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Drogenpolitik

Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain

Telepolis, 7. Januar 2006

Update am 17.07.2009

Mal ganz unten, mal ganz oben, aber immer: Kokain

Dieses Mal traf es Kate Moss. Es reicht: Eine Polemik für mehr Langeweile

Jedes Jahr braucht einen Kokain-Skandal. Anfang der 90er Jahre traf es Carlo von Tiedemann vom NDR, 1995 den Musiker Konstantin Wecker, im Jahr 2000 Fußballtrainer Christoph Daum, dann, drei Jahre später den Kontakt-Talker Michel Friedman. Die Reihe lässt sich fortsetzen: 2003 Kunstmaler Jörg Immendorf und zuletzt, Ende 2005, Kate Moss. Zwischendurch tauchten immer mal wieder Maradonna, Whitney Huston oder irgendein Münchener Promi-Sternchen auf, das auf der Wiesn allzu auffällig den Einkehrschwung nahm.

Was verbindet alle diese Menschen? Ihr Vergehen, Kokain, nasal, und sie haben sich erwischen lassen. Zufallstreffer, so stellt sich nach einer ersten Phase des Leugnens heraus, sind das nicht, die ertappten Schnupfer sind meist passioniert, sie wissen sehr wohl, wie man mit Briefchen, Spiegeln und gerollten Geldscheinen hantiert. Was sie unterscheidet, ist die Intensität ihres Hobbys. Es gibt Fans und fanatische Anhänger, reflektierte Aficionados und blinde Schwärmer. Aus einem Steckenpferd ist bei einigen eine Passion, bei anderen eine Sucht geworden.

Kokain, wie viele andere Drogen auch, steht noch immer unter dem Ruf einer „Teufelsdroge“. Um ihren vom Wohlwollen der Mitbürger und Medien abhängigen Job weiter durchführen zu dürfen, sind die Erwischten in jedem Fall gezwungen, den reuigen Sündern zu spielen. Seltsamerweise fällt ihnen die Schädlichkeit ihres Tuns und ihre Vorbildfunktion aber immer erst dann auf, wenn sie am öffentlichen Pranger stehen.

Anwälte und PR-Berater geben in allen Fällen ein zweistufiges Vorgehen vor: Auf den Boden werfen, um Gnade bitten und im selben Atemzug Besserung geloben. Zunächst fallen dann Worte wie „großen Fehler gemacht“, „schwere Zeit“, „verlogene Drogen“, später wird um eine „zweite Chance“ gebeten. Als Beweis dient der Rückzug in Klausur, heute Entzugsklinik genannt, wo die Delinquenten auf wundersame Weise binnen vier Wochen von ihrer Sucht geheilt werden. Entweder gibt es in diesen Wellness-Kliniken noch bessere Drogen, als alle ahnen, oder aber es stehen Entzugspraktiken zur Verfügung, von denen die gesamte Therapiebranche bisher nichts gehört hat und von denen Junkies in Geldnot nur träumen können.

Die Wahrheit ist eine andere. Die Katharsis ist nur eine symbolische, auch in Parkanlagen eingebetteten, hochglänzenden Zimmern kann nur die erste, dem starken Kokainkonsum eigene Paranoia überwunden und der Same für eine Besserung gepflanzt werden – wenn denn überhaupt eine Abhängigkeit vorgelegen hat. Eine neue Haltung zur Droge kann nur in längerer Arbeit gefunden werden. Egal, der Sündenbock büßt für uns alle, die wir, mit der Fernbedienung in der Hand, den Medikamenten auf dem Nachttisch und dem Doppelkorn im Gefrierfach nach dem Fall der Stars lechzen. Es ist wie Formel 1 schauen: Die Jungs sollen sich ordentlich überschlagen, aber körperlich unversehrt bleiben.

Kokain ist die Chemie der Ich-AG.

Aber halt, werden hier nicht unerlaubterweise alle Drogen über einen Kamm geschert? Werden hier nicht Äpfel (Kokain) mit Birnen (Korn) verglichen. Gibt es nicht gefährliche und weniger gefährliche Substanzen? Die Antwort soll über einen Umweg erfolgen.

Profi-Brutzler Eckart Witzigman, Fritz „Harry fahr schon mal den Wagen vor“ Wepper: Sie alle waren im Schneegestöber versunken; und auch im kommenden Jahr wird wieder ein Promi beim Schniefen erwischt werden.

Die bunte Welt sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Kokain ist unter den vielen auf dem Markt erhältlichen legalen und illegalen Drogen auch unter den „Experten“ umstritten. Experten, damit sind hier nicht nur die Männer in weißen Kitteln gemeint, sondern diejenigen, die wissenschaftliche Daten und subjektive Erfahrungen haben oder solche zumindest ernst nehmen. Die meisten Konsumenten erfreuen sich an der treibenden Kraft des Pulvers, das auf dem deutschen Markt selten in Reinheitsgraden über 50% anzutreffen ist.

Selbst die dem Kokain positiv gegenüberstehenden Nutzer geben allerdings an, dass schon die zweite Nase am Abend oft zu dem Phänomen der „Großen Fresse und nichts dahinter“ führt: Es würde themenleer gelabert und meist ginge es nur darum zu beweisen, wer der wichtigere Typ in der Runde sei. Die fluffige Stimmung sei dann oft dahin, der Geltungsdrang passe gut zur auch körperlich spürbaren Verhärtung.

Das Gefühl der inneren Größe sei jedem gegönnt, nur passt Kokain seit Jahrzehnten eben auch aus soziokultureller Sicht gut in die westliche, Ich-bezogene Gesellschaft. Das große Teilen setzt bei Kokain nicht an, geschnupft wird nicht nur aus Gründen der Illegalität meist heimlich. Kokain ist die Chemie der Ich-AG. Eine Nase reicht in den meisten Kreisen nie, eher als bei anderen Substanzen ist beim Schnupfpulver die Gier nach immer mehr eingebaut. Die Haltlosigkeit ist Teil des Spiels. Das ist für erfahrene oder gar mündige Konsumenten kein Problem, sie wissen, dass auch dieser Rausch nur eine weitere Spielart der vielgestaltigen Zusammenhänge zwischen Natur und Mensch ist, vielleicht auch nur eine weitere freudige Illusion.

Aber in den konsumwütigen Industrienationen rieselt dieses Pulver in die Nischen des menschlichen Bewusstseins, das am gleichen Schalter, an dem das Wochenendticket gezogen wurde schnell die Monatskarte kaufen will. Selbsterhellung und Selbstverblendung liegen nie weit auseinander.

Die im Zusammenhang mit Kokain immer wieder zitierten 20er Jahre haben das gezeigt, was viele der starken Koks-Abonnenten selber erleben: Nach der ersten Glamour-Phase zeigt die Substanz ihre Schattenseiten. Wer nicht in der Lage ist, der maßlosen Gier Einhalt zu gebieten betreibt schnell Raubbau am Körper.

Ausgeblendet bleiben Herkunft und Hintergrund der Herstellung der Droge

Nicht nur Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein fühlen durch Sternenstaub ungewohnte Stärke und Sicherheit, am nächsten Tag ist das Jammertal umso tiefer. Regelmäßiger Kokaingenuss setzt den Finanzen zu, aber damit hat, wie wir aus Bunte und Gala wissen, ja nicht jeder ein Problem. Schlimmer ist, dass der häufige Konsum der Gesundheit nicht zuträglich ist, selbst wenn die Droge nicht körperlich abhängig macht. Wie so oft ist die Ursprungs-Droge, das Blatt des südamerikanischen Coca-Strauches (Erythroxylum Coca)[1] , milder in Wirkung und Auswirkung als das raffinierte Produkt.
Auch aufgrund der psychischen Nachwehen von Kokain kontrolliert der größere Teil der Kokain-Konsumenten ihren Konsum durch schadensminimierende Regeln und beschränkt ihn auf bestimmte Gelegenheiten.

Ausgeblendet bleibt nicht nur bei den Genießern von Kokain die Herkunft und der ökologische Hintergrund der Herstellung ihrer Droge. Kein echter Weinliebhaber lässt sich verschnittenen Fusel vorsetzen, den meisten Koksenden, Rauchenden und Kiffenden ist es dagegen völlig egal, welche geographische Herkunft und Geschichte hinter ihrem Freizeit-Medikament steckt. Dabei wäre dies für die Ausbildung einer alternativen und vernünftigen Drogenkultur und Politik wichtig. Einigen Befürwortern einer Legalisierung von Drogen, wie beispielsweise dem verbreiteten Cannabis, ist klar, dass das Ziel eine Art Öko- und Fair-Trade-Siegel für marokkanisches Haschisch sein müsste. Die Illegalität der Drogen und der Fatalismus der Konsumenten lässt den Zug seit Jahrzehnten aber in eine ganze andere Richtung fahren.

Eigentlich müsste den Konsumenten von so manchem High schlecht werden: Vom Opium- und Heroinhandel ist bekannt, dass mit den erwirtschafteten Geldern Terroraktionen und Freiheitskämpfe finanziert werden (wobei hier der Raum fehlt, das genauer zu unterscheiden). Wie Berndt G. Thamm und Konrad Freiberg nachweisen, treibt der Deal „Rauschgift-gegen-Waffen“ seit drei Jahrzehnten die Kriegsschauplätze an.[2] Die bei der Kokainherstellung benötigten Chemikalien werden im Urwald entsorgt, die von den Anti-Drogen-Einheiten eingesetzten Entlaubungsmittel setzen den Wäldern zu. Aber darüber wollen die Liebhaber von Psychoaktiva, die gerne von „Bewusstseinsveränderung“ sprechen, nicht nachdenken.

Nach Analysen von Flusswasser müssen Heerscharen von Menschen dem Kokain verfallen sein

Als im November 2005 die Ergebnisse der Studie des Nürnberger [extern] Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung (IBMP) bekannt wurde, ging zwar ein verwundertes Augenreiben durch die Bevölkerung, an drogenpolitische Konsequenzen dachte aber niemand. So richtig wollte man es lieber nicht glauben, was das IBMP veröffentlichte: Im Wasser von allen 12 untersuchten, durch Deutschland fließenden Flüssen fand das Institut das Kokain-Abbauprodukt Benzoylecgonin. Anhand der Konzentrationen können die Forscher auf die konsumierte Menge der Droge schließen, denn Benzoylecgonin entsteht nur durch Kokainabbau im Körper.

Glaubt man den Ergebnissen, müssen alle offiziellen Schätzungen über die Verbreitung des Pulvers über den Haufen geworfen werden. Die kleine Gruppe der Dauerkonsumenten jedenfalls ist selbst bei bester Beschaffenheit der Nasenscheidewand gar nicht in der Lage, diese Mengen von Koks zu konsumieren. Es muss eine große Gruppe von Normalbürgern geben, die, ohne zu Zombies zu mutieren, gerne Mal den Geldschein rollen.

Einige wundersame Ergebnisse hat die Studie, die 250 Wasserproben entnahm, erbracht: So wird nicht in den als wild geltenden Großstädten Hamburg (Elbe) oder Berlin (Spree) das meiste Kokain genossen, sondern am Rhein bei Köln und Düsseldorf. Auch in der Fulda fanden sich mehr Abbauprodukte als beispielsweise im Main bei Frankfurt.

Die Zahlen passen hinten und vorne nicht mit den bisherigen Annahmen über Kokainkonsum zusammen. In Behörden und Universitäten ging man bisher davon aus, dass rund 0,8% der Bundesbürger gelegentlich Kokain nehmen. Am Rhein wären der Studie nach aber für die 128.000 danach in Frage kommenden Kokser täglich 16 Lines à 25 Milligramm fällig. Das ist ’ne Menge. Ist der Karneval schuld?

Im Neckar bei Mannheim lagen die Werte noch höher. Die Söhne und Töchter Mannheims lassen es sich gut gehen, pro tausend Einwohner werden hier täglich 25 Lines gelegt. Der Leiter der Studie, Fritz Sörgel, winkt ab: „Daraus kann man nicht schließen, dass Mannheim eine Kokshochburg ist. Unsere Daten spiegeln lediglich wider, welche Mengen Kokain vom Flussursprung bis zur Messstelle eingebracht wurden.“ Es ist keine Neuigkeit, dass die Rüsselfraktion vor allem am Wochenende aktiv ist, Sörgel ist sich sogar sicher, dass „am Wochenende mindestens doppelt soviel Kokain konsumiert wird wie unter der Woche.“

Die deutschen Ergebnisse sind mit denen aus der Schweiz vergleichbar. Auch hier testete Sörgels Team das Flusswasser vor und hinter Klärwerken und im frei fließenden Fluss. Die Zürcher haben die Nase vorn, auf 1.000 Einwohner kommen hier 17 Lines am Tag. In der Schweiz geht es hoch her, jährlich sollen hier zwei (reine) Tonnen verbraucht werden. Zum Vergleich: Die weltweite Kokain-Produktion wird zurzeit auf 600-700 Tonnen geschätzt, das meiste davon kommt aus Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Schweizer Ergebnisse passen wie in Deutschland in keiner Weise mit den Erhebungen der Behörden zusammen. Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit hatte bisher angenommen, dass nur rund 96000 Eidgenossen regelmäßig Kokain konsumieren, rund 13% davon als schwer Abhängige.

Um keiner Phantomsubstanz hinterher zu jagen, benötigte das IBMP einen Fluss, der nicht mit Benzoylecgonin kontaminiert war. Nach langer Suche in ganz Europa fand man ihn im Osten: In den rumänischen Teil der Donau fließt zwar ebenfalls Abwasser, Benzoylecgonin aber war nicht zu finden.

Messfehler, falsche Annahmen oder weite Verbreitung?

Es bleiben drei Möglichkeiten: (1) Entweder befinden sich Deutsche, Schweizer und auch andere Europäer in einem regelmäßigen, aber anscheinend geregelten Kokainrausch, oder (2) es ist sehr viel mehr reines Kokain im Umlauf als angenommen oder aber (3) der Messaufbau hat einen Fehler.

Um hinten anzufangen: (3) Andere Einstehungsprozesse für Benzoylecgonin als im Körper sind zwar nicht bekannt, das Institut gilt als integer, es hat schließlich schon im Wischwasser der Bundestagstoiletten Kokain gefunden. Aber: Mit der gleichen Messmethode hatten Forscher im italienischen Po ebenfalls reichlich vom Kokain-Abbauprodukt analysiert. Schon damals hatte man sich im Weinland Italien gewundert. Auch die Rolle des Regenwassers und die Filterung durch Äcker, Felder und Flusslauf muss noch genauer geklärt werden. Die Rechnung hat ein paar weitere Unbekannte: Um auf die Gesamtmenge an konsumiertem Kokain zu schließen, rechnete das Team um Sörgel die Abbaumengen in ihren Proben zunächst auf einen Tag hoch – und zwar anhand der Wassermenge, die zum Messzeitpunkt pro Sekunde flussabwärts geflossen ist. Die daraus berechnete Menge an Benzoylecgonin multiplizierten sie noch einmal mit dem Faktor 4,19, da laut Sörgel nur etwa ein Viertel einer Kokaindosis als Abbauprodukt mit dem Urin ausgeschieden wird. Zudem hatten die Chemiker am Beispiel des Klärwerks in Heroldsberg bei Nürnberg ermittelt, dass etwa 80 Prozent des Benzoylecgonins durch das Klärwerk zerstört werden.

(2) Der [extern] Reinheitsgrad von Straßen-Koks wird zurzeit von den Behörden bei durchschnittlich 40-50% angesetzt. Schon das ist positiv gedacht, in der Realität dürfte er niedriger sein und bei rund 30% liegen.

(1) Selbst wenn man die Zahl der Hardcore-User und die Zahl der Hobby-Schniefer verdoppelt, ergeben sich gänzlich neue Aussichten. Die von den Therapeuten beäugte Gruppe der schwer abhängigen Kokser kann gar nicht alleine für das Ausmaß der „drogenpolitischen Katastrophe“ zuständig sein. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen lassen, gibt es eine alte, für viele aber immer wieder neue Variante: In Deutschland und den Anrainerstaaten koksen viele Menschen – ab und zu. Und wie immer man die Ergebnisse auch dreht und wendet, der Anteil wird sich bei einer Verbesserungen der Messmethoden eher noch erhöhen.

Was aber bedeutet es für die Drogenpolitik, dass anscheinend viel mehr Menschen als bislang von den offiziellen Stellen angenommen öfter Kokain zu sich nehmen? Die Antwort ist leicht, sie lautet: gar nichts. Die Drogenpolitik brät im eigenen Saft und man sollte vielleicht dafür dankbar sein, denn das wenige, was ihr in solchen Situationen einfällt, ist ohnehin meist eine Erhöhung der Strafen für Konsumenten und Anbieter.

Schieflage der Drogenpolitik

Interessant wäre doch zunächst einmal zu erfahren, wer diese vielen Menschen sind, die auf deutschem und europäischem Boden die Andendroge genießen: Hängen gebliebene Multikultis? Die vielgescholtenen Werber? Die Größen und die Kleinen der Filmbranche? Hält man sich an die Erhebungen, so ist Kokain eine Droge, die quer durch alle Alters- und Einkommensschichten konsumiert wird. Medial auffallen tun meist nur die Glamour-Branchen, aber Kokain ist in den Clubs der Städte seit Jahren etabliert und hat gerade bei den älter gewordenen Ravern und Disco-Hengsten Ecstasy abgelöst, wenn der ganze Brei nicht sowieso munter durchmischt wird: Eine „E“ zum Warm-Werden, etwas Koks zum Frisch-Bleiben, zwei-drei Bier nebenbei zum Plaudern und ’ne Sportzigarette zum Runterkommen.

Es kann nun darüber gestritten werden, in wie weit man so einen Konsum als „geregelt“ bezeichnen kann, Fakt ist, dass anscheinend eine Menge mehr Fans als bisher angenommen am Wochenende ihre Party durchziehen und unter der Woche gleichwohl das Bruttosozialprodukt nach oben schrauben.

Schon Mitte der achtziger Jahre kam es zu einem drastischen Anstieg des Kokain-Angebots in Deutschland. Die Preise fielen um mehr als die Hälfte, bis Ende der neunziger teilweise auf ein Drittel bis ein Viertel dessen, was noch zu Beginn der Kohl-Ära hingeblättert werden musste. Die Folge: Immer größere Konsumentenkreise wurden erschlossen. Das lockte nicht nur Biedermänner, sondern auch die eh hochgefährdete Gruppe der Heroin- und Methadonkonsumenten, die den Kick des injizierten oder gerauchten Kokains mögen. Dies stellte schnell die Substitutionsprogramme in Frage, denn, was macht es für einen Sinn, wenn zwar der Beschaffungsdruck für Heroin wegfällt, die „Lust“ auf den Kick aber bestehen bleibt und sich auf Kokain verlagert?

Wie aber nun mit den verschiedenen Kokain-Gruppen umgehen? Es gilt wie bei allen anderen Drogen auch: Den einen muss geholfen, die anderen wollen in Ruhe gelassen werden. Es ist eine weithin bekannte, aber aus guten Gründen verdrängte Ironie, dass ausgerechnet die Gesetze, die ursprünglich zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erlassen wurden, sich heute gegen alle Benutzer von illegalen Drogen wenden.

Diese Benutzer lassen sich in die genannten zwei Gruppen einteilen: Die einen sind die oft verelendeten Süchtigen. Für die braucht man nicht einmal entscheiden, ob die Kriminalisierung ihres Drogengebrauchs ihre Lage nur noch schlimmer macht – und das sieht so aus. Nein, selbst wenn man das verneint, zeigen die Erfahrungen mit den bisherigen Versuchen der freien Substanzabgabe (Stichwort: Heroinversuch), dass sich soziale Schieflagen stabilisieren und ein Ausstieg aus der Sucht eher möglich, wenn, wie oben beschrieben, nicht garantiert ist.

Die andere Gruppe hat – und das ist das große Tabu von Politik und Gesellschaft – ihren Frieden mit einer geistbewegenden Substanz geschlossen, sie hat Spaß daran, sich ab und zu aus dem Irrsinn, der sich Alltag nennt, heraus zu bewegen.

Die Drogenpolitik ignoriert diese Menschen und ist ganz versessen auf die nachweislich viel kleinere Gruppe an Süchtigen, die von einer Heerschar von Therapeuten umsorgt wird. Warum? Zum einen sicher, weil diese Menschen Angst machen, weil sie Mitleid erregen und man helfen will. Zum anderen, weil sich hier Wählerstimmen fangen lassen, denn beim Thema „Drogen“ fällt Omi bekanntlich noch immer der Löffel in den Kaffee. „Rübe ab“, so der Ruf, dabei gibt es aus ökonomischer Sicht keinen Unterschied zwischen einem „Zigaretten-Dealer“ und einem „Kokain-Hersteller“. Der macht sich allein an der Moral und den wissenschaftlichen Erkenntnissen fest – und auch die sind voneinander abhängig.

Das Drogenproblem ist ein Problem der Neuzeit

Moral, das heißt in Deutschland Abstinenz-Paradigma, protestantisches Arbeitsethos und Herrschaftssicherung. 2000 Jahre christliche Glaubensmoral bedeuten, nüchtern und demütig auf das Paradies zu warten und den fleischlichen Lüsten zu entsagen. Ökonomische Moral, das heißt im Kapitalismus natürliche Neugier möglichst schnell in Bares zu transformieren. Politische Moral heißt dann Tabakanbau zu subventionieren und über die vielen Raucher zu jammern. Gesellschaftliche Moral heißt beim sechsten Jägermeister die kalte Erregung über Kate Moss zu genießen. Individuelle Moral heißt den Alibert mit Medikamenten vollzustopfen, anstatt die Ernährung umzustellen.

Man braucht gar nicht von „erkenntnisgeleiteter Forschung“ und „herrschenden Paradigmen“ fachsimpeln, um die Relativität oder gar Windigkeit von manchen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erfassen. Es ist noch keine 40 Jahre her, da sollte Masturbation zwangsläufig zu Rückenmarkkrebs führen. Interessant ist doch zweierlei: Das „Drogenproblem“ ist ein Problem der Neuzeit und hier vor allem des letzten Jahrhunderts. Trotz aller Bemühungen ist es nicht in den Griff zu bekommen, im Gegenteil, fast scheint es, als ob mehr Druck (egal auf wen in dem Kreislauf) den Drogengebrauch nur noch anheizt. Aber selbst, wenn man das nicht so sieht: Heute ist man sich einig, dass die Drogenpolitik eines Landes nur wenig Einfluss auf die Konsummuster hat. Da braucht nämlich am anderen Ende der Welt nur irgendein Rapper den Vollrausch propagieren, schon geht in Deutschland die Luzie ab.

Ob Cannabis, Kokain oder LSD: Seit Jahrzehnten weisen Forscher aus der ganzen Welt in ihren Veröffentlichungen mal auf die Schädlichkeit, mal auf die Unschädlichkeit und dann sogar auf die positiven Eigenschaften pflanzlicher Inhaltsstoffe oder chemischer Substanzen hin. Während die einen von der „Seuche Cannabis“ oder LSD-Psychosen sprechen, weisen die anderen auf die therapeutischen Eigenschaften der Substanz hin. Weltweit agieren Vereine, die unter dem Titel „Cannabis als Medizin“ den Stoff an die bedürftige Frau bringen wollen. Ja, wie denn nun? Die Lösung ist einfach, altbekannt, gilt für alle Substanzen und beantwortet auch die oben aufgeworfene Frage nach gefährlichen und weniger gefährlichen Drogen: Die Dosis macht das Gift.

Das Problem ist halt nur: Für eine angemessene Dosierung ist in dieser Gesellschaft bisher kaum Platz. Es gibt keine harten und weichen Drogen, es gibt nur harte und weiche Konsummuster. Die ausdifferenzierte Weinkultur bricht an ihren Rändern eben auch ab und generiert den Alkoholismus. Hier hat man aber eher einsehen wollen, dass die pharmakologische eine soziale Frage ist.

So wichtig das mit besten Methoden eruierte Wissen über Chemie und Struktur von Substanzen auch ist, Menschen funktionieren nicht wie Maschinen, das Wirkungsspektrum, mehr noch die (eventuell positiven, eventuell negativen) Langzeitfolgen werden maßgeblich von der individuellen Persönlichkeit bestimmt. Diese zu einem mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen, Medikamenten und veränderten Bewusstseinszuständen zu bringen, dürfte eine der wichtigen Aufgaben der kommenden Jahrzehnte sein.

Update v. 1.11.2007
Die Schweizer Tennisspielerin Martina Hingis wurde beim Tennisturnier in Wimbledon positiv auf Kokain getestet.

 

 

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Drogenpolitik

Abstinenz:– von der christlichen Idee zur Richtlinie der Politik

Hanfblatt Nr. 119

Wie die strenge Enthaltsamkeit zum Leitbild der modernen Drogenpolitik wurde

Die zentrale Bedeutung und zugleich Zweischneidigkeit des Abstinenzgedankens wird in der aktuellen Diskussion um die Heroinabgabe an Schwerstabhängige sehr deutlich. CDU/CSU wehren sich seit Jahren gegen die Abgabe, weil, so beispielsweise die drogenpolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Maria Eichhorn (CSU), „die Heroinbehandlung zu einer Dauerabgabe des Suchtstoffs führt, das Ziel der Abstinenz wird dabei aus den Augen verloren“. Das Ideal der Enthaltsamkeit wird also über die menschenwürdige Behandlung der Patienten gesetzt. Warum?

Weil, so antwortet die abstinenzorientierte Therapietheorie, die Abstinenz für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen prognostisch die besten Aussichten bietet. Zugleich sei nur der von der Drogen entwöhnte Patient überhaupt in der Lage eine Therapie anzutreten. Die akzeptierende Drogenarbeit weist dagegen darauf hin, dass es auf der praktischen Ebene darum geht, den Drogengebrauch derer zu akzeptieren, die ihren Konsum derzeit nicht aufgeben wollen oder können.

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Breitet man das Abstinenzparadigma über den Kreis der Schwerstabhängigen aus, muss man sich über den neuen Steuermann im klaren sein, den man sich dort an Bord holt. Dieser visiert ein weit entfernt liegendes Ziel an, nämlich die gänzlich drogenfreie Gesellschaft – auch wenn damit nur die illegalen Drogen gemeint sind. Nun spricht nichts dagegen einem Ideal zuzustreben, solange die Kolletaralschäden auf dem Weg nicht zu groß sind. Eine völlige „Suchtmittel“-Freiheit impliziert jedoch nicht nur den totalitären Staat, der mit seinen Überwachungsorgangen darauf achten, dass alle schön brav sind. Mehr noch beraubt sie sich der Potentiale, die in der korrekten Anwendung von „Drogen“ stecken.

Ein Blick in der Historie der Abstinenzidee zeigt ihre gleich mehrfache Verquickung: Eine Verquickung mit christlich orientierten Glaubensgeboten, eine Verquickung mit protestantischem Arbeitsethos und eine Verquickung mit der Ideal der ständigen Selbstkontrolle.

Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass das Problem der „Sucht“ ein neues ist. Bis in die Neuzeit hinein gibt es weniger Hinweise darauf, dass Menschen Abhängigkeitserscheinungen zeigten. Gleichwohl galt beispielsweise Alkohol schon immer als Droge, die soziale Probleme versursachen kann. Das griechische Schriffttum ist voll von kritischen Schilderungen von Trinkexzessen und dem Lob der Mäßigung. Schon damals wurde vor der Trunksucht gewarnt. Allerdings wurde Wein meist nur verdünnt getrunken. Gesetze gegen Drogenkonsum gab es kaum.

Während des 16. Jahrhunderts nahm besonders in Deutschland die Sorge zu, die Menschen würden zuviel trinken. Ganze Bücher erschienen, entweder, um das Saufen zu loben oder aber es zu verdammen. Andere Drogen waren von diesen Auseinandersetzungen nicht betroffen. Luther kam 1520 zu dem Schluss, dass das Laster der Trunksucht mit geistlichen Worten nicht beizukommen sein und das möglicherweise die weltliche Macht einschreiten müsse.

1606 wurde in England Trunksucht das erste Mal zu einen Verbrechen erklärt. Es ist bis heute unklar, tatsächlich viel mehr getrunken wurde als früher, oder aber ob die Verbreitung des Buchdrucks nur die Beschreibng des trunkenen Alltags förderte. Zugleich gab es lange eine breite Verwendung von Alkohol als Medizin. So galt der gegeißelte Brandwein eben auch als universelles Therapeutikum, als aqua vitae (Lebenselixier).
Bei der Verbreitung der Alkohol-Probleme spielten die technischen Möglichkeiten, namentlich die Destillation, eine Rolle. Damit konnte der Alkoholgehalt von rund 15% auf 50% gesteigert werden. Sie verbreitete sich seit dem 13. Jahrhundert langsam in Europa. Ein Phänomen, das sich seither bei Drogen immer wieder zeigt: Die Purifizierung bringt Probleme der Dosierung mit sich. Die Gin-Epidemie in England (um 1750) rief der Gesetzgeber auf den Plan. Gleichzeitig gab es Freischnaps für die Matrosen, später wurden den Fabrikarbeiter ein Teil des Lohnes in Branntwein ausgezahlt.

Es entstand das, was heute „Elendsalkoholismus“ genannt wird. Zwischen 1850 und 1900 rief diese soziale Akteure auf den Plan, die die Geschicke der Drogenpolitik bis heute beeinflusst: Die Abstinenzbewegung (temperance movement). Aus ihrer Sicht war die Ursache des Elends der unteren Klassen weniger in ihrem unterdrückten Zugang zu den Produktionsmitteln (Marx) oder der Ausbeutung durch die Unternehmer zu sehen, sondern im allein im Alkoholkonsum. Grund für den Konsum sei mangelnde Tugendhaftigkeit, also die fehlende Orientierung an höheren Zielen, namentlich Gott. Die fest im Christentum, (in den USA vor allem im Methodistentum) verankerte Abstinenzbewegung geißelte den Alkohol als Teufelswerk und konstruierte einen klassischen Sündenbock.

Der Virus griff schnell um sich. Die Guttempler wurden 1851 in den USA als Abstinenzorganisation unter dem Namen „Order of Good Templars“ gegründet. Weitere Organisationen schossen in den USA und in Europa aus dem Boden. 1869 gründete sich in den USA die „Prohibition Party“, vier Jahre später die „Woman’s Christian Temperance Union“, wieder später ging daraus die „Anti-Saloon League“ hervir. Man darf die Rolle der damaligen organisierten Erregungsclubs nicht unterschätzen: Die Liga der Abstinenten war eine der wichtigsten sozialen Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und Europa. In der Schweiz waren beispielsweise 60.000 Menschen in Abstinenzvereinen organisiert. Der einflussreiche Baseler Psychologie-Professor Gustav von Bunge fordert 1880 ein Alkoholverbot für die gesamte Bevölkerung.

Die Nachricht an die Menschen war klar, gegen den Alkohol gäbe es nur eine Kur: „Abstinenz für den einzelnen und Prohibition für das Volk“ (T.S. Arthur). So glitten nicht nur die USA, sondern auch Norwegen, Finnland, Russland und weitere Länder durch die Abstinenzbewegung in ihr größtes drogenpolitisches Abenteuer: Die Prohibition. Der Ausdruck bezeichnet heute meist die Zeit zwischen 1920 und 1933 in den USA, in der der Konsum von Alkohol verboten war.

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Nebenbei bemerkt: Ganz erfolglos war die Prohibition ja gar nicht: In der Arbeiterklasse ging der Alkoholkonsum tatsächlich drastisch zurück. Er erhöhte sich allerdings unter Jugendlichen und Frauen im eher mittelständischen Millieu. Und natürlich gebar den Schwarzmarkt miesen Fusel und förderte die Kriminalität. Mit dem Ende der Prohibition verschwanden die Parteien und viele Organisationen, manche, wie die Guttempler und das Schweizer Blaue Kreuz, sind geblieben und predigen noch heute Wasser. Ohne die soziale Arbeit, die die Vereine bis heute leisten, diskreditieren zu wollen – ihr geistesgeschichtlicher Hintergrund ist dem Ideal der christlich motivierten Selbstkontrolle verpflichtet. Das Überwinden der Schranken der Zivilisation ist alleine auf Gottes Wegen erlaubt. Von daher steht der Rausch in schlechtem Ruf bei ihnen.

Aber die Abstinenzidee speist sich nicht nur aus der Abstinenzbewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern zumindest bei temporärer Ausführung auch aus der sehr viel älteren Idee, mit den Produkten der Natur bewusst umgehen zu müssen. Das umfasst nicht nur Arzneimittel, sondern auch die Nahrung. Noch heute zeugt die Fastenbewegung von einer Mäßigungskultur, die sich als Gegenpol zur Überflussgesellschaft und weniger als Zuarbeiter gesamtprohibitiver Bestrebungen sieht.

Und es stimmt ja auch: Enthaltsamkeit ist kein grundsätzlich schlechter Berater, im Gegenteil. Das Lossagen von den Dingen ist nicht nur spirituelle Übung der Asketen, sondern überlegenswerte Strategie gegen die ewigen Konsum- Aufforderungen, aber auch psychosozialen Anforderungen durch Staat, Freunde und Verwandte. „Nein“ sagen fällt vielen schwer.

Um zu dem anfänglichen Beispiel der Heroinabgabe zurück zu kommen: Abstinenz kann kein erstes Behandlungsziel sein, die Rückfallquote ist einfach zu hoch. Auf der anderen Seite ist eine Rückkehr in den kontrollierten Konsum verwehrt. Abseits von Therapietheorie und Praxis trägt die Idee der Abstinenz allerdings nicht lange und sollte durch einen Begriff wie „mündiger Verzicht“ ersetzt werden.

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews

Die Hanfapotheke – Interview mit Franjo Grotenhermen

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen vom Solidaritätskreis Hanfapotheke

HanfBlatt
Im Internet gibt es eine neue Webseite, die neugierig macht: www.hanfapotheke.org. Was darf man sich unter der Hanfapotheke vorstellen?

Franjo Grotenhermen
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlich von Cannabisprodukten und benötigen Unterstützung bei der Beschaffung ihres Medikamentes. Das Verhalten des Gesetzgebers und vielfach auch der Gerichte empfinde ich in diesem Bereich als unerträglich heuchlerisch und zynisch. Da wird beispielsweise damit argumentiert, dass Cannabisprodukte Nebenwirkungen verursachen können. Es ist aber trivial, dass wirksame Medikamente Nebenwirkungen verursachen können. Viele Medikamente, die tagtäglich von Ärzten verschrieben werden, können sogar tödliche Nebenwirkungen verursachen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland besitzt. Das bedeutet doch aber nicht, dass man Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, deshalb strafrechtlich verfolgen und ihnen damit über ihr schweres gesundheitliches Schicksal hinaus weiteren Schaden zufügen müsste. Es ist heuchlerisch, beim Oktoberfest aus reiner Lust am Besäufnis die Volksdroge Nummer eins zu genießen, gleichzeitig aber einem Schmerzpatienten ein wirksames Mittel vorzuenthalten, weil es von anderen ebenfalls als Droge genossen wird. Die Menschen werden in ihrer Not mit fadenscheinigen Argumenten von der Politik und der Justiz allein gelassen. Die Hanfapotheke will ihnen dagegen, so gut es ihr möglich ist, beistehen. Ich möchte die Leser des Hanfblatts herzlich einladen, dabei nach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlichach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.

Man ist also als Kranker, dem psychoaktive Hanfprodukte helfen können, nicht mehr darauf angewiesen, sich das teure (teil)synthetische THC vom Arzt verschreiben zu lassen oder sich gar im Rahmen einer Selbstmedikation beim Dealer zu versorgen, sondern kann einfach über www.hanfapotheke.org ordern?! Was muss man tun, um in den Genuss dieser Dienstleistung zu gelangen?

Patienten können nur dann Cannabisprodukte von der Hanfapotheke erhalten, wenn sie zuvor andere legale Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie müssen also zunächst versucht haben, sich THC (Dronabinol) vom Arzt verschreiben zu lassen, und ihre Krankenkasse um die Erstattung der Behandlungskosten bitten. Die Hanfapotheke ist kein Ersatz für einen möglichen legalen Zugang zu Medikamenten auf Cannabisbasis, sondern eine Notlösung, wenn andere Wege versagt haben, beispielsweise, weil die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Es muss eine echte Notstandssituation vorliegen. Diese Notstandssituation ist durch die Schwere der Erkrankung, durch eine nicht ausreichende Behandlung mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten, sowie durch die gleichzeitige Wirksamkeit einer Behandlung mit Cannabisprodukten und den fehlenden Zugang zu Cannabisprodukten gekennzeichnet. Das sind die Bedingungen, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2004 im Falle eines Multiple-Sklerose-Patienten für das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands formuliert hat. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Patient darauf hoffen, über die Hanfapotheke Cannabis zu erhalten. Die Macher der Hanfapotheke haben die Hürden aus mehreren Gründen vergleichsweise hoch gesetzt. Erstens sollen vor allem die Patienten von der Hanfapotheke profitieren, die dies am dringendsten benötigen. Zweitens sollen sich die Aktivitäten der Hanfapotheke im juristischen Bereich des rechtfertigenden Notstands der beteiligten Patienten bewegen, so dass alle Beteiligten weitgehend geschützt sind. Und drittens sollen die Spender sicher sein können, dass ihr Cannabis an Personen gelangt, die ihn auch wirklich dringend medizinisch benötigen.
Die Versorgung beim Dealer ist im Allgemeinen sicherlich unzumutbar, zumal viele Schwerkranke nur über wenig Geld verfügen, und sie sich daher eine angemessene Versorgung häufig finanziell nicht leisten können. Oft besteht aber auch einfach kein Kontakt zu Personen, die illegale Cannabisprodukte verkaufen. Um als Patient Cannabis von der Hanfapotheke zu bekommen, reicht eine E-Mail an info@hanfapotheke.org. Dann wird ein Kontakt zu einem Vertrauensarzt der Hanfapotheke hergestellt, der überprüft, ob die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind.

Nach welchen Kriterien stellt der Vertrauensarzt fest, dass die Einnahme psychoaktiver Hanfpräparate eine Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. eine Linderung bestehenden Leids sein kann?

Es gibt dabei kein Schema. Es gelten aber einige Prinzipien. So wird er einen ärztlichen Bericht vom Patienten anfordern, aus dem die Erkrankung und die Symptome hervorgehen. Das kann beispielsweise ein Krankenhausbericht sein. Dann wird in einem persönlichen Gespräch geklärt, ob schon einmal Cannabisprodukte versucht worden sind, wie die bisherigen Therapien verlaufen sind, etc.

Bei welchen Indikationen sind durch psychoaktive Cannabispräparate Besserungen der gesundheitlichen Befindlichkeit zu erwarten?

Das Spektrum der Indikationen ist groß. Im Vordergrund stehen heute vor allem chronische Schmerzerkrankungen sowie Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Verletzungen des Rückenmarks (Querschnittslähmung) und Tourette-Syndrom. Weitere wichtige Indikationen sind Übelkeit und Erbrechen sowie Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust bei Erkrankungen wie Krebs, Aids und Hepatitis C.

Wie und in welcher Form erhält der Kranke nun sein medizinisch indiziertes Cannabis?

Er erhält sein Cannabis mit der Post, wobei der wahre Absender unbekannt bleibt.

Wonach ergibt sich die Menge, die der Kranke zur Verfügung gestellt bekommt?

Die Menge ist individuell variabel und ergibt sich aus dem Bedarf des Patienten. Wenn er angibt, etwa 1 Gramm pro Tag zu benötigen, so wird die Hanfapotheke dies auch als seinen Bedarf akzeptieren und versuchen, ihm zu helfen, diesen Bedarf zu decken. In der Realität wird es aber sicherlich oft so sein, dass sein Bedarf nicht vollständig durch die Hanfapotheke gedeckt werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Bedarf größer sein wird als das Angebot. Wie im Konzept der Hanfapotheke zu lesen ist, kann sie keine optimale Versorgung sicher stellen. Dies gilt sowohl für die Quantität als auch für die Qualität. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Patienten ausreichend mit Cannabisprodukten hochwertiger Qualtität versorgt werden bzw. sich versorgen können.

Wie können Spender Kontakt mit der Hanfapotheke aufnehmen,und wodurch kann ihre Anonymität gewährleistet werden?

Wir haben auf der Webseite der Hanfapotheke einen einfachen Weg vorgeschlagen. Es ist heute möglich, sich bei verschiedenen Providern wie gmx und yahoo eine anonyme E-Mail-Adresse einzurichten, so dass es nicht möglich ist, den wirklichen Absender zu ermitteln. Mit dieser E-Mail-Adresse meldet er sich dann über info(at-antispam-klammerfaffe)hanfapotheke.org und bietet seine Hilfe an. Es ist zu keiner Zeit erforderlich, dass ein Spender der Hanfapotheke oder einem Patienten mit seinem wirklichen Namen bekannt wird.

Wird die Zuverlässigkeit des Spenders und die Qualität des gespendeten Materials kontrolliert?

Sobald ein Patient von einem Spender Cannabis erhalten hat, gibt er der Hanfapotheke eine Rückmeldung, in der er auch von der Qualität berichten kann. Wir haben die Hoffnung, dass der Großteil der Spender den Patienten ernsthaft helfen möchte und sich dies auch in der Qualität des gespendeten Cannabis niederschlägt. Ich möchte aber auch gleichzeitig betonen, dass viele Patienten auch sehr dankbar sind, wenn sie eine mittelmäßige Qualität erhalten. Cannabis mittlerer Qualität ist besser als kein Cannabis.

Der Spender kann also bei anonymisierter E-Mail-Adresse aus dem Verborgenen agieren. Er erfährt aber die Adresse des Kranken, der sich ja ohnehin der Hanfapotheke gegenüber schon geoutet hat. An die kann der anonyme Spender dann sein Produkt schicken, oder wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Ja, so funktioniert die Hanfapotheke. Der Spender geht keinerlei Risiko ein, entdeckt zu werden. Der Patient geht dagegen ein gewisses, jedoch überschaubar geringes Risiko ein, da es möglich ist, dass sich ein verdeckter Ermittler bei der Hanfapotheke als Spender ausgibt und dann die Adresse eines Patienten erhält, der sich mit Cannabis behandeln möchte. Da aber ein Spender im Allgemeinen nur die Adresse eines einzigen Patienten erhält, ist das gesamte Projekt damit nicht relevant beeinträchtigt und das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Die Ausbeute für den verdeckten Ermittler wäre ebenfalls sehr gering, so dass es sich für die Justiz vermutlich nicht lohnt, auf diese Weise aktiv zu werden. Zudem kann man sich fragen, ob die Justiz tatsächlich ein Interesse daran haben kann, einzelne der beteiligten Patienten, die wirklich in Not sind, strafrechtlich zu verfolgen. Wenn auch möglicherweise formal Rechtsbrüche begangen werden, so wird doch tatsächlich niemandem ein Schaden zugefügt. Ganz im Gegenteil. Die Hanfapotheke schafft einen dringend notwendigen Ausgleich für eine Schieflage der gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten. Und dieser Ausgleich nimmt sich gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen eher gering aus. Die Hanfapotheke kann nicht viel mehr leisten als einige Tropfen auf den heißen Stein. Für den einzelnen Patienten kann dies jedoch von großer Bedeutung sein.

Wer steht hinter dem Projekt Hanfapotheke?

Aus verständlichen Gründen wissen dies nur wenige.

Fürchtet Ihr die strafrechtliche Verfolgung, und wie werdet Ihr in einem solchen Falle damit umgehen?

Die Mitglieder des Solidaritätskreises gehen vermutlich kein großes Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Ich rechne auch nicht damit. Sollte das dennoch geschehen, so sehe ich dem gelassen entgegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir etwas Gutes und Richtiges tun, dass nicht bestraft werden sollte. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass sich im Mai 2002 elf Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden, in der Wochenzeitschrift Stern mit Foto, Name und Wohnort mit einer kurzen Geschichte geoutet haben. Sie forderten das Ende der Kriminalisierung von Kranken, die Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen. Keiner dieser Patienten hat in der Folge dieser Aktion strafrechtliche Probleme bekommen bzw. eine Strafanzeige erhalten.

Angenommen, jemand beabsichtigt medizinisch indiziert Cannabis einzunehmen, hat aber in seinem Leben noch keine oder nur geringe Erfahrungen mit Hanf als Genußmittel gemacht, woher bekommt er dann das stoffkundliche Knowhow?

Vielleicht durch die Lektüre des Hanfblatts. Er oder sie kann sich auch an die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin wenden. Die Hanfapotheke selbst bietet keine Informationen zur praktischen Anwendung von Cannabisprodukten und leistet auch keine medizinische Beratung, sondern konzentriert sich auf die Versorgung.

Das klingt gut durchdacht und erscheint altruistisch und unterstützenswert. Wir wünschen der Hanfapotheke, dass sie vielen Menschen helfen möge.

 

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Chemie-Apotheken müssen schließen

telepolis, 15.07.2005

In den USA wurde ein Online-Händler zu 410 Jahren Haft verurteilt

In den vergangenen Jahren herrschten im Netz traumhafte Verhältnisse für experimentierfreudige Psychedeliker. In Online-Shops konnten sie neu synthetisierte, bis dato unbekannte und daher halblegale Drogen bestellen. Nun greifen Behörden und Justiz durch. Websites werden geschlossen, in den USA wurde ein Chemikalien-Händler zu 410 Jahren Gefängnis verurteilt.

Auf den einschlägigen Websites wie www.omegafinechemicals.com wurden die Chemo-Varianten bekannter Drogen über Jahre unter der euphemistischen Bezeichnung „Research Chemicals“ angeboten. Es waren Spielarten der beliebten Drogen der Tryptamin- (LSD, DMT) oder Phenethylamingruppe (Ecstasy, Meskalin, Speed). Durch kleine Änderungen an der Molekülstruktur entstanden so ständig neue Drogen, die in keinem Betäubungsmittelgesetz standen.

Deren Namen klangen wie Droiden aus der Star-Wars Serie: 2-CT-7, DOB, 5-MeO-DET. Über die Jahre tauchten Hunderte von Internet-Auftritten auf, in denen man Abwandlungen bekannter Halluzinogene erwerben konnte. Der Us-amerikanische und europäische Drogenuntergrund bestellte eifrig und bescherte Händlern wie RacResearch.com Umsätze von bis zu 20.000 Dollar in der Woche. Die psychonautischen Versuchskaninchen erforschten die Substanzen am eigenen Leib und besprachen die psychotherapeutischen, spirituellen oder genussorientierten Fortschritte und Rückschläge in Netz-Foren und Chat-Räumen.

Die US-Drogenaufsichtsbehörde DEA wies immer wieder darauf hin, dass die in Küchen und Kellern zusammengebrauten Mixturen illegal sind, weil sie im „wesentlichen gleichartig“ zu bereits verbotenen Mitteln seien. Das stimmte nicht ganz. Einige der Substanzen sind zwar verboten, aber nur, wenn sie jemand nachweislich für den Konsum vertreibt. Eine Nutzung zu Forschungszwecken ist erlaubt. Den so entstandenen Graubereich für Substanzen, die zwar erforscht, aber nicht geschluckt werden durften, nutzten die Online-Drogisten weidlich aus.

RacResearch etwa bot über 20 unterschiedliche Präparate an, gab Gratisproben an Erstkunden ab und warb sogar auf Google. Eine andere Seite, www.pondman.nu, setzte ebenfalls auf Kundenbindung: Saisonangebote, „Nimm 3 für 2“ und Express-Lieferung. Bezahlt wurde mit Kreditkarte oder über Paypal.

Das Geschäft florierte, die Behörden griffen über Jahre nicht ein. Dann der Schock: Ein 18-jähriger Kunde von www.pondman.nu hatte den Beipackzettel für sein Produkt nicht gelesen und verstarb im vergangenen Jahr an einer Überdosis AMT, einem Antidepressivum, das bis in die 60er Jahre hinein in der Sowjetunion erhältlich war. Seine Unachtsamkeit wurde auch James Downs, 22, im letzten Jahr zum Verhängnis. Er verstarb an einer Überdosis 2-CT-21, das er bei der in Las Vegas ansässigen Firma „American Chemical Supply“ bestellt hatte.

In der Operation „Web Tryp“ schloss die DEA daraufhin im Juli 2004 fünf der größten Webseiten und verhaftete zehn Personen. Der Betreiber von pondman.nu, David Linder, 52, wurde im Mai diesen Jahres zu satten 410 Jahren Gefängnis verurteilt. Zudem muss er die 700.000 Dollar, die er mit der Website verdient haben soll, zurückzahlen. Angeklagt ist derzeit auch Michael Burton von American Chemical Supply. Die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe.

Mit den auf den Händler-Computern gefundenen Kreditkartennummern tasten sich die Behörden nun weiter vor. In Großbritannien wurden im Mai 22 Personen angeklagt, weil sie über die betreffenden Websites größer Mengen der illegalen Substanzen aus den USA bestellt hatten.

Auf drogenaffinen Webseiten wie www.erowid.org wird derweil vor der Anwendung von „Research Chemical“ gewarnt. Es gäbe keinen guten Grund dafür, so die Vorreiter der alternativen Drogenberatung, dass diese Chemikalien für den Freizeit- oder Entspannungsgebrauch sicher zu nutzen seien.

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

HanfBlatt Nr. 99, 2005

Kiffer im Spannungsfeld von Eltern, Freunden und Therapeuten

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

Es gibt verschiedene Motive und Formen Cannabis zu inhalieren. Eckart Schmidt, Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat in den 90er Jahren den Hamburger Drogenentzug für Jugendliche mit aufgebaut, seine Erfahrungen mit moderaten und starken Kiffern hat er nun in einem Buch veröffentlicht.

Wie begann Ihr beruflicher Kontakt mit Cannabisliebhabern, die einen problematischen Konsum aufwiesen?

1999 habe ich in der Fachklinik Bokholt den Kinder- und Jugend Drogenentzug aufgebaut. Da kam ich dann auch zum ersten Mal mit exzessiven Kiffern zusammen. Zunächst war ich selber nicht von einem Cannabisentzug in einer solchen stationären Einrichtung überzeugt, so nach dem Motto „Lass sie doch lieber kiffen als Alkohol trinken“, aber da kamen eben doch Menschen, die täglich und so viel gekifft haben, dass sie allmählich überall rausgeglitten waren. Sie hatten ähnlich wenig Anschluss an „normale“ soziale Verhältnisse wie Heroin-Konsumenten.

In welcher Altersgruppe waren die?

Im Schnitt zwischen 14 und 16 Jahren alt. Manche der exzessiv kiffenden hatten bereits mit zehn oder gar neun Jahren angefangen regelmäßig zu rauchen. Die meisten waren zigarettenabhängig, insgesamt war es eine Gruppe, die allerlei Mittel schon früh als Suchtmittel eingesetzt hatte.

Oft kamen die Jugendlichen nicht freiwillig. Ist das ein Problem bei der anfänglichen Gesprächssituation?

Im Drogenentzug, und das gilt auch für Kiffer, haben meist die Eltern oder Lehrer massiv darauf eingewirkt, dass der Jugendliche zu uns kam. Die wenigsten geben selber zu, dass sie ein Problem haben, sie denken, sie haben alles im Griff. Sie wollen maximal die Spitzen rausnehmen, ansonsten aber weiter funktionieren. Dadurch entsteht durchaus ein ambivalentes Gefühl bei ihnen. Die Folge ist, dass sie den ersten Entzug meist nicht durchhalten. In den meisten Fällen braucht es zwei bis drei Anläufe, erst dann sehen sie ein, dass ihr hartes Konsummuster ihnen Probleme bereitet und entwickeln auch eine Eigenmotivation wirklich etwas zu ändern. Die Entwicklung hinein in den exzessiven Konsum und wieder heraus ist nie geradlinig. Selten ist nach einer Behandlung alles gut.

 

Bei den Kiffern also, die in jungen Jahren jeden Tag und viel rauchen, hilft also zunächst nur Abstinenz, eine Hinführung zu einer kontrollierten Genussform ist nicht möglich?

So vereinfacht kann man das nicht sagen. Jeder Mensch ist anders und es gibt durchaus Kiffer, die zurückschrauben können. Der Größte Teil von den exzessiven Kiffern hat aber Schwierigkeiten direkt in einen kontrollierten Konsum überzugehen.

Wie also bricht man den anfänglichen Widerstand im Gespräch?

Brechen kann man ihn überhaupt nicht, man muss überzeugen. Wichtig ist zunächst für sie zu wissen, das sie zwar bei uns sind, aber jederzeit auch wieder gehen können. Im weiteren geht es darum zu vermitteln, dass sie für ihr Leben selbst verantwortlich sind und ihr Handeln, egal welches, immer auch Konsequenzen zeigt. Wir können und wollen ihnen nicht sagen, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wir können mit ihnen zusammen nur herausarbeiten, welches Wege wahrscheinlich zu welchen Zielen führen. Manchmal waren die Kiffer überrascht, wenn sie von uns eben nicht gesagt kriegten, „Du musst das und das machen, dann wird alles gut.“

"Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen", sagt Eckart Schmidt.
„Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen“, sagt Eckart Schmidt.

Mal anders herum gefragt: Wie erzieht man als Kiffer denn seine Eltern zu einer guten Gesprächsführung?

Das hängt natürlich von den Ausgangslagen ab. Es gibt die Art von Eltern, die keine Diskussion zulassen, und ob man die dazu erziehen kann ist fraglich. Und es gibt die, die einfach ein wenig zu ängstlich sind. Denen kann man zeigen, dass man sein Leben durchaus auf die Reihe kriegt. Und es gibt die, die sich zu Recht sorgen machen. Für den Beginn ist es hilfreich sich eine unangespannte Situation zu schaffen, um das Thema „Haschisch“ mal ganz allgemein und nicht an der eigenen Person festgemacht anzusprechen. Vielleicht anhand eines Zeitungsberichts oder einer TV-Sendung.

Da kommt aber schnell die Frage: „Und du?“

Ja, darauf muss man dann gelassen reagieren. Zu vermeiden sind vor allem Schuldzuweisungen. Wenn beide Seiten nur von Schuld und persönlichem Versagen sprechen, dann werden Gespräche unfruchtbar. Wenn Eltern entdeckt haben, dass das eigene Kind kifft, dann haben sie meistens Ängste. Als Kind kann man dann nur versuchen aufzuzeigen, dass man sein Leben trotz Konsum auf die Reihe kriegt. Da heißt es dann natürlich ehrlich gegenüber sich selbst sein. Die Frage ist: Krieg ich mein Leben gebacken oder bescheiße ich mich selber? In meinem Buch geht es in einigen Bereichen um Extremfälle, aber eben auch um die Kiffer, die sich in einem Grenzbereich aufhalten und diejenigen, die keine Probleme mit ihrem Konsum haben. Es gibt keine einfache Zuschreibung: „Du kiffst also bist so oder so“.

Da steht man natürlich von dem Problem, dass in den Familien, in denen solche offenen Gespräche möglich sind, der problematische Konsum von Cannabis ohnehin weniger vorkommt.

Das kann man wahrscheinlich gesetzmäßig so sagen, ja. Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen, und das liegt halt meistens am Elternhaus. Ich will hier nicht immer den Eltern die Schuld geben, aber oft hakt es in diesem Bereich. Trotz allem bleibt Eltern nichts anderes übrig, als das Gespräch zu suchen. Denn verbieten kann ich es meinem Kind nicht, dann kifft es halt um die Ecke. Ich kann ihm nur sagen: „Du kiffst, und aus meiner Sicht hat das diese und jene Folgen.“

Was aber folgt nach dem Gespräch?

Abgestufte Reaktionen. Wenn ein Kind seinen Eltern beweist, dass es mit der Droge zurecht kommt ohne wichtige Dinge zu verpassen, dann müssen diese nicht unbedingt tätig werden. Wenn aber die Eltern merken, das ihr Kind täglich kifft und aus ihrer Sicht deshalb in den Schulleistungen abfällt, interesselos gegenüber seinen Hobbies wird, immer mehr in eine Kiffergruppe reingeht und keinen Kontakt mehr zu Nicht-Kiffern hat, zudem konfliktscheu ist und sich selbst belügt, dann müssen Eltern ihm dies offen sagen. In einem zweiten Schritt müssen dann auch Konsequenzen folgen. Die sollte man anfangs durchaus gemeinsam besprechen.

Ein Beispiel?

Wie dies genauer aussehen könnte, wird anhand einiger Beispiele im Buch besprochen.

Man setzt eine Grenze und droht mit einer Sanktion?

Ja, er oder sie muss merken, dass sie verantwortlich für ihr Handeln sind. Es ist ihre Entscheidung. Die Sanktion kann offen sein, also so gestaltet, das bei einem Verstoß gegen eine vorher gemeinsam verfasste Abmachung sich danach auch zusammen überlegt wird, was das jetzt für Konsequenzen hat. Und das kann auch durchaus zum Nachteil des Jugendlichen gereichen, denn warum sollte ich beispielsweise meinem Kind weiterhin viel Taschengeld geben, wenn es das Geld komplett verkifft?

Was dann aber zur Folge haben kann, das er es sich auf andere Weise besorgt.

Daran kann ich dann aber nichts mehr ändern. Wenn ich ihm mehr Geld gebe, und er kann es nicht verwalten, dann wird er auch mehr für das Haschisch ausgeben. Dazu kommt, das das Handeln der Eltern dem Kind in diesem Moment auch zeigt, das es ernst genommen wird. Wer seinem Kind alles durchgehen lässt, der wird nicht ernst genommen. Aber ein Patentrezept für einen mündigen Umgang von Eltern und Jugendlichen miteinander und in ihrer Stellung den Drogen gegenüber gibt es leider nicht.

Eltern, Schulen, Gesellschaft und Politik wollen aber genau diese klaren Richtlinien haben.

Wenn so, dann so, als ob der Mensch eine Maschine ist. Menschen sind alle unterschiedlich und wenn man sich darauf einigen würde, das zu akzeptieren und den schwierigen Weg der individuellen Herangehensweise an individuelle Problemlagen zu gehen, dann wäre man schon einen beträchtlichen Schritt weiter.

Sie möchten die Diskussion von der Schädlichkeit von Cannabis von der Diskussion um die Legalisierung komplett abtrennen. Wie soll das funktionieren, denn wie soll man über eine andere Rechtsstellung von Cannabis diskutieren, wenn man nicht auf die wissenschaftliche Fakten zurück greift?

Wenn man aufklären will, wann Cannabis für den Menschen problematisch werden kann, ist es klüger, dies von der Diskussion um die Legalisierung abzutrennen. Die sogenannten „Fakten“ rund um Cannabis werden doch ohnehin immer so zusammengewürfelt wie es das jeweilige Konzept passt. Man kann den Menschen so oder so nicht von der Selbstverantwortung befreien. Es gibt ja Leute, die schlagen vor, man solle die Alleebäume fällen, weil sie besonders unfallträchtig seien. Es scheint für den Menschen immer nur die Variante „Ja“ oder „Nein“, „Gut“ oder „Schlecht“ zu geben. Und es macht ihn irre, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, das es so etwas nicht gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Eckart Schmidt Cannabis – Wann kann der Konsum problematisch werden?
Hamburg 2005 Verlag: Mein Buch
255 Seiten
Paperback ISBN: 3-86516-405-6
14,90 EUR

 

 

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

HanfBlatt, Januar/Februar 2005

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

Tilmann Holzer, 29, ist Vorsitzender des Verein für Drogenpolitik (www.drogenpolitik.org). Zur Zeit schreibt er an einer Doktorarbeit über die Geschichte der deutschen Drogenpolitik von 1933 bis 1968.

HanfBlatt:
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein waren Cannabisprodukte in Deutschland keiner Reglementierung unterworfen. Wann und warum wurde der Verkauf von „Indischem Hanf“ in einer staatlichen Verordnung berücksichtigt?

Holzer:
Cannabis wurde in Deutschland bis etwa Mitte der 1960er vor allem als Medikament und Nutzpflanze wahrgenommen und dementsprechend von staatlicher Seite behandelt. Ab 1872 war Cannabis in der „Kaiserlichen Verordnung über Apothekenwaren“ enthalten und durfte nur in noch in Apotheken verkauft werden, eine Mengen- oder Altersbeschränkung gab es nicht. Das Cannabisverbot, so wie wir es heute kennen, beruht auf der Integration von Cannabis in das „Genfer Opiumabkommen“ von 1925 und seinen Nachfolgern, Deutschland war damals gegen dieses erste globale Cannabisverbot.

Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.
Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.

HanfBlatt:
Und warum war Cannabis in das Genfer Opiumabkommen reingerutscht? Es wird behauptet, damit wurde das „Cannabisproblem“ als „Drogenproblem“ erst geschaffen. Wie siehst du das?

Holzer:
Der ägyptische Delegationsleiter El Guindy forderte die Aufnahme von Cannabis, weil in Ägypten viel Cannabis konsumiert wurde. Praktisch alle anderen Delegationen wußten nichts von einem Cannabisproblem oder waren, wie beispielsweise Indien oder Thailand, gegen ein Cannabisverbot. Mit der taktischen Unterstützung El Guindys durch China, die USA und Frankreich konnte das Verbot aber beschlossen werden. Die Genfer Opiumkonvention ist die Urform aller Drogengesetze weltweit, weil sie durch die Ratifikation in nationale Gesetze umgewandelt wurde und so weltweit gültig ist. Im Laufe der Jahre wurden dann im wesentlichen die Strafen erhöht, das Cannabisverbot blieb. Die erste Strafverschärfung kam in Deutschland nachdem ab 1968 explosionsartig Cannabis konsumiert wurde. 1971 wurde deshalb das Opiumgesetz von 1929 in das Betäubungsmittelgesetz umgewandelt. Im Kern das Genfer Abkommen, nur viel härtere Strafen, im Ergebnis trotzdem jedes Jahr mehr Kiffer, bis heute.

HanfBlatt:
Die internationale Staatengemeinschaft baut mittlerweile auf die Kombination von Strafe und Therapie. Wird das die Zahl der Cannabiskonsumenten verringern? Und, so will ich mal frech fragen, ist es überhaupt nötig sie zu verringern?

Holzer:
Tatsächlich ist die „Therapie“ bei Cannabiskonsumenten quantitativ so unbedeutend, dass man nur von Strafe als hilfloser Reaktion von staatlicher Seite sprechen kann. Die Zahl der Konsumenten wird aber selbst durch die härtesten Strafen nicht beeinflusst, jedes Jahr gibt es mehr Kiffer. Der Staat kann die Zahl der Kiffer nur in sehr beschränktem Maße regulieren und selbst dass nur, wenn er einen vollständig legalen Markt hat, der streng reguliert werden kann, beispielsweise um Kinder vom Kiffen abzuhalten. Für Erwachsene gilt, dass sie selbst über ihren Drogenkonsum entscheiden dürfen, denn in einer Demokratie hat sich der Staat aus dem Privatleben, also auch dem Drogenkonsum herauszuhalten. Nur wenn Dritte gefährdet sind oder der Allgemeinheit Kosten entstehen, dann kann er Staat regulierend eingreifen. Gesundheitspolitisch gesehen, insbesondere finanziell, aber auch mit Blick auf Gewaltverbrechen, ist ein moderater Cannabiskonsum dem Alkoholkonsum ganz vorzuziehen. Mit Blick auf die Krebsstatistik ist es wichtig, den Cannabiskonsum vom Tabakrauchen zu trennen.

HanfBlatt:
Dies führt direkt zur Reformdiskussion des staatlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit Cannabis, die du und der Verein für Drogenpolitik jetzt mit dem „Globalen Cannabisregulierungsmodell“ neu beleben wollt. Nicht erst seit dem „Apothekenmodell“ ist die Regelung der Abgabe und des Verkaufs von Marihuana und Haschisch ein Streitpunkt. Wir wollt ihr das lösen?

Holzer:
Das Cannabisverbot hat total versagt, seit es 1971 verschärft wurde, kiffen jedes Jahr mehr Menschen in Deutschland. Es geht nicht darum, ob wir Cannabis legalisieren wollen oder nicht, sondern darum, ob Cannabis auf einem legalen oder einem illegalen Markt gehandelt werden soll. Cannabis ist überall erhältlich, kein einziger Staat auf dieser Welt hat bisher ein Cannabisverbot durchsetzen können. Deshalb hat der Verein für Drogenpolitik ein Konzept entwickelt, wie Cannabis in einem staatlich kontrollierten Markt gehandelt werden kann. Das ist das von dir erwähnte „Globale Cannabisregulierungsmodell“. Der Kerngedanke ist einfach: legal gehandeltes Cannabis ist ein wenig billiger als illegales und deshalb ist ein legaler Markt realistisch. Zweitens kann jeder einzelne Schritt vom Anbau bis zum Verkauf im Cannabisfachgeschäft staatlich lizensiert werden. Dadurch ist ein effektiver Jugendschutz, denn beim Verkauf Verkauf an Minderjährige droht Lizenzentzug, und ein hoher Qualitätsstandard möglich. In einem Rechtsgutachten weisen wir nach, dass ein legaler Cannabishandel im Rahmen der internationalen Verträge möglich ist. Was fehlt ist der politische Druck von unten, damit die Parteien den legalen Cannabismarkt ermöglichen. Als ersten Schritt wollen wir noch dieses Jahr unser Modell an alle Bundestagsabgeordneten verschicken, benötigen dafür und für die nächste Auflage, die an alle Landtagsabgeordneten gehen soll, noch 2000 Euro an Spenden.

HanfBlatt:
Fehlt nicht eher der politische Wille bei den Parteien, weil mit dem sensiblen Thema Drogenpolitik keine Wählerstimmen zu fangen sind? An einer Änderung der Rechtslage von Cannabis scheint sich seit Jahrzehnten niemand die Finger verbrennen zu wollen, zuletzt zogen die GRÜNEN den Schwanz ein.

Holzer:
Das ist sicher richtig, aber zu einfach. Richtig ist, dass die Parteien heute kein Interesse mehr an Drogenpolitik aufbringen, es geschieht beinahe nichts. Das war Anfang der 90er ganz anders. Wichtig ist, dass in den letzten Jahren die Medien immer mehr naiv-hysterisch über Drogen berichten, insbesondere über Cannabis. Das fällt auf die Parteien zurück, da es in keiner Partei Experten für dieses Thema auf Bundesebene gibt. Andererseits fehlt eine gut organisierte Interessensvertretung für eine bessere Drogenpolitik. Mit mehr Druck und Überzeugungsarbeit könnte man in den Parteien einiges bewegen, das zeigen Erfahrungen aus den 1990ern im Bereich Heroin und im Ausland. Deshalb haben wir den Verein für Drogenpolitik vor drei Jahren gegründet, als eine unabhängige und freie Organisation für diese Lobbyarbeit gegenüber Abgeordneten, Bundesregierung, Medien und Justizapparat und so weiter. Das funktioniert im Prinzip, aber erst mit einer guten finanziellen Ausstattung oder einer Stiftung für Drogenpolitik und hauptamtlichen Mitarbeitern wird es wirklich funktionieren. Dafür brauchen wir mehr Unterstützung von allen Seiten.

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Professor Sebastian Scheerer

HanfBlatt, November 2004

„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“

Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

 

J.

Sie weilten eine Zeit in Brasilien?

S.

Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?

A.

Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.

S.

Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?

J.

Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.

S.

Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?

A.

Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.

S.

Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.

A.

Heute eher mehr.

J.

Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.

S.

Und was ist mit Rigo Maaß passiert?

A.

Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.

J.

Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.

S.

Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?

J.

He, he, he.

A.

Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.

J:

Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.

A.

Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.

S.

Auch eine ideologische Basis.

A.

Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.

J.

Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.

A.

Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,

J.

Düngemittelindustrie,

S.

Steinwollehersteller

A.

Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.

S.

Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?

J.

Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?

S.

Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.

A.

Steinlange her.

S.

Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.

A.

Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.

S.

In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.

J.

Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.

S.

Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.

J.

Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?

S.

Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!

J.

Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.

S.

Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.

J.

Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.

S.

Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!

A.

Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.

S.

Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.

A.

Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.

S.

Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.

J.

Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…

S.

Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.

A.

Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.

J.

Ein Schummel-Paket.

A.

Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.

S.

Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.

J.

Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?

S.

Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.

J.

Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.

A.

Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.

S.

Ha, ha, ha.

J.

Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?

S.

Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.

A.

Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.

S.

Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.

J.

Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.

A.

Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.

S.

Das kam nicht so gut an.

A.

Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.

S.

Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.

J.

Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.

S.

Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.

A.

Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.

S.

Plausibel.

J.

Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.

S.

Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.

A.

Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.

S.

Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.

A.

Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.

J.

Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.

S.

Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.

A.

Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.

S.

Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.

A.

Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.

J.

Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.

S.

Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.

Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.

J.

Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.

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Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Jon Hanna über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der unerforschten Substanzen

HanfBlatt, November 2004

Jon Hanna ist Autor und Herausgeber der „Psychedelic Resource List“, die nun in ihrer vierten Auflage erschien, einem Kompendium psychedelischer und halluzinogener Substanzen. Im Gespräch geht es um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen, den ethnobotanischen Kräutermarkt und – wie so oft bei US-Amerikanern – den „Krieg gegen Drogen“.

Frage:
Als langjähriger Autor im Bereich der psychedelischen Substanzen hast du Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Was sind die relevanten Entdeckungen im wissenschaftlichen Studium der so genannten „research chemicals“, der „forschungsoffenen Substanzen“?

Hanna:
Die Bezeichnung „research chemicals“ bezieht sich meist auf Tryptamine und Phenethylamine, die nicht spezifisch im Betäubungsmittelgesetz der USA stehen. Während Drogen wie Meskalin oder Psylocybin verboten sind, stehen vergleichbare Substanzen wie 2C-I und 4-AcO-DET noch nicht auf der Liste der illegalen Drogen. Diese Substanzen sind zwar verboten, aber eben nur, wenn jemand sie für den Konsum verkauft oder sie jemand nutzt, um davon High zu werden. Es ist eine seltsame Art von Graubereich. Diese Chemikalien können zu Forschungszwecken genutzt werden, aber nicht, wenn die Erprobung das High-Werden beinhaltet.

JonHannaDie US-Regierung geht nicht besonders hart gegen diese Substanzen vor. Warum, denkst du, greift der Staat hier nicht stärker durch?

Um ehrlich zu sein, bin ich selber überrascht, dass die Behörden die vertreibenden Firmen nicht aggressiver verfolgt. Wahrscheinlich befindet sich die DEA (Drug Enforcement Administration) in einer Datenerfassungsphase und beobachtet diejenigen, der in diesem Bereich verkaufen oder kaufen. Jedoch ist dies nicht das ganze Bild: Einige dieser Substanzen sind nicht besonders interessant, andere haben frappante Nebenwirkungen. Diese beide Tatsachen führen zu einem geringen Verbreitungspotenzial, der Grund zum Durchgreifen ist also gering. Aber hin und wieder wird eben doch eine Substanz entdeckt, die der Masse als „neue“ Form von Ecstasy (MDMA) verkauft werden kann.

Was mit 5-MeO-DIPT geschah.

Exakt. Diese Substanz kam sogar zur Ehre eines Berichts im „Playboy“, mit dem Fokus auf die aphrodisierenden Eigenschaften. „Foxy Methoxy“, wie es gerne genannt wird. Dort, zwischen den Seiten mit nackten Frauen, ist ein Bild von Sasha Shulgin, wie er in einer Phiole irgendwas braut! Wenn eine „neue“ Substanz viel Aufmerksamkeit von der Mainstream-Presse erfährt oder wenn die Raver-Szene darauf einsteigt, dann wird die Chance erheblich größer, dass sie kurz darauf verboten wird. Momentan ist mir kein solcher Hype bekannt. Es gibt jedoch ständig Fortschritte, immer vorangetrieben von denen, die gerne damit experimentieren. Jüngst wurde der Effekt einer pharmazeutische Ketamin-Creme entdeckt, die als schmerzstillende Salbe verschrieben wird. Als Einlauf genommen führt diese Salbe zu ähnlichen Effekten wie die intramuskuläre Injektion.

Hui, das klingt nach der großen Hafenrundfahrt. Und was tut sich im Untergrund bei der Erforschung der entheogenen Pflanzen?

Vor kurzem sind einige einfache Extraktionsprozesse, die durch jeden Küchenchemiker oder Keller-Schamanen durchgeführt werden können, veröffentlicht worden. Darunter war die Extraktion von Psilocybin und Psilocin. Mit 140 Proof-Äthanol und einem Prozess von Extraktion, Abkühlung, Dekantieren und Einfrieren kann ein relativ reines Puder hergestellt werden. Yachaj Paye berichtet davon in der Herbstausgabe der „Entheogen Review“.
Obwohl die Erforschung von „Salvia Divinorum“ keine Untergrundtätigkeit im engeren Sinne ist, da der Gebrauch in den meisten Ländern legal ist, werden die meisten Entdeckungen von Fans der Substanz und nicht von offiziellen Wissenschaftlern gemacht. Ein schneller Extraktionsprozess für relativ reines Salvinorum A. mit Hilfe von Aceton wurde letztes Jahr im Netz veröffentlicht. Und Daniel Siebert, das ist derjenige gewesen, der endgültig feststellte, dass Salvinorum A die Substanz ist, die für die Psychoaktivität von „Salvia Divinorum“ verantwortlich ist, beschreibt einen weiteren zügigen Extraktionsprozess. Der funktioniert mit Chloroform.
In den vergangenen Jahren wurde eine Anzahl von neuen Chemikalien aus dem Göttersalbei purifiert. Die meisten von diesen kommen nur in Spuren in der Pflanze vor. Siebert, wiederrum einen Schritt weiter gehend als alle vor ihm, hat nun die Wirkung von Salvinorum B und Salvinorum C im menschlichen Körper erprobt. Unglücklicherweise ist weder B noch C psychoaktiv, zumindest nicht in den Dosen, in denen Salvinorum A wirkt. Er nahm bis zu vier Gramm vaporisiertes Salvinorum B und bis zu drei Gramm Salvinorum C zu sich. Nichts. Wir erinnern uns: Salvinorum A ist schon bei Dosen unter einem Milligramm psychoaktiv.
Auch in der „Untergrund-Szene“ folgt der Forschung der Kommerz. Es gab im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Ausbreitung von Firmen, die halb legale psychoaktive Pflanzen verkaufen. Das Internet bietet die nötigen Informationen, der Enthusiasmus für Entheogene wächst und parallel dazu die Anzahl der Leute, die mit dem wachsenden Markt Geld verdienen möchten. Botanisch spezialisierte Firmen wollen vom nächsten großen Hype zu profitieren.

Diese Firmen konzentrieren sich zum Teil auf relativ obskure Pflanzen, weil das Seltene, Neue oder Ungewöhnliche die Leute anzieht.

Ja, vor kurzem sahen wir das bei „Kratom“, lateinisch „Mitragyna Speciosa“ genannt. Die Pflanze verursacht Effekte wie wir sie von Opiaten kennen. Es scheint so, dass dies an einem Indol-Alkaloid liegt, Mitragynin, welches nur in dieser Pflanze vorkommt. Die chemische Struktur ist mit Psilocybin verwandt, dennoch erzeugt „Kratom“ keine psychedelischen Effekte, jedenfalls nicht in den bisher getesteten Dosierungen. Leider ist die Pflanze in ihrem Ursprungsland, nämlich Thailand, illegal. Folglich ist es schwierig „Kratom“ zu exportieren, obwohl es in den meisten Teilen der Welt legal ist.
Wohl wissend, dass die Pflanze begehrt, aber schwer zu bekommen ist, flutete ein Franzose den botanischen Markt mit einer großen Menge getrockneter Blätter, von der er behauptete, es wäre „Kratom“. Daniel Siebert erkannte allerdings, dass die Blätter nicht der botanischen Beschreibung der Pflanze entsprachen, und schlug vor, dass ich die Leute vor dem Kauf der Blätter öffentlich warnen sollte. Ich beschaffte mir einen Referenz-Standard von Mitragynin Picrate von einer Pharma-Firma aus England und schickte diesen Standard und das vorgeblich „Kratom“ zu diversen Chemikern zum Testen. Es stellte sich heraus, dass die Refernz aus England Mitragynin enthielt…

… was zu erwarten war…

… der Scheiß aus Frankreich aber überhaupt kein Mitragynin enthielt. Nun gab es also nicht nur den botanischen, sondern auch den chemischen Beweis, dass die Blätter unkorrekt etikettiert waren. Mehr über diese Untersuchung findet sich in einer PDF-Datei auf der Webseite der Entheogen Review.
Leider arbeitet der ethnobotanische Markt auf unprofessionelle Weise, es existiert keine Qualitätskontrolle und keine staatliche Organisation wacht über die Anbieter dieser Produkte. Verbraucherschützer, so wie ich, sind gezwungen diese Art von Untersuchungen zu finanzieren und durchzuführen. Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass korrekt gekennzeichnetes „Kratom“ jetzt in einigen Online-Shops erhältlich ist.

Kratom
Kratom

Ist diese Art von Desinformation im ethnobotanischen Kräutermarkt üblich?

In den meisten Fällen agieren die Leute ehrlich, wenn Fehler passieren, dann aus Versehen. Aber eben nicht immer. Erinnere dich an die Ereignisse mit dem mutmaßlichen „Lagochilus Inebrians“. Das kommerzielle Interesse an dieser Pflanze gründet auf einer kurzen Erwähnung in „Pflanzen der Götter“ von Richard Evan Schultes und Albert Hofmann. Aus psychoaktiver Sicht ist das vermutlich keine besonders interessante Pflanze; der Effekt ist mild sedativ und blutdrucksenkend. Aber allein die Tatsache, dass es ein Diterpenoid, nämlich Lagochilin, enthält und Salvinorium A ebenfalls ein Bestandteil von Diterpenoid ist, ließ die Händler aufhorchen. Ein paar Kilos getrockneten Materials tauchten jüngst in den USA auf, aber es stellte sich heraus, dass die Kräutermischung eine plumpe Fälschung war, sie stammte nicht einmal aus derselben botanischen Familie wie „Lagochilus“. Dankbarerweise wurde in diesem Fall die weitere Verbreitung des Produkts verhindert. Traurig war nur, dass der Verkäufer des Materials, ein gewisser Dr. Ashley Minas aus Russland, die Rückzahlung des Geldes für das falsche Kraut verweigerte. Wie bei „Kratom“ auch wird auch das originale Kraut wohl bald korrekt vermarktet werden, obwohl es zu früh ist, hierüber endgültige Aussagen zu treffen. Seltene Kräuter, gerade wenn sie getrocknet und zerkleinert sind, können sehr schwer korrekt zu identifizieren sein.

Lass uns von der Produktion zum Konsum übergehen. Der Genuss jeder Substanz birgt auch Gefahren. Stellt das alte Konzept von „Set und Setting“ noch immer den Kern der Risikovermeidung dar?

Die Berücksichtigung von „Set und Setting“, also der Erwartungshaltung und geistigen Situation der Person und die Umgebung, in der die Droge eingenommen wird, stellen nach wie vor die goldene Regel dar, speziell bei Psychedelika. Aber es gibt einen dritten Aspekt, den die frühe LSD-Forscherin Betty Eisner in die Diskussion einbrachte und welcher nie die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Aspekt wird „Matrix“ genannt und zielt auf die soziale Gemeinschaft, die die konsumierenden Person umgibt. Es muss eine Gruppe von unterstützenden, verständnisvollen und erfahrenden Leuten da sein, die eine Atmosphäre schafft, in der die psychedelische Erfahrung gelebt werden kann. Manchmal geraten Psychonauten in ein Muster des sich oft wiederholenden Konsums, ohne vorteilhafte Änderungen an ihrem Leben vorzunehmen. „Instanterleuchtungen“ durch eine Pille sind eine feine Sache, aber diese halten nicht an und berühren das nicht-trippende Leben nicht, wenn nicht daran gearbeitet wird. Wieder und wieder High werden zu wollen kann zu einer Krücke werden, eine Krücke, die vergessen lässt, dass eine innere Arbeit, eine Art Nachbereitung, im nüchternden Zustand erfolgen muss. Ich denke dass die „Matrix“ ebenso wichtig wie „Set und Setting“ ist, wenn nicht sogar wichtiger. Wir brauchen Menschen um uns herum, die uns die Erlebnisse in wertvoller Weise integrieren helfen, so dass wir uns positiv weiter entwickeln.

Gibt es neue Entwicklungen in der Risikominimierung beim Drogengebrauch?

Sicher, es gab große Fortschritte in den letzten Jahren, dafür sind Pillentests ein gutes Beispiel. Diese geben zumindest eine Ahnung davon, ob die auf einem Rave oder der Straße gekaufte Pille wirklich die gewünschte Substanz beinhaltet. Desinformation ist ein gefährlicher Aspekt des „War on Drugs“: Es ist doch völlig absurd zu behaupten, das die Drogen-Verbotsgesetze dafür da sind eine gesündere Gesellschaft schaffen zu wollen! Was die Prohibition wirklich verursacht ist eine Gesellschaft, in der der Konsument unnötige Gesundheitsrisiken auf sich nehmen muss. Pillen werden zum Teil nicht vorschriftsgemäß hergestellt, oftmals führen die schlechten Laborbedingungen zu einer falschen Synthese oder Verunreinigungen im Endprodukt. Eine standardisierte Produktion in einem kontrolliert pharmazeutischen Labor würde dieses Problem aus der Welt schaffen.
Und dann ist dort noch die Frage, wie hoch die verkaufte Dosis tatsächlich ist. Durch wie viele Hände ist das Produkt gegangen und wie sehr wurde es gestreckt? Und mit was? Die einfachen, auf dem Markt erhältlichen Pillentests können diese Fragen nicht alle beantworten, aber sie geben zumindest eine Idee davon, was ich mir da zuführe. Trauriger Weise schlagen skrupellose Dealer zurück. Beispielsweise beinhalteten einige Pillen 10 % MDMA und 90 % Koffein oder Pseudoephedrin. Ein einfacher Drogentest zeigt nur an, dass die Pille MDMA enthält, nicht aber, was deren Hauptbestandteile sind. Jüngere Konsumenten gewöhnen sich an die schwachen Dosierungen und nehmen teilweise zehn oder mehr dieser Pillen, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Was aber ist mit den Wirkungen von Koffein und Pseudoephedrin? Und was ist, wenn der Konsument an eine voll dosierte, reine Pille gerät, von der er oder sie wie üblich zehn nimmt?

Die gesundheitlichen Auswirkungen des „War on Drugs“ liegen offen dar.

Es ist traurig, aber die fatalen Folgen dieser Politik haben sich immer noch nicht weit genug rumgesprochen. Unterstützt wird der Irrsinn auch noch durch staatlich geförderte Forscher, die fehlerhafte Daten veröffentlichen, so wie das bei Dr. George Ricaurte der Fall war. Ricaurtes Versuche an Ratten führten ihn zu dem Schluss, dass eine einzelne Dosis MDMA schwere Schäden am Dopamin-Haushalt verursachen kann. Sein Report führte zu verschärften Gesetzen gegen MDMA in den USA. Später stellte sich die Untersuchung als völliger Humbug heraus, denn man hatten versehentlich Methamphetamin genommen, was erheblich potenter ist, statt MDMA. Als der Fehler entdeckt wurde, gab Ricaurte zu Mist gebaut zu haben, aber die Gesetze waren schon verabschiedet. Im Endeffekt kommt als Nachricht bei drogeninteressierten Jugendlichen an, dass die Regierung sie eh nur anlügt und die Drogen ungefährlich sind. Aber sie sind eben nicht völlig ungefährlich. Die Folge: Es entsteht ein Klima des Misstrauens, denn aus Sicht der Kinder und Jugendlichen sind Erwachsene Lügner. Der sich entwickelnde Groll dient später eventuell dazu, die eigene Unehrlichkeit zu rechtfertigen. Was für eine beschissene Welt bauen wir da für unsere Kinder?

Um das einseitig negative Bild, welches die Regierungen über Drogen in die Welt setzen, zu bekämpfen, müssen da eventuell die Menschen, die von ihren Drogenerfahrungen profitiert haben eine Art positive Gegenpropaganda kreieren?

Genau. Das führt gut zu dem anderen Bereich meines Interesses: der psychedelischen Kunst. Das Kunst durch Psychedelika inspiriert wird ist alltäglich. Dieser „Kunststil“ wird von Leuten angewendet, die daraus Werbefilme im TV für Süßigkeiten, Getränke oder auch Autos kreieren. Immer mehr Künstler nutzen psychedelische Drogen als Werkzeug für die Inspiration und sind auch bereit, darüber offen zu reden. Das Thema „Psychedelika“ ist in diversen Produkten der Popkultur gegenwärtig. Ob in Episoden bei den „Simpsons“ oder den „X-Akten“ oder als Basis für ein Drehbuch, man denke an die „rote Pille“ in „The Matrix“.
Einige zeitgenössische Künstler haben an Filmen mitgewirkt, wie beispielsweise H.R. Giger, der das Design für „Alien“ entwarf oder der Kanadier Luke Brown, der jüngst von Steven Spielberg für dessen neuen Film angestellt wurde.
Aber auch in Bereichen abseits der hohen Künste spielen psychedelische Substanzen bei kreativen Prozessen eine Rolle. So hat etwa der Träger des Chemie-Nobelpreises von 1993, Kary Mullis, in seiner Autobiografie die Welt wissen lassen, dass seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion (PCR) zur DNA-Synthese auf den Einfluss von LSD zurückgeht. Mark Pesce, Mitautor der Virtual-Reality Programmiersprache VMRL, gab zum Besten, dass ihm die Idee zu dem Code auf LSD kam, mehr noch, dass er LSD danach weiterhin nutzte, um den Code weiter zu entwickeln. Überhaupt war die gesamte Personal Computer Revolution von LSD angetrieben. Mensch, selbst Bill Gates von Microsoft sprach in einem Interview offen über seine LSD-Erfahrungen.
In meinem Leben agieren psychedelische Drogen als ein Fenster zu Wissensbereichen, an denen ich vorher wenig Interesse hatte: Botanik, Chemie, Geschichte, Studium von Religionen, Anthropologie und Soziologie, um nur einige zu nennen. Für mich ist klar, dass psychedelische Drogen ein wertvolles Werkzeug für positive Veränderungen sein können, persönlicher und gesellschaftlicher Art. Unser Job ist es, die „richtige“ Einstellung zu fördern. Wenn wir dies tun, so hoffe ich, beenden wir auch die herrschende falsche Einstellung gegenüber diesen Werkzeugen.

 

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Interview mit Claudia Müller-Ebeling

HanfBlatt, November 2004

Von alten und neuen Hexen und einem neuen Naturverständnis

Interview mit der Ethnologin und Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling

Claudia Müller-Ebeling

Schnell noch in den Teeladen. Heute hat sich Frau Doktor Claudia Müller-Ebeling angesagt, die 45-jährige Kunsthistorikerin und Ethnologin, die wir duzen dürfen. Auch az scharrt schon mit den Hufen, denn selten erhalten wir die Möglichkeit mit einer Kapazität auf dem Gebiet schamanistischer Traditionen in Europa zu reden. Zudem brennt uns das Thema „Frauen und der Rausch“ unter den Nägeln. Die Erforschung schamanistischer und kunstethnologischer Traditionen auf der Welt sind Themenbereiche von Claudia. Um das Leben anderer Gesellschaften begreifen und darstellen zu können, tauchte sie immer tief in deren soziale und kulturelle Strukturen ein. Vor allem betrachtete und analysierte sie Bilder und fragte nach ihrem Kontext und ihrer Bedeutung. Feste Strukturen vermeidet sie beim Schreiben, dementsprechend verläuft unser Gespräch konzentriert, aber frei floatend.

HB: Was sind eigentlich Hexen?

Claudia: Zunächst ein gesellschaftlich-historisches Konstrukt. Im Buch „Hexenmedizin“ beantwortet jeder das auf eine andere Weise. Wolf-Dieter Storl vermittelt die mythische Bedeutung von Pflanzen und ihren Gebrauch in archaischer Zeit. Christian Rätsch beleuchtet die antiken Vorbilder. Das späte Christentum und die Renaissance haben in erster Linie die Konzepte und Erzählungen aus der Zeit der Antike und des frühen Christentums übernommen und dämonisierte die Naturmagie mehr und mehr. Von daher reicht das Bild, welches wir von Hexen haben, zeitlich tief zurück.

HB: Wir verbinden ja meist das düstere Mittelalter damit.

Claudia: Ich weiß nicht, wie sich das Vorurteil des sogenannten „düsteren Mittelalters“ so lange halten konnte. Eigentlich ist es die düstere Neuzeit, denn das Mittelalter war licht und hell. Hier war die Sexualität befreiter, die körperliche und vor allem geistige Liebe hatte einen hohen Stellenwert. Dies ist nicht zu verwechseln mit der platonischen Liebe, die ja wahrlich keine unkörperliche, sondern eine Liebe nach Knaben war. So sind viele Begriffe durch die Mühle der Renaissance gegangen, eine Art Neoplatonismus, der versuchte, die Ideen Platons an ein christliches Gedankengebäude ranzubinden. So entstand die Dichotomie zwischen dem entkörperlichten Geistigen und den irdischen Niederungen.

HB: Und damit wurde auch Platons Idee wiederbelebt, dass es klüger ist, nüchtern in die Irre zu laufen, als berauscht Weisheit zu erlangen.

Claudia: Ja, es scheint immer einfacher, den bekannten Mist zu ertragen als neue Wege zu wagen. Alles was Berauschung ist, das Dionysische betrifft, ist mit persönlichem Erleben verbunden. Man schmeißt sich ins Erlebnis hinein. Unser christlich-wissenschaftliches Weltbild hat was gegen dieses eigene Erleben. Es klammert diese Erfahrung aus, weil es davon ausgeht, dass eigene Erfahrungen nur Voreingenommenheit schüren und dich in deine eigenen Gefühle einkapseln. Dann kann man die Realität nicht mehr objektiv sehen und Objektivität ist die Hohepriesterin der Neuzeit. Man soll die Dinge von außen betrachten, analysieren, interpretieren. Diejenigen die sich am Suff, der Liebe oder der Extase berauschen, sind dann arme Irre, die eh nicht mehr wissen, was sie tun. Dieses Erbe spukt in uns allen rum, sicher auch ihn mir, auch wenn ich das schön sezieren kann.

HB: Ein Bild der bösen Hexe haben wir sicher alle in uns. Frauen wiederum nehmen das Hexenthema neu auf, gründen Hexenstammtische oder treffen sich zum Hexen.

Claudia: Davon halte ich wenig. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, alte Hexenrituale wieder aufleben zu lassen, die zu einer neuen Wertschätzung der eigenen Natur und der um uns herum führen. Das Vermitteln von praktischen Erfahrungen ist positiv. Nur leider entwickeln diese Zirkel sich schnell zu elitären Gemeinden, die bestimmte Denklinien aufnehmen, die oft aus der Frauenbewegung stammen. Diese Linien werden dann eifrig verfolgt und nicht mehr weiter hinterfragt. De facto weiß man aber sehr wenig über historische Hexen, weil so viele Quellen verschütt gegangen sind. Die bruchstückhafte Zusammensetzung kann auf falsche Wege führen. Wendungen wie: „Ich bin eine moderne Hexe“ oder: „Ich bin ein Schamane“ sind immer problematisch, weil sie weniger auf Kenntnis historischer Zusammenhänge beruhen, als vielmehr auf Projektionen.
Die Umwertung eines ursprünglich als Diffamierung gemeinten Begriffs in etwas Positives ist ironisierend und eröffnet daher die Möglichkeit, spielerischer mit einer grausamen Vergangenheit umgehen zu können. Dann kann man besser daraus lernen und auf Defizite unserer Zeit hinweisen, beispielsweise auf die fortgesetzte Dämonisierung der Natur.

HB: Für uns ist es schon rein sprachlich problematisch, an alte Naturmythen anzuknüpfen, das zeigt das Beispiel der „modernen Hexen“ ja recht deutlich. Es müssten also neue Wege der Erfahrungsvermittlung gefunden werden.

Claudia:

Die Frauen suchen unter dem Eigen-Label „Hexe“ Selbstverwirklichung und Grenzen sich damit von der Gesellschaft ab. Es wäre produktiver, nach der Aufgabe zu fragen, die sie als „moderne Hexen“ für die Gesellschaft haben könnten.

HB: Was ist mit der „gereinigten Hexe“, die mit den bösen Kräutern nix am Hut hat?

Claudia: In den meisten der neueren Hexenratgebern sind die psychoaktiven Bestandteile fein säuberlich aussortiert worden. Da gibt es nur noch Kamillentee. Diese Trennung in „gute und böse Kräuter“ ist ein Erbe der christlichen Lehre. Die zugänglichen Quellen sind allesamt Fremdzuweisungen, es gibt kaum Aussagen von Hexen selbst. Von daher sagen die Quellen mehr über die Kirche und die Nachbarn als über die Hexen. Mit Sicherheit aber haben nicht nur Neid und Eifersucht den als Hexen diffamierten Frauen den Kopf gekostet, sondern auch die Tatsache, dass sie die Natur nicht als böse und sündig, sondern als Einheit aller Aspekte betrachtet haben; genau das heißt „ganzheitlich“.

HB: Wie haben Hexen gearbeitet?

Claudia: Die gründlich zerstörten schamanischen Traditionen Europas lassen sich ableiten von dem, was noch heute an Schamanismus auf der Welt existiert. Wenn man die Rolle der heutigen Schamanen in Asien und Südamerika berücksichtigt, dann stellt sich das Bild meiner Ansicht nach so da: Erstens gibt es da niemanden der sagt: „Ich bin ein Schamane“ und trommelnd durch die Gegend läuft. Der oder die sagt auch nicht: „Kommt zu mir, wenn ihr Probleme habt, ich habe Sprechstunde von 8.00 bis 14.00 Uhr und eine Behandlung kostet 300 Taler.“ Diese Menschen tun etwas und das hilft anderen, dann bildet sich der Ruf und andere Leute kommen. In den westlichen Ländern wird das sofort zu einem Business und einer Institution.

HB: „Das lohnt sich“, singt der Schamane…

Claudia: Sicherlich müssen wir alle von etwas leben. Die hauptberufliche Beschäftigung beinhaltet zumeist, dass wir daraus unser Geld beziehen. Einen hauptberuflichen Schamanismus gibt es fast nirgends auf der Welt. Dazu kommt, dass die Leute gerne andere Menschen auf den Sockel stellen, sie wollen dich verherrlichen, dich idealisieren. Wenn man denen sagt: „Das kann ich nicht“ oder „Das weiß ich nicht“, dann sind die stinksauer. Diese Projektion nach außen fällt dann brutal auf dich zurück. Oft gehen deshalb die meisten Schamanen und Hexen sich selbst in die Falle und denken irgendwann tatsächlich, dass sie ganz toll sind und als Hexe oder Schamane gut Geld verdienen können.

HB: Wenn wir den Faden im Mittelalter aufnehmen: Hat die Kirche mit ihrem Anspruch auf das Heil der Menschen die Kräuterfrau und ihre Heilkräuter verdrängt?

Claudia: Zunächst einmal gibt es auch männliche Hexer und Zauberer. Das Bild der Hexe war aber ein schillerndes und attraktives, das sich mit dem sinnlich-erotischen Komplex gut verbinden ließ. Das lustfeindliche christliche Weltbild ließ den Sex nur zur Fortpflanzung zu – die rein der Erotik wegen betriebene Lust ist aus dieser Sicht etwas Bitterböses. Noch heute haben Menschen, die unter diesen Moralvorstellungen aufwachsen, erhebliche Probleme bei der Entfaltung einer gesunden Sexualität. Diese Gespenster wurden ihnen angehext und nun müssen sie sehen, wie sie ihre eigene, entspannte, natürliche Erotik wiederfinden. Die Hexe war also eine Projektionsfigur, die mehr war als eine Kräuterkundige. Im 15. und 16. Jahrhundert lebten die Menschen mit spirituellen und heilerischen Kräften eher auf dem Land. Das lässt sich heute noch gut in Nepal nachvollziehen. Wenn man dort Kathmandu hinter sich lässt, dann lässt man auch Ärzte und Hospitäler hinter sich. Dann findest du Leute, die können vieles zugleich. Und manche können halt Menschen heilen und das sind die Schamanen. Die sind aber nicht nur und allein Schamanen, sondern auch Bauern oder was weiß ich…

HB: Der Bauer im Mittelalter merkte irgendwann „Ich kann helfen“?

Claudia: Ja. Lange Zeit ist es kein Problem gewesen, dass es in den Städten ausgebildete Ärzte und Apotheker gab. Das waren immer Männer, denn die Universitäten ließen keine Frauen zu. Die hatten ihr städtisches Klientel. Die armen Menschen auf dem Land gingen aber weiterhin zu ihrem Kräuterweib. Irgendwann ist dies im Zuge der Diffamierung der Frau zum Problem geworden. Witwen oder Frauen ohne Ehemann lebten außerhalb der Versorgungsstruktur und damit auch außerhalb der Gesellschaft. Die mussten sich alleine durchs Leben schlagen. Dieser Alleingang war gefährlich, denn ansonsten lebten sie unter der Haube, wie man so schön sagt, eben unter der Oberaufsicht des Mannes. Frauen, die ihr Leben alleine bewältigten und dazu noch Fähigkeiten der Heilkunst hatten, wurden wohl zunehmend als bedrohlich empfunden.
Hexe von Francisco Goya (1746-1828)

HB: „Sexy Hexy“, das klingt sogar ähnlich. Verdorbene Buhlerinnen des Teufels. Die Angst vor weiblicher Sexualität muss eine wichtige Rolle gespielt haben.

Claudia: Und ein Denken, welches allen monotheistischen Religionen, gleich ob Judentum, Christentum oder Islam, anhaftet. Diese Religionen beten einen Gott an und dieser eine Gott ist gut und alles was nicht gut ist, stellt den Teufel dar. Mit diesem dualistischen Bild ermöglichst du diese Ausgrenzung des Fremden, des anderen. All das, was du in dir selber nicht wahrnehmen willst, kannst du wunderbar nach außen projizieren. Dann kannst du davor warnen, es verfolgen und dich gleichzeitig dran ergötzen. Alles was du dir nicht traust, das kannst du den Hexen dann unterjubeln. Die Protokolle aus der Zeit zeigen ganz deutlich die überhitzten Fantasien von Leuten, die gewisse Sachen nicht ausleben durften.

HB: Und genau das erleben wir doch heute beispielsweise mit den Gebrauchern kriminalisierter Drogen.

Claudia: Genau. Es ist ja auch perfide: Gerade in der momentanen Medienwelt gehört zum Beispiel Koks zum Arbeitsalltag. Hinter den Türen wird gekokst und gleichzeitig wird ein Artikel über sogenannte „Teufelsdrogen“ verfasst. Was den modernen Medien fehlt, ist ein Nachdenken über die Mechanismen in den Medien.

HB: Da müsste mal ein Beobachter den Beobachter beobachten.

Claudia: In jedem Medium muss man doch in der Lage sein, selbstkritisch zu hinterfragen, was man tut und nicht immer nur zu hinterfragen, was andere tun. Kläre ich auf oder trage ich dazu bei, dass ein Vorgang weiterhin im Dunklen dümpelt? Ich bin schon der Meinung, dass heute viele Natursubstanzen verteufelt werden, weil keine Pharmaindustrie davon profitieren könnte. Wenn jeder sich sein Gras und seine Kräuter auf dem Balkon zieht, dann kann man ihm nichts mehr verkaufen.

HB: Als Frau, die sich mit den Hervorbringungen der Natur beschäftigt, wie siehst du da die bestimmende Rolle der Technik in der modernen Welt, die ja auch eine Männerdomäne ist? Heute geht es ja weniger darum, ob wir mit der Technik leben wollen, sondern wie wir mit ihr leben können.

Claudia: Den Gegensatz zwischen Natur und Technik gab es schon immer, nur wurde er früher anders bezeichnet. Alles, was wir Menschen schaffen, sei es Technik, Dichtung oder Bilder, ist Kultur. Die Männer waren und sind, eher als Frauen, damit beschäftigt, Dinge mit ihren Händen oder ihrem Kopf selber zu produzieren. Damit produzieren sie eine Alternativschöpfung, eine Schöpfung, welche ihnen ansonsten verwehrt ist. Der elementare Schöpfungsakt, die Schaffung neuen Lebens, ist ihnen verwehrt. Das Problem dabei ist, dass die Männer ihren Schöpfungen einen höheren Stellenwert zusprechen.

HB: Damit lässt sich eine direkte Linie zur Naturentfremdung und Naturzerstörung ziehen.

Claudia: Absolut. Das siehst du ja deutlich, wenn du dir Gesellschaften anschaust, die noch in einem Naturkontext stehen, Naturvölker eben. Die sehen unmittelbar, dass sie sich gegenüber der Natur so verhalten müssen, dass ihre eigene Kultur und die sie umgebende Natur in Balance sind. Dafür gibt es dann ganz viele Regularien: Wenn du auf die Jagd gehst, musst du mit den Herren der Tiere Kontakt aufnehmen und sie um ein Opfer bitten. Damit leben diese Menschen aber nicht in ständiger Angst vor Göttern und Dämonen. Sie haben nur ein Gefühl dafür, was ihr Handeln in der Natur für Auswirkungen hat. Jeder ist damit für seine eigenen Handlungen verantwortlich, das ist supersimpel. Dieser Zusammenhang ist uns verloren gegangen. Wir glauben, unser Handeln hat erst in 100 Jahren Auswirkungen.

HB: „Nach mir die Sintflut.“ Wie soll es weitergehen?

Claudia: Natur und Kultur müssen sich immer wieder neu arrangieren. Wir haben Welten geschaffen, die zum Teil unter völligem Ausschluss des Natürlichen existieren. In den Städten können wir ja tatsächlich auf die Idee kommen, unabhängig von den natürlichen Abläufen zu leben. Wir haben unser eigenes Licht, Heizung, Klimaregelung.

HB: Das Kernkraftwerk steht halt nicht im Wohnviertel. Die meisten Menschen in Westeuropa kennen nicht mehr die Lebenszyklen der Pflanzen und Tiere, die sie sogar essen. Die meisten Tiere haben sie nicht mal leben gesehen. Wie sollen sie dann die Wirkung oder Heilwirkung von Nahrung und Pflanzen kennen?

Claudia: Richtig. Bei allem, was wir eben beschrieben haben, klammern die Menschen die eigene Erfahrung aus. Wenn du dir bestimmte Pflanzen einverleibst, dann machst du eine Erfahrung, die dein Denken verändern kann. Ich finde es immer wieder sehr verblüffend: Egal, wohin man auch kommt auf der Welt, die Menschen, die psychoaktive Pflanzen nehmen, leben zwar alle in unterschiedlichen Kontexten, sie verbindet aber alle dasselbe: Sie haben ein ausgeprägtes Naturbewusstsein, sind ökologisch und an Mythen interessiert und stellen Religionen und andere hierarchische Systeme in Frage. Das ist keine organisierte Bewegung, das ist Folge der Veränderung, die dadurch entsteht, dass du dich auf psychedelische Art mit den Pflanzen verbindest, die du eingenommen hast. Und ich weiß, es klingt idiotisch, aber diese Pflanzen reden dann auf ihre Art mit dir. Dabei tritt man mit Wissensebenen in Kontakt, die analytisch nicht zugänglich sind. Sie entziehen sich der Logik und sind trotzdem nicht irrsinnig, sondern sehr richtig. Darin liegt auch eine Ursache für die Verteufelung dieser Pflanzen: Die Erfahrung mit ihnen erschüttert die Säulen DES logischen Weltbildes. Es existiert dann zum Beispiel plötzlich nicht nur regulierte Sexualität, sondern sinnliche Sexualität, die ausbricht.

HB: Zurück zur Natur?

Claudia: Wenn ich mir Werbung anschaue, dann wundere ich mich. Die Industrie macht sich die Tatsache zu Nutze, dass wir wesentlich durch unsere Emotionen motiviert werden. Wir tun nicht Dinge, weil wir einsehen, dass es vernünftiger und besser ist, sie zu tun, sondern wider besseren Wissens tun wir Dinge, die einfach Spaß machen. Wie uns die Werbung ständig erzählt, machen uns alle mögliche Dinge Spaß, die die Konsumkultur und den Absatz ankurbeln. Auf der anderen Seite sollen wir aber ganz vernünftig sein und der Natur zuliebe auf alles mögliche verzichten, was uns Spaß macht. Das kann so nicht klappen, das wird nie funktionieren.

HB: Also müsste man das Umweltbewusstsein mit dem Spaßfaktor kombinieren.

Claudia: Genau. Es macht ja auch tatsächlich Spaß in einem sauberen Fluss zu baden und reine Luft zu atmen. Manche Naturschutzverbände haben das mittlerweile kapiert und werben dementsprechend. Es ist deutlich: Leute aller Alterstufen werden am Strand zu buddelnden und planschenden Kindern. Sie verbinden sich mit dem Element Wasser.

HB: Als Frau kannst du uns garantiert etwas zum Thema „Frauen und Rausch“ sagen. Wie kommt es, dass Frauen meist viel vorsichtiger bei psychedelischen Rauscherfahrungen sind?

Claudia: Im Anschluss an das bisher Gesagte sind Frauen deutlich mehr in einen natürlichen Zyklus eingebunden. Ihr Körper verändert sich zyklisch, sie können Leben geben und ernähren und während dieser Zeit ist ihre Chemiefabrik und damit ihre Emotionen umgestellt. Bei den Männern ist der Wunsch nach Kreation genauso vorhanden, auch sie wollen Naturkräfte in sich erfahren. Nur müssen sie sich halt anderer Mittel bedienen. Meine Hypothese ist, dass Frauen Psychedelika nicht benötigen, weil sie den Naturkräften ohnehin mehr verbunden sind als die Männer. Andererseits spielen Ängste auch eine Rolle. Die meisten Autoren, die sich mit Psychedelika beschäftigen, sind Männer.

HB: Wahrscheinlich die männliche Eigenart der permanenten und intensiven Grenzüberschreitung.

Claudia: „Psychedelisches Bodybuilding“ ist ein durchaus vorkommendes Phänomen. Damit bezeichne ich den unseligen Trieb vieler, sich möglichst viel einzuklinken, weil man ja stärker ist als die stärkste Dosis.

HB: Der Feminismus hat ja auf seine Art versucht, den Frauen mehr Geltung zu verschaffen, aber wohl nicht der Weiblichkeit. Wie siehst du die Entwicklung?

Claudia: „Der“ Feminismus hat lange Zeit primär versucht, männliche Qualitäten in Frauen zu aktivieren, um der Männerherrschaft etwas entgegenzusetzen. Viele Frauen haben sich dem angepasst und darüber weibliche Qualitäten vergessen. Mit „weiblichen Qualitäten“ meine ich, mal ganz klischeehaft: Warmherzigkeit, die breite Ebene der Gefühlspaletten, Intuition und eine weniger hierarchische Denkweise. Frauen haben eher das große Ganze im Blick und sehen welches Rädchen jeder darin ist. Männer tendieren zum linearen Denken – „das will ich und so komme ich dahin“. Der gerade Weg ist per se aggressiver, da schlägst du dir halt eine Schneise durch das Dickicht. Frauen mäandern eher zum Ziel, kommen damit meist besser mit der Natur der Dinge klar, verlieren aber oft im linear ausgerichteten Wettbewerb.

HB: Wie siehst du dich diesbezüglich?

Claudia: Ich bin zwar eine Frau, in erster Linie aber ein Mensch. Sicherlich habe ich weibliche Qualitäten, aber ich habe auch männliche. Ich fühle mich in einer Frauengemeinschaft nicht unbedingt solidarischer und wohler als unter Männern – oft im Gegenteil.

HB: Das geht uns Mimosen natürlich runter wie Honig. Vielen Dank für das Gespräch.

 

az und adh

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Coffee-Shop-Veteran Nol van Schaik

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Coffeeshop-Virus breitet sich aus

Interview mit dem niederländischen Coffeeshop-Betreiber und Cannabis-Aktivisten Nol van Schaik

Nol van Schaik hat nicht nur einen guten Namen, sondern hat sich auch einen guten Namen gemacht. Einst 1989 beim Schmuggel von 200 Kilogramm Marokkaner nur knapp den französischen Strafverfolgungsbehörden entkommen, und seitdem von diesen gesucht, eröffnete der ehemalige Bodybuilder und American Football-Spieler 1991 in seiner schönen Geburts- und Heimatstadt Haarlem, nur 15 Bahnminuten von Amsterdam entfernt, den ersten von drei „Willie Wortel“-Coffeeshops. Mit seiner Partnerin Maruska de Blaauw gründete er 1998 das „Global Hempmuseum“ und einen Growshop in Haarlem und setzt sich für ein patientengerechtes Abgabesystem für medizinisch genutztes Cannabis über Coffeeshops ein. Im Jahr 2001 versuchte er gemeinsam mit dem mutigen britischen Medical Marijuana-Kämpfer Colin Davies und anderen den ersten Coffeeshop nach niederländischem Vorbild in Stockport bei Manchester zu etablieren und riskierte dabei seine Freiheit. Ein Hanfmuseum im Belgischen Antwerpen einzurichten, scheiterte ebenfalls am Widerstand von Polizei und reaktionären Politikern. Unermüdlich engagiert er sich für Erhalt, Verbesserung und Ausweitung des erfolgreichen niederländischen Coffee-Shop-Systems, 2002 mit der Gründung eines „Coffeeshop-College“, eines Kurses für angehende Coffeeshop-Betreiber. Sein letzter Coup ist „The Dutch Experience“, ein äußerst lesenswertes Buch eines Insiders über 30 Jahre Coffeeshop-Geschichte, von der Gründung des ersten Hippie-Coffeeshops „Mellow Yellow“ 1972 durch Cannabis-Pionier Wernard Bruining (förderte praktisch als „Johnny Appleseed“ des psychoaktiven Hanfes schon 1981-1985 den Nederwiet-Eigenanbau mit der „Lowlands Seed Company“ und in den Neunzigern mit dem „Positronics Sinsemilla Fanclub“), sowie der kommerziellen Unternehmen „Bulldog“ und „Rusland“, bis zu den Problemen, mit denen sich Coffeeshop-Betreiber wie Nol bis heute konfrontiert sehen. Für die Zukunft ist ein kleines „Bud, Bed and Breakfast“ über seinem „Sativa“-Coffeeshop geplant. Und auch in Spanien engagiert sich Nol in Sachen Cannabiskultur. Nol van Schaik

az: Eines vorweg, auch wenn der Coffeeshop-Betrieb natürlich ein Geschäft ist, dass sich lohnen muss, so möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir und allen anderen Coffeeshop-Aktivisten im Namen Vieler für eure Standhaftigkeit und euer Engagement in dieser Sache zu danken. Die Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden existieren, scheinen eine praktikable Möglichkeit zu bieten und ein Vorbild dafür zu sein, wie man mit dem Verkauf und Konsum von Cannabisprodukten umgehen kann. Absurderweise werden in anderen Ländern wie Deutschland immer wieder Kommissionen gegründet, die andere Wege untersuchen, den Konsumenten selbst meist zutiefst suspekt, wie das Apothekenabgabemodell oder der Vetrieb über Drogenfachgeschäfte mit Fachpersonal. Ist der Coffeeshop nun tatsächlich das beste Modell für die Abgabe und den Konsum von Cannabis?

Nol: Sehr freundlich von dir uns eure Anerkennung für unseren Kampf auszudrücken; ich hoffe er mag euch in naher Zukunft als Beispiel dienen! Das Coffeeshopmodell beabsichtigte damals bei seiner Einführung wie auch heute die Cannabisgebraucher, meist junge Leute, von den harten Drogen und ihren Konsumenten fernzuhalten. Das funktionierte und funktioniert immer noch. Verglichen mit den Ländern rund um uns herum, hat Holland prozentual weniger Konsumenten von Cannabis, obwohl es frei erhältlich ist, und als eine Konsequenz dieses Systems auch weniger Konsumenten harter Drogen. Auch wenn das Niederländische Coffeeshopsystem beispielhaft sein mag, so ist die Niederländische Cannabis- und Coffeeshoppolitik aus meiner Sicht fern davon realistisch zu sein. Wie auch immer, unsere Kunden bemerken unsere Probleme nicht. Sie können Cannabis innerhalb unserer Öffnungszeiten frei kaufen und konsumieren. Wenn man das Niederländische Coffeeshopmodell mit all den Nicht-Politiken auf der Welt vergleicht, muss ich sagen, dass wir die beste Lösung für die Cannabisverteilung haben.

az: Welche Bedingungen müssen für den Betrieb von Coffeeshops noch verbessert werden?

Nol: Die Niederländische Regierung verlangt von uns mit nur 500 Gramm Vorrat zu arbeiten, was schwierig zu machen ist, insbesondere, wenn man 25 verschiedene Cannabisprodukte auf dem Menü hat. Das sollte abgeschafft werden. Jeder Laden, der alkoholische Getränke führt, kann soviel Alkohol kaufen, lagern und verkaufen, wie er will, obwohl der Alkoholkonsum jeden Tag allein in Europa den vorzeitigen Tod von hunderten Menschen zur Folge hat. Zusätzlich sollte das Mindestalter für das Betreten eines Coffeeshops auf 16 Jahre herabgesetzt werden, so wie es bis 1996 der Fall war. Die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre hielt die jungen Menschen nicht vom Cannabisrauchen ab, es zwang sie lediglich auf der Straße zu kaufen, von Leuten, die auch harte Drogen verkaufen! Coffeeshops decken nur 20 Prozent der holländischen Städte ab, es sollten aber 100 Prozent sein! Nur 104 von 502 Niederländischen Stadtbezirken haben Coffeeshops in ihren Stadtgrenzen! Das ist verursacht durch die meistens der CDA angehörenden Bürgermeister der Städte ohne Coffeeshops. Wie ihre Partei wollen sie die Nulllösung in Sachen Coffeeshops. Und noch immer bezeichnet unsere Regierung Holland als Demokratie…

az: Wie sieht die Zukunft des Coffeeshop-Modells aus? Wird es liquidiert oder ersetzt werden, oder werden es andere Länder übernehmen?

Nol: Die Coffeeshops als solche können nicht liquidiert oder ersetzt werden, nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Es ist wahrscheinlicher, dass es sich ausbreiten wird, overground, das heißt, der Coffeeshop-Virus ist nämlich schon underground gesichtet worden, zum Beispiel an den Orten, wo ihr euer Rauchzeug besorgt…

az: Ein sympathischer Virus! Muss man denn hart sein, um sich im Coffeeshop-Geschäft behaupten zu können?

Nol: In gewisser Weise ja, aber nicht im Geschäft an sich, sondern mehr gegenüber dem ständigen Druck durch die Veränderungen in der Politik. Du musst stark sein, um einen Coffeeshop zu eröffnen, stark gegen das negative Image, das geschaffen worden ist, gegen die Autoritäten, die dich nicht mögen und gegen dumme Leute, die zufällig Justizminister sind. Das Cannabusiness in Holland ist O.K.; es wurde angefangen von einem Hippy, was die Standards gesetzt haben muss, Danke, Wernard!

az: Was macht einen guten Coffeeshop aus?

Nol: Ein guter Coffeeshop hat freundliches erfahrenes Personal, das Hasch und Marihuana guter Qualität verkauft, bevorzugt über die Waage, nicht in vorabgepackten Tütchen. Die Lüftung ist ausreichend; der Ort ist schön dekoriert und hat eine warme einladende Atmosphäre. Alle Arten von Rauchzubehör sollten vorhanden sein, ebenso wie ein guter Vaporizer. Selbst ein kleiner Shop sollte einige Brettspiele, Zeitung(en) und einen Cookie mit einer Tasse Kaffee bieten können.

 

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az: Natürlich kann er oder sie zu dir kommen, aber wie findet man den passenden Coffeshop ohne zu lange zu suchen, ganz allgemein?

Nol: Coffeeshops unterscheiden sich sehr im Stil oder kulturellem Vorherrschen, wie Bars oder Discos. Ein Hard Rock-Fan wird in keinem Fall in einen Reggae-Style-Coffeeshop gehen. Mein Tip: Geh an einen Ort mit vielen lokalen Stammkunden, weil die deine Preis-Leistungsverhältnis-Garantie sind. Ortsansässige werden keine hohen Preise für niedrige Qualität akzeptieren, deshalb tust du besser daran, dort zu kaufen, als an einem Ort, der hauptsächlich von Touristen besucht wird. Der erste Kontakt mit dem Personal sagt dir auch eine Menge; wenn sie freundlich sind, spiegelt sich das in der Kundschaft des Coffeeshops.

affe raucht

az: Wie alt muss ein Kunde sein? Wieviel darf er einkaufen? Darf er an den Thresen für wiederholte Käufe gehen? Darf er mehrmals am Tag wiederkommen? Was geschieht, wenn er mit seinem Kauf von der Polizei geschnappt wird? Gibt es außerhalb oder innerhalb der Coffeeshops Kontrollen?

Nol: Jeder Kunde über 18 Jahren kann 5 Gramm pro Coffeeshop pro Tag kaufen. Sie können für mehrere Käufe wiederkommen, aber tatsächlich müssen wir uns daran halten, pro Person pro Tag 5 Gramm zu verkaufen. In Wirklichkeit verkaufen wir dir, was du rauchen kannst…Die Polizei hat keine Zeit, kein Personal und keine Motivation die Verkäufe der Coffeeshops zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nur real in der Grenzregion zu Belgien.

az: Wie sollte sich ein Coffeeshop-Besucher benehmen?

Nol: Wie einer von uns, baue, inhaliere und genieße die Gesellschaft anderer Raucher. Es funktioniert immer. Cannabis ist auch eine Art Sprache, die jeder Raucher versteht. Benimm die einfach natürlich…

az: Wie kann man als Kunde die richtige Wahl aus den umfangreichen Menüs treffen? Wie sollte er wählen, und was sollte er meiden?

Nol: Das hängt von deinem Geschmack und Toleranzlevel ab. Wenn du also ein erfahrener Raucher bist, wag dich ans ganze Menü! Es ist ganz normal, den Dealer zu fragen. Sie können dich dabei beraten auszuwählen, wenn du ihnen erklärst, was du von dem Cannabis willst, ein helles High oder einen entspannenden Buzz. Mehr als eine Frage der Auswahl, ist es eine Frage der Dosierung. Jeder kann das stärkste Ice Hasch rauchen, wenn er seine Pfeife oder seinen Joint entsprechend seiner Bedürfnisse dosiert.

az: Gibt es noch importiertes Haschisch oder Gras, das mit dem kräftigen heimangebauten Nederwiet und Nederhasch konkurrieren kann?

Nol: Zur Zeit können sie nur unser Menü ergänzen. Hasch ist jetzt nur noch 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe. Es waren vor zwölf Jahren 90 Prozent. Einige Hasch-Varietäten, wie Nepalesische Tempelbälle und Indischer Charas, sind unvergleichlich. Manche Leute werden sie immer gegenüber Nederwiet bevorzugen.

az: Manche sagen, das importierte Gras und Hasch in den früheren Tagen vor der Einführung von Nederwiet seien nicht so stark und von solcher Qualität gewesen, wie das Homegrown-Zeug heute. Was sagst du dazu?

Nol: Wahr, aber das war gewöhnlich (von) samenreichem Weed. Die Sinsemilla-Anbautechniken haben die Qualität der Buds und des extrahierten Hasch verbessert.

az: Sind immer noch qualitativ hochwertige Sorten wie Afghane, Nepalesische Tempelbälle und Thaisticks erhältlich wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern, oder gehören sie ins Reich der Legenden? rund 3 gramm haschisch

Nol: Wir haben Nepalesische Tempelbälle auf unserem Menü und zwei Sorten Afghanen, also sind sie immer noch am Leben und qualmen. Ich hatte bis vor zwei Jahren Thaisticks, hab aber seitdem keine Guten mehr gesehen. Ich hoffe, wir werden auch in der Zukunft in der Lage sein, gute ausländische Haschsorten zu führen. Wir haben außerdem Indischen Charas und etwas Malana Cream, alles abhängig von unseren guten Kontakten mit den Lieferanten, die wir jetzt seit vielen Jahren kennen.

az: Welche Sorten sind definitiv vom Markt verschwunden? Gehören Türkisches und Libanesisches Haschisch dazu?

Nol: Da war nie eine große Ladung Türkisches Hasch erhältlich. Es kommt immer in kleinen Mengen, wenn es kommt. Es ist keine konstante Sorte. Libanese wird wahrscheinlich bald wieder zurück sein. Das Bekaa-Tal ist wieder voller Cannabis. Aber was uns kürzlich als Libanese angeboten wurde, kam wahrscheinlich aus Syrien, nicht so gut.

az: Mit Cannabis ist es ähnlich wie mit Wein, Kaffee oder Zigarren. Der Feinschmecker liebt ausgefallene Varietäten aus aller Welt. Hast du jemals Chinesisches, Philippinisches oder Haschisch von anderen exotischen Lokalitäten getestet?

Nol: Ich habe Chinesisches Hasch probiert, gebracht von einem Freund, der dort aus geschäftlichen Gründen war, nicht schlecht, aber nichts Besondres. Ich wünsche mir, ich könnte das Unbekannte testen…

az: Hat es im Laufe der Jahre Veränderungen in den Vorlieben bezüglich der verschiedenen Sorten gegeben? Bevorzugen bestimmte Subkulturen spezielle Cannabisprodukte? Haben Menschen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Favoriten?

Nol: Nicht dass ich wüsste, insbesondere nicht mit der Auswahl, die wir bieten. Die Leute lieben es, eine Menge verschiedener Varietäten auszuprobieren. Coffeeshops sind die Orte, wo du das kaufst, was du in deiner Gegend nicht kriegen kannst.

az: Du hast zweien deiner Coffeeshops die Namen „Indica“ und „Sativa“ gegeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Indica-Freund und einem Sativa-Liebhaber?

Nol: Der einzige Unterschied ist ihre Vorliebe für Sorten, von denen sie das kriegen, was sie wollen. Am Ende sind sie beide einfach Genießer von Cannabis; einer braucht ein stärkeres Gras um auf ein bestimmtes Level zu kommen, aber sie beide werden das Level erreichen, was sie sich wünschen. Oh, und ihre Joints riechen recht unterschiedlich!

az: Was kann ein Kunde tun, wenn er sich angeschissen vorkommt? Ich weiß, das in den meisten Fällen, insbesondere heute, die meisten Produkte der meisten Coffeeshops von einer relativ guten Qualität sind, zumindest machen sie stoned, obwohl die Preise angestiegen zu sein scheinen. Aber es ist nicht unmöglich, dass jemand importiertes Hasch oder Gras kauft, das zu alt, zu schwach, ausgetrocknet oder verschimmelt ist, oder im Falle von Nederwiet mit Pestiziden behandelt. Es gibt außerdem Gerüchte über die falsche Bezeichnung von Gras- und Haschsorten oder der Streckung und Mischung von Hasch um die Nachfrage nach bestimmten Varietäten zu befriedigen. In den Achtzigern gab es auch Betrügereien, den Verkauf von Hasch-Fälschungen („Afghan“, „Malana Cream“) an unwissende und schüchterne Touristen, meist in kurzlebigen Hanfblatt-Cofffeeshops im Zentrum von Amsterdam, aber ich beobachtete dies sogar einmal bei dem heute nicht mehr existierenden Hausdealer im berühmten Melkweg.

Nol: In unseren Shops kannst du immer zurückkommen und umtauschen, wenn du die Buds oder das Hasch, das du gekauft hast, nicht magst. Ich kann sagen, dass wir so wie viele unserer Kollegen kein schlechtes Cannabis haben. Ich weiss, dass andere, seit Jahren immer die selben Sorten auf dem Meü haben, was praktisch unmöglich ist. Du magst White Widow ordern und Power Plant kriegen, das ist wahr. Ich gehe dann und wann auf kleine Shoppingtouren durch Holland und unglücklicherweise gibt es immer noch Shops, die Weed und Hasch niedriger oder schlechter Qualität verkaufen. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist dass der Besitzer eines solchen Ladens selbst kein Cannabis raucht. Ein Raucher würde Seinesgleichen kein schlechtes Zeug anbieten. Wieauchimmer, wenn ich es mit 7/8 Jahren davor vergleiche, hat sich das sehr verbessert. Das ist der sich selbst regulierende Weg, nach dem das System funktioniert. Wenn du nur schlechte Ware hast, wird der Raucher zum nächsten Kollegen gehen, so dass du gutes Zeug verkaufen musst, um nicht bankrott zu gehen. Die Leute sollten eine Site im Internet haben, wo sie von schlechtem Cannabis berichten könnten, findest du nicht auch?

az: Sicher, sicher, eine gute Idee, und dazu noch umsonst, also ran an die Kartüffeln…Wie du es in deinem wunderbaren Buch erzählst, bist du sehr offen mit deinem Geschäft. Jeder kann weltweit den Verkauf von Cannabis in einem deiner Shops über Webcam fast live beobachten. Hat mal jemand deiner Kunden dagegen protestiert, oder lächeln sie alle nur, weil ein freier Mensch nichts zu verbergen hat, auch wenn es dumme Menschen nicht verstehen?

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Nol: Wir hatten nie eine Beschwerde darüber. Einige Leute wollen austesten, ob es echt ist, also winken wir ihnen oder halten einen Geldschein vor der Kamera hoch, so dass sie sehen können, dass wir lebendig sind.

az: Beabsichtigst du mal eines Tages ein Fachbuch über Management und Warenkunde für Coffeeshop-Gründer und -Mitarbeiter zu veröffentlichen? Du könntest der Richtige dafür sein.

Nol: Ich arbeite zur Zeit in Spanien gerade genau da dran, und ich bereite einen neuen Kurs vor: „Cannabis Noledge“. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

az: Und wer zum Teufel ist „Willie Wortel“?

Nol: „Willie Wortel“ ist der holländische Ausdruck für eine erfinderische Person, die ständig mit neuen Dingen kommt. Es ist auch ein Charakter in „Donald Duck“, der erfinderische Storch, ein Neffe von Donald. Viele Leute nennen mich Willie, aber ich nenne nur einen bestimmten Teil meines Körpers so.

az: Möchtest du etwas hinzufügen?

Nol: Kämpft weiter gegen die Prohibition. Wir können die Lügen besiegen!

Das Buch:

Nol van Schaik
The Dutch Experience.
The inside story: 30 years of hash grass coffeeshops, 1972-2002
2002, Real Deal Publishing (www.realdealpublishing.com)
323 Seiten

Weitere Informationen:
www.hempcity.net