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Interview mit Baba Rampuri

HanfBlatt Nr. 107, Mai 2007 Ein Interview mit Baba Rampuri

az

Im Jahre 1969 machte sich ein in Chikago geborener und in Beverly Hills aufgewachsener junger Mann mit wenigen Dollar in der Tasche dem Hippie-Trail folgend auf den Weg nach Indien. Er war einer jener Suchenden, die von spiritueller Entwicklung und Erleuchtung träumten und sich mit Dope-Rauchern und Abenteuer-Begeisterten, oft alles in ein und der selben Person vereinigt, auf die Reise begaben. Zufällig begegnete er einem Typen, der ihm Hinweise gab, wohin er sich auf seiner persönlichen Suche in Indien wenden könne. Er landete zu Füssen von Hari Puri Baba, der in Rajasthan residierte. Dieser war ein wichtiger Naga Yogi, einer jener bärtigen von Dreadlocks überwucherten Chillam-rauchenden mit Asche bedeckten heiligen Männer, die ein Leben führen, das dem, was Westler gewöhnlich für eine nützliche Existenz halten, komplett entgegengesetzt zu sein scheint. Von einem Augenblick auf den nächsten entschied er in einem Versuch, seine westlichen Vorurteile und Prägungen über Bord zu werfen, dies ist die Chance, selbst ein Yogi zu werden. Hari Puri Baba begrüßte ihn als Schüler und wurde sein Guru. Der junge Amerikaner wurde rasiert und zu Rampuri. Er ging auf einen sehr langen erschütternden und transformierenden Trip, der ihn zum ersten Fremden werden ließ, der in „Juna Akhara“ initiiert wurde, einen uralten Orden, der auch „Die Entsagenden der zehn Namen“ genannt wird. Später gründete er selbst einen Ashram in Hardwar. Er blieb bis zum heutigen Tag in Indien. Vor Kurzem ist er wieder in den Westen gereist und hat ein sehr aufschlussreiches Buch über seinen Prozess der Initiation in die spirituelle Welt der Yogis mitgebracht. Im Namen des „Ordens der Völlerei“ früher bekannt als „hanfblatt“ stelle ich Baba Rampuri einige typische westliche Fragen zur Erbauung der weniger erleuchteten Dope-Raucher. Aber Spaß beiseite, hier kommt das Interview:

 

Hanfblatt: Was war dein Motiv, nach all diesen Jahren gerade jetzt mit einem Buch heraus zu kommen?

Baba Rampuri: Es gab mehrere Motive. Das Persönlichste davon war die Notwendigkeit den Geist meiner 37 Jahre in Indien auszutreiben und mich, indem ich dieser sehr seltsamen Erfahrung etwas Bedeutung gab, weiter zu entwickeln. Spiritualität ist so sehr Mainstream geworden – und ich möchte bemerken und anfügen, dass in den 70ern sogar die wilden Freaks, Anarchisten und Psychedeliker oft, indem sie eine Art von Spiritualität in die Arme schlossen, so wurden, wie die angepassten Christen oder Juden, gegen die sie scheinbar rebellierten, außer, dass sie es anders bezeichneten, mit einem indischen Namen für gewöhnlich, und ihr Vokabular dann mit indischen Wörtern würzten. Ich habe es nie gemocht, Händchen zu halten und „OM“ zu brummen, „Saving Grace“ zu singen, „Hanuman Chalisas“ auf Country und Western-Musik zu propfen, in Flughäfen zu predigen oder mir selbst auf die Schulter klopfend zu gratulieren, dass ich gerettet wurde. Im Gegenteil – meine Erfahrung ließ den Anarchisten in mir wachsen, vergöttlichte das psychedelische Mittel, dehnte meine kleine Politik in die Metapolitik der Kultur aus und verband mich fest mit einem Universum, das im Widerspruch zu dem Weltbild meiner Erziehung stand. Ich schätze, du könntest das meine Spiritualität nennen.

Nun, während mich dies im Westen „widerspenstig“ oder sogar subversiv erscheinen lässt, werde ich merkwürdigerweise innerhalb der ältesten Tradition Indiens, den Naga Sannyasis als ein wenig konservativ angesehen. Ich wusste, dass es keinen Weg gab, die Leute verstehen und fühlen zu lassen, was meine Erfahrung war; aber Geschichten erzählen muss das nicht leisten. Es gibt wichtigere Aufgaben. Analogie hat einigen Nutzen oder Bedeutung jenseits der Spezifitäten der Geschichte. So war ich nicht wirklich interessiert am Schreiben einer „Autobiographie“. Das Wort im Titel meines Buches wurde von meinem Verleger hinzugefügt nachdem ich BABA geschrieben und editiert hatte. Aber eine Geschichte, wie alle Geschichten, muss unterhalten, muss die Aufmerksamkeit der Menschen erhalten. Dann muss sie die Leserschaft auf eine Reise nehmen. Und, wenn sie einmal auf dem Trip ist, dann gibt es da einen Pfad, ein Paradigma, das in all unserer Literatur und unseren Märchen tausende von Malen wiedergespiegelt worden ist, das man die „Reise des Helden“ nennen kann. Dann mag ein Individuum selbst auf diesem Pfad wandeln, ohne Jahre lang nackt in einer Höhle in Indien verbringen zu müssen. Ein Vater kann das Ergebnis seiner Lebensarbeit seinem Sohn vererben, doch dem Nachlass eines Geistesmenschen fehlt die Materialität, und er muss einen anderen Weg finden, ihn zu hinterlassen für wen auch immer er von Interesse sein mag.

Hanfblatt: Während ich das Buch las, wunderte ich mich erfreut, dass ich in der Lage war, deine spannende Geschichte einfach als etwas Authentisches und Mögliches zu akzeptieren, obwohl es leicht gewesen wäre, sie durch Rationalisierung als reine Phantasien eines desorientierten oder sogar härter eines verwirrten Geistes abzutun, in westlich-psychiatrischem Stil sozusagen. Wurdest du mit solchen Einschätzungen konfrontiert?

Baba Rampuri: Ich lache. Tatsächlich, nein, wurde ich nicht. Niemand hat mich je damit konfrontiert, aber, wenn es jemand tun würde, müsste ich ihm zustimmen. Ich bin kein Wissenschaftler oder Akademiker. Ein durchschnittlicher Psychiater würde sicherlich kommentieren, dass ich keinen Kontakt mit der Realität habe, dass ich mit „imaginären Freunden“ kommuniziere. Das ist nicht die Welt, in der ich lebe. Die Beschreibungen und Ereignisse in meinem Buch wurden zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit abgemildert. Es ist eine geradezu nüchterne Welt, die ich porträtiere, im Vergleich zu dem rationalitätsopfernden – mordenden? – Lebenstheater, in welchem ich sowohl Schauspieler wie auch Publikum war.

Hanfblatt: Wir fragen uns alle, zumindest manchmal in Zeiten eines langweiligen Fernsehprogramms: Was ist der Grund für dies Alles, warum bin ich hier, was ist der Sinn des Lebens? Hast du irgendwelche in Worte transformierbaren Antworten gefunden?

Baba Rampuri: Ein junger Mann aus der Ukraine, ein enttäuschter Katholik, kam eines Tages in Riga zu mir, um überzeugt oder konvertiert oder sowas in der Art zu werden. Er fragte mich, an was ich glaube. Ich sagte ihm, es sei nicht zu verkaufen.

Ich bin kein Prediger. Ich versuche nicht, irgend jemandem zu erzählen, was es damit auf sich hat, was dies alles bedeutet. Ich bin ein Zeuge seltsamer Dinge, und als Geschichtenerzähler berichte ich von dem, was ich gesehen habe. Eine Sache, von der ich Zeuge bin, ist, dass ständig Veränderung stattfindet. Sie hört niemals auf. Also solltest du jeden, der dir den Sinn des Lebens erklärt, am folgenden Tag anklingeln, ob der Sinn immer noch der Gleiche ist.

Hanfblatt: Was kann jemand erwarten, der dich in deinem Ashram besucht?

Baba Rampuri: Mein Ashram ist traditionell und nicht davon beeinflusst, wie man sich einen Ashram vorstellt. Es mag ruhig sein, oder es mag dort eine wilde Bande nackter Schamanen und Yogis sein, die bis spät in die Nacht Chillams rauchen. Leute kommen um dort ihr heiliges Bad im Ganga-Fluss zu machen und still an seinem Ufer zu meditieren. Wenn ich da bin, haben wir meist lebhafte Diskussionen, machen ein paar Rituale und manchmal einen großen Festschmaus. Meinen engen Schülern gebe ich einige traditionelle esoterische Instruktionen.

Hanfblatt: Die Entwicklung der Menschheit, offensichtlich angetrieben von Gier, geht parallel mit einer rapiden Zerstörung unserer einstmals wunderschönen Welt. Es gibt Einiges an ökologischem Bewusststein, aber nicht selten auf seine Art neurotisch, auch Enthusiasmus für Tiere und Pflanzen, manchmal geradezu fetischistisch; aber Alles in Allem werden der Respekt gegenüber der Natur und die Faszination für die Schöpfung in den westlichen Medien wie im praktischen Verhalten der Menschen eher der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Geschenke, die Niemandem gehören, werden ausgebeutet. Sie werden in Statussymbole verwandelt und schüren die Illusion von Wohlstand, dienen als Treibstoff für die süchtig machende Erfahrung von Macht. Wo siehst du noch das Potential dafür, dass sich etwas zu etwas Wunderbarem auswächst? Oder haben wir uns dem Unausweichlichen zu fügen, die Welt den Amok-Läufern zu überlassen, den Pseudo-Krupps oder wem auch immer?

Baba Rampuri: Ja, wir konsumieren alles in Sichtweite, und ich kann kein Ende davon sehen. Können wir es umkehren? Ich bezweifle es. Sitzen wir tief in der Scheisse? Das glaube ich. Was können wir tun? Es bezeugen.

Hanfblatt: In Europa hat die Psytrance- oder Goa-Szene einen spirituellen Kern, von dem aus sie durch psychedelische Tanzveranstaltungen spirituelles und Umwelt-Bewusstsein zu pushen versucht, und dabei Elemente, zumindest Deko-Elemente, traditioneller Kulturen inkorporiert. Der D.J. Goa Gil und andere der alten Garde westlicher Reisender und Suchender, die seit den Sechzigern in Indien geblieben sind, zählen zu deinen Freunden. Was ist los mit dieser Szene?

Baba Rampuri: Ich würde den Ausdruck Psytrance bevorzugen, weil, offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Goa-Szene wirklich bedeutet. OK, es ist eine Referenz an die Mythologie von Goa, die in unterschiedlichen Köpfen unterschiedliche Formen annimmt. Es gab eine Zeit, in der eine Goa-Szene existierte, die aus Outlaws, Anarchisten, Poeten, Musikern, Künstlern, Schamanen, Junkies und Träumern bestand. Jetzt haben wir eine „Möchtegern“-Replik, eine Art „virtuelles“ Goa, das hauptsächlich aus Händlern und Touristen besteht. Ich denke „Psytrance“ kann eine moderne Reflektion dessen sein, was ein zeitloses transkulturelles Ritual der Freiheit durch Tanz zu sein scheint. Tanz ist eine Art Widerspruch zur Produktionsgesellschaft; du bewegst deine Arme und Beine, aber gehst nirgendwo hin, und du machst nichts. Im antiken Griechenland bestanden die Rituale des Dionysos hauptsächlich aus Vollmondtänzen, irgendwo im Wald, weit weg von missgünstigen Blicken. Ich denke, die Gesellschaft war nie mit diesem Verhalten einverstanden, was tatsächlich eine gute Sache ist, nicht weil es nicht passieren sollte, sondern weil auf diese Weise der Tanz nicht durch die Gesellschaft oder deren Gesetze kontrolliert werden und so unbegrenzte Möglichkeiten entfalten kann. Schließlich ist das Psytrance-Ereignis nicht eine soziale Versammlung oder eine Cocktail-Party, sondern mehr eine spirituelle Übung, die zu einer gemeinschaftlichen befreienden Erfahrung führt.

Hanfblatt: Was ist der Unterschied zwischen Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Baba kann „Vater“, „Großvater“ oder „Baby“ bedeuten, genauso wie „Schamane“, „Yogi“ oder „Entsagender“. Baba ist also ein sowohl mehr liebevolles als auch vertrautes Wort. Ein Sadhu ist ein Entsagender. Ein Yogi ist jemand, der in seiner oder ihrer spirituellen Praxis fortgeschritten ist.

Hanfblatt: Was bedeutet Cannabis den Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Vorab, es gibt viele Arten von Babas in vielen verschiedenen Traditionen. Viele Babas in meiner Tradition und Andere halten Cannabis unter allen Rauschmitteln für „ausgeglichen“, geeignet und sogar hilfreich für die spirituelle Praxis. In der Sanskrit-Sprache ist das Wort für Cannabis „Vijaya“, was „allbesiegend“ bedeutet; und außerdem wird Cannabis in vielen medizinischen Rezepturen verwendet um die diversen anderen Kräuter auszugleichen. Cannabis war einer der 14 Schätze, die aus dem Ozean der Milch kamen, als er von den Göttern und Dämonen auf der Suche nach dem Nektar der Unsterblichkeit aufgewühlt wurde. Der Gott Shiva ergriff Besitz vom Cannabis als es erschien, und seitdem ist es immer mit Shiva und dem Bewusstsein verbunden geblieben. Vor dem Rauchen rufen wir häufig Shiva an.

Hanfblatt: Wie wird ein Chillam auf Sadhu-Art geraucht?

Baba Rampuri: Das Chillam ist die Erde. Die Mixtur ist der Mond. Das Feuer, welches sie anzündet, ist die Sonne. Der feuchte „Safi“-Lappen am unteren Ende des Chillams ist Jupiter. Wenn also das Feuer der Weisheit (die Sonne) sich durch die Veränderungen des Geistes (den Mond) im Gefäß des Menschen (der Erde) brennt, gefiltert durch den Guru (Jupiter), dann ist das Ergebnis eine Berauschung mit Freude. Das Chillam wird mit beiden Händen geraucht und gen Himmel gerichtet. Die Lippen des Rauchers berühren nur seine Hände, niemals das Chillam oder den „Safi“-Lappen.

Hanfblatt: Warum wird Tabak zusammen mit Cannabis geraucht?

Baba Rampuri: Schwierige Frage. Ich spekuliere, wahrscheinlich, weil es das Cannabis abkühlt, es weniger stark auf den Hals und die Lunge wirken lässt und dadurch angenehmer macht.

Hanfblatt: Was sind die Unterschiede zwischen Bhang, Haschisch und Ganja?

Baba Rampuri: Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich Bhang auf die Pflanze, und Haschisch und Ganja bezeichnen deren Produkte. Aber es gibt drei grundsätzlich verschiedene Pflanzen unter der Kategorie Cannabis, die alle ein unterschiedliches Produkt liefern. Wenn Menschen Bhang konsumieren, dann handelt es sich um die Pflanze, die den geringsten Anteil von dem aufweist, was man als THC, Harz und ätherische Öle bezeichnet. Bhang zu rauchen, macht einen nicht high. Man muss es essen oder trinken nachdem man es zu einer Paste verarbeitet hat. Sein High ist dann das Ausgewogenste aller drei Produkte, am ähnlichsten dem eines psychedelischen Highs und oft genutzt von Intellektuellen und Ringkämpfern. Es scheint die Gedanken und die Artikulationsfähigkeit zu stimulieren. Ganja ist die harzige Blütenspitze, die im Ganzen geerntet und dann getrocknet wird und von einer Pflanze stammt, die große Blütenstände bildet. Wenn es getrocknet ist, werden dem Ganja ein paar Tropfen Wasser hinzugefügt, um es von Hand zu pressen, bevor man es mit Tabak mischt und dann in einem Ton-Chillam raucht. Haschisch ist das Harz, das entweder mit der Hand von den harzigen Blütenspitzen gerieben oder auf andere Weise extrahiert wird, wie durch Ernte der Pflanzen und Abschütteln des Harzpulvers. Erst vor Kurzem ist eine neue Technologie der Harzabtrennung aufgetaucht, die Eis verwendet. Dieses „neue“ Produkt wird in Manali liebevoll „Ice-cream“ genannt.

Hanfblatt: Hat sich die Rolle von Cannabis über die 37 Jahre, die du jetzt in Indien lebst, verändert?

Baba Rampuri: Für die Babas war die größte Veränderung der Preis, der um hundert mal gestiegen ist, seitdem ich nach Indien gekommen bin. Im Rest der indischen Gesellschaft hat sein Gebrauch unter den Armen und der Arbeiterklasse kontinuierlich nachgelassen, aber unter den jungen Leuten der oberen Mittelschicht zugenommen. Während der Regierungszeit von Premierminister Rajiv Gandhi 1984 bis 1989 wurden offensichtlich die Produktion von Alkohol und dessen Konsum gefördert, und von der Regierung lizensierte Cannabisgeschäfte wurden geschlossen.

Hanfblatt: Ein Freund von mir war der Ansicht, dass die Sadhus heute mehr Tabak als obendrein noch schlechtes Cannabis rauchen würden, nachdem er im Rahmen einer Kumbha Mela zu ihnen stieß. Möglicherweise war es in früheren Zeiten besser, stärker, inspirierender. Kannst du das kommentieren?

Baba Rampuri: Nein, da würde ich nicht zustimmen. Man darf nicht alle Babas in einen Topf werfen. Es gibt Babas der verschiedensten Klassen und Richtungen. Man darf keine Schlüsse über alle Babas ziehen, wenn man nur Wenige getroffen hat. Und die andere Sache ist, dass wir immer über „die gute alte Zeit“ sprechen können, als „Alles“ besser war, aber das bringt uns tatsächlich nirgendwo hin. Aber ich möchte hinzufügen, dass reiche Leute heutzutage für gewöhnlich besseres Cannabis rauchen als arme Menschen.

Hanfblatt: Gibt es noch legales Cannabis in Indien?

Baba Rampuri: In Madhya Pradesh werden immer noch einige Formen medizinischen Hanfes legal in Markenpräparate eingearbeitet.

Hanfblatt: Was für eine Rolle spielt Datura?

Baba Rampuri: Datura ist beträchtlich schamanischer. Es transportiert seinen Gebraucher in eine Welt von Geistern und ist deshalb gefährlich für jeden außer den Erfahrenen und Initiierten. Es wird niemals zum Vergnügen oder für das Bewusstsein benutzt, vielmehr für die Kommunikation mit Geistern, was in der Tat sehr heikel ist.

Hanfblatt: Es hat einige Verwirrung um das Rauchen von Skorpion-Gift gegeben. Kannst du uns darüber etwas berichten?

Baba Rampuri: Skorpion-Schwänze sind sehr giftig, und sie zu rauchen ist sehr gefährlich. Nichtsdestotrotz rauchen einige Babas in großen Höhen im Himalaya Skorpion-Gift. Es erhitzt den Körper durch Fieber, was einige Babas nützlich finden um nackt im Schnee zu leben.

Hanfblatt: Das am meisten diskutierte unbekannte psychoaktive Sakrament ist „Soma“. Es wurde in antiken vedischen Texten erwähnt. Der Pilzforscher Gordon Wasson dachte, er hätte es im Fliegenpilz gefunden. Andere glaub(t)en, es handelte sich dabei um Somlata (Ephedra ssp.), Peganum harmala oder Zubereitungen daraus, Psiloc(yb)in-haltige Pilze oder sogar den guten alten Hanf. Was denkst du oder weißt du darüber?

Baba Rampuri: Ich liebe einfach psychoaktive Sakramente! Und ich denke, es wäre extrem cool, wenn Soma ein psychoaktives Sakrament wäre. Ich bin Einhundert Prozent dafür. Also, ich denke, dass Gordon Wasson, den ich einmal getroffen habe, ein extrem interessanter und wichtiger Mann war. Aber offen gesagt glaube ich, dass wir unser gegenwärtiges Denken über eine alte Tradition stülpen, die ein ganz anderes Denken, eine andere „Sprache“ und eine kulturell sehr verfeinerte Art die Welt wahrzunehmen hatte. Wir setzen voraus, dass Soma psychoaktiv war, und obwohl ich sogar selbst psychoaktiv bin, kann ich es einfach nicht erkennen, selbst nachdem ich hunderte von vedischen Ritualen beobachtet und all diese Jahre mit Babas zusammengelebt habe. Ich würde nach psychoaktiven Substanzen eher in den schamanischen und den Stammeskulturen als unter den kultivierten Brahmanen-Priestern suchen. Und man vergesse nicht, die vedische Kultur ist nur ein winziger Teil der riesigen indischen Tradition. Das vorausgesetzt, verstehen wir in meiner Tradition das Soma der Veden als Somlata, das Gestrüpp, das im Punjab wächst. Es gab und gibt sehr spezifische Bedingungen für die Auswahl und die Ernte von Somlata, an die man sich halten muss, wenn man das Somlata in der vorgeschriebenen Weise verwenden möchte.

Hanfblatt: Ich danke dir.

Baba Rampuri: Liebe, Licht und Freude!


Das Buch:

Baba Rampuri
„Baba.
Autobiography of a Blue-Eyed Yogi“
Bell Tower, New York 2005
Englisch, Geb. mit Su., 244 S.
ISBN 1-400-8038-X
23 US-Dollar

Homepage: www.rampuri.com

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Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Bremer Suchtforscher Heino Stöver

Hanfblatt, Nr. 1006, März 2007

„Die Verelendungsprozesse hören nur durch die Vergabe von Methadon oder Heroin nicht auf“

AZ & AdH

Die Diskussion um den Umgang mit Genießern von psychoaktiven Substanzen wird weitestgehend vom präventiv-prohibitiven Ansatz dominiert. Aus dieser Perspektive scheint gar nichts anderes denkbar, als die irregeleiteten Jugendlichen und Erwachsenen auf den rechten Weg eines drogenfreien Lebens zurück zu führen. Oder existieren Alternativen? Ende der Achtziger Jahre hat sich die sogenannte „akzeptierende Drogenarbeit“ aus der Kritik an der nur auf Abstinenz ausgerichteten etablierten Drogenarbeit entwickelt. Diese zielte auf eine Änderung des Lebensstils und der Persönlichkeit abhängiger Drogengebraucher mit Hilfe justitiellen Zwanges ab. Die repressive Drogenpolitik, so die These der akzeptierenden Drogenarbeit, sei jedoch maßgeblich für die Lebens- und Konsumbedingungen der Drogengebraucher verantwortlich, die zu Verelendungsprozessen führen würden. Man forderte folgerichtig die Entwicklung sogenannter „niedrigschwelliger Ansätze“, wie von Sozialarbeitern geführte Szene-Cafes, Konsumräume und Übernachtungsstätten sowie die Begleitung für ihren exzessiven Drogenkonsum bekannter Techno-Parties. Zudem sollten Opiate oder Ersatzdrogen wie Methadon von Ärzten verschrieben werden können. Einiges von den Vorstellungen dieses in dieser Form neuen drogenpolitischen Ansatzes wurden bis heute realisiert.

Heino Stöver, Professor an der Universität Bremen, hat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet. Im Gespräch geht es um Erfolge und Niederlagen der akzeptierende Drogenarbeit, Opiatabhängigkeit und Beikonsum sowie fehlende Zukunfts-Visionen.

Frage: Professor Stöver, was würden Sie aus heutiger Sicht als die Erfolge der akzeptierenden Drogenarbeit verbuchen?

Heino Stöver: Man hat auf der fachlich-helferischen Seite einige gute Angebote implementiert. Zum einen erreicht die Schwerpunktgruppe der Opiatkonsumenten eine Substitutionsbehandlung, die heute etwa 70.000 Menschen umfasst. Ich erinnere mich, dass die Ärzte früher, bevor sie unseren Kontaktladen betraten, nach links und rechts schauten, ob sie jemand erkennt. Heute ist das dagegen eine Standard-Behandlung, die aber hinsichtlich ihrer Qualität und auch Quantität noch weiterentwickelt werden muss. Zum anderen existieren die Konsumräume, die ein wichtiges Instrument in der HIV und Hepatitis-Prävention sind. Drittens gibt es eine flächendeckende Abgabe von Einwegspritzen. Nachgeordnet muss man die „Safer-Use“ und „Safer-Sex-Kampagnen“ nennen, die ebenfalls zu einer positiven Bilanz beitragen.

Frage: Und auf gesellschaftlicher Ebene?

Heino Stöver: Wenn man akzeptierende Drogenarbeit auch als etwas politisch-gesellschaftliches begreift und damit die Akzeptanz eines Lebensstils von Menschen anspricht, die gewisse Drogen anderen vorziehen, dann hat man bisher wenig erreicht. Schon vor dem Hintergrund einer allgemeinen Drogenfeindlichkeit ist die Akzeptanz von Drogengebrauchern gering. Beispielsweise war die Diskussion um Cannabis vor zehn Jahren viel fortgeschrittener als heute. Da gibt es Wellenbewegungen, und heute befindet man sich offensichtlich wieder einmal in einem Tal.

Frage: Derzeit befindet sich die akzeptierende Drogenarbeit offensichtlich auf dem Rückzug. Fixerstuben werden geschlossen, Heroin-Verschreibungsmodelle beendet und psychosoziale Betreuungen reduziert. Unter der Vorgabe von verstärkter Qualitätskontrolle haben Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse in den Projekten eingesetzt. Therapeutische Ansätze und Zielorientierung mit Zwangsmaßnahmen werden in überarbeitete Konzepte aufgenommen und durchzusetzen versucht. Von Niedrigschwelligkeit und Suchtbegleitung, zwei wesentlichen Standbeinen der akzeptierenden Drogenarbeit, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die entsprechenden Projekte möchten das positiv besetzte Etikett der akzeptierenden Drogenarbeit offiziell jedoch nicht abgeben. Welche Faktoren sind für diese Krise, wenn man sie nicht letztendlich gar als Scheitern der akzeptierenden Drogenarbeit sehen will, verantwortlich?

Heino Stöver: Sie beschreiben die Eigendynamik einer Bewegung sehr gut, die auf allgemeines gesellschaftliches Wohlwollen stieß, weil angesichts der damaligen AIDS-Krise klar war, dass etwas geschehen muss. Die angeschobenen Projekte haben dazu beigetragen die AIDS-Epidemie einzudämmen. Heute haben wir bei den HIV-Neuinfektionen nur noch neun Prozent, die sich über Spritzen anstecken. Sehr viel weniger als vor 20 Jahren befürchtet. Aber durch den Erfolg sind immer neue Organisationen gewachsen, es entstanden Institutionalisierungs- und Hierarchisierungsprozesse, die Verlockungen auf Pfründe waren groß. Der Ursprungsgeist, das ist vollkommen richtig, ist verblasst. Dazu kommt, dass nach der AIDS-Krise die bis heute andauernde Hepatitis-Welle völlig unterschätzt wurde. Etwa 60-90 Prozent aller Opitatkonsumenten sind HCV-positiv. Da hat offenbar etwas nicht geklappt.

Frage: Hepatitis ist kein öffentliches Thema.

Heino Stöver: Ich selber war ja in der Praxis bis Mitte der 90er Jahre und schon da ist mir aufgefallen, dass wir unsere HCV-Broschüren eher pflichtschuldig schreiben. HCV ist eine graue Krankheit, es fehlt das absolut tödliche, sie hat nie die Schubkraft erfahren wie HIV/AIDS. Dort waren große Stars erkrankt, die gay community nahm sich des Themas an. Rund 8000 Neuinfektionen mit Hepatitis-C jährlich und rund 2000 mit HIV jährlich zeigen aber die Relevanz des Themas. Völlig unterbelichtet blieb auch, dass sich der Knast zum unabhängigen Prädiktor für HCV-Infektionen entwickelte. In der Haft ist die Chance, sich mit HCV zu infizieren, groß. Trotzdem kam es auf politischen Druck zum Abbau der Spritzenautomaten in den wenigen Gefängnissen die solch ein Angebot überhaupt realisierten. Die Projekte stagnieren, organisationssoziologisch formuliert haben Erstarrungsprozesse eingesetzt. Und in die Politik wurde die Nachricht nicht genügend transferiert.

Heroin Werbung von Bayer USA

Frage: Wo kann frischer Wind für die akzeptierende Drogenarbeit herkommen?

Heino Stöver: Da habe ich keine Antwort. So eine Schubkraft kann man nicht alle zwanzig Jahre entwickeln. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist gesättigt. Für einzelne Bereiche gilt es sich mit aller professionellen Kraft gegen das Vergessen zu wehren. Das ist aber nichts visionäres, was als Leuchtbild vorangehen kann. Schaut man auf die Geschichte der akzeptierenden Drogenarbeit haben ja Anfang der 80er Jahre Leute aus den sozialistisch orientierten Gruppierungen ihre alten, politischen Visionen am Drogenthema abgearbeitet. So konnten gesellschaftliche Prozesse in Frage gestellt werden. Anti-Psychiatrie, Patientenschutz, Verbraucherschutz, alles Themen, die heute noch aktuell sind. Diese Generation hatte eine Vision von einem gesellschaftlichen Umbau, eine Vision, die der Generation von heute zumeist abgeht.

Frage: Eines der großen Probleme in der akzeptierenden Drogenarbeit ist der Umgang mit dem sogenannten „Beikonsum“. Wenn man von Drogenabhängigen spricht, dann meint man in der akzeptierenden Drogenarbeit Menschen, die am liebsten Heroin konsumieren und die Finger nicht davon lassen können. So wird das Heroin zum Maß aller Dinge gemacht. Alles was sonst noch konsumiert wird, wird dann zum „Beikonsum“. Die Grundthese lautet: Wenn ein aus der Bahn geratener Heroinkonsument nur genügend qualitativ hochwertiges Heroin zu einem günstigen Preis erhält und unter hygienischen Bedingungen konsumieren kann, dann steht ihm nichts mehr im Wege wieder ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Man kann sicherlich gelten lassen, dass für die Mehrzahl der Opiatgebraucher die leichte Verfügbarkeit von Opiaten erst einmal eine Erleichterung darstellt. Wer jedoch einen süchtigen Lebensstil geführt hat, ist oft nicht mit der Aufrechterhaltung seines Drogenpegels zufrieden. Die viel gepriesene Eröffnung von Lebensperspektiven und einer klareren Sicht wirkt gerade auf die besonders problematisch konsumierenden Drehtürklienten eher deprimierend. Hier kommt der erwähnte Beikonsum ins Spiel. Ohnehin wurde schon im Vorfeld oft alles Mögliche sonst noch konsumiert. Dauerkiffen, Saufen, Benzodiazepine einwerfen und vor allem Kokainkonsum, insbesondere in rauchbarer Form, bringen betreuende Sozialarbeiter zur Verzweiflung. Gerade der exzessive Kokainkonsum und die Schwierigkeiten im Umgang mit durchgeknallten Kokain-Basern stellen den akzeptierenden Umgang in Frage. Auf der einen Seite meint man zwar noch, man müsste sich auf das Niveau dieser Klientel herab begeben und versuchen, die schlimmsten gesundheitlichen und sozialen Auswüchse deren Verhaltens abzufedern, andererseits denkt man mittlerweile offen über Zwangsmaßnahmen nach. Welche Ansätze zum Umgang mit der Problematik des sogenannten Beikonsums erscheinen derzeit sinnvoll?

Heino Stöver: Zum ein muss man sich aus den idealtypischen Vorstellungen lösen, was Substitutionsprogramme leisten können. Selbst bei der Verschreibung von reinem Heroin hing man und auch ich lange Zeit einem mechanistischen Bild nach. Nach dem Motto: „Wenn nur genügend Methadon, dann geht es allen Betroffenen gleich besser, die Kriminalität wird reduziert und die Prostitution nicht mehr nötig.“ Die Wirklichkeit hat in den letzten zwanzig Jahren gezeigt, dass das so einfach nicht funktioniert. Auf dem Wege Betäubung herzustellen gehen die Menschen viele Wege um sich aus der Wachbewusstseins-Gesellschaft auszuklinken. Die Verelendungsprozesse hören halt nur durch die Vergabe von Methadon oder auch Heroin nicht auf. Anfang der 90er Jahre gab es die „Roche-Phase“, da schliefen die Leute im Stehen ein. Viele Ärzte und Berater sind heute auf der Gratwanderung zu entscheiden, was selbst gewählter Lebensstil und was Krankheit ist. Antworten hat da momentan keiner, wie man mit den Opiatabhängigen, die zusätzlich noch Crack oder Kokain konsumieren, umgeht. Klar ist nur allen, das man die Brücke nicht abreißen lassen will, Schadensminimierung ist das Ziel. Einerseits macht Crack enorm abhängig, andererseits scheint es doch Konsummuster und Kontrollregeln zu geben, die den Konsum unterbrechen lassen.

Frage: Selbst viele Kokainkonsumenten, gerade wenn sie über die Erfahrung des Rauchens mit ihrem geringen Belohnungs-, aber hohen Gierfaktor verfügen, können sich eine freie Verfügbarkeit von Kokain, also eine Legalisierung, nicht als positive gesellschaftliche Perspektive vorstellen. Wie soll die Gesellschaft generell mit Kokain und seinen Konsumenten umgehen?

Heino Stöver: Die Frage ist wichtig, wird aber nicht diskutiert. Bei Heroin hat sich die Gesellschaft geeinigt, dass die Substanz krank macht, bei Kokain werden hedonistische Motive unterstellt. Ich kann mir nur eine ärztliche Verschreibung von Kokain vorstellen. Mag idiotisch klingen, aber wenn es zunächst darum gehen soll den Menschen zu helfen, dann kann diese ärztlich kontrollierte Abgabe helfen. Global gesehen hat das Verbot ohnehin mehr Nachteile als Vorteile. Ewig wird man keine Flugzeuge in die Erzeugerländern schicken können um dort die Plantagen zu entlauben. Vielleicht wäre ein fairer Handel die bessere Variante. Aber niemand setzt sich wirklich mit alternativen Kontrollmodellen auseinander, dabei wird uns das Thema in den nächsten Jahren beschäftigen.

Frage: Zur nächsten Frage und dem Cannabis und seinem Konsum: Ein Grundproblem scheint zu sein, dass ein ehrlicher Dialog über Cannabis nicht möglich ist, weil praktisch alle Beteiligten vom Sozialarbeiter über die Strafverfolgungsbehörden und Politiker über Cannabishändler bis zu Buchautoren und Growshop-Besitzern kommerzielle Interessen vertreten, Selbstvermarktung betreiben müssen und Rechtfertigungszwängen unterliegen. Eltern folgen in Angesicht des vielleicht auch nur vermeintlich renitenten Verhaltens ihrer Sprösslinge den Gesetzen von Ohnmacht und Überreaktion. Ein Dilemma, dass derzeit unlösbar erscheint. Wie könnte Ihres Erachtens der Weg zu einem ehrlichen und offenen Dialog bezüglich der Umgangsformen mit Cannabis aussehen? Wäre eine Entkriminalisierung der Cannabisgebraucher ein Schritt, der auch den Konsumenten, einen ideologieärmeren und selbstkritischeren Umgang erlauben würde?

Heino Stöver: Natürlich brauchen wir einen offeneren und ehrlicheren Dialog. Das sehen wir an den Anti-Cannabis Kampagnen, die immer mal wieder angestoßen werden. Dabei zeigt die kritische Epidemiologie, dass das Einstiegsalter nicht gesunken ist und auch die gestiegene Verbreitung des Cannabiskonsums ist nicht so klar und eindeutig wie das gerne dargestellt wird. Das Bild, das IFT und BzgA gezeichnet haben, wird durch unsere Untersuchung (1) gebrochen. Plötzlich aber gab es eine Hysterie, angestoßen wohl durch das Titelblatt des Spiegels „Seuche Cannabis“, und das bei einem Thema was schon gegessen schien. Die Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer hat schon vor zehn Jahren weitergehende Beschlüsse gefasst und wollte einen Modellversuch in Schleswig-Holstein mit Cannabis in Apotheken durchführen. Letzter Ausfluss der neuen, aus meiner Sicht unehrlichen, Anti-Bewegung sind die Studien von Rainer Thomasius von der Universität Hamburg. So wird alle paar Jahre die Cannabis-Sau durchs Dorf getrieben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, welche Hilfe- und vor allem Entdramatisierungs-Angebote ich den Eltern und Betroffenen gebe. Aber es wird lieber dem freien Markt überlassen, die Folgen sind klar: Es wäre der ein dummer Geschäftsführer, der jetzt keine neue Cannabis-Beratung anbietet. Ein offener Dialog wäre dagegen nur möglich, wenn zumindest erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 umgesetzt würden eine einheitliche Regelung für die „geringe Menge“ zu finden. Es braucht von oberster politischer Seite eine Wertschätzung der Studie von Kleiber und anderen (2), die ja alle darauf hinweisen, dass es einerseits einen moderaten Konsum gibt, andererseits einen problematischen Konsum, bei dem zu unterscheiden ist, wer da welches Problem hat. Sind es die Eltern oder der Jugendliche Cannabis-Raucher selbst? Ehrlich ist der Dialog auch deshalb nicht, weil er nur wieder das Verhalten der Konsumenten auf das Korn nimmt. Ich würde mir Forschungsaufträge wünschen, die die Auswirkungen der repressiven Kontrollpolitik auf die Konsumenten untersuchen. Was bewirkt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft in das Haus eines 16-Jährigen, der mit einem Joint aufgriffen wurde? Damit werden immerhin 200.000 Menschen Jahr für Jahr konfrontiert.

Frage: In der Schweiz gibt es diese Bemühungen eine klare Linie zu finden.

Heino Stöver: Die Botschaft der Entkriminalisierung birgt sicher ein Gesundheitsrisiko, aber das Risiko ist für Menschen höher, wenn sie nicht wissen, woran sie sind.

Frage: So wie bei der Frage um den angestiegenen THC-Gehalt im Cannabis.

Heino Stöver: Sicher trifft der höhere THC-Gehalt auf Nederwiet zu, hochgezüchtete Produkte, die sehr effektiv und potent sind. Wenn man die nicht gemäß der Menge runterdosiert, dann entstehen Probleme. Aber nicht bei Allem an Zuchtgras und nicht bei marokkanischem Haschisch hat sich der THC-Gehlt erhöht.

Frage: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und Probleme mit dem Cannabis-Konsum bestehen, was kann man raten?

Heino Stöver: Wirksam sind „von gleich zu gleich“ Modelle. Peer-Modelle, die auf die Erfahrung von anderen Konsumenten oder Ex-Konsumenten bauen. Dort hat man weniger Angst, Probleme, die man hat oder vielleicht auch nicht hat, offen zu äußern. Die Konsumenten können sich am ehesten vorstellen unter ihresgleichen zu berichten, und zwar auch über das Positive der Rauscherfahrung. Hier wird sich auch über geeignete und ungeeignete Zeitpunkte des Konsums unterhalten.

Frage: Für den Fall einer alternativen Cannabis-Kontrolle wurden zur Beruhigung kritischer Stimmen Modelle ins Gespräch gebracht, wie das Apothekenmodell oder der Drogenfachverkäufer. Man meint, dieses Personal würde seine Kundschaft im Falle gesundheitsschädigenden Verhaltens beraten und ausbremsen können. Auch in Ihrem neuen Cannabisleitfaden wird in einem Beitrag die potentielle beraterische Kompetenz von Head- und Growshop-Personal ins Gespräch gebracht. Selbst wenn man einmal einen gewissen Idealismus voraussetzt oder ein Eigeninteresse, das den dauerhaften Verlust eines Klienten als selbstschädigend realisiert, so erscheinen mir doch derartige Modelle als ähnlich naiv, wie von einem Kneipier beim Ausschank alkoholismuspräventive Arbeit zu erwarten.

Heino Stöver (lacht): Bisher gibt es halt nur zarte Versuche Ökonomie und Kunden zusammenzubringen. Gerade gibt es eine ähnliche Diskussion, weil Lottoschein-Verkäufer am Spielverhalten ihrer Kunden erkennen sollen, ob diese süchtig sind. Nun, das ist tatsächlich naiv. Wichtiger scheint mir zunächst die Qualitätskontrolle der Produkte zu sein. Wenn es überhaupt je zu einem aktiven Regeln diesen bisher illegalen Marktes kommt, dann kann das nur mit Qualitätskontrollen geschehen. Ich tendiere da eher zum Apothekermodell, denn der Apotheker ist zumindest jemand, bei dem man Rat suchen kann. Es gäbe Beipackzettel, man könnte Mischkonsum und Nebenwirkungen erfragen.

Frage: Ist der Cannabisgebraucher aber im Idealfall nicht eher mit einem Weinliebhaber zu vergleichen? Er möchte aus einer breiten Palette auswählen, es gibt bekanntlich hunderte von Kreuzungen und Sorten.

Heino Stöver: Das Apothekenmodell war schon einmal in der politischen Diskussion und daher praktikabler. Sympathisch fand ich es nie. Das niederländische Coffeeshop-Modell hat andere Vorteile: Man ist dort mit den Wirkungen vertraut, der Käufer kann vor Ort konsumieren. Aber Dunstabzugshauben unter der Decke, das Personal mit Glasscheiben von den Konsumenten getrennt? Wie oft muss ein geschulter Berater vor Ort sein? Es gibt noch viele offene Fragen, nur fehlt zurzeit der Impuls diese Fragen überhaupt anzugehen. Zudem ist ja selbst die Cannabis-Szene untereinander zerstritten. Für unsere Cannabis-Kampagne gab es einen Minimal-Konsens, aber manchen Vereinen waren 30 Gramm Eigenbedarf zu wenig. Aber irgendwo muss man ja anfangen!

Frage: Ein Appell an die verschiedenen Gruppen weniger ihr eigenes Süppchen zu kochen?

Heino Stöver: Sicher. Aber dafür bedarf es halt einer Vision, eines Modells, mit dem sich dann auch Prominente solidarisch erklären könnten, was den medialen Druck erzeugt.

Frage: Eine Kampagne: „Ich rauche, wenn ich will, und dann rauche ich gern“ beispielsweise?

Heino Stöver (lacht): Beispielsweise. Um die eingefahrene Situation zu lösen, müssen mehr Menschen an einem Strang ziehen.

– — — —

(1) Kalke, Jens; Verthein, Uwe; Stöver, Heino (2005): Seuche Cannabis? Kritische Bemerkungen zu neueren epidemiologischen Studien, in: Suchttherapie, 6. Jahrgang, S. 108-115.

(2) Kleiber, Dieter; u.a.: Cannabiskonsum. Entwicklungstendenzen, Konsummuster, Risiken. Juventa Verlag, Weinheim 1998.

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Drogenpolitik Interviews

Interview mit Henning Voscherau über synthetische Opiate vom Staat und die erreichbaren Ziele der Drogenpolitik

telepolis, 04.03.2007

Die Heroinabgabe muss kommen

Jörg Auf dem Hövel und AZ

Interview mit Henning Voscherau über synthetische Opiate vom Staat und die erreichbaren Ziele der Drogenpolitik

Sieben deutsche Großstädten wagen seit fünf Jahren ein drogenpolitisches Experiment. Sie vergeben reines Heroin an Abhängige, bei denen zuvor alle Therapieversuche gescheitert sind. Begleitet wird das Modellprojekt vom Hamburger Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung. Dieses legte nun einen Studienbericht mit einem positiven Fazit vor. Die Teilnehmer seien nicht nur gesünder als andere Süchtige, die mit Methadon behandelt wurden. Sie würden auch seltener straffällig, fänden häufiger eine Wohnung und einen Arbeitsplatz und würden weniger illegale Drogen nebenbei konsumieren.

Das Experiment scheint geglückt, die beteiligten Städte Hamburg, Hannover, Frankfurt, Bonn, Karlsruhe, Köln und München wollen aus dem Projekt eine Regelversorgung werden lassen. Doch dagegen sperrt sich die Fraktion der Union im Bundestag. Bisher dürfen Heroinabhängige nur mit Ersatzstoffen wie Methadon versorgt werden. Der Unions-Obmann im Gesundheitsausschuss, Jens Spahn (CDU), bezweifelt, dass die Ergebnisse so viel besser sind, „dass sie es rechtfertigen, eine harte Droge teilweise zu legalisieren“. Die Diskussion wird anhalten.

Zeitsprung in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In Hamburg hat sich quasi eine offene Drogenszene etabliert, die die Gegend rund um den Hautpbahnhof zum handeln und konsumieren nutzt. Man versucht die Abhängigen und zum Teil stark verelendeten Junkies zu vertreiben, löst damit aber das Problem nicht. Der Bürgermeister der Stadt, Henning Voscherau (SPD), schiebt die ersten Drogenhilfeprojekten im Bereich der sogenannten „Akzeptierenden Drogenarbeit“ an, die vielen der süchtigen Opiatgebrauchern durch niedrigschwellige Hilfen neue Lebensperspektiven bieten soll. Spritzenvergabe, auch in Gefängnissen, Gesundheitsräume, betreute Übernachtungsmöglichkeiten und Wohnformen, Beratungscafes sowie weitreichende psychosoziale Betreuung. Die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger konnte gesetzlich verankert werden, ein Heroinvergabeversuch wurde in die Wege geleitet. Andere deutsche Städte und Gemeinden folgten. Heute hat sich Voscherau aus der aktiven Politik zurückgezogen, engagiert sich aber weiterhin in der Drogenpolitik.

Frage:
Mittlerweile wurden eine Reihe der damals entwickelten Hilfsmöglichkeiten für Opiatabhängige wieder eingestellt. Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse haben unter den Prämissen von Qualitätskontrolle und -sicherung eingesetzt und stellen die Niedrigschwelligkeit in Frage. Wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung was die Projekte der Akzeptierenden Drogenarbeit betrifft?

Henning Voscherau:
Ein einschneidender Rückschritt, der die Menschenwürde vieler Betroffener antasten wird. Aus meiner Sicht ein Grundrechtsverstoß, denn stärker als in den letzten zehn Jahren wird diesen Menschen Hilfe verweigert, die sie zum Überleben brauchen und die sie brauchen, um sich aus der Opiatabhängigkeit zu befreien. Das können nicht alle, das weiß ich wohl, aber denjenigen, die es vielleicht schaffen könnten, wird nun die Möglichkeit genommen.

Frage:
Sie haben bereits 1990 auf das Scheitern des rein repressiven Ansatzes bei der Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Konsums illegaler Drogen hingewiesen. Ist bei objektiver Betrachtung heute nicht immer noch das Hauptproblem der Drogenpolitik, dass man sich scheut, diese beängstigende Sackgasse zu verlassen, um sich endlich einmal neuen pragmatischen und optimistischen Ansätzen zu öffnen?

Henning Voscherau:
Prohibition scheitert immer dann, wenn zum einen eine dr ängende Nachfrage in der Bevölkerung existiert, ob nun nach Alkohol, wie in den 20er Jahren in den USA, ob nach einer Droge wie Heroin, und wenn zum anderen die Durchbrechung der Prohibition riesige Gewinne verspricht. Das führt immer zu einem Prozess der Illegalisierung der Abhängigen und der Gewinnmaximierung für die Kriminellen. Das ist der dümmste und kurzsichtigste Weg, den man einschlagen kann. Es ist traurig, dass solche Dummheit jetzt wieder stärker fröhliche Urständ feiert.

Frage:
Die Ergebnisse der Heroinstudie liegen vor. Sie decken sich mit den Erfahrungen im Ausland: Der Gesundheitszustand der Betroffenen bessert sich, die Sterberate sinkt. Gleichwohl gibt es Bedenken, das Modell zur Regelversorgung für Abhängige zu machen. Das Argument der Gegner: “Es drohe die Enttabuisierung von Heroin.“ Besteht tatsächlich die Gefahr, dass Heroinkonsum dadurch bei Nichtkonsumenten an Reiz gewinnt?

Henning Voscherau:
Wenn man es richtig macht, besteht diese Gefahr nicht. Ich schlage nicht vor und glaube nicht, dass sonst jemand Ernstzunehmender das täte, analog zur Aufgabe der Alkoholprohibition künftig Heroin in der Kneipe oder Drogerie frei zum Kauf zugänglich zu machen. Im Gegenteil, man muss versuchen, die Heroinverabreichung zu medizinalisieren. Es kann nicht um Verabreichung an jedermann gehen. Man hat einen Patienten, einen schwer Abhängigen, man hat einen Arzt, er ist der verantwortliche Therapeut. Dieser muss das Recht haben zu verschreiben, was medizinisch indiziert ist. Wer als Politiker dem Gesundheitsmarkt der niedergelassenen Ärzte und Apotheker insoweit nicht vertraut, hat die Möglichkeit, Drogenbehandlungs-Ambulanzen vorzuschreiben, in denen streng auf Zuverlässigkeit geprüfte Therapeuten verhindern, dass diese Verabreichungsform und damit die Droge sich quer über die Gesellschaft verteilt.

Frage:
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass nach der Besetzung Afghanistans, des größten Opium- und Heroinproduzenten der Welt, durch westliche Truppen und die verbündeter Opiumwarlords die Opium-Ernten de facto auch unter Aufsicht der Bundeswehr Rekordhöhen erreicht haben, erscheint die Zaghaftigkeit bei der Realisierung einer kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige und das Beharren auf der Strafverfolgung von Konsumenten illegaler Drogen hierzulande geradezu absurd. Nach allem was wir wissen, kann man die Ergebnisse des Heroinvergabe-Modellprojektes positiv bewerten. Warum gestaltet es sich so schwierig, schwerstabhängigen Opiatgebrauchern einen legalen ärztlich kontrollierten Zugang zu dem für sie bestverträglichen Opiat, im Einzelfall also auch zu pharmazeutisch reinem Heroin, zu gewähren?

Henning Voscherau:
Man muss den Verhinderern in den Gesetzgebungsorganen zubilligen, dass sie wirklich Ängste haben, es könne sich allgemeine Zugänglichkeit zu Heroin entwickeln. Oder aber sie sind weltanschaulich so fixiert, dass sie es nicht über sich bringen können, eine pragmatische und vernünftige Lösung mitzutragen.

Frage:
So recht scheint die Domestizierung des Rausches nicht zu funktionieren…

Henning Voscherau:
Wohl wahr…

Frage:
… ist der Abstinenzansatz in der Drogenpolitik überhaupt noch zukunftsträchtig?

Henning Voscherau:
Für die Gesundheit von Menschen, für die Kosten des Gesundheitssystems und für die Gesellschaft insgesamt wäre es zweifelsfrei besser, wenn Menschen möglichst abstinent leben. Das gilt für Alkohol und Nikotin ebenso wie für illegale Drogen. Das ist zwar nicht die Realität, aber auch wenn das Ziel der abstinenten Gesellschaft niemals erreichbar sein wird – nebenbei bemerkt: durchsetzen von oben kann man es sowieso nicht – so ist es doch richtig zu sagen: So wäre es am besten, ein Ideal. Die praktische Vernunft in der Politik gebietet es aber, sich nicht auf ideale Ziele zu beschränken, sondern Wege zu gehen, die sich an Realitäten orientieren.

Frage:
Könnte es sinnvoller sein statt Abstinenz eine Drogenmündigkeit zu fordern, die weniger auf Enhaltsamkeit als auf den früh erlernten Umgang mit Suchtmitteln setzt?

Henning Voscherau:
Mündigkeit ist für einige Suchtstoffe eine Illusion, sagen mir die Naturwissenschaftler. Ich glaube nicht, dass man jemanden zum mündigen Umgang mit gelegentlichem Heroinkonsum erziehen kann. Insofern bin ich kein Anhänger einer gesellschaftlichen Salondiskussion über das Recht auf Rausch oder Drogenmündigkeit. Das mag individuell und in der Privatsphäre eine Fragestellung sein, zu der jeder einzelne Mensch das Recht hat, zur Direktive einer Drogenpolitik würde ich das nicht machen wollen. Ein kollektives Recht auf Mündigkeit im Umgang mit Heroin existiert nicht und indviduell sollte es das Recht auch weiterhin nicht geben, weil das Risiko unkalkulierbar ist.

Frage:
Was immer gerne vergessen wird, Millionen von Menschen konsumieren gelegentlich illegale Drogen, ohne damit schwerwiegende Probleme zu haben. Verbote halten sie nicht ab, sondern erhöhen Reiz und Risiko und verhindern eine sachliche entemotionalisierte Auseinandersetzung, die meines Erachtens für eigenverantwortliches Handeln notwendig wäre. Warum scheut man sich, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und hier offiziell gefördert risikominimierende Umgangsformen zu entwickeln?

Henning Voscherau:
Natürlich gibt es den individualistischen Ansatz, der sagt: Das Grundgesetz gewährt mir ein Selbstbestimmungsrecht, solange ich mit meinem Konsum Andere nicht in ihren Rechten beeinträchtige, muss ich selbst entscheiden dürfen, was mir gefällt. Ein weites Feld. Es ist schwer, Jemandem Vorschriften zu machen, wie er sein Leben führen soll. Gleichwohl muss man einräumen, dass die unterschiedlichen Suchtmittel individuell und gesamtgesellschaftlich ein unterschiedlich ausgeprägtes Gefahrenpotential tragen. Das will ich nicht als Jurist beurteilen, das sollen Mediziner und Biochemiker tun. In dem Moment, in dem jemand nicht mehr aus freiem Willen aus seinem Konsum aussteigen kann, wird eine Grenze überschritten und wird es gefährlich. Er oder sie ist dann Opfer dieser Drogen. Umso mehr muss dann medizinische Hilfe einsetzen und nicht, wie wir jetzt beim Heroinvergabeprojekt befürchten müssen, generell verweigert werden.

Frage:
Auch Sie benutzen den Terminus von Opfern und T ätern. Wenn Sie von Opfern sprechen, dann meinen sie, so verstehe ich Sie, Suchtkranke, wenn sie von Tätern sprechen, dann vermute ich, dass Sie damit Drogenhändler meinen, die vom Handel mit der verbotenen Ware profitieren.

Henning Voscherau:
Nicht nur. Täter sind zum einen die Menschen in der Produktions- und Vertriebskette, zum anderen macht die Illegalität aus Abhängigen Täter, weil sie sich zur Finanzierung ihrer Sucht als Dealer betätigen. Auch dies würde durch die Medizinalisierung gelöst.

Frage:
Handeln nicht auch die Opfer eigenverantwortlich, so dass man sich in Phasen, in denen sie nicht willens sind, ihren Lebensentwurf zu ändern, mit ihren Konsumgewohnheiten einfach arrangieren muss?Henning Voscherau:
Ein in die Abhängigkeit abgerutschter Mensch, der nicht aus freiem Willen aussteigen kann, handelt eben nicht eigenverantwortlich. Der Beginn mag Neugier oder Vernügungssucht sein, hat der Suchtmechanismus aber erst eingesetzt, überschreitet der User die Opferschwelle.

Frage:
Und muss man den sogenannten Tätern nicht zubilligen, dass sie letztlich auch nur unternehmerischen Prinzipien folgen und nur Produkte hoher Nachfrage und auf Grund der Kriminalisierung mit entsprechenden Profitmargen verkaufen?

Henning Voscherau:
Das ist eine treffende Beschreibung der Realität, zubilligen kann ich den Personen das aber nicht. Sonst müsste man dies den osteuropäischen Zuhältern und ihrem Handel mit Frauen auch zubilligen.

Frage:
Ein Problem, das in der Öffentlichkeit kaum thematisiert wird, allenfalls wenn mal wieder Prominente dabei ertappt werden, ist der Kokainkonsum. Auch hier gibt es ein breites Spektrum an Konsumenten. Eine Minderheit hat erhebliche Probleme damit, insbesondere mit dem Rauchen und dem Injizieren von Kokainprodukten. Diese Konsumenten zählen zu den Elendsten der Strassenszene. Eine spezielle Kokain-Substitutionsbehandlung ist derzeit nicht möglich. Wie soll die Gesellschaft Ihres Erachtens mit diesen Konsumenten umgehen?

Henning Voscherau:
Als ich mich vor vielen Jahren mit Experten der New Yorker Drogenszene dar über unterhielt, hatten die auch kein Rezept. Ein Problem ist, dass Kokainderivate eine extreme Neigung zu Gewalt bewirken können. Ein weiteres ist die fehlende Möglichkeit der Substitution. Es gibt zurzeit kein Patentrezept, jedenfalls ist mir keines bekannt, auch ein akzeptierender Ansatz ist hier schwer vorstellbar.

Frage:
Was hat sie dazu gebracht, sich mit einer politischen Karriere nicht sehr zuträglichen Themen wie Heroinvergabe und Drogenpolitik wiederholt zu beschäftigen?

Henning Voscherau:
Ich habe in den letzten 17 Jahren keine pers önlichen Nackenschläge oder unsachliche persönliche Angriffe erlebt, nur weil ich eine Außenseiterposition in der Drogenpolitik eingenommen habe. Auch Widersacher – unter teilweise katholischem Einfluss – aus dem südlichen und südwestlichen Deutschland gewährten mir stets Respekt für meine Überzeugung und Argumente. Zwei Faktoren führten damals zu meinem Engagement: Zu Beginn der 90er Jahre nahm die Zahl der Heroinsüchtigen zu, in Hamburg sprachen manche Quellen von 10.000 Abhängigen. Es bildeten sich halboffene Drogenszenen. Ich bekam einen Brief von einem Schweizer, der die Zustände am Hamburger Hauptbahnhof beklagte, kurzum: das Thema war einfach virulent. Der zweite Punkt war, dass mit mir befreundete Menschen ihren Adoptivsohn an Heroin verloren hatten. Sie berichteten mir von den familiären Folgen. Beides hat mich veranlasst, vorurteilsfrei über die Drogenpolitik nachzudenken. Ich bin dann relativ schnell zu der Überzeugung gelangt, dass ein Angebots- und Betreuungssystem unter genau definierten gesetzlichen Rahmenbedinungen helfen könnte. Der Vater dieses Kindes ist interessanterweise bis heute nicht dieser Meinung.

 

 

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Interviews Interviews

Interview with Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Hallucinogens and Higher Wisdom

Interview with Charles S. Grob

Charles S. Grob, M.D., is Professor of Psychiatry and Pediatrics at the Harbor-UCLA Medical Center. He is one of the rare breed of scientists that was allowed to conduct studies with empathogens and psychedelics in the recent years. In his case he was able to work with MDMA, Ayahuasca and Psilocybin. He published two
books („Hallucinogens“ and „Higher Wisdom“), that allow readers to dive into the  knowledge of emminent psychedelic researchers. We interviewed him during the „Spirit of Basel“-LSD-Symposium celebrating the 100th birthday of Albert Hofmann.

Charles Grob

adh/az: What kind of studies did you conduct with MDMA?

CG: I did a normal volunteers safety study with 18 subjects in 1994-95. There we looked at psychological and physical reactions and did some brain scans before and after MDMA. That was our only study with MDMA. After that we conducted a study with ayahuasca and psilocybin. We did separate studies, first with ayahuasca and later with psilocybin. Keep in mind that the psilocybin and ayahuasca studies were very dfifferent from one another.

adh/az: What was the reason for changing from MDMA to psilocybin?

CG: We were permitted to do a study with MDMA with normal volunteers, which we accomplished. It took a couple of years to do that. By the time we were applying again for approval to do a study with cancer patients, the field had become much more sensationalized, and also
recreational use had become more widespread among youth in the U.S.. By then the neurotoxicity issue had also become very politicized, so we decided for that reason and also because we felt psilocybin would be physiologically gentler and safer than MDMA in patients with serious medical illness, to switch our application from MDMA to psilocybin.

adh/az: Did you follow up the discussion about the neurotoxicity of MDMA?

CG: Yes. The neurotoxicity issue was flawed by very poor methodologies, statistical errors, manipulation of the data and conclusions that are not warranted. The conversant study of George Ricaurte has a number of flaws.
adh/az: Is there in the scientific community a discussion of the results of Rainer Thomasius, reputed in Germany for his „ecstasy“ studies?

CG: They say he does the same as George Ricaurte has done manipulating the data. Some scientists are searching for negative data, because that’s the way they get funded.

adh/az: How high are the psilocybin-doses that you use in your study? And what kind of psychotherapy-model do you use?

CG: We got an approve for a modest dose of 0,2 mg per Kilogram (equivalent to 14 mg for a 70 kg-person). Later I hope to climb up to 0,3 mg per Kilogram (equivalent to 21 mg for a 70kg-person). As a preparation we inform the patient about the study. We know them and they know us. The session itself is based  on the model of Stanislav Grof, mostly just guiding the patient through the experience. They lie down, put eye-shades and some head-phones attached to a CD-Player on. I just encourage them to go deeply into the experience. Every hour I check in, controlling the blood pressure and asking how they are doing. Some people may want to sit up
and talk about the experience but after a while I encourage them to lie down again. There is a lot of time for talking after the session.

adh/az: So after all the years it is still the almost 40-year old work of Grof guiding the therapists using psychedelics?

CG: Yes, he wrote and spoke more effectivly than any other I am aware of.

adh/az: You did research on the UDV (Uniao do Vegetal) in Brazil, one of three religious communities that are allowed to take ayahuasca as a sacramental drug.

CG: Yes, and I was surprised how well the people are developing. Their psychological testing was very good. In fact on certain measures they performed much better than the control group. Their personality structures looked very healthy. Some of them have had several pathologies in the past, like alcoholism, drug addiction, serious mood regulation disorders, and the current assessment was quite healthy. And all these conditions appear to be in remission. I would like to do a study which analyses the use of  ayahuasca in the treatment of alcoholics and drug addicts.

adh/az: Do you think the methods of the UDV can be an example for the sensible
use of entheogens?

CG: There are aspects of this religious group which are unique for Brazil. So for the brazilian culture it works very, very well. There are efforts to transplant it into the USA and it is more controversity here, but I think the proof is in the outcome. Many of the people transform their lives in a positive direction. There is great potential in our culture to examine how it might incorporate religious structures who use psychoactive sacraments.You need a ritual context to get good results. The compounds of ayahuasca alone might be not enough. More than other psychedelics ayahuasca is group work medicine.
adh/az: How far can we go in using psychedelics or entheogens? Are they really necessary in our society?

CG: Our cultures are in great crisis in social, economic and ecologic prospect. Horrible wars are going on. It is a very troubled world we live in. Psychedelics offer the potential to send some light and facilitating the
healing process. They have the potential to play an important role in the future going back to the planetary roots which have been damaged for centuries. This work is exhausting but a foundation for the generation
following us. To awaken for this potential accepting, open, legally  protected manners is important. Perhaps the shamanic model is providing a strong container for psychedelics.

adh/az: The shamanic model and the ritual model of groups like the UDV depend on the responsibility of their leader or leaders?

CG: Yes, that is a problem. His ethics have to be at the highest level. There is always a risk getting to people, setting themselves up as the all-knowing, all-wise gurus, who misuse and abuse their patients or followers. In the jungle of south america a lot of disreputable ayahuasceros are in it for the money. And in the western society this
problem will be getting worse, because of the seductions of the modern culture.

adh/az: You just edited a book called „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. What can the elders teach the psychedelic greenhorns?

CG: First, the elders of the psychedelic movement have great stories to tell, because they were the pioneers of a fascinating time in history. Second, people from one generation to the next don’t have to reinvent the wheel. Everone should learn from the lessons of the past. This is one problem of our culture, forgetting the lessons of the past and we keep making the same mistakes in the future.

adh/az: Which leads to the mistakes of the sixties.

CG: Sure there were mistakes. Pretty wild, pretty out of control. Efforts to create safe protected structures failed. In part because the culture wasn’t ready. Things got crazy and out of the hand. There were cases in which
unprepared people took very powerful drugs in an inadequate context without people supporting them, perhaps mixing it with alcohol or other drugs. People really didn’t understand to safeguard the experience. They looked
at it as a recreational drug which LSD and other psychedelics are not. These are powerful therapeutic tools, powerful transformative tools, powerful facilitators of religious experiences.

adh/az: Is for example Timothy Leary still a cultural hero for you?

CG: For me personally? Well, he is a fascinating figure. I met him on several occasions and was impressed by his intelligence and his sense of humor. And he articulated the concept of set and setting very early. But Tim
Leary also had a tremendous need to be in the spotlight, to get attention. Also he was a provocateur and had an animosity towards the establishment. This perhaps unneccessarily alienated parts of the culture that might have been potential allies. He wanted it all as soon as possible and for all the people. Beside that if not Tim Leary someone else would have filled that role. He is a tragic figure.

adh/az: Aldous Huxley preferred it the other way round.

CG: Yes, his concept was to introduce these drugs quiet and slowly to the leaders of the society, than there will be a ripple down effect. Leary thought that everone should have this experience.

adh/az: How would you define something called the psychedelic movement?

CG: There are young and old people who strongly identify with the counterculture of the sixties or the experience they had with psychedelics. From their perspective it is neccessary to stick together and build something like a community with analog values. The psychedelic communities from the sixties never died of and the rave and techno scene is anoffshoot of the psychedelic movement too.

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Halluzinogene und höhere Weisheit

Interview mit dem Psychiater Charles S. Grob

adh/az

Charles S. Grob ist Professor für Psychiatrie und Kinderheilkunde am Harbor-UCLA Medical Center in Los Angeles. Er gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die in den letzten Jahren in den USA die Wirkungen empathogener und entheogener Substanzen an Freiwilligen legal beforschen durften. In seinem Falle waren dies MDMA, volkstümlich als „Ecstasy“ bekannt, und Psilocybin, dem Wirkstoff der sogenannten „Zauberpilze“. In Brasilien untersuchte er die Rolle des halluzinogen Pflanzencocktails Ayahuasca als Sakrament in der Religionsgemeinschaft UDV (Uniao do Vegetal). Dabei handelt es sich um eine der drei Gruppen, denen dort der Gebrauch von Ayahuasca erlaubt ist.

Grob hat neben diversen wissenschaftlichen Aufsätzen zwei Bücher („Hallucinogens“ und „Higher Wisdom“) herausgebracht, in denen er wichtige Schriften bedeutender Persönlichkeiten zur Thematik und Problematik der Halluzinogene (Psychedelika bzw. Entheogene) und Empathogene (Entaktogene) versammelt. Wir interviewten ihn auf dem LSD-Symposium anläßlich des 100sten Geburtstages von Albert Hofmann in Basel. Grob ist als Interviewpartner heiß begehrt, gleichwohl nimmt er sich viel Zeit für uns.

Charles Grob Hb: Professor Grob, welche Art von Studien haben Sie mit MDMA durchgeführt?

Charles S. Grob: Ich führte in den Jahren 1994 und 1995 mit 18 normalen Freiwilligen eine Sicherheitsstudie durch. Wir beobachteten die psychischen und physiologischen Reaktionen und machten einige Gehirnscans vor und nach Einnahme von MDMA. Das war unsere einzige Studie mit MDMA. Danach führten wir eine Studie mit Ayahuasca und eine weitere mit Psilocybin durch. Dabei darf man nicht vergessen, dass diese beiden Studien sehr unterschiedlich waren.

Hb: Was war der Grund dafür, von MDMA zum Psilocybin zu wechseln?

CG: Wir hatten mehrere Jahre gebraucht, bis man uns erlaubte, an gesunden Freiwilligen die Studie mit MDMA durchzuführen. Zu dem Zeitpunkt als wir schließlich die Erlaubnis für eine weitere Studie mit Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium beantragten, war das Thema MDMA mittlerweile sehr dramatisiert worden. Auch der Freizeitgebrauch von „Ecstasy“ unter Jugendlichen in den U.S.A. hatte sich weiter verbreitet. Die Neurotoxizitäts-Problematik war stark politisiert worden. Aus diesem Grunde, und weil wir der Auffassung waren, dass Psilocybin bei Patienten mit schweren Erkrankungen physiologisch sanfter und sicherer als MDMA sein würde, beschlossen wir unseren Antrag von MDMA auf Psilocybin umzustellen.

Hb: Haben Sie sich über die Neurotoxizitäts-Diskussion auf dem Laufenden gehalten?

CG: Ja. Die Neurotoxizitäts-Thematik wurde verfälscht durch sehr schwache Methoden, statistische Fehler, Manipulationen der Daten und Schlussfolgerungen, die nicht berechtigt waren. Die umstrittene Studie von George Ricaurte weist eine Reihe von Fehlern auf.

Hb: Gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Diskussion der Ergebnisse von Rainer Thomasius, der in Deutschland für seine „Ecstasy“-Studien bekannt ist?

CG: Sie sagen, dass er dasselbe macht, was George Ricaurte getan hat: Manipulieren der Daten. Einige Wissenschaftler suchen nach negativen Daten, weil sie auf diese Weise finanziert werden.

Hb: Wie hoch sind die Psilocybin-Dosen, die Sie in ihrer Studie verwenden? Und welches psychotherapeutische Modell verwenden Sie?

CG: Wir erhielten die Erlaubnis für eine maßvolle Dosis von 0,2 mg pro Kilogramm Körpergewicht (entsprechend einer Dosis von 14 mg bei einer 70 kg-Person). Später hoffe ich auf bis zu 0,3 mg (entsprechend 21 mg bei einer 70 kg-Person) steigen zu können. Zur Vorbereitung klären wir die Patienten über die Studie auf. Wir kennen sie, und sie kennen uns. Die Sitzung selbst basiert auf dem Modell von Stanislav Grof, im Wesentlichen heißt das einfach den Patienten durch die Erfahrung zu geleiten. Sie legen sich hin und setzen Augenklappen und an einen CD-Spieler angeschlossene Kopfhörer auf. Ich halte sie dazu an, tief in die Erfahrung einzusteigen. Stündlich schalte ich mich ein, kontrolliere den Blutdruck und frage nach, wie es ihnen geht. Einige Leute möchten sich aufrichten und über die Erfahrung sprechen, aber nach einer Weile rege ich sie dazu an, sich wieder hinzulegen. Nach der Sitzung ist reichlich Zeit zum Reden vorhanden.

Hb: So ist es immer noch die nun mehr fast 40 Jahre alte Arbeit von Grof, die den Psychedelika einsetzenden Therapeuten als Anleitung dient?

CG: Ja, er schrieb und lehrte effektiver als irgend jemand sonst, der mir bekannt ist.

Hb: Sie haben die UDV (Uniao do Vegetal) in Brasilien untersucht, eine von drei religiösen Gemeinschaften, denen es erlaubt ist, das DMT-haltige Ayahuasca als sakramentale Droge zu nutzen.

CG: Ja, und ich war überrascht, wie gut sich die Menschen dort entwickeln. Ihre psychologischen Testergebnisse waren sehr gut. Tatsächlich schnitten sie in bestimmten Kategorien besser ab als die Kontrollgruppe. Ihre Persönlichkeitsstrukturen sahen sehr gesund aus. Einige von ihnen hatten in ihrer Vergangenheit verschiedene Pathologien gehabt, wie Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, schwere Stimmungsregulationsstörungen, und der aktuelle Befund war ziemlich gesund. Und all diese Konditionen scheinen in Remission zu bleiben. Ich würde gerne eine Studie machen, die den Gebrauch von Ayahuasca in der Behandlung von Alkoholikern und Drogenabhängigen analysiert.

Hb: Glauben Sie, dass die Methoden der UDV ein Beispiel für den vernünftigen Umgang mit Entheogenen sein können?

CG: Einige Aspekte dieser religiösen Gruppe sind ziemlich einzigartig für Brasilien. Für die brasilianische Kultur funktioniert sie sehr, sehr gut. Es gibt Bestrebungen, sie in die U.S.A. zu verpflanzen, und es ist hier kontroverser, aber ich glaube, dass am Ende zählt, was dabei rauskommt. Viele der Menschen verändern ihr Leben in einer positiven Richtung. In unserer Kultur besteht ein großes Potential darin zu untersuchen, wie sie religiöse Strukturen, die psychoaktive Sakramente benutzen, inkorporieren kann. Man braucht einen rituellen Kontext um gute Ergebnisse zu erhalten. Die Bestandteile des Ayahuascas allein dürften nicht genügen. Mehr als jedes andere Psychedelikum ist Ayahuasca Gruppenarbeits-Medizin.

Hb: Wie weit sollte man im Gebrauch von Psychedelika oder Entheogenen gehen? Sind sie für unsere Gesellschaft wirklich notwendig?

CG: Unsere Kulturen sind in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht in einer großen Krise. Schreckliche Kriege finden statt, wir leben in einer sehr problembelasteten Welt. Psychedelika bieten das Potential etwas Klarheit zu bringen und den Heilungsprozess zu fördern. Sie haben das Potential in der Zukunft eine wichtige Rolle dabei zu spielen, uns wieder an die planetarischen Wurzeln zu führen, die seit Jahrhunderten beschädigt werden. Diese Arbeit ist anstrengend, aber eine Grundlage für die Generationen, die nach uns kommen. Für dieses Potential akzeptierende, offene, legal geschützte Bedingungen zu schaffen ist wichtig. Vielleicht bietet da das schamanische Modell eine gute Grundlage für die Psychedelika.

Hb: Das schamanische Modell und das rituelle Modell von Gruppen wie der UDV hängt von der Verantwortlichkeit ihres Führers oder ihrer Führer ab.

CG: Ja, das ist ein Problem. Seine Ethik muss auf dem höchsten Niveau sein. Da besteht immer ein Risiko für die Menschen, sich selbst als allwissendende, allweise Gurus aufzuspielen, die ihre Patienten und Anhänger missbrauchen und erniedrigen. Im Regenwald Südamerikas sind eine Menge verrufener Ayahuasceros nur des Geldes wegen bei der Sache. Und in der westlichen Gesellschaft wird das Problem auf Grund der Versuchungen der modernen Kultur noch schlimmer werden.

Hb: Sie haben gerade ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. Was können die Alten den psychedelischen Greenhorns lehren?

CG: Erstens haben die Altvorderen der psychedelischen Bewegung großartige Geschichten zu erzählen, weil sie Pioniere in einer faszinierenden Zeit der Geschichte waren. Zweitens müssen die Menschen von einer Generation zur Nächsten nicht das Rad neu erfinden. Jeder sollte von den Lektionen der Vergangenheit lernen. Das ist ein Problem unserer Kultur, dass man die Lektionen der Vergangenheit vergisst und die gleichen Fehler in der Zukunft wiederholt.

Hb: Was uns zu den Fehlern der Sechziger führt.

CG: Sicher gab es da Fehler. Ziemlich wild, ziemlich außer Kontrolle. Bemühungen sichere geschützte Strukturen zu schaffen scheiterten, teilweise, weil die Kultur dafür nicht bereit war. Dinge wurden abgedreht und entglitten. Es gab Fälle, in denen unvorbereitete Leute sehr machtvolle Drogen in unangemessenen Kontexten einnahmen, ohne Menschen, die sie unterstützten, vielleicht auch noch gemischt mit Alkohol oder anderen Drogen. Die Leute verstanden nicht wirklich, die Erfahrung zu schützen. Sie betrachteten sie als Freizeitdrogen, was LSD und andere Psychedelika nicht sind. Es handelt sich dabei um mächtige therapeutische Hilfsmittel, mächtige transformierende Werkzeuge, mächtige Förderer religiöser Erfahrungen.

Hb: Ist Timothy Leary noch ein kultureller Held für Sie?

CG: Für mich persönlich? Nun ja, er ist eine faszinierende Figur. Ich traf ihn bei verschiedenen Gelegenheiten und war von seiner Intelligenz und seinem Sinn für Humor beeindruckt. Und er artikulierte sehr früh das Konzept von Set und Setting. Aber Tim Leary hatte auch ein enormes Bedürfnis im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Obendrein war er ein Provokateur und hatte eine Abneigung gegenüber dem Establishment. Das verschreckte vielleicht unnötigerweise Teile der Kultur, die potentielle Verbündete hätten sein können. Er wollte alles so schnell wie möglich und für alle Menschen. Unabhängig davon, wenn nicht Tim Leary, dann hätte jemand anderes diese Rolle eingenommen. Er ist eine tragische Figur.

Hb: Aldous Huxley bevorzugte es anders rum.

CG: Ja, sein Konzept war es, diese Drogen ruhig und langsam den Führenden der Gesellschaft nahe zu bringen, dann würden die positiven Auswirkungen nach unten durchrieseln. Leary war der Auffassung, jeder sollte diese Erfahrung haben.

Hb: Wie würden Sie das definieren, was man die „psychedelische Bewegung“ nennt?

CG: Es gibt junge und alte Menschen, die sich stark mit der Gegenkultur der Sechziger identifizieren oder den Erfahrungen, die sie mit Psychedelika machten. Aus ihrer Perspektive ist es notwendig zusammen zu halten und so etwas wie eine Gemeinschaft mit analogen Werten zu bilden. Die psychedelischen Gemeinschaften der Sechziger sind nicht ausgestorben, und die Rave- und Techno-Szene ist auch ein Spross der psychedelischen Bewegung.

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Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

telepolis, 18.06.2006

Von der ewig missachteten Gerichtsentscheidung

Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

Vor zwölf Jahren gab ein Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Anschub zu einer politischen Diskussion und gesellschaftlichen Entwicklung, die bis heute anhält. In ihrer „Cannabis-Entscheidung“ legten die Richter fest, dass ein gelegentlicher Eigenkonsum von Haschisch oder Marihuana straflos bleiben soll. In einem zweiten Schritt verpflichtete das Gericht die Bundesländer dazu, die Strafverfolgung von Haschisch- und Marihuana-Konsumenten anzugleichen. Es könne nicht sein, so die Richter, dass in Bayern der Konsum viel härter als in Schleswig-Holstein verfolgt würde. Seither herrscht Verwirrung in der Republik. Die Entscheidung fiel in die Ära von Love-Parade, Neo-Hippies und Spaßkultur, viele interpretierten den Richterspruch als Quasi-Legalisierung von Cannabis. Kiffen war cool, alle wollten dabei sein, die Konsumenten schienen immer jünger zu werden. Von den Bundesländern wurde der Auftrag eine im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung zu garantieren und ihre Vorschriften zu harmonisieren tapfer ignoriert.

Jetzt scheint Bewegung in die festgefahrene Situation zu kommen: Das Bundesgesundheitsministerium hatte beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben, die die gegenwärtige Rechtspraxis untersuchen sollte. Zusammen mit Letizia Paoli analysierte Carsten Schäfer über 2000 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und befragte Experten zur Lage der „Kiffernation“. Im Interview spricht Schäfer, der heute als Staatsanwalt in Baden-Baden tätig ist, über erwachsene Ersttäter, den umstrittenen Begriff der „geringen Menge“ und den Unterschied zwischen juristisch und politisch zu klärenden Fragen.

Frage: Herr Schäfer, durch ihre Studie haben sie ein umfangreiches Bild über die Strafverfolgung bei Cannabis-Besitz gewinnen können. Ist die Praxis der Verfahrenseinstellung in den verschiedenen Bundesländern gravierend unterschiedlich?

Antwort: Aus meiner Sicht ja. Die Unterschiede ergeben sich insbesondere aus den unterschiedlichen Höchstewerten für die Anwendung des § 31 a BtMG, die zumeist in Länderrichtlinien festgelegt sind (zwischen 6 g und 30 g), insbesondere aber aufgrund der Unterschieldichen Anwendung des § 31 a BtMG auf Wiederholungstäter. Insbesondere bei Letzterem ergibt sich eine sehr große Bandbreite: von der Anwendung nur auf Ersttäter, bis zu regelmäßigen oder gar obligatorischen Anwendung bis zu bestimmten Cannabis-Höchstwerten. Dies führt auch in der Praxis zu den festgestellten und auch prozentual messbaren Unterschieden. Da die absolute Mehrzahl aller Cannabis-Konsumentendelikte sich in einem Grammbereich deutlich unter sechs Gramm abspielen, haben hier die unterschiedlichen Höchstgrenzen keinen großen Einfluss.

Foto Carsten Schäfer
Carsten Schäfer

Frage: Eine andere Frage ist aber, ob diese gravierenden Unterschiede auch zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtspraxis geführt haben.

Anwort: Hier gibt es derzeit noch sehr wenig Rechtsprechung und kaum Literatur. Diese Frage ist aus meiner Sicht – auch nach Vorliegen unserer Studie – vollkommen offen. Der Grund: Die förderalistische Grundstruktur des GG verbietet grundsätzlich die Anwendung des Art. 3 GG – und damit des Gleichheitssatzes – über die Bundesländergrenzen hinweg. Verlangt wird vom Bundesverfassungsgericht eine „im Wesentlichen gleichmäßige Rechtsanwendung“, ohne dass dies allerdings bisher konkretisiert worden wäre.

Frage: Also kann es auch in Zukunft normal und rechtskonform sein, wenn in den Ländern unterschiedlich bestraft wird? Die Bundesregierung sieht ja auch nach der Veröffentlichung ihrer Studie weiterhin „primär die Länder in der Verantwortung“.

Antwort: Grundsätzlich ist eine unterschiedliche Rechtspraxis zulässig, die Frage ist jedoch „wie“ unterschiedlich diese sein darf. Hier ist es auch weiterhin grundsätzlich die Pflicht der Länder, durch Anpassung der Richtlinien für eine gleichmäßige Rechtsanwendung zu sorgen. Erst wenn dieses nicht gelingt, und ein Ergebnis unserer Studie war ja, dass trotz der Cannabis-Entscheidung aus dem Jahr 1994 (!) bisher keine Einigung erzielt werden konnte, wäre der Bundesgesetzgeber in der Pflicht, durch Neuregelung des § 31 a BtMG für eine gleichmäßigere Rechtsanwendung zu sorgen. Dies aber nur unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber aufgrund unserer Studie Handlungsbedarf sieht. Sieht er das nicht und belässt alles beim Alten, wäre letztendlich das Bundesverfassungsgericht – nach erneuter Vorlage dieser Streitfrage durch ein erstinstanzliches Amtsgericht – berufen, dies zu entscheiden und die derzeitige Rechtspraxis als verfassungskonform oder verfassungswidrig zu erklären.

Frage: Hier gibt es dann ja ein weiteres Problem: Da Art. 3 GG nicht anwendbar ist, besteht grundsätzlich auch kein Anspruch des betroffenen Cannabis-Konsumenten auf Gleichbehandlung.

Antwort: Richtig. Ein Beschuldigter, der z. B. in Bayern wegen Besitz von 10 g Cannabis angeklagt und verurteilt wird kann sich also grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er zum Beispiel in Berlin oder Schleswig-Holstein nicht verfolgt würde! Lediglich ein zu entscheidendes Amtsgericht kann der Rechtsauffassung sein, dass die Rechtslage so ungleich ist, dass der § 31 a BtMG in seiner jetzigen Fassung nicht verfassungskonform ist und diese Frage sodann Karlsruhe vorlegen.

Frage: 12 Jahre nach der Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts ist man also nicht nur keinen Schritt weiter gekommen, die Frage nach der „geringen Menge“ droht zur endlosen Geschichte zu werden. Existieren solche Burlesken in anderen Rechtsbereichen auch?

Antwort: In der empirischen kriminologischen Forschung wurden auch bei anderen Opportunitätseinstellungen im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität unterschiedliche Rechtsanwendungen festgestellt. Hierbei handelt es sich um Einstellungen wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO, etwa bei Diebstählen mit geringfügigem Schaden. Das Problem besteht darin, dass der Beschuldigte hinsichtlich der Nichtanwendung sogenannter Opportunitätseinstellungsvorschriften durch die Staatsanwaltschaft – und hierzu gehört nebend dem erwähnten § 153 StPO u. a. auch der hier behandelte § 31 a BtMG – kein Rechtsmittel einlegen kann. Somit gelangen die Voraussetzungen des § 31 a BtMG nicht zur Überprüfung höherrangiger Gerichte, die mit ihrer Rechtsprechung für eine gleichmäßige Rechtsanwendung sorgen könnten. Voraussetzung einer Einstellung nach § 31 a BtMG ist neben der geringen Menge auch eine geringe Schuld, und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Diese „unbestimmten Rechtsbegriffe“ unterliegen grundsätzlich der Auslegung durch den sachbearbeitendenden Staatsanwalt, regelmäßig gesteuert durch Länderrichtlinien, die durch diesen bindend anzuwenden sind. Unterschiedliche Richtlinien im Bundesgebiet führen so fast zwangsläufig zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung, ohne dass höhere Gerichte, etwa der BGH, regulierend eingreifen könnten.

Frage: Welche cannabisbezogenen Tatbestände führen häufig zur Einstellung des Verfahrens seitens der Staatswaltschaft und Amtsgerichte?

Antwort: Im Rahmen unserer Studie hat sich eine „Idealkonstellation“ herauskristallisiert, bei der davon ausgegangen werden kann, dass in allen von uns untersuchten Bundesländern eine Einstellung des Verfahrens nach § 31 a BtMG erfolgt: Bei erwachsenen Ersttätern ab dem 21. Lebensjahr, Umgang mit einer Cannabismenge unter 6 g, keine Fremdgefährdung und lediglich eine Tatbegehung. Diese Verfahrenkonstellation betrifft allerdings nur knapp 20 % aller untersuchten Cannabisverfahren. Bei den Amtsgerichten werden hauptsächlich Verfahren gegen Jugendliche bis 18 Jahren beziehungsweise gegen Heranwachsende bis 20 Jahren nach dem Jugendstrafrecht eingestellt. Zumeist gegen die Ableistung von Arbeitsauflagen. Hier ließ aber die Untersuchung aufgrund der geringeren Fallzahlen keine Klassifizierungen zu. Regelmäßig dürfte es sich um Delikte handeln, die geringfügig oberhalb der für eine Einstellung relevanten Kriterien angesiedelt sind; etwa bei Mengen knapp oberhalb des Höchstwertes, oder – bei konservativeren Bundesländern – erstmaliger Wiederholungstat. Andere Einstellungen durch die Gerichte sind von eher untergeordenter Bedeutung.

Frage: Und auf der Ebene der Staatsanwaltschaften?

Antwort: Im Rahmen der Untersuchung konnten lediglich in Bayern und Sachsen Einstellungen mit Auflagen in nennenswerter Anzahl beobachtet werden. Auch hier handelt es sich überwiegend um Verfahren gegen Jugendliche oder Heranwachsende. Dies führt letztlich auch zu den oben dargestellten Ungleichheiten bei Abweichungen von der beschriebenen „Idealkonstellation“, wenn man den Parameter „Alter“ des Täters verändert. Insbesondere in Bundesländern mit liberalerer Einstellungspraxis wird hier aber regelmäßig nach § 31 a BtMG, bei Jugendlichen auch nach Jugendrecht, § 45 Abs. 1 JGG, also ohne Auflagen eingestellt.

Frage: Neben der Auswertung von knapp 2000 Akten haben sie für ihre Untersuchung auch Gespräche mit Amtsrichtern, Polizisten und Strafverteidigern geführt. Kann man deren Einschätzung in Bezug auf die Rechtspraxis der Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten länderübergreifend zusammenfassen?

Antwort: Grundsätzlich konnten wir im Rahmen unserer Expertenbefragungen feststellen, dass in der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gericht) zwar bekannt ist, dass gewisse Unterschiede und ein Nord-Süd-Gefälle bestehen, im großen und ganzen jedoch wenig über die Rechtspraxis in anderen Bundesländern – insbesondere etwa die Höhe der unterschiedlichen Grenzwerte – bekannt ist. Naturgemäß sind es eher die Stravferteidiger, die sich diesbezüglich bereits Wissen angeeignet haben. Allerdings war auch zu beobachten, dass die Einschätzung stark von der konkreten Problemlage abhängt. In ländlichen Gebieten ist die Belastung mit BtM-Verfahren, insbesondere auch was die sogenannten „harten“ Drogen anbetrifft, bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Großstädten oder in grenznahen Bezirken wie beispielsweise Aachen. Dies hat natürlich auch Einfluss auf die Strafverfolgung von Massendelikten, wie es Konsumentendelikte mit kleinen Mengen Cannabis sind. Letztendlich werden diese Delikte in Bezirken mit hoher Belastung eher nierderschwellig behandelt und zwar nicht nur auf Seiten der Staatsanwaltschaften durch vermehrte Einstellungen, sondern bereits auf Ebene der Polizei durch die Anwendung vereinfachter Verfahren, bei denen die Ermittlungstätigkeit auf ein Minimum beschränkt und insbesondere auf ausführliche Beschuldigtenvernehmungen verzichtet wird. Dies spiegelt sich dann natürlich auch in der Einschätzung der Problemlage durch die Ermittlungsbeamten wider.

Frage: Kann man nach den Ergebnissen ihrer Studie die praktikable Höhe der „geringen Menge“ Cannabis genauer festlegen?

Antwort: Das Problem ist ja, dass es sich hierbei um eine rein politische Frage handelt bei gleichzeitig relativ geringer Praxisrelevanz. Im Rahmen der Studie betrafen über 80 % aller untersuchten Cannabisverfahren Delikte im BtM-Mengen unterhalb von 6 Gramm. Dennoch hat beispielsweise die hessische Landesregierung nach dem politischen Wechsel von der SPD zur CDU die Höchstmenge von 30 Gramm auf 15 Gramm Cannabis herabgesenkt, während die Berliner Landesregierung zum Zeitpunkt des Abschlusses unserer Untersuchung umgekehrt eine Anhebung von 15 auf 30 Gramm beschlossen hatte. Aus meiner Sicht ist dieses Problem aber weniger dringlich, als eine Einigung hinsichtlich der Auslegung anderer Kriterien. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 festgelegt, dass der „gelegentliche Eigenkonsum“ straflos bleiben soll. Dies betrifft zweifellos das Kriterium der Wiederholungstäterschaft: wie behandelt man einen Konsumenten, der zum Beispiel mit 2 Gramm Cannabis erwischt wurde, aber bereits ein Jahr zuvor – oder auch schon mehrfach – durch BtM-Besitz oder Erwerb aufgefallen war? Hier entstehen die gravierenden Unterschiede, da dies auch einen prozentual höheren Anteil an Verfahren betrifft. Um auf die Höchstmenge zurückzukommen: Der BGH hat 1998 einmal – ausgehend von einem angenommenen relativ geringen Wirkstoffgehalt 10 Gramm Cannabis ins Spiel gebracht, ohne dass dies allerdings Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaften oder Instanzgerichte entfaltet hätte. Dies scheint mir ein tragfähiger Kompromiss zu sein.

Frage: Spielt der Wirkstoffgehalt eine Rolle?

Antwort: Damit ist tatsächlich ein weiteres Problem angesprochen: Grundsätzlich ist juristisch nicht auf die Grammmenge, sondern auf den Wirkstoffgehalt abzustellen. Die Festlegung von Höchstgrenzen für die Anwendung des § 31 a BtMG diente einzig der Verfahrensvereinfachung, da ein an sich notwendiges Wirkstoffgutachten bei Bagatelldelikten unverhältnismäßg wäre. Die derzeitige Diskussion über Marihuana-Produkte mit relativ hohem Wirkstoffgehalt lassen erwarten, dass unter Umständen auch die Diskussion über die Höchstmengen neu entfacht wird. Zumindest in der juristischen Fachliteratur werden Konsequenzen bezüglich der Gefährlichkeitseinstufung von Cannabis neu diskutiert. Hier muss die weitere Entwicklung abgewartet werden.

Frage: Welche Rolle sollte ihrer Ansicht nach das Strafrecht bei der Regulierung des Drogenkonsums der Gesellschaft zukünftig spielen?

Antwort: Ich denke, dass das Strafrecht nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und auch spielen muss, man sollte aber die Auswirkungen auf das Drogenkonsumverhalten nicht überbewerten. So hat gerade die Drogenprohibition der letzten Jahrzehnte nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Umgekehrt halte ich aber auch eine Freigabe von Cannabis nicht für angebracht. Aus meiner Sicht wird das Gefährdungspotenzial von Cannabis – insbesondere bei Dauerkonsum Jugendlicher – nach wie vor unterschätzt. Letztlich geht es doch um die Frage, in wieweit der Staat mit seinem schärfsten Schwert – dem Strafrecht – in das selbstbestimmte Handeln des Menschen eingreifen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in diesem Zusammenhang die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis grundsätzlich für legitim erklärt, gleichzeitig aber festgelegt, dass ein gewisser Bereich der „selbstverantwortlichen Eigengefährdung“ straflos bleiben soll. Das Gericht hat dies mit „gelegentlichem Eigenkonsum geringer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum ohne Fremdgefährdung“ umschrieben. Diese Linie sollte konsequent fortgeführt und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtseinheitlichkeit umgesetzt werden. Wo dann die Grenze der „geringen Menge“ und des „gelegentlichen Eigenkonsums“ gezogen wird, vermag ich nicht zu entscheiden. Im Fahrerlaubnisrecht wird bereits seit längerem zwischen gelgentlichem und regelmäigem Konsum unterschieden und Anhand des Abbauproduktes THC-COOH im Blut bestimmt. Dies könnte auch für das Strafrecht ein gangbarer Weg sein.

Parallel hierzu sollte jedoch die Strafbarkeit nicht aufgegeben werden. Zum einen halte ich gerade die Einwirkungsmöglichkeiten im Jugendrecht für unverzichtbar, denken Sie an die Möglichkeit von suchstspezifischen Auflagen, wie zum Beispiel Drogenscreening, Drogenberatung, ambulante Therapien. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Strafbarkeit des Drogenbesitzes häufig auch als Auffangtatbestand für die Bestrafung von Dealern eingreift, denen ein Handeltreiben nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Deswegen ist es auch wichtig, dass den Staatsanwaltschaften durch den § 31 a BtMG ein Spielraum verbleibt, in Einzelfällen von der vorgegeben Linie auch abzuweichen.

Literatur:
Carsten Schäfer; Letizia Paoli:
Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006, Duncker&Humblot.
447 Seiten. EUR 35,-

 

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Die Hanfapotheke – Interview mit Franjo Grotenhermen

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen vom Solidaritätskreis Hanfapotheke

HanfBlatt
Im Internet gibt es eine neue Webseite, die neugierig macht: www.hanfapotheke.org. Was darf man sich unter der Hanfapotheke vorstellen?

Franjo Grotenhermen
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlich von Cannabisprodukten und benötigen Unterstützung bei der Beschaffung ihres Medikamentes. Das Verhalten des Gesetzgebers und vielfach auch der Gerichte empfinde ich in diesem Bereich als unerträglich heuchlerisch und zynisch. Da wird beispielsweise damit argumentiert, dass Cannabisprodukte Nebenwirkungen verursachen können. Es ist aber trivial, dass wirksame Medikamente Nebenwirkungen verursachen können. Viele Medikamente, die tagtäglich von Ärzten verschrieben werden, können sogar tödliche Nebenwirkungen verursachen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland besitzt. Das bedeutet doch aber nicht, dass man Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, deshalb strafrechtlich verfolgen und ihnen damit über ihr schweres gesundheitliches Schicksal hinaus weiteren Schaden zufügen müsste. Es ist heuchlerisch, beim Oktoberfest aus reiner Lust am Besäufnis die Volksdroge Nummer eins zu genießen, gleichzeitig aber einem Schmerzpatienten ein wirksames Mittel vorzuenthalten, weil es von anderen ebenfalls als Droge genossen wird. Die Menschen werden in ihrer Not mit fadenscheinigen Argumenten von der Politik und der Justiz allein gelassen. Die Hanfapotheke will ihnen dagegen, so gut es ihr möglich ist, beistehen. Ich möchte die Leser des Hanfblatts herzlich einladen, dabei nach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlichach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.

Man ist also als Kranker, dem psychoaktive Hanfprodukte helfen können, nicht mehr darauf angewiesen, sich das teure (teil)synthetische THC vom Arzt verschreiben zu lassen oder sich gar im Rahmen einer Selbstmedikation beim Dealer zu versorgen, sondern kann einfach über www.hanfapotheke.org ordern?! Was muss man tun, um in den Genuss dieser Dienstleistung zu gelangen?

Patienten können nur dann Cannabisprodukte von der Hanfapotheke erhalten, wenn sie zuvor andere legale Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie müssen also zunächst versucht haben, sich THC (Dronabinol) vom Arzt verschreiben zu lassen, und ihre Krankenkasse um die Erstattung der Behandlungskosten bitten. Die Hanfapotheke ist kein Ersatz für einen möglichen legalen Zugang zu Medikamenten auf Cannabisbasis, sondern eine Notlösung, wenn andere Wege versagt haben, beispielsweise, weil die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Es muss eine echte Notstandssituation vorliegen. Diese Notstandssituation ist durch die Schwere der Erkrankung, durch eine nicht ausreichende Behandlung mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten, sowie durch die gleichzeitige Wirksamkeit einer Behandlung mit Cannabisprodukten und den fehlenden Zugang zu Cannabisprodukten gekennzeichnet. Das sind die Bedingungen, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2004 im Falle eines Multiple-Sklerose-Patienten für das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands formuliert hat. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Patient darauf hoffen, über die Hanfapotheke Cannabis zu erhalten. Die Macher der Hanfapotheke haben die Hürden aus mehreren Gründen vergleichsweise hoch gesetzt. Erstens sollen vor allem die Patienten von der Hanfapotheke profitieren, die dies am dringendsten benötigen. Zweitens sollen sich die Aktivitäten der Hanfapotheke im juristischen Bereich des rechtfertigenden Notstands der beteiligten Patienten bewegen, so dass alle Beteiligten weitgehend geschützt sind. Und drittens sollen die Spender sicher sein können, dass ihr Cannabis an Personen gelangt, die ihn auch wirklich dringend medizinisch benötigen.
Die Versorgung beim Dealer ist im Allgemeinen sicherlich unzumutbar, zumal viele Schwerkranke nur über wenig Geld verfügen, und sie sich daher eine angemessene Versorgung häufig finanziell nicht leisten können. Oft besteht aber auch einfach kein Kontakt zu Personen, die illegale Cannabisprodukte verkaufen. Um als Patient Cannabis von der Hanfapotheke zu bekommen, reicht eine E-Mail an info@hanfapotheke.org. Dann wird ein Kontakt zu einem Vertrauensarzt der Hanfapotheke hergestellt, der überprüft, ob die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind.

Nach welchen Kriterien stellt der Vertrauensarzt fest, dass die Einnahme psychoaktiver Hanfpräparate eine Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. eine Linderung bestehenden Leids sein kann?

Es gibt dabei kein Schema. Es gelten aber einige Prinzipien. So wird er einen ärztlichen Bericht vom Patienten anfordern, aus dem die Erkrankung und die Symptome hervorgehen. Das kann beispielsweise ein Krankenhausbericht sein. Dann wird in einem persönlichen Gespräch geklärt, ob schon einmal Cannabisprodukte versucht worden sind, wie die bisherigen Therapien verlaufen sind, etc.

Bei welchen Indikationen sind durch psychoaktive Cannabispräparate Besserungen der gesundheitlichen Befindlichkeit zu erwarten?

Das Spektrum der Indikationen ist groß. Im Vordergrund stehen heute vor allem chronische Schmerzerkrankungen sowie Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Verletzungen des Rückenmarks (Querschnittslähmung) und Tourette-Syndrom. Weitere wichtige Indikationen sind Übelkeit und Erbrechen sowie Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust bei Erkrankungen wie Krebs, Aids und Hepatitis C.

Wie und in welcher Form erhält der Kranke nun sein medizinisch indiziertes Cannabis?

Er erhält sein Cannabis mit der Post, wobei der wahre Absender unbekannt bleibt.

Wonach ergibt sich die Menge, die der Kranke zur Verfügung gestellt bekommt?

Die Menge ist individuell variabel und ergibt sich aus dem Bedarf des Patienten. Wenn er angibt, etwa 1 Gramm pro Tag zu benötigen, so wird die Hanfapotheke dies auch als seinen Bedarf akzeptieren und versuchen, ihm zu helfen, diesen Bedarf zu decken. In der Realität wird es aber sicherlich oft so sein, dass sein Bedarf nicht vollständig durch die Hanfapotheke gedeckt werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Bedarf größer sein wird als das Angebot. Wie im Konzept der Hanfapotheke zu lesen ist, kann sie keine optimale Versorgung sicher stellen. Dies gilt sowohl für die Quantität als auch für die Qualität. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Patienten ausreichend mit Cannabisprodukten hochwertiger Qualtität versorgt werden bzw. sich versorgen können.

Wie können Spender Kontakt mit der Hanfapotheke aufnehmen,und wodurch kann ihre Anonymität gewährleistet werden?

Wir haben auf der Webseite der Hanfapotheke einen einfachen Weg vorgeschlagen. Es ist heute möglich, sich bei verschiedenen Providern wie gmx und yahoo eine anonyme E-Mail-Adresse einzurichten, so dass es nicht möglich ist, den wirklichen Absender zu ermitteln. Mit dieser E-Mail-Adresse meldet er sich dann über info(at-antispam-klammerfaffe)hanfapotheke.org und bietet seine Hilfe an. Es ist zu keiner Zeit erforderlich, dass ein Spender der Hanfapotheke oder einem Patienten mit seinem wirklichen Namen bekannt wird.

Wird die Zuverlässigkeit des Spenders und die Qualität des gespendeten Materials kontrolliert?

Sobald ein Patient von einem Spender Cannabis erhalten hat, gibt er der Hanfapotheke eine Rückmeldung, in der er auch von der Qualität berichten kann. Wir haben die Hoffnung, dass der Großteil der Spender den Patienten ernsthaft helfen möchte und sich dies auch in der Qualität des gespendeten Cannabis niederschlägt. Ich möchte aber auch gleichzeitig betonen, dass viele Patienten auch sehr dankbar sind, wenn sie eine mittelmäßige Qualität erhalten. Cannabis mittlerer Qualität ist besser als kein Cannabis.

Der Spender kann also bei anonymisierter E-Mail-Adresse aus dem Verborgenen agieren. Er erfährt aber die Adresse des Kranken, der sich ja ohnehin der Hanfapotheke gegenüber schon geoutet hat. An die kann der anonyme Spender dann sein Produkt schicken, oder wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Ja, so funktioniert die Hanfapotheke. Der Spender geht keinerlei Risiko ein, entdeckt zu werden. Der Patient geht dagegen ein gewisses, jedoch überschaubar geringes Risiko ein, da es möglich ist, dass sich ein verdeckter Ermittler bei der Hanfapotheke als Spender ausgibt und dann die Adresse eines Patienten erhält, der sich mit Cannabis behandeln möchte. Da aber ein Spender im Allgemeinen nur die Adresse eines einzigen Patienten erhält, ist das gesamte Projekt damit nicht relevant beeinträchtigt und das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Die Ausbeute für den verdeckten Ermittler wäre ebenfalls sehr gering, so dass es sich für die Justiz vermutlich nicht lohnt, auf diese Weise aktiv zu werden. Zudem kann man sich fragen, ob die Justiz tatsächlich ein Interesse daran haben kann, einzelne der beteiligten Patienten, die wirklich in Not sind, strafrechtlich zu verfolgen. Wenn auch möglicherweise formal Rechtsbrüche begangen werden, so wird doch tatsächlich niemandem ein Schaden zugefügt. Ganz im Gegenteil. Die Hanfapotheke schafft einen dringend notwendigen Ausgleich für eine Schieflage der gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten. Und dieser Ausgleich nimmt sich gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen eher gering aus. Die Hanfapotheke kann nicht viel mehr leisten als einige Tropfen auf den heißen Stein. Für den einzelnen Patienten kann dies jedoch von großer Bedeutung sein.

Wer steht hinter dem Projekt Hanfapotheke?

Aus verständlichen Gründen wissen dies nur wenige.

Fürchtet Ihr die strafrechtliche Verfolgung, und wie werdet Ihr in einem solchen Falle damit umgehen?

Die Mitglieder des Solidaritätskreises gehen vermutlich kein großes Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Ich rechne auch nicht damit. Sollte das dennoch geschehen, so sehe ich dem gelassen entgegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir etwas Gutes und Richtiges tun, dass nicht bestraft werden sollte. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass sich im Mai 2002 elf Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden, in der Wochenzeitschrift Stern mit Foto, Name und Wohnort mit einer kurzen Geschichte geoutet haben. Sie forderten das Ende der Kriminalisierung von Kranken, die Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen. Keiner dieser Patienten hat in der Folge dieser Aktion strafrechtliche Probleme bekommen bzw. eine Strafanzeige erhalten.

Angenommen, jemand beabsichtigt medizinisch indiziert Cannabis einzunehmen, hat aber in seinem Leben noch keine oder nur geringe Erfahrungen mit Hanf als Genußmittel gemacht, woher bekommt er dann das stoffkundliche Knowhow?

Vielleicht durch die Lektüre des Hanfblatts. Er oder sie kann sich auch an die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin wenden. Die Hanfapotheke selbst bietet keine Informationen zur praktischen Anwendung von Cannabisprodukten und leistet auch keine medizinische Beratung, sondern konzentriert sich auf die Versorgung.

Das klingt gut durchdacht und erscheint altruistisch und unterstützenswert. Wir wünschen der Hanfapotheke, dass sie vielen Menschen helfen möge.

 

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Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

HanfBlatt Nr. 99, 2005

Kiffer im Spannungsfeld von Eltern, Freunden und Therapeuten

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

Es gibt verschiedene Motive und Formen Cannabis zu inhalieren. Eckart Schmidt, Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat in den 90er Jahren den Hamburger Drogenentzug für Jugendliche mit aufgebaut, seine Erfahrungen mit moderaten und starken Kiffern hat er nun in einem Buch veröffentlicht.

Wie begann Ihr beruflicher Kontakt mit Cannabisliebhabern, die einen problematischen Konsum aufwiesen?

1999 habe ich in der Fachklinik Bokholt den Kinder- und Jugend Drogenentzug aufgebaut. Da kam ich dann auch zum ersten Mal mit exzessiven Kiffern zusammen. Zunächst war ich selber nicht von einem Cannabisentzug in einer solchen stationären Einrichtung überzeugt, so nach dem Motto „Lass sie doch lieber kiffen als Alkohol trinken“, aber da kamen eben doch Menschen, die täglich und so viel gekifft haben, dass sie allmählich überall rausgeglitten waren. Sie hatten ähnlich wenig Anschluss an „normale“ soziale Verhältnisse wie Heroin-Konsumenten.

In welcher Altersgruppe waren die?

Im Schnitt zwischen 14 und 16 Jahren alt. Manche der exzessiv kiffenden hatten bereits mit zehn oder gar neun Jahren angefangen regelmäßig zu rauchen. Die meisten waren zigarettenabhängig, insgesamt war es eine Gruppe, die allerlei Mittel schon früh als Suchtmittel eingesetzt hatte.

Oft kamen die Jugendlichen nicht freiwillig. Ist das ein Problem bei der anfänglichen Gesprächssituation?

Im Drogenentzug, und das gilt auch für Kiffer, haben meist die Eltern oder Lehrer massiv darauf eingewirkt, dass der Jugendliche zu uns kam. Die wenigsten geben selber zu, dass sie ein Problem haben, sie denken, sie haben alles im Griff. Sie wollen maximal die Spitzen rausnehmen, ansonsten aber weiter funktionieren. Dadurch entsteht durchaus ein ambivalentes Gefühl bei ihnen. Die Folge ist, dass sie den ersten Entzug meist nicht durchhalten. In den meisten Fällen braucht es zwei bis drei Anläufe, erst dann sehen sie ein, dass ihr hartes Konsummuster ihnen Probleme bereitet und entwickeln auch eine Eigenmotivation wirklich etwas zu ändern. Die Entwicklung hinein in den exzessiven Konsum und wieder heraus ist nie geradlinig. Selten ist nach einer Behandlung alles gut.

 

Bei den Kiffern also, die in jungen Jahren jeden Tag und viel rauchen, hilft also zunächst nur Abstinenz, eine Hinführung zu einer kontrollierten Genussform ist nicht möglich?

So vereinfacht kann man das nicht sagen. Jeder Mensch ist anders und es gibt durchaus Kiffer, die zurückschrauben können. Der Größte Teil von den exzessiven Kiffern hat aber Schwierigkeiten direkt in einen kontrollierten Konsum überzugehen.

Wie also bricht man den anfänglichen Widerstand im Gespräch?

Brechen kann man ihn überhaupt nicht, man muss überzeugen. Wichtig ist zunächst für sie zu wissen, das sie zwar bei uns sind, aber jederzeit auch wieder gehen können. Im weiteren geht es darum zu vermitteln, dass sie für ihr Leben selbst verantwortlich sind und ihr Handeln, egal welches, immer auch Konsequenzen zeigt. Wir können und wollen ihnen nicht sagen, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wir können mit ihnen zusammen nur herausarbeiten, welches Wege wahrscheinlich zu welchen Zielen führen. Manchmal waren die Kiffer überrascht, wenn sie von uns eben nicht gesagt kriegten, „Du musst das und das machen, dann wird alles gut.“

"Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen", sagt Eckart Schmidt.
„Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen“, sagt Eckart Schmidt.

Mal anders herum gefragt: Wie erzieht man als Kiffer denn seine Eltern zu einer guten Gesprächsführung?

Das hängt natürlich von den Ausgangslagen ab. Es gibt die Art von Eltern, die keine Diskussion zulassen, und ob man die dazu erziehen kann ist fraglich. Und es gibt die, die einfach ein wenig zu ängstlich sind. Denen kann man zeigen, dass man sein Leben durchaus auf die Reihe kriegt. Und es gibt die, die sich zu Recht sorgen machen. Für den Beginn ist es hilfreich sich eine unangespannte Situation zu schaffen, um das Thema „Haschisch“ mal ganz allgemein und nicht an der eigenen Person festgemacht anzusprechen. Vielleicht anhand eines Zeitungsberichts oder einer TV-Sendung.

Da kommt aber schnell die Frage: „Und du?“

Ja, darauf muss man dann gelassen reagieren. Zu vermeiden sind vor allem Schuldzuweisungen. Wenn beide Seiten nur von Schuld und persönlichem Versagen sprechen, dann werden Gespräche unfruchtbar. Wenn Eltern entdeckt haben, dass das eigene Kind kifft, dann haben sie meistens Ängste. Als Kind kann man dann nur versuchen aufzuzeigen, dass man sein Leben trotz Konsum auf die Reihe kriegt. Da heißt es dann natürlich ehrlich gegenüber sich selbst sein. Die Frage ist: Krieg ich mein Leben gebacken oder bescheiße ich mich selber? In meinem Buch geht es in einigen Bereichen um Extremfälle, aber eben auch um die Kiffer, die sich in einem Grenzbereich aufhalten und diejenigen, die keine Probleme mit ihrem Konsum haben. Es gibt keine einfache Zuschreibung: „Du kiffst also bist so oder so“.

Da steht man natürlich von dem Problem, dass in den Familien, in denen solche offenen Gespräche möglich sind, der problematische Konsum von Cannabis ohnehin weniger vorkommt.

Das kann man wahrscheinlich gesetzmäßig so sagen, ja. Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen, und das liegt halt meistens am Elternhaus. Ich will hier nicht immer den Eltern die Schuld geben, aber oft hakt es in diesem Bereich. Trotz allem bleibt Eltern nichts anderes übrig, als das Gespräch zu suchen. Denn verbieten kann ich es meinem Kind nicht, dann kifft es halt um die Ecke. Ich kann ihm nur sagen: „Du kiffst, und aus meiner Sicht hat das diese und jene Folgen.“

Was aber folgt nach dem Gespräch?

Abgestufte Reaktionen. Wenn ein Kind seinen Eltern beweist, dass es mit der Droge zurecht kommt ohne wichtige Dinge zu verpassen, dann müssen diese nicht unbedingt tätig werden. Wenn aber die Eltern merken, das ihr Kind täglich kifft und aus ihrer Sicht deshalb in den Schulleistungen abfällt, interesselos gegenüber seinen Hobbies wird, immer mehr in eine Kiffergruppe reingeht und keinen Kontakt mehr zu Nicht-Kiffern hat, zudem konfliktscheu ist und sich selbst belügt, dann müssen Eltern ihm dies offen sagen. In einem zweiten Schritt müssen dann auch Konsequenzen folgen. Die sollte man anfangs durchaus gemeinsam besprechen.

Ein Beispiel?

Wie dies genauer aussehen könnte, wird anhand einiger Beispiele im Buch besprochen.

Man setzt eine Grenze und droht mit einer Sanktion?

Ja, er oder sie muss merken, dass sie verantwortlich für ihr Handeln sind. Es ist ihre Entscheidung. Die Sanktion kann offen sein, also so gestaltet, das bei einem Verstoß gegen eine vorher gemeinsam verfasste Abmachung sich danach auch zusammen überlegt wird, was das jetzt für Konsequenzen hat. Und das kann auch durchaus zum Nachteil des Jugendlichen gereichen, denn warum sollte ich beispielsweise meinem Kind weiterhin viel Taschengeld geben, wenn es das Geld komplett verkifft?

Was dann aber zur Folge haben kann, das er es sich auf andere Weise besorgt.

Daran kann ich dann aber nichts mehr ändern. Wenn ich ihm mehr Geld gebe, und er kann es nicht verwalten, dann wird er auch mehr für das Haschisch ausgeben. Dazu kommt, das das Handeln der Eltern dem Kind in diesem Moment auch zeigt, das es ernst genommen wird. Wer seinem Kind alles durchgehen lässt, der wird nicht ernst genommen. Aber ein Patentrezept für einen mündigen Umgang von Eltern und Jugendlichen miteinander und in ihrer Stellung den Drogen gegenüber gibt es leider nicht.

Eltern, Schulen, Gesellschaft und Politik wollen aber genau diese klaren Richtlinien haben.

Wenn so, dann so, als ob der Mensch eine Maschine ist. Menschen sind alle unterschiedlich und wenn man sich darauf einigen würde, das zu akzeptieren und den schwierigen Weg der individuellen Herangehensweise an individuelle Problemlagen zu gehen, dann wäre man schon einen beträchtlichen Schritt weiter.

Sie möchten die Diskussion von der Schädlichkeit von Cannabis von der Diskussion um die Legalisierung komplett abtrennen. Wie soll das funktionieren, denn wie soll man über eine andere Rechtsstellung von Cannabis diskutieren, wenn man nicht auf die wissenschaftliche Fakten zurück greift?

Wenn man aufklären will, wann Cannabis für den Menschen problematisch werden kann, ist es klüger, dies von der Diskussion um die Legalisierung abzutrennen. Die sogenannten „Fakten“ rund um Cannabis werden doch ohnehin immer so zusammengewürfelt wie es das jeweilige Konzept passt. Man kann den Menschen so oder so nicht von der Selbstverantwortung befreien. Es gibt ja Leute, die schlagen vor, man solle die Alleebäume fällen, weil sie besonders unfallträchtig seien. Es scheint für den Menschen immer nur die Variante „Ja“ oder „Nein“, „Gut“ oder „Schlecht“ zu geben. Und es macht ihn irre, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, das es so etwas nicht gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Eckart Schmidt Cannabis – Wann kann der Konsum problematisch werden?
Hamburg 2005 Verlag: Mein Buch
255 Seiten
Paperback ISBN: 3-86516-405-6
14,90 EUR

 

 

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

HanfBlatt, Januar/Februar 2005

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

Tilmann Holzer, 29, ist Vorsitzender des Verein für Drogenpolitik (www.drogenpolitik.org). Zur Zeit schreibt er an einer Doktorarbeit über die Geschichte der deutschen Drogenpolitik von 1933 bis 1968.

HanfBlatt:
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein waren Cannabisprodukte in Deutschland keiner Reglementierung unterworfen. Wann und warum wurde der Verkauf von „Indischem Hanf“ in einer staatlichen Verordnung berücksichtigt?

Holzer:
Cannabis wurde in Deutschland bis etwa Mitte der 1960er vor allem als Medikament und Nutzpflanze wahrgenommen und dementsprechend von staatlicher Seite behandelt. Ab 1872 war Cannabis in der „Kaiserlichen Verordnung über Apothekenwaren“ enthalten und durfte nur in noch in Apotheken verkauft werden, eine Mengen- oder Altersbeschränkung gab es nicht. Das Cannabisverbot, so wie wir es heute kennen, beruht auf der Integration von Cannabis in das „Genfer Opiumabkommen“ von 1925 und seinen Nachfolgern, Deutschland war damals gegen dieses erste globale Cannabisverbot.

Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.
Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.

HanfBlatt:
Und warum war Cannabis in das Genfer Opiumabkommen reingerutscht? Es wird behauptet, damit wurde das „Cannabisproblem“ als „Drogenproblem“ erst geschaffen. Wie siehst du das?

Holzer:
Der ägyptische Delegationsleiter El Guindy forderte die Aufnahme von Cannabis, weil in Ägypten viel Cannabis konsumiert wurde. Praktisch alle anderen Delegationen wußten nichts von einem Cannabisproblem oder waren, wie beispielsweise Indien oder Thailand, gegen ein Cannabisverbot. Mit der taktischen Unterstützung El Guindys durch China, die USA und Frankreich konnte das Verbot aber beschlossen werden. Die Genfer Opiumkonvention ist die Urform aller Drogengesetze weltweit, weil sie durch die Ratifikation in nationale Gesetze umgewandelt wurde und so weltweit gültig ist. Im Laufe der Jahre wurden dann im wesentlichen die Strafen erhöht, das Cannabisverbot blieb. Die erste Strafverschärfung kam in Deutschland nachdem ab 1968 explosionsartig Cannabis konsumiert wurde. 1971 wurde deshalb das Opiumgesetz von 1929 in das Betäubungsmittelgesetz umgewandelt. Im Kern das Genfer Abkommen, nur viel härtere Strafen, im Ergebnis trotzdem jedes Jahr mehr Kiffer, bis heute.

HanfBlatt:
Die internationale Staatengemeinschaft baut mittlerweile auf die Kombination von Strafe und Therapie. Wird das die Zahl der Cannabiskonsumenten verringern? Und, so will ich mal frech fragen, ist es überhaupt nötig sie zu verringern?

Holzer:
Tatsächlich ist die „Therapie“ bei Cannabiskonsumenten quantitativ so unbedeutend, dass man nur von Strafe als hilfloser Reaktion von staatlicher Seite sprechen kann. Die Zahl der Konsumenten wird aber selbst durch die härtesten Strafen nicht beeinflusst, jedes Jahr gibt es mehr Kiffer. Der Staat kann die Zahl der Kiffer nur in sehr beschränktem Maße regulieren und selbst dass nur, wenn er einen vollständig legalen Markt hat, der streng reguliert werden kann, beispielsweise um Kinder vom Kiffen abzuhalten. Für Erwachsene gilt, dass sie selbst über ihren Drogenkonsum entscheiden dürfen, denn in einer Demokratie hat sich der Staat aus dem Privatleben, also auch dem Drogenkonsum herauszuhalten. Nur wenn Dritte gefährdet sind oder der Allgemeinheit Kosten entstehen, dann kann er Staat regulierend eingreifen. Gesundheitspolitisch gesehen, insbesondere finanziell, aber auch mit Blick auf Gewaltverbrechen, ist ein moderater Cannabiskonsum dem Alkoholkonsum ganz vorzuziehen. Mit Blick auf die Krebsstatistik ist es wichtig, den Cannabiskonsum vom Tabakrauchen zu trennen.

HanfBlatt:
Dies führt direkt zur Reformdiskussion des staatlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit Cannabis, die du und der Verein für Drogenpolitik jetzt mit dem „Globalen Cannabisregulierungsmodell“ neu beleben wollt. Nicht erst seit dem „Apothekenmodell“ ist die Regelung der Abgabe und des Verkaufs von Marihuana und Haschisch ein Streitpunkt. Wir wollt ihr das lösen?

Holzer:
Das Cannabisverbot hat total versagt, seit es 1971 verschärft wurde, kiffen jedes Jahr mehr Menschen in Deutschland. Es geht nicht darum, ob wir Cannabis legalisieren wollen oder nicht, sondern darum, ob Cannabis auf einem legalen oder einem illegalen Markt gehandelt werden soll. Cannabis ist überall erhältlich, kein einziger Staat auf dieser Welt hat bisher ein Cannabisverbot durchsetzen können. Deshalb hat der Verein für Drogenpolitik ein Konzept entwickelt, wie Cannabis in einem staatlich kontrollierten Markt gehandelt werden kann. Das ist das von dir erwähnte „Globale Cannabisregulierungsmodell“. Der Kerngedanke ist einfach: legal gehandeltes Cannabis ist ein wenig billiger als illegales und deshalb ist ein legaler Markt realistisch. Zweitens kann jeder einzelne Schritt vom Anbau bis zum Verkauf im Cannabisfachgeschäft staatlich lizensiert werden. Dadurch ist ein effektiver Jugendschutz, denn beim Verkauf Verkauf an Minderjährige droht Lizenzentzug, und ein hoher Qualitätsstandard möglich. In einem Rechtsgutachten weisen wir nach, dass ein legaler Cannabishandel im Rahmen der internationalen Verträge möglich ist. Was fehlt ist der politische Druck von unten, damit die Parteien den legalen Cannabismarkt ermöglichen. Als ersten Schritt wollen wir noch dieses Jahr unser Modell an alle Bundestagsabgeordneten verschicken, benötigen dafür und für die nächste Auflage, die an alle Landtagsabgeordneten gehen soll, noch 2000 Euro an Spenden.

HanfBlatt:
Fehlt nicht eher der politische Wille bei den Parteien, weil mit dem sensiblen Thema Drogenpolitik keine Wählerstimmen zu fangen sind? An einer Änderung der Rechtslage von Cannabis scheint sich seit Jahrzehnten niemand die Finger verbrennen zu wollen, zuletzt zogen die GRÜNEN den Schwanz ein.

Holzer:
Das ist sicher richtig, aber zu einfach. Richtig ist, dass die Parteien heute kein Interesse mehr an Drogenpolitik aufbringen, es geschieht beinahe nichts. Das war Anfang der 90er ganz anders. Wichtig ist, dass in den letzten Jahren die Medien immer mehr naiv-hysterisch über Drogen berichten, insbesondere über Cannabis. Das fällt auf die Parteien zurück, da es in keiner Partei Experten für dieses Thema auf Bundesebene gibt. Andererseits fehlt eine gut organisierte Interessensvertretung für eine bessere Drogenpolitik. Mit mehr Druck und Überzeugungsarbeit könnte man in den Parteien einiges bewegen, das zeigen Erfahrungen aus den 1990ern im Bereich Heroin und im Ausland. Deshalb haben wir den Verein für Drogenpolitik vor drei Jahren gegründet, als eine unabhängige und freie Organisation für diese Lobbyarbeit gegenüber Abgeordneten, Bundesregierung, Medien und Justizapparat und so weiter. Das funktioniert im Prinzip, aber erst mit einer guten finanziellen Ausstattung oder einer Stiftung für Drogenpolitik und hauptamtlichen Mitarbeitern wird es wirklich funktionieren. Dafür brauchen wir mehr Unterstützung von allen Seiten.

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Professor Sebastian Scheerer

HanfBlatt, November 2004

„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“

Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

 

J.

Sie weilten eine Zeit in Brasilien?

S.

Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?

A.

Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.

S.

Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?

J.

Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.

S.

Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?

A.

Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.

S.

Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.

A.

Heute eher mehr.

J.

Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.

S.

Und was ist mit Rigo Maaß passiert?

A.

Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.

J.

Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.

S.

Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?

J.

He, he, he.

A.

Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.

J:

Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.

A.

Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.

S.

Auch eine ideologische Basis.

A.

Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.

J.

Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.

A.

Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,

J.

Düngemittelindustrie,

S.

Steinwollehersteller

A.

Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.

S.

Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?

J.

Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?

S.

Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.

A.

Steinlange her.

S.

Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.

A.

Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.

S.

In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.

J.

Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.

S.

Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.

J.

Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?

S.

Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!

J.

Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.

S.

Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.

J.

Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.

S.

Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!

A.

Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.

S.

Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.

A.

Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.

S.

Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.

J.

Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…

S.

Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.

A.

Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.

J.

Ein Schummel-Paket.

A.

Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.

S.

Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.

J.

Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?

S.

Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.

J.

Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.

A.

Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.

S.

Ha, ha, ha.

J.

Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?

S.

Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.

A.

Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.

S.

Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.

J.

Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.

A.

Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.

S.

Das kam nicht so gut an.

A.

Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.

S.

Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.

J.

Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.

S.

Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.

A.

Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.

S.

Plausibel.

J.

Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.

S.

Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.

A.

Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.

S.

Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.

A.

Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.

J.

Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.

S.

Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.

A.

Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.

S.

Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.

A.

Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.

J.

Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.

S.

Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.

Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.

J.

Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.