Archiv der Kategorie: Lyrik & Literatur

Das tägliche Brot – Anleitung zum Glücklichsein

Meine Sommerloch-Lektüre der vergangenen Tage des „Blockhüttentagebuchs“ von Rainer Höh brachte die Erkenntnis, dass umgangssprachliche Häufungen innerhalb eines Textes, der zudem noch immer in „alter“ Rechtschreibung vorliegt, mit der Zeit ziemlich anstrengend sein können.

Allerdings überzeugt die – bereits im Jahre 1979 geschriebene (und vom Verlag mit Hinweisen aktualisierte?) – Schilderung des Lebens in der Wildnis durch praktische Anleitungen. So verdanke ich dem Buch den Anstoß zu einer leidenschaftlichen (und ganz privaten) Bäckerkarriere:


Grundrezept für „Bannock“ – (Wikipedia erklärt)

2 Kaffeetassen Mehl
(ich nehme 1 1/2 Tassen Dinkelmehl, aufgefüllt mit Haferflocken)

2 Teelöffel Backpulver (mit Hefe geht es auch, im Notfall?!)

1 Prise Salz

1/2 – 3/4 gefüllte Kaffeetasse Wasser

bann1.JPG

Diese „Grundzutaten“ werden nun in einer kleinen Schüssel mittels einer Gabel miteinander vermengt. Den entstandenen Teig kann man dann – wahlweise – noch verfeinern.

bann2.JPG

Mit Speckwürfeln, gerösteten Zwiebeln – oder zum Frühstück mit Zucker und Rosinen beispielsweise.
Auch Kräuter, Knoblauch, Chili bieten sich an – für eine „feurige“ Brotzeit.

Idealerweise gibt man nun den Teig mit schwarzem Kümmel und Sesam bestreut und etwa fingerdick glattgestrichen auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech für ungefähr 25 Minuten in den Ofen bei 200° C

bann3.JPG

oder backt ihn unter Zugabe von (Raps-)Öl in der Pfanne aus. Lecker!

bann4.JPG

Die fertigen Fladen trocknen sehr schön in den Tellerhaltern eines schwedischen Möbelhauses aus!

Und? Einfach leben!

 

Gewaschene Welt

abendlicht.JPG
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

Antoine de Saint-Exupéry

Die Versuche, zu lesen, werden immer seltener und sind von kurzer Dauer. Romane, Erzählungen nehme ich für einige Minuten noch zur Hand. Keine Vertiefung scheint mir in diesen Zeiten mehr möglich, keine Aussicht. Die Perspektiven verschwimmen.

Einige Gedichte retten mich, so bunt und nah wie die Erinnerung. „Wer die Schönheit angesehen mit Augen, ist dem Tode schon anheimgegeben.“ Ich staune, darf mich noch wundern, schaue nach innen.

„Gut Licht!“ Dies wünschen sich wohl Fotografen: ein Abbild der Welt zu schaffen, – schaffen zu können. Das Leben mit neuen, anderen Augen sehen.

Vor Zechenhäusern grüßt man mit „Glück auf!“ – In der Stube sitze ich teilnahmslos fernsehend, wähne erste Triebe am Geäst der Straßenbäume. Es ist eine Sehnsucht. Es ist eine Traurigkeit, die mich umfängt. Es ist die Angst vor dem entscheidenden Schritt. So beiläufig sagt man: „Auf Wiedersehen!“

„Es knospt unter den Blättern, das nennen sie Herbst“, tröstet mich die Poesie. Vor verschlossenen Fenstern träume ich schemenhaft mäandernde Abendsterne hinter Gartenhorizonten, lasse meine Fingerspitzen über weiche Felle kreisen, rieche das Leben, mache Bilder mir von Küchenrosmarin, von Heu und Halmen, Hundehaaren.

Antike Philosophen ahnten, dass Augen-Licht den dunklen Raum erhelle, bis Selbstversuche Einsicht brachten und Gedankenspiele widerlegten.

Auch heute nämlich scheint dieselbe Sonne noch. Aber meine Augen sind grau geworden.

Alltag, trübe Sicht. Die Gedichte könnte ich im Ofen verbrennen, vielleicht erhellten sie noch einmal eine Nacht. Retten werden sie mich nicht.

Doch werde ich kein Blindgänger sein. Nur fehlte zuletzt die Zündung.

Ich muss es wagen. Ich kann es wagen. Ich will es wagen. Mein reines Bekenntnis zur Farbe. Endlich.

***

„Kuckuck!“ sagt der Arzt albern, „Essen ist fertig! Sprach Gott, als er das Ruhrgebiet erschaffen hatte.“ Mir ist nicht zum Lachen zumute nach der Narkose, zu weinen traue ich mich nicht. „Heute gab´s Linsen.“

Wie oft hat er den Satz routiniert schon gesagt? Ich blinzle, kann kaum denken. Alles schwimmt, ein ewiger Fluss: das Licht der Welt erblicken, am Ende des Tunnels. Aufwachen! Nebelfelder lichten sich nur langsam.

In fliegender Eile dann über die A 40 nach Hause, in Schrecken und wortlos. Augen zu und durch!

Doch Bilder soll man nicht überstrapazieren, denke ich noch. Erst die Wärme heimischer Räume wird mir die Augen schließlich öffnen. Wer ich bin, weiß ich seit Langem. Jetzt werde ich mich wiedersehen im Spiegel. Was wird meine Tochter sagen?

Bedächtig hebe ich die Lider und den Blick vom Boden. Die Erwartung verleiht mir eine Haltung zarter Explosionen.

Frühling! Im Festspielhaus des Gartens! Frühling! Grün! Naturgefärbte Pracht. Die Blumen blüh´n! Ich knie auf dem Sofa und will hinaus, will schrei´n vor Freude und singen vor Demut. Bäume umarmen, die ja schon Laub tragen.

Nein, Laub war gestern, – sanfte Töne locken mich, der Ursprung, leuchtend, schattenlose Energie. So sieht das Leben aus. Barfuß laufe ich nach draußen ins Zuhause. Festkrallen möchte ich mich an der Scholle, handelnd zum Zuschauer befördert, zum Gast von Löwenzahn und Gänseblümchen. Die Rosen rot, der Wein trägt zarte Reben. Mit bunten Mützen hocken reglos sieben Zwerge neben Tannen, nein, es sind acht, neun, zehn, zwölf, dreizehn. Vor Kirschlorbeer. Ein Hain des Segens. Ich streichele die Barthaare des Mohns.

Schafft Mut Verzweiflung und Verzweiflung Mut? Bedingungslos steh´n Lilien auf dem Felde.

Ein Grashalmkünstler muss am Werk gewesen sein, so Formen, Farben, Vielfalt: Überfluss. Dem Kleefeld mag ich mich noch einmal schenken, in Blüte, sehend mit Genuss. Vertraut sein mit dem Augenblick, ihn schaffen, spüren. Rasen. Holunder wachsen schon vor Hecken. In orangener Flut steht am Himmel ein einziger Stern. Sich hingeben der Wahrnehmung. Sehe ich Strahlung, die vor Zeiten erloschen?

Das Telefon klingelt. Der Anrufbeantworter tut seine Pflicht. Es wird Liebe sein.

Später dann, fernmündlich, sagt Katia, während die Dämmerung droht:

„Na, hast du´s gewagt?“

„Und überlebt!“

„Das freut mich.“

„Deine Mutter hat sich im Spiegel geseh´n. So gut ging´s mir selten. Hab´ vor der Haustür heut´ die Kelche der Blumen betrachtet, beinahe studiert. Alles ist neu für mich. Klar und rein. Weißt du, die Welt scheint, als sei sie gewaschen worden!“

„Du hast die Welt gewaschen! Endlich! Man sieht auch Wesentliches mit den Augen. – Schaffen nicht Aussichten immer auch Einsichten?“

Geben Freudentränen den Blüten Nahrung?

___

(Foto & Text: nh. Fiktionalisierte Auftragsarbeit nach der Idee einer Hasselerin, die – beinahe erblindet – nach Augenoperationen dem Frühling sprachlos, doch klaren Blickes sehend, wiederbegegnet.)

p.s.

Als “Dankeschön” erhielt ich ein wundervolles Marderfell:

Ja, so funktioniert unser Dorf, die Metropole Ruhr!

Gibt es keine künstlichen Paradiese?

Nachtrag, Artikel mit Foto zum Gedichtband: hier als pdf.

Antwort auf ein Bennsches Diktum

Das Gegenteil von Kunst“, so lautet das berühmte Diktum von Gottfried Benn, „ist nicht Natur, sondern gut gemeint.“

Nein, die Natur ist nicht der Gegensatz der Kunst, gewiss nicht. Auch nicht: das gut Gemeinte. Da sie sich, gewissermaßen, im Menschen vereinen, Kunst und Natur, erst zueinander fanden im Lichte kürzester Geschichte, als das Bewusstsein im Leben sich manifestierte. Der Widerpart der Kunst, und damit – oder: noch weitaus mehr – des Lebens, ist die neuzeitliche Industrialisierung selbiger. Neolithisch-rundgeschnitzte Frauengestalten spiegeln den möglichen Einklang intelligenter Daseinsbewältigung treffender wider, als pseudo-schamanistische Konsumkuren der scheinbar Ausgelieferten.

Es gibt keine künstlichen Paradiese. Gibt es denn wahre, echte?


Kultur ist Auflehnung


Fakt ist: dem Boden unseres Horizontes bleiben wir verhaftet, – und wollen nicht in der Norm geäußerter Stilblüten verharren. Der Boden aber, der, mal mehr, mal weniger fruchtbar, einem jeden Einzelnen gegeben, mitgegeben ist, darf doch bestellt werden, dass tausendfach, täglich und jeweils einzigartig das Mögliche entstehe: nämlich die Wegzehrung gebende und zugleich wegweisende Symbiose, in der von Produktivitäts- und Leistungswahn aufgespaltenen Zeit der Entgesellschaftung.
Schlicht: dass eine Kultur neu erwachse, die Auflehnung dagegen, immer – schlaflos konkurrierend – besser sein zu müssen, jedoch, das humane Wissen frisch wurzeln lassend, stets anders und besser sein zu können.

Frei, – und freilich, dass Kunst, die vom Ursprunge, vom Motiv durch alle Zeiten meist asozial ist, sein muss, auf eine Gesellschaft zu wirken vermag, aus welcher der Künstler, so sehr es ihn schmerzt, doch niemals auszutreten in der Lage ist.
Auch scheinbar künstliche Paradiese warfen ihn zurück ins Jetztsein. Schicksal der Transzendierenden.
Es lebe die Wahrnehmung.