdruck (so in Kanada). |
– Von den Gegnern würde das Schlagwort d. „falschen Signals“ aus der Mottenkiste der längst widerlegten Argumente gezerrt werden.– Den fallenden Gerichtskosten würde der Verwaltungsaufwand der Ordnungsämter gegenüberstehen (so in Spanien seit 1991). |
Prohibition mit Zweckmäßigkeitsklausel (Entpönalisierung III: Niederlande) | – Der Besitz von bis zu 5g wird nicht verfolgt, obwohl er als Straftat gilt.– Bei über 5g Geldstrafen, bei über 30g Ermittlungsverfahren.– Coffeeshops dürfen 5g pro 18-jähr. und Tag verkaufen. | – Seit 25 Jahren erprobtes Modell. – Zumindest i. d. Niederlanden kein Anstieg der Konsumentenzahlen . |
– Übertragbarkeit des Modells unsicher. – Rechtlich wässrig: Besitz illegal, aber erlaubt. – Coffee-Shop Hintertür-Problem. – Händler mit einem Bein im Gefängnis. |
– Aufgrund der rechtlichen Unklarkeit in Deutschland unerwünscht.– Obwohl das niederl. Modell als erfolgreich gilt, haftet ihm aus Sicht der Prohibi- und Präventionisten der wilde Duft der Anarchie an. |
Partielle Prohibition (Entkriminalisierung) | – Besitz kleiner Mengen für Erwachsene (10-40g) legal. – Besitz von bis zu 5 Pflanzen pro Haushalt legal. – Non-profit Weitergabe unter Erwachsenen erlaubt. – Kein Konsum in der Öffentlichkeit. |
– Keine vorbestraften Kiffer. – Entlastung von Polizei u. Gerichten. – Tauschnetzwerke etabl. sich. – Abschreckung bleibt, da Handel und Produktion gr. Mengen illegal bleiben. – Entemotionalisierung möglich. – Drogenaufklärung glaubwürdiger. – Flexibles Modell, kann rückgängig gemacht werden. |
– Die „Droge“ Cannabis bleibt verboten: der Schwarzmarkt bleibt bestehen. – Was ist mit männl. Pflanzen? – Vielfalt eingeschränkt: Tendenz zu großen und potenten Pflanzen möglich. – Für starke Raucher bleibt Verfolgungsdruck bestehen. |
– Trotz bestechender Logik würde das Modell als „Legalisierung“ gebrandmarkt werden. – Politik hat Angst vor „Schleusenfunktion“. – Die Crux ist der Eigenanbau: Dieser ist politisch kaum durchzusetzen, aber ohne ihn bleibt die Versorgung illegal. – International eher zu realisieren, als in Deutschland. Aus positiven Auslandserfahrungen könnten Inlandsdruck resultieren. |
Lizensierung (Regulierte Abgabe) |
– Vergabe von Kiffer-Lizenzen. – Kiffer werden registriert und dürfen festgelegtes Quantitätslimit nicht überschreiten.– Cannabis-Industrie oder Behörde leiten Coffee-Shops.– Zentr. Datenbank erfasst Käufer. – Entzug der Lizenz bei Vergehen. |
– Qualität ist gewährleistet.– Geschultes Personal verkauft.– Steuerneinnahmen.
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– Überwachung der Raucher: Orwellscher Staat.– Arbeitgeber, Versicherungen usw. mit Zugang zu dem Register?– Austrocknung des Schwarzmarktes unsicher.
– Neuer Behördenwasserkopf. |
– Ein Modell mit dem Charme des überdrehten Rechtsstaates. Von daher in Deutschland nicht ganz unwahrscheinlich.– Gegenargument wird sein: „Staat darf nicht zum Dealer werden.“ |
Partielle Regulierung (Cannabis gleicht Alkohol und Tabak) |
– Spezielle Behörde registriert Cannabis-Bauern.– Diese Behörde legt Steuern, Etikettierung, Reinheit und Potenz des Cannabis fest.– Lizensierte Abgabstelle verkaufen (an Erwachsene).
– Keine Werbung, kein öff. Konsum. |
– Schwarzmarkt wird nahezu stillgelegt.– Qualitätskontrolle.– Steuereinnahmen.
– Glaubwürdige Drogenpolitik möglich: Drogenkonsum ist Teil der Gesellschaft. – Polizei u. Gerichte sind entlastet.
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– Der Staat verdient an den (wenigen) Cannabisabhängigen.– Ist Eigenanbau legal? Wenn ja, dann müsste dieser wie heute das „Bierbrauen im Privatkeller“ gelöst werden. | – Gering, da zu weit vom beliebten und herrschenden Modell der präventitiven Prohibition entfernt.– Noch eine Droge in der stets suchtgefährdeten Konsumgesellschaft? Das wollen wie wenigsten CDU u. SPD-Abgeordneten ihrem Wahlkreis erklären wollen: Zu anstrengend, zu wenig neue Wähler. |
Legalisierung (Freigabe mit Qualitätskontrolle) |
– Das entscheidenste Drogengesetz ist das von Angebot und Nachfrage.– Steuern werden erhoben.– Cannabis ist ein Lebensmittel.
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– Preis und Qualitätskontrollen sind dem Markt überlassen.– Schwarzmarkt bricht zusammen.– Polizei- und Gerichte mit mehr Zeit fürs Wesentliche.
– Trennung der Märkte. |
– Werbung ist –wenn auch wie bei Tabak- möglich.– Wirtschaft und Staat verdienen an der Abhängigkeit.– Wie wird das Konsumverbot für Jugendliche geregelt? | – Nach kosmischer Zeitrechnung gut, nach irdischen Maßstäben gleich Null. |