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Mixed Reisen

Wie München ist

Warum München die Hauptstadt Deutschlands ist

Oktober 2005

Sonnenpfützen schimmern auf Sitzflächen. Ein Cafe in Hamburg, Stühle und Bänke stehen vor der Fensterfront, Linden tröpfeln ihre klebrigen Tränen. Zum Espresso wird ein Glas Wasser gereicht, Tageszeitungen mit Holzhalter liegen auf den Tischen, hier bleibt man sitzen. Frank, ein Dreißiger mit wenig Haaren, hält mit dem Fahrrad an. „Ey, Frank, alter Lappen, was geht ab?“, tönt es fordernd neben ihm. Es ist Mark, ebenfalls in den ersten Zügen der 30, mehr Haare, nicht so dünn wie Frank, aber auch diesen stoppeligen Halbbartwuchs, Cordhemd in blau, alte Jeans, Clocks an den nackten Füßen. „Du bist zu spät“,

„Na und?“,

„Ich freu mich auch, dich zu sehen“.

Ein Aufstehen, ein Fahrradabschließen, ein Zugehen, eine Umarmung. „Erzähl!“

„Was denn?“

„Witzbold, wie war’s in München, du warst fast zwei Jahre dort. Also wie war´s? Wohnen, wo andere Urlaub machen? Oder was?“

„Es sei bei dir anders, aber ansonsten fällt mir auf, dass alle, die diese Frage stellen, ohnehin nur ihre Vorurteile bestätigt oder widerlegt haben wollen. Wer fragt heute schon noch, um dann zuzuhören? Aber ganz abgesehen davon, wie soll man ohne Vorurteile in eine Stadt einziehen? Denn Wünsche hatte ich nicht an die Stadt, ich wusste, es wird gut werden, weißt schon, wie ich meine. Schließlich bin ich es, der da hingeht.“

„Ja, ja, versteh schon, aber einen Batzen von schon mal Gehörtem bringt doch jeder mit in seine neue Bleibe. Normal.“

„Wir haben alles gehört: <München ist ein Dorf>, und <München ist spießig, aber das Umland ist toll>. Bei mir kam noch etwas dazu, das über Vorurteile hinaus ging, nämlich eine Abneigung gegen katholische Lehren und den damit zusammenhängenden Obrigkeitsglauben, der aus meiner Sicht von der Kirche aus seit Jahrhunderten virusartig auf das soziale Gefüge der bayerischen Gesellschaft übergegriffen hatte. Na ja, so ähnlich.
Um es schnell loszuwerden: Und irgendwie war es auch genau so, aber irgendwie war es genau anders. Keine Angst, es folgt jetzt keine differenzierte Abwägung von Gut und Schlecht für München, sondern es folgt eine hemmungs- und erbarmungslose Niedermachung einer Stadt, über der der Materialismus wie eine schwangere Blase hängt und das Licht der funkenden, selbstgenügsamen und daher zunächst immer auch nicht profitorientierten Idee für Jahre und vielleicht Jahrzehnte verdunkelt.“

„Na, das ist doch ein Scherz, es gibt auch in München Künstler und andere Penner.“

„Das war Mal. Gleich zu Beginn unserer Zeit dort ist Louis Marzaroli gestorben, ein Künstler aus Schwabing. Wenn ich traf, warnte er mich vor München. Sicher, das lag auch daran, das er auch privat nicht glücklich geworden war, aber er behauptete steif und fest, dass die künstlerische Szene in München eine reine Chimäre ist, ein potemkinsches Dorf, dass alle voreinander hin- und herschieben. Und selbst in der Vergangenheit lassen sich doch Beispiele der frustrierten Künstler finden. Lies doch mal Erich Kästners „Hausapotheke“, ein unfreiwilliger, aber furchterregender Beweis seiner Unlust am Leben in der Stadt. Ich sah Louis sterbliche Hülle im Krankenhaus, da passte keine Seele mehr rein, die saß am anderen Ende des Universums, so hoffte ich für ihn, bei Pasta und Rotwein, neben ihr eine schöne Frau.“

Die Bedienung, ein Rotwein, ein Astra, ein einparkendes Auto.

„Wie man sich dem Münchner Naturell am klügsten annähert?, fragst du mich. Das kann ich dir sagen, Mark. Mir reicht der Ausspruch: „Mir san mir“, in der freien Übersetzung so etwas wie <Wir haben’s voll raus>. Das ist der Fachausdruck für eine satte, bornierte Selbstzufriedenheit, gepaart mit krachlederndem Humor, immer rauf auf die Schenkel, har, har; Hauptsache wir bleiben subtil wie ein Panzerkreuzer. Ja, wir Bayern sind geschäftstüchtiger, schlauer, gottgläubig noch dazu! Neoliberale mit Hostienzugang, wenn es den Primat des Mammons nicht schon geben würde, für die Münchner müsste er erfunden werden.

Es ist ja auch kein Wunder, das die so satt sind. Die Verfettung der Bevölkerung ist sichtbar, selbst an heißen Sommertagen sieht man sie in den draußen in Restaurants oder Biergärten sitzen, um in praller Sonne schwitzend Schweinsbraten mit Soße zu fressen, dazu ein Liter Bier in sich reinschüttend und einen Krapfen hinterher werfend. Selbstzufrieden schmatzende, rosige Gesichter sind das, völlig mit dem Braten vor ihnen verschmelzende Zentauren, „Jo mei, is das a Hitz heut“ brummelnd, noch echte Stofftaschentücher aus der Hosentasche ziehend, Wildmosers in Herden, oft auch noch in Kostümen, Entschuldigung , Tracht nennt sich das ja, rumlaufend, „Zahlen, bitte“, kleines Trinkgeld an die Kroatin, das wär ja wohl gelacht, erstmal was leisten, „kann froha sein, dass sie hier ist, joa, hier sein darf (!). Lauter gestandener Mannsbilder und dralle Frauen, immer etwas älter wirkend. „Der hat´s geschafft,“ denkt der Mann und seine Denkblase wandert zum Fahrer des glänzenden Vehikels – „und der da nicht“, denkt sein Kind, das so herrlich brav an seiner Hand flaniert, den Fußgänger nachsehend. Da, mit einem sanften Ruck reißt es sich los, geht kurz ein Stück alleine des Weges, wundert sich über alles neu, wie bunt der Rock, wie schwarz der Mann, wie faltig der Opa, wie grün der Halm aus Plattenwegen. „Vorsichtig, da vorn, komm her“: die Mutter ruft, neu andocken, traute Sicherheit oder auch: hiergeblieben (!), du Wildfang, dich ordnen wir schon ein, und unter sowieso. Nachher gehen wir zu den Stoibers, eine Art Doku-Soap in Bayern, da wirst du lernen, wie man gerade bei Tisch sitzt, du Feuerkopf. Ab in den fetten BMW und davon brausend.“

„Ja, Ja, Frank, ich weiß Bescheid. Ein einziges Würgen.“

„Ja, klar, das sind jetzt Überzeichnungen, Mark, aber was tut das gut. Aber ich bleibe dabei: Nach oben buckeln, nach unten treten, so heißt es dort. Die Stadt bewegt sich zwischen genau zwei Polen: Duckmäusertum und Großmannssucht. Hier wollen sich die Erfolgreichen stets von den Erfolglosen unterscheiden. Letztere, und das ist das Neue, machen dieses Spiel auch noch mit. Sie schauen traurig aus der Wäsche, weil sie nicht so viel von diesem nutzlosen Dreck haben. Eine Kultur des Habens liegt wie eine feucht-schwangere Blase über der Stadt. Tropfen für Tropfen sondert sie ihr Sekret ab und alle, die davon lecken, werden mit einem Virus infiziert und der heißt: Neid.

„Was du Neid nennst, ist wahrscheinlich nur Broterwerb. Aber dir ist ja jede kaufmännische Haltung zuwider. Kaufen und Verkaufen, das ist für dich nur ein anderer Name für elegantes Bescheißen. Und Freude an der Arbeit zu haben ist blinde Unterwürfigkeit. Wenn ich nach deinen Tiraden auch mal etwas Sagen darf: der historische Prozess kennt nur eine Konstante: Veränderung, nicht Beharrung. Und die Welt befindet sich, diese Erkenntnis ist mittlerweile offensichtlich auch bei dir angekommen: im Wandel. Und dieser Wandel, ob wir das wollen oder nicht, ist ein ökonomischer. Und er bestimmt das Bewußtsein.“

„Komm mir doch nicht mit der <Welt im Wandel> Propaganda. Das musst du mir erstens nicht erzählen und zweitens: Das ist doch genauso wahr wie die „ewigen Werte“, und die hast du doch noch vor kurzem immer gepredigt, du Wendehammer. Wie denn nun? Dass das ökonomische Sein das Bewusstsein bestimmt, das kommt ja Gott sei Dank nicht von dir, sondern vom dem Mann mit dem Bart, aber auch hier gilt: Umgekehrt wird der zweite Schuh draus. Soll heißen: Wenn ich die Welt als gigantischen Tauschhandel sehen will, dann wird sie mir auch so erscheinen. Man stelle sich die Anwendung dieser Theorie auf alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens vor. Na, vielen Dank. Die Ökonomie unterliegt kulturellen und noch tausend anderen Bedingungen. Kapitalismus ist heute in erster Linie Konsumkapitalismus, im dem es um den Verkauf von aus meiner Sicht meist kranken Lebensanschauungen geht. Und vielleicht ist deine Argumentation vom „ewigen Wandel“ nur eine Bejahung des unablässigen ökonomischen Fortschritts, der auf diese Karte setzt.

Aber darauf wollte ich ja gar nicht hinaus. Das, was ich über München sagte, das gilt immer nur abstrakt, immer nur auf die Münchner als Gruppe bezogen. Sobald ich irgendeinen dieser Klöpse persönlich kennen lernten, stellte er sich als zwar sehr direkter, aber durchaus differenzierte Mensch heraus. Das Problem ist nur: meistens kam er oder sie dann gar nicht aus München, sondern war ein „Zugereister“, wie das so heißt. In knapp zwei Jahren habe ich nur zwei Münchner näher kennen gelernt. Einen Maurer aus Harlaching und eine Tischler und Designer aus dem Glockenbachviertel. Sie waren in München geboren, ich war alarmiert, aber trotz bösen Willens konnte und kann ich beiden Stadt-Vertretern nichts anhängen. Geordneter Bierkonsum, der eine wollte sogar kiffen. „Teert und federt ihn“, rufen da jetzt manche, aber die Drogenpolitik des Freistaates ist ein eigenes Thema, so abstrus, so hinter dem Mond, dass ich nicht weiter darüber reden möchte, weil ich mich nicht aufregen soll, sagt mein Arzt. Das erinnert mich an den Junkie, der aus Bayern flüchtete, der vertrug das Klima noch weniger als den schlechten Stoff.“

Ein Winken, die Bedienung: „Noch ein Bier, äh, bitte.“

„Mir auch noch Eines, bitte.“

„Du also wieder in Hamburg. Und hier ist alles besser, oder wie? Hier, wo man bewusst lässiges rumschlomt, ein Kiffergesicht macht und trotz erstklassiger Connection so Straight wie Rumsfeld ist? Hast du den Heroin-Chic der Schanze vermisst, oder was? Nebenbei, München hat eine Uni mit Zehntausenden von Studenten, du willst mir doch nicht erzählen, das die nicht ändern oder auch nur feiern wollen? “

„Ach, den bleibt kaum was anderes übrig, als sich Strähnchen zu färben. Absurd, die Schweinsteiger-Frisuren. Punk für Arme. Der gesamte Fankult um den FC Bayern lässt sich genau daran festmachen. Da geht’s nicht um die Identifikation mit der Seele bayerischer Spielkultur, sondern um die Identifikation mit dem Bankkonto und dem Pokalschrank des Vereins. Die Motzerei des Publikums ist schlimmer als beim HSV. Aber die Grundstimmung der Stadt ist sowieso wütend. Es ist Wut darüber, noch nicht so erfolgreich zu sein wie die anderen, Wut darüber, dass der Verkehr nicht richtig läuft, Wut darüber, dass die Großkopferten doch machen, was sie wollen. Wollte man München mit einem Ton beschreiben wäre es ein motziger Grunzlaut. „Dammischer Dreck“.

„Ich habe nach den Studenten gefragt. Aber egal, du willst mir erzählen die Stadtbevölkerung pöbelt den Tag so munter vor sich hin – so wie du jetzt?“

„Studenten? Da ist ja dagegen die Christian-Albrechts-Universität in Kiel ein brodelnder melting-pot. Wenn die ohne Schlips in der Jura-Vorlesung erscheinen ist das schon Revolution. Völlig konform. Sie atmen die gleiche Luft. Irgendein Museumsdirektor sagte mal: <Wenn man hier in München etwas gut findet, das unbekannt ist, ist das Gotteslästerung. Und wenn man hier etwas gut findet, was bekannt ist, dann ist es ein Hype. Eine interessante Stadt.>

Aber hör hin, ich habe ein Beispiel: Eine alte Oma führte bei uns um die Ecke in den Straßen ihren Hund Gassi. Wahrscheinlich pinkelte er ihr nicht schnell genug, auf jeden Fall motzte sie ihn die ganze Zeit an: „Du Saubuab, du dammischer Saubuab, jetzt komm hinni, du Saubuab.“ Ihre Tonlage vibrierte zwischen Aggression und Zuneigung, sie konnte ihre Liebe zu dem Tier nur in zeternder Form ausdrücken.“

„Das musste dir doch entgegen kommen.“

„Witzbold, ich pöbel vielleicht auch gerne, vielleicht um meinen Weltschmerz zu befreien, aber in mir wohnt doch keine aggressive Grundstimmung gegenüber den Dingen dieser Welt. Na, sei’s drum. Ich will hier jetzt auch gar nicht den Münchner das Gefühl für’s Schöne absprechen, aber es ist immer alles so brachial. Anstatt sich wie die Leute auf dem Land ihren Ursprüngen bewusst zu sein, denken die Freaks sie wären die Aufsteiger. Bei jedem Fest riecht es nach tumber Bauerntümelei, da vereint sich die motzende Grundhaltung mit kräftiger Fröhlichkeit und heraus kommt bestenfalls eine „zünftige Rauferei“, wie die das dann nennen.

„Du lässt ja kein gutes Haar an der Aktion. Wie bist du denn dort zwei Jahre durch die Gegend gerannt? Erzähl doch Mal was Positives!“

„Schwer, wenn man nicht kitschig werden will. Willst du was über die Landschaft hören, die fruchtbar-furchtbar, unfassbar schönen Berge?“

„Auch, aber lieber was aus der Stadt. Von den Menschen.“

„O.k., was ich sagen kann: Die Dickköpfigkeit der Münchner ist in gewisser Hinsicht charmant, denn sie ist kommunikativer als die Sturheit der nordischen Schlickrutscher. Im Biergarten kommt es schnell zum Erstkontakt mit den Aliens, ich sag’s dir. Das eine Mal saßen wir in einem solchen Garten unter Kastanienbäumen. Die Sonne schien, es war warm, brennend heiß sogar, aber unter den Bäumen war es kühler. Ein paar Metal-Freaks sprachen Tina und mich an. Der eine Langhaarige zeigte sich im Laufe des Gesprächs begeistert über den von uns auf dem Flohmarkt erstandene Salat-Schleuder. Aus seinem gepiercten Mund kam der Satz: „Die meisten Leute wissen ja nicht, dass ein feuchter Salat das Dressing überhaupt nicht richtig annehmen kann.“ He, he.

Ein anderes Mal saß ich alleine im Biergarten des Englischen Gartens, beim Chinesischen Turm. Ein Rentner hatte es sich auf der Bank schon bequem gemacht, es war Nachmittags, die Sonne schien mal wieder und sein Klappfahrrad stand direkt neben ihm. Ich setzte mich zwei Plätze neben ihn, wir schwiegen. Oben auf dem Turm spielte eine Kapelle, in Tracht, weißt du, täterä. Blasmusik, aber auch Interpretationen von bekannten Hits aus den 50ern. Na ja, nach der ersten Maß Bier tippte ich leicht mit den Fußspitzen mit. Der Rentner zog sich seine zweite Maß rein und blinzelte in die Sonne. So verging eine Stunde, vielleicht etwas mehr. Ich war bei der dritten Maß angelangt, die hatte ich aber schon als Radler panaschiert. Kleine Bläschen formten sich über meinem Kopf. Die Band spielte. Langsam wandte sich der Rentner zu mir, grinste, und sagte: „Is’ a herrlich Sach’ heit.“

“Mehr nicht?“

„Mehr nicht. Und ich konnte auch nicht antworten, ich war zu beeindruckt von seiner Weisheit, denn besser konnte man es nicht ausdrücken. Es war herrlich: Sonne, Bier, dazu a Musi; Herz, was willst du mehr?“

„Einfach, aber gut.“

„Gut, weil einfach. So gefallen mir die Bayern am besten.“

„Und dann?“

„Nix dann, irgendwann habe ich mich auf mein Fahrrad geschwungen und bin nach Hause geeiert. Wobei ich keine 100 Meter an der Isar entlang gefahren war, als wieder einer dieser Deppen mich anpöbelte, ich solle auf der richtigen Seite fahren. „Rechtsfahrgebot“, brüllte er. „Rechtsfahrgebot, wenn ich das schon höre, so eine biedere Klugscheißerei.“

„Jetzt kommst du wieder ins Pöbeln.“

„Ach, ist doch wahr. Und weißt du, woran das liegt? Radfahrer sind die ursprünglichen Verlierer in München. Das Auto hat Vorfahrt, wenn nicht nach den Verkehrs-, so dann doch nach den sozialen Regeln. Fahrradwege, so meine Meinung, sind hier und meinetwegen auch anderswo nur Abschiebungsmaßnahmen, nur dazu da, den Fluss der Abgasheinis nicht zu stören. Und um der drohenden Abdrängung ins soziale Abseits entgegen zu treten, bedienen sich die Radler des üblichen bayrischen Tricks: Sie rüsten auf. Hier wird auf technisch hohem Niveau gegurkt, Gore-Tex am Bein, Carbon unterm Arsch, Fleece über den Schultern. Eine ständige Selbstbehauptung. Und ihr Stück Radweg wird dann auch wieder den strikten Regeln unterworfen. „Falsche Straßenseite“, ich weiß nicht, wie oft ich mir das anhören musste, selbst wenn der Radweg zehn Meter breit war. Der Höhepunkt war als mich irgendein Depp sogar im Wald bei Schäftlarn, einem Vorort an der Isar, anpöbelte, ich solle auf ihn auf der richtigen Seite überholen. Ich voll in die Bremsen, brülle: „Was ist denn nun schon wieder, Mann, Leben und Leben lassen, begreift es doch Mal.“

Aber du wolltest etwas Positives hören. Gleich nebenan von unserer Wohnung am Sendlinger Tor öffnete jeden Morgen um 6.15 Uhr Ida ihren Milchladen. Eine Miniatur-Ausgabe eines Geschäftes, aber mit Herz geführt. Mit Edamer belegte, frische Brötchen, Paninis, Nudelsalate, alles von dem Frauenteam dort selbst gemacht. Eine Goldgrube, zurecht. Manchmal, wenn ich im Hinterhof auf dem Balkon saß, hörte ich die Schläge auf das nackte Fleisch der Schnitzel. Mittagstisch. Jeden Nachmittag um 16 Uhr schloss Ida, aber vorher versammelten sich immer ein paar Leute auf der anderen Straßenseite von dem Laden. Ich wunderte mich zunächst, bis ich mitbekam, das Ida und ihre Frauen die Reste des Tages immer an Hilfsbedürftige verteilten. Sie konnten sich aussuchen, was sie wollten und Ida packte es ihnen in genau die gleichen schönen bedruckten Tütchen, die die anderen Kunden erhielten.“

„Dir blieb anscheinend nur eine schmale Lücke zwischen Naturverherrlichung und Ablehnung der Stadtkultur, etwas abgefedert durch Sozialromantik?“

„Vielleicht. München fördert den Kampf alle gegen Alle, die bleibende soziale Ungleichheit wird durch christliches Mitleid und Fürsorge abgedämpft. Es herrscht das Geld, und die Ideale, die kommen später, auch die <leistet> man sich. Ja, ich weiß, was du jetzt sagen willst: <Erst das Brot, dann die Moral>; alles bekannt, aber den globalisierten Kapitalismus gab es doch wahrlich nicht vor dem ersten Erscheinen der Demokratie. Er fußt auf ihr und seine habgierigen Macher sind drauf und dran diese aufzulösen.“

„Ach, Frank, der Humanismus und die Aufklärung ist der geistige Ausfluss eines mit viel Mitteln und wenig Rechten ausgestatteten global kapitalisierten Bürgertums. Das nannte sich Merkantilismus, du Schlaumeier. Und er ist daher nicht ohne Grund in Handelszentren entstanden. Oder auch: Nur weil es schlechte Fußballer gibt, muss ich ja deswegen den Fußball nicht insgesamt Scheiße finden.“

„Es ist wieder nur die halbe Wahrheit, die du da rausstöhnst. Der Humanismus und die Aufklärung sind nur in ihrem bewusstem Rückgriff auf die griechische Philosophie zu verstehen. Muss ich dir das sagen? Und zu deinem Fußballbeispiel: Wenn in den Regeln des Fußballs eine immanente Ungerechtigkeit eingebaut wäre, dann, erst dann, würden wir nicht mehr hinschauen.“

„Die deutsche Wirklichkeit bietet auch in Bayer nachweislich Schwächeren die allergeringsten Aufstiegschancen im Vergleich zu allen anderen, zum Teil viel liberaleren Staaten. Einmal arm, immer arm. Sie ist die Gesellschaft mit den geringsten Geburtenraten. Uns stören die lauten, langweiligen Balgen doch nur. Bei uns sind in 20 Jahren die Hälfte, ich wiederhole: die Hälfte der Menschen über 60 Jahre, also fast alles Rentner. Wir werden ein Seniorenheim. Es gibt noch nicht einmal genügend Kindergartenplätze, die Schulen zerfallen. Bei mir bewerben sich deutsche Abiturienten, die DEVIENITIF der deutschen Sprache nicht mächtig sind – zumindest nicht in schriftlicher Form. Die Wissenschaftler, und zwar nicht nur Gentechniker, verlassen das Land. Ach nö, das ist alles so faktisch, so kalt?“

„Ja, das ist die Form, die ich hören will. Kann ich auch: Dieses Gerede vom Aussterben der Deutschen ist doch hahnebüchen, die sollen doch alle Kinder aus der 3. Welt adoptieren, wenn sie so heiß auf Muttisein sind. Einwanderer rein, heiße Afghanen sollen die 60-jährigen meinetwegen dusselig poppen.“

„Da fällt dir nichts Besseres ein, was? Meiner Meinung nach sind aber nur das die Bereiche, aus denen sich eine Gesellschaft erneuert, und zwar geistig erneuert. Das sind die klassisch-staatlichen Bereiche: Kinder, Jugend, Bildung, Forschung, Lehre. Das gibt es aber hier nicht mehr oder kaum noch. Der deutsche Staat hat dafür kein Geld mehr, weil 6 Millionen Arbeitslose und 20 Millionen Rentner finanziert werden müssen. Und es werden täglich mehr. Und jetzt sag mir bitte nicht, dass das am Neo-Liberalismus liegt. Komm bitte nicht mit dieser verfickten Platte. Lass dir Besseres einfallen, als Antwort auf diese Herausforderung.“

„Für eine Herausforderung müsste ich nachdenken, das hier schüttel ich so aus dem Ärmel. Erstens: Wieder stellst du mich hin, als ob ich gegen Unternehmertum in jeder Form bin. Blödsinn, aber hinter jedem Unternehmer steckt halt eine Idee, weshalb er den Laden aufmacht und führt. Selbstverwirklichung? Gemeinwohlmehrung? Leben, um zu arbeiten? Arbeiten, um zu leben? Oder aber eben Raffung von Geld, weil er dann irgendwann eben doch dem Geist des Kapitalismus erlegen ist; hier definiert als habgieriges Anhäufen von Besitztümern auf Kosten von Menschen und Umwelt. Das ist das Problem. Wer viel arbeitet, soll viel verdienen, auch einverstanden, aber daran krankt es nicht. Es krankt an den egoistischen Geistern in der Gesellschaft, die ihr Wohl über das aller anderer stellen, nur um sich den dritten Porsche zu kaufen.

Bücher und Reagenzgläser kosten Geld, korrekt. Woher nehmen? Aus den Steuern, korrekt. Wer zahlt die? Wir. Wer oft nicht: Die Großkonzerne. Wer hat sie über Jahre veruntreut? Die von uns gewählten Damen und Herren. Was tun? Ehrliche Politiker wählen, geht nicht, gut. Denn auch Sie denken wieder nur an sich oder sind meinetwegen auch nur gefangen im falschen System.“

„Quatsch. Eine Politik, die sich spät, aber nun immerhin hinstellt und sagt: Wir brauchen mehr Arbeit, mehr Arbeitsplätze. Und leider macht die nicht der liebe Gott und die macht auch nicht der Schröder und die Merkel und auch nicht der Fischer, deren Rotweinkeller sind prallgefüllt, sondern die machen Menschen wie Du und ich oder meinetwegen auch irgendwelche Scheißkonzerne. Alles nur damit der Staat zumindest einen Teil seiner Ausgaben finanzieren kann. Und es müssen alle mit weniger auskommen, die die bekommen und denen, denen es genommen wird. Aber es muss erstmal wieder Menschen geben, denen etwas genommen werden kann, um es denen geben zu können, die es brauchen. Ja, das ist alles profan materiell. Aber Scheiße noch einmal: Das ist doch deswegen trotzdem richtig. Es entspricht menschlichen Erfahrungswerten, wenn ich schon nicht mit Kategorien wie Wahrheit kommen darf. Ich kann das doch nicht alles verdrängen, nur weil es mir noch so gut geht und weil mir die Argumentation nicht gefällt. Was wollt ich sagen? Ach ja: So eine Politik finde ich verantwortungsvoll und ehrlich. Und nicht kalt und herzlos, wie mir irgendwelche ahnungslosen ignoranten Spinner erzählen wollen. Leute, die die Wahrheit ignorieren, verdrängen, verdrehen. Leute, die sich dann auch noch anmaßen, moralisch im Recht zu sein. Gerade auf dieser Anklagebank sitzend, finde ich die Standhaftigkeit einer solchen Politik verantwortungsvoll und ehrlich. Aber Du glaubst nach wie vor am Deutschen Wesen, soll die Welt genesen. Na denn Prost, solang es hier noch Bier gibt.“

„Ein weiteres unkonzentriertes Scheinargument gysischer Ausprägung.“

„Aber wie waren wir darauf gekommen? Richtig, es ging um München, für dich wahrscheinlich die neue Hauptstadt des am Neoliberalismus leidenden Deutschlands.“

„Stadt ist immer auch ein State of Mind. Und der kollektive Geisteszustand der Stadt ist ein ewiges Zur-Schau-tragen. Und zur Schau trägt man halt nur Erfolg. Der wiederum bemisst sich hier und auch sonst halt vor allem ökonomisch. Und das, Entschuldigung, wenn ich da jetzt noch mal einhake, empfinde ich als schädlich. Nach München passt dieses Zurschaustellen auch deshalb so hervorragend, weil es historisch eingebettet ist. Erstens in die Architektur: Die Stadt strotzt vor Kulissen und demnach fühlen sich auch alle wie Schauspieler. Ein eitler Maskenball. Zweitens politisch, weil es eine stringente Verbindung vom Wittelsbacher Herrscherhaus, mit so glanzvollen Gestalten wie Ludwig dem Zweiten, über Strauß bis Stoiber gibt. Und der Rest sind Hofstaat, Narren, so wie Mooshammer, und Promis, die den nötigen Größenwahn nur mit ner Prise Koks gebacken kriegen. Es is a Woansinn. Am meisten gefreut hat mich daher der Feinstaub-Alarm. München für ein paar Wochen als Hauptstadt des Rußes in Deutschland. Dabei hatte man sich doch so eine Mühe mit dem Dreck gegeben. Der eine Dreck ins Bahnhofsviertel, der andere ins Hasenbergl. Tja, aber der feine, der ganz feine Dreck, der hat sich halt in allen Ecken der Stadt schon festgesetzt.“

 

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Reisen

Mit Alex Jolig und Sam auf den Azoren

Showdown zur Glaubwürdigkeit

Vom Versuch sich zu vermarkten ohne sich selbst zu verkaufen. Mit „Container-Alex“ und seiner Freundin Sam auf den Azoren.

Es war ein „ganz normaler Sonntag“, wie Sam versichert, als Alex ihr einen Heiratsantrag machte. „Wir waren auf dem Weg vom Sonnenstudio in die Videothek, da sagte der Alex, dass heiraten ja auch nicht schlecht wäre.“ Sam will gerade mit der romantischen Geschichte fortfahren, aber die Dame von RTL ist nicht zufrieden und sagt deshalb „Schnitt, noch mal, bitte.“

Urlaub in der Wetterküche Europas, auf den Azoren, einer Inselgruppen auf halben Wege zwischen Europa und Amerika. „Container-Alex und Sam zur Verlobung auf den Trauminseln“, so sollen die Headlines prangen und darum hat die Tourismus-Zentrale der Azoren geladen. Seit Jahren stagniert der Touristenstrom, zusammen mit einer Münchener Medienagentur sind daher das Ziel und die Mittel festgelegt worden: Das Glamour-Paar soll den Bundesbürgern die Inseln wieder schmackhaft machen. „Promotion“, nennt sich das. Die Presse und deren Opfer kommen in einem Ressort an der Steilküste unter, wunderschön gelegen, ein aparter Erich Honecker-Charme durchweht die Räume und die Servietten sind stets aus gestärkten Leinen.

Alle verstehen sich gut, menschlich sowieso, denn Alex und Sam sind handzahm. Aber auch dienstlich probt man den Gleichklang. Den einen geht es um die Erhellung von mausgrauen Alltags-Wohnzimmern, um die Übertragung des Glanzes eines bunt-schillernden Pärchens auf abgeschuftete Gesichter. Den anderen geht es einfach darum, einen steten Platz im kollektiven Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft zu ergattern, dort zu hocken, wo Boris, Babs und Bohlen sich schon räkeln. Freizeit oder Arbeit? Das bleibt die nächsten Tage unklar, denn das Programm ist dicht gestrickt. Ab jetzt beobachten die mitgereisten Medien jeden Schritt der beiden. Das vierköpfige Kamerateam filmt für RTL-Explosiv, der einsame Journalist schreibt eifrig Notizen in seine Kladde. Erste Station: Der Hafen von Vila Franca, ein sechs Meter Schlauchboot. Es geht hinaus aufs Meer, „Dolphin-Watching“. Die kleinen Racker sind tatsächlich zugegen, ein 30 Tiere großes Rudel Fleckendelphine durchpflügt plötzlich das lauwarme Wasser. Der Bootsmann gibt Gas, den Kindern der Schaumkronen bringt die Geschwindigkeit von fast 80 Stundenkilometern sichtlich Spaß. Ein Delphin schießt sich drei Meter hoch und setzt eine Mords-Arschbombe ins Wasser. Die Kamera läuft, ein gewagter Schwenk zwischen Sams Beine. „Wir brauchen einen O-Ton!“, bestimmt die Frau von RTL. Also raus das Mikro: „Ein tolles Erlebnis“, sagt Sam. Danke, Schnitt.

Nächster Drehtort: Eine Kirche am See. Die Stimmung wird romantisch, Sam und ihr „Großer Bruder“ knutschen. Das Problem dabei: Der Azoren-Plot wird zunehmend beschaulich, dies will kein Programmdirektor sehen. So würde es hier niemand formulieren, aber eigentlich müssen entweder die Titten von Sam ins Bild, Alex sich beim Rafting einen Fuß brechen oder die beiden über ihre Erfahrungen mit Analsex plaudern. Soweit sind die Konstrukteure des medialen Vollgenuss´ auf ihrer Suche nach einer heißen Story hier erfreulicherweise noch nicht. Gleichwohl kann sich das B-Promi-Traumpaar nie sicher sein, ob die sie ständig umschwirrenden Medienvertreter nicht letztlich nur auf einen vielleicht neuen, sicherlich aber schäbigen Skandal warten.

Abendessen, der 1963 geborene Alex betritt der Raum. Eine mannhafte Mischung aus Zorro und Marlon Brando, Panzerkette um den Hals, Silberkette ums Handgelenk. RTL, Schreiberlinge und das verlobte Paar sitzen alle wieder an einem Tisch. Privatsphäre? Davon bleibt zunehmend wenig, denn Sam erzählt mit Begeisterung von Ereignissen aus Pool und Bad.

Brandy, eine Zigarre, kommod lehnt sich Alex zurück. Mittlerweile sitzt man in der Bar des Caloura-Hotels, die Lampen sehen aus als wären sie vom blinden Bruder von Verner Panton designt, rote Cordhocker bevölkern den kleinen Raum, hinter uns eine grob gemauerte Wand. Es dünkt, als dass gleich die unsichtbare Fahrstuhltür aufgleitet und Fantomas heraustritt. Das Meer, ja, das mag er, die fast unendliche Weite. Sein Wunschtraum? „Ein Bötchen“, sagt er bescheiden, „und dann rund um die Welt segeln.“ Meine fade Entgegnung: „ich steh ja mehr auf Berge“, lässt ihn schlingern; „ja“, sagt er, „Berge wären auch nicht schlecht“.

Er braucht die Medien, denn sie waren es, die ihn zu einem Macho, zu einem Diplomatensohn mit Heckspoiler stilisiert haben, niveauvoller als Slatko, aber eben doch nur ein Emporkömmling aus einer Reality-Soap. Im Zweifelsfalle konnte man ihn zu Talkshows einladen, um seine musikalischen Gehversuche, sein Filmauftritte oder seine Liaison mit Jenny Elvers zu belächeln. Der Mensch Jolig, der blieb dabei uninteressant, nur sein Image zählte.

Schon die Authentizität der 24-Stunden Kamera in der blechernen Big-Brother Beziehungskiste war nur eine Scheinbare. An den Mischpulten des Fernsehsenders wurde sehr genau darauf geachtet, welche Bilder über den Äther gingen. Die Damen putzten das Klo, während Alex in Macho-Pose mit Hand im Schritt auf dem Sofa schwieg. „Ich habe genau so im Haushalt gearbeitet wie alle anderen auch“, sagt Alex heute. Zu spät, die Zuschauer waren schon lange auf dem ersten kollektiven Voyeurismus-Trip der Nachkriegsära hängen geblieben. Höhepunkt des visuellen Saugens von platten Oberflächen war sicherlich, als die verliebte Kerstin dem guten Alex vor laufenden Nachtsicht-Kameras einen geblasen hat. Darauf hatten alle nur gewartet.

So entstand das Image vom attraktiven Pascha, der mit dem Motorrad unterm Arsch das pralle Leben in vollsten Zügen genießt. Darunter leidet er, mittlerweile ein wenig mehr als früher, denn ewig will er den Ballermann nicht mimen. Aber er ahnt, dass ein Star nur das ist, was über ihn bekannt wird – egal, ob dies wahr oder falsch, wichtig oder unwichtig ist, ganz egal auch, ob es dem Menschen dahinter gerecht wird. Aber im Gegensatz zu echten Stars bleibt bei vielen medialen Produkten des neuen Jahrtausend zunehmend unklar, weshalb sie überhaupt ihre exponierte Position in der Öffentlichkeit einnehmen.

Jenny Elvers, Ariane Sommer, Verona Feldbusch oder „Party-König“ Michael Ammer: Die Basis dieser Menschen, der „Rohstoff Person“, ist dünn, das um sie entwickelte Zeichensystem umso fragiler. Im Zeitalter des ungebrochenen Talkshow-Hypes sind diese Darsteller die Endprodukte der „Kultur der Schamlosigkeit“, wie der us-amerikanische Medientheoretiker Joshua Meyrowitz den Kult um die authentische Selbstoffenbarung nennt. In diesem Kult reklamiert der Einzelne Beachtung für sein Empfinden, seine Vorlieben und Abneigungen aus keinem anderen irgendwie einsehbaren Grund als der offensiven Freimütigkeit, mit der er seine Befindlichkeiten öffenlich zur Schau stellt. „Seht her, denn ich steh´ nur auf Männer mit Glubschaugen!“

Diese Intimisierung bleibt nicht ohne Folgen für die Teilnehmer, gibt sie doch den Medien die Möglichkeit in die Hand, je nach Gutsto ihre Sittengerichte als Lustspiel oder Melodram zu kreieren. So stellt sich für die Promis die Frage: Wie im Gespräch bleiben ohne zum Gespött zu werden? Darüber grübelt Alex nach, darüber grübelt Sam nach. Was bleibt, ist ein dickes Fell.

Das illustre Gespann bietet sich aber aus noch einem anderen Grund dazu an, als stets beladbarer Container für Hohn und Spott herhalten zu müssen. Hinter den beiden steht keine mächtige Plattenfirma, kein großer Industriekonzern, der den Medien mit dem Entzug der Werbeschaltungen drohen kann. Das Magazin, welches sich dagegen allzu ungeniert verlogen über die sexuellen Vorlieben von Julio Iglesias äußert, nun, das darf mit einen Telefonanruf aus der PR-Abteilung von Sony rechnen. Dabei sind Alex und Sam wahrlich keine Witzfiguren, es sei denn, man hält die normalen Typen aus Nachbarschaft für unbedingt verarschenswert. Sam, 26, gerne keck, manchmal dreist, erinnert an an das gutaussehende Mädchen, das jeder noch aus seiner Schule kennt, als denn an ein blondes Luder, zu dem sie die Klatsch-Postillen gerne generieren. Alex ist freundlich, hilfsbereit, jovial. Er packt bei den Koffern mit an, er begrüßt die Kutscher, er streichelt die Pferde, und er tut dies auch, wenn die Kameras nicht in der Nähe sind. Als Paar sind sie in erster Linie verliebt, zudem aber zunehmend entsetzt darüber, wie die Presse mit ihnen umgeht. „Die machen mit uns was sie wollen.“ Nach dem zweiten Brandy schlägt Alex deshalb vor, man solle mal was „über den Menschen Alex Jolig“ schreiben. Darüber, weshalb er in den Container gegangen sei. Seine damalige Sinnkrise habe bisher noch niemanden interessiert. „Ich war so fertig mit mir und dem Leben, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder ich gebe mir die Kugel oder ich gehe ins Kloster.“ Ob er durch 68 Tage mit den Ordensbrüdern Slatko und Jürgen zu sich selbst gefunden, das lässt er am Ende des Abends offen. Er will nicht wahr haben, dass selbst eine Personality-Story im Stile von Margot Dünser oder Michael Steinbrecher nur eine neue Inszenierung wäre, eine neue Konstruktion von Glaubwürdigkeit; gut vielleicht, um einen Imagewechsel herbei zu führen, aber wahrscheinlich kein Stück näher an seinem subjektiv empfundenen Selbstbild.

Frühstück, dann die nächste Station: Eine Hazienda im Inselinneren, auf der stolze Rösser ihr Stroh futtern. Der käseweiße Verwalter deutet uns als Überfallkommando und gibt sich zugeknöpft. Sam entdeckt schnell einen stattlichen Gaul in den Boxen, der Cowboy aber deutet auf eine 21-jährigen Mähre mit Karies. Der Gedanke, dass Alex einen seiner Klepper wohlmöglich von hinten besteigt, treibt ihm die Schweißtropfen auf die hagere Brust. Egal, RTL will bunte Bilderchen und Hans Alexander Jolig soll jetzt reiten. Also ausziehen. Sam schlüpft in enge Jeans, Alex zwängt sich in eine Military-Tarnhose und ein zu enges T-Shirt. „Mist, beim Einsammeln in diesen Show-Rooms weiß man nie so ganz genau, ob die Klamotten später passen.“ Der Rücken vom Klepper biegt sich so sehr durch, dass die Bauchdecke fast den Boden streift, Alex ist nicht besonders glücklich mit seiner Haltung. Zu allem Überfluss will das RTL-Team Alex verkehrt rum auf dem Pferd sehen, ein wahrhaft explosiver Gag. Der portugiesische Cowboy ist dermaßen begeistert, dass die Stimmung endgültig im Keller ist. RTL fordert wieder O-Ton. Das Wuschelmikro schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar, „Kamera läuft“, die Zwei geben sich begeistert. Ja, toll sei es, dass Sam ihm das Reiten beibringe, nein, nie würde er seine motorisierten gegen diese eine Pferdestärke aufgeben. „Wir wollten mal weg von dem Trubel“, spricht er dann noch, während das Kamerateam und die Pressebegleitung im Hintergrund stehen. Schnitt.

Und so geht es weiter mit dem Event-Hopping. Von schwefelhaltigen Dampfterrassen, Massagezentren und anderen Spa-Einrichtungen, über Teefabriken ohne sichtbar lebende Teepflanzen, bishin zur einheimischen Grützwurst mit Schweinefleisch, alles sechs Stunden im Erdloch gebacken und nur mit Senf zu genießen. Aus dem vermeintlichen Urlaubs-Trip wird ein für alle stressiges Ereignis. Inmitten des auf Zelluloid gebannten Wahnwitzes taumeln Sam und Alex – gebeutelt von den Anforderungen und manchmal recht verloren dastehend. Dann nimmt Sam die Hand von Alex, drückt sie und fragt lächelnd: „Alles Roger in Kambodscha?“

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Cannabis Mixed Reisen

Golfplatz-Einweihung mit Manni Kaltz

HanfBlatt, November 2003

Im Buschbrand der gegenseitigen Abhängigkeiten von Freizeit-Fabriken, Promis und Journalisten.

Der dunkle Anzug ist zu warm, schwitzend wanke ich in den Fahrstuhl. Abfahrt zum Bussi-Bussi. Ich weiß nicht, was mich auf der Terrasse des verbrauchten Strandhotels erwartet. Nun gut, den offiziellen Anlass habe ich erfahren: es geht um das Stopfen von nahe gelegenen 18 Löcher im Rasen – ein Golfplatz wird eröffnet. Dafür müsste man sich nur eine halbe Stunde nehmen, hier aber haben sich für die nächsten drei Tage A- und B-Promis aus der gesamten Republik angekündigt. Dazu sind Vertreter aus den Hochglanzmedien und PR-Berater angerauscht. Sie alle wollen in einem norddeutschen Seebad den Knospen ihrer Zunge folgen, Sonne anzapfen und ihren Hüftschwung justieren, kurz, sich auf Nass verlustieren, vulgo: die Eier schaukeln lassen.

Um der Situation gewachsen zu sein, habe ich meinen Kahn mächtig mit marokkanischen Pfefferminzblüten vollgeladen und meine liebliche Begleiterin sitzt im gleichen Boot. Gleißend brennt daher die Abendsonne auf die Kieselsteinplatten, auf denen 50 Paar schwarze Schuhe scharren. Eine Sonnenbrille wäre kommod, wohl aber ein zu deutliches Zeichen gewollt-cooler Distanz. Die PR-Dame kommt auf uns zugewieselt, „ahh, die Hamburger, hier rüber, kommen sie hier rüber, zur Hamburger Gruppe“. Flugs haben wir einen Sekt in der Hand, perlendes Gold, das Fraktale auf das Kleid meiner Muse wirft, und werden zu sechs Stehgeigern bugsiert, die in Plauderhaltung im Kreise stehen. Dieser öffnet sich den Fremdlingen, aber aus dem Auge des Zyklons weht kalter Wind uns entgegen. Man gibt sich vornehm, eine probates Mittel die eigene Unsicherheit zu tarnen. Von Hochlandgemüse innerlich aufgewühlt auf unbekannte Mitbürger zu treffen, birgt immer die Gefahr unfunky drauf zu kommen. Mund und Magen wollen rülpsend tief empfundenen Dünnsinn von sich geben, während der innere, rationale Obermufti und Bedenkenträger Befehle der sozialen Normen brüllt. Rechnen kann man nicht mehr, aber zurechnungsfähig will man sein. Anders ausgedrückt: Kiffen kann unsicher machen. Objektiv betrachtet eine drollige Zwickmühle, in der konkreten Situation ein Abenteuer, was schon für manchen Horrortrip sorgte.

Erfahrung tut hier Not, so weiß ich, dass ich mich zwar wie Fidel Castro fühle, aber nicht so aussehe. Mein Sektglas wirkt dabei wie eine rettende Rehling im Sturm. Smalltalk. Ein Blick in die Runde und plötzlich nimmt eine innere, alte Kraft von mir Besitz. Entgegen aller ungeschriebenen Gesellschaftsverträge spüre ich Begeisterung aufwallen, ein Gefühl von Jugend, eine Erinnerung an sportliche Ekstase, an Männerschweiß, an den von meiner Oma gestrickten Fanschal; dazu jucken ausnahmsweise nur meine Füße. Zusätzlich bin ich erleichtert über den alsbald folgenden, hoffentlich entkrampfenden Integrationsakt in die illustre Runde. Viel zu laut platzt es feucht aus mit heraus: „Das ist doch Manni Kaltz!“ Köpfe drehen sich, Aufmerksamkeit ist gesichert. Ich merke das nicht, überbrücke mit einem Ausfallschritt das Auge des Zyklons und stoße mein Glas an das meines überraschten Gegenübers. Ein klicken, ein sprudeln, ich fahre fort: „Wie geil, Manni Kaltz, ich glaub´ das nicht.“ Der Mann mit dem sauber gekürzten Vokuhila bleibt ruhig, denn „der Manni redet nicht so gerne“, wie ich später erfahre.

Schweigen, leichtes Entsetzen sogar, aber mein Verzücken kommt weiter in Rage. Ich stoße meiner schönen Begleiterin mit dem Ellbogen in die Seite, zeige mit dem Glas auf den Fußball-Heroen und fahre fort: „Ahh, das waren noch Zeiten, sie auf Rechtsaußen, dann Banane, und dann das Fußballungeheuer, hach, so wird heute gar nicht mehr gespielt. Unvergesslich, das 5:1 gegen Real Madrid. Zwei Dinger haben sie da reingesemmelt, oh Mann, wie geil.“ Doch der Flankengott, der 69fache Nationalbuffer, die Legende vom HSV, dieser Manfred Kaltz, brummelt nur einige undeutliche Worte und so langsam komme ich von meiner Wolke runter. Die Menschen um mich sind verstört, peinlich berührt. Sollte man einen dieser Fußball-Proleten im Nest hocken haben?

Ehrliche Begeisterung, so steht nach zehn Minuten fest, ist hier nicht gern gesehen. Und was noch wichtiger ist: Promis – und solche, die es sein wollen – spricht man nicht an. Sie sind froh sich mit Ihresgleichen zu sonnen, im Saft ihrer Erfolge zu schmoren. Wohlgemerkt gilt dies nicht für Manni, der Mann will einfach nur seine Ruhe haben, ihm ist Radau um seine Bananenflanken lästig.

Der Ausbruch war kurze Raserei, ich trete einen Schritt zurück. Die Augen meiner Begleitung liegen verträumt-ironisch auf mir, der Halbkreis aus Frührentner schließt sich wieder und wir stehen außen vor. O.k., das war´s erst einmal. Nebenbei hat der Direktor seine Rede an die golfende Nation begonnen, er preist die knöcherne Eichenkultur der Hotelkette. Die verdiente Vor- und Mitten-im-Kriegsgeneration ist in den Häusern hängen geblieben, dazu passt eigentlich nicht der Porno-Kanal, der auf unserem Zimmer nach jedem dritten Schaltvorgang erscheint. Wahrscheinlich wichst Opi sich den Wicht, während Omi bei der Pediküre weilt.

Wie gerufen wackelt plötzlich Elke S. ins Bild, blonder Star der 70er. Die spielt auch Golf? Nein, sie ist Schmuck, soll der prüden Rasenweihe Glamour und damit Nennung in den bundesweiten Magazinen garantieren. So ergibt sich der Sinn der Geselligkeit: Die Freizeit-Fabrik schiebt sich ins Bewusstsein der Kunden und die Prominenten bleiben im Gespräch, denn davon leben sie. Die anwesenden Journalisten salbadern Gutes über die Melange und übermitteln im Nebensatz die Koordinaten des Geschehens. Die Public-Relation-Dompteure behalten die Käfigtür im Auge. Und der Clou: Alle zusammen verbringen ein weiteres preiswertes Wochenende.

An diesem Kuchen will auch ich nagen, aber mein fußballhistorischer Ausfall hat uns schon nach zehn Minuten zu Parias werden lassen. Egal, gleich gibt es Diner. Der freundliche Direx lädt ein. Die Stimmung ist gut, man kennt sich von vielen anderen Jubelfeiern. Es ist die gemeinsame Leidenschaft aller derer, denen beim Tennis zu viele Rohlinge rumlaufen. „Haben sie noch Sex oder golfen sie schon?“ Wir sitzen am selben Tisch wie Manni, der aber lässt mir, seinem getreuen Fan, keinen Blick zukommen. In mir spielen die beiden Mannschaften von FC Bekifft-Ergötzlich und der Spielvereinigung Peinigend-Stoned einen harten Ball gegeneinander. Noch steht es 1:1, aber Peinigend-Stoned übt enormen Druck auf die Verteidigung von Bekifft-Ergötzlich aus.

Das Essen beruhigt unsere Gemüter, auch meine Begleitung erlangt so langsam ihre Fassung wieder. Meine Tischnachbarin, die Redakteurin einer TV-Zeitschrift, parliert zutraulich, schon fühle ich mich besser. Aber ich bin getäuscht worden, übel sogar. Denn der Mann der Dame, irgendeine Schauspielgröße, dessen Name ich vergaß, fragt sie, was denn das Thema unser noblen Unterredung sei. Nicht wissend, dass ich der Szenerie lausche, winkt sie mit der Gabel ab, zieht die schmalen Brauen hoch und sagt: „Ach nix, völlig uninteressant“. Nun will ich nicht eitel erscheinen, aber das scheint mir doch ein äußerst dünkelhafter und ungebührlicher Reflex auf meine wohl nicht klugen, doch aber warmen Worte zu sein. O.k., das war´s endgültig.

Schade, gerne hätte ich noch weitere Skizzen aus den nun folgenden Tagen gezeichnet. Ich hätte noch berichten können, von nicht geouteten Eiskunstläufern, die beleidigt sind, wenn man sie an den falschen Ecktisch des Festzelts setzt, vom Streit um kühle Austern und von Menschen, die nur (!) über Golf reden können. Aber diese Worte wären dunkel vor Häme, ohne das Licht des freudig-neugierigen Umgangs untereinander. Was also tun? Den Versuch beenden, und vorher noch erwähnen, dass wir lieber am Strand den Wellen folgten, als dort zu sein, wo man sich gegenseitig nur als Spiegel der eigenen Großartigkeit dient.

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Elektronische Kultur Reisen

Die sozialistischen Staaten und das Internet

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.01.2003

Gehemmter Cyber-Sozialismus

Wie passen sozialistische Werte und die elektronische Modernisierung des Staates zusammen? Die sozialistischen Staaten streiten um den Umgang mit dem Internet.

Nha Trang ist keine Schönheit, Hotelbauten verschandeln die Strandpromenade der rund eine viertel Million Einwohner zählenden Stadt an der Ostküste von Zentralvietnam. Durch die breiten Straßen knattern unzählige Mopeds, zunehmend auch Autos und immer weniger Fahrräder. In den gläsernen Hotels begegnen sich junge Unternehmer und Parteifunktionäre, in den Straßen hängen neben Coca Cola-Schildern vergilbte Plakate, die an Volksgesundheit und sozialistische Tugenden erinnern. Auf kaum einen anderen Bereich wirkt sich die Gemengelage aus Marktwirtschaft und Sozialismus aber so offensichtlich aus wie auf die Telekommunikationspolitik des Landes. Das Internet soll den ökonomischen Aufschwung bringen, allerdings nicht die als degeneriert erachteten westlichen Werte. Mit diesem Spagat zwischen Zensur und telekommunikativ angeregten Wirtschaftswachstum steht Vietnam nicht alleine.

Erst seit Ende 1997 ist das Land an das Internet angeschlossen, wobei der gesamte Datenverkehr über zwei Server läuft, die in Hanoi und Ho Chi Minh Stadt, dem ehemaligen Saigon, stehen. Diese Zentralisierung ist kein Zufall, ermöglicht sie doch die effektive Kontrolle des Datenflusses. Nur die Vietnam Data Communications (VDC), eine 100prozentige Tochter der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft VNPT (Vietnam Post & Telecommunications Corporation) ist in Besitz einer Lizenz anderen Firmen den Zugang zum Internet zu ermöglichen.

Strassenschild ins Nha Trang
Straßenschild ins Nha Trang

Zur Zeit verfügt das Land über genau vier solcher Internet Service Provider. Diese führen ihre Betriebe unter restriktiven Bedingungen. Sie müssen dafür sorgen, dass bestimmte Adressen im ausländischen Internet aus Vietnam heraus nicht zu erreichen sind. Dies dient zum einen der Sperrung von Websites vietnamesischer Dissidenten, zum anderen soll so der weiteren „Indoktrination der Bevölkerung“ Einhalt geboten werden. Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ werden rund 2000 Webseiten blockiert.

Eine der Homepages, die ganz oben auf der Liste der VDC steht, ist die der „Allianz Freies Vietnam“. Die Organisation von Exil-Vietnamesen setzt sich für die Demokratisierung des Heimatlandes ein und bemüht sich unter anderem den Informationsfluss aufrecht zu erhalten. „Politische Nachrichten und kritische Stimmen aus Vietnam werden von uns gesammelt und wieder ins Land zurück geschickt, um so Informationssperren und Zensur der Regierung zu umgehen“, erklärt H. Tran, außenpolitischer Sprecher der Organisation in Deutschland. Das Internet biete hierfür ideale Bedingungen, und mit dem anwachsenden Datenaufkommen wird die Kontrolle der Inhalte immer schwieriger. An den zwei Gateways ins Ausland ist seinen Aussagen nach eine Schnüffelsoftware installiert, die einkommende und ausgehende elektronischen Briefe auf verdächtige Inhalte überprüft.

Diktaturen und andere Regierungen ohne demokratische Basis haben seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zum freien Informationsfluss. So wird im benachbarten China der Zugang ins Web noch restriktiver gehalten. Wer ins Internet will, muss seinen Anschluss an die weite Welt bei gleich mehreren staatlichen Stellen registrieren lassen. In den Großstädten florieren legale und und vor allem illegale Internet-Cafes. Aber auch dort sind Botschaften aus und in die weite Welt nicht gewährleistet, unterliegt doch das einzige Gateway ins Ausland der Kontrolle des chinesischen Postministeriums. Je nach politischer Großwetterlage und Gutdünken der Parteiführer sind Seiten der britischen BBC oder der Nachrichtenagentur Reuters zuweilen erreichbar, zuweilen gesperrt.

Auch Länder wie der Iran, Yemen und Saudi-Arabien suchen die negativen Aspekte des Internet von seinen Bürgern fernzuhalten. Speziell eingesetzte Gremien legen in Abständen fest, welche Seiten als „unmoralisch“ gelten oder aber die politischen und religiösen Werte des Landes verletzen. Ländern wie Libyen und Irak gähnen gar als schwarze Löcher im Netzraum – in ihnen existiert für die Öffentlichkeit kein Zugang zum Internet.

Die IuK-Politik dieser Länder gleicht sich: Man ist um die Hegemonie seiner Informationspolitik bemüht, weiß aber zugleich, dass die ökonomischen Reformen vom Wachstum des Technologiesektors abhängig sind. Aber: Das Informationsmonopol ist unter den Bedingungen der IuK-unterstützen Marktwirtschaft kaum zu halten. Die Begriffe „nationale Sicherheit“ und „wirtschaftliche Internationalisierung“ stehen für diese Quadratur des Kreises.

Um dennoch Wachstumsschübe durch Datenaustausch zu gewährleisten setzen Alleinherrscher und Parteiführer auf Kontrolle auf drei Ebenen: Zum einen unterliegt der wachsende Telekommunikationsmarkt staatlicher Aufsicht, zum anderen wird der Datenaustausch innerhalb des Landes und vor allem mit dem Ausland überwacht. Als drittes Standbein setzen einige Regimes zudem noch auf die Überwachung der Internet-Nutzer. Alle diese Maßnahmen drohen aber entweder am technischen oder personellen Mangel zu scheitern.

Im Westen hofft man noch immer auf das umfassende Demokratisierungspotential des Internet, einem Medium, welches nicht nur einseitige Kommunikation vom Sender zum Empfänger ermöglicht, sondern in welchem jeder zum Sender werden kann. Aber die Theorie der „Demokratisierung durch die Steckdose“ funktioniert nur, wenn Alphabetisierung und technische Infrastruktur gleichermaßen ausgebaut sind. In China besitzen aber nicht einmal 8 Prozent der Haushalte einen Telefonanschluss, von einem PC mit Internet-Connection ganz zu schweigen. In Vietnam haben rund 170 Tausend Vietnamesen einen eigenen Zugang zum Netz der Netze, das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Deutschland sind 43 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren online.

Selbst bei einem weiterhin rasant prosperierenden IuK-Markt wäre es verfehlt allzu hohe Erwartungen in die freiheitsbringende Kraft des Internet zu setzen. Ob Vietnam, China, Saudi-Arabien oder Kuba: Die Idee, dass jeder Bürger uneingeschränkten Zugriff auf ausländische Informationen hat, kommt für die Lenker und Denker im Staat einer Schreckensvision gleich. Und so übt sich die Politik in einer ständigen „Ja-aber Taktik“. Dazu kommt, dass das Potential der Demokratiebewegungen in diesen Länder im Westen oft überschätzt wird. Ein Großteil der Bürger Vietnam und China steht westlichen Demokratievorstellungen gleichgültig oder skeptisch gegenüber.vietnam12

Unzufriedenheit in der Bevölkerung erregt allenfalls die weit verbreitete Korruption und Behördenwillkür. Damit fordern sie wie die ausländischen Investoren, ohne die der Ausbau der Telekommunikationsnetze nicht zu bewältigen ist, den Rechtsstaat. Ohne Rechtssicherheit wagt sich kein Unternehmen ins Land. Die „sozialistische Marktwirtschaft“ bringt einen neuen, selbstbewussten Mittelstand hervor, der sein Augenmerk weniger auf freie Meinungsäußerung als auf berechenbare und nachvollziehbare Entscheidungen des Staates legt. Der Wunsch nach einer Begrenzung der Kreise bestechlicher Beamter und das aufblühende Geschäftsleben werden zukünftig Hand in Hand gehen. Zugleich wird mit dem verschleppten, aber steten Wachstum der virtuellen Netze die Möglichkeiten der Zensur schrumpfen.

Jörg Auf dem Hövel

 

 

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Mixed Reisen

Das Inferno Rennen in Mürren

Snowboarder 11/2003

Zu faul für den Langlauf, zu feige für den Skisprung

Im Inferno-Rennen wird die Geburt des alpinen Abfahrtslauf gefeiert. Der 87-jährige Sohn des Erfinders, Sir Peter Lunn, fährt jedes Jahr mit.

Es war der 29. Januar 1928, ein denkwürdiger Tag, denn er begründete den alpinen Massensport. Ein gemeinsamer Start war geplant, aber einige der 18 Teilnehmer des ersten Inferno-Rennens waren noch beim Wachsen ihrer Skier, als Sir Arnold Lunn rief: „Come on, we´re off.“ Dieses Wochenende (25.01.2003) feiert das Schweizer Bergdorf Mürren das spleenige Rennen zum 60. Mal. Aus der Idee einiger skiverrückter Briten ist der größte Amateurwettkampf des weltweiten Skisports geworden.

Mürren

Annähernd 1800 Wagemutige werden sich auf die über 15 Kilometer lange Abfahrt vom Schilthorn ins Tal begeben. Selbst gute Skifahrer benötigen für den Rutsch eine ¾ Stunde, der Sieger rauscht in weniger als 15 Minuten ins Tal. Der Clou: Es sind nur zehn Tore zu passieren, ansonsten ist die Streckenführung frei. Schon 1928 ging es den Briten in erste Linie darum, das Erreichen des Ziels möglichst individuell zu gestalten. Knochenbrüche, Schürfwunden und Platzwunden waren bei der Abfahrt über verwehte Hänge, vereiste Partien und die bewaldete Talfahrt üblich. Aber nicht nur wegen der unpräparierten Piste waren die Strapazen damals bedeutend höher.

Wer die ersten Jahre am Inferno-Rennen teilnehmen wollte, musste einen fünfstündigen Aufstieg bewältigen, im Rucksack Verpflegung und die Rennausrüstung. Zum fast 3000 Meter hoch gelegenen Schilthorn führte noch keine Seilbahn, Seehundfelle unter den Skiern gaben den nötigen Halt. Nach kurzer Erholung ging es dann los. Bei der nun folgenden Tour mussten die Läufer das Fahren im Tiefschnee ebenso beherrschen wie Langlauftechniken. Der Parcours wartete nämlich mit zwei Gegensteigungen auf – einige Rennen wurden eher durch Armkraft und Schlittschuhschritt entschieden, als durch die tiefe Abfahrtshocke. Auch der Umgang mit öffentlichen Verkehrsmittel wurde geprüft: Die ersten Rennen führten an der Trasse der Bergbahnverbindung zwischen Mürren und Grütschalp entlang. Sodann schlängelte sich ein schmaler Sommerpfad ins Tal nach Lauterbrunnen, die geübtesten Skifahrer aber nahmen den direkten Weg durch den dichten Wald.

Den vierten Platz in dem historischen Rennen von 1928 belegte Doreen Elliott, obwohl sie unterwegs eine verunglückte Kollegin versorgt hatte. Nichts ungewöhnliches in dieser Zeit, wie Sir Peter Lunn, 87, versichert. „Ich stützte in einem Rennen vier Mal und wurde trotzdem noch neunter.“ Der Sohn des Inferno-Schöpfers fährt noch heute jedes Jahr beim skurrilen Rennen mit. Die Holzski der damaligen Zeit, so Lunn, brachen leicht und bargen ein stetes Verletzungspotential. „Da das Auswechseln der Skier daher erlaubt war, hatte ein ganz gewitzter Teilnehmer unterwegs seine langen Abfahrtsski gegen kürzere und frisch gewachste Ski ausgetauscht. Sicherlich ein Vorteil für die harte Abfahrt ins Tal und nicht sehr sportsmännisch.“

Sir Peters Vater, Arnold Lunn, gilt als einer der Pioniere des europäischen Skisports. Er war es, der 1924 in Mürren den noch heute bestehende „Kandahar Skiclub“ gründete, zwei Jahre vorher hatte er im Ort eines der ersten Slalomrennen der Alpen veranstaltet. Lunn war es auch, der sich gegen zahlreiche Widerstände beim Weltskiverband FIS dafür einsetzte, dass der Abfahrtslauf als alpine Disziplin mitaufgenommen wird. Unter Schneesport-Experten galt das schnelle und kontrollierte Abrutschen vom Berg als wertlos, Skifahrer gemeinhin als „zu faul für den Langlauf und zu feige für den Skisprung“, wie Sir Peter sich lächelnd erinnert. Vor allem die Skandinavier wollten den klassischen Langlauf schützen und so beauftragte die FIS erst 1930 denkwürdigerweise den „Ski Club of Great Britain“ und damit Arnold Lunn mit der Durchführung des ersten FIS-Wettbewerbs in den Disziplinen Abfahrt und Slalom. Es entstand der professionelle Skizirkus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es vor allem Gebirgssoldaten aus Frankreich und den USA, die das Inferno-Rennen für sich entscheiden konnten. Seit den 60er Jahren sind es aber meist die Einheimischen, die die lange Abfahrt gewinnen. Dank einer gut präparierten Piste erreichen von den 1800 Abfahrern nur rund 15 Personen das Ziel nicht. Auch Sir Peter Lunn wird das Rennen weiterhin bestreiten, und zwar nach eigener Aussage „so lange, wie ich mindestens zehn andere Läufer hinter mir lasse“.

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Reisen

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

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Berliner Zeitung v. 02.11.2002 Stark gekürzte Fassung! Hier das Original

Die Leiden eines Emporkömmlings

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

Es war ein „ganz normaler Sonntag“, versichert Sam, als Alex ihr einen Heiratsantrag machte. „Wir waren auf dem Weg vom Sonnenstudio in die Videothek, da sagte der Alex, dass heiraten ja auch nicht schlecht wäre.“ Sam will gerade mit der romantischen Geschichte fortfahren, aber die Dame von RTL ist nicht zufrieden und sagt deshalb „Schnitt, noch mal, bitte.“ Neulich auf den Azoren. „Container-Alex und Sam zur Verlobung auf den Trauminseln“, so sollen die Headlines prangen und darum hat die Tourismus-Zentrale geladen. Seit Jahren stagniert der Touristenstrom, zusammen mit einer Münchener Medienagentur sind daher das Ziel und die Mittel festgelegt worden: Das Paar soll den Bundesbürgern die Inseln schmackhaft machen. Die Presse und deren Opfer kommen in einem Ressort an der Steilküste unter. Alle verstehen sich gut, auch dienstlich probt man den Gleichklang. Den einen geht es um die Erhellung von mausgrauen Alltagswohnzimmern mit dem Glanz eines schillernden Pärchens, den anderen darum, einen Platz im Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft zu ergattern.

Wir brauchen einen O-Ton

Ab jetzt beobachten die Medien jeden Schritt der beiden. Das Kamerateam filmt für RTL-Explosiv, der einsame Journalist schreibt eifrig in seine Kladde. Erste Station: Der Hafen von Vila Franca. Es geht hinaus aufs Meer, „Dolphin-Watching“. Die kleinen Racker sind tatsächlich zugegen, ein Rudel Fleckendelfine durchpflügt das Wasser. Ein Delfin schießt sich drei Meter hoch und setzt eine Mords- Arschbombe ins Wasser. Die Kamera läuft, ein gewagter Schwenk zwischen Sams Beine. „Wir brauchen einen O-Ton!“, bestimmt die Frau von RTL. Also raus das Mikro: „Ein tolles Erlebnis“, sagt Sam. Danke, Schnitt.

Abendessen, Alex betritt den Raum. Eine Mischung aus Zorro und Marlon Brando, Panzerkette um den Hals, Silberkette ums Handgelenk. RTL, Schreiberlinge und das Paar sitzen wieder an einem Tisch. Sam erzählt begeistert von Ereignissen aus Pool und Bad. Brandy, eine Zigarre, kommod lehnt sich Alex zurück. Mittlerweile sitzt man in der Bar, die Lampen sehen aus als wären sie vom blinden Bruder von Verner Panton designt, rote Cordhocker bevölkern den Raum. Das Meer, ja, das mag Alex, die fast unendliche Weite. Sein Traum? „Ein Bötchen“, sagt er bescheiden, „und dann rund um die Welt segeln.“

Alex Jolig braucht die Medien, denn sie waren es, die ihn zu einem Macho, zu einem Diplomatensohn mit Heckspoiler stilisiert haben, niveauvoller als Slatko, aber eben doch nur ein Emporkömmling aus einer Reality-Soap. Man konnte ihn zu Talkshows einladen, um seine musikalischen Gehversuche, seine Filmauftritte oder seine Liaison mit Jenny Elvers zu belächeln. Der Mensch Jolig blieb dabei uninteressant. Schon die Authentizität der blechernen Big-Brother-Beziehungskiste war nur eine scheinbare. An den Mischpulten des Fernsehsenders wurde genau darauf geachtet, welche Bilder über den Äther gingen. Die Damen putzten das Klo, während Alex in Macho-Pose auf dem Sofa schwieg. „Ich habe genau so im Haushalt gearbeitet wie alle anderen auch“, sagt Alex heute. Zu spät. Höhepunkt war sicherlich, als Kerstin dem guten Alex vor laufenden Nachtsicht-Kameras einen geblasen hat. So entstand das Image vom Pascha, der das pralle Leben in vollen Zügen genießt.

Darunter leidet er, denn ewig will er den Ballermann nicht mimen. Aber er ahnt, dass ein Star nur das ist, was über ihn bekannt wird – egal, ob wahr oder falsch, wichtig oder unwichtig, ganz egal auch, ob es dem Menschen dahinter gerecht wird. Aber im Gegensatz zu echten Stars bleibt bei vielen medialen Produkten des neuen Jahrtausends unklar, weshalb sie ihre exponierte Position in der Öffentlichkeit einnehmen. Jenny Elvers, Ariane Sommer, Verona Feldbusch oder „Party-König“ Michael Ammer: Der „Rohstoff Person“ ist dünn, der Einzelne reklamiert Beachtung aus keinem anderen Grund als der Freimütigkeit, mit der er seine Befindlichkeiten zur Schau stellt.

So steht für die Halb-Promis die Frage: Wie im Gespräch bleiben, ohne zum Gespött zu werden? Darüber grübelt Alex nach, darüber grübelt Sam nach. Hinter den beiden steht keine mächtige Plattenfirma, die den Medien mit dem Entzug der Werbeschaltungen drohen kann, wenn Unliebsames berichtet wird. Dabei sind Alex und Sam keine Witzfiguren, es sei denn, man hält die Typen aus der Nachbarschaft für unbedingt verarschenswert. Sam, 26, keck, manchmal dreist, erinnert an das gut aussehende Mädchen, das jeder noch aus seiner Schule kennt. Alex ist freundlich, hilfsbereit, jovial, auch wenn die Kameras nicht in der Nähe sind.

Als Paar sind sie in erster Linie verliebt, zudem aber zunehmend entsetzt darüber, wie die Presse mit ihnen umgeht. „Die machen mit uns, was sie wollen.“ Nach dem zweiten Brandy schlägt Alex deshalb vor, man solle mal was „über den Menschen Alex Jolig“ schreiben. Darüber, weshalb er in den Container gegangen sei. Seine damalige Sinnkrise habe bisher noch niemanden interessiert.

Reiten mit RTL

Frühstück, dann die nächste Station: eine Hazienda, auf der stolze Rösser ihr Stroh futtern. Der käseweiße Verwalter gibt sich zugeknöpft. Sam entdeckt schnell einen stattlichen Gaul in den Boxen, der Cowboy aber deutet auf eine 21-jährige Mähre mit Karies. Der Gedanke, dass Alex einen seiner Klepper womöglich von hinten besteigt, treibt ihm die Schweißtropfen auf die hagere Brust. Egal, RTL will Bilder, und Hans Alexander Jolig soll jetzt reiten. Der Rücken vom Klepper biegt sich so sehr durch, dass die Bauchdecke fast den Boden streift, Alex ist nicht besonders glücklich. Zu allem Überfluss will das RTL-Team Alex verkehrt rum auf dem Pferd sehen, ein wahrhaft explosiver Gag. Das Wuschelmikro schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar. Schnitt.

Und so geht es weiter. Von schwefelhaltigen Dampfterrassen über Teefabriken bis hin zum Grützwurst-mit-Schweinefleisch-Essen, sechs Stunden im Erdloch gebacken und nur mit Senf zu genießen. Inmitten des Wahnwitzes taumeln Sam und Alex. Und manchmal stehen sie recht verloren da. Dann nimmt Sam die Hand von Alex, drückt sie und fragt lächelnd: „Alles roger in Kambodscha?“


Für 100 Tage populär

Am 28. Februar 2000 zog Alex Jolig für die erste Staffel der „Big-Brother“-Show in den Container ein. Ebenfalls dabei: Jürgen, Zlatko, John, Thomas, Despina, Andrea Manuela, Kerstin und Jana. Nach 100 Tagen war das Spektakel vorbei. Zwei weitere Big-Brother-Shows folgten, dann erlahmte das Interesse des Publikums.
Die meisten Big-Brother Bewohner verschwanden wieder in der Versenkung. Alex Jolig versuchte sich als Schauspieler, Sänger und Werbeträger und geriet durch seine Affäre mit Jenny Elvers in die Schlagzeilen. Sein Mitbewohner Jürgen bringt gerade sein Buch „Ich sag s“ heraus, in dem er alte Big-Brother-Geschichten aufwärmt.

(Stark gekürzte Fassung! Hier das Original)

 

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Elektronische Kultur Reisen

Vietnam sucht den Zugang zum Internet

Erschienen auf Spiegel Online v. 28.05.2002

Gehemmter Cyber-Sozialismus

In Vietnam streitet man offiziell um den Umgang mit dem Internet. Wie passen sozialistische Werte und Modernisierung des Staates zusammen?

Nha Trang ist keine Schönheit, Hotelbauten verschandeln die Strandpromenade der rund eine viertel Million Einwohner zählenden Stadt an der Ostküste von Vietnam. Durch die breiten Straßen knattern unzählige Mopeds, zunehmend auch Autos und immer weniger Fahrräder. In den gläsernen Hotels begegnen sich junge Unternehmer und Parteifunktionäre, in den Straßen hängen neben Coca Cola-Schildern vergilbte Plakate, die an Volksgesundheit und sozialistische Tugenden erinnern. Auf kaum einen anderen Bereich wirkt sich die Gemengelage aus Marktwirtschaft und Sozialismus aber so offensichtlich aus wie auf die Telekommunikationspolitik des Landes. Das Internet soll den ökonomischen Aufschwung bringen, allerdings nicht die als degeneriert erachteten westlichen Werte.

Erst seit Ende 1997 ist das Land an das Internet angeschlossen, wobei der gesamte Datenverkehr über zwei Server läuft, die in Hanoi und Ho Chi Minh Stadt, dem ehemaligen Saigon, stehen. Diese Zentralisierung ist kein Zufall, ermöglicht sie doch die effektive Kontrolle des Datenflusses. An den zwei Gateways ins Ausland ist eine Schnüffelsoftware installiert, die einkommenden und ausgehenden elektronische Briefe auf verdächtige Inhalte überprüft.

Nur die Vietnam Data Communications (VDC), eine 100prozentige Tochter der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft VNPT (Vietnam Post & Telecommunications Corporation) ist in Besitz einer Lizenz anderen Firmen den Zugang zum Internet zu ermöglichen. Zur Zeit verfügt das Land über genau vier solcher Internet Service Provider, wobei VDC selbst als Provider auftritt. Die Provider führen ihre Betriebe unter restriktiven Bedingungen: Sie müssen dafür sorgen, dass bestimmte Adressen im ausländischen Internet aus Vietnam heraus nicht zu erreichen sind. Dies dient zum einen der Sperrung von Websites vietnamesischer Dissidenten, zum anderen soll so der weiteren Indoktrination der Bevölkerung Einhalt geboten werden. Nach Angaben der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ werden rund 2000 Webseiten blockiert.

Eine der Homepages, die ganz oben auf der Liste der VDC steht, ist die der „Allianz Freies Vietnam“. Die Organisation von Exil-Vietnamesen setzt sich für die Demokratisierung des Heimatlandes ein und bemüht sich unter anderem den Informationsfluss aufrecht zu erhalten. „Politische Nachrichten aus Vietnam werden von uns gesammelt und wieder ins Land zurück geschickt“, erklärt H. Tran, außenpolitischer Sprecher der Organisation in Deutschland. Das Internet biete hierfür ideale Bedingungen und mit dem anwachsenden Datenaufkommen würde die Kontrolle der Inhalte immer schwerer.

„Die Regierung in Hanoi hat einfach Angst vor dem Internet“, sagt der Betreiber eines Internet-Cafés in Nha Trang. Die eingängigen Seiten seien zwar nicht erreichbar, aber beispielsweise sei das Angebot an erotischen Seiten so vielfältig, dass eine Sperrung aller betreffenden URLs gar nicht möglich sei. Im Raum stehen acht PCs, darunter sechs ältere mit 300er Prozessoren, aber auch zwei Computer neueren Kaufdatums. „Ein AMD mit über einem Gigahertz“, erklärt der Mann stolz. Vornehmlich Touristen nutzen seinen Service, in Travellerkreisen hat E-Mail die handgeschriebene Postkarte schon länger ersetzt. Immer häufiger sind es aber auch Vietnamesen, welche Kontakt in die Welt pflegen.

Das vietnamesische Politbüro ist genuin um die Hegemonie seiner Informationspolitik besorgt, meint aber zugleich, dass die ökonomischen Reformen vom Wachstum des Technologiesektors abhängig sind. Aber: Das Informationsmonopol ist unter den Bedingungen der IT-unterstützen Marktwirtschaft nicht zu halten. Die Begriffe „nationale Sicherheit“ und „wirtschaftliche Internationalisierung“ stehen für diese Quadratur des Kreises.

Um den Zugang zum Internet zu erleichtern, beschloss die Regierung in Hanoi jüngst eine Senkung der monatlichen Leitungs-Gebühren für Internet-Provider um 25 Prozent. Damit wird auch Privatpersonen der Einstieg ins Web erleichtert. Zur Zeit besitzen rund 170 Tausend Vietnamesen einen eigenen Zugang zum Netz der Netze, das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: In Deutschland sind 43 Prozent der Bevölkerung online.

Weil der eigene Anschluss trotz der Preissenkungen für die allermeisten Vietnamesen noch immer zu teuer ist, boomen in den Großstädten die öffentlichen Zugänge. In der sozialistischen Vorzeige-Metropole Hanoi herrscht mittlerweile der Preiskampf zwischen den verschiedenen Cafés, der Preis für eine Stunde im Netz ist auf umgerechnet rund zwei Euro gefallen, in Ho Chi Minh Stadt liegen die Tarife noch tiefer.

Preiswert hatte auch Le Chi Quang seine Dokumente durchs Netz geschickt. Der 31jährige Computer-Dozent nutzte ein Cyber-Café in Hanoi, um einen ausführlichen Bericht über ein bilaterales Grenzabkommen zwischen der vietnamesischen und chinesischen Regierung zu veröffentlichen. Bei seinem nächsten Besuch stand die Polizei neben dem PC und verhaftete ihn. Le Chi Quang ist kein Einzelfall, Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass das vietnamesische Regime nach wie vor äußerst rigide gegen Kritiker vorgeht.

Für die alten Mandarine stellen die bürgerlichen Freiheiten nach wie vor keine Errungenschaft, sondern eine Gefahr für den Zusammenhalt des vietnamesischen Gemeinwesens dar. Neben dem Lust auf Konsum bringt das Internet aber genau diese Ideen der individuellen Rechte in die Städte und Dörfer des Landes. Ungeachtet dessen setzt die Kommunistische Partei weiterhin auf den Ausbau des Telekommunikationsnetzes. Planwirtschaft pur: Bis zum Ende des Jahres sollen zwei weitere Provider Lizenzen erhalten, der jüngst veröffentlichte Fünfjahresplan sieht vor, dass sich die Zahl der Internet-Zugänge versechsfachen, die Zahl der Internet-Nutzer verzehnfachen soll.

 

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Reisen

Malana Power Project

Ein Mythos stirbt

Das „Malana Power Project“ im Norden Indiens wird die Region der Charras-Bauern nachhaltig verändern

Das Hochtal im West-Himalaya ist eines der berühmtesten Gebiete, was die Gewinnung von handgeriebenen Haschisch betrifft. In dem etwa 600 km nördlich der indischen Hauptstadt Neu Delhi gelegenen Gebiet läßt die klare Gebirgsluft und die stechende Sonne sehr kräftige und vor allem potente Pflanzen gedeihen. Auch wenn die Qualität der Pflanzen in den letzten Jahren durch den Zukauf von minderwertigen Faserhanfsamen etwas zurückgegangen ist, bleibt das Haschisch, in Indien allgemein Charras genannt, ungemein kräftig. In besseren holländischen Coffee-shops wird regelmäßig Malana- Charras angeboten. Allerdings handelt es sich dabei fast immer um Haschisch aus der Region um Malana, meist aus dem tiefer gelegenen Parvati-Tal. Malana ist vor allem durch eine sehr aufwendig hergestellte Art des Charras bekannt: der sogenannten Malana-Creme. Diese wird anders als der Normal-Charras, in dem Pflanzenfasern beim Reiben der Blüten eingearbeitet werden, sehr vorsichtig gewonnen. Es entsteht ein Hasch in dem es kaum Pflanzenrückstände gibt und das in seiner Konsistens und Farbe an Opium erinnert. Wirklich erfahrene Reiber bringen es an guten Tagen auf eine Produktion von nur etwa zehn Gramm. Dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass man außerhalb der Erntesaison ohne Beziehungen kaum etwas von dieser Creme zu Gesicht bekommt. Leider haben die Malanis in den letzten Jahren gelernt den legendären Ruf ihres Charras kommerziell zu nutzen. Nicht nur das der Preis des Malana-Charras ungefähr das doppelte beträgt, den man für qualitativ vergleichbaren, im Parvati-Tal hergestellten Charras, bezahlt. Oft wird minderwertiger Charras als hochwertiger an ahnungslose Hippies, die meist aus den Tourismushochburgen Goa oder Manali einfallen, verkauft. Diese jungen Menschen, die mit prallen Portemonnais auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der lautesten Technoparty sind, bezahlen jeden Preis für das, was sie für Malana- Charras h alten.

Nachdem im letzten Frühsommer eine Sondereinheit (Special Narcotic Force) des indischen Innenministeriums (Ministry of Home Affairs) in dem schwer zu erreichenden und abgelegenen Hauptort (Malana) des eta 20 Kilometer langen Tals auftauchte, konnten die Schergen aus Delhi sich in dem Erfolg sonnen, die Felder, die um und in dem Dorf angelegt waren gerodet zu haben. Offentsichtlich wollten sich die Gesetzeshüter aus der Hauptstadt nicht mehr auf die lokalen Sicherheitskräfte verlassen. In die anderen Orte des Tals (Aturan, Nerang, Ohetschinn) waren die Mannen in khaki jedoch nicht vorgestoßen. Die Fotos die bei der Rodung gemacht wurden waren offentsichtlich Beweis genug, um eine erfolgreiche Aktion gegen den Rauschgifthandel zu belegen. Der Weg in die beschwerlich zu erreichenden anderen Orte war somit überflüssig. Die Ernte konnte im Frühherbst ohne weitere Probleme eingebracht werden. Die Hanf-Landwirte reagierten unaufgeregt auf die vermeintliche Bedrohung aus der fernen Hauptstadt. „Es wird auch in Zukunft nicht möglich sein das ganze Tal zu kontrollieren. Ich mache mir keine Sorgen, dass ich den lukrativen Hanfanbau aufgeben muß“, gab einer der lokalen Charrasbauern an.

Im Gegensatz zu den dem niedriger gelegenen Parvati-Tal, in dem neben Hanf vor allem Äpfel, Senf und Getreide angebaut wird, wird im Malana-Tal ausschließlich Hanf angebaut, was dazu geführt hat, dass die einst bettelarmen Malanis zu beträchtlichem Wohlstand gelangt sind. Dies führt in einer Hochgebirgsregion mit äußerst fragilem Ökosystem zu speziellen Problemen. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Menschen in der Region um Malana mehr als verdoppelt. Auch die Zahl der Häuser ist rasant angestiegen. Die traditionelle Methode des Hausbau mit Holz und Stein hat dazu geführt, dass beträchtliche Flächen des Hochgebirgswaldes verschwunden sind. Die Belastungen durch den Hausbau werden durch den üblichen Gebrauch von Holz als Energieträger (Kochen und Heizen) noch verstärkt. Zwar gibt es Aufforstungsprogramme, doch eine Kiefer braucht in dem rauhen Klima etwa 100 Jahre um auszuwachsen, d.h. für den Hausbau brauchbar zu sein. Auch die schlechtbezahlten Forstbeamte wollen die Zerstörung nicht aufhalten; sie sind gegen ein geringes Backschisch nur allzugerne bereit die Augen bei illegalem Einschlag abzuwenden. Die Folgen sind unübersehbar: Die Steinschlaggefahr erhöht sich Jahr für Jahr, ganze Hänge rutschen bei den starken Regenfällen im Winter und Frühjahr ab. In einem Gebiet ohne Kanalisation belastet die zunehmende Fäkalienmenge die Wasserqualität der Brunnen, ein Problem das bis vor kurzem in der Region völlig unbekannt war. Der Zusammenhang zwischen dem Wohlstand, der durch die Produktion und den Verkauf von Charras entstanden ist und der fortschreitenden Umweltzerstörung ist nicht von der Hand zu weisen.

Doch nun drohen dem Gebiet, in dem das beste Dope der Welt gewonnen wird, umgreifende Veränderungen. Als es 1992 nötig wurde die indische Wirtschaft zu liberalisieren um einen drohenden Staatsbankrot abzuwenden, wurde versucht in- und ausländische Investoren zu bewegen, Projekte anzuschieben von denen nach Möglichkeit auch die Bevölkerung profitieren sollte. In einem Land, dass vorher durch utopische Fünfjahrespläne und eine durch und durch koruppte Beamtenschaft auffiel, kein einfaches und schon gar kein schnelles Unternehmen. Die Wogen dieser Politik schwappen sechs Jahre später ins westliche Himalaya. Am Ausgang des Tales, wo der Malana-Fluß in den Parvati-Fluß mündet, wird ein 56 kW Staukraftwerk gebaut. Zwar kursierten Gerüchte über ein solches Projekt schon seit Jahren in der Region, doch erschien es aufgrund der schwierigen geologischen Bedingungen als wenig wahrscheinlich. Nun aber wurde unter der Führung einiger indischer Großbanken die „Malana Power Project Ltd.“ gegründet. Unter großzügigem Einsatz von Menschenleben wurden in weniger als einem Jahr eine Autobrücke über den Parvati-Fluß und etwa 15 km Straße in das Malana-Tal gebaut. Täglich zerreißen bis zu hundert Explosionen die Stille der Bergidylle um die Straße in dem extrem steilen Terrain voranzutreiben. Die Vorbereitungen zum Bau des Staudamms liefen in diesem Februar an. Auch die Gewohnheiten der Charrasbauern von Malana werden durch die Erschließung ihres Tals betroffen. Nach Angaben von Einheimischen soll eine Polizeistation am Ausgang des Tals eingerichtet werden. Die eigentliche Katastrophe für die ohnehin schon angespannte Ökologie der Region sind jedoch die 5-8000 Wanderarbeiter, die meist aus Nepal oder den ärmsten indischen Bundesstaaten (Rajasthan, Orissa, Bihar) in das Tal gekommen sind, um für ein paar Jahre in Lohn und Brot zu sein. Ihr Arbeitgeber hat sie mit blauen Plast ikplanen ausgestattet, aus denen sie sich ihre Behausungen bauen. So entstehen ganze Dörfer über Nacht. Diese Ansammlungen von Plastikverschlägen beherrbergen ganze Familien, Spelunken in denen schwarzgebrannter Schnaps verkauft wird und sogar Bordelle. Neben den ökologischen Problemen kommt es schon jetzt zu gesellschaftlichen Spannungen, vor allem am Ausgang des Malana-Tal, wo sich die Arbeiter hauptsächlich angesiedelt haben. Die Menschen in den Dörfern, die zuvor nie auf den Gedanken gekommen wären ihre Häuser abzuschließen, weil jeder jeden kannte, waren nach einigen Diebstählen mißtrauisch geworden und hatten die vermeintlich Schuldigen schnell ausgemacht. Andere Projekte dieser Art in Indien haben schon gezeigt, dass ein Teil der Arbeiter auch nach Abschluß der Bauarbeiten an dem Platz verbleibt. Zum einen gibt es bei Bauten wie etwa Staudämmen immer etwas Wartungsbedarf, zum andern ist damit zu rechnen, dass sich durch die entwickelte Infrastruktur auch andere Wirtschaftsfelder finden (Tourismus, Handel). Man darf erwarten, dass die Zeiten der Bergbauernromantik unwiederrufbar der Vergangenheit angehören. In Zukunft kann man stattdessen den schalen Charme indischer Kleinstädte geniessen.

Die Region um Malana wird sich verändern. Bald wird man mit dem Bus oder Taxi bis fast zum Dorf Malana kommen. Mit den Segnungen, die diese Veränderungen mit sich bringen, werden auch die weniger schönen Seiten der Zivilisation in dieses bisher stille Tal einziehen. Die Malanis jedenfalls blicken gelassen in ihre Zukunft: Sie freuen sich, dass sie ihre Farbfernseher ohne Stromausfall gebrauchen können.

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Drogenpolitik Reisen

Auge zu, Bußgeld oder Gefängnis

HanfBlatt Nr.9/10 2000

Tips für den stressfreien Trip durch Europa

„Reisende soll man nicht aufhalten“, sagte schon Alt-Komiker Otto zu seiner abschiedswilligen Braut. Europa wächst zusammen, die Grenzen sind so leicht zu passieren wie nie zuvor. Eine lockere Reise ins nahe Ausland endet aber für so manchen Kiffer im Desaster, denn mit etwas Gras in den Taschen erwischt, landet er oder sie blitzschnell im Gefängnis. Eine erste Regel für einen wirklich ungestörten Trip lautet deshalb: „Lass den Kram zu Hause.“ Wer meint schon die Autofahrt oder den Flug nicht ohne Dope überstehen zu können, dem seien geringe Mengen angeraten. In den meisten Ländern wird zwischen Mengen zum Eigenkonsum und Handelsmengen deutlich unterschieden. Wer meint mit einem Pfund Gras im VW-Bus Bj. ´74 an die Atlantikküste donnern zu müssen, darf sich nicht wundern, wenn der französische Provinzrichter glaubt, dass sich hier einer seinen Urlaub finanzieren wollte. Ein Wort zum Thema „Verstecken“: Das beste Versteck für Gras oder Haschisch nützt wenig, wenn Polizei oder Zoll Verdacht geschöpft haben. Und dies ist meistens dann der Fall, wenn man dem stereotypen Idealbild des Kiffers entspricht. Aber wer hat schon Lust wegen zwei Gramm Hasch in den blauen Zweireiher zu schlüpfen um unbehelligt durch alle Kontrollen zu eiern? Darum sei hier die asketische Variante empfohlen – ein paar Tage ohne Rauch haben noch niemanden geschadet. Wenn es aber doch nicht anders geht, sollte man sich und seinen BegleiterInnen wenigsten ab und zu zumurmeln, dass man ja „im Auftrag des Herrn“ unterwegs ist.

In einigen Ländern in Europa ist es wie in Good Old Germany: In den verschiedenen Bundesländern, Distrikten und Städten sind die Richtlinien unterschiedlich streng. Aus diesem Grund ist die nachfolgende Übersicht als grobe Richtlinie zu verstehen. Insgesamt steigt die Beliebtheit von Rauschhanf in Europa zwar weiter an, aber das ist kein Freifahrtschein, denn in fast allen Ländern steigt auch die Anzahl der Sicherstellungen (im Klartext: Der Kiffer-Aufgriffe). Wer vorsichtig sein will, sollte sich im Freundes- und Bekanntenkreis Tipps für die angepeilte Region holen. Wer es besonders sicher angehen will, der holt sich über die in Deutschland ansässigen Strafverteidiger-Vereinigungen die Telefonnummer eines Anwalts im Zielland. Und Vorsicht: Dieser Text stammt aus dem Jahr 2000 und Gesetze ändern sich. In einigen vermeintlich liberalen Ländern können inzwischen ganz andere Regeln herrschen…

europa bei nacht

Vor Ort

Man kann Glück haben und den Touristen-Bonus erheischen. Dann geht man dem Kraut verlustig oder wird im schlimmsten Fall zur Grenze gebracht. Es kann aber auch gleich in das Dorfgefängnis gehen. Vorsicht ist selbst in den liberalen Ländern angesagt: Vernünftig ist es, erst mal die Lage vor Ort abzuchecken und nicht den erstbesten langhaarigen Freak „nach Peace“ anzuhauen. Wird man trotz aller Vorsicht von der Polizei aufgegriffen, ist es klüger die Aussage bis zum Eintreffen des Anwalts zu verweigern. Die Angehörigen und das Konsulat können dann über den Anwalt kontaktiert werden. Und: Ein Rechtsbeistand kostet überall Geld.

Die folgende Übersicht der Gesetzgebung und Strafpraxis bezieht sich in erster Linie auf den Besitz kleiner Mengen Cannabis, wobei die genaue Höhe der „kleinen Menge“ von Land zu Land variiert. Zur Klarstellung: In einigen Ländern ist der Konsum zwar nicht verboten, wohl aber der Besitz. Und ohne Besitz kein Konsum.

Belgien

Belgien unterscheidet zwischen individuellem und Gruppenkonsum. Nur der Gruppenkonsum von Cannabis wird bestraft: Drei Monate bis fünf Jahre Gefängnis und/oder 1000 bis 100.000 Belgische Franken Bußgeld. Die Realität ist nicht so harsch: Seit 1998 sehen die Strafverfolgungsbehörden von Übergriffen auf Kiffer fast gänzlich ab. Die Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Verfolgung von Fällen des privaten Gebrauchs fast vollständig eingestellt. Dies gilt auch für den privat organisierten Anbau kleiner Mengen Hanfs.

Dänemark

Der Besitz und Konsum kleiner Mengen ist quasi legal. Der Erwerb von kleinen Mengen wird von den Gerichten nicht mehr als Vergehen angesehen, obwohl die Gesetze dies noch so vorsehen. Wer meint vor den Augen der Polizei rauchen zu müssen: Im Normalfall wird das Kraut konfisziert und eine Verwarnung ausgesprochen. Bei Besitz von größeren Mengen können bis zu zwei Jahren verhängt werden, bei Handel zwischen zwei bis zu zehn Jahren. Ersttäter werden in ein Zentralregister eingetragen. Zur Info: In Kopenhagen hat die Hälfte aller 18-Jährigen schon mal gekifft.

Finnland

Hier heißt es aufpassen: Ob Konsum, Erwerb, Besitz, Handel – in Finnland sind dies alles kriminelle Straftaten. Das Gesetz kennt keine Unterschiede zwischen verschiedenen Substanzarten. Die Gerichte schauen sich die sozialen Umstände bei Straftaten im Zusammenhang mit Cannabis genau an  – und strafen dann meist hart. Vergehen in Zusammenhang mit kleinen Mengen Cannabis wird mit Geldbuße oder bis zu 2 Jahren Knast bestraft. Nun ist es aber nicht so, dass in Finnland das gute Kraut unbekannt ist: In Helsinki haben 30 Prozent der 17-19-Jährigen Schüler schon mal gekifft. Der Handel mit Cannabis wird mit Freiheitsstrafen zwischen 2 und 10 Jahren belohnt.

Frankreich

Konsum und Besitz von Cannabis ist illegal. Das französische Gesetz unterscheidet nicht zwischen Cannabis und anderen Substanzen. Der Handel und der Konsum mit jedweden illegalen Substanzen ist verboten. Laut Gesetz kann der Konsum illegaler Substanzen mit einer Strafe von zwei Monaten bis einem Jahr und/oder Bußgeld von 500 bis 15.000 Franc bestraft werden. Transport, Besitz und Angebot mit 2 bis 10 Jahren Haft. In Frankreich betritt man die Problemzone bei einer Menge von über 30 Gramm Cannabis. Transport und Angebot von größeren Mengen Wunderkraut werden mit zwei bis zehn Jahren Haft belohnt. Auch in Frankreich legen die Gerichte die strengen Gesetze unterschiedlich aus: Bei kleinen Mengen von Haschisch oder Marihuana wird das Verfahren zum Teil sofort eingestellt und eine Verwarnung ausgesprochen, teilweise wird keine Anklage erhoben, wenn der Betroffene sich einer recht strengen Therapie unterzieht. In den großen Städten ist Cannabis-Genuss unter den Jugendlichen weit verbreitet, so dass Polizei und Staatsanwaltschaft den realistischen Weg wählen: In Paris beispielsweise sehen sich die Ordnungshüter erst bei einer Menge ab fünf Gramm Haschisch genötigt einzuschreiten. Trotzdem entscheidet in Frankreich weiterhin nicht die Produktart, sondern die Tat das Strafmaß.

Griechenland

Erstens: Die Griechen unterscheiden per Gesetz nicht zwischen harten und weichen Drogen. Zweitens: Drogenkonsum ist in Griechenland nur dann kein Vergehen, wenn  man als „süchtig“ eingestuft wird. Wer hier die Lücke ahnt: Als Tourist wird man schwer nachweisen können, dass man von Cannabis „abhängig“ ist. Drittens: In Griechenland ist Einfuhr, Handel, Besitz und Konsum von allen Drogen verboten. Der Erwerb von Drogen zum persönlichen Gebrauch ist strafbar und kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Die Praxis der Strafverfolgung scheint sehr uneinheitlich zu sein: Wer mit größeren Mengen Cannabis erwischt wird auf den warten garantiert saftigen Strafen; unklar ist aber, wie mit Genießern von kleinen Mengen verfahren wird. Teilweise wird selbst der Besitz kleiner Mengen mit Gefängnisaufenthalt belohnt. Und man hört man immer wieder, dass die Verhältnisse in den griechischen Gefängnissen unmenschlich sind. Auf der anderen Seite soll die Polizei die Verfolgung von Kiffern in den letzten zwei Jahren so gut wie eingestellt haben. Die Lage scheint insgesamt zu unsicher, um wirklich entspannt genießen zu können. Dann doch lieber Ouzo.

Großbritannien

Trotz Prohibition ist unter britischen Schülern der Rauschhanf beliebt: Knapp 40 Prozent der 15-16-Jährigen geben an schon mal am Joint gezogen zu haben. Es existiert kein Verbot für den Konsum, wohl aber für den Besitz von Cannabis. Die Strafen für Herstellung, Beihilfe zur Herstellung und für Vertrieb sind allerdings hoch. Cannabis gilt zusammen mit den Amphetaminen und Barbituraten als Klasse-B Droge. Der Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Bei reinem Cannabis-Konsum wird aber heutzutage meist nur eine Verwarnung ausgesprochen und ein Bußgeld verhängt. Trotz der niedrigen Strafen bei geringen Mengen wird der Konsum durch die Polizei verfolgt: Auf die jährlich rund 40 Tausend Personen, welche von der Polizei wegen Mitteln aller Art angehalten werden, sind über 90 Prozent Cannabiskonsumenten. Die Aufzucht für den persönlichen Bedarf und der Handel in kleinen Mengen werden mit bis zu 6 Monaten gemaßregelt. Mit etwas Glück kostet es auch „nur“ 400 Pfund. Auf der Insel fangen die schweren Probleme dann an, wenn mehr als 30 Gramm Cannabiskraut gefunden werden. Die Höchststrafe für den Handel beträgt 14 Jahre.

Irland

Weder der Konsum noch der Erwerb von Cannabis ist eine Straftat in Irland. Wohl daran wird es liegen, dass in Irland der Anteil der Jugendlichen mit Cannabis-Erfahrung so hoch ist wie nirgendwo sonst in Europa. Trotzdem wird der Besitz bestraft – und zwar im allgemeinen „nur“ mit einem Bußgeld von bis zu 1000 Pfund. Cannabis wird vom Gesetz anders eingeordnet als andere Substanzen: Die Strafen in Zusammenhang mit Cannabis-Konsum sind meist niedriger als bei „harten“ Drogen. Trotzdem sei zur Vorsicht geraten: Die Gerichte folgen zum Teil streng den Gesetzen und diese kennen keinen Unterschied zwischen persönlichem und groß aufgezogenen Handel. Bei einer Schuldigsprechung im großen Rahmen drohen bis zu sieben Jahren Aufenthalt hinter Gittern.

Italien

Achtet man auf den leichten Inhalt seines Dope-Beutelchens kann man den Urlaub in Umbrien relativ entspannt angehen. Wird man mit (maximal) 1,5 Gramm Marihuana oder 0,5 Gramm Haschisch erwischt, droht höchstens eine Verwarnung. Drogenkonsum ist in Italien keine Straftat, seit 1998 auch nicht mehr der Erwerb und Besitz für den persönlichen Gebrauch. Zwischen Händler und Genießer wird deutlich unterschieden: Der Kleinhandel mit Cannabis wird mit Ordnungsgeldern belegt, der professionelle angelegte Vertrieb kann bis zu 6 Jahren Knast einbringen. Italien versucht statt Strafrecht das Verwaltungsrecht sprechen zu lassen: Bei wiederholten Cannabis-Konsum wird der Führerschein eingezogen. 1975 bis 1990 war der Hanfgenuss dekriminalisiert, 1992 sprachen sich 52 Prozent der Bevölkerung in einer Volksabstimmung wiederum für die Dekriminalisierung von Cannabis aus. Vorsicht: Die häufigen Regierungswechsel in Italien erhöhen die Chance fluktuierender Verordnungen in Bezug auf Cannabis-Konsum.

Kroatien

Wie in vielen osteuropäischen Ländern liegt die Verfolgung von Cannabis-Konsumenten oft im Ermessen der Ordnungshüter. Glaubt man den spärliche Informationen, ist der Besitz von kleinen Mengen Cannabis in Kroatien keine Straftat.

Luxemburg

Der Konsum von Cannabis ist illegal. Laut Gesetz sind zwischen drei Monaten und drei Jahren Gefängnisaufenthalt selbst für den Konsum vorgesehen. Die Praxis sieht freilich anders aus: Falls die Polizei den Fall überhaupt aufnimmt, sprechen die meisten Gerichte bei kleinen Mengen nur eine Verwarnung oder ein Bußgeld aus – es sei denn es kommen erschwerende Umstände hinzu. Wiederholungstäter sind anscheinend  auf der gesamten Welt ungern gesehen.

Niederlande

Konsum erlaubt, Besitz verboten. Faktische Legalisierung von Cannabis bei kleinen Mengen bis fünf Gramm. Strafen: Bei geringen Mengen keine. Größere Mengen können Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren und/oder eine Geldbuße zur Folge haben. Im- und Export Geschäfte bleiben gefährlich: Maximal vier Jahre Haft. In Coffee-Shops kann der interessierte Tourist Kostproben holländischer Drogenpolitik legal genießen. Maximal dürfen hier fünf Gramm erworben und mitgeführt werden. In diesen Läden ist der zulässige Handelsvorrat 500 Gramm, allerdings können die Kommunen geringere Mengen vorschreiben.

Norwegen

Der Konsum von Cannabis ist zwar nicht verboten, wohl aber der Besitz. Dann drohen Geldbußen, für Kultivierung oder Handel sogar zwei Jahre Freiheitsentzug. Der Im- und Export kann bis zu zehn Jahren einbringen. Die Strafverfolgungs-Praxis im Land ist hart.

Österreich

Konsum und Besitz von Cannabis sind zwar verboten, kleine Mengen werden von der Polizei aber meist geduldet. Von Bundesland zu Bundesland existieren zum Teil erhebliche Unterschiede – vor allem was die Reaktion der Polizei angeht. Bei geringen Mengen zum Eigengebrauch wird aber in allen Bundesländern von einer Anzeige abgesehen und der österreichische Einwohner muss sich einer einstündigen Beratung durch einen Arzt unterziehen. In Wien ist Cannabis beliebt – wie man hört gibt es dort keine Probleme mit der Polizei beim Konsum kleinerer Mengen. Ansonsten gilt hier wie überall: Anbau und Handel mit kleineren Mengen können mit bis zu sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. Der Handel mit größeren Mengen wird dagegen in Österreich streng verfolgt, der Besitz größerer Mengen bestraft: Eine „große Menge“ sind zur Zeit mindestens 20 Gramm reines THC. Ab da gibt´s Saures: Drei bis fünf Jahre Haft.

Polen

Lange Zeit wusste die polnische Polizei gar nicht so recht was Cannabis ist und wie es riecht. Dies hat sich mit den Jahren zwar geändert, aber der Konsum von Cannabis wird in Polen für Touristen selten zum Problem. Rauchbarer Hanf ist relativ selten: Nur 2 Prozent der 15-16-jährigen Schüler und 5 Prozent der Schülerinnen probierten schon einmal Cannabis.

Portugal

Drogenkonsum und -besitz sind in Portugal seit kurzem keine Straftaten mehr. Kleinere Mengen zum persönlichen Gebrauch zu besitzen ist zwar verboten, wird aber nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet. Die Strafen für mittlere Mengen reduzieren sich auf Bußgelder und Sozialarbeit. Aber: Einheimischen droht der Entzug der Fahrerlaubnis. Der Handel wird dagegen hart bestraft und das Dasein im portugiesischen Knast soll extrem ungemütlich sein: Zwischen 6 und 12 Jahren gibt´s aufgebrummt.

Schweden

Hier ist alles verboten was Spaß macht. Konsum, Erwerb, Besitz jeglicher illegaler Substanzen. Die Strafen sind hart. Die Polizei konfisziert radikal selbst Rauchgeräte und andere Paraphenalia. Delikte werden nach drei Gruppen kategorisiert: Klein, einfach und schwer. Schon kleine Vergehen werden mit bis zu 6 Monaten Ansicht der landeseigenen Gardinen belohnt, einfache Vergehen mit bis zu drei Jahren, schwere Vergehen mit bis zu zehn Jahren. Die Menge und der Typ der Droge spielen die entscheidende Rolle für die Kategorisierung und das Strafmaß. In der Praxis wird bei sehr geringen Mengen von Cannabis von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen. In größeren Städten wie Stockholm und Göteborg wird bei dem Besitz kleiner Mengen Cannabis und deren Konsum dieser nicht durch die Staatsanwaltschaft interveniert. Aber verlassen kann man sich auf die Gnade der Polizei nicht. In Schweden heißt es so oder so äußerst vorsichtig zu sein: Jeder zweite Gefängnisinsasse in Schweden sitzt wegen eines Verstoßes gegen die Drogengesetze.

Schweiz

Das wird ein Ski-Urlaub! Ab 2001 schien Cannabis fast legal, aber seither wird zwar kräftig angebaut, aber das ist dann doch nicht so richtig erlaubt. Auch in den legendären Duftkissli-Läden gibt es immer wieder Razzien. Wer mit ein wenig Gras in der Tasche erwischt wird, dem droht aber kaum Ungemach in der Schweiz.

Spanien

In Spanien kann gerade im privaten Rahmen entspannt gekifft werden. Das Land unterscheidet zum einen zwischen „harten“ und „weichen“ Drogen, zum anderen sind Konsum und Besitz zum Eigengenuss für beide Substanzgruppen entkriminalisiert. Seit 1991 werden Ordnungsbußen für das Kiffen in öffentlichen Einrichtungen und den Besitz von Cannabis verhängt – in der Praxis geschieht dies selten. Nur der Anbau, der Handel und die Anstiftung zum Konsum von Cannabis ist strafbar. Wem das Gericht nachweist, dass er mit Cannabis gehandelt hat, dem drohen zwischen 3 und 6 Jahren Gefängnis.

In den diversen Touristenhochburgen des Landes, aber auch in den abgelegenen Teilen des Halbinsel herrscht lockeres laissez faire. Marokko liegt nicht weit entfernt, dem entsprechend gibt´s mit guten Connections auch feine Ware. Die Grenze für die Menge des persönlichen Gerbrauchs ist festgelegt: 50 Gramm Haschisch (wenn denn die öffentliche Gesundheit nicht gefährdet war). Erst darüber gibt es Ärger mit den Hombres.

Tschechien

25 Prozent der 15-16-jährigen Schüler und 18 Prozent der Schülerinnen probierten schon mindestens einmal Cannabis. Der persönliche Cannabiskonsum und Besitz kleinerer Mengen wird nicht bestraft. In den vielen Clubs in Prag zirkuliert weiterhin der freundliche Nebel.

Ungarn

Hanf hat in Ungarn Tradition. Liegt es daran, dass hier der Besitz kleiner Mengen kaum verfolgt wird? Erst bei größeren Mengen setzt sich das Mühlwerk der Justiz in Bewegung.

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Cannabis Reisen

Hanf im Reisfeld

HanfBlatt, Nr. 65, Mai/Juni 2000

Hanf im Reisfeld

Marihuana rauchen bringt auch in Vietnam mächtig Spaß – selbst wenn das Kraut nicht wirkt

Die Propellermaschine durchstößt brummelnd den grauen, vietnamesischen Himmel. Unter uns liegt Saigon, vor uns der Urlaub an der Küste von Vietnam. Seit Tagen ist Whiskey fester Bestandteil unserer Ernährung – natürlich nur, um den Magen resistent gegen die ungewohnte Schmarotzer zu machen. So sitzen mein Freund und ich genauso duhn wie degeneriert im wackelnden Flieger der Vietnam Airlines. Liegt es daran, dass sich bei mir alles dreht? Auf alle Fälle wundert mich mal wieder diese merkwürdige Erfindung des rechten Winkels: Häuser, Felder, Strassen – von oben sehen Landschaft und Leben so wohlgeordnet aus. Wo die Natur unbeackert ihrem Dasein nachgeht, wird es runder. Am Boden mäandernde Flüsse, an Bord rosa Damen, die hier Stewardessen von Beruf werden. In den Reihen vor mir nur schwarze Pilze, die wie die asiatischen Beatles auf Tour aus den Kopfstützen wachsen. Ein Fallschirmsprung wäre jetzt geil: Unsere Jungs da unten vor den Schlitzaugen in Sicherheit bringen. Missing in Action VI. Raushauen aus ihren Wasserkäfigen und dann Richtung Kambodscha durchschlagen. Ich beruhige mich wieder von meinem Military-TV-Overdrive. Lieber mal an Jasmin-Blüten denken. Aber neben mir saust der Propeller, zerschneidet Blüte um Blüte. Was ist mit dem Wiskey an Bord? Die Nachschubroute scheint vermint. Egal, O-Saft von rosa Plüschhasen bringt es auch. Ich hoffe sehr, dass diese Gewänder keine Erotikneurosen symbolisieren. Schade, die Wirkung des Alkohols lässt nach. Landung.

küste bei nha trang

Flugabwehrgeschütze am Rollfeld und eine Stadt fast ohne Langnasen, wie die Vietnamesen die hellhäutigen Erdbewohner nennen. An der Strandpromenade wird der Tourismus geprobt: Coca Cola, Langnese, Kioske, Massagen, Maniküre, aber Marihuana? Kein Stress, wir sind ja im Urlaub. Wir ziehen in eine kleine Herberge an der Promenade. Leicht verfallen, die Zimmer muffeln. Ist das der Geruch des asiatischen Sozialismus? Wie auch immer, die Menschen sind neugierig und freundlich. „Where do you come from?“, „How old are you?“ und „What is your Name?“, werden für die nächsten Tage die Einführungssätze in Gespräche, die sich 10 bis 15 mal am Tag wiederholen.

Es wird Abend und damit leider kühl. Am Strand hat es sich eine Gruppe von fünf Typen trotzdem im Kreis gemütlich gemacht. Mein kontaktfreudiger Freund steuert auf die Männer zu und es beginnt ein Austausch von englischen Brocken. Ich sitze etwas schüchtern daneben. Der Koch aus unserem Etablissement gesellt sich dazu und nach ein paar Schlücken eines vietnamesischen Extremalkohols wird die Runde lockerer. Zeichensprache hilft, ein Typ mit Baseballmütze führt Taschenspielertricks vor. Irgendwie biegen wir das Gespräch in Richtung Rauschhanf. „Marihuana, you know, for smoking“, sagt mein Freund, spitzt die Lippen und deutet tiefe Inhalationszüge an. Die Jungs lachen, was in Asien bekanntlich gar nix heisst. „Heroin?“, fragt einer und wir schütteln entgeistert den Kopf. „No, Marihuana!“, antworten wir. Einem der Männer geht ein Licht auf, „Ahh, Malihuana…“, ruft er und redet auf seine Freunde ein. Plötzlich grinsen alle wissend. „No have“, sagt der Eine, bietet sich aber an welches zu besorgen. Wir sind kurz unsicher, denn das geht ja fast zu glatt. Gleich am ersten Abend sollten wir auf die sprudelnde Quelle der lokalen Psychoköstlichkeiten gestoßen sein? Und was ist, wenn der Typ nicht mit Hanf, sondern Haftbefehl zurück kommt? Egal, wir sind heiß.

Ohne ein gewisses Vertrauen in die Menschen lebt es sich verkehrt und unsere Männer vom Strand wirken einfach sympathisch. Der freundliche Vietnamese dampft mit seinem Moped los, während wir fröhlich weiterquatschen. Geld wollte er nicht haben, er verspricht uns beste Ware für umgerechnet 15 Mark. Zwei Stunden später schlurfen wir zurück ins Hotel. Der Koch schließt hinter uns das Tor zu – von dem Gras keine Spur. Das ist uns mittlerweile auch egal, wir haben uns trotzdem mit den Jungs zum Fußball verabredet. Von riesigen Joints träumend reisst mich das Telefon auf dem Nachttisch aus dem Nickerchen. „Your Cigarettes are here“, sagt eine Stimme zu mir. Schlaftrunken stolpere ich ans Hoteltor, vor dem der Vietnamese mit seinen Freunden lächelnd steht. Etwas spät für einen gemeinsamen Joint vertrösten wir uns auf den nächsten Tag. Ich bedanke mich für die Aktion bei ihm und falle zurück in die Heia.

Das Tageslicht enthüllt das ganze Desaster: Das Kraut, welches sich in dem Beutel befindet, überhaupt mit dem wohlklingenden Namen „Marihuana“ zu beschönigen, wäre eine Beleidigung für jeden berauschenden Hanf in der Welt. Zwar handelt es sich um weibliche Blütenstände, diese hängen aber traurig und in ihrer Mickrigkeit völlig vertrocknet an dünnen Stengelchen. Der Haufen verblüfft durch einen dezenten Braunton, von Harz keine Spur. Die Geruchsprobe lässt auf eine unabsichtliche Fermentierung schließen. Aus den Hüllkapseln rieseln immerhin Samen. Um gar nicht erst in postkoloniale Pöbeleien zu verfallen machen wir die Probe aufs Exempel. Die mitgelieferten Blättchen sind so dick wie Zeitungspapier und natürlich ohne Klebefläche. Die daraus gebastelte Tüte gleicht einem männlichen Geschlechtsorgan nach drei Tagen Daueraufenthalt in der Badewanne. Der Geschmack ist ohne Charakter und erinnert schwer an „Deutsche Hecke“ Jahre vor 1994. Eine erheiternde Stimmung setzt nach dem Genuss des Joints ein, aber das hat definitiv nichts mit dem Gras zu tun. Wir amüsieren uns vielmehr über uns selbst und das Knistern der unzähligen Samen. Und komischerweise ist uns klar, dass wir hier nicht übers Ohr gehauen wurden, sondern das dies die normale vietnamesische Qualität darstellt.

Über den Genuss und die medizinische Anwendung von Marihuana in Vietnam ist wenig bekannt. Es wird aber vermutet, dass im Zuge der chinesischen Herrschaft über das Land auch der Hanf Einzug in die Kultur und die Medizin des Landes gehalten hat. Die chinesische Han-Dynastie eroberte schon rund 100 Jahre vor Christus weite Teile Asiens und auch das heutige Vietnam. Kaum ein Volk war so vielseitig in der Nutzung der Hanfpflanze wie die Chinesen: Hanf diente schon vor der Einverleibung Vietnams seit mindestens zwei Jahrtausenden (sic!) als Nahrung, zur Produktion von Seilen, Kleidung und Fischernetzen und zur Gesundung des Körpergeistes. Im heutigen Vietnam ist der Cannabis-Konsum unter Jugendlichen durchaus verbreitet. Ein Bericht im Auftrag der Europäischen Union spricht (eher anekdotisch) von „jungen Menschen, die in den öffentlichen Parks von Hanoi Cannabis rauchen und Mahjong spielen“. Das klingt doch nett! Der Report spricht weiter von „kleinen Läden“, in denen eine Zigarettenschachtel voll Cannabis für einen halben Dollar zu kaufen ist. Wir haben jedenfalls einen recht unkomplizierten und unglorifizierenden Umgang der Jugend mit Marihuana erlebt. Was nicht heißen, soll, dass die Polizei dem Treiben arglos zusieht. Wer mit Cannabis erwischt wird, sieht zumindest einer saftigen Geldstrafe entgegen, vom durchaus möglichen Aufenthalt im Gefängnis mal ganz abgesehen.

Glaubt man den spärlichen Informationen ist Vietnam in erster Linie Transit-Land für einen regen Verkehr mit Drogen aller Art. Im benachbarten Kambodscha wird Hanf in großer Menge angebaut – allein 1996 wurden weltweit 56 Tonnen Cannabis konfisziert, die aus Kambodscha stammten. Tatsächlich stammt das zweite Beutelchen Gras, welches wir erstehen, aus Kambodscha, aber dazu später mehr. Die Probleme mit Cannabis konsumierenden Jugendlichen werden von der vietnamesischen Regierung selbst als gering eingestuft. Kein Wunder, konzentriert man sich doch im „Kampf gegen die Drogen“ in erster Linie auf Opium und Heroin. Vietnam fungiert auch hier als Transitstrecke: Die lange Küste des Landes, das verwirrenden Mekong-Delta mit seinen rund 25 Tausend Fischerbooten und die grüne Grenze zu Kambodscha machen eine Kontrolle des Warenaustausches nahezu unmöglich. Über die seit 1991 offene Grenze zu China soll sich ebenfalls ein bunter Handel mit Produkten aller Art etabliert haben. Anfang der 90er Jahre kam zudem ans Licht, dass hohe Polizeibeamte und Militärs am Geschäft mit Heroin kräftig mitverdient hatten. Bis Ende der 80er Jahre hatte die Regierung (in guter sozialistische Tradition) bestritten, überhaupt drogennutzende Einwohner zu haben. Heute sieht das anders aus: 1996 sollen schon 240 Tausend Menschen heroinabhängig gewesen sein. Das Problem ist virulent: Über der Eingangstür zur örtlichen Diskothek hängt ein großes Schild mit dem Aufdruck „No Heroin please“ und in den Stadt stehen Schilder, die mit an die Volksgesundheit appellieren.

schilder in nha trang

Nach dem dem Frühstück schwingen wir uns aufs Moped und fahren aus der Stadt heraus. Kurz darauf landen wir auf der N1, der Nationalstrasse des Landes. Hier fließt der gesamte Verkehr des Landes von Norden nach Süden und zurück. Alte sowjetische LKWs, Hühnertransporte, Busse, Mopeds, Fahrräder und Fußgänger teilen sich die schmale Straße. Armut herrscht abseits der Vorzeigestrassen der Stadt. Wellblechhütten, die Kinder spielen und leben fröhlich im Dreck. Ein zähes Volk tut sich auf, zum Teil noch körperlich durch den Krieg mit den USA und den Agent Orange-Einsatz gezeichnet. Verkrüppelte Beine, Arme, ein deformiertes Rückgrat bei einem vielleicht achtjährigen Kind, ein Kropf am Hals eines alten Mannes. Um den Irrsinn des Krieges zu ertragen, rauchten sich die US-Soldaten reichlich mit Marihuana dicht, kaum ein Amerikaner, der den Vietnam-Krieg ohne „Dope“ überstand. Der Heroinkonsum soll allerdings auch beträchtlich gewesen sein und hat amßgeblich zu seiner späteren Ausbreitung beigetragen. Offiziell starben zwischen 1964 und 1975 58.183 amerikanische Krieger. Süd-Vietnam hatte 223.748 Tote zu beklagen, für Nord-Vietnam wird die Zahl auf über eine Million geschätzt. 10 Prozent der Zivilbevölkerung (rund vier Millionen Menschen) starben, die meisten bei den Bombardements der US-Truppen im Norden des Landes.

Angesichts dieses, erst 25 Jahre zurückliegenden Krieges, verwundert es schon, dass die Jugend die westlichen Konsumgüter ohne Vorbehalte in ihre Lebenswelt integriert hat. Ob Nike-Baseballmützen und Turnschuhe, Levis-Jeans oder Fast-Food-Ketten. Fernseher und Touristenstrom bringen die heilsversprechende Nachricht von Coca Cola und MTV in das entfernteste Bergdorf. Und ob die sich gerne im Dreck wälzende Traveller-Kultur eine besseren Eindruck der westlichen Kulturerrungenschaften hinterlässt, wird selbst von den Einheimischen bestritten. Aber ob Traveller oder Tourist – jeder Reisende ist Medium dieser Nachricht und damit Teil eines Problems, welches mit den soziologischen Begriffen vom „gravierenden Wertewandel in traditionellen Gesellschaften“ nur unzureichend beschrieben ist.

Unsere Freunde vom Strand haben uns als verträgliche Menschen und wohl auch gute Einnahmequelle schätzen gelernt. Ein paar Tage später besorgen sie uns ein Beutelchen Gras, welches aus Kambodscha stammen soll. Um es kurz zu machen: Auch dieses Killergras lässt uns höchstens müde werden, die Wirkung von Tabak und Marihuana sind nicht eindeutig aus einander zu halten. Zwar sieht es etwas besser aus als die erste Ladung, Geruch und Geschmack sind aber wieder vollkommen indifferent. Aber irgendwie bringt es trotzdem Spaß kiffend auf dem Balkon zu sitzen und durch Palmen aufs südchinesische Meer zu schauen. Im Urlaub in fernen Ländern ist das Bewusstsein eh schon so sensibilisiert und von taufrischen Eindrücken umschmeichelt, dass schon der Qualm einer Sportzigarette den letzten Schubser ins Reich der Wohlfühligkeit gibt.

kinder

Kurz vor Ende unseres Aufenthalts in der Stadt finden wir eher zufällig heraus, aus welcher Quelle die Beutelchen mit dem Gras stammten. Ich will der Information kaum trauen, versuche es aber trotzdem: Am Straßenrand steht einer kleiner Stand auf Rädern, Zigaretten und Tabak werden verkauft. Hinter dem Wägelchen liegt eine Oma und schläft. Ich warte bis sie die Augen aufschlägt, dann frage ich nach Marihuana. Sie lacht, greift unter ihren Stand und zieht eine Plastiktüte hervor. In dieser warten viele Beutelchen auf Kundschaft. Nachdem ich ihr das Geld überreicht habe, legt sie sich wieder schlafen.