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Vietnam sucht den Zugang zum Internet

Das Netz in Vietnam

Erschienen auf Spiegel Online v. 28.05.2002

Gehemmter Cyber-Sozialismus

In Vietnam streitet man offiziell um den Umgang mit dem Internet. Wie passen sozialistische Werte und Modernisierung des Staates zusammen?

Nha Trang ist keine Schönheit, Hotelbauten verschandeln die Strandpromenade der rund eine viertel Million Einwohner zählenden Stadt an der Ostküste von Vietnam. Durch die breiten Straßen knattern unzählige Mopeds, zunehmend auch Autos und immer weniger Fahrräder. In den gläsernen Hotels begegnen sich junge Unternehmer und Parteifunktionäre, in den Straßen hängen neben Coca Cola-Schildern vergilbte Plakate, die an Volksgesundheit und sozialistische Tugenden erinnern. Auf kaum einen anderen Bereich wirkt sich die Gemengelage aus Marktwirtschaft und Sozialismus aber so offensichtlich aus wie auf die Telekommunikationspolitik des Landes. Das Internet soll den ökonomischen Aufschwung bringen, allerdings nicht die als degeneriert erachteten westlichen Werte.

Erst seit Ende 1997 ist das Land an das Internet angeschlossen, wobei der gesamte Datenverkehr über zwei Server läuft, die in Hanoi und Ho Chi Minh Stadt, dem ehemaligen Saigon, stehen. Diese Zentralisierung ist kein Zufall, ermöglicht sie doch die effektive Kontrolle des Datenflusses. An den zwei Gateways ins Ausland ist eine Schnüffelsoftware installiert, die einkommenden und ausgehenden elektronische Briefe auf verdächtige Inhalte überprüft.

Nur die Vietnam Data Communications (VDC), eine 100prozentige Tochter der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft VNPT (Vietnam Post & Telecommunications Corporation) ist in Besitz einer Lizenz anderen Firmen den Zugang zum Internet zu ermöglichen. Zur Zeit verfügt das Land über genau vier solcher Internet Service Provider, wobei VDC selbst als Provider auftritt. Die Provider führen ihre Betriebe unter restriktiven Bedingungen: Sie müssen dafür sorgen, dass bestimmte Adressen im ausländischen Internet aus Vietnam heraus nicht zu erreichen sind. Dies dient zum einen der Sperrung von Websites vietnamesischer Dissidenten, zum anderen soll so der weiteren Indoktrination der Bevölkerung Einhalt geboten werden. Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ werden rund 2000 Webseiten blockiert.

Eine der Homepages, die ganz oben auf der Liste der VDC steht, ist die der „Allianz Freies Vietnam“. Die Organisation von Exil-Vietnamesen setzt sich für die Demokratisierung des Heimatlandes ein und bemüht sich unter anderem den Informationsfluss aufrecht zu erhalten. „Politische Nachrichten aus Vietnam werden von uns gesammelt und wieder ins Land zurück geschickt“, erklärt H. Tran, außenpolitischer Sprecher der Organisation in Deutschland. Das Internet biete hierfür ideale Bedingungen und mit dem anwachsenden Datenaufkommen würde die Kontrolle der Inhalte immer schwerer.

„Die Regierung in Hanoi hat einfach Angst vor dem Internet“, sagt der Betreiber eines Internet-Cafés in Nha Trang. Die eingängigen Seiten seien zwar nicht erreichbar, aber beispielsweise sei das Angebot an erotischen Seiten so vielfältig, dass eine Sperrung aller betreffenden URLs gar nicht möglich sei. Im Raum stehen acht PCs, darunter sechs ältere mit 300er Prozessoren, aber auch zwei Computer neueren Kaufdatums. „Ein AMD mit über einem Gigahertz“, erklärt der Mann stolz. Vornehmlich Touristen nutzen seinen Service, in Travellerkreisen hat E-Mail die handgeschriebene Postkarte schon länger ersetzt. Immer häufiger sind es aber auch Vietnamesen, welche Kontakt in die Welt pflegen.

Das vietnamesische Politbüro ist genuin um die Hegemonie seiner Informationspolitik besorgt, meint aber zugleich, dass die ökonomischen Reformen vom Wachstum des Technologiesektors abhängig sind. Aber: Das Informationsmonopol ist unter den Bedingungen der IT-unterstützen Marktwirtschaft nicht zu halten. Die Begriffe „nationale Sicherheit“ und „wirtschaftliche Internationalisierung“ stehen für diese Quadratur des Kreises.

Um den Zugang zum Internet zu erleichtern, beschloss die Regierung in Hanoi jüngst eine Senkung der monatlichen Leitungs-Gebühren für Internet-Provider um 25 Prozent. Damit wird auch Privatpersonen der Einstieg ins Web erleichtert. Zur Zeit besitzen rund 170 Tausend Vietnamesen einen eigenen Zugang zum Netz der Netze, das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Deutschland sind 43 Prozent der Bevölkerung online.

Weil der eigene Anschluss trotz der Preissenkungen für die allermeisten Vietnamesen noch immer zu teuer ist, boomen in den Großstädten die öffentlichen Zugänge. In der sozialistischen Vorzeige-Metropole Hanoi herrscht mittlerweile der Preiskampf zwischen den verschiedenen Cafés, der Preis für eine Stunde im Netz ist auf umgerechnet rund zwei Euro gefallen, in Ho Chi Minh Stadt liegen die Tarife noch tiefer.

Preiswert hatte auch Le Chi Quang seine Dokumente durchs Netz geschickt. Der 31jährige Computer-Dozent nutzte ein Cyber-Café in Hanoi, um einen ausführlichen Bericht über ein bilaterales Grenzabkommen zwischen der vietnamesischen und chinesischen Regierung zu veröffentlichen. Bei seinem nächsten Besuch stand die Polizei neben dem PC und verhaftete ihn. Le Chi Quang ist kein Einzelfall, Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass das vietnamesische Regime nach wie vor äußerst rigide gegen Kritiker vorgeht.

Für die alten Mandarine stellen die bürgerlichen Freiheiten nach wie vor keine Errungenschaft, sondern eine Gefahr für den Zusammenhalt des vietnamesischen Gemeinwesens dar. Neben dem Lust auf Konsum bringt das Internet aber genau diese Ideen der individuellen Rechte in die Städte und Dörfer des Landes. Ungeachtet dessen setzt die Kommunistische Partei weiterhin auf den Ausbau des Telekommunikationsnetzes. Planwirtschaft pur: Bis zum Ende des Jahres sollen zwei weitere Provider Lizenzen erhalten, der jüngst veröffentlichte Fünfjahresplan sieht vor, dass sich die Zahl der Internet-Zugänge versechsfachen, die Zahl der Internet-Nutzer verzehnfachen soll.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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