Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Jonathan Ott

HanfBlatt, 2000

„Unglücklicherweise wissen wir nicht genug über Cannabis, dabei wäre es einfach heraus zu finden.“

Interview mit Jonathan Ott, Autor von „Pharmacotheon“, einem Standardwerk über psychoaktive, visionäre Pflanzen und deren Anwendungen, über den Kokain-Handel, die Wirkung von Marihuana, den Schamanismus und den Gebrauch von psychoaktiven Drogen.

In Zusammenarbeit mit Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD, entwarf Ott das Wort „Entheogene“, das Substanzen beschreibt, welche „Spirit“ oder den persönlichen Gott in uns wecken. Wir besuchen Jonathan Ott an einem milden Spätsommerabend in der Wohnung des Ethnopharmakologen Christian Rätsch und der Kulturwissenschaftlerin Claudia Müller-Ebeling. Das Forscherpaar hat einen kleinen Empfang für Ott organisiert – das gibt uns Zeit ein Interview mit dem Ottilie zu führen.
HanfBlatt
Ich möchte mit einer witzigen Einleitung beginnen. Ein Geschenk von mir, welches du wahrscheinlich noch nicht kennst. Manche Zeitgenossen sagen es wäre die schrecklichste Droge auf Erden… was sagst du? Es ist eine Flasche Mariacron, die „Droge der Tanten“.

Ott
Ahh, Weinbrand, genial. Sind da Cannabinole drin?

HanfBlatt
Nein, es ist nur das Kaffee-Kränzchen Getränk unserer Tanten. Wir nennen es „Sprit“, aber es hat keinen Spirit.

J. Ott (i.d.M.), mit C. Müller Ebeling (l.) und C. Rätsch (r.)
J. Ott (i.d.M.), mit C. Müller Ebeling (l.) und C. Rätsch (r.)

Ott
Nun, es hat ein schönes Etikett. Und es scheint vollmundig zu sein. Danke.

HanfBlatt
Mit Pharmacotheon hast du einen Meilenstein der wissenschaftlichen Literatur über psychoaktive Pflanzen und deren Inhaltsstoffe verfasst. Das Buch ist äußerst präzise und gibt einen klaren Blick darauf, was wir über diese Pflanzen tatsächlich wissen. In „Ayahuasca Analoge“ gibst du allerhand nützliche Informationen über eine Anzahl von Ingredienzien, welche zu einem hoch potenten oral aktiven Trunk verarbeitet werden können. Nebenbei führst du die Absurdität und Unmöglichkeit der Kriminalisierung des Natürlichen vor. So sind deine Publikationen so wichtig wie „Thikal“ und „Phikal“ von den Shulgins. Was hat sich seit der Veröffentlichung von „Pharmacotheon“ für dich verändert?

Ott
„Pharmacotheon“ wurde 1993 veröffentlicht, eine zweite Ausgabe und eine spanische Übersetzung 1996. Aber insgesamt hat sich nichts geändert, ich gehe nur immer weiter in die Einzelheiten. Als Beispiel: Das Ayahusca-Buch war zunächst ein Kapitel in „Pharmacotheon“ und wuchs später zu einem vollständigen Buch. Ich wollte dann die gleichen Methoden -Bio-Proben und Analysen- auf die südamerikanischen Schnupfdrogen anwenden. Just habe ich eine weiteres Buch fertig geschrieben, „Schamanische Schnupfdrogen“, welches in Kürze in der Schweiz erscheinen wird. Die deutsche Ausgabe folgt später. Dort habe ich die psychonautische Anwendung von 5-MeO-DMT und Bufotenin beschrieben. Das Buch handelt weniger von DMT, mehr von den drei Hauptbestandteilen der großen Schnupffamilie: Bufotenin, 5-MeO-DMT und Nikotin. Statt Pharmahuasca hat man also Pharmaepena, welches das geschnupfte 5-MeO-DMT ist und Pharmayopo, welches das geschnupfte Bufotenin ist. Diese Arbeit ist komplett neu, weil bislang kein Forscher seine Aufmerksamkeit auf die Schnupfdrogen gerichtet hat. Als Homestead und Lindgren, die schwedischen Chemiker, zum ersten Mal die Idee des „Ayahuasca-Effekts“ beschrieben, den Zusammenhang zwischen MAO-Hemmern und Tryptaminen, sprachen sich eigentlich von den Schnupfdrogen und erst später wurde dies auf Ayahuasca übertragen – nämlich dann als DMT in nachträglich in Ayahuasca gefunden wurde. Ich wollte schon immer zurück zu den Schnupfdrogen kommen. Geschnupft sind die Inhaltsstoffe tatsächlich sehr viel potenter als oral eingenommen. Dies war schon eine Überraschung. Ich analysierte und probierte über sechzig Kombinationen. Dazu musste ich zunächst die Ingredienzien isolieren, weil Bufotenin eine illegale Droge ist…

HanfBlatt
… in den USA…

Ott
Ja, nur in den USA, glaube ich. Aber aus praktischen Gesichtspunkten ist es einfacher es zu isolieren, nicht zuletzt weil ich mein eigenes Labor in Mexiko habe. Es wurde viel über Bufotenin geschrieben, meistens Unsinn, über den Mangel an Psychoaktivität, visionäre Kraft und so weiter. Aber durch die Zusammenarbeit mit Christian Rätsch und mit Manuel Torres, einem Kollege aus Cuba, welcher die Schnupfdrogen seit mehr als zwanzig Jahren studiert, werden wir mehr Informationen erhalten. Torres trug den Wunsch der Kooperation an uns heran – Christian übernahm die Feldforschung und arbeitete mit den Schamanen in Nord-Argentinien zusammen und ich analysierte die Schnupfdrogen. Zunächst studierten wir die Samen und -wie in der Literatur beschrieben- fanden wir hohe Mengen an Bufotenin – bis zu 12,4mg- und fast keine anderen Tryptamine. Wir fanden zudem heraus, dass die Samen geschnupft wie geraucht sehr aktiv waren. Daraufhin war ich natürlich daran interessiert das Bufotenin zu isolieren.
Wie sich herausstellte ist Bufotenin tatsächlich visionär und zudem ebenso psychoaktiv wie 5-MeO-DMT, wenn es geraucht beziehungsweise als freebase konsumiert wird. Aber seine Psychoaktivität als Schnupfdroge ist ähnlich wie DMT, welches erheblich weniger psychoaktiv ist. 5-MeO-DMT ist also oral aktive, auch ohne MAO-Hemmer, obwohl eine höhere Dosis nötig ist. Momentan schreibe ich zusammen mit Christian Rätsch an einem Buch mit dem Titel: „Just say Blow. Coca and Cocaine, a scientific Blowjob“. Dieses wird nächstes Jahr auf deutsch im AT-Verlag erscheinen.

 

HanfBlatt
Bevor wir fortfahren: Prost.

Ott
Prost.

HanfBlatt
Die Thema Bufotenin wirft einen komplett neues Licht auf die Frage der Kröten.

Ott
Vielleicht. Ich denke nicht, dass in irgendeiner dieser Kröten genug Bufotenin ist, um psychoaktive Effekte zu erzielen. Tatsächlich finden sich nur kleine Mengen von Bufotenin in den Kröten, sie beinhalten dafür sehr hohe Mengen anderer giftiger Substanzen, unter anderem Phenylethylamine. Zum Teil haben wir es auch mit sehr gefährlichen Stereoiden zu tun. Ich habe zu wenig Erfahrung mit ihnen, sieht man einmal von der „Bufo Alvarius“ Kröte ab. Dies ist die einzige Kröte von der man weiß, dass sie 5-MeO-DMT enthält. Zwischen 10 und 15 Prozent im „Gift“, dem Drüsen-Sekret dieser Kröte. Dieses ist geraucht äußerst potent. Der Effekt ist aber nicht nur wie bei 5-MeO-DMT, es müssen noch andere Substanzen eine Rolle spielen, die man bisher noch nicht gefunden hat. Bufotenin ist definitiv oral aktiv: Es gibt Beweise, dass die Kröten dem „Chicka“ zugeführt wurden, einem tropischen amerikanischen Wein, in Anteilen über die wir noch keine Theorie haben. Ich denke nicht das es das Bufotenin ist, es muss etwas anderes sein, was für die Psychoaktivität zuständig ist.

HanfBlatt
Vielleicht wird es auch durch die Haut absorbiert, wie bei den Hexensalben?

Ott
Ja, das ist möglich, aber dafür liegen mir keine Beweise vor. Bei Nikotin stimmt dies. Momentan fokussiere ich mich auf Nikotin, weil es eine wichtiges Thema ist. Mein Schnupfdrogenbuch hat ein Kapitel über Epena, diverse Schnupfdrogen, welche 5-MeO-DMT und andere Tryptamine enthalten. Ein anderes Kapitel handelt von Sebil und Nopo, welches Bufotenin enthält. Ein weiteres Kapitel behandelt Tabak und nikotin-basierte Schnupfdrogen. Schon seit längerer Zeit erforsche ich Nikotin, obwohl ich normalerweise keinen Tabak konsumiere. Lieber nehme ich eigentlich pures Nikotin, beispielsweise als nasales Spray. Tatsache ist, dass in normalen kommerziellen Zigaretten nicht genügend Nikotin ist, um irgendeinen Effekt zu erzielen. Nikotin an sich ist wie Kokain keine Substanz die Sucht erzeugt – legt man eine rationale Definition an. Es gibt keine Entzugserscheinungen und es passiert gar nichts, wenn man viel davon über einen längeren Zeitraum konsumiert und dann plötzlich aufhört. Kommerzielle Zigaretten beinhalten vielleicht ein Milligramm Nikotin pro Stück und man absorbiert rund die Hälfte davon in einem Zeitraum von zehn Minuten. Ich nehme normalerweise zehn Milligramm als einzelne Dosis und das entspricht der Mengen einer ganzen Packung Zigaretten.

HanfBlatt
Und deine momentane Arbeit?

Ott
Ich schreibe an eher praktischen Beiträgen für das Journal of Psychoactive Drugs. Der erste ist bereits unter dem Titel „Pharmahuasca“ erschienen, demnächst erscheinen „Pharmaepena“ und „Pharmayopo“. Just schreibe ich an einem Artikel mit dem Namen „Pharmanubil“, der sich mit den tabakhaltigen Schnupfdrogen beschäftigt. Es gibt noch so viele unbekannte Pflanzen die wir identifizieren müssen. Wie man in der exzellenten „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ von Christian Rätsch gut sehen kann, existieren buchstäblich hunderte, vielleicht tausende von visionären Pflanzen und wir kennen erst die Wichtigsten. Seit dreizehn Jahren lebe ich in Mittelamerika und in meinem Garten wachsen sechs sehr bekannten mittelamerikanische Entheogene, die chemisch wie pharmakologisch noch komplett unerforscht sind. Ich hatte bisher nur keine Zeit sie zu prüfen oder auszuprobieren und genau das muss man tun, wenn man sie studieren will. Man braucht keine Labortiere, man braucht keine großartige Forschungsfinanzierung, man braucht keine Unmengen von Universitätspersonal, man muss nur die Aktivität der Pflanzen verstehen und man muss sie halt kosten. Aber sei´s drum.
Diese Pflanzen sind auch in ihrem historischen Kontext wohl bekannt und es besteht keine Gefahr, dass sie in nächster Zeit verschwinden werden. Die meisten werden momentan kaum genutzt und somit ist es kein Problem, welches auf eine schnelle Lösung drängt. Ich fokussiere mich nun auf Südamerika, nicht zuletzt weil es dort -beispielsweise in Brasilien- eine alte, aber akut vom Aussterben bedrohte Gebrauchskultur gibt. Zudem existiert kein oder nur wenig historisches Hintergrundwissen wie in Mittelamerika. Aus diesem Grund werde ich demnächst nach Südamerika ziehen, vielleicht Kolumbien, um das Studium dieser Pflanzen und ihres Gebrauchs zu vereinfachen.

 

Chocolate-Addict
Confessions of a chocolate addict. J. Ott mit seinem Schokoladenkuchen.

HanfBlatt
Die US-Regierung lässt eine Menge Geld nach Kolumbien fließen.

Ott
Ja, sie nennen das den „Plan Columbia“ und der sieht folgendes vor: Die US-Regierung kontrolliert momentan den Kokain-Handel nach Europa und die Alte Welt über Bolivien. Die USA haben großen Einfluss in Bolivien und das Land so gut wie übernommen – weniger militärisch, als vielmehr ökonomisch, indem sie die Politiker und viel Land gekauft haben. Der Kokain-Handel läuft dabei über die US-Botschaft. Sie haben ihren eigenen Air-Force Hangar im Hauptflughafen in Santa Cruz. U.S.-Militär-Transporte fliegen hier fast täglich ein und aus und niemand weiß was dort verladen wird. Offiziell sind es Arzneimittel für die Bevölkerung, de facto sind sie es aber, die damit den Kokain-Handel kontrollieren. Die USA versuchen seit längerem Kolumbien aus dem Kokain-Handel auszuschließen. Schon in der Präsidentsschaftszeit von Jimmy Carter wurden darum Kontakte nach Bolivien geknüpft. Später, im Jahre 1979, wurde ein Staatsstreich protegiert und die USA setzten diesen Typ namens Luis Garcia Meza, der als Staatspräsident das Land regierte. Kurz nach seiner Amtseinsetzung wurde in Bolivien massiv Koka gepflanzt und in riesigen Laboratorien zu Kokain weiter verarbeitet. All das Koka wurde bis dahin von Bolivien und Peru nach Kolumbien transportiert, dort raffiniert und die Kolumbianer kontrollierten den Zugang zum US-Markt. Man muss wissen, dass in den USA 70 Prozent des weltweit hergestellten Kokains konsumiert wird. Und natürlich ist das US-Militär in den Transport involviert, speziell während der Reagan-Zeit. Das war doch die Geldquelle für den illegalen Krieg gegen die Sandinistas in Nicaragua. Im Grunde ging es immer darum Kolumbien aus dem Geschäft zu treiben. Heute ist die kolumbische Regierung in schlechter Verfassung: die Rebellen kontrollieren die Hälfte des Landes und sie kontrollieren vor allem die Koka-Zone. Damit war die Regierung letztlich gezwungen die militärische Hilfe der USA zu akzeptieren. Angeblich um den Drogenkrieg zu bekämpfen, in Wahrheit aber um die Kokain-Produktion in Kolumbien zu kontrollieren. Sollte dies den USA tatsächlich gelingen, wäre die gesamte Kokain-Produktion der Region in ihren Händen, denn in Peru besitzt die US-Regierung ebenfalls großen Einfluss.
Dies ist der Hauptgrund weshalb ich seit 13 Jahren nicht mehr in den USA wohne. In diesem Land ist der Puritanismus Grundlage jeden Handelns und dieser Schwindel, der sich „War on Drugs“ nennt, ist nur eine Entschuldigung dafür Menschen die ihnen missfallen ins Gefängnis zu stecken.

HanfBlatt
Der „Krieg gegen die Drogen“ geht weiter. Gibt es eine Chance ihn zu beenden?

Ott
Es existiert definitiv eine Chance – er liegt schon in den letzten Zügen. Noch treibt er zwar weiter seine unsäglichen Blüten, aber die Kräfte gegen ihn wachsen. Dieser Krieg ist gegen die Geschichte, gegen die Ökologie, gegen die Ethik, den gesunden Menschenverstand und die Realität. Ich sehe ihn mehr oder weniger als historisches Ereignis – maximal noch zehn Jahre. Die Drogenpolitik der USA ist in zunehmenden Maße unpopulär auf der Welt. Ich denke schon, dass die Situation so wie in Holland oder Spanien enden wird. In Spanien herrscht zwar ein Verbot, man kann aber bis zu drei Marihuana-Pfllanzen besitzen, bis zu fünfzig Gramm Haschisch, bis zu zehn Gramm Heroin oder Kokain und bis zu 100 LSD-Tripps. Das wird als Eigenbedarf angesehen. Meistens gibt es eine Geldbuße, aber es ist kein Verbrechen für welches man eingesperrt wird.
Nebenbei: Ich bin nicht für die Legalisierung oder irgendeinen anderen Deal mit dem Staat, denn das bedeutet nur mehr Steuern. Legalisiert man Cannabis, würden die großen Tabak-Konzerne den Markt beherrschen. In alten Zeiten war Tabak eine sehr potente, visionäre Droge, später wurde es zu einem Laster: Gerade gut genug um Menschen zu verletzten, aber nicht high zu machen. Ich befürworte daher eher die Dekriminalisierung des Drogenmarktes. Ich versuche mehr und mehr die Verwicklung der Staatsorgane in den Drogenhandel aufzudecken. Es gab und gibt Drogen-Skandale in Europa und in anderen Ländern, während deren Aufklärung nachgewiesen wurde, dass die offiziellen Leute aus den Drogendezernaten in den Handel involviert waren. Mehr und mehr Menschen dämmert es, dass der eigenen Staat mit seinen ausführenden Organen in den Handel verwickelt ist. Für die Regierung ist es eine großartige Möglichkeit viel Geld zu verdienen und nebenbei auch noch die Menschen, die sie nicht mögen, ins Gefängnis zu schicken.

Mein Ziel ist daher nicht ein neues Kontrollsystem für Substanzen, welches von irgendeiner Regierung kontrolliert wird. Momentan haben wir doch eine sehr gute Marktsituation – die Preise fallen und die Reinheit steigt an. Die Prohibition gibt unseren Leuten die Chance auf ein recht gutes Leben im Drogenproduktions- und verteilungsgeschäft. Ansonsten müssten sie mit den Tabak- und Alkohol-Firmen konkurrieren. Ich würde gerne eine Art von Waffenstillstand sehen, indem es unmöglich ist jemanden wegen dieser Art von Geschäften ins Gefängnis zu stecken. Und dann sagt man halt: „O.k., ihr Typen von der CIA, der DEA und dem US-Militär, ihr könnt ja gerne mit den Drogen handeln, aber wir wollen mit euch konkurrieren und dann wird man sehen wer gewinnt.“ Dies wird, denke ich, nicht durch irgendeine Art von öffentlichen Entscheidungsprozess geschehen, eher durch Zermübungstaktik. Früher oder später wird der politische Wille sterben, immer mehr Menschen ins Gefängnis zu werfen. Sie nennen die USA „The Land of the Free“, aber in dem Land sitzen 25 Prozent aller Gefängnisinsassen der Welt! Es besitzt die höchste Gefangenenrate in bezug auf die Bevölkerung der Welt, sieht man einmal von China ab. Momentan sitzen zwei Millionen Gefangene in den USA, die meisten von ihnen wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Das ist fast Einer in 100 Leuten. Das ist teuer, es kostet mehr als die Leute auf eine private Universität zu schicken. Es gibt kaum irgendeine Familie im Land, die nicht jemanden kennten der im Knast sitzt, zum Teil ein Familienmitglied oder ein naher Freund. Diese Menschen verstehen all die Lügen des „War on Drugs“. Es geht darin nicht um Gerechtigkeit oder darum gefährliche Leute hinter Gitter zu bringen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus, denn mittlerweile werden die wirklich gefährlichen Verbrecher wegen Platzmangel entlassen. Umso mehr Menschen ins Gefängnis müssen, umso mehr begreifen die Menschen das es in diesem System nicht um Gerechtigkeit geht.

HanfBlatt
Das System wird sich selbst auflösen?

Ott
So läuft es immer. Jeder glaubte an die langlebige Existenz der Sowietunion. Diese Dinge sind wie ein Szenenaufbau in Hollywood, nach außen stark, aber das Gerüst ist dünn und es vergammelt schnell.

HanfBlatt
Potemkinsche Dörfer.

Ott
Richtig. Die Nazis raffte die Zeit dahin und das selbe wird mit der US-Regierung geschehen. In weniger als fünfzig Jahren werden die Präsidenten, Premierminister und Regierungschefs das sein, was die Könige heute sind. Sie durchschneiden Bänder um Autobahnen und Fabriken einzuweihen und am Unabhängigkeitstag treten sie auf um eine Rede zu halten. Die wahre Macht halten sie aber nicht mehr in den Händen, weil diese in die Hände der großen, multinationalen Konzerne übergegangen ist. Gore, Schröder und all die anderen sind dann Marionetten, die die Interessen dieser Unternehmen vertreten. Die großen Firmen sind das kleinere Übel als die Regierungen, denn sie operieren in vielen Ländern der Welt. Und weil dies so ist, wollen sie Probleme mit diesen Ländern vermeiden. Zudem sind sie demokratischer; es ist leichter einen Chef einer Firma als den Chef eines Landes zu stürzen. Alles was man tun muss ist Aktien kaufen und ihn rauswählen.

Vielen Leuten ist diese Idee nicht sehr sympathisch, speziell den Sozialisten, aber ich denke es ist besser wenn man Macht offen und ehrlich so betrachtet. Die Waffenindustrie wird eingehen, denn nur der Nationalismus speist diesen Industriezweig. In Wirklichkeit ist dies der Motor des globalen Welthandels: Waffen und Drogen. Aber wenn es keine nationalistischen Politiker mehr gibt – wer will diese Waffen noch haben?

HanfBlatt
Ein Themensprung. Welche Rolle spielt Cannabis für dich?

Ott
Cannabis spielt keine Rolle in meiner täglichen Arbeit, es ist mehr ein soziales Genussmittel. Natürlich ist es die am weitesten verbreitete Droge in der Welt, zehnmal häufiger als Kokain, welches wohl auf Nummer zwei der Liste steht. Allein in den USA konsumieren laut Regierung 25 Millionen Menschen Cannabis und eventuell sind es doppelt so viele. In Europa gibt es noch mehr Genießer. Zudem ist Cannabis eine Kernthema beim politischen Paradigmenwechsel, welcher durch die Bürgerbewegung für den Medizinalhanf angeschoben wurde. Selbst die US-Regierung war gezwungen THC wieder auf die Liste der verschreibungsfähigen Mittel zu setzen, bis dahin war es auf der Liste der gänzlich illegalen Substanzen, wo die Pflanze selbst heute noch steht. Und ich denke sie werden gezwungen sein auch die Pflanze verschreibungsfähig zu machen, nicht zuletzt weil zu viele Patienten bezeugen, dass THC (Marinol) nicht so gut wirkt wie das Rauchen von Cannabis. Das Rauchen von Marihuana hilft ihnen und es ist preiswerter. Elf Staaten haben es für den medizinischen Gebrauch legalisiert und eine Art von Verschreibungssystem aufgebaut. Aber einige Politiker bekämpfen dies bis auf Teufel komm raus. Sie weigern sich die Marihuana-Gesetze zu ändern, nicht zuletzt deswegen, weil die DEA (Drug Enforcement Administration) dann ihre Daseinsberechtigung verlieren würde. 75 Prozent der Inhaftierung wegen Drogenbesitz in den USA geschehen im Zusammenhang mit Marihuana.

Eine andere Kraft zur Änderung der bestehende Gesetze ist die Faserhandindustrie. In Ländern wie Kanada und Finnland war Hanf ein wichtiges landwirtschaftliches Erzeugnis und langsam kommt es zurück. Dies sind die beiden maßgeblichen verbindenden Elemente, die weit über das hinaus gehen, was früher „Hippie versus Alki“ genannt wurde oder dieses andere dumme Zeug, welches im Zusammenhang mit Marihuana immer wieder auftaucht. Die Leute sehen das heutzutage in Begriffen wie „landwirtschaftlich“ oder “ ökologisch. Es geht dann nicht mehr nur darum, von was du high wirst, es ist eine politische Frage. Aber natürlich ist Hanf Cannabis. Und das sieht man ganz klar in Mexiko, wo ich lebe. In Mexiko kümmert sich keiner um den Kokainkonsum – das ganze Land lebt unter Kokaineinfluss. Es ist die Droge der politischen Klasse, der Konservativen, der Börsenmakler, es wird in Firmen genauso genutzt wie im Weißen Haus und der Drogenszene. Marihuana allerdings wird als gefährliche Droge behandelt, weil es mit den linksorientierten Intellektuellen in Zusammenhang gebracht wird, mit Studenten und der Gegenkultur. Es ist ein politisches Thema, welches man mit Kokain nicht hat, denn Koks ist das Herzblut der Politiker in Mexiko, genauso wie in vielen anderen Ländern auch.

HanfBlatt
Hast du eine Übersicht über das Thema Marihuana in den spanisch sprechenden Ländern?

Ott
Spanien hat eine enorm hohe Rate an Cannabis-Konsumenten und das Haschisch kommt traditionell aus Marokko. Es ist wirklich schlechtes Haschisch, mit meistens nicht einmal zwei Prozent THC. Canamo, das spanische HanfBlatt wenn man so will, hat chemische Analysen von marokkanischen Haschisch durchführen lassen and es ist wirklich schlecht, eher wie wild wachsendes Marihuana. Mehr und mehr Leute züchten darum ihr Cannabis selbst, dass kann man gut auf einigen Stadtbalkonen beobachten. In Zukunft wird die Situation also besser werden, allerdings nicht für das korrupten Regime in Marokko und den korrupten Zoll in Spanien.

HanfBlatt
Wenn ich unterbrechen darf: Was ist der aktuelle Wissensstand über Cannabis? Was ist für die Psychoaktivität verantwortlich?

Ott
O.k., seht, dass ist nicht meine Fachgebiet. Ich besitze zwar eine Menge Literatur darüber, aber das ist ein weites Feld. Fest steht: Irgend jemand muss psychonautische Studien mit Cannabis durchführen; das heißt, man muss all die potentiell aktiven Bestandteile isolieren – und das sind viele. Es scheint momentan klar, dass es zwei Klassen von psychoaktiven Verbindungen gibt: Die Cannabidiole, welche eine eher beruhigende, körperliche Wirkung haben und die THC-Isomere, besonders das Delta-1 THC, welche eine sehr stimulierende und visionäre Wirkung haben. Und es existiert mindestens noch ein weiteres aktives Isomer des THC, das Delta-8 THC. Schaut man aber in die wissenschaftliche Literatur, um die für einen Menschen wirksame Dosis von Delta-1 THC zu erfragen, steht dort: „Nun, drei bis dreißig Milligramm.“ Das ist nicht gut genug, um nicht zu sagen, dass ist ziemlich ungenau. Ein weiterer Punkt ist die Anwendung – oral, geraucht, geschnupft oder injiziert? Es hängt natürlich von der Art der Einnahme ab. Vor einiger Zeit, während eines Seminars in Palenque, Mexiko, gab mir ein Typ der Krebs hatte ein paar Pillen Marinol. Er gab mir eine 45 Milligramm Dosis, ich nahm alles und wartete. Nach einer Weile vergaß ic, dass ich überhaupt was genommen hatte. Es passierte gar nichts! Geraucht wäre ein Zehntel davon eine starke Dosis gewesen.

Jemanden der in der Cannabis-Forschung tätig ist würde ich vorschlagen: Nimm ein bekannte Probe, beispielsweise von Sensi-Seed, lass das Gras wachsen und erstelle ein chemisches Profil. Isoliere all die unterschiedlichen Isomere der Cannabinoide und teste um die zehn verschiedenen Verbindungen in dem Verhältnis wie vorgefunden, alleine und in Kombination. Ich vermute, dass es mehr aktive Verbindungen gibt.

Die kurze Antwort auf eure Frage ist, dass wir es nicht genau wissen und das Wissen was wir haben ist sehr  ungenau. Aber wir haben die Chance es genauer zu wissen, nun, wo die Anandamid-Verbindungen isoliert und der sogenannte „Cannabis-Rezeptor“ im Gehirn gefunden wurde. Alles was wir brauchen ist Human-Pharmakologie und zur Zeit geschieht dies nur in den Keller-Laboratorien der Gegenkultur. Zumindest in den USA ist es nicht möglich so etwas in einer offenen Forschung zu betreiben. In einem Land, in dem sie seit 30 Jahren jährlich Milliarden von Dollar ausgeben und immer noch sagen drei bis dreißig Milligramm sei die aktive Dosis, während sie eine Medikament produzieren, welches nicht wirkt, nur um Leute zu nerven die Marihuana rauchen. Unglücklicherweise wissen wir nicht genug über Cannabis, dabei wäre es einfach heraus zu finden.

HanfBlatt
Was sind deine bevorzugten Strategien zur Risikominimierung bei dem Gebrauch von Entheogenen?

Ott
Nun, wissen was man nimmt ist der erste Schritt. Zweitens sollte man die Situation kontrollieren, in welcher man es nimmt. Ich bin kein wahrer Freund davon, visionäre Drogen in der Stadt, auf einem Rave oder einem Rock-Konzert zu nehmen, außer es ist eine geringe Menge mit etwas was man bereits kennt und von dem man auch weiß, wie es zu dosieren ist. Aber es hängt auch von der Erfahrung der Person ab. Übergeordnet ist aber für mich die Kontrolle des Setting – am besten in einer komfortablen und sicherer Umgebung, in der man nicht Gefahr läuft jemanden Unangenehmen zu begegnen. Oder Leute die man nicht kennt und mit denen man plötzlich umgehen muss. Schön ist es zu Hause oder auf dem Land. Natürlich ist es wichtig die Substanz und ihre Dosierung zu kennen und der Schwarzmarkt macht dies nahezu unmöglich. Darum ist das alles einfach für mich zu sagen, weil ich im allgemeinen die Substanzen gut kennen die ich nehmen. Normalerweise nehme ich keine Pillen vom Schwarzmarkt, obwohl dies in der Vergangenheit durchaus vorkam.

Diese Substanzen sind nicht für jeden bestimmt, einige Menschen sind keine gute Kandidaten für etwas wie LSD, Pilze oder Ayahuasca. Wirklich nervöse Menschen, Menschen, die nicht leicht entspannen können, sind keine Kandidaten. Diese Substanzen sind nicht für jedermann – für viele Menschen können sie wundervoll sein und ihr Leben verändern, aber sie können Menschen auch schaden.

HanfBlatt
Siehst du einen Unterschied zwischen Konsum und einem Ritual?

Ott
Das sehe ich auf meine Weise. Viele Leute denken sie brauchen Kontakt zu Schamanen vom Amazonas, aus Mittelamerika oder von sonstwo her. Das halte ich für nicht richtig. Zum einen ist es nicht gut für die Schamanen, weil sie meistens diesen Kontakt nicht wollen, zum anderen kommen die falschen Leute, die das Tor zum Massentourismus öffnen. Ich möchte den Grund für die Existenz des Schamanismus in der heutigen Welt zeigen und ich denke nicht, dass der Tourismus das leisten kann. Es fördert eher den Hollywood-artigen Schamanismus. Zudem ist es keine feste Einnahmequelle, denn plötzlich sagen die Fans: „Oh, es ist nicht der Amazonas, es gibt das etwas neues woanders“. Die Pilze haben so eine Zeit des Hypes erlebt, Ayahuasca ist es nun und vielleicht wird es demnächst Iboga werden. Es schadet den Leuten die davon abhängig sind, wenn plötzlich das Geschäft woanders hinrennt.

Ein Ritual muss nicht etwas aus einer anderen Kultur sein, geschweige denn etwas archaisches. Die Menschen sollten eigenen Rituale entwickeln, die Bedeutung für sie und das eigene Leben haben. Das würde ich bevorzugen. Es ist halt eine Frage von Ernsthaftigkeit und Respekt für die althergebrachte Umwelt und die heilige Natur. Wenn man diesen richtigen Respekt und etwas Wissen über die Natur mit einbringt, dann ändert das die Einstellung und der Genuss der Droge atmet etwas von einem Ritual. Für mich macht es beispielsweise für Leute in Hamburg mehr Sinn zu sagen: „Nun, wir nehmen es im Freundeskreis“ und so weiter, statt zum Amazonas zu schielen und die Riten dort zu imitieren. Es macht mehr Sinn auf deutsche Traditionen zurückzugreifen, auf Strukturen und Methoden des alten Schamanismus und des Heidentums aus der Gegend in der man lebt, in der heimischen Sprache und dem heimischen Kontext. Dies gilt auch dann, wenn die Substanz ganz woanders her kommt. Um eure Frage zu beantworten: Es ist eine Frage der Einstellung und Ernsthaftigkeit. Wenn jemand es wirklich respektiert und es aufrichtig und bestimmt nimmt, dann ist das ein ritueller Akt an sich. Und das ist viel wichtiger als Trommeln, Federn und Gürtel. Und es reicht für den rituellen Kontext vollends aus. Das heißt nun nicht, dass es falsch ist diese Dingen nur aus Spaß zu nehmen – daran ist nichts modernes oder neues, Schamanen tun das und haben es immer getan.

HanfBlatt
Aber Wunder dich nicht, wenn du das Licht siehst.

Ott
In Mittelamerika existieren exzellente historische Aufzeichnungen des Pilzkonsums der Einwohner. Daraus wird deutlich, dass sie für Heil- genauso wie für Staatszeremonien genutzt wurden, aber auch um ein erfolgreiches Geschäft zu feiern. Ganz genau so, wie man hier einen Cocktail trinkt, eine Nase Kokain schnupft oder einen Joint raucht. Und auch für fette Party-Settings wurden Pilze genutzt.

Christian Rätsch (betritt den Raum)
Es ist Party-Stimmung! Und zwar jetzt!

Ott
Ja?

Rätsch
Ja, es wartet ein nette kleine Runde von Leuten draußen auf dich. Oh, was ist das?

Ott
Eine Flasche Mariacron.

Rätsch

Uhh, das ist der schlechteste Schnaps den du kriegen kannst.

HanfBlatt
Ich sagte dir, dass es eine der übelsten Drogen der Welt ist.

Ott
Nur zum Haare waschen zu gebrauchen? Danke.

HanfBlatt
Wir danken.

adh und az

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem Ethnobotaniker Christian Rätsch

HanfBlatt, 1999

„An mir hat sich die Eso-Szene schnell die Zähne ausgebissen.“

Es ist schon vier Jahre her, dass das HanfBlatt das letzte Mal mit dem Ethnobotaniker Christian Rätsch sprach. Inzwischen ist viel passiert, sei es in der Drogenpolitik, sei es auf dem Markt der psychoaktiven Pflanzen. Christian Rätsch reist zu Schamanen auf der ganzen Welt, hält Vorträge und leitet Seminare, die sich mit geistbewegenden Pflanzen beschäftigen und hat jüngst ein in der Erdgeschichte einmaliges und hochgelobtes Kompendium, die „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“ veröffentlicht. Wir trafen den „Meister“ in leicht grummeliger, aber offener Stimmung in seinem Apartment in Hamburg an. Seine begehrenswerte Frau und nicht minder aktive Mitstreiterin, die Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling bereitete uns einen leckeren grünen Tee zu, während sich Christian mit einem Urbock in Wallung brachte.

Dr. Christian Rätsch

 

Christian Rätsch (Cr)
AZ (Az)
Jörg Auf dem Hövel (Jh)

Jh:

Was gibt es denn so Neues auf dem Markt der Genusserfahrungen?

Cr:

Ich habe jüngst ein paar Mal eine Methode der Indianer angewandt, die Wirkung des Ayahuasca-Trankes zu verlängern. Wenn die Wirkung des DMT nachlässt, trinken sie einen Schluck Whiskey oder ein Bier. Dann kommt nach fünf Minuten der DMT-Flash zurück.

Az:

Also schon mal ein Bierchen fürs nächste Mal bereitstellen, falls man sowas plant.

Cr:

Das würde ich niemandem empfehlen wollen. Dieser Art „Booster“ ist für manche Leute gefährlich. Die Witoto in Kolumbien sind ganz begeistert von der Kombination. Überhaupt war der Schnaps ja das, was die Schamanen auf der ganzen Welt an der westlichen Kultur am meisten geschätzt haben. Das entspricht ja ihrem Prinzip, die Zubereitung immer konzentrierter zu machen. Mich würde nicht wundern, wenn Schamanen irgendwann Labors haben, um DMT-Extrakte herzustellen. Schamanen sind vorzügliche Naturwissenschaftler.

Az:

Vor einiger Zeit hast du dich ja relativ kritisch gegenüber dem westlichen Schamanenkult geäussert.

Cr:

Das tue ich auch immer noch. Schamanismus ist eine soziale Definition in traditionellen Gesellschaften. Man braucht ein Berufungserlebnis, man muss von einem amtierenden Schamanen geprüft werden, ob das Erlebnis echt ist, dann muss man in die Lehre und schliesslich muss man öffentlich initiiert werden. In Korea beispielsweise muss die neue Schamanin über neun Stufen eine Leiter hochsteigen und dann mit nackten Füssen auf zwei rasierklingenscharfe Metallschneiden steigen. Wenn sie wirklich in schamanischer Trance ist dann passiert ihr nichts.

Az:

Unsere als Schamanen gepriesenen Techno-DJs würden also ohne Füsse rumrennen?!

Cr:

Wahrscheinlich. Der Schamane opfert sein Leben den Menschen. Er oder sie ist nur noch für sie da. Zudem darf man seine Leistungen nicht in Rechnung stellen und muss angstfrei und unkonditioniert leben. Dies sind Eigenschaften, welche ich bei keinem der selbsternannten Schamanen in unseren Breiten jemals auch nur annähernd beobachten konnte. Die hauen auf die Trommel und meinen das induziert die Trance. So ein Unsinn. Das kann zwar zu einem veränderten Bewusstseinszustand führen, dies ist aber nicht mit der schamanistischen Reise gleichzusetzen.

Jh:

Also sollte man den Begriff des Schamanismus im Westen nicht so ohne weiteres benutzen?!

Cr:

Richtig.

Az:

Bei uns wird immer schnell mit den grossen Begriffen gearbeitet.

Cr:

So ähnlich wie beim Begriff des Tantra. Das ist dann Ringelpietz mit Anfassen.

Jh:

Interessant ist ja dabei, dass dieser Markt nur entstanden ist, weil bei den Menschen der Wunsch nach Erlebnissen dieser Art vorhanden ist.

Cr:

Klar, das kann ich auch verstehen, dass dieser Wunsch da ist, nur wird er halt von Scharlatanen scheinbefriedigt. Leider sind die Suchenden oft zu leichtgläubig und fallen auf den marktschreierischen Unsinn rein.

Jh:

Bei den ganzen Angeboten des esoterischen Marktes ist die Trennung von Spreu und Weizen nicht einfach. Az:

Genau, zumal es soviel Spreu gibt, dass „Weizen“ in Deutschland eine Seltenheit ist.

Jh:

Aber nicht alle können doch sonstwohin fliegen. Es muss doch in Deutschland Möglichkeiten geben, die Suchenden zu befriedigen.

Cr:

Das grösste schamanistische Erlebnis, was man in unserer Kultur haben kann, ist, sich den „Ring der Nibelungen“ von Richard Wagner reinzuziehen.

Jh:

Aha.

Cr:

Das ist ein schamanisches Kunstwerk mit unglaublicher Tiefe. Die germanische Kultur war eine Schamanische. Die germanischen Völker lebten wie die Indianer Nord-West-Amerikas. Mythologie, heilige Tiere und Pflanzen weisen Parallelen auf. Wahrscheinlich kommt daher auch unsere Indianerfreundlichkeit.

Jh:

Ich dachte das wäre eine Konditionierung durch Karl May.

Cr:

Das geht tiefer. Bis ins Mittelalter existierten auch bei uns nur Wald und Wiesen. Der Wisent ist biologisch kaum unterscheidbar vom Bison. Das Leben der Germanen wurde wesentlich durch die Seherin, eine Frau, bestimmt. Die Germanen haben die Frauen noch als was besonderes verehrt und ihnen geglaubt. Das waren nicht solche Frauen wie bei uns heute die Politikerinnen, da ist ja nicht viel vom weiblichen übrig geblieben. Diese Seherinnen haben die heiligen Kräuter gekannt, das Bier gebraut, den Hanf, Bilsenkraut, Flachs und Leinen benutzt. Die Hanfernte war ein erotisches Ritual, der Hanf wurde zum Orakeln benutzt.

Jh:

Also kann es für die Suchenden auch heute noch Sinn machen, sich den Ritualen zuzuwenden, die dem eigenen Kulturkreis entstammen?

Cr:

Unbedingt. Wir haben drei Jahrzehnte Propaganda hinter uns, dass Hanf oder Cannabis, wie man sagte, eine kulturfremde Droge sei. Eine unfassbare Lüge. Hanf ist erst durch die imperialistische Drogenpolitik der USA dazu erklärt worden. Die Konsequenz: In der Zeit des Verbotes hat sich auch aus anthropologischer Sicht eine Hanfkultur entwickelt. Diese schliesst natürlich an alte kulturelle Wurzeln an, die nach und nach wieder freigelegt werden.

Jh:

Die Kirche verliert immer mehr an Bedeutung, aber was tritt an die spirituelle Stelle?

Cr:

Ich habe mit Schamanen auf der ganzen Welt zu tun und wenn ich denen vom „Ring der Nibelungen“, den Bruchstücken der nordischen Mythologie der Edda und den Berserkern erzähle, dann fragen die mich: „Was wollt ihr eigentlich von uns, ihr habt doch alles?“ Aber: Wir haben zwar diese Wurzeln, aber keine sozial definierte Rolle eines Schamanen. Zudem haben wir nur Texte und Musik, aber keine praktischen Rituale. Also ist meine Antwort an diese Schamanen: „Wir brauchen euch als Geburtshelfer!“ Momentan sehe ich tatsächlich einen Prozess der Globalisierung des Schamanismus und vielleicht passiert es ja, dass Schamanen hierher kommen und jemanden sehen, der ein Berufungserlebnis hatte, dieses aber nicht deuten kann. Diese Person müsste dann bei verschiedenen Schamanen in die Lehre gehen…

Az:

…. bevor sie in die Psychiatrie kommt!

Cr:

Ja, ja. In der Ethnologie wurden die Schamanen ja auch lange als psychiatrische Fälle betrachtet. Dabei sind Schamanen die gesündesten Menschen des Planeten.

Az:

Weil sie mehr in sich aufnehmen können und einen erweiterten Zugang zu den Dingen haben. Da haben wir viel mehr Mauern.

Jh:

Da steht eine Menge Angst davor.

Cr:

Klar, das hat immer mit Angst zu tun. Siegfried zog aus das Fürchten zu lernen. Weil er keine Angst hatte, konnte er sogar gegen Wotan antreten. Das ist die wichtigste Eigenschaft des Schamanen: Angstfrei zu sein. Daran kann ich immer die Pappmache-Schamanen erkennen – wenn ich denen einen Trank von mir vorsetze und sie den nicht anrühren, dann sind sie durchgefallen: Schamanen-Test nicht bestanden. Ein richtiger Schamane würde gar nicht fragen, sondern kippen.

Az:

Den nächsten Tag hat er dann aber auch frei.

Cr:

Schamanen haben nie frei.

Jh:

Nie Urlaub?

Az:

Sie sind frei, haben aber nie frei.

Cr:

Ja, genau.

Hamburg, 26. Juni 1999
Hamburg, 26. Juni 1999

Jh:

1995 unterhielten wir uns das letzte mal. Damals nahmst Du an, dass bei einer rot-grünen Regierung Cannabis legalisiert werden würde.

Cr:

So stand es damals auch im Programm. Es ist ein Jammertal mit den Grünen. Die dürften sich nicht mehr „Die Grünen“ nennen. Das Problem ist, dass viele der grünen Politiker intelligenter sind als ihre Kollegen, aber genauso bestechlich. Das gesamte politische System ist marode, die Gesellschaft wird in erster Linie durch die grossen Konzerne gesteuert. Von denen sind auch die Politiker abhängig. Es gibt keinen unbestechlichen Politiker mehr. Alleine 15 Tausend Mark Monatsgehalt und dann die Jobs in Aufsichtsräten und steuerlich absetzbaren Sonderaufwendungen, Unsere Politik ist bestimmt von den buddhistischen Grundgiften: Gier, Hass und Ignoranz.

Az:

Mehr „politricks“ als „politics“, wie man auf Jamaika sagt. Irgendwann setzt sich vielleicht die Einsicht durch, dass man die Kiffer bei einer Legalisierung des Hanfmarktes genauso aussaugen könnte wie andere Steuerzahler.

Cr:

Ich bin gar nicht sicher, ob ich das wirklich will. Ich weiss nicht, ob ich auf Haschisch Steuern zahlen will, zudem an eine Regierung, die sich als Kriegstreiber offenbart hat.

Az:

Wie bei Tabak und Alkohol wären die Steuern ja nicht an einen guten Zweck zum Wohle der Verbraucher gebunden. Wenn eine Abgabe so organisiert wäre, dass das Geld im Sinne der Konsumenten verwendet würde, wäre das vielleicht nicht verkehrt. Wenn die Steuern zu hoch sind, wird ja trotzdem geschmuggelt wie wild. Das sieht man ja bei Alkohol und Tabak.

Cr:

Die Politiker sollten die Verhaltensmuster von Parasiten studieren. Dann wüssten sie, dass dort der Wirt nie zu sehr ausgenutzt wird. Es gibt dort eine natürliche Schmerzgrenze und die ist bei uns längst überschritten. Niemand hat doch mehr Bock auf Politik. Die CDU wirbt inzwischen mit Plakaten, die man in den 80er Jahren bei den Grünen gesehen hat. Von politischer Aussage keine Spur, da geht es doch nur um Personalkult. Und gerade die CDU-Politiker und Politikerinnen gehören nicht zur schönen Seite der menschlichen Art.

Az:

Politik ist nichts für Ästheten.

Cr:

Und nichts für Menschen mit geistigem Feinsinn.

Jh:

So ist es leider. Darum sollten wir das Thema auch abschliessen.

Az:

Es gibt beim Hanf ja zwei Arten von Puritanern. Zum einen die Faserhanfpuritaner, die unbedingt eine Trennung zum Rauschhanf haben wollen, obwohl sich nur mit dem Image des berauschenden Hanfes vernünftige Verkaufszahlen erzielen lassen. Dann gibt es die Rauschhanfpuritaner, denen es nur um Cannabis geht. Ob man andere „Drogen“ Verboten lässt, ist ihnen egal oder sie befürworten es sogar.

Cr:

Puritanismus ist eine Krankheit. Puritaner sind arrogant und uneinsichtig und haben kein Interesse an der Welt ausserhalb ihrer Bedürfnisse. Und sie übernehmen weder für sich oder irgend etwas anderes Verantwortung. Bei den klassischen Puritanern wird alles Gott ueberlasse, dann ist man die eigene Verantwortung los. Puritanismus unter Kiffern ist erschreckend. Das sind letzlich genausolche Spiessbürger wie diejenigen, die jeden Kiffer am liebsten in die Anstalt einweisen wollen. Wenn man keine Toleranz im Leben walten lässt, dann wird man in der „Hölle“ brutzeln…

Jh:

….um eines ihrer christlichen Bilder zu benutzen.

Az:

Die Welt funktioniert halt nicht so, wie sie sich das vorstellen. Man sollte wohl ohnehin von der Konfrontation zwischen dem guten Hanf und dem bösen Alkohol wegkommen.

Cr:

Es gibt kein „Gut und Böse“. Das sind alles von Menschen erfundene und anerzogene Werte, an denen man sich festklammert, damit man ein Gerüst für sein eigenes Leben hat. Moralische Bewertungen sind Erfindungen. Wenn man es nicht schafft, das zu erkennen, dann hat anscheinend auch jahrelanges Kiffen nichts geholfen.

Jh:

Kiffen macht nicht klug?

Cr:

Manche Leute glauben, durch Kiffen würde man zum besseren Menschen werden. Bei einigen Individuen stimmt das, in der Masse ist das aber nicht ersichtlich.

Jh:

Wie hängt das mit der Legalisierung der Hanfpflanze zusammen?

Cr:

In der Legalisierungsfrage haben wir es nicht mit der Frage um die Wirkung einer Pflanze zu tun, sondern damit, dass eine bestimmte Gruppe eine andere Gruppe unterdrücken und kontrollieren will. Das ist das Phänomen der hierarchischen Kontrolle. Das Grundproblem ist die hierarchische Gesellschaft und der Glaube daran, dass manche Menschen über andere bestimmen sollen. Als dieser Gedanke das erste mal in der Geschichte der Menschheit auftrat, begannen die Probleme. Jede Form hierarchischer Kultur ist unglaublich zerstörerisch. Es zerstört das Individuum in seiner freien Entfaltung, weil es Denkmuster -meist per Gesetz- vorgibt. In allen hierarchischen Kulturen wurde sofort der Schamanismus verboten. Überall wurden Techniken und Substanzen verboten, die den Menschen befreien können. Dabei ist es völlig egal, was es ist. Überall gab es dann Substitute, die zentral vergeben oder selbst hergestellt wurden. Als in Russland der Schamanismus und die Fliegenpilzeinnahme verboten wurden, haben die Schamanen halt ein paar Liter Wodka getrunken, um in die schamanische Trance zu fallen. Mit Fliegenpilzen ist das aber einfacher und gesünder.

Jh:

Substanzen sind also nicht an sich gut oder schlecht?

Cr:

Das ist eine unfassbare Anmassung des Menschen. Nach zweitausend Jahren christlicher Gehirnwäsche ist die Annahme, dass es sowas wie „Gut und Böse“ gibt, weit verbreitet. Die hierarchische Gesellschaft hat als Prämisse, dass es bessere und schlechtere Menschen gibt.

Jh:

Nun geben sich Menschen in einem Verbund aber doch Regeln, wie man miteinander umgehen will.

Cr:

Ja sicher, aber das kann man auf anarchischer Ebene viel besser. Ein Arrangement, wie man miteinander lebt, ohne einander zu stören. Das lässt sich in Stammesgesellschaften gut beobachten.

Jh:

Und diese Fähigkeiten werden schon früh unterdrückt?

Cr:

Alle Formen des Denken und Handelns, die mit der Aufhebung hierarchischer Strukturen zu tun haben, werden unterdrückt und verboten. Das fängt in der Familie an, zieht sich durch den Kindergarten bis hin zur Schule. Die Schule ist doch heutzutage nichts weiteres als eine Gehirnwäschestation um Steuerzahler zu erzeugen: Eigenes Denken unerwünscht. Die Tendenz setzt sich an den Universitäten fort, die mittlerweile zu Grabesstätten der Wissenschaft geworden sind. In unserer Gesellschaft blüht eine Kultur der Unterdrückung der Befreiungsmöglichkeiten des Menschen, na sagen wir mal, von der Last des Seins.

Jh:

Womit wir wieder beim Buddhismus wären.

Cr:

Die buddhistischen Grundgifte werden durch unsere Kultur gefördert: Gier, Hass und Ignoranz. Ignoranz ist die Angst, ausserhalb der Schulmeinung zu stehen, Gier ist der Keim allen kapitalistischen Strebens, Hass wird durch Intermezzi wie Golf-Krieg, Jugoslawien-Einsatz oder den Krieg zwischen Indien und Pakistan geschürt. Man braucht in einer hierarchischen Gesellschaften immer einen Teufel, das „Böse“. Und der wird „gut gewindelt“ am Leben erhalten.

Az:

Da bieten sich ja „Drogen“ an. Erst recht jetzt wieder, wo das Gespenst des Kommunismus verschwunden ist. In Deutschland hat sich das über dreissig Jahre lang bewährt.

Cr:

Wir haben es nicht mit dem Verbot einer Pflanze, sondern dem Verbot einer Geisteshaltung und -entwicklung zu tun, ein Verbot der Psychoaktivität. Dabei ist beispielsweise die Hanfpflanze nur „perfekt“, d.h. wenn sie ein „Bueffel“ ist, also eine Pflanze ist, von der man jeden Teil nutzen kann. Man muss akzeptieren, dass es gerade das THC ist, mit dem sich die Pflanze gegen Ungeziefer schuetzt. Wenn man die Pflanze „kastriert“, d.h. ihr den THC-Gehalt nimmt, offenbart man damit auch die Aufspaltung des Geistes, die sich in der kulturellen Schizophrenie manifestiert.

Jh:

Wenn wir aber nun das Gute suchen, den Silberstreifen am Horizont? Was sagst du zum Internet? Information kann frei fliessen…

Cr:

Ich hoffe sehr, dass das Internet zur Verbreitung anarchischer Ideen beiträgt. Allein die Tatsache, dass es sowas gibt, ist köstlich und wichtig. Aber man muss die Informationen, die man im Internet findet, mit Vorsicht geniessen. Jeder Idiot kann Nachrichten in die Welt setzen: Ich habe da drin Rezepturen gefunden, die lebensgefährlich waren. Da man nicht weiss, was für einen Hintergrund die Leute haben, liegt da eine potentielle Gefahr. Überhaupt gibt es in der sogenannten psychedelischen Bewegung -was immer das auch ist- viele Idioten, die einer Entspannung der Lage nur im Wege stehen. Zugleich ist das Internet ein piratisches System, welches dazu beiträgt, dass freischaffende Autoren beklaut werden: Copyright-Verletzungen am laufenden Band. Ich als Autor kann damit nicht einverstanden sein.

Jh:

Das sehe ich für mich anders. Ich schreibe zwar bei weitem nicht so viel wie Du, aber wenn ich meine Texte einmal verkauft habe, stelle ich sie danach ins Netz, damit noch mehr Menschen was davon haben.

Cr:

Das ist was anderes. Da entscheidest Du Dich selbst dafür. Copyright auf Eigene Bücher ist nunmal da. Und bildende Künstler werden zum Beispiel durch das Internet noch mehr ausgebeutet.

Az:

Wie stehst Du eigentlich zu dem Boom, der auf dem Markt der psychoaktiven Pflanzen herrscht?

Cr:

Ein komplexes Gebiet. Zum einen ist es natürlich schön, wenn der Zugang zu psychoaktiven Pflanzen erleichtert wird. Ich kenne einige wirklich verantwortungsbewusste Unternehmer auf diesem Gebiet, die korrekte Infos weitergeben, beispielsweise Concious Dreams in Amsterdam. Zum anderen zweifle ich an der Kompetenz vieler Smart-Shop und Versandhandelbetreiber. Die Behauptungen über die Wirkung mancher Sachen sind haarsträubend. Oft kommt hinzu, dass der Inhalt der Tüten oft nicht mit dem Aufdruck übereinstimmt. Zudem finde ich die Überteuerung unangemessen. Manches von dem Kraut bekommt man schon in der Apotheke billiger. Es scheint, dass da mancher skrupellos auf ein kommerzielles Ross aufspringt, um die schnelle Mark zu machen.

Az:

Das Einzige was in Amsterdam in dieser Hinsicht wirklich wirkt, sind die Pilze, 2-CT-2 und DXM.

Cr:

In Holland nennen sich die Geschäfte „Smart-Shops“ und in den meisten Laeden sieht man nicht ein einziges Buch. Dabei muss die Information unbedingt mitgeliefert werden. Der Trost ist nur, dass man von dem meisten Zeug dort die ganze Packung fressen kann, ohne dass man Gefahr läuft, was zu merken. Diese „Herbal-Ecstasy“-Geschichte beispielsweise halte ich für Betrug.

Az:

Da wurde eine Idee in Pillenform verkauft. Der Konsument hat dann wieder den Horror einer Unterdosis.

Cr:

Terence McKenna hat mal gesagt: „Legal Highs means it doesn´t work.“ Natürlich gibt es legale, pflanzliche Substanzen die hochpotent sind, aber die Verkaufsbezeichnung „Legal High“ ist irreführend. Das Interessante ist: Die Käufer wollen die Illusion, denn echte Erfahrungen sind ihnen viel zu gefährlich!

Jh:

Wenn Du auf die letzten Jahre zurückblickst, wie hat sich die an deinen Büchern und Vorträgen interessierte Szene verändert?

Cr:

Früher wollte mich die Eso-Szene vereinnahmen. Aber wenn ich denen meinen Walkman-Kopfhörer mit Dark-Metal rübergereicht habe, ging bei denen der Rolladen runter. Wenn ich bei esoterischen Veranstaltungen bin, ziehe ich mir meist Totenkopfringe über die Finger, damit die gleich wissen, wo es langgeht. Wenn dann die weissgekleideten, schwebenden Lichtgestalten auf mich zukommen, werden sie durch diesen Schutzbann gegen die esoterische Leichtigkeit abgeschreckt. Wer nicht auf einen Totenkopf schauen kann, der braucht gar nicht erst von Spiritualität zu reden.

Az:

Der braucht auch gar nicht erst in den Spiegel zu gucken.

Cr:

An mir hat sich die Eso-Szene schnell die Zähne ausgebissen. Sie wollten natürlich auch nicht hören, was ich zum Schamanismus zu sagen habe. Die haben recht seltsame Vorstellungen von „sanfter Heilung“, dabei ist Schamanismus brutal, da geht es um Leben und Tod. Wenn man da nicht durchwill, braucht man sich mit dem Thema erst gar nicht zu beschäftigen. Neuerdings erreiche ich ein ganz anderes Publikum: Zum Beispiel habe ich beim Kongress der kardiologischen Gesellschaft den Eröffnungsvortrag über das Herzchakra im nepalesischen Tantra gehalten. Ich war beim Saechsischen Landesapothekertag und habe über geistbewegende Pflanzen in Peru gesprochen. Ich war sogar bei den Jesuiten eingeladen, um was über psychoaktive Pflanzen zu berichten. Es freut mich dass ich diese Leute erreiche, denn ich sehe mich als ernsthaften Forscher und Wissenschaftler mit interdisziplinärem Ansatz an. Für mich ist die Naturwissenschaft das universelle Erkenntnisstreben um die Geheimnisse unserer Natur, zu der wir ja gehören; das gilt es zu erkennen.

Jh:

Es besteht also ein Bedürfnis bei diesen Leuten nach einer anderen Perspektive.

Cr:

Unbedingt. Fast jedesmal nach solchen Vorträgen stehen sie mit offenen Mündern da und warten darauf, dass ich ihnen was reinträufel. Was ich natürlich nicht tue, weil ich auch nichts habe. Aufgrund der Tatsache, dass ich promovierter Wissenschaftler bin, besitze ich eine gewisse Power Dinge zu sagen, die sich die Leute auch anhören. Ich habe am Institut für Lehrerfortbildung mal ein Seminar über LSD gegeben. Nach dem Seminar wollte die eine Hälfte mal probieren, die andere Hälfte war schockiert, weil ich ihnen gesagt habe, sie sollen den Schülern den richtigen Gebrauch von LSD erklären und nicht verbieten.

Jh:

Und die jüngere Generation unter 25?

Cr:

Da scheint es wie immer zu sein: Da gibt es die Typen, die sich einfach nur volldröhnen lassen wollen und diejenigen, die mehr an Erkenntnissen interessiert sind. Als ich an der Uni gelehrt habe und in meiner Einführung für Ethnologie 120 Studenten sitzen hatte, war ich überrascht. Als ich die gefragt habe, was sie hier eigentlich wollen, sagten sie: „Wir brauchen den Schein!“ Diejenigen die den Schein brauchen, sagte ich da, die gehen am besten nach Hause.

Jh:

Scheinstudium ist Scheinstudium.

Cr:

Scheinstudenten. Die haben lange Gesichter gemacht, weil sie dachten, och, der Rätsch ist ein Freak, bei dem kriegen wir den Schein ohne was zu tun. Wenn man in sich nicht den Drang nach Erkenntniszuwachs spürt, ist man an der Universität verkehrt. Das Universitätswesen ist verkorkst. Viele Professoren beschäftigen sich nur damit, wie sie den Kollegen an der Nachbar-Uni in die Pfanne hauen können. Das ist schade, denn dadurch haben es die wahren Forscher um so schwerer. Bei meinem Seminar standen die Studenten Schlange, damit ich ihnen ein Thema für die Hausarbeit gebe, obwohl ich ihnen zuvor gesagt hatte, sie sollen sich selbst ein ethnologisches Thema ausdenken.

Az:

Gib mir etwas, wofür ich mich interessieren soll!

Cr:

Das ist furchtbar, das sind Zombis.

Jh:

Zum Abschluss: Kannst du dein Interesse am Thema „Drogen und Bewusstseinsveränderung“ in drei Sätze packen? Was ist das Credo deiner Erfahrung?

Cr:

Psychoaktive Pflanzen und Substanzen sind für mich lebenswichtig. Sie haben mir vielfältige Erkenntnisse, Einblicke in meine und die mich umgebene Natur gegeben und sie haben mein Leben unendlich bereichert. So in der Art meintest du?

Jh:

Ja, denn es ist doch wichtig, dass das mal deutlich gesagt wird! Az:

Denn das ist das eigentliche Tabu: „Drogen“ bringen auch Spass und können das Leben bereichern.

Cr:

Diese Pflanzen können das Leben verschönern, Perspektiven aufzeichnen, heilen, der Sexualität und Erotik eine neue, ungeahnte Tiefe verleihen und die wissenschaftliche Erkenntnis fördern.

JAdh und AZ:

Vielen Dank für das Interview.

 


 

Christian Rätsch hat eine Fülle von Büchern veröffentlicht. Sein Hauptwerk ist sicherlich die „Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen“, in der Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendungen der weltweit genutzten Pflanzen aufgeführt sind.
 

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von ws-eu.amazon-adsystem.com zu laden.

Inhalt laden

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Gespräch mit Renate Soellner Autorin der Studie „Abhängig von Haschisch?“

Abhängig von Haschisch?

Eine Studie, die sich mit dem Phänomen „Abhängigkeit von Cannabis“ beschäftigt, liegt nun schwarz auf weisses Papier gedruckt vor. Olala, ein Buch! Anlass genug für das Hanfblatt mal bei der Autorin Frau Dr. Renate Soellner von der Freien Universität Berlin nachzuhaken.

az

Hanfblatt: Wie kam es dazu, dass Sie die Frage, ob man von Cannabis abhängig werden könnte, untersucht haben?

Soellner: Der Begriff Abhängigkeit wird sehr uneinheitlich verwendet. In den überwiegenden Fällen (siehe BtMG) dient er als Rechtfertigung für einen restriktiven Umgang mit Cannabis. Die Frage ob eine Abhängigkeit gleichzeitig als schädlich für das Individuum und/oder seine Umwelt angenommen werden muss, wird gar nicht mehr gestellt, vielmehr wird dieser Zusammenhang als gesichert angenommen. Dabei kommt es natürlich darauf an, was man unter Abhängigkeit versteht. Im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem vierjährigen Forschungsprojekt zu Konsummustern von Cannabis, beschäftigte ich mich eingehend mit dieser Thematik und fand die derzeitige Forschungslage unbefriedigend, so dass sich eine eigene Untersuchung hierzu geradezu aufdrängte.
Von 1993 bis 1996 wurden insgesamt 1458 Personen befragt und dabei jeweils 700 Einzelinformationen erfasst. Knapp 57 % der Befragten kamen aus Berlin, der Rest vor allem aus NRW und BW. Erreicht wurden die Cannabiskonsumenten besonders über die Medien, Universitäten, private und „Szene“-Kontakte sowie Hilfseinrichtungen für Jugendliche und junge Erwachsene. Lediglich 41 Konsumenten erfüllten die Diagnose „Abhängigkeit“ nach einem in der Psychiatrie gebräuchlichen Klassifikationssystem, den DSM-IV-Kriterien, kurz sie kifften mehr als sie eigentlich wollten.

Hanfblatt: Ist „Cannabis-Abhängigkeit“ aus Ihrer Sicht ein Problem?

Soellner: Dies ist davon abhängig wie man Cannabisabhängigkeit fasst. Entsprechend meiner Studien ist es nicht angebracht die Kriterien für Abhängigkeiten von anderen Stoffgruppen auf die Substanz Cannabis anzuwenden. Das heisst man müsste sich erst einmal darüber klar werden, was Abhängigkeit von Cannabis eigentlich bedeuten soll. Wendet man die offiziellen Abhängigkeitskriterien dennoch an, so zeigen unsere Ergebnisse, dass es nicht notwendigerweise ein Problem sein muss, von Cannabis abhängig zu sein. Allerdings gibt es eine Gruppe von Konsumenten, die über eine deutlich schlechtere psychosoziale Gesundheit verfügen als nicht abhängige Konsumenten.

Hanfblatt: Werden Sie sich auch weiterhin mit Fragen des Cannabiskonsums beschäftigen?

Soellner: Ja.

Hanfblatt: Wie sollte von Seiten der Politik mit Cannabiskonsumenten umgegangen werden?

Soellner: Nicht repressiv, sondern differenzierend hinsichtlich der Konsumform. Das heisst Hilfs- und Unterstützungsangebote für die, die sie brauchen.

Wer sich eingehender mit der Thematik beschäftigen will oder muss, dem sei die „Soellner-Studie“ empfohlen.

Renate Soellner
„Abhängig von Haschisch?
Cannabiskonsum und psychosoziale Gesundheit.“
Verlag Hans Huber, CH-Bern 2000
215 S., zahlreiche Grafiken
ISBN 3-456-83517-5
DM 49,80/Fr. 44.80/öS 364,-

Kategorien
Interviews Interviews

Interview mit Lester Grinspoon

HanfBlatt 6/1998

Marihuana – Ein medizinisches Wunder

Interview mit dem Cannabis-Experten Lester Grinspoon

Die medizinische Anwendung von Cannabis erregt auf internationaler Ebene und auch in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit. Unglücklicherweise beherrschen noch immer Angst und Desinformation die Diskussion, aber mehr und mehr Menschen entdecken die medizinischen Möglichkeiten der Pflanze. Einer der Pioniere der Erforschung des medizinischen Hanfs ist Lester Grinspoon, Professor an der Harvard Medical School in den USA. In den letzten 30 Jahren schrieb er über 140 Aufsätze und 12 Bücher über Cannabis und andere Drogen. In dem Interview berichtet Grinspoon über seine Arbeit, die neuesten Forschungsergebnisse und den „Krieg gegen die Drogen“.

HanfBlatt:
Was hat Ihr Interesse an Cannabis geweckt?

Grinspoon:
Es war 1967, als ich unerwarteter Weise etwas Zeit zur Verfügung hatte. Da dachte ich daran, mir einmal Marihuana näher anzuschauen, um zu sehen, warum es soviel Theater um die Pflanze gab. Ich war zu dieser Zeit sicher, daß Marihuana eine äußerst gefährliche Droge ist und ich verstand die jungen Leute nicht, die trotz aller Warnungen Cannabis rauchten. Die folgenden drei Jahre verbrachte ich mit Forschung und Sichtung der Literatur und ich mußte lernen, daß ich wie viele andere auch einer Gehirnwäsche unterzogen war. Marihuana ist zwar nicht harmlos, gleichwohl aber viel ungefährlicher als Alkohol oder Tabak. Und -um es vorweg zu nehmen- es ist deshalb der einzig vernünftige Weg damit umzugehen die legale Abgabe durch ein kontrolliertes System. Ich beschrieb das 1971 alles in dem Buch „Marihuana Reconsidered“. Damals wurde das Werk kontrovers diskutiert, heute ist es mit einer neuen Einleitung neu erschienen.

Ihre Forschung ergab, daß Cannabis im Vergleich zu Alkohol oder Tabak harmlos ist…

Ich denke Cannabis ist nicht harmlos. Es existiert keine an sich harmlose Droge. Aber Cannabis ist -egal welche Kriterien man heranzieht- weniger gefährlich als Alkohol und Tabak. Als Beispiel: Tabakkonsum kostet in den USA jährlich 425 Tausend Menschen das Leben, Alkohol vielleicht zwischen 100 und 150 Tausend, gar nicht zu sprechen von all den anderen Problemen, den Alkoholkonsum mit sich bringt. Mit Cannabis gab es keinen einzigen tödlichen Fall. Wenn Cannabis noch immer mit US-Pharmacopoeia1 stehen würde, wäre es unter den am wenigsten giftigen Substanzen aufgeführt.

Es stand noch im Pharmacopoeia am Anfang des Jahrhunderts.

Richtig. Cannabis war eine häufig genutzte Droge, bis es 1941 aus dem Pharmacopoeia entfernt wurde. Das war nachdem das erste drakonische Anti-Marihuana Gesetz im Jahre 1937 erlassen wurde, der „Marihuana Tax Act“. Dieses Gesetz macht es so schwer für Ärzte, Cannabis weiterhin zu verschreiben, daß sie einfach aufhörten es zu nutzen.

Grinspoon

Jüngst wurden Cannabinoid-Rezeptoren im menschlichen Hirn entdeckt. Welche Bedeutung haben diese Rezeptoren für die medizinische Anwendung von Cannabis?

Sehr große. Es ist einige Jahre her, als Solomon Snyder die körpereigenen Opiate entdeckte; sozusagen Substanzen wie Opium, die wir in unseren Körper produzieren. Daraufhin wurde geschlußfolgert, daß auch Opiat-Rezeptoren im Gehirn existieren müssen. Kurz darauf entdeckte eine Frau namens Candace Pert diese. Mit anderen Worten: Wenn man den Rezeptor als Schlüsselloch ansieht und den Neurotransmitter als Schlüssel, dann muß der Schlüssel zu dem Schlüsselloch passen, um die Tür zu öffnen.
Bei Cannabis war es andersherum: Der Rezeptor wurde zuerst gefunden, ich glaube 1990. Von diesem Moment an war klar, daß es ein körpereigenes Cannabinoid geben muß – ein Schlüssel, der den Rezeptor in Gang bringt. Und tatsächlich entdeckte eine Gruppe um W.A. Devane diesen Schlüssel und gaben ihm den Namen „Anandamide“, nach dem Sanskrit-Wort Ananda, was soviel wie Glück bedeutet. Nun wird viel rund um diese Rezeptoren und Anandamide geforscht, welche -und das ist wichtig- nicht nur im Gehirn, sondern ebenfalls in anderen Organen des Körpers entdeckt wurden.
In Zukunft werden wir sehen, daß diese Rezeptoren eine sehr wichtige Rolle bei der medizinischen Anwendung des Hanfs spielen. Schon jetzt ist der klinische Nutzen aber empirisch belegt und aus meiner Sicht Grund genug, um in eine Politik umgesetzt zu werden, die es Menschen erlaubt, Cannabis legal als Medizin zu nutzen.

Stehen diese Erkenntnisse nicht im Widerspruch zu der Behauptung, daß Cannabis Hirnschäden verursacht?

Aus meiner Sicht war diese Behauptung immer nur ein Mythos. Denken Sie doch einmal nach: Wenn der Körper seine eigenen, dem Cannabinoiden ähnliche Substanzen produziert, macht es einfach keinen Sinn das er eine damit einen Stoff herstellt, der sein Hirn zerstört. Schon lange bevor die körpereigenen Cannabinoide entdeckt wurde, gab es genug empirische Beweise dafür, daß Cannabis das Gehirn nicht angreift. Es gibt ein paar wenige methodisch zweifelhafte Studien zu diesem Thema von der NIDA3 und der DEA4.

Was können Sie über die DEA sagen?

Der Vorgänger dieser Organisation war das „Federal Bureau of Narcotics“ und es wurde 1930 von Harry Anslinger geleitet. Anslinger rief eine Kampagne ins Leben, die seiner Ansicht nach zur Aufklärung über die Gefährlichkeit von Marihuana beitragen sollte. In der Realität wurde es zu einer großen Desinformations-Propaganda. Das Flaggschiff dieser Kampagne symbolisiert hervorragend der Film „Reefer Madness“. Wer sich diesen Film heute anschaut, selbst wenn er keine Erfahrungen mit Marihuana hat, wird nur über die unglaublichen Übertreibungen lachen können.

Was denken Sie: Haben die großen pharmazeutischen Firmen etwas mit der prohibitiven Haltung der US-Regierung gegenüber medizinischen Cannabis zu tun?

Absolut. Die Organisation „The Partnership for a Drug Free America“ hat ein Budget von einer Million Dollar am Tag. Viel von diesem Geld kommt von den Pharma-Konzernen und Schnaps-Destillerien. Diese Firmen haben was zu verlieren. Die Pharma-Konzerne sind an Marihuana nicht interessiert, weil die Pflanze nicht patentiert werden kann. Und ohne Patent kann man kein Geld machen. Denken Sie beispielsweise an Krebs-Patienten in einer Chemo-Therapie, die unter ständiger Übelkeit leiden. Momentan können diese das beste der Medikamente gegen Übelkeit nehmen, Ondansetron. Normalerweise nimmt man das Oral, eine 8-Milligramm Pille kostet etwa 40 Dollar und für eine einmalige Behandlung braucht man drei oder vier Tabletten. Viele vertragen das Medikament aber oral nicht und sind auf eine intravenöse Injektion angewiesen. Die Kosten für eine solche Behandlung liegen bei 600 Dollar, denn der Patient muß ins Krankenhaus. Eine andere Möglichkeit: Der Patient raucht eine Marihuana-Zigarette und die Übelkeit wird ebenfalls gelindert. Zur Zeit ist Cannabis auf der Straße zwar sehr teuer. Für eine Unze5 zahlt man zwischen 200 und 600 Dollar. Das ist der Prohibitions-Tarif. Wenn Marihuana als Medizin verfügbar wäre, würde es erheblich weniger als andere Medikamente kosten, ich schätze zwischen 20 und 30 Dollar pro Unze. In den USA kann es nicht mit Steuern belegt werden, weil es ein Medikament ist. Ein Joint würde somit 30 Cents kosten. So könnte ein Chemotherapie-Patient für 30 Cent von seiner Übelkeit nahezu befreit werden. Man sieht also warum die Pharma-Konzerne wenig Interesse an Cannabis hegen.

Sehen Sie das als großes Hindernis in Richtung auf Veränderungen in der Drogenpolitik?

Das spielt zumindest eine Rolle.

In ihrem Buch „Marihuana, die verbotene Medizin“ führen sie viele Referenzen auf, die die heilende Eigenschaft von Hanf bestätigen. Können Sie uns einige der medizinischen Probleme nennen, bei denen Cannabis hilft?

Die am weitesten verbreiteten Erfolge wurden bei der Behandlung von Krebspatienten erreicht, die sich einer Chemotherapie unterziehen. Ein großes Problem bei der Chemotherapie ist, daß die eingesetzten Substanzen Übelkeit und Erbrechen verursachen. Das ist eine Form der Übelkeit, des Ekels, dem man sich kaum vorstellen kann. Es ist sehr wichtig diese Übelkeit zu bekämpfen, damit die Menschen ihr Körpergewicht halten. Wie schon vorhin bemerkt gibt es diverse Medikamente, nur ist Cannabis oft das effektivste. Ein weiteres Beispiel ist das Glaukom, eine krankhafte Steigerung des Augeninnendrucks. Vermindert man dieses Druck nicht, kann das Glaukom zur Erblindung führen. Es gibt hierfür einige Medikamente die gut wirken, aber bei vielen Menschen hilft Cannabis besser und mit weniger Nebeneffekten.

Bei Krämpfen hilft es ebenfalls?

Epilepsie wird seit Jahrhunderten mit Cannabis behandelt. Etwa 25 Prozent der Bevölkerung in den USA die unter Epilepsie leiden, erhalten keine gute Linderung durch die konventionellen Arzneien. Bei vielen hilft da Cannabis besser. Ebenso bei der Multiplen Sklerose, einer sehr schmerzhaften Krankheit, unter der über zwei Millionen Menschen in den USA leiden. Jeder der einmal einen Krampf bei Schwimmen bekommen hat, ahnt die Schmerzen. Cannabis ist sehr effektiv bei Muskel-Spasmen, nicht nur bei Multipler Sklerose, sondern auch bei Lähmungen.
Es ist nicht lange her, als ich bei einer Diskussion im britischen Fernsehen zugegen war. Eine Frau aus dem Publikum meldete sich und erzählte, daß sie aus Leeds käme und die zweieinhalb Stunden Fahrt nach London auf sich genommen habe, obwohl sie aufgrund ihrer Multiplen Sklerose unter einer nicht zu kontrollierenden Blase leide. Cannabis würde ihr dagegen dabei helfen, die Kontrolle über ihre Blase zu halten.
Cannabis hilft bei leichten Schmerzen und wird auch seit Jahrhundert auf diesem Gebiet angewandt, genauso wie bei Migräne. Die Liste ist lang und ich glaube nicht, daß sie wollen, daß ich weiter mit der Aufzählung fortfahre. Kurzum: Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten, Cannabis hat einen erstaunlich niedrigen Grad an Giftigkeit und es ist preiswert. Meiner Meinung nach wird Cannabis die Wunderdroge des ausgehenden Jahrhunderts, genauso wie es Penicillin in der 40er Jahren war.

In ihrem ersten Buch über Cannabis, „Marihuana Reconsidered“, erwähnen Sie die Unsinnigkeit der Behauptung, daß die internationalen Konventionen, speziell die der UN, ein ernsthaftes Hindernis bei der Legalisierung von Cannabis sind. Stehen Sie noch heute auf diesem Standpunkt?

Keine Frage, ja. Übereinkünfte kann man ändern und ich denke, der Anschub hierfür wird von Europa ausgehen. Das Interesse wächst in Europa schneller als in den Vereinigten Staaten. Ende 1995 erhielten wir einen Brief des Deutschen Herausgebers des Buches „Marihuana, Die verbotenen Medizin“, der uns zur siebten Auflage gratulierte. Er sagte, daß das Buch eine „gesunde Debatte um das medizinische Cannabis in Deutschland“ angeschoben hätte. Die Europäer sind uns weit voraus und der Druck wird von ihnen kommen. Die momentane Situation ist aber auch wirklich furchtbar. Viele kranke Menschen kämpfen schon genug mit ihrer Krankheit, zusätzlich sind sie auch noch dem Druck der Illegalität ausgesetzt.

Denken Sie, daß die internationalen Abkommen den „Krieg gegen die Drogen“ am Leben erhalten?

Ich bin kein Experte, aber die Rechtsexperten mit denen ich sprach sagen, daß das nicht das Problem wäre. Der „Krieg gegen die Drogen“ hat eine erheblich größere Dimension als unsere Diskussion um den medizinischen Hanf. Der Weg könnte aber derselbe sein: Druck auf die Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft. Die Leute müssen aufgeklärt werden. Das gilt vor allem für die Ärzte. Sehen Sie, normalerweise erhalten Ärzte ihre Ausbildung über Drogen von den pharmazeutischen Konzernen, von Artikeln in Fachzeitschriften und Kampagnen. Viele dieser Institutionen haben aber -oft aus wirtschaftlichen Gründen- kein Interessen an einer Verbreitung von Cannabis. Seit einiger Zeit ändern sich aber was, denn vermehrt lernen nun die Ärzte von ihrer Patienten. Ein AIDS-Patient erzählt seinem Arzt, daß er Marihuana als Mittel gegen seinen Gewichtsverlust einsetzt. Und der Arzt sieht den Beweis auf der Meßskala seiner Waage. Das macht natürlich Eindruck und so ändern sich halt Einstellungen.

Aus dem Nexus Magazine 3/96
E-Mail: nexus@peg.apc.org
Übersetzt von Jörg Auf dem Hövel

 

 

 

 

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Roger Liggenstorfer

Pilzmänchen und Freiheitskappen

Interview mit Roger Liggenstorfer zum Thema Psilos

In den letzten Jahren hat sich die Einnahme von psiloc(yb)inhaltigen Pilzen zu einem Phänomen entwickelt, bei dem nicht mehr von einem vorübergehenden Hype gesprochen werden kann. Pilze sind wahrscheinlich noch vor LSD das am häufigsten gebrauchte Psychedelikum unserer Breiten. In den Niederlanden stellen sie die umsatzstärkste Basis eines jeden sogenannten „Smartshops“ dar, von denen es allein in Amsterdam etwa 50 Stück gibt. Diverse professionell gezüchtete Sorten sind dort frisch und getrocknet im Angebot. In Deutschland konnte man bis vor kurzem Anzuchtmaterialien kaufen bis hin zu mit Mycelien durchwachsenen Boxen, in denen die Pilze nur noch zur Fruktifizierung gebracht werden müssen. Vom Versandhandel, der in den einschlägigen Zeitschriften oder im Internet inserierte, liessen sich ausserdem sogenannte „Duftkissen“ oder „Raumaromatisierer“ bestellen, die einige Gramm der getrockneten Pilze enthalten. So hoffte man den Strafverfolgungsbehörden ein Schnippchen zu schlagen, denn die Wirkstoffe der Pilze sind wie auch in den Niederlanden explizit dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstellt. Natürlich darf man die Behältnisse nicht öffnen oder gar den Inhalt verspeisen, denn das verstosse gegen das Gesetz, aber jeder weiss, wozu die relativ teuren Dinger wirklich gut sind. Manch ein Headshop oder ethnobotanischer Spezialitätenhändler (Smart-Shop) in den Städten liess die einträglichen Pilze in dieser Aufmachung über oder unter dem Ladentisch seinem erlauchten Kundenkreis zukommen. Aber im Grunde herrscht eine grosse Rechtsunsicherheit, was im Umgang mit den „Psilos“ oder „Zauberpilzen“ denn nun wirklich legal ist, und was mit Bestrafung bedroht wird. Mit einer von der Rot-Grünen Regierung durchgesetzten BtmG-Änderung wurden die „Psilos“ nun mit Wirkung zum 1.Juli 2001 entgültig „verboten“ und Ihre Freunde der Strafverfolgung anheimgestellt.

Als einer der wenigen Verleger geistbewegender Schriften zum Thema psychoaktiver Pflanzen und Substanzen ist Roger Liggenstorfer vom Nachtschatten Verlag über Stadt und Land allen Fraggles wohlbekannt. Er hat sich eingehend mit den Pilzen beschäftigt und plant die Veröffentlichung eines neuen Buches dazu. Also freuen wir uns ihm ein paar Fragen zum Thema stellen zu dürfen.

HB: Woher kommt deine Liebe zu den Psiloc(yb)inpilzen?

RL: Diese Symbiose mit den Pilzen hat bei mir schon früh angefangen: In den Siebziger Jahren, als ich anfing psychoaktive Substanzen zu konsumieren, war die Auswahl noch relativ klein, nebst Haschisch/Gras gab es hauptsächlich LSD und vereinzelt Pilze. Die ersten Pilze wurden dazumal noch von Wales/England importiert. Ich hatte das Glück, dass ich damals als Marktfahrer in der Schweiz von einem Pilzmännchen aus England besucht wurde, der einen riesigen Sack voll getrockneter ‚Spitzkegeliger Kahlköpfe‘ bei sich hatte. Wir probierten die natürlich gleich aus – und der Marktschirm flog fast davon, so high waren wir. Durch diese nun in grösserem Rahmen auftauchenden ‚Liberty Caps‘ mutmaßte man, dass diese Pilze eigentlich auch hierzulande wachsen könnten. Und sie wurden dann tatsächlich zahlreich gefunden – hauptsächlich in den Jurahöhen, die wiederum ‚Freiberge‘ heissen. Macht auch Sinn: Liberty Caps auf den Freibergen!

HB: Es gibt bereits einige wertvolle Bücher über Psilos, an deren Publikation du zum Teil maßgeblich beteiligt warst. Wie bist du auf die Idee gekommen, ein weiteres Buch zum Thema Psilos zu machen?

RL: Die Idee zu diesem Buch kam mir als ich im Zusammenhang mit Gerichtsfällen in der Schweiz auf ein Rechtsgutachten aufmerksam wurde, das im Namen des Bundesamtes für Gesundheit bei einem bekannten Juristen in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten beschreibt auf eindrückliche juristische Weise, dass a) getrocknete Pilze kein Präparat im Sinne des BTM sind (ein Präparat ist es erst im Sinne des BTM, wenn die Inhaltstoffe extrahiert werden), und b) diese psilocybinhaltigen Pilze nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, wohl aber unter das Lebensmittelgesetz. Da sie aber als Lebensmittel nicht deklariert sind, kann bei einem nachgewiesenen Handel eine Strafe diesem Gesetz entspechend ausgesprochen werden, das aber weitaus humaner ist als eben das Betäubungsmittelgesetz. Dieses Gutachten inspirierte mich ein Buch mit dem Titel ‚Legalitätsbetrachtungen zu psilocybinhaltigen Pilzen‘ herauszugeben.

Wie weit ist dieses Buch gediehen?

Zuerst wollte ich nur dieses ’nackte‘ Gutachten (dessen Abdruckbewilligung ich vom Bundesamt für Gesundheit ausdrücklich bekam) herausgeben, mit einem kleinen Vorwort meinerseits. Dann dachte ich, wenn schon so ein Buch, dann sollten noch weitere Aspekte drin enthalten sein, so u.a. eine Legalitätsbetrachtung aus naturwissenschaftlicher Sicht (die Jochen Gartz beisteuert), aus einer kulturhistorischen/evolutionären Sicht und weitere Aspekte. Leider hatte ich mir da etwas zu viel vorgenommen, und dann blieb das Buch ‚auf der Strecke‘ liegen und viele andere Arbeiten haben mich überhäuft. Nun sind wir, ein Jurist der mir dabei noch hilft, dabei, das Buch fertigzustellen und hoffe, dass die Erscheinung noch dieses Jahr erfolgen wird.

HB: In welchen Kontexten werden Psilos genommen?

RL: Ursprünglich wurden die Pilze in einem schamanistischen/heilenden Kontext (siehe Maria Sabina) eingenommen. Heute werden sie hauptsächlich zum Spass, aber auch zur Selbsterkenntnis (die ja auch Spass machen kann!) verwendet. Als Partydroge sind die Pilze nicht wirklich geeignet, wenn überhaupt, dann in kleineren Dosierungen. Um einen wirlich intensiven Trip zu erleben, um eine Begegnug mit dem Pilzgott (oder der Pilzgöttin) zu erlangen, sollte man sich gut darauf vorbereiten und eine Umgebung wählen, in der man ungestört seine Reise durchleben kann. Vorteilhaft ist natürlich ein Platz in der Natur, da wohl keine andere Substanz eine so starke Symbiose Mensch-Natur erzeugen kann und ein Bewusstsein für unsere ‚Umwelt‘ wie auch für unsere ‚Innenwelt‘ entwickeln kann.

HB: Wo liegen die Risiken bei der Einnahme von Psiloc(yb)inpilzen?

Wie oben bereits beschrieben, ist es enorm wichtig sich Zeit zu nehmen und sich vorgängig Gedanken zu machen, wieso man diesen Pilztrip will (Set & Setting). Und genau hier liegen die Risiken: Schlechte Vorbereitung, Einflüsse von Aussen an die man nicht gedacht hat, selbst einen Haufen ungelöster Probleme in sich usw. können einen Pilztrip ins Gegenteil verwandeln – und plötzlich liegt man völlig verstört am Boden, weiss nicht mehr was oben und unten ist, was das alles soll – und die Kontrolle geht verloren und man wünscht sich, der Trip würde endlich aufhören. Und dies kann nicht der Sinn sein. Schön ist es, wenn man nach dem Pilztrip sagen kann: Wow, war das geil, das hätte ich nie gedacht, dass es so was Schönes gibt. Weil nach einer solchen Erfahrung ist man auch nicht gleich wieder geil auf den nächsten Trip: Zuerst verarbeiten, integrieren – und sich dann auf den nächsten Trip wieder freuen!

HB: Wer sollte keine Psilos zu sich nehmen?

RL: Wer psychisch labil ist, in einer persönlichen Krise steckt, sonst „viel um die Ohren hat“, sollte vorsichtig sein im Umgang mit (allen) psychoaktiven Substanzen. Auf keinen Fall sollte jemand, der unsicher ist, alleine auf einen Pilztrip gehen. Angst ist auch eine ganz schlechte Voraussetzung, dies heisst aber nicht, dass der nötige Respekt vor den Pilzen fehlen darf. Nicht jede (legale oder illegalisierte) Substanz ist für jede Person geeignet – das muss schlussendlich jede/r selbst herausfinden, ob und welche Substanzen für ihn/sie verträglich sind. Und dann gibt es bekanntlich auch noch einschlägige Literatur um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Unser Verlagsmotto heisst schliesslich nicht umsonst: Mehr Wissen – mehr Spass!

HB: Wie geht man in der Schweiz mit den Pilzen um? Wird der Genuß dieser putzigen kleinen Gesellen in der Öffentlichkeit wahrgenommen oder diskutiert? Wie sieht man ihn im Verhältnis zu anderen Genussmitteln, wie´z.B. Hanf?

RL: Zur Zeit haben Pilze in der Schweiz noch ein sogenanntes Schattendasein. Sie werden zwar wahrgenommen, zur Saison im Herbst gibt es dementsprechende Zeitungsartikel, in den Medien werden sie hauptsächlich positiv und auch mit dem den Pilzen typischen Schalk umschrieben. Sie werden eher als weiche Droge beschrieben, stärker als der Hanf, aber trotzdem weitaus weniger gefährlich als viele andere Substanzen. Und es herrscht natürlich hinsichtlich der Legalität eine grosse Unsicherheit. Ähnliche Diskussionen wie die neueste Betäubungsmittelverordnung in Deutschland sind hierzulande auch im Gange, das BAG (Bundesamt für Gesundheit) ist etwas in diese Richtung am Vorbereiten. Andererseits stehen wir in der Schweiz vor einer Revision des Betäubungsmittelgesetzes, bei der weiche Substanzen eigentlich eher liberalisiert werden sollten. Und es wäre ja Blödsinn pur, in einer Zeit der Liberalisierung nun eine weiche Substanz wie die Pilze auf den Index zu setzen – dies würde bekanntlicherweise wiederum ganz andere prohibitionsbedingte Probleme erzeugen.

HB: Was ist dir über den verschiedentlich postulierten traditionellen Gebrauch in der Schweiz z.B. unter Almhirten bekannt?

RL: Ein richtig traditioneller Gebrauch ist nicht bekannt. Es ist nicht erwiesen, dass die alten Eidgenossen dank der Pilze diese Schlauheit erlangten um sich von den Vögten zu befreien – aber ausgeschlossen ist es auch nicht. Sergius Golowin berichtet von Nachfahren alpenländischer Nomaden, die Kenntnisse von Pilzen haben, die aber sehr zurückhaltend sind mit Informationen. Aus anderen Quellen ist zu erfahren, dass Pilzkreise in den 60er und 70er Jahren im Berner Oberland in einem stark rituellen Kontext stattfanden (mit Schwitzhütten, Fasten, Gebeten, Räucherungen etc.). In der Neuzeit werden wieder vermehrt Pilz-Kreisrituale, wie ich sie im Buch ‚Maria Sabina‘ beschrieben habe, abgehalten.

HB: Was hälst Du von einem Psilotourismus? Man kennt ihn ja von vielen Orten auf der ganzen Welt. RL: Den gab es natürlich schon seit man von Pilzen weiss. Dieser Tourismus dürfte aber im Zuge der zunehmenden Verbote wieder steigen.

B: Wie wird sich der Umgang mit Psiloc(yb)inpilzen entwickeln?

RL: Ich denke, dass der Irrsinn mit dem Verbot psychoaktiver Pflanzen einmal ein Ende haben wird. Es ist die einzige Chance, uns und unseren Planeten zu retten. Hirnvitamine, wie sie Albert Hofmann auch nennt, sind genau so wichtig für unser Bewusstsein wie Mineralien, Vitamine und Spurenelemente für unseren Körper. Und Substanzen, die unser Bewusstsein verändern, waren schon immer ein evolutionärer Motor, d.h. Drogen haben schon immer gesellschaftliche Entwicklungen eingeleitet. Und so wie Kaffee das Industriezeitalter miteingeläutet hat, die psychedelischen Drogen wie LSD, Pilze etc. die Flower Power-Zeit ausgelöst und damit auch die spirituelle Auseinandersetzung beeinflusst haben, werden Drogen auch – oder erst recht – in Zukunft eine grosse Bedeutung haben. Hanf wird nach und nach wieder normalisiert, als nächstes werden die Pilze drankommen bis hin zu einer integrierten Rauschkultur – dass wir davon noch weit weg sind, ist mir bewusst, aber es ist wie gesagt, der einzige Weg um die Spaltung Geist/Materie durchbrechen zu können und wieder den Einklang mit uns und dadurch mit unserer (Um)-Welt zu erreichen.

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Hans-Georg Behr

HanfBlatt 8/1997

„Ich sehe keine Bewegung“

Hans-Georg Behr. Der kiffende Psychater, Schriftsteller und anerkannte Experten in Sachen Cannabis, ist für die Einen noch immer ein rotes Tuch, für andere ein stets auskunftsfreudiges Kompendium. Behr spart ungern an Kritik und nimmt auch die Hanf-Bewegung davon nicht aus.

Im Gespräch spannt sich der Bogen von der momentanten Hanfeuphorie, über die herrschende Drogenpolitik, bishin zu dem Gefühl, was der Mensch als Glück bezeichnet. Es ist nützlich, ihm zuzuhören, denn nur wer auch die eigenen Prämissen in Frage stellen kann, entwickelt sich.

Hans-Georg Behr
Hans-Georg Behr

HanfBlatt: Ihre Aufsätze erfreuen durch eine farbige, ausdrucksstarke Sprache, Herr Behr.

Behr: Herr Professor Keup, der große Cannabis Gutachter der ersten Generation, hat einmal gesagt: „Längerer Cannabisgebrauch führt weg vom abstrakten Denken hin zu bildhaft-konkretem (Mechanismus unbekannt).“ Dafür bin ich natürlich eine Bestätigung.

HB: Wie sind sie zum Cannabis-Konsum gekommen und was bewegte sie, sich eingehend damit zu beschäftigen?

Behr: Albert Paris Gütersloh war in Wien ein sehr bekannter Künstler, Philosoph und Schriftsteller. Einmal fragte ich ihn, was das denn sei, und er riet mir, damit zu warten, bis er mir etwas abgäbe. Das hat er dann an meinem 16. Geburtstag getan. Das Zeug tat mir gut und so bin ich dabei geblieben.

Während meines Medizinstudiums begann die Hysterie um das Haschisch. Schon aufgrund meines Studiums habe ich darüber mehr gewußt als viele andere, und die Unehrlichkeit in der Argumentation hat mich maßlos geärgert. Praktisch haben wir es mit einer postkolonialen Übernahme von US-amerikanischen Normen unter völliger Leugnung der vorhandenen europäischen Geschichte der Pflanze sowie der medizinischen Tatsachen zu tun. Da habe ich dann halt ein bißchen gegen gemotzt.

Nicht, daß ich so was Besonderes am Kiffen finde – das ist für mich ein Rauschmittel bzw. Genußmittel wie viele andere auch.

HB: Worin liegt das Verbot denn noch begründet?

Behr: Unsere Gesellschaft braucht anscheinend immer wieder Sündenböcke. Die werden dann „Langhaarige“, „Penner“ oder „Flower-Power-Kinder“ genannt. Da gibt es viele Namen. Es ist doch seltsam, daß man sich bei den zwei Teufeln, die unsere verwaltete Gesellschaft kennt, bei der Sexualität auf Formen und beim Rausch auf Mittel beschränkt.

HB: Die Suche nach dem Sündenbock ist also auch ursächlich verantwortlich für die jetzige Hanf-Politik?

Behr: Also, wenn ich mir den historischen Anfang der Cannabis-Politik ansehe, dann kommen mir doch erhebliche Zweifel, ob das heute noch „politically correct“ wäre. Anslinger brauchte, nachdem die Prohibition gefallen war, eine Beschäftigung für seine Beamten. Er brachte den Hanf in’s Kreuzfeuer, indem er behauptete, daß die schwarze Bevölkerung Cannabis rauchte, um unter dessen Einfluß weiße Frauen zu schänden. Der weiße Mann müsse sich aus diesem Grund gegen das „Negerkraut“ wehren.

HB: Und so kam auch der Begriff des „Marihuana“ in’s Spiel.

Behr: Na ja sicher, wenn man etwas anders benennt, kann man es dämonisieren. Und nach einer Weile schnatterte die Ente ganz frei durch die Wildbahn. 1983 haben nicht einmal die High-Times-Redakteure gewußt, daß „Pot“ und „Hemp“ dieselbe Pflanze sind.

HB: Später übernahmen die Deutschen die Prohibition gegen den Hanf.

Behr: Die CDU liest noch heute, was unter Reagan signiert wurde und bringt es in den Bundestag ein. Die beiden abstrusen Verhärtungen im Betäubungsmittelgesetz sind allerdings unter SPD-Ägide erfolgt. Die Drogenpolitik der Bundesrepublik ist eine fantasielose Kopie der ärgsten amerikanischen Auswüchse, gewürzt mit etwas deutschem Perfektionismus.

HB: Nun scheint ja aber langsam Bewegung…

Behr: Nein, Nein. Das ist vielleicht ein Orkan im Wasserglas. Einmal angenommen, wir nehmen jetzt unsere anerkannten wissenschaftlichen Koryphäen. Soll jemand wie der Karl-Ludwig Täschner auf einmal sagen: „Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren Kollegen, ich habe die ganzen Jahre hysterischen Scheiß erzählt“?
Auch die Politiker können sich nicht an der Realität orientieren.

HB: Also muß erst noch eine neue Generation heranwachsen?

Behr: Auch das wird nichts nützen. Auch die neuen kommen nur hoch, wenn sie die Idiotien der Alten nachbeten. Der etablierte Apparat läßt nur seinen Nachwuchs zu. Was ist denn Claudia Nolte? Die ist doch das älteste Regierungsmitglied!

HB: Die Chance auf tatsächliche Bewegung ist also gleich null?

Behr: Die wirklichen Bewegungen finden woanders statt. Wir befinden uns doch in einer hyperkomplexen Gesellschaft, in der fast nichts mehr zu regeln ist. Natürlich kann überlegt werden: „Wenn wir das jetzt so und so machen, läuft das besser“, aber dazu braucht man schon lange keinen Staat mehr. Weitgehende Bereiche haben sich der staatlichen Regulierungsversuche entzogen – dort findet was statt, dort ist Bewegung.

HB: Der Staat zieht sich also auch aus der Drogenpolitik zurück?

Behr: Polizei und Justiz profitierten bisher am meisten von der staatlichen Drogenpolitik: Noch mehr Geld, noch mehr Posten, noch mehr Kompetenzen. Ausgerechnet die begehen jetzt Feigheit vor dem Feind und sagen: „Wir sind nicht in der Lage, dieses Problem in den Griff zu bekommen“. In Hamburg dürfen die Balkone grünen, weil die Ordnungshüter dies nicht mehr für ihre Aufgabe halten. Die andere Seite ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Denen ist auch klar, daß man nicht jeden kleinen Kiffer verfolgen kann. Nun ist die Frage, wie klein man den Kiffer annimmt.

HB: Teilweise wird ja immer noch angenommen, daß der Wirkstoff des Haschisch, das THC, suchtbildende Eigenschaften hat.

Behr: Auch da müssen andere Normen gesetzt werden. Dieses Problem stellt sich auch bei der UNDCP. Dort ist schon sehr lange eine neue Anhörung zur Gefährlichkeit der einzelnen Substanzen beantragt. Das fürchten die wie der Teufel das Weihwasser. Sie wollen keine neue wissenschaftliche Debatte mehr, denn sie wissen, daß die heute ganz anders ausgehen würde als im Jahre 1949. Auf die drei Experten, die damals (von Anslinger ausgesucht) angehört wurden, stützt sich noch heute die Völkergemeinschaft.
Sie sehen, daß Ganze ist ein so verzurrtes Paket, daß da keine Bewegung reinkommt.

HB: Nun versuchen ja Teile der Legalisierungsanhänger, über den Faserhanf Bewegung in das Spiel zu bringen.

Behr: Ja, Ja, dann haben wir französische Zustände, wo die Hanffelder von der Europäischen Gemeinschaft subventioniert und die Kiffer mit Straßenrazzien beglückt werden. Darauf will ja auch Gesundheitsminister Seehofer hinaus. Gut und schön, dann sollen die Kids halt so blöde sein und dem Waigel Wasser auf die Mühle zu schütten. Die Konsequenz: Es gibt die guten Hanfbauer und die schlechten Kiffer.

HB: Und wie könnte ein Legalisierungsmodell aussehen?

Behr: Entwerfen kann man mehrere. Maßgebliche Fortschritte kommen ja aus den Oberlandesgerichten und vom Verfassungsgericht. Ich weiß auch nicht, ob wir von einem Drogenproblem reden sollten: Die Zahl der Kiffer ist mit vier bis fünf Millionen relativ konstant. Ob die das mal mehr öffentlich oder mehr geheim machen, spielt kaum eine Rolle. Die Zahl der Opiatabhängigen, seit 1901 erfaßt, macht immer etwa 0.2% der Bevölkerung aus: Legal, Illegal, Scheißegal. Eduard Lintner behauptet aber nach wie vor, bei einer Liberalisierung der Cannabis-Politik würden fünfmal mehr Leute kiffen. Er verrät natürlich nicht, woher er diese Zahlen hat. Aber auch sonst ist die Vorstellung völlig absurd. In Holland kiffen eher weniger Leute, weil der Nimbus des Unanständigen weg ist. Die Holländer behandeln das nicht anders als Pornographie. Aber mittlerweise hat sogar die Bundesregierung eingesehen, daß ein wenig Pornographie auch zum saubersten Deutschen gehört.

HB: All dies stellen Sie in Ihrem Buch: „Von Hanf ist die Rede“ dar. Was hat zur Neuauflage des Werkes geführt?

Behr: Wollen Sie die schöne oder die wahre Geschichte hören?

HB: Die Wahre.

Behr: Ich muß beide erzählen. Die Schöne: Mein Verleger blätterte das Buch durch und befand es für so gut, daß es neu aufgelegt werden müsse. Die Wahre: Jack Herer hat aus der Erstausgabe meines Buches sein: „The Emperor wears no clothes“ gequetscht. Matthias Bröckers setzte dem ganzen noch eins drauf und hat mein Buch ebenfalls als fast einzige Quelle benutzt. Da dachte sich mein Verleger, bevor er mit einem Plagiatsprozeß in die Zeitungen kommt, legt er lieber das Original wieder auf.

HB: Auch Bröckers ist ja ein wichtiger Apologet der Faserhanf-Bewegung.

Behr: Wenn sich der Bröckers hinstellt und dann sagt: „Wir wollen den guten Hanf, wir wollen den Planeten retten“, dann muß er aufpassen, welche Klientel er in sein Hanfhaus kriegt: Die Kiffer, die das, was sie nicht rauchen dürfen, wenigstens anziehen möchten. Und wenn der Christian Rätsch die Verschreibungsfähigkeit von Hanf fordert, dann bin ich froh, daß er nur Doktor der Philosophie ist, denn ansonsten müßte ich mir mein Abend-Bier von ihm verschreiben lassen.

HB: Nun führt ja auch ein Umweg manches mal zum Erfolg.

Behr: Entschuldigen Sie, aber mit Umwegen sollen sich doch die anderen befassen; wir selbst sollten gerade sein. Und wenn Rätsch 118 Indikationen auflistet, gegen die Hanf verschreibungsfähig sein soll – tja, dann denke ich mir: „Wußte ich es doch: Hanf heilt alles.“ Aber bei Asthma würde ich die Leute nicht auch noch rauchen lassen.

HB: Was gilt es zu tun, was bleibt übrig?

Behr: Da ich kein Hanf-bewegter Mensch bin, ist die Frage an mich falsch adressiert. Eine Legalisierung ist nicht unbedingt mein Ziel, eher eine Egalisierung. Soll ich mir den Kopf zerbrechen, wie man den Hanf dann besteuert? Die Holländer haben das übrigens auf ihre Weise gelöst, indem sie in den Coffee-Shops Kaffee abrechnen, der gar nicht getrunken wird.

HB: Herr Behr, ich danke für das Interview.

Behr: Sind sie immer so schnell zufrieden zu stellen? Das war doch höchsten die Anbahnung eines Gesprächs.

HB: Eines Gesprächs ja. Für ein Interview im HanfBlatt reichte das aus.

Behr: Glauben Sie? Obwohl ich seit 42 Jahren kiffe, habe ich was gegen Kurzatmigkeit. Derzeit sieht mir zuviel nach Bewegung aus: Es gründen sich Hanf-Vereine, eine Hanf-Partei und vieles mehr. Ich halte das für lächerlich. Denn es gibt so viele Gruppen die der Regierung sehr viel näher am Herzen liegen und die kriegen auch nichts.

HB: Das Problem der Kriminalisierung der Kiffer bleibt bestehen. Dagegen lohnt es sich doch vorzugehen.

Behr: Gegen die Kriminalisierung der Konsumenten ist ja bereits das Bundesverfassungsgericht vorgegangen. Eine höhere Instanz können Sie nicht haben. Natürlich tut die Bundesregierung so, als würde es dieses Urteil nicht geben. Die gute Tante SPD will das Thema auch nicht angreifen. Wenn Scharping aber rot-grün will, wird dieses Thema vielleicht auf die Tagesordnung gesetzt werden, obwohl ich auch hier sagen muß, daß man sich auf die Grünen nicht zu sehr verlassen sollte. Herr Plotnitz ist mit seiner Apothekengeschichte eine Lächelnummer.

HB: Die Marktwirtschaft entdeckt den Hanf.

Behr: Wenn ich mir die ganzen Anhänger anschaue: Jetzt gibt’s eine Zeitschrift mit dem Namen „Hanf“, jetzt soll „Grow“ rauskommen, wo irgendwelche Werbeagenturen erst das Media-Konzept und die Inseraten-Preise verschicken. Was soll ich denn dazu sagen? Wenn ich mir anschaue, wie die „Hanf“ gemacht ist, dann ist Ihr „HanfBlatt“ zwar auch kein Meisterwerk, aber unter Blinden ist der Einäugige König. Aber was bringt es? Wenn beklagt wird, wie böse die Polizei, wie uneinsichtig die Politiker sind, frage ich mich: Was soll’s. Dieses Lied kann ich auch satte dreißig Jahre singen. Ich sehe keine Bewegung.

HB: Wo könnte denn angesetzt werden?

Behr: Ein Gesamtpaket in der Drogenpolitik muß die unterschiedlichen Eigenschaften der Substanzen berücksichtigen. Die einzelnen Bestandteile des Pakets müssen wieder zerlegt werden. Die gegenwärtige Debatte leidet darunter, daß wenn der Eine von Cannabis redet, der Nächste von den Junkies, und der Dritte will Kokain behandelt wissen. Und: Die Sache ist nur dort aufzudröseln, wo der Knoten gemacht wurde – bei einer nuttigen Wissenschaft.

HB: Andere Kulturen gehen natürlich anders mit Drogen um. Sie selbst haben lange in Asien gelebt. Was hat sie dorthin verschlagen?

Behr: Insgesamt habe ich mich 18 Jahre in Asien rumgetrieben. Mein Großvater war auch schon um die Jahrhundertwende dort und hatte vor dem Ersten Weltkrieg einige wilde Prinzen aus Indien, Nepal und Afghanistan zu Besuch. Deren Adressen haben meine erste Reisen begleitet, und so sie noch lebten, traf ich uralte Herren, die sich für die Gastfreundschaft meines Großvaters freundlich rächten.
Afghanistan und Nepal liebte ich sehr, denn im Gegensatz zu Indien waren die beiden Länder nie Kolonien. Ganz Indien ist ja ein riesiger Minderwertigkeitskomplex. Asien ist ein Lehrstück für uns Europäer, die wir ja auch in einer Kastengesellschaft leben.

HB: Große Teile der psychedelischen Bewegung der 70er Jahre zog es nach Indien.

Behr: Ja sicherlich, die ganze Idee der Esoterik als Eskapismus vor der auch im Westen real existierende Not, das wird es immer geben. Jede Weltfluchtbewegung ist ja in Indien fantastisch aufgehoben. Was dort in den Gemeinden und Ashrams stattfindet, ist ja auch Weltflucht. Auch dort ist es nicht die Religion des Volkes. Die Gurus haben auch dort nur ihre Sektengemeinschaft.

HB: Ähnliches wiederholte sich jüngst, als die Techno-Bewegung Indien und Asien wiederentdeckte.

Behr: Schon Hermann Hesse war der Karl May des Buddhismus. In Europa gibt es buddhistische Gesellschaften seit 1874. Das hat es schon immer gegeben. Natürlich habe auch ich Hesse gelesen. Mit 16 bin ich dann in den Schulferien mit dem Fahrrad zu ihm gewallfahrtet. Zu meinem Entsetzen sah ich einen alten Junkie, der sich nicht geniert hat, vor mir einen Druck zu setzen. Verstehen Sie? Da kam der Jung-Kiffer zum alten Meister und sah einen alten Morphinisten.

HB: Sehr lehrreich.

Behr: Die ganze westliche Esoterik ist nichts anderes als Karl May’s Indianer-Kult. Da kann ich doch nur Nietzsches Zitat entgegenhalten: „Oh, wie grauenvoll ist es im Mitleid.“

HB: Weniger distanziert betrachtet ist vieles durch eine Suche nach Spiritualität motiviert.

Behr: Mit derselben Suche nach Spiritualität ist Rabindrunate Tagore nach Westen gegangen, um sich literarische Gewerkschafter als Organisationsmuster anzuschauen. Diese Beziehungen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Ich interessiere mich dafür, ich schaue sie an, aber ich bin weder ihr Apostel noch ihr Adept. Natürlich war für mich in Asien auch der kulturelle Hintergrund interessant. Als ich 1956 dort war, war dieser schon heillos zerstört. Man sah nur Ruinen und Relikte. Und zu den Religionen: Wenn ich auf den Sinai in die Wüste fahre, dann kann ich verstehen, daß dort eine monotheistische Religion entstanden ist. Wo es nur Steine und Himmel gibt, da kann es auch nur einen Gott geben. Und wenn ich mir die vielgestaltige Landschaft hier oder in Indien anschaue, dann weiß ich, daß die Götter aus den Wurzeln hervorgekrabbelt und -gewachsen sind.

HB: Heute finden sich also kaum noch intakte nicht-christliche Glaubenssysteme?

Behr: Die Blöcke des kalten Krieges, die unterschiedlichen Einflußsphären, die Erniedrigung der Völker Afrikas und Asiens, denen erklärt wurde: Wenn du im Stehen pinkelst und die Cola-Dose richtig öffnest, bist du reif für die höheren Weihen des Fortschritts…

HB: Inwieweit hat Ihre medizinische Ausbildung Einfluß auf Ihren weiteren Lebenslauf gehabt?

Behr: Als Psychiater kümmert man sich nicht um Wehwechen. Da zählt die Krankheit der Seele. Das gibt eine gelassene Sicht auf Kleinigkeiten.
HB: Und was verbinden Sie mit dem Begriff der „Bewußtseinserweiterung“?

Behr: Bewußtsein wird durch Bewußtsein erweitert. Je mehr ich lerne und begreife, desto mehr erweitert sich mein Bewußtsein. Nun gibt es sicherlich Situationen -ob sie durch eine Substanz bewirkt sind oder durch Meditation spielt keine Rolle- die einem einen Horizont vorübergehend eröffnen, der wünschenswert erscheint. Den muß man dann in geduldiger Arbeit und ohne Rausch füllen. Unsere Vorgaben und unsere Lebensplanungen werden wir in jenen traumhaften und halluzinatorischen Phasen haben, die wir Glück nennen. Sich auf ein Mittel zu verlassen, das die ganze Sache liefert, ist immer trügerisch. Ebenso trügerisch ist es, sich auf die Dauer des Zustands zu verlassen.

HB: Beherbergt die Suche nach diesem Glück unter der Zuhilfenahme bestimmter Mittel die Gefahr für Psychosen?

Behr: Nein, kaum. Die Gefahr von Psychosen lauert ganz woanders. Wenn beispielsweise Hess von „Cannabis-Psychosen“ redet, irrt er. Die Cannabisinduzierten und aggrarierten Psychosen sind alle ausführlich untersucht worden. Eine Wechselbeziehung ist nicht feststellbar gewesen. Natürlich, wenn jemand schon in einer Psychose ist und glaubt, er kann sich durchs Kiffen heilen, wird das nicht funktionieren. Schon rein chemisch ist das unserem Körper nicht möglich.

HB: Nun wird ja auch versucht, Alkoholiker oder andere Drogenabhängige mithilfe von Ibogain zu heilen.

Behr: Obwohl ich einer derjenigen war, der diese Debatte in Deutschland auch losgetreten hatte, habe ich mit dieser Substanz meine Schwierigkeiten. Bestimmte Interaktionen sind zu zweideutig, als daß da schon jetzt die Hand für in’s Feuer gelegt werden kann. Es ist vielversprechend, aber noch wissen wir zuwenig über die Olive im Kleinhirn.

HB: Wie stehen sie ansonsten zu den sogenannten Hallzuzinogenen, wie LSD und Psilocybin?

Behr: LSD ist ein hervorragendes Diagnosticum in der Psychatrie, aber ich halte es für überhaupt kein Therapeutikum.

HB: Das spricht gegen die Arbeit von Stanislav Grov.

Behr: Ja. Als Diagnosticum ist es das beste, was wir zur Zeit haben. Und wenn der Herr von Sandoz sich heute hinstellt und behauptet, es wäre eine „dreckige“ Substanz, weil sie nicht punktuell wirkt, dann muß ich sagen, daß ich dieses bißchen Dreck gerne in Kauf nehme, weil immer dort, wo man nach Punkten gesucht hat, keiner war. Als Therapeutikum scheidet es genau aus diesen Gründen aus.

HB: Wenn wir beim Thema sind: Wie würden Sie in diesem Zusammenhang MDMA einordnen?

Behr: Vergleichsweise harmlos. Das größte Problem bei all diesen hochpotenten Chemikalien ist: Wenn sie unsauber hergestellt werden, können Sie verheerend sein.
Als LSD aus der Psychatrie entfernt werden mußte, setzte man große Hoffnungen auf MDMA. Die haben sich nicht erfüllt. Überhaupt verstehe ich nicht, wozu wir immer diese pharmakologischen Neuerungen, die oft keine sind, brauchen. Die Naturprodukte sind hier vorzuziehen, da sie weniger Nebenwirkungen haben. Dazu kommt: Ob einer sein Feierabend-Bier trinkt, ob er seinen Hanf raucht, ob er Coca-Blätter kaut…, es gilt der Satz von Paracelsus: Auf die Dosis kommt es an.
Ich bin heilfroh darüber, daß man jetzt von der moralischen Schaumschlägerei weg ist und daß bei Späterkrankungen und bei Krebs wieder Opiate gegeben werden. Es ist halt so, daß bei Opiaten ein bis zwei Drittel der schmerzstillenden Wirkung die Euphorie ist, so daß man gar nicht an seine Schmerz denkt. Das fehlt halt anderen Produkten und deswegen muß man den Körper vergiften und eine viel größere Dosis verabreichen.

HB: Gibt es ein Recht auf Rausch?

Behr: Als Wolfgang Neskovic in seiner Urteilsbegründung von einem „Recht auf Rausch“ schrieb, schrie die Nation auf. Wenn ich heute jemanden sage, daß der Rausch erlaubt ist, entgegnet der: „Nein, der Rausch ist außerhalb unserer Zivilisation.“ Ja, natürlich ist er das, sonst wäre es nicht der Rausch. Ein Rausch innerhalb der Zivilisation widerspricht ihrem Selbstverständnis, welches auf Vernunft ausgelegt ist. Wenn ich mir anschaue, daß etwa 60 Prozent der Bevölkerung gerne saufen und nur zwei Prozent behaupten, sie seien abstinent von allen Rauschmitteln, dann wundert mich doch, daß diese 2 Prozent die Leitlinien für die offizielle Politik stellen. Das ist meinem Demokratieverständnis nicht leicht zu erklären. Daß unser Bundestagsabgeordneter ….. mit einem schweren Alkoholproblem gegen jede pfleglichere Behandlungen von Kiffern ist, kann ich verstehen. Doch Gott sei Dank lallt er das im Plenum so, daß keiner es versteht.

HB: Herrscht also auch eine Art Angst vor dem Rausch?

Behr: Schon Horkheimer und Adorno haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ erwähnt, daß sich von diesem ältesten Ritual der Menschheit jede Zivilisation bedroht gefühlt hat. Im Rausch muß etwas liegen, was die Gesellschaft nicht bieten kann. 15tausend Leute sterben jährlich in unserer Republik an den Folgen des Alkohols. Soll man nun den Alkohol verbieten? Ich wette, die Zahlen würden sich sogleich vervierfachen, denn dann werden wieder die Badewannen zur Herstellung des Stoffes benutzt. Geschwindigkeitsrausch, Kaufrausch: Überall sonst nehmen wir Restrisiken in Kauf.
Es ist nicht zu verhindern, daß für manche Leute der Rausch ein tödliches Erlebnis wird. Aber soll man deswegen den Rausch schuldig sprechen? Dann sage ich: Autobahnen sofort sperren!
Hans-Georg Behr unterhielt Jörg Auf dem Hövel