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Renntag in Zandvoort

Bei einem Radrennen gab es vor einigen Jahren mal eine vergleichbare Adrenalineinfuhr. Aber dies hier ist stärker, wilder, irrer. Wir sind gerade mit ein paar Männern, die zu Jungs wurden, zwei Runden auf der alten Formel 1 Strecke im holländischen Zandvoort gefahren und springen mit Riesenaugen aus dem Porsche 911. „Hassu gesehen, ich so, du so!“ Wortfetzen, Schultergeklopfe, ich geil, du geil. Ein Instructor vorne weg, wir hinterher. Dran bleiben, nicht mehr als zwei Wagenlängen Abstand. Wahnsinn, bei der Geschwindigkeit. Die Kurven reißen am Körper, das Lenkrad will woanders hin, aber nach einer Runde will man schneller, mehr, besser sein. Ein Heidenspaß.

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Bad Liechtenstein oder auch: Kunst an der Steigung

Die Brille trägt er fast immer, das ist sein Vertrag. Aber einen Tag nach seiner Performance im Foyer des bröseligen Hotels treffen wir ihn auf der Straße – ohne Brille. Gutmutig-verschmitze Augen leuchten. Friedrich Liechtenstein glaubt an Bad Gastein, er ist oft hier und nicht erst, seit er für seine Auftritte ordentlich Geld verlangen kann. Nun ist er sogar Stargast in der alljährlichen Sommerfrische Kunst, einem Versuch, dem schwindsüchtigen Patienten in den Salzburger Alpen eine sanfte Kur zu verpassen.

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Reisen und Natur: Länder, Menschen, Orte

Zwischen 1997 und heute veröffentlichte Artikel – eine Auswahl

Sturmumtost (10/2010)
Mit dem Sachverständigen Harry Käding in die Pilze

Europas größter Gletscher schmilzt (pdf, 2.5mb) (Hamburger Abendblatt v. 4./5. August 2007)
Eine Reportage vom Schweizer Aletsch-Gletscher

Die Allerschönste (Petra, März 2006)
Die Mystik von Santorin

Der dampfende Dolmen (Outdoor 3/2005)
Hünengräber, Langbetten, Dolmen: Auf Urkult-Tour in Norddeutschland

Tradition in Muerren  (Snowboarder 11/2003)
Im Inferno-Rennen wird die Geburt des alpinen Skisports gefeiert

Fincas im Hinterland
Gesucht und gefunden: Das andere Mallorca

Experimental Travel (html oder pdf) (Woman, November 2005)
Zwei Menschen wollen sich in New York wiederfinden

Reif für 115 Inseln (Petra, August 2004)
Traumhaft, naturverbunden, einsam, teuer: Die Seychellen

Helios auf der Spur
Alte Begegnungen auf den griechischen Kykladen

Worm Attack
Auf Tour im Regenwald von Costa Rica

Der erste entsetzte Tuk-Tuk Fahrer
Bangkok ganz oben

Hanf im Reisfeld
Seltsames in Vietnam

Fluss der Alligatoren  (Kanu Sport, 12/1997)
Auf dem Suwanne-River in Florida

 

 

 

 

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Seychellen – Reif für 115 Inseln

Aus der Petra

Reif für 115 Inseln

Mehr geht nicht: Wer auf der Suche nach dem perfekten Strand ist, findet auf den Seychellen sein Ziel. Und reist dafür mit zwei neuen Faibles wieder ab: Naturwunder und seltsame Insel-Geschichten.

„Tut mir Leid“, sagt Beate Sachse und streicht über die Baumrinde. Die Rangerin, die mich durch den dichten Urwald führt, entschuldigt sich bei einem Baum? Allein das ist verblüffend. Was mich aber noch mehr wundert: Es klingt ganz selbstverständlich. Denn hier auf Frégate und den anderen Seychellen-Inseln, wirkt die Natur so mystisch-lebendig, so beseelt, dass einen eher erstaunt, dass keine Antwort kommt. Von der alten Riesenschildkröte zum Beispiel, die einen müde anblinzelt und hier wahrscheinlich schon vor hundert Jahren im Schatten döste, als das Wort „Ferntourismus“ noch nicht mal existierte. Oder von den einzigartigen Granitfelsen, die wie „Herr der Ringe“-Gestalten wirken, und die von Piraten und Bacardi-Spot-Drehs erzählen könnten.

Warum Beate sich bei dem Baum entschuldigt? Sie hat seine Rinde angeritzt, um mir ein kleines Wunder zu zeigen: Denn die Bäume hier können bluten. Und vielleicht haben sie ja auch tatsächlich eine Seele? Beate, die seit einem halben Jahr auf Frégate lebt und arbeitet, gefällt der Gedanke. Sie lacht und erzählt mir, wie die seltsamen Drachenblutbäume auf die Insel kamen: „Sie wachsen eigentlich in Indien. Einwanderer haben ihr Holz nach Frégate mitgebracht, um Vanilleranken daran anzubauen. Doch die Geschäfte liefen schlecht, sie verließen die Insel wieder. Zurück blieben brachliegende Gewürzfelder, wo das Holz auf fast magische Weise neue Wurzeln schlug.“ Inmitten dichten Urwalds entstand so ein lichtes Wäldchen dieser seltsamen Pflanzen mit tiefrot durchtränktem Stamm.

Nicht das einzige Naturwunder der Insel: Im Winter finden seltene Wasserschildkröten aus fernen Gewässern den Weg hierher, um an den einsamen Stränden ihre Eier abzulegen. Und wer durch den Dschungel spaziert, trifft vielleicht auf einen furchtlos-frechen Magpie-Robin. Nur noch etwa 30 Exemplare dieses Vogels gibt es weltweit – alle leben auf Frégate.
Nach Auffassung der Geologen sind die Seychellen, die abgeschieden 1.000 km östlich von Afrika im Indischen Ozean liegen, ein versprengter Rest des Ur-Kontinents Gondwana. Oder, wenn man es poetisch ausdrücken möchte: eine Laune des lieben Gottes, der sie ins Meer streute, um schon mal für sein Meisterstück, den Garten Eden, zu üben.

Nicht nur die Natur der Seychellen bietet Wundersames – auch ihre Geschichte ist von Mythen durchzogen. Bis ins 18. Jahrhundert waren sie weitestgehend unbewohnt, boten Unterschlupf für Piraten. Ihre Raubschätze sollen noch heute vergraben liegen. Nur gefunden wird nie etwas. Offiziell zumindest. Erfolgreiche Schatzsucher müssten dem Staat 90% abgeben.
1740 wurde der Freibeuter Olivier Le Vasseur, der seine Reichtümer auf den Seychellen versteckt haben soll, hingerichtet. Vorher schleuderte er aber noch eine Karte voll undurchsichtiger Zeichen und verschlüsselter Hinweise in die Menge.

„Wir Seychellois lieben solche mystischen Geschichten“, erzählt Micheline Georges, die selbst Teil dieser Legenden ist. Die alte Dame bewirtschaftet den „Jardin Du Roi“ auf der Hauptinsel Mahé, früher eine Gewürzplantage, heute ein verträumtes Ausflugsziel für Botanikliebhaber und Romantik-Fans. Sie ist Nachfahrin des rätselhaften Monsieur Poiret, der Anfang des 19. Jahrhunderts unter mysteriösen Umständen aus Frankreich hierher kam. Noch heute hält sich das Gerücht, er sei letzter rechtmäßiger Erbe der französischen Krone gewesen. Ein schöne Geschichte, doch so recht scheint nicht mal Micheline dran zu glauben. Fest steht aber, dass sich im Besitz ihrer Familie Silber und Besteck mit französischen Königswappen befinden. Ob das wirklich als Beweis reicht? Egal: Micheline erzählt spannend, die Veranda ihres Cafés mit Blick auf Garten und Meer wirkt wie eine koloniale Puppenstube – und ihre „Daube de Banane“, Bananen in Kokosmilch, sind ein Gedicht.

Wer hier oben in dem feinen Gärtchen in den Bergen der Hauptinsel Mahé glaubt, bereits im Paradies angekommen zu sein, war noch nicht ein paar Inseln weiter auf La Digue. Eine Welt, deren Lebenstakt von den langsam am Strand auslaufenden Wellen bestimmt zu sein scheint. Dagegen wirkt Mahé mit der Hauptstadt Viktoria wie eine quirlige Metropole. Viktoria ist der einzige Flecken hier, der den Titel Stadt überhaupt verdient.

Auf La Digue versteht man zum ersten Mal, was „Entschleunigung“ bedeuten könnte. Ochsenkarren holpern über die Wege, Autos gibt es kaum, 3.000 Menschen leben hier. Wer in eine andere Ecke der Insel möchte, mietet ein Fahrrad und ist spätestens nach 20 Minuten an jedem beliebigen Ziel. Wobei es einen als erstes fast wie ferngesteuert zum „Anse Source à Jean“ zieht. Zu spektakulär ist sein Ruf, zu unglaublich die Bilder seines von Granitfelsen gesäumten Strandes, die jeder kennt. Bilder, die immer dann auftauchen, wenn Träume verkauft werden sollen. Ein Symbol für die Sehnsucht nach dem perfekten Platz.
Nichts wie hin! Gleich am ersten Abend. Warten will keiner mehr, wenn er hier erst mal an Land gegangen ist. Verblüffenderweise ist es trotzdem still und einsam hier. Vielleicht haben wir auch nur Glück. Die Brandung plätschert auf dieser Seite der Insel zahm. Der Weg schlängelt sich durch Mini-Schluchten zu immer neuen Buchten. Irgendwann hört man auf, irgendeine davon zur schönsten erklären zu wollen. Die Steine wechseln im Abendlicht von Zartrosa zu leuchtend Violett. Von den wenigen Menschen, die einem begegnen, spricht keiner. Als sei ihnen plötzlich bewusst, dass sie endlich am Ziel sind. Dass es schwierig sein wird, Schöneres zu entdecken.
Und trotzdem: Auf den Seychellen gibt es immer noch eine Steigerung von einsam und friedlich. Auf Frégate weiter süd-östlich hat man die Ruhe zum Marketingkonzept erklärt. Oder vielleicht auch nur dem Wunsch des Besitzers der Privatinsel inklusive Luxusressort nachgegeben, dessen Haus auf einer Klippe am Meer thront. Nur alle paar Monate kommt er selbst vorbei. Sein Name wird verschwiegen. Gerüchteweise hört man, es sei ein reicher Deutscher, der sein Vermögen einsetzt, um eines der letzten, kaum berührten Paradiese zu erhalten.

Sein Luxusressort zählt gerade mal 16 Villen – 32 Gäste und die Insel ist ausgebucht. Außerdem leben und arbeiten 115 Menschen hier, die sich um das Hotel und die Plantagen kümmern. Früher gab es auch mal ein kleines, einfaches Hotel am Strand. Der Schriftsteller Ian Fleming soll dort James Bond erfunden haben. Sicher hat die Insel der Film-Figur das Faible für exotische Abenteuer-Ziele eingehaucht.
Pierce Brosnan hat sich nach seinem letzten 007-Dreh hier erholt. Paul McCartney war auf Flitterwochen da. Brad Pitt, Jennifer Aniston und Michael Douglas sollen ebenfalls zu Gast gewesen sein. Aber auch hierzu schweigt die Hotel-Crew eisern. Vielleicht haben sie ja von den Seychellois gelernt: Interessante Halbwahrheiten ergeben oft den spannendsten Gesprächsstoff.
Am Tag der Abreise treffe ich noch mal Beate. Sie strahlt, weil sie im Wald gerade Eier eines Magpie-Robin entdeckt hat – ein Stück neue Hoffnung für die vom Aussterben bedrohten Tiere. Wir strahlen gemeinsam. Ihr Enthusiasmus für die Natur steckt an – nicht nur uns.
Zweimal im Jahr muss die ganze Hotel-Crew vom Direktor bis zum Zimmermädchen Kokosnüsse einsammeln. Die haben nämlich erst die Menschen auf die Hügel der Insel gepflanzt. Sie würden heute die ganze Insel zuwuchern, wenn man sie ließe – und könnten das natürlich Gefüge, Grundlage für viele Tiere und Pflanzen, zerstören. Deshalb passiert es manchmal, dass die reichen und berühmten Gäste der Insel, die Luxuspreise zahlen, um auf der privaten Insel absteigen zu dürfen, mitschuften beim großen Kokosnuss-Sammeln. Trotz Urlaub. Weil die einzigartige Natur sie verzaubert hat.

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Mit dem Sachverständigen Harry Käding in die Pilze

Sturmumtost – Mit dem Pilzsachverständigen Harry Käding in die Pilze

24. Oktober 2010

So aber begab es sich, dass es donnerte und der Wind in den Bäumen rauschte und der kalte Regen gegen die Scheiben peitschte im Morgengrauen jenes Sonntages, den man da nannte den 24.Oktober 2010; und man hätte sich doch gerne wieder zum Schlafe gebettet, wäre man da nicht verabredet gewesen im finstren Tann – mit Harry – Harry Käding um genau zu sein, dem bekannten Speise- und deshalb logischerweise auch Giftpilzsachverständigen, der Interessierte via Internetz und Emil zur Exkursion in ihm noch unbekanntem Terrain geladen hatte, den Wäldchen rund um das Schnaakenmoor bei Rissen.

September und Anfang Oktober dieses Jahres waren von Pilzfreunden als sensationell und ergiebig gefeiert worden, nun aber war die Explosion der Pilze und damit auch der leckersten Speisepilze wohl endgültig vorbei, so beklagten es seit zwei Wochen sentimentale Gemüter. Doch das sollte uns nicht schrecken. Pünktlich wie die Eieruhr trafen wir am Rissener S-Bahnhof mit dem Automobile ein, wo Harry die pünktlicheren Pilzfraggles bereits mit Döhntjes und der Vortagsernte bei Laune hielt. Nach Entlohnung eines Obolus in Höhe von fünf Euronen pro Person wollten wir gemeinsam in den Wald an potentiell pilzhöffige Stellen fahren. Als wir noch dabei waren, unseren Wagen zu holen, fuhr Harry schon mal mit dem Wagen vor und ward verschwunden und zwar nicht nur für Sekunden, sondern von der Bildfläche. Dafür hatten wir zwar als Beifahrerin eine hübsche Werbetexterin mit Roots im Herzen der Republik bei Weimar im Auto, aber keinen Hinweis mehr auf Harry und den Rest der Truppe. Dann doch gut, dass es das Handy, diese sich endemisch ausbreitende Hirnfritteuse gibt, natürlich nicht nur zum Klingeltöne „Da ist ein Blödi am Handy!“ downloaden, sondern auch zur Kontaktherstellung, in diesem Falle mit Harry. Dieser sympathische Spaßvogel lungerte denn bereits schon im Walde herum und fing wohl gerade langsam an, die verlorenen Seelen zu vermissen. Wir schlossen auf und es konnte losgehen.

Neben uns spätpubertären Mittvierzigern, unserer pilzenthusiastischen Herzdame und einer netten Mutter mit erwachsener Tochter, stapften auch noch zwei Herren etwas fortgeschritteneren Alters, ein ob der zu befürchtenden dürftigen Ausbeute bereits klagender Spezi und ein bescheiden vor sich hin schmunzelnder Fotofreak bei Nieselregen durch den feuchten Wald. Vorneweg mit Trillerpfeife natürlich Harry.

Schon bald wurden die ersten Pilze gesichtet, die wohl allseits bekannten Nebelkappen (Lepista nebularis), deren Nichtkenntnis einen Pilzexperten schon mal an den Rande der Weißglut treiben kann, zumal wenn bei jeder Nebelkappe wieder nachgefragt wird. Dies blieb Harry an jenem Tage aber erspart. Die recht großen grauen Burschen wachsen in dieser Zeit nun mal vielerorts am Wegesrand. Sie sind nicht mehr giftig und eßbar, wenn man sie vorher lange genug abkocht, aber nicht jederfraus Sache und stießen dem zur Folge nur auf mäßige Begeisterung.

Der Violette Rötelritterling (Lepista nuda) ist ein weiterer eßbarer Winterpilz.

Der Geflecktblättrige Flämmling (Gymnopilus penetrans) gilt dagegen als bitter und ungenießbar.

Er kann verwechselt werden mit Rauchblättrigen Schwefelköpfen (Hypholoma capnoides), einem typischen Fichten- bzw. Nadelbaumstumpfbegleiter.Wir fanden diese gleich zu Beginn, aber nach Diagnose unseres Meisters zu feucht, liessen sie also stehen, ernteten die Hüte dieses recht schmackhaften Winterpilzes später aber noch in ausreichender Menge für Kostproben und zwar mit der frisch gelernten etwas rabiaten Handkämm-Methode. Der wohlschmeckende Schwefelkopf kann auch mit dem allerdings bitter schmeckenden giftigen Grünblättrigen Schwefelkopf (Hypholoma vasiculare) und einigen nicht eßbaren anderen Schwefelkopf-Arten verwechselt werden kann.

Verwechslungsgefahr besteht für den Laien, so lernten wir noch, zwischen dem beliebten ebenfalls in Gruppen auftretenden nußartig schmeckenden Stockschwämmchen (Pholiota mutabilis) und dem gefährlichen tödlich giftigen mehlartig riechenden Gift-Häubling (Galerina marginata) und obendrein oben erwähnten Flämmling. Alles klar?

Der von manchen Pilzomas und Osteuropäern hoch geschätzte Kahle Krempling (Paxillus involutus) ist roh und ungenügend gekocht giftig und kann bei häufigerem Genuss mitunter erst nach Jahren im Einzelfall schwere Langzeitschäden (Zerstörung der roten Blutkörperchen) bewirken. Deshalb wird heutzutage hierzulande vor ihm gewarnt.

Der Gelbe Knollenblätterpilz (Amanita citrina), den uns Harry zeigt, ist wahrscheinlich allenfalls schwach giftig. Er soll geringe Mengen an Tryptaminen enthalten. Auf einen Versuch sollte man es aber besser nicht ankommen lassen.

Zur Erkennung unverträglicher Täublinge gibt es einen Test: Harry kaute ein Stück von dem weißen Fleisch eines Täublings. Wir machten es ihm nach. Es schmeckte scharf wie Wasabi. Bald schon spuckten wir alle die Stückchen wieder aus. Es handelte sich bei dem obskuren Pilz offenbar um einen verblassenden Roten Speitäubling (Russula emetica). Man soll ihn auf Brot esen oder auch zur Würzung verwenden können. Er gilt als giftig, weil Viele auf seinen Genuss hin mit Erbrechen reagieren.

Stockschwaemmchen

Wir entdeckten Milchlinge und Flämmlinge, die uns hier nicht weiter interessieren sollten.

Auch ein paar Exemplare des verbreiteten und auch eßbaren Hallimasch (Armillaria ssp.) lösten keine Laola-Welle aus.

Aus dem Rotbraunen Milchling (Lactarius rufus), der auch noch zu später Jahreszeit wächst, kann man nach Vorbehandlung um den scharfen Geschmack weg zu kriegen, was machen. Wir liessen ihn stehen.

Navi für Pilzsammler wird kurz Gesprächsthema; aber wo bleibt da der indianische Sportsgeist, was wäre gewesen, wenn Rotkäppchen ein Navi gehabt hätte, und was, wenn der Baum, an dem man hätte rechts abbiegen müssen, längst im Schredder des Forstmannes gelandet ist?! Fragen über Fragen…

Bei den bei Sammlern so beliebten Röhrenpilzen sah es nicht mehr gut aus: Überalterte Maronen (Xerocomus badius), allesamt mit Schimmelpilz und madiger Fleischeinlage, zeigten ob ihrer bisweilen beachtlichen Größe, was hier unter besseren klimatischen Bedingungen möglich gewesen wäre oder war.

Rotfußröhrlinge (Xerocomus chrysenteron), die bei Laien auch als Maronen durchgehen, obwohl sie nicht so aromatisch schmecken, sahen beim Anschneiden ebenfalls enttäuschend aus und mussten entsorgt werden. „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ grummelte unser Spezi. Das hätte zwar auch ein Lebensmotto sein können, aber aus Sammlersicht hatte er sicherlich recht. Als enthusiastische Laien und Lernende liessen wir uns jedoch den Spaß nicht nehmen.

Immerhin fanden wir als Nächstes einen Gallentäubling (Russula fellea), der so bitter schmeckt, wie er heißt, wenn man ein wenig auf seinem Fleisch herumkaut, Kategorie ungenießbar bis giftig. „Der Weg ist das Ziel!“ meinte Harry. Und so schlugen die ersten Durchhalteparolen wie philosophische Tiefschläge in das pilzhungrige Gemüt, während wir uns über matschige Waldwege in die Büsche schlugen. Irgendwo in der Nähe, in der Pony-Waldschänke, sollte es wohl gute Fritten geben. Aber noch waren wir nicht am Ende unserer Kräfte, geschweige denn unserer Lust auf Pilze.

Ein Täubling, laut Harry „schmackhaft“ und im Täublingstest von angenehm pilziger Milde, entschädigte zwar nicht für Alles aber sollte doch eventuell überstrapazierte Nerven erst einmal beruhigen. Mittlerweile regnete es auch praktisch fast nicht mehr.

Harry zeigte uns einen angefressenen Schwefelporling (Laetiporus sulphureus), einen Baumpilz, den man länger kochen muss, und der dann von der Konsistenz her ein bißchen an Hühnerfrikassee erinnert.

Der Horngraue Butter-Rübling (Rhodocollybia butyracea), der jetzt immer häufiger auftauchte, sagte uns Harry, sei eßbar, die Hüte gut für Pilzsuppe. „Jung und knacktig ist da zu bevorzugen!“, eine unverdorbene forrestale Lebensweisheit. Sandpilze (Suillus variegatus) von beachtlicher Größe tauchten auf, einige Kleine waren noch brauchbar.

Giftige und eßbare Trichterlinge wie der deutlich nach Anis riechende Grüne Anis-Trichterling (Clitocybe odora) kreuzten unseren Weg.

Ein kleiner putziger korallenartiger Gallertpilz, der orangegelbe Klebrige Hörnling (Calocera viscosa), verriet uns Harry, kann als Dekoelement beim Essen genutzt und gefahrlos mitverspeist werden.

Ein Birkenstamm war über und über mit Birkenporlingen (Piptoporus betulinus) bewachsen. Dieser Pilz wurde einst wundmedizinisch genutzt. Ötzi hatte ihn auf seinem letzten Marsch dabei.

„Ein Stern, der Deinen Namen trägt!“, hieß es wenig später, als wir auf eine wunderschöne Gruppe puffender Erdsterne (Geastrum) trafen.

Dann entdeckte Harry, was ungewöhnlich sei, an einem Kiefernstamm, einen Austernseitling (Pleurotus ostreatus). Leider sah er wie die meisten Pilze hier in der zwar massiv von Kettensägen zerfrästen und mit schweren Zugmaschinen ausgeräumten durch Straßen und Zäune zerteilten aber so sagt man ja trotzdem freien Natur nicht so appetitlich aus wie die Gezüchteten in ihren sterilen Plastikboxen aus dem Supermarkt. Aber das lag sicherlich auch am Wetter, das mittlerweile ein wenig aufklarte.

Da stieß ich auf einen darniederliegenden Stamm der mit reichlich wunderbaren ohrenförmigen und ohrengroßen Judasohren (Auricularia auricularia-judae) besetzt war, dem eigentlich nach nichts schmeckenden aber so angenehm gnubbeligen Chinasuppenpilz (Muh-Err, „Wolkenohr“). Im Süppchen knackig frisch, mundete er mir später sehr. Es war genug für alle Bedürftigen da. Sie mussten von Harry aber erst zu ihrem Glück überredet werden. Langsam füllten sich die Körbchen nun ein wenig, zumal mittlerweile auch oben erwähnte Schwefelköpfe hinzugekommen waren.

Der Zimtblättrige Hautkopf (Cortinarius cinnamomeus) ist allerdings giftig. Er gehört zu den Färbepilzen. Besonders tückische Vertreter der Gruppe der Hautköpfe führen erst nach 10-14 Tagen zu schwersten Vergiftungserscheiniungen, die Nierentransplantationen erforderlich machen können. Pilzfreunde erzählen sich solche Geschichten mit einem gewissen Galgenhumor.

Eine Gruppe schöner pusteliger Violetter Gallertbecher (Ascocoryne sarcoides) auf einem toten Birkenholzstamm war lediglich ein Augenschmaus.

Der giftige Schwefel-Ritterling (Tricholoma sulphureum) ist leicht an seinem eklig-chemischen Leuchtgasgestank erkennbar. Eine Geruchsprobe sollte sicherlich unbedingt beim Begutachten von Pilzen dazu gehören.

Der Brennende Rübling (Gymnopus peronatus) verrät sich durch seinen anhaltenden brennend-kratzigen Geschmack, wenn man ein Stückchen vorsichtig kaut und wieder ausspuckt. Das mochte nicht mal Harry ausprobieren.

Die Fuchsigen Trichterlinge (Lepista flaccida), vor denen wir skeptisch standen, kann man dagegen gut essen. „Mitnehmen!“ befahl der ansonsten herzliche und humorige Harry mit einem Unterton, der keine Widerrede zu dulden schien, denn stehen lassen kann man diese Burschen nicht, wenn man nicht vor sich selbst als totaler Ignorant da stehen will. Und wenn man schon den Fachmann dabei hat, kann wohl auch nichts schief gehen bei diesen sich untereinander sehr ähnlich sehenden und für den Laien leicht verwechselbaren und deshalb vor dieser Tour großzügig übersehenen Pilzen.

Die pilzunkundigen Daheimgebliebenen kann man gut mit dem schleimig-grünlichen Grünspan-Träuschling (Psilocybe aeruginosa) foppen, der verdächtig aussieht, aber eßbar ist.

Unser heimlicher Tagesabschnittsschwarm entdeckte nun auch noch ein schönes Hexenei und nahe bei zwei stattliche phallische Stinkmorcheln (Phallus impudicus). Harry pellte das Hexenei aus seinem schleimigen Mantel und zeigte uns, was man von der Stinkmorchel in statu nascendi als Aphrodosiakum für Männer in die Pfanne hauen kann. So wurde es noch am gleichen Tag befolgt. Tatsächlich schmeckte das Zeug aber irgendwie doch ein Stück weit so merkwürdig wie die Fliegen anlockende Morchel riecht, aber der Glaube versetzt ja angeblich Berge.

Am Ende traten wir dann an zum Gruppenfoto, verteilte Harry Visistenkarten und seine Eigenfunde nach Gusto und koberte nebenbei noch ein paar Passanten, die wohl durch die Notdurftbedürfnisse ihrer Hunde vor die Tür getrieben worden waren, während kurz etwas Blau durch die Wolkendecke brach. Ein angenehmer liebenswerter und super-fachkundiger Typ dieser Harry Käding und eine schöne Pilztour, für die man sich auch bei miesestem Wetter an einem Feiertag früh morgens aus dem Bett wälzen mag – Wiederholungsgefahr.

Links
http://www.harry-kaeding.de
http://www.dgfm-ev.de/index.php?id=giftpilze

 

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Fincahotels im Hinterland: Das andere Mallorca

www.aufdemhoevel.de, September 2006

Jenseits der Küste – das andere Mallorca

Ballermann, Sangria und proppenvolle Strände? Mallorca ist ganz anders, wenn man weiß, wo man suchen muss.

Juli 2006, Hochsaison, Ankunft in Palma de Mallorca und wir haben keine Unterkunft. Aber einen Mietwagen, den wir recht preiswert über www.doyouspain.com reserviert hatten. Abfahrt vom Flughafen Richtung Stadt, es ist spät. Wir sind in Top-Laune und müssen nur eine Nacht überbrücken, bevor wir auf ein Finca-Hotel im Landesinneren ziehen dürfen. Über zwei Wochen lang wollen wir verschiedene kleine Fincas, Hotels und Pensionen ansteuern, dabei möglichst gut Essen und viel Lesen.

In einem Anfall von Übermut steuern wir Richtung El Arenal. Etwas Kalkül ist auch dabei, denn die Zimmer sind vielleicht billig, sicher aber preiswert vor Ort. Vom Flughafen aus sind es nur ein paar Minuten bis in die Hochburg deutscher Auslandskultur. Nichts los rund um den Ballermann, trotz Hauptreisezeit wirkt es trostlos, ein paar Besoffkis, ein paar Bauchnabel.

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Wir halten vor einem kleinen Hotel in einer Nebenstraße, Pool vor der Tür, ich öffne die Eingangstür und stehe im Inferno: Ein riesiger Köter kommt auf mich zugewatschelt, aus den Boxen tönt Hühnerstall-Techno, auf dem Riesen-TV in der Ecke läuft RTL, vor dem Bartresen ein paar dumpfe Gestalten, der Geruch vom „Kleinen Feigling“ liegt in der Luft. Hinter der Bar ein freundliches Lächeln, ja, hier sei noch was frei, eine Nacht?, o.k., zahlbar im voraus, Frühstück von 8 bis 14 Uhr. „Nehmen wir!“ Koffer hoch, der Hund schnuppert an mir rum.

Lockeres Buffett, etwas schwitziger Käse, aber alles lecker. Und natürlich: Wärme auf der Terasse, endlich Sonne. Wenig Gründe hier längern rumzulungern, wir fahren Richtung Norden. Vor uns spannt sich der Bergrücken der Serra de Tramuntana. Da müssen wir rüber, um Richtung Soller zu kommen. Wir fahren lieber hindurch, der Tunnel kostet ein paar Euro, aber egal, man spart sich den Bergpass. Erst mal einen Cafe und ein paar Encimadas. Soller sollte als Blaupause für mallorcinische Kleinstädte dienen, dann wäre alles gut. Umgeben von Berggipfeln öffnet es sich Richtung Meer.

Ein typisches Großdörfchen, auf dessen Kirchplatz sich schon Morgens die Einwohner zum Plausch treffen. Kinder spielen, Stühle werden für eine abendliche Fiesta aufgebaut. Am Bahnhof fährt gerade eine antike Bahn ein, die, wie ich später erfahre, kein Touristengag ist, sondern regelmäßig (6 x täglich) zwischen Palma und Soller pendelt. Eine Siemens-Lok aus dem Jahre 1927 zieht die Wagons, pitturesk. Das Ding wird noch immer „Roter Blitz“ genannt. Unweit vom Bahnhof fährt ein genauso schräges und altes Gefährt, die Straßenbahn von Soller nach Port de Soller. Wir sind begeistert, als wir durch die engen Gassen stromern, ich komme mit einer Künstlerin ins Gespräch, die in ihrem offenen Atelier aus Olivenbäumen organische Kunstwerke formt. Sie empfiehlt uns ein Lokal am rechten Rande des Marktplatzes, in dem wir Tage später gute Tappas essen werden.

Steilküste bei Deia
Steilküste bei Deia

„Willkommen auf Can Coll“, sagt der Mann zu mir. Es ist Daniel Seeling, der zusammen mit seiner Frau das Finca-Hotel am Hang leitet. Es wirkt paradiesisch vor Ort: Palmen, Öl- und Feigenbäume, Zitrusfrüchte. Vom Pool aus, der zwischen alten Olivenbäume liegt, hat man einen Blick auf Soller, hier suche mir meine Liege aus und nehme mir vor, sie die nächsten drei Tage nicht mehr zu verlassen. Willkommen in Wellville von T.C. Boyle ist der Plan. Real und im virtuellen Raum. Die Hütte ist mehr als gepflegt: Grafiken an den Wänden, Bildbände, eine Bodega, eine offene Küche. Top-Styling, mir etwas zu durchdacht, aber für viele garantiert die Erfüllung aller Urlaubsträume.

Die diverse Teesorten überfordern mich zum Frühstück. Earl Grey funktioniert immer, dazu frisch gepressten Orangensaft. Luxus, lange wollen wir uns das nicht leisten. Wir schauen uns die anderen Zimmer an, alle nach Früchten und Düften benannt. Fernsicht, die Suite im Obergeschoss ist mit Teleskop ausgestattet. Am Pool liegt ein rund 50-jähriger Mann mit seiner Frau, der mir schon beim Frühstück aufgefallen war. Sie bewohnen die Suite, Morgens ist er heiß auf die FAZ. Erfolgreicher Geschäftsmann mit trockenem Zynismus, der erst im Urlaub richtig zur Geltung kommen, dann, wenn alles gut läuft und es trotzdem immer was zu verbessern gibt. Die griesgrämige Fresse konterkariert wunderbar mit der Badehosen, die mit Inka Mustern in Neonfarben überrascht. Beim Eincremen scheint er von seinem eigenen Körper angewider zu sein. Um besser drauf zu kommen, kümmere ich mich um den Sonnenschutz bei meiner Frau.

Strandbeben

Immerhin ist die Inselküste 555 Kilometer lang. Aber in der Hauptsaison ist es so gut wie unmöglich einen einsamen Strand auf Mallorca zu erwischen. Aber: Die Steilküste im Norden bietet schwer zugängliche Abschnitte, die zwar kein Sand-Feeling, dafür aber Einsamkeit und klares Wasser bieten. Zwischen Soller und Deja (Deia) windet sich eine Serpentine, die wenig befahren und höchst attraktiv ist. Teilweise ist Schritttempo angesagt, wir genießen die Langsamkeit und den vollklimatisierten Wagen – bis wir merken, dass die Klima-Anlage Mengen an Sprit verbraucht. Fahrtwind tut es auch. Bei „Es Canyaret“ und einem Hotel mit Namen Costa d’Or steigen wir hinab. Ein langer Kletterpfad führt hinunter, Trittsicherheit ist hier gefragt. Unten relaxen ein paar Spanier, Felssteine bieten Sichtschutz, gut so, die meisten sind nackt. Ein Tag Sonne. Auf dem Rückweg schauen wir uns das Hotel näher an, Wahnsinnslage mit Blick aufs Meer, sehr einsam gelegen. Wir merken uns das vor – wenn wir mal wieder volle Kassen aufweisen können.
Deia selbst gilt als sogenanntes „Künstlerdorf“. Das verspricht den Ausverkauf der Kreativität. Einige Promis haben sich hier und in der Nähe niedergelassen, Michael Douglas wird hier gesichtet, der Chef von Virgin-Recors. Na ja, ich würde ja lieber Lukas Podolski begegnen, der soll laut „Mallorca Magazin“ auf der Insel sein.

Im Gegensatz zu Orten wie Port d‘ Andratx hat Deia seinen Charme behalten, keine Neubau-Siedlungen verschandeln das Dorf. Wir schlendern zu einem Restaurant, was uns von einer Freundin empfohlen wurde, das Xelini. Wir Essen nur Tapas, davon aber viele. Klassiker wie die Gambas in Öl sind genauso lecker wie eingelegtes Hühnchen. Dazu der Wein des Hauses und alle sind zufrieden.

Schön, weil nicht benötigt: Zahnarztpraxis in La Palma
Schön, weil nicht benötigt: Zahnarztpraxis in La Palma

Nach ein paar Tagen suchen wir uns eine neue Unterkunft. Wir kommen im „El Encinar“ unter, einem Finca-Hotel in der Nähe von Arta. In der Nähe befinden sich gleich vier, der für Mallorca inzwischen obligaten Golfplätze. Uninteressant für uns, wir unternehmen Tagesausflüge an die Küste. Wie stolpern an einige Strände an der Ostküste, aber egal wie sie heißen, Cala Estany, Cala Nao oder Cala Bona, sie sind voll. So ein, zwei Mal haben wir nichts dagegen, zwischen eingeölten Leibern zu liegen, die ihren Kinder damit drohen, dass es „heute kein Eis gibt, wenn ihr jetzt nicht Ruhe gebt“, aber dann haben wir genug.
Die Cala Falco ist da ein Tipp, sie ist schwer zu finden: in der Nähe von Son Forteza Vell, kurz vor der Abzweigung nach Manacor, eine 300 Meter langer Feldweg, wir parken vor einem Tor, vier andere Autos stehen da. Nach einer zehnminütigen Wanderungen durch herrliche Landschaft erreichen wir die Bucht. Feiner Sandstrand, sechs Menschen, ein Traum. Bis in den Abend hinein sitzen wir hier.

Den nächsten Tag genießen wir die Finca, ich spiele mit dem Hund. Abends geht’s nach Capdepera, einem Bergdorf hinter Arta. Wir klettern auf die nahe Burg, der Hunger treibt uns ins Kikinda, ein Restaurant. Als ich sehe, dass drinnen ein Holzkohleofen brennt, vor dem ein symphatischer Spanier Pizzen belegt, weiß ich, was zu tun ist. Volltreffer.

Das Autofahren ist auf Mallorca kein Abenteuer mehr, es wird erheblich ruhiger gefahren als beispielsweise auf der Nachbarinsel Ibiza. Mehrere Autobahnen durchziehen die Insel, nicht schön, aber praktisch. Es wird immer weiter gewühlt, um auch den letzten Winkel bequem erreichbar zu machen. Wir schaukeln über die 220 nach Port de Pollenca (Puerto de Pollensa), um ein paar Freunde zu treffen. Der Strand ist lang, die Straße zwar direkt dahinter, aber das stört nicht. Die Strandpromenade ist niedlich, immer wieder durchbrechen kleine Buchten die Sicht, in denen sich deutsche, englische und spanische Familien tümmeln. Der Ort ist irgendwie reizend, wirkt mediteran. Wir verbingen den Tag spielend im Wasser, Abends fallen wir nur zwei Luftmatratzenlängen weiter in ein Hotel mit Namen „H. Bahia“, auf deren Terrasse wir köstliches erwarten. Wasser und Wein schmecken auch gut, die kalte Tomatensuppe geht noch durch, die Paella allerdings ist undiskutabel. Das ficht uns nicht an, wir beobachten die Scharen von versandeten Strandgängern, die erst mal zu Hause duschen wollen, bevor das leichte Hemd übergeworfen und das Restaurant der Wahl angesteuert wird. Quirlig hier, die Promenade wird immer voller, Musikanten spielen auf, die Sandburgerbauer lassen Münzen in ihre Objekte werden, überall im Blickfeld Billig-Uhren und Sonnenbrillen.

Tage vergehen, wir schauen uns aus Interesse noch ein paar Fincas und Landhotels an. Gut gefällt uns das Can Verderol in der Nähe von Inca. Die hohen Räume geben großzügige Gefühle, alles wirkt trotz der schweren Steine und des dunklen Holzes sehr licht. Leider sind die deutschen Herren ausgebucht.
Palma de Mallorca besuchen wir gleich mehrmals. Die Stadt freakt angenehm vor sich hin, natürlich auch hier die Touristenströme, aber in den ruhigeren Ecken der Stadt ist davon nichts zu merken. Gleich hinter dem Mühlenhügel erinnert es an das Hamburger Schanzenviertel. Zur Mittagszeit landen wir zufällig Bon Lloc, einem vegetarischen und politisch verdammt korrekten Restaurant. Sehr preiswert, sehr gut. Abends sitzen wir über Stunden im Celler Sa Premsa, einem urgemütlichen Schuppen mit unkomplizierter Hausmannskost.

Fazit: „Mallorca hat auch schöne Seiten“, das ist zwar ein Allgemeinplatz, aber die Insel bietet alleine schon aufgrund ihrer Größe tatsächlich einen ewigen Fundus für Entdecker. In Bettenburgen braucht sich keiner mehr quälen, die vielen Finca-Hotels und kleinen Ressorts sind zwar meistens nicht ganz billig, bieten aber dafür Ruhe, Natur und nette Gäste. Strandleben, dass heißt auf Mallorca eng zusammenrücken. Nur an den steinigen Steilküsten findet man ruhige, aber auch schwer erreichbare Plätze.

 

Tipps für Mallorca

Reiseführer
Mallorca
Dumont Verlag, 2006
Rund 12 EUR.

Webseiten
Bei der Suche nach Fincas und Landhotels ist www.mallorcadream.de zu empfehlen. Übersichtlich, gute Auswahl der stilvollsten Ressorts, die Beschreibungen der Anlagen sind stimmig.

Restaurants
Bon Lloc
Sant Felin 4
Palma de Mallorca
Tel: +34 971-718617
Das klingt ja meist schon abschreckend: „vegetarisch“, aber das Bon Lloc in Palma de Mallorca ist lecker. Auf dem Speiseplan stehen täglich wechselnde Menus, preiswertes, gesundes Essen wird serviert. Viele Studenten und Künstler, gerade Mittags gut gefüllt.

Celler Sa Premsa
Plaza Obispo Berenguer de Palou 8
Palma de Mallorca
Tel. +34 971 723 529
www.cellersapremsa.com
Uriges Lokal, umgeben von alten Weinfässers sitzt man unter stetig schaufelnden Ventilatoren. Einfaches, gutes, spanisches Essen. Amüsante Kellner. Preiswert.

Portixol
Hotel und Restaurant
Calle Sirena 27
Palma de Mallorca
Tel: + 34 971-271800
www.portixol.com
Fein designtes Hotel, die Segler kommen vom nahen Hafen rüber. Liegt etwas am Rand von Palma. Hervorragendes Restaurant. Blick auf’s Wasser. Das alles hat seinen Preis.

Restaurant Kikinda
Placa de L’orient 6
Capdepera
Tel: +34 971-563014
Unkompliziertes Restaurant auf dem kleinen Dorfplatz von Capdepera. Spezialität: Pizza aus dem Holzofen. Restaurant Xelini
Archiduque Luis Salvador
Deià
Tel. +34 971-639 139
www.xelini.com
Vielleicht die besten Tapas der Insel. Die Promis in Deia wollen’s halt wissen.

Hotels
Sardeviu
Carrer Vives 14
7100 Soller
Tel: +34 971-638326
www.sollernet.com/sardeviu
Das S’Ardeviu ist ein gemütliches Hotel im Zentrum der Stadt, ganz in der Nähe des schönes Hauptplatzes. Suchen sie sich ein gutes Zimmer aus, die sind unterschiedlich.

Can Verderol
Ctra. De Santa Maria a Portol
07320 Santa Maria del Cami
Tel: +34 971-621204
www.canverderol.com
Sehr ruhig gelegenes Finca Landhotel zwischen Palma und Inca. Schöner Pool, gediegene Räume, alles sehr großzügig. Anwesen aus dem 15. Jahrhundert. 9 Doppelzimmer und 2 Junior-Suiten.

Can Coll
Cami de Can Coll 1
07100 Sóller
Tel.: +34 971 633 244
www.cancoll.com Hostal Bahia
Paseo Vora Mar
07470 Pollenca
www.hopoesa.es
Kleines Hotel am Hafen von Pollenca. Direkt an der Fußgängerpromenade. Strand vor der Tür. Das Essen ist nicht berühmt, am man sitzt gut.

El Encinar
Ctra. Son Servera
ARTÀ (PM 404 – 1)
Bei km 3 in die CAMÍ DEL RAFAL
TEL: + 34 971-18 38 60
www.elencinardearta.com
Malerisch gelegenes Fincahotel in der Nähe von Arta. Panoramablick auf die Berge und das Meer. Pool. Netter Besitzer. Nur 10 Zimmer, die gut verteilt in mehreren Häusern liegen.

 

 

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Mixed Reisen

Nach dem unblutige Putsch in Thailand ist wieder einmal König Bhumibol gefragt. Wer ist dieser Mann?

telepolis, 20.09.2006

Der Monarch, das Militär, die Demokratie

Nach dem unblutige Putsch in Thailand ist wieder einmal König Bhumibol gefragt

Der eloquente Thaksin Shinawatra scherzte gerade mit den Diplomaten und Geschäftsleuten in New York, als ihn die Nachricht von seiner fristlosen Kündigung erreichte. Die Armeeführung hatte Thailands Ministerpräsidenten abgesetzt, gerade einmal zehn Panzer in Bangkok und ein paar königstreue Lieder im landeseigenen Armee-TV haben ausgereicht, um das seit Monaten andauernde Machtvakuum zu beenden. 15 Jahre lang hatte sich das Militär das demokratische Treiben im Land angeschaut, nun folgte der 20. Staatsstreich seit 1932.

Shinawatra hat sich nach London abgesetzt und wartet ab. Noch schweigt der Palast unter König Bhumibol, ihm wird aber bei der Re-Demokratisierung des Landes eine entscheidene Rolle zukommen. Ein „Rat für demokratische Reformen unter der Monarchie“ unter Generalleutnant Sonthi Boonyaratglin erklärte: „Wir haben nicht die Absicht zu regieren, sondern werden die Macht sobald wie möglich an das Volk zurückgeben, um den Frieden wiederherzustellen und die Ehre des Königs, dem Verehrtesten aller Thais.“

Das Berufen auf den König ist seit Jahrzehnten die Allzweckwaffe in Thailand, um sich der Unterstützung der Gesellschaft sicher zu sein und zugleich soziale Ruhe zu verordnen. Auch die aktuell putschenden Soldaten tragen gelbe Bändchen, um ihre Solidarität mit der Monarchie zu bekunden. Die in protestfreudigen Studenten Bangkoks wurden aufgefordert Demonstrationen zu unterlassen, sie sollten sich aber am „demokratischen Wiederaufbau des Landes“ beteiligen. Die Medien wurden aufgefordert „wahrheitsgemäßt und konstruktiv zu berichten, um die Einheit des Landes zu fördern“. Die Webseiten der großen Tageszeitungen Bangkok Post, The Nation sind erreichbar.

Obwohl Bhumibol Adulyadej der am längsten regierende Monarch der Erde ist, bleibt seine zentrale Funktion im politischen Systems Thailands seit Jahrzehnten unbeleuchtet. Der Journalist Paul M. Handley hat genauer hingesehen und legte vor kurzem die erste umfassende Biographie des Königs vor (Paul M. Handley: The King Never Smiles). In Thailand hat man bereits reagiert: Das Buch ist nicht zu erwerben, Teile der Website des Verlages sind gesperrt.

Wahrhaft neues aus dem politischen Intimbereich des Palastes deckt Handley nicht auf, seine Recherchen stützen sich auf akribische Auswertung von Sekundärliteratur und Print-Medien. Warum dann die Aufregung um das Buch? Es reicht aus, dass Handley ein zum Teil differenziertes, zum Teil skandalbemühtes Bild zeichnet: Ein König, der zwischen buddhistisch-thailändischer Tradition und Hightech-Moderne, dem starken Militär und der demokratischen Bewegung balanciert will. Dabei steht Bhumibols Handeln stets unter der Prämisse Einfluss auf die Prozesse im Land zu behalten.

Die Amtsgeschäfte übernahm der neunte Spross der Chakri-Dynastie im Juni 1946. Seine Anhänger suchten den thailändischen Staat wieder mehr um den Thron herum zu organisieren. Wer immer dazu bereit war der Monarchie mehr Macht zuzubilligen, der war als Verbündeter willkommen. Zugleich passte die Person Bhumibols gut in die Pläne: Er sprach der Tradition des Theravada-Buddhismus zu und meditierte regelmäßig. Vierfünftel der Thais lebten damals auf dem Land, ihr Leben war rund um den Wat, die buddhistische Tempelanlage, organisiert. Hier viel die Idee eines selbstlosen, von politischen Querelen weithin unberührten König auf fruchtbaren Boden. Die lokale Verwaltung galt schon damals als inkompetent, Gesetze oder gar eine demokratische Verfassung als unberechenbar.

Trauriger Mann

Selten, dann aber mit weisen Worten, wandte sich der junge König an sie, seine Hilfsprojekte überzogen merklich das Land. Er gilt bis heute als Fels in der Brandung in unsicheren Zeiten: Stets diszipliniert, gleichmütig und vor allem über alle Maßen ernsthaft. Die gerne fröhlichen Thailänder sahen in diesen Eigenschaften eine Nähe zur Buddha-Natur. Eine Sicht, die vom Palast gerne gestützt wurde.

Es ist bis heute unklar, inwieweit Bhumibols kontinuierlich traurige Nachdenklichkeit eine mediale Konstruktion oder eine ihm innewohnende Eigenheit ist. So oder so sorgte die PR-Abteilung des Palastes schon früh dafür, dass keine Fotos eines lächelndes Monarchen mehr in die Öffentlichkeit gelangten. So entstand zwischen den 60er und 80er Jahren ein sakraler Nimbus, der sich bis heute zu einer religiösen Verehrung weiterentwickelt hat.

Für westlich-verweltlichte Beobachter ist es mehr als ungewöhnlich, wenn in Bangkok ganze Straßenzüge bei der Durchfahrt des königliche Autokorsos niederknien. Verehrung und Etikette gehen so weit, dass Bhumibol einmal annähernd an einem Kreislaufkollaps gestorben sein soll, weil niemand der Anwesenden ihm helfen wollte – die Regeln am Hof verbieten die Berührung des Königs. Abseits solcher Anekdoten ist mittlerweile klar, dass neben dem Volk auch der König selbst an seine Rolle als Vater der Nation glaubt.

Seit Beginn seiner Amtsübernahme steht Bhumibol unter scharfer Beobachtung der Militärs, die in Thailands Politik bis heute eine wichtige Rolle bei der Besetzung der zentralen politischen Posten spielen. Der aktuelle Staatsstreich ist nur, so bleibt zu hoffen, ein weiteres Intermezzo auf dem langsamen Weg Thailands in eine monarchistische Demokratie.

Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen sammeln Bhumibol und seine Frau Sirikit jährlich Millionen von Baht ein, um damit Agrar- und andere Projekte zu finanzieren. Für die Thais ein Zeichen von Großmut, für Beoabchter nur ein weiterer Beweis für den unbedingten Willen des Königs, veraltete Wirtschaftskonzepte durchzusetzen und dies mit geschickter Public Relation zu verbinden. In den frühen 60ern, so behauptet Handley, hatte das Informationsministerium der USA die PR für die thailändische Regierung praktisch komplett übernommen. Equipment und Know-How wurden gestellt, über den Äther liefen entweder anti-kommunistische oder pro-monarchische Plattitüden.

USA als Verbündeter

In den Zeiten des Kalten Krieges positionierte Bhumibol sich deutlich gegen den Kommunismus, der aus seiner Sicht eine Gefahr für das Land darstellte. Im benachbarten Laos mobilisierte die nationalkommunistische Gruppe „Pathet Lao“ mit Unterstützung aus Hanoi die Massen, die Regierung in Bangkok bemüht sich um den Schulterschluss mit den USA. 10.000 US-Soldaten wurden 1962 auf Geheiß von John F. Kennedy eingeflogen. Schon zwei Jahre zuvor war die königliche Familie über einen Monat lang durch die USA gereist, Bhumibol, ein begeisterter Jazz-Musiker, hatte mit Benny Goodman spielen dürfen und neben Disney World auch IBM besucht. Der drohende Konflikt mit Laos kühlt schnell ab, die US-Truppen blieben. Im Gegenzug sandte Thailand im September 1967 10.000 Soldaten nach Saigon.

In den 60er Jahren wurden immer wieder Studenten, liberale Politiker und auch politisch aktive Mönche inhaftiert, die Führung des Landes wandert von einem Militär-Regime zum nächsten. Die protestierenden Hochschülern rät Bhumibol zu studieren statt zu demonstrieren. Es bildet sich ein Phänomen heraus, das sich bis in die heutige Zeit zieht: Der Palast steht, manchmal befürwortend, manchmal kritisch, aber meist schweigend an der Seite der Machthaber und bemüht sich, nicht in das Kräftefeld der rivalisierenden Parteien zu geraten.

1968 wird mit der neuen Verfassung ein Zweikammerparlament eingeführt. Die 219 Mitglieder des Unterhauses werden zwar gewählt, die 164 Senatoren des Oberhauses aber vom König eingesetzt. In der Praxis verfestigt dies die Macht des Premierministers und des Königs. Beide können zudem ein Veto gegen Gesetze einlegen. Aber der Samen für die freie Meinungsäußerung war gelegt. Für Bhumibol eine ambivalente Situation: Das ihn liebende Volk wollte Kritik üben, wenn nicht an ihm, so doch an den bestehenden Verhältnissen. In allen zukünftigen Auseinandersetzungen wähnten stets beide Seiten den König auf ihrer Seite. „Wir lieben den König“ und „Mehr Macht für den König“ sind bis heute gängige Transparent-Aufschriften auf Kundgebungen, die von allen Parteien genutzt werden.

Bhumibol zeigte sich derweil besorgt, dass mit dem Easy-Going-Mentalität seiner Landsleute keine Staat zu machen sei. Er mokierte in öffentlichen Ansprachen, dass die buddhistische feine Art, kein Verlangen nach irdischen Gütern zu entwickeln (non-desire), keine Zukunftsträchtigkeit besäße. Er proklamierte „harte Arbeit“, ein unbedingter Einschnitt in die moralische Lebenswelt der buddhistisch geprägten Thailänder. Aber sie folgten ihrem König auch hier. Bangkok 2006

Im Oktober 1973 kam es in der Folge von Protesten von Studenten der Thamasat-Universität gegen den Amtsinhaber Feldmarschall Thanom Kittikachorn zu einem Machtwort des Königs, das seine Ruf als Bewahrer der Nation festigte und bis heute als der Wendepunkt in der thailändischen Demokratie-Geschichte gilt. Mehr als 70 Personen waren in einem Kugelhagel gestorben, Militärs hatten auf friedliche Demonstranten geschossen. Kittikachorn flüchtete in die USA, Bhumibol erklärte die Regierung für aufgelöst und ernannte den Sanya Dharmasakti, den Rektor der Thamasat-Universität, zum neuen Premierminister. Aber der Geist von Kittikachorn war nicht gebannt.

Autoren wie Handley sind sich sicher, dass auch diese Episode weniger die neuentdeckte Leidenschaft des Königs für die Belange der Demokratie bewies, sondern nur seine Ordnungsliebe. An einer sozio-politischen Wende im Land, so die Meinung, sei Bhumibol nicht interessiert gewesen, sondern an Stabilität und Wiederherstellung der Ordnung. So oder so: Seit dieser Zeit ist Bhumibol eine, wenn nicht sogar die zentrale Figur im politischen Systems Thailands.

Village Scouts

In den 70er Jahren folgte Bhumibol weiterhin den Klängen des Kalten Krieges und unterstütze die Bewegung der sogenannten „Village-Scouts“. Dies waren dörfliche Vereine, die strenge Traditionen bewahren und das Land vor der kommunistischen Gefahr schützen sollten. Zeitgleich gründeten sich Organisationen wie Krating Daeng (Red Gaur) und Navapol, die im Namen der nationalen Sicherheit Krawall und Vigilantentum gegen alles und jeden betrieben, der im Verdacht stand, anti-royalistisch oder kommunistisch zu sein. Der Palast schwieg wieder einmal; sogar noch, als die Gruppen anfingen, Sprengsätze während Studenten-Demonstrationen zu zünden.

Höhepunkt der anti-kommunistischen Hysterie war der 6. Oktober 1976. Arbeiter und Studenten hatten sich in den letzten Wochen vereinigt, um gegen die Rückkehr des Ex-Premiers Thamon Kittikachorn zu protestieren. Dieser war in einer klassischen Mönchskutte aus dem Flieger gestiegen und direkt zum Wat Bovonives gefahren, um sich dort zum Priester weihen zu lassen. Kronprinz Vajiralongkorn machte ihm seine Aufwartung, die Bevölkerung war mehrheitlich entsetzt, die Universität wurde von mindestens 10.000 Studenten und Demonstranten besetzt.

Village Scouts, Krating Daeng, Navapol und das Militär strömten nach Bangkok. Kurz vor Sonnenuntergang begannen die Truppen und die lokale Polizei wahllos in die Menge zu schießen, Granaten wurden auf das Gelände gefeuert, flüchtende Menschen in den Rücken geschossen. Offizielle Zahlen sprachen von 46 Toten, inoffizielle von weit über 100. Die Macht ging in die Hände einer Gruppe von Generälen über, ein paar Tage später wurde der Favorit des Palastes, Tanin Kraivixien, zum neuen Premierminister ernannt.

Nur ein Jahr später kam es zu einem erneuten Putsch, dieses Mal übernahm ein gewisser General Kriangsak Jamanandana die Macht. Diese Website gibt eine gute Übersicht über die wechselvolle Geschichte des thailändischen Kabinetts. Die Tradition der ständigen Staatsstreiche setzte sich fort, die Taktik ist bis in die 90er Jahre hinein die gleiche geblieben: Zunächst Angst, dann Unruhe und schließlich Gewalt erzeugen, die Polizei machtlos halten, schließlich das Militär einsetzen.

Lèse-Majesté

Eines wird ausländischen Besuchern und Pressevertretern schon kurz nach dem Ankommen in Thailand klar – oder gerne auch zügig klar gemacht: Fragen nach oder Kritik an Monarchie oder König sind unerwünscht. Der gute König von Siam wird hoch verehrt, er gilt als Bewahrer des inneren Friedens des Landes. Seit dem 2. Weltkrieg diente der Tatbestand der „Majestätsbeleidigung“ verschiedenen Ministerpräsidenten und hohen Beamten dazu, unliebsame Gegner inhaftieren zu lassen. Dies geschah beispielsweise mit einem Mann, der öffentlich behauptet hatte, die Monarchie stehe nicht über der Politik. Die Folge: Drei Jahre Gefängnis. Ein Bauer wurde verurteilt, weil er seinen Hund nach dem König benannt hatte. 1984 wurde der Intellektuelle Sulak Sivarak verhaftet, er hatte dem Palast vorgeworfen, die neueren Entwicklungen in Thailand zu verschlafen. Der Wunsch nach Veränderung der sozialen Verhältnisse wurde von irregeleiteten Monarchisten immer wieder als Angriff auf den Thron gedeutet. Heute wird das Gesetz kaum noch angewandt, gleichwohl hält sich das Volk daran. Allerdings meist nicht aus Angst, sondern aus innerer Überzeugung. Die Verehrung gegenüber dem König sitzt so tief, das die meisten Thailänder die Beschneidung der Meinungsfreiheit einfach nicht empfinden.

Ein paar weitere Zahlen: 1988 lebten 25 Prozent der Familien unter der offiziellen Armutsgrenze, die Reichen 20 Prozent verdienten 56 Prozent des inländischen Einkommens. Jeder fünfte Schüler genoss nur vier Jahre Schule. In den Augen der Bevölkerung war es egal wer sie regierte, ihr Lebensverhältnisse blieben unter gewählten Ministerpräsidenten wie diktatorischen Generälen gleich schlecht. Ein erneuter Putsch des Militärs 1991 wurde von Bhumibol erduldet, in seiner traditionellen Geburtstagsrede am 4. Dezember bezeichnete er demokratischen Prinzipien als „hochintellektuelle Ideale, die eine Gesellschaft schwächen können“. Aus buddhistischer Sicht, so Bhumibol, seien auch Verfassungen zu unbeständig, um die Ordnung einer Gesellschaft zu garantieren. Kaufhaus in Bangkok

Nur ein Jahr später kam es erneut zu Protesten, die sich gegen die Regierung von General Suchinda richteten, wieder eröffnete das Militär das Feuer, Hunderte starben, Thailand stand am Rande eines Bürgerkriegs. Bhumibol lud Suchinda und den Oppositionsführer Chamlong zu einer Audienz, die später wohlüberlegt im Fernsehen gezeigt wurde: Beide Männer knieten vor dem König. Succhinda trat als Premierminister zurück, blieb aber als Verteidigungsministern im engen Dunstkreis der Machtelite. Es folgten Wahlen, Chuan Leekpai von der „Democrat Party“ wurde Premier.

2001 übernahm der bis vor kurzen amtierende populistische Premier Thaksin Shinawatra von der TRT-Partei („Thai Rak Thai“ = Thais lieben Thais) die Regierungsgeschäfte. Wie bei allen Premiers vor ihm durchziehen auch seine politische Existenz Finanz-Skandale und Korruptions-Affären. Der Medienmogul Sonthi Limthongkul lancierte 2005 eine Kampagne, die vor allem bei der urbanen Bevölkerung gut ankam: Man warf Shinawatra Amtsmissbrauch vor. Eigentlich nichts neues bei einem thailändischen Politiker, aber die Massen waren wieder einmal mobilisiert. Dazu kamen absurde Vorwürfe, die Shinawatra als Hintermann der Zerstörung des heiligen Phra Phrom Erawan Schreins denunzierten.

Im Februar 2006 beantragten 28 Senatoren beim Verfassungsgericht ein Amtsenthebungsverfahren, Shinawatra rief daraufhin Neuwahlen aus, die Opposition boykottierten die Wahl, die TRT gewann sie. Wieder griff Bhumibol ein, nach einer Audienz beim König erklärte Shinawatra seinen Rücktritt. Später erklärte das Verfassungsgericht die Wahlen für ungültig, nun sollte am 15. Oktober 2006 neu gewählt werden. Umfragen deuteten auf einen erneuten Sieg der TRT hin. (Einen guten Überblick über die Krise gibt dieser Wikipedia-Eintrag.

Welche Parteien zu den nun von General Sonthi Boonyaratglin für Ende Oktober angesetzten Neuwahlen zuglassen und welche Rolle die TRT und die „People’s Alliance for Democracy“ (PAD) dabei spielen werden ist unklar. Einen längeren Einsatz des Militärs, so scheint es zur Zeit, wird das Land nicht erdulden müssen. Wichtig war den Putschisten primär die endgültige Entmachtung Shinawatras – darin war man sich mit König Bhumibol einig.

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Reisen

Gefahr im Paradies – Das Reiseziel Thailand im Wandel

HanfBlatt, Nr.103, September 2006

Gefahr im Paradies

Thailand gilt trotz Kommerz und Prostitution als kommodes Reiseland. Aber der Traum vom Travelerparadies zerbröselt langsam, denn undenkbares geschieht: Thailändische und europäische Geschäftsleute bekriegen sich, auf den Urlaubsinseln kommt es zu Vergewaltigungen, die Polizei jagt Kiffer.

Zwei Opas hocken auf dem Boden und sortieren ihr Gepäck. Nach der Reinraum-Atmosphäre des Flughafen München wirkt der Bangkok Airport wie ein vernachlässigter Busbahnhof. Eine Halle weiter gießt eine US-Althippiefrau mit dem Wasser aus ihrer Trinkflaschen die Plastik-Blumen, vor der Tür singen junge Soldaten leise Thai-Lieder und kichern, dazu taktet ein Verkehrs-Polizist mit seiner Trillerpfeife. Über der Szenerie hängt eine ultraschwüle Dunstglocke, wir sind glücklich, wir sind durch den Zoll, wir sind angekommen. Mal wieder Thailand gebucht.

Wir rasen mit einem Taxi in die Stadt, über uns, in einer zweiten Etage, die Gebühren-Autobahn. Drogen sind verboten, aber auf dem Nachtmarkt am Patpong stieren viele Thais aus Speed-Augen fröhlich-angepannt in der Gegend rum. Touris wie wir sind Beute, man versucht uns in eine Ping-Pong-Show zu zerren, aber meine Freundin hat wenig Lust darauf, Tischtennisbälle mit dem Druck südlich gelegener Organe durch den Raum schießen zu sehen. Wir lassen uns lieber weiter durch die Nacht treiben.

Am nächsten Tag: Weiterfahrt nach Ko Chang, einer Insel vor der Küste von Kambodscha, die noch zu Thailand gehört. Touristisch voll erschlossen ist das Leben gleichwohl angenehm, wer ruhige Ecken sucht, der findet sie im Süden der Insel. Entspannung, Lesen, Schwimmen im klaren Wasser, frischer Fisch. Alles gut und schön, aber ich träume des Nachts heftig und habe meine Medikamente vergessen.


Strand auf Ko Chang

Die Bar am Lonely Beach muffelt, aber hier Essen wir den besten „Fried Rice“ der Reise. Ein gekonnt in den Sitzpolstern hängender Australier hört sich mein Leiden an. Der Mann lebt seit drei Jahren in Thailand und stimmt mir zu, dass Inhalations-Kräuter gegen meine vielen Träume helfen sollten. Zufällig hat er eine Probe dabei. Australisches Killer-Weed, meine Freundin schläft gleich ein, ich versinke in Gesprächsfaulheit. Tropische Hitze und Jetlag. Der Mann murmelt von den Problemen, die in Thailand mittlerweile herrschen, wenn man Gras erwerben möchte.

Ein Barkeeper, der aussieht als hätte er Bob Marley das kiffen beigebracht, schüttelt entgeistert den Kopf. „No Weed, no“, sagt er und umgeht weitere Nachfragen. Weitere Bemühungen um ein Pfeifchen sind erfolglos. Was ist los in Thailand, dem Ballermann für Traveller? Wo ist der Treibstoff allen lässigen Daseins? Die Antwort liegt im politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbruch, den das Land seit einigen Jahren erlebt.

Bis 1994 qualmen auf den legendären Full-Moon Parties auf der Insel Ko Phangan die Chillums, Rave-, Naturliebhaber und Drogenfreaks aller Länder versammeln sich bei Vollmond am damals noch wunderschönen Hadrin-Beach und feiern das Leben und die Liebe. Aber es kommt wie so oft: Die Vermassung der Veranstaltung führt zu Problemen. Schon 1999 empfinde ich Hadrin als dreckiges Nest, indem sich brunstige Halbstarke aneinander schubbern. Polizeikontrollen sind obligat, aber den Herren geht es nicht um Ordnung, sondern um Geld. Hunderte von Party-Kleinkiffern sitzen seither immer wieder in den Gefängnissen Thailands.

Im Jahre 2003 kommt es dann zu einer politischen Aktion, die bis heute vor allem in den Köpfen der Thais nachwirkt, die sonst eine eher lässige Einstellung gegenüber Genussmitteln pflegen. Premierminister Thaksin Shinawatra ruft seine „Antidrogenkampagne“ aus. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit tötet die Polizei und das Militär daraufhin zwischen 2003 und 2004 mehr als 2500 Menschen. Die junge Demokratie Thailands kommt in solchen Momenten ohne rechtsstaatliche Verfahren aus. Aus Sicht der Regierung sind dies alles „Drogenhändler“, Menschenrechtsorganisationen bezweifeln das.

Denn: Die Säuberungsaktionen wütet vor allem im Süden der Republik. In diesen hautpsächlich muslimischen Povinzen des Landes herrschen seit Jahren bürgerkriegsähnlichge Zustände. Mindestens 1500 Menschen sind hier bei Bombenanschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen umgekommen. Oft ist unklar, wer hier wann gegen wen kämpft. Die Regierung in Bangkok hat die Kontrolle verloren und flüchtet sich in Gewaltakte und Ausreden. Fakt ist: 1902 annektiert Siam das südliche Königreich Pattani, eine umfangreiche kulturelle Kolonialisierung fand statt, die Malaien mussten Thai-Namen annehmen und wurden auch wirtschaftlich unterdrückt. Heute gehört die Region zu den ärmsten im Land.

Parallel dazu ändern sich auf den klassischen Urlaubs-Inseln und der Küstenregion rund um Phuket die Spielregeln. Ko Samui, eine Insel im Golf von Thailand, die rund ein Drittel so groß wie Rügen ist, wird jährlich von mehr als eine Millionen Urlaubern frequentiert, 60 Prozent davon kommen aus Großbritannien. Sie treffen auf knapp 30.000 Insulaner. Die Probleme häufen sich seit es Ausländern („Farang“ genannt) erlaubt ist Grundstücke zu erwerben. Innerhalb der letzten vier Jahren sind über 30 Prozent des Grund und Bodens an Ausländern übergegangen. Hotels, Bars, Villen, Ressorts: Die Lebensgrundlage der Thais wandert langsam in fremde Hände.

Neid kommt auf. Vandalismus, Einbrüche, Überfälle, früher auf Ko Samui äußert selten, mehren sich. Seit 2005 kam es zu mindestens drei Vergewaltigungen, im Januar diesen Jahres wird die 21-jährige Britin Katherin Horton missbraucht und anschließend getötet. Zwei Fischer , die nicht von Ko Samui stammen, gestehen den Mord, sie werden in einem kurzen Prozess zum Tode verurteilt und warten seither in der Zelle auf ihre Berufungsverhandlung.


Südküste von Ko Samui

Ein Team von Polizisten aus Bangkok reist an, der alte Polizeichef wird gefeuert. Aber auch die wissen: Auf Ko Samui stehen inzwischen reiche einheimische Familien und Ausländer im versteckt geführten Kampf. Und: Das asiatische Naturell konfrontiert sich und andere nur äußerst ungern mit Problemen. Zeitungen werden zu freundlichen Berichten gezwungen, die Arbeit von Journalisten vor Ort behindert.

Cannabis gehört seitdem die ersten Hippies die weißen Sandstrände Thailands entdeckten zum Service-Paket der Thailänder hinzu. Das „You name it, we got it“ stieß nur dann auf Grenzen, wenn Polizei in der Nähe oder zu große Mengen geordert wurden. Der Schmusekurs scheint vorbei, denn mit dem Zuzug von immer mehr Fremdlingen nimmt auch die Bereitschaft zu, diese als unliebsame Konkurrenz zu identifizieren.

Schusslinie

Auf dem Rückweg nach Deutschland hauen wir uns noch eine Nacht in Bangkok um die Ohren. Mittlerweile für das Thema sensitiv erfahre ich, dass erst vor zwei Wochen eine Frau aus dem australischen Brisbane vor einem Club im Stadtteil Kanchanburi erschossen wurde. Die Backpackerin geriet in die Salve eines Motorradfahrers, der im Vorbeifahren blindlings in die Menge schoss. Der englische Inhaber des „Up2You“ will von nichts wissen, aber die Gerüchte in der Stadt sprechen schon lange von rivalisierenden Gastro-Banden.

Die Ereignisse treffen Thailand in einer stürmischen Zeit. Korruptionsskandale, ständige Neuwahlen, abdankende und wiederkehrende Premierminister, Verfassungskrisen. Dazu Wahlstimmenkauf, Korruption, Vetternwirtschaft. In Thailand ist es üblich, Aufträge an die Verwaltung mit kleinen Geschenken zu versehen. Reibungslosigkeit soll garantiert werden.

Auf dem Weg zum Bahnhof geraten wir in eine der vielen Demonstration, die seit Monaten Bangkok immer wieder lahm legen. Auslöser der Massenproteste waren Aktiengeschäfte der Familie des Premierministers. Der ohnehin millionenschwere Unternehmer-Clan hatte seine Anteile des Telekommunikationskonzern Shin Corp an Temasek Holdings, eine Staatsholding aus Singapur, verkauft. Der Wert des Pakets: satte 1,6 Milliarden Euro. Der Clou: Weil nur Privatpersonen agierten, war der Handel nach thailändischem Recht auch noch steuerfrei. In den Augen vieler Thailänder brachte dies das Fass zum Überlaufen, gab es doch seit längerem Vorwürfe gegen Thaksin, seine Amtsgewalt zu missbrauchen, um sein Vermögen und das seiner Günstlinge zu mehren. Heute besteht in Thailand eine allzu enge Verbindung von staatlicher Macht und Großkapital.

Das südostasiatische Land hat in den sechs Jahrzehnten unter König Bhumibol 15 Verfassungen, 18 Staatsstreiche und 25 Regierungschefs erlebt. Jüngst wurde Thaksin Shinawatra aus dem Amt gejagt, eine Militär-Junta leitet das Land und verspricht Wahlen im Oktober 2007. Der König war der einzige Fixstern, an dem sich die Bevölkerung in turbulenten Zeiten orientieren konnte, die Verkörperung des nationalen Stolzes. Noch bestimmt das freundliche Lächeln dem Umgang der Thais untereinander und mit den Gästen. Aber der Einfall devisenstarker Westler und die unausgereifte demokratische Streitkultur werden nicht für ewig von dem Walten Bhumibols überdeckt werden können.

Das Verhalten des Kronprinzen jedenfalls gibt Anlass zur Sorge. Der 53 Jahre alte Offizier hat meistens seinen Hund „Fufu“ dabei, der im Dienstrang eines Hauptmanns steht und bei wichtigen Anlässen in Galauniform und Lackstiefelchen auftritt.

 

 

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Reisen

Die Allerschönste: Santorin

PETRA, März 2006

Die Allerschönste

Lange her, seit Santorin diesen Beinamen bekam. Doch bis heute haben die schroffen Felswände, gerahmt von unendlichem Blau, nichts von ihrem Reiz verloren. Ausspannen, shoppen und feiern – auf dieser Insel ist alles möglich.

Einmal am Tag bleibt für einen kurzen Augenblick die Zeit stehen. Ein warmes Orange legt sich wie ein Tuch auf die steilen Felsen der Insel, auf die würfelfömigen, weißen Häuser – und auf die Seele. In der kleinen Inselhauptstadt Thira kehrt für eine Weile völlige Ruhe ein. Selbst die umtriebigen Kellner auf den Restaurant-Terassen schauen jeden Abend aufs Neue besonnen Richtung Westen. Zusammen mit ihren Gästen sinken sie in einen pastellfarbenen Himmel ein, der sich langsam ins Violette wandelt. Bis der feurige Ball zwischen rostbraunen Vulkaninseln im Meer versinkt. Der Sonnenuntergang auf Santorin gehört zu den spektakulärsten Naturschauspielen weltweit.

Doch dieses seltsam mythische Santorin-Gefühl überkommt einen schon bevor man die Insel überhaupt zum ersten Mal betreten hat. Wenn die Fähre langsam Richtung Hafen in die Caldera einfährt, in jenen ehemaligen Vulkankrater, der bei einer Eruption vor über 3000 Jahren in der Ägäis versank. Und dessen Überreste noch heute schroff und rätselhaft vor Santorin aus dem Wasser ragen. Als wollten sie an das sagenumwobene Atlantis erinnern, das hier auf dem Meeresgrund liegen soll. So die ungewisse Legende. Nur eine von den vielen in der an Göttern und Sagen reichen Welt Griechenlands.

Eines steht aber fest: Hoch über der Caldera, an den bis zu 300 Meter hohen Kraterwänden, thront einer der schönsten Orte des Landes. Thira, mit seinen weißen Würfelhäusern, die wie Schwalbennester am Hang kleben. Dazu die türkisblaue Ägäis und die rostbraune Inselwand aus Lavagestein – ein fast unwirkliches Bild. Und ein bisschen bedrohlich, dieser Schauplatz einer uralten Katastrophe.

 

Santorin
Foto: Aschwin Prein

Vielleicht zieht es die Menschen deshalb nach der Ankunft im Hafen sofort in die sicheren Höhen von Thira und in die anderen Orte der 71 Quadratkilometer großen Insel. In dem sonst ruhigen Hafen herrscht dann für eine knappe Stunde hektisches Gewimmel. Urlauber auf Zimmersuche werden umworben, die Fähre spuckt Autos aus, es bildet sich ein Korso, der fröhlich hupend die Serpentinen hochschlängelt.

Wer ruhiger ankommen möchte, schwebt mit der Seilbahn vom Hafen ins Himmelreich. Sie wurde 1979 von zwei Reedern gestiftet, die den Gästen ihres Hotels „Atlantis“ mehr Komfort bieten und zugleich allen Bewohnern etwas Gutes tun wollten – alle Einnahmen aus dem Betrieb gehen noch heute an karitative Einrichtungen auf der Insel. Das in den 50er Jahren vom Architekten Joannis Venetsanos erbaute Hotel Atlantis genießt einen legendären Ruf. Alle 28 Zimmer sind zur Caldera ausgerichtet, das schicke Interieur stammt von den amerikanischen Architekten Robsjohn-Gibbings und Pullin. Das Flair der imposanten Räume: eine Mischung aus Rock Hudson-Film und Manns Zauberberg.

Das Leben auf Santorin wandelt sich mit den Jahreszeiten. Im Frühling blüht die karge Insel für zwei Monate auf. Das liegt zum einen an den grünen Feldern und der aufkeimenden Vegetationen, zum anderen an den Athenern, die einmal im Jahr auf ihre Heimatinsel zurückkehren. Vor allem zum Osterfest kommen viele auf dem Festland arbeitende Griechen in ihre Dörfer zurück und wecken die Insel aus ihrem Winterschlaf. Am Ostersonntag feiert die ganze Insel, ein echter Geheimtipp für alle, die Griechenlands traditionelles Gesicht kennenlernen wollen.

Ende April und den ganzen Mai über zeigt sich Santorin von seiner schönsten Seite. Mohnblumen, Margariten, sattes Gras, die Temperatur liegt bei angenehmen 26 Grad, das Strandleben erwacht langsam. Die meisten Badebuchten teilt man sich dann mit wenigen anderen Sonnenanbetern. Nur am schwarzen Sandstrand von Perissa und am White Beach westlich von Akrotiri geht es auch früh im Jahr schon lebhafter zu. Strandbars, kleine Tavernen, Wasserskiverleih, Surfschulen. Rund um die Insel weht im Sommer eine gut beherrschbare Brise.

Abends wandelt sich die Insel, aus dem feinsandigen Paradies wird die mystisch Schaumgeborene. Obwohl nicht mit den klassischen Party-Insel Mykonos vergleichbar, hat sich auf Santorin eine kleine Beach-Bar und Club-Szene etabliert. Zum Reingleiten in den Abend bestens geeignet ist das „Kira Thira“. Leckere Cocktails, die Musik ist eher jazzig als elektronisch. Der Besitzer hat in Berlin Kunst studiert und plaudert gern über Kunst und seine Skulpturen. Lauter geht es im nicht weit entfernten Klassiker der Insel zu, dem „Enigma“. Eine in den Bimsstein gehauene höhlenartige Bar mit luftigem Innenhof und kleiner Tanzfläche, auf der sich im Hochsommer Griechen und Touristen mischen. Vor der Tür wimmelt es bis tief in die Nacht von Nachtschwärmern, die Club-Hopping betreiben. Zum Beispiels ins nur ein paar Schritte entfernt liegenden „Studio 33“. Die Tanzfläche dort ist schon vor Mitternacht brechend voll. Aber Vorsicht: Hier läuft ausschließlich griechische Musik, von Urlaubern angedeutete Tsirtaki-Schrittfolgen tragen zur Belustigung aller bei.

Im Dörfchen Oia an der nördlichen Spitze bleibt es das ganze Jahr über verträumt. Der Blick in die Caldera ist ebenso schön wie in Thira, nur schwappen die täglichen Besucherströme aus den Kreuzfahrtschiffen nicht bis hier. Weiß gekalkte, steile Treppen, Weinterassen, blaue Kirchenkuppeln. Auf Santorin teilen sich knapp 8000 Einwohner über 300 Kirchen, viele davon nicht größer als eine Abstellkammer. Allein in Oia gibt es 70. Im Sommer finden hier bis zu 40 Trauungen in der Woche Stadt. Eine Art Las Vegas für Griechen – sie lieben es, sich in dem romantischen Ort das Ja-Wort zu geben.

Vom Hafen aus fahren Boote zu kleinen Inseln, zum Beispiel zum Mini-Eiland „Nea Kameni“. Wörtlich bedeutet das soviel wie „Die neue Heißgeborene“. Tatsächlich steigen hier die Schwefeldämpfe des noch aktiven Vulkans aus dem Boden. Eine Mondlandschaft tut sich auf. Auf dem Nachbarbrocken „Palea Kameni“ („Die alte Heißgeborene“) gibt es heiße Quellen, der graue Schlamm blubbert wie eine Lavalampe. „Sehr gesund“, versichert der Kapitain, seine Passagiere glauben ihm und hüpfen in den zähen Schlick.

Das malerische Oia ist auch die Künsterkolonie der Insel. Wie viele anderen Galerien auch stellt das Künstlerehepaar Stavros und Bella Galanopoulos seine Werke in der Gasse parallel zum Kraterrand aus. Die fotorealistischen, reliefartigen Gemälde spielen oft mit erdigen Materialien – sehenswert. Gleich nebenan hat eine Künstlerin aus Thessaloníki ihre Galerie eröffnet. Sie fertigt filigranen Schmuck aus Lavagestein. Um die Ecke im liegt das „1800“, ein Restaurant mit alten Fresken und stilvoller Atmosphäre. Dimitri ist hier Stammgast. Er ist Bauunternehmer in Athen, aber der Zauber von Santorin hat es ihm angetan. „Ich komme jedes Jahr ein paar Tage her, vor allem, um die neuen Weine zu probieren.“

Wer mit griechischen Wein nur Udo Jürgens und Kopfschmerzen verbindet wird seit ein paar Jahren eines besseren belehrt. Auf dem kargen Boden von Santorin wachsen bei richtiger Pflege hervorragende Traube. Unter den Aussteigern des griechischen Großstadtleben gilt der Weinanbau auf den Kykladen als chic, mittlerweile sind sogar internationale Weinfans auf die jungen Griechen und ihre Weingüter im Landesinneren aufmerksam geworden. Es existieren über 40 gute Sorten, die Tage des harzigen Retsinas sind gezählt. Zumindest auf Santorin.

Während seines Urlaubs wohnt Dimitri im höchsten Dorf der Insel, in Pyrgos. Auf der Fahrt dorthin schwebt man über der tiefblauen Ägäis, kleine Trampelpfade führen zur Steilküste. Das weiße Sonnenlicht geht nahtlos in den hellen Horizont über, alles ist elementar, reduziert auf Erde, Luft, Wasser und Licht. Wie selbstverständlich wirken auf einmal die Geschichten von Göttern, die hier ihr ätherisches Leben führen. Steuert der Sonnengott Helios vielleicht tatsächlich seinen Wagen übers Meer? Reitet er früh Morgens mit seinen flammenden Rösser aus dem Tor seines Palastes, um Abends mit ihnen hinterm Horizont zu landen?

In Pyrgos werden noch heute Häuser in den weichen Bimsstein geschlagen, das ist nicht nur kühl im Sommer, sondern gilt auch als erdbebensicher. Die verwinkelten Kopfsteinwege zwischen den Gebäuden bieten kaum Schatten, Erfrischung gibt es im „Zannos Melathron“, einem Patrizierhaus aus dem 19. Jahrhundert, das zu einer eleganten Residenz umgebaut wurde. Designt hat das Luxus-Hotel Yannis Tseklenis, der gerne als der Philippe Starck der zeitgenössischen griechischen Kunst bezeichnet wird.

Erheblich rustikaler ist Taverne in der die nicht weit entfernt liegenden Ortschaft „Exo Gonia“. Am Eingang sitzt ein alter Mann und lässt seine Bernsteinkette Kugel für Kugel durch die Finger laufen. Dimitri feiert hier in großer Runde den Geburtstag eines Freundes. Oft ist das Essen auf Santorin nichtssagend und dazu noch teuer, hier aber werden die Gäste überrascht. Der knackige Bauernsalat ist mit Kapernblättern verfeinert, die gebackene Keftedes aus Tomaten und Fava-Bohnen sind köstlich. Später gibt es Ouzo für alle in der Taverne. Der Abend aber ist dem Sonnenuntergang an der Caldera vorbehalten. Und wieder taucht die Sonne ins Meer. Ja, es ist kitschig, aber alle wissen nun, warum die Phönizier die Insel „Kalliste“, die Schöne, nannten.

Jörg Auf dem Hövel

 

Santorin

 

Tipps für Santorini

Reisezeit: Saison ist von Mai bis September, ideal sind Mai und Juni, im Juli und August ist die Insel sehr belebt.

Hinkommen: In der Saison dreistündige nonstop Charterflüge von vielen deutschen Flughäfen aus. Für die spektakuläre Hafenankunft bietet sich die Fahrt ab Piräus per Schnellboot (4 Std.) oder Fähre (10 Std.) an. Ab Kreta fahren ebenfalls Schnellboote, die rund 2 Stunden brauchen.

Hotels
Hotel Atlantis, Thira, Tel: 0030-22860 22111 Modernisiertes Designer-Hotel aus den 50er Jahren. Wunderbarer Blick in die Caldera von allen Zimmer und der Frühstücksterrasse aus.

Hotel Ikies, Oia, www.ikies.com. Tel: 0030-22860-71311. Kleine, individuelle Oase am Rande von Oia mit Studios und Maisonette-Zimmern.

Hotel Katikies, Oia, www.katikies.com, Tel: 0030-22860- 71401, das fünf Sterne Hause darf sich seit Dezember 2005 „Small Luxury Hotel of the Year“ nennen. Sehr Exklusiv. Alle 22 Zimmer und Suiten haben private Verandas mit Meerblick.

Zannos Melathron, Pyrgos, Tel: : 0030 2286 028 220, Hotel und Restaurant im ältesten Dorf der Insel.

Villa Manos Karterados, Thira, Tel: 0030-22860-24666 www.villamanos.gr, Preiswert, einfach, gut.

Hotel Kafieris, Firostefani, Tel: 0030-22860-22189 Kleine Appartmentanlage mit Panoramablick, ruhig gelegen, nur 10 Gehminuten von Thira entfernt.

Cheledonias Villas, Oia, Tel: 0030-22860-71287, www.chelidonia.gr Traditionelle Höhlenwohnungen, stilvoll renoviert und ausgestattet. Sehr freundlich geführt von der Österreicherin Erika Möchel und Triantafilos, ihrem griechischen Mann.

Shopping: Des Nachts sind die Gassen der Hauptstadt Thira von den hellen Auslagen der Juwelierläden und internationalen Modeläden erleuchtet. Trendige Läden liegen etwas abseits vom Kraterrand am Treppenweg, der zum alten Hafen hinuterführt. Das benachbarte Oia ist für einheimisches Kunsthandwerk bekannt. Weine am besten direkt beim Erzeuger im Inselinnern erwerben.

Archäologie: Akrotiri, im Südwesten der Insel, ca. 15 Kilometer von Fira entfernt. Ausgrabung einer Handelsstadt aus der Bronzezeit, die vom Vulkan verschüttet wurde. Bis zu drei Stockwerke hohe Häuserfronten wurden schon entdeckt. Dienstag bis Sonntag, 8.30-15 Uhr, Eintritt 3,50 Euro.

Lektüre
Reiseführer: Schönrock/Fohrer, (2006) „Santorini“, einer, vielleicht sogar der detaillierteste Reiseführer.

Merian „Santorin“, März 2004, 7,95 EUR.

Geschichte und Mythos: Walter L. Friedrich, Feuer im Meer, Der Santorin-Vulkan, seine Naturgeschichte und die Atlantis-Legende, Oktober 2004, 50 EUR.

Henry Miller, „Der Koloß von Maroussi“, Rowohlt Verlag. Millers Reisebericht aus Griechenland ­ lesenswert.

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Reisen

Experimental Tourism in New York

Woman, November 2005

Zwei Menschen sollen sich im Big Apple wiederfinden

Claudia und Jörg Auf dem Hövel

Claudia: Den Spontantrip haben wir Joël Henry zu verdanken. Er ist Franzose und Erfinder und hat sich Experimental Travel ausgedacht. Eine spielerische, neue Art, fremde Orte zu erkunden – und eine Kampfansage an das pauschale Einerlei. 40 verschiedene Reisemethoden hat er zu diesem Zweck entwickelt, eine sollen wir testen: getrennt in eine fremde Stadt zu fahren und uns zu finden, indem wir unsere Intuition zum Reiseführer machen. Klingt verrückt. Und wahrscheinlich ist es auch dieser Henry aus Straßburg. Trotzdem war ich sofort begeistert von dem Auftrag. Mein Freund Jörg war nämlich noch nie in New York, ließ sich auch nie überreden. Aber hiermit habe ich ihn rumgekriegt. Und stehe nun an der 5th Avenue und versuche, im morgendlichen Straßenlärm meine Intuition zu hören.
Zuerst ins MoMa, dort könnte Jörg mich vermuten, oder Central Park, dahin könnte es ihn als Erstes ziehen. Hinweise vorher waren natürlich verboten, und schummeln finde ich blöd. Gestern Nacht allerdings, als es sich so seltsam anfühlte, am Flughafen in getrennte Taxis zu steigen und in unterschiedliche Hotels zu fahren, da kam kurz der Gedanke, dass es ja nie jemand erfahren müsste, wenn wir doch … Aber der Experimental Traveller in mir hat gesiegt.

Jörg: Internationalität kündigt sich an: Der Mexikaner im chinesischen Fahrradverleih nimmt Euros als Pfand für ein italienisches Rennrad mit japanischer Gangschaltung. Ich hoffe zu wissen: Claudi wird nach SoHo gehen. Dort sind Mode, Kunst, Cafés. Hoffentlich denkt sie nicht andersrum und sucht mich im Central Park. Egal, auch dahin werde ich fahren. Mit dem Rad bin ich schnell – meine Geheimwaffe, um dieses Spiel zu gewinnen. Frühstück in einem Diner in der Nähe des Union Square. Wie ein schlechter Detektiv schaue ich über die „New York Times“ hinweg auf die Straße, fehlt nur, dass ich ein Guckloch bohre. Mein Tischnachbar spricht mich an, das ist wohl normal hier, Student aus Brooklyn. Der Grund meines Aufenthalts bringt ihn zum Lachen: „Mann, hier sieht man seinen Nachbarn oft Monate nicht!“

Claudia: Im Park ist es noch ruhig, ich könnte ihn schon aus der Ferne sehen. Doch zwischen den Joggern und asiatischen Kindermädchen, die Park-Avenue-Babys vor sich herschieben, keine Spur. Ich muss meine Strategie überdenken: Wenn er an Orte geht, die ich mag, und ich seinen Interessen nachjage, wird’s schwierig. Ich sollte bei der Routenplanung wohl besser beides bedenken.

Jörg: Das ist also Manhattan, der schwer genießbare Kern des Big Apple. Zu viel Höhe, nach einer Stunde habe ich Nackenstarre. Es ist genau anders herum als gedacht: Die Stadt wirkt uralt und wächst von oben nach unten. Maroder Asphalt, überall wühlen Fernwärmetrupps durch den Untergrund, aus den Löchern dringen Dampfwolken. Die Last der Wolkenkratzer drückt in die Eingeweide der Stadt. Plötzlich ein Touristenmenge, ich schaue hoch. Das Empire State Building. Drinnen Art déco, grüner Marmor, alte Rolltreppen. Oben Turmfalken-Feeling, ich habe den Überblick. Aber keine Spur von ihr. Mein Herz klopft trotzdem schneller. Ist es die Stadt oder das Spiel?

Claudia: Es gibt ein paar Orte, die romantisch wären zum Sichwiederfinden: das Empire State Building, die Fähre nach Staten Island, der Eisring am Rockefeller Center, die Brooklyn Bridge. Wohin zuerst? Im frisch umgebauten MoMa schaue ich mir den neuen Skulpturengarten an und suche Bilder von Pollock. Den mögen wir beide. Danach zum Times Square. Keine gute Wahl, je näher ich dem blinkenden Straßenzug komme, umso dichter der Menschenstrom. Selbst wenn er drei Meter entfernt wäre, könnte ich ihn übersehen. Lieber nach Downtown?

Jörg: Ein Obdachloser schlurft mit seinen Plastiktüten am Trump Tower vorbei, drinnen laufen Wasserfälle über Blattgold-Applikationen, dazu Sinatra mit dem Lied über seine Stadt. Der Verkehr steht mehr, als dass er rollt. Tausende, nein, Millionen Stadtneurotiker eilen durch die Schluchten und sind enorm lässig dabei. Feuerwehr, Ambulanzen, Presslufthämmer. Ein steter Schalldruck läuft die Wände hoch, reflektiert an Fassaden und beschert der Stadt 24-stündiges Brummen, ein urbaner Tinnitus. Gotham City, Sin City? Hier können alle nur verrückt oder glücklich werden, gleichgültig bleibt keiner. Mir gefällt es plötzlich. Das Seltsame an diesem experimentellen Reisen: Man ist weder allein noch zusammen, merkwürdiger Zwischenzustand, aufregend und unbefriedigend zugleich.

Claudia: Mein Plan ist gut: Die kleinen Straßen, Cafés, Antiquariate im Village – hier fühlt es sich an, als würde Jörg gleich um die Ecke biegen. Ich stelle mich in die Schlange vor der Magnolia Bakery, die Leute reden über Wirbelsturm Wilma, seine Ausläufer sollen die Stadt bald erreichen. Die Cupcakes müssen grandios sein, bei diesem Wartewillen. Oder ist das sogar das Erfolgsgeheimnis der klebrigen Törtchen, dieser kurze Stillstand, bevor alle weiterrennen? Ich kaufe vorsichtshalber zwei. Und entdecke gegenüber Marc Jacobs. Meine Intuition sagt: shoppen! Ein schlechtes Suchgewissen muss ich nicht haben, sollte Jörg vorbeikommen, wird er wissen, wo er nachzusehen hat. Auch wenn es natürlich bitter für ihn wäre: „Ihr habt euch bei Marc Jacobs gefunden?“ Zwischen den Klamotten liegen Buttons, Aufkleber, Flugblätter mit Anti-Bush-Parolen. Jacobs mag seinen Präsidenten wohl nicht, der Tresen seines schicken Ladens sieht aus wie der Fußgängerzonenstand einer Bürgerintiative. Und als ich zahle, schenkt mir der Verkäufer einen Aufkleber und sagt „Peace“, mit Nachdruck, als echtes Anliegen. Und ich weiß, wohin ich als Nächstes muss.

Jörg: Langweilig ohne sie. Was für ein Spiel soll das werden? Ein hoffnungsloses Unterfangen in diesem Gewusel. Und soll es am Ende was über unsere Liebe sagen, wenn wir uns nicht finden? Nichts für schwache Nerven, dieses experimentelle Reisen. Was hatte sie im Koffer? Es ist kühl, sie wird die dunkle Jacke anziehen. Das Problem: Sie ist bereit, für modische Extravaganzen zu frieren. Ich achte auf jeden und daher nach einiger Zeit auf niemanden mehr. Der Trick mit dem Rad hat versagt, ich bringe es zurück. Die wahren Chefs der Stadt sind ohnehin die Cab-Driver. Vier Taxis, vier Nationen, ich fahre mit Hindus, Vietnamesen, Puerto-Ricanern und einem Belgier. Überall Schlaglöcher, Fahrten wie auf dem Rummel.

Claudia: Ich habe mich verlaufen, muss mich erst mal wieder orientieren. Ein Mann im Businessanzug hilft. „Geradeaus, dann kommen Sie direkt drauf zu.“ Auf das große Nichts, das sich zwischen den Häusern auftut. Ground Zero. Der Missing Link zwischen dem New York meines letzten Besuches und der Stadt, wie sie heute ist: nicht mehr nur sorglos-gigantisch, ernsthafter. Ein Metallzaun umgibt das Areal, der Wilma-Wind bläst den fliegenden Händlern ihre Taschen-Fakes davon. Hier machen sie gute Geschäfte, weil kein Ort der Stadt mehr Besucher anzieht. Keine Ahnung, wie man hier Lust auf eine Plastik-Birkin bekommen kann. Die megafonverstärkte Stimme eines religiösen Eiferers brüllt: „Nur Gott kann dich retten!“ Es ist kein guter Ort, um sich allein zu fühlen. Trotzdem bin ich auf einmal ganz bei mir. Es dämmert, ich bin erschöpft vom Suchen. Kino vielleicht? Ein Film, der zu low budget oder zu amerikanisch ist, um jemals nach Deutschland zu kommen.

Jörg: Im Meatpacking District sollen selbst unter der Woche schon weiße Hengste auf der Tanzfläche gesichtet worden sein, trotzdem wähle ich die Bar um die Ecke meines Hotels in Chelsea. Zwei lasche Biere, ein kindskopfgroßer Hamburger. Im Fernsehen läuft Football, die Straße habe ich im Blick. Der Mann neben mir an der Theke kauderwelscht vor sich hin. Später im Hotelbett stelle ich mir im Halbschlaf vor, wie Claudia sich gerade in einem Nobelrestaurant von einem Mr. Big Drinks spendieren lässt. Krude Interpretationen von Sehnsucht. Morgen wird dieses Spiel ein Ende haben. Finde ich sie nicht, greift Plan B: Den Umschlag mit dem Notfalltreffpunkt darf ich um 16 Uhr öffnen.

Claudia: Meine Nacht ist traumlos, der nächste Vormittag vergeht im Flug. Little Italy, Chinatown, East Village. Ich hab keinen Plan mehr, freu mich einfach, hier zu sein. Versuche mir zu merken, was ich Jörg alles erzählen muss.

Jörg: Ich bin genervt. Dieses Spiel kann vielleicht in Paderborn, eventuell noch in Zürich gewonnen werden. Aber in New York? Es gibt jedoch noch eine sehr gute Spielregel: Man darf die Regeln auch ändern. Ich öffne den Umschlag vor der vereinbarten Zeit. „Times Square, 18 Uhr“ steht dort. Ich fahre schon um 16 Uhr hin. Und plötzlich sehe ich sie. Wie gut ihr dieser suchende Blick steht.

Claudia: Es hat nicht geklappt. Funktioniert hat es dennoch. Ich war allein unterwegs, trotzdem war Jörg dabei. Ich habe New York gesehen und ihn und mich. Und als wir uns endlich trafen, war es aufregend, sogar sexy. Darum heißt das Spiel wohl „Ero-Tourism“. Wir sollten das noch mal probieren.

 

Tipps:

Wohnungen von Privatleuten und individuelle Stadttouren organisiert Erol Inanc, ein Münchner, der seit 14 Jahren in New York lebt: http://www.echtnewyork.com

 

Literatur:

Joel Henry, „Guide to Experimental Travel“
Lonely Planet 2005
Nur auf Englisch erhältlich
ISBN: 1741044502
Rund 15 EUR.