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Beobachtung über die Wirkungen des Haschisch des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs 1866

Beobachtung über die Wirkungen des Haschisch

Erfahrungen des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs (1831 – 1896)

Der bekannte deutsche Afrikaforscher Gerhard Rohlfs (Wikipedia) bereiste teilweise noch unbekannte Gebiete Nordafrikas und probierte selbstverständlich auch Haschisch. Hiervon berichtete er im Jahre 1866. (Der Text stammt aus Rohlfs Reisebericht: „Land und Volk in Afrika, Berichte aus den Jahren 1865-1870“, Bremen 1870)

„Mursuk in Fessan, Ende Januars 1866.

Unter Haschisch verstehen die Araber im weitern Sinne jedes Kraut, näher jedoch bezeichnen sie damit den indianischen Hanf, cannabis indica…,weil an Vorzüglichkeit jedes andere Kraut gegen dieses in den Hintergrund tritt. Von Tripolitanien an nennen die Eingeborenen diese Pflanze Tekruri, und diesen Namen führt sie auch in der Türkei, Aegypten, Syrien, Arabien und Persien vorzugsweise…

Ich füge hier hinzu, daß die Cannabis indica wohl weiter nichts ist als die verwilderte oder wilde Cannabis sativa, und eher eine Pflanze der gemäßigten Zone als der heißen ist, denn je weiter man nach Süden vordringt, je seltener und krüppelhafter gedeiht dieselbe. Während man z.B. äußerst schöne Exemplare in den gemäßigten Bergregionen des Kleinen Atlas der Algerie und Marokko`s findet, die eine Höhe von manchmal 1 1/2 Meter erreichen, gedeiht in den heißen Oasen Tafilet, Tuat und Fessan die Pflanze nur kümmerlich, obgleich die Bewohner alle Sorgfalt auf ihren Anbau anwenden, und von Norden wird dieselbe nach Süden exportiert.

Die Eingeborenen bedienen sich derselben auf verschiedene Weise: Entweder sie zerschneiden die getrockneten Blätter und Blüthen sehr kleine und rauchen sie entweder rein oder mit Taback vermischt aus kleinen Pfeifen oder Cigarretten, oder sie vermischen dieselben mit Tumbak (Taback) und rauchen so dies Kraut aus der Nargile, oder, wie in Syrien, sie bereiten wie Thee eine Art Infusion und trinken den Aufguß mit Zucker versüßt, oder endlich man pulverisiert Blätter und Blüthen, und schluckt dies Pulver rein oder mit Zuckerstaub vermischt herunter, oder auch mit Honig und Gewürzen zu einer Art Backwerk verarbeitet; so bereiten sie aus denselben kleine Kuchen, die unter dem Namen Majoun verkauft werden.

Mag man nun Haschisch nehmen unter welcher Form man wolle, immer übt dasselbe einen starken Rausch aus. Europäer jedoch, welche Beobachtungen darüber anstellen wollen, können dies nur, entweder indem sie eine Infusion trinken, oder das Haschisch-Pulver essen, denn um eine Wirkung vom Rausche zu haben, muß man den Rauch so tief einziehen, was Araber, Perser und Türken zwar auch beim Taback- und Opiumrauchen thun, daß der Dampf, in die Lungen eingesogen, unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Zwei Theelöffel voll Haschisch genügen, um einen kräftigen Rausch bei einem Neuling hervorzubringen.

Eindruck, den auf mich die Cannabis machte.
In Mursuk, 25.Januar 1866, Abends 6 Uhr.

Ich trinke Thee in Gesellschaft Mohammed Besserkis, Enkel des Sultans Mohammed el Hakem von Fessan. Mein Bewußtsein ist vollkommen klar. Ich nehme zwei Theelöffel voll Haschischkraut, welches in einer Kaffeeröste etwas gedörrt, dann pulverisirt und mit Zuckerstaub gemischt worden war. Mein Puls war im Moment des Nehmens 90 (wie immer).

Nach einer viertel Stunde gar kein Erfolg. Wir essen zu Abend: Kameelfleisch mit rothen Rüben, Kameelfrikadellen, weiße gebackene Rüben, Bohnensalat; Salat aus Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch und Radieschen bestehend; Brod, Butter und Käse.

Besserki sagt mir, daß die Wirkung nach dem Essen kommen werde, ich indeß, – es ist jetzt 7 Uhr, – merke gar nichts. Wir trinken eine Tasse schwarzen Kaffee ohne Zucker.

7 Uhr 10 Minuten. Mein Puls hat nur 70; ich friere, obgleich eine Pfanne mit Kohlen vor mir steht. Besserki sagt, er spüre stark die Wirkung und befiehlt meinem Diener, einige Datteln zu bringen, um wie er sagt, die Wirkung zu beschleunigen; auch ich esse zwei Datteln.

7 Uhr 20 Minuten. Mein Puls hat 120 oder mehr. Bin ich in einem Schiffe? Die Stube schaukelt, mein Bewußtsein ist indeß vollkommen frei, blos scheint mir Besserki sehr langsam zu sprechen und ich vergesse oft den Anfang vom Satze, da er spricht. Auch wenn ich jetzt denke, vergesse ich, womit ich angefangen.

7 Uhr 45 Minuten. Mein Herz schlägt so, daß ich jeden Schlag höre, Puls zählen unmöglich.
Besserki sagt, er will fortgehen, mein Diener geht mit; ein anderer zündet mir eine Nargile an. Ich rauche und fliege, obgleich ich mit den Händen fühle, daß ich liege.
Ich denke ungeheuer schnell und glaube, daß ich beim Schreiben dieser Zeilen Stunden zubringe.

8 Uhr. Mein Blut schlägt Wellen, und einzelne Theile fallen von meinem Körper, obgleich ich mich dumm niederschreibe, denn ich habe vollkommen freies Bewußtsein, daß ich alle Glieder besitze. (Ich dachte wahrscheinlich, daß ich dummes Zeug niederschrieb, denn zu lesen war mir unmöglich.) Ich denke, ich will ausgehen.

8 Uhr 20 Minuten. Ich träumte, ich ginge aus, die Straßen der Stadt verlängerten sich und waren mir ganz unbekannt, die Häuser sehr hoch; ich glaube, ich war in der Polizeiveranda, wo ein Mann war, um zu petitioniren und zu mir mit einem Gesuch kam; ich ging dann zurück und setzte mich vor mein Haus.
Ich bin ohne allen Willen; die Wand gegenüber meinem Hause war schön tapezirt, auch hörte ich von fern schöne Musik und jetzt schreibe ich und sehe, daß Alles erlogen ist.
Ich will mich legen, aber bin ich wirklich verrückt?

Ich liege jetzt (8 Uhr 30 Minuten), mein Wille ist ganz weg und in mir großer Sturm. Das Licht brennt seit Stunden und ich kann es nicht ausblasen, aber ich schreibe, und da ich denke, so bin ich doch wohl nicht gelähmt. Bin ich wirklich hier? Mein Hinterkopf ist sehr angefüllt. Ich bin ungemein leicht, und wenn ich nicht schriebe, würde ich in der Luft schweben.

26. Januar Morgens.

Bis so weit hatte ich gestern Vermögen gehabt, während des Rausches zu schreiben; ich verfiel dann in einen festen Schlaf, aus dem ich heute Morgen um 9 Uhr erwachte. Nachdem ich die im Rausche niedergeschriebenen Empfindungen gelesen, war meine erste Frage, ob ich wirklich nach der Polizeiveranda gegangen sei, oder dies blos geträumt habe? Es fand sich denn, daß ich wirklich dagewesen sei, ganz vernünftig gesprochen habe, überhaupt Niemand auch nur die leiseste Ahnung hatte, daß ich im Tekrurizustande mich befände.

Nachträglich kann ich nun constatiren, daß

1) man sich ungemein leicht glaubt und oft zu schweben meint.
2) Daß der Puls, im Anfange vermindert, im vollen Stadium des Rausches eine solche Geschwindigkeit erreicht, daß es für den im Rausche Befindlichen unmöglich ist, ihn zu zählen.
3) Starker Blutandrang nach dem Hinterkopfe.
4) Auffallende Lähmung der Willenskraft.
5) Das Gedächtnis verliert seine Regeln, naheliegende Dinge werden vergessen, andere aus längst vergangenen Zeiten werden aufgefrischt.
6) Alles erscheint in den schönsten Farben und in vollkommener Harmonie.
7) Manchmal lichte Augenblicke, verbunden mit schrecklicher Angst, daß dieser Zustand immer dauern möge.
8) Endlich der ganze Rausch sui generis, und eher ein Verrücktsein, als das, was wir Europäer unter Rausch verstehen, zu nennen.

Heute Morgen indeß befinde ich mich vollkommen wohl und verspüre auch nicht im Mindesten einen sogenannten Katzenjammer.“

 

 

 

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Haschisch und Unsterblichkeit: Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. F.R. Pfaff (1864)

Haschisch und Unsterblichkeit

Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. Emil Richard Pfaff (1864)

Im Grunde ist für den Menschen nur eine einzige Frage wirklich von Belang: Gibt es eine menschliche Seele, die in irgendeiner Form in einem Jenseits den körperlichen Tod überdauert? Der wissenschaftliche Erkenntnisweg macht da keine Hoffnung: Die individuelle Existenz verlischt demnach mit den Gehirnfunktionen. Das ist eine schockierende und betrübende Vorstellung für unsere Zentralinstanz das Ego, die es stets zu verdrängen sucht. Es möchte gern unsterblich sein. Lassen sich nicht doch Beweise für ein Jenseits finden, die selbst wissenschaftlichen Kriterien standhalten? Dann wäre man auf der sicheren Seite. Mit derartigen Fragen hat sich auch der Arzt Emil Richard Pfaff beschäftigt und seine Überlegungen 1864 in einem kleinen Büchlein, den „Ideen eines Arztes über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele“, veröffentlicht. Darin beschäftigt er sich am Ende mit den Wirkungen des Haschisch:

„Die eigenthümliche Wirkung narcotischer Gifte, wie Opium und namentlich Haschisch auf die Gehirnfunction bringt eine so merkwürdige Alienation der Aeußerungen des Seelenlebens hervor, daß man daraus wichtige Schlüsse und Offenbarungen über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele hat ableiten wollen, allein so interessant für das Studium der Seele und zum Theil unerklärlich und daher geheimnisvoll diese Wirkungen auch sind, so gehört es doch in das Gebiet der menschlichen Schwärmerei, denselben eine Deutung unterzulegen, wie mehrere französische Aerzte, z.B. Cahagnet, sowie die Swedenborgianer gethan haben. Daß der Gebrauch des Opiums und Haschisch schon in den ältesten Zeiten bekannt war, geht aus den Mittheilungen arabischer Aerzte ganz unzweifelhaft hervor und es ist darnach anzunehmen, daß diese Mittel in den Orakeln und den Geheimlehren der Alten eine Hauptrolle gespielt haben. Es lag ziemlich nahe, die Wirkungen jener Mittel in dieser Richtung zu benutzen, da dieselben hauptsächlich in Hervorbringung einer merkwürdigen Ekstase, verbunden mit einer Art von Clairvoyance, bestehen, in welcher die in der Narcose befindlichen Personen die an sie gerichteten Fragen beantworten und die Bilder zu beschreiben im Stande sind, die ihnen die erregte Phantasie so lebendig vormalt, daß sie selbst an ihre Wirklichkeit glauben. Die Haschisch-Ekstase ist außerdem noch dadurch charakteristisch, daß die in derselben erzeugten Bilder und Phantasien sich tief in das Gedächtnis der Träumer einprägen und die Seele des Verzückten in eine unbeschreibliche Glückseligkeit versetzen. Und diesem Gefühle einer unendlichen, alle irdischen Genüsse weit übertreffenden Wonne ist es zuzuschreiben, daß aus dem ekstatischen Zustande Enthüllungen über das Jenseits erwartet und abgeleitet worden sind. Wie die Somnambüle Dinge sieht und beschreibt, die ihr fern sind, so giebt der durch Haschisch in Ekstase Versetzte Auskunft über Dinge, die den Bereich der menschlichen Fassungskraft weit übersteigen und die Mittheilungen, welche in diesem Zustande über das Jenseits und über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele gemacht worden sind, tragen insgesammt ein übereinstimmendes Gepräge, indem sie die Zukunft unserer Seele als eine überaus glückliche bezeichnen.

Nach den Schriften des Arabers Takiyy-eddin Makrizi ist Haschisch unter dem Namen „Keff“ (Haschischat alfokara, l`herbe des Fakirs) schon den ersten Muhammedanern bekannt gewesen. Die Pflanze, von deren Blättern das Mittel bereitet wird, wächst häufig in Egypten und heißt dort Konnab hindi (chanvre, Cannabis indica, Indischer Hanf). Die Zubereitung, welche einfach im Zerstoßen der Blätter und Vermischen des Breies mit Honig und einigen Gewürzen besteht, soll der Scheik Biraztan aus Indien erfahren haben, wo der Genuß des Haschisch seit dem grauesten Alterthume Mode war. In der arabischen Literatur existiren viele Lobpreisungen und Gedichte über dieses Mittel, sowie zahlreiche Vorschriften zu dessen Bereitung. In zu großer Dosis bewirkt es gefährliche Zufälle, sogar Convulsionen und Tod. Der arabische Arzt Ebn-Djezla empfiehlt als Gegenmittel gegen Haschisch den Genuß saurer Milch, Andere empfehlen Essig als Gegenmittel. In einem Punkte stimmen aber alle arabischen Aerzte überein, nämlich darin, daß der öftere Genuß des Haschisch noch weit nachtheiliger für die Gesundheit ist, als der des Opiums und daß unheilbare Geisteszerrüttung als die unausweichliche Folge der täglichen Gewöhnung an dieses berauschende Mittel bezeichnet wird. Es ist dies Grund genug, vor dem Gebrauche dieses Mittels zu warnen, wenngleich französische Aerzte behaupten, daß die jährlich dreimalige Anwendung desselben in nicht stärkerer Dosis, als zu 2-3 Grammes unschädlich sein soll. Nach einer solchen Dosis tritt die Wirkung innerhalb 1-2 Stunden ein und beginnt gewöhnlich mit einem krampfhaften Lachen, worauf die Visionen ihren Anfang nehmen. Daß aber von der durch Haschisch hervorgerufenen Ekstase keine wichtigeren Enthüllungen über unser Seelenleben zu erwarten sind, als von dem Somnambulismus, dem fieberhaften Delirium, dem magnetischen Schlafe, dem Traume und dergl., das geht aus den sehr detaillirten Beschreibungen der Seelenthätigkeit während der Haschisch-Narcose hervor, welche arabische und französische Aerzte und Schriftsteller mitgetheilt haben und denen zufolge die Haschisch-Wirkung weiter Nichts ist, als eine durch Vergiftung hervorgerufene Geisteszerrüttung.

Es bedarf übrigens für den Dichter, Schriftsteller und Künstler , dafern er mit genügendem Talente ausgestattet ist, eines derartigen gefährlichen Erregungsmittels nicht, um seine Seele in eine Exaltation zu versetzen, in welcher er etwas Hervorragendes schaffen kann. Durch tiefes Eindringen in den Gegenstand der Betrachtung, durch Concentration aller Seelenkräfte gleichsam auf einen Punkt tritt bei dem Denker von selbst der an Ekstase grenzende Zustand ein, in welchem ihm Dinge begreiflich und klar werden, die an sich über die menschliche Fassung zu gehen scheinen, und nur in einer solchen Lage sind wir im Stande, den trostreichen Gedanken in seiner ganzen Tiefe und überzeugenden Wahrheit zu erfassen, von dem wir ausgingen:

In dem ganzen Weltall giebt es keinen Tod, sondern nur ein Hinübergehen aus einem Leben, oder einem Zustande des Seins in den anderen.“

 

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Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien – E. Koller (1899)

Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien

Ein Sittenbild von E. Koller aus dem Jahre 1899

„Seit Jahrhunderten und auch heutzutage noch ist der Haschischgenuß im Orient sehr verbreitet, und zwar frönt man ihm mit Vorliebe in den hierzu besonders eingerichteten, mit seltsamen Wandmalereien versehenen Kaffeehäusern, wo die Haschischpfeife die Runde macht und unter eintöniger Gesang- und Musikbegleitung die Raucher in träumerische Glückseligkeit wiegt. Es ist leicht begreiflich, daß solche Genüsse verlockend auf die Masse des Volkes wirken, und das sogar die in hohem Grade gesundheitsschädlichen Folgen dieses Lasters die denselben Verfallenen nicht mehr davon abzuhalten vermögen.

Schon wiederholt wurde versucht, dem Haschischgenuß durch gesetzliche Verbote zu steuern; so erließ zum Beispiel schon im 13. Jahrhundert der ägyptische Sultan Bebars ein diesbezügliches Verbot, und auch in unserer Zeit bestehen in Aegypten Gesetze, welche nicht nur den Genuß, sondern auch die Herstellung und die Einfuhr dieses verderblichen Giftes verbieten. Trotzdem wird dasselbe in beträchtlichen Mengen heimlich eingeführt, und zwar vorzugsweise durch griechische Schmuggler, die mit ihren leichten Segelschiffen an entlegenen Stellen landen, wo verwegene Beduinen auf sie warten und den beliebten und einträglichen Handelsartikel übernehmen, um ihn auf ihren Kamelen in das Innere des Landes zu befördern, falls es ihnen gelingt, den Späherblicken der Küstenwächter zu entgehen, denen sie nicht selten hartnäckigen Widerstand leisten.

Auch auf weniger gefährliche Weise wird ziemlich viel Haschisch in Aegypten eingeschmuggelt, indem man ihn unter anderen zur Einfuhr bestimmten Waren und Gegenständen versteckt und so die Zollbeamten zu täuschen sucht. Letztere haben jedoch auf diesem Gebiete schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß sie auch die heimlichsten Verstecke ausfindig machen und dadurch den Schmuggel immer mehr erschweren. Aus den verschiedenartigen Gegenständen, in welchen auf dem Zollamt in Alexandrien verborgene Haschischsendungen entdeckt wurden, ist daselbst eine reichhaltige Sammlung angelegt worden, die dem Besucher einen interessanten Einblick in die von den Schmugglern angewandten Schliche gewährt und die man als ein Haschischschmuggel-Museum bezeichnen kann.

Beim Eintritt in dasselbe glauben wir uns in eine große Rumpelkammer versetzt, denn ringsum an den Wänden erblicken wir ein buntes Durcheinander von Haushaltungs- und sonstigen Gegenständen, die sich teilweise in einem sehr schadhaften Zustande befinden.

In der Mitte des Zimmers steht ein schönes Piano, dessen Klänge uns nicht ahnen lassen, daß es außer musikalischen auch noch anderen Zwecken zu dienen bestimmt war. Als es bei der Einfuhr zollamtlich untersucht wurde, entdeckte man mit Hilfe eines langen Bohrers, daß es im Innern Haschischpulver enthielt, und nach Entfernung der Rückwand zeigte es sich, daß alle Hohlräume, sogar der unter der Klaviatur, mit Haschischsäckchen angefüllt waren, worauf das Klavier samt Inhalt beschlagnahmt wurde.

Ein anderes Mal wurden etwa zwanzig Dutzend Tischbeine eingeführt, die alle ausgehöhlt waren und Haschisch enthielten; einige derselben sind dem Museum einverleibt worden, wo sie neben einer großen, gar nicht verdächtig aussehenden Korbflasche liegen. Dreht man letztere aber um, so erblickt man in ihrem Innern einen Blechcylinder. Die Flasche war, der Zollerklärung entsprechend, mit Oel gefüllt; bei der Untersuchung entdeckte jedoch der Beamte mit Hilfe seines Hebers das Vorhandensein des Cylinders, worauf die Flasche auf einer Seite eingeschlagen wurde, und ihr aus Haschisch bestehender Hauptinhalt zum Vorschein kam. Aehnlichen Zwecken diente die daneben stehende Cognakflasche; dieselbe war, vielleicht mit einem glühenden Draht, mitten entzwei geschniten und nach Einsetzung einer mit Haschisch gefüllten Blechbüchse wieder zusammengekittet und mit einem großen, alles verdeckenden Etikett versehen worden. Der Betrug wurde indessen auf dem Zollamt entdeckt, was die Beschlagnahme von etwa 150 solcher Flaschen zur Folge hatte.

Mit Vorliebe werden auch ausgehöhlte und sorgfältig wieder verschlossene Quadersteine und Säulen, deren das Museum auch welche enthält, zum Haschischschmuggel verwendet, ebenso Packpapierballen und Tapetenrollen.

Sogar Seifenstücke, die eine kleine Blechbüchse umschlossen, und denen man äußerlich nichts ansehen konnte, mußten demselben Zwecke dienen, ferner ausgehöhlte Bücher, Schemel, Feldstühle, Pferdekummete, Laternenpfähle, Feuerherde und Schubkarren.

Wie viel Schlauheit und Mühe auf den Schmuggel verwendet wird, zeigen die in dem Glase enthaltenen Oliven, welche teils echt, teils aus Wachstuch künstlich hergestellt und mit Haschisch angefüllt sind. Natürlich fehlen in dem Museum auch nicht die mit doppelten Böden und Wänden versehenen Kisten, Koffer und Fässer, welch letztere behufs Erschwerung der zollamtlichen Untersuchung oft mit spitzigen Nägeln angefüllt werden.

Eine häufige Verwendung zu Schmuggelzwecken finden Biskuitbüchsen mit geheimen Abteilungen; auch in Eiskästen wurden zwischen den doppelten Wänden schon bedeutende Mengen von Haschisch entdeckt.
Während des letzten griechisch-türkischen Krieges wurden auffallend viele schön eingerahmte Kriegsbilder in Aegypten eingeführt; bei näherer Untersuchung stellte es sich heraus, daß deren Hauptwert nicht in der künstlerischen Ausführung, sondern in den mit Haschisch gefüllten Rahmen bestand.

Trotz der großen Erfahrung und Wachsamkeit der Zollbeamten gelingt der Haschischschmuggel doch in manchen Fällen und wirft alsdann so hohen Gewinn ab, daß die Schmuggler für ihre häufigen Verluste reichlich entschädigt sind. Ein Pfund dieses Genußmittels, das im Ursprungslande etwa zwei Franken kostet, wird in Aegypten mit fünfzehn bis zwanzig Franken bezahlt, und es ist somit alle Aussicht vorhanden, daß die Schleichhändler auch fernerhin ihren Scharfsinn und ihre Schlauheit aufbieten werden, um die Zollbeamten zu täuschen, und daß sich das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien noch um manches interessante Stück bereichern wird.

Denn es ist eine alte Erfahrung, die im Abendland wie im Morgenland sich stets aufs neue bestätigt, daß Gesetze, die nicht im moralischen Bewußtsein des Volkes wurzeln, sondern rein fiskalischer Natur sind, selbst von sonst ganz ehrenhaften Menschen umgangen werden, und der Schlauheit des Gewinnsüchtigen ein um so weiteres Feld der Unternehmungslust bieten, als es sich hier gleichsam um einen Kriegszustand handelt, der mit den Waffen der List geführt wird, und der neben dem Reiz des Gewinnes auch noch den des Abenteuerlichen hat.“

 

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Psychopharmakologie

Oxytocin

telepolis, 06.12.2010

Foxy-Oxy?

Das „Liebeshormon“ Oxytocin funktioniert bei weitem nicht so simpel wie bislang angenommen

Das Hormon Oxytocin ist vielseitig. Es kann Vertrauen und Kooperation verstärken; das funktioniert sogar bei Erdmännchen. Es kann sozial kompatibles Verhalten bei Autismus-Patienten fördern und wird während des Orgasmus vom Körper freigesetzt. Auch bei Depressionen, Großzügigkeit und Empathie scheint es eine Rolle zu spielen.

Das Hormon wird in Studien zumeist nasal verabreicht und führt bei den meisten Menschen zu einem Gefühl von Vertrauen. Oxytocin wird daher als „Liebeshormon“ gefeiert. Aber es geht auch anders. 2008 haben Forscher der Universität Zürich gezeigt (pdf), dass das Hormon die Empathie für den Schmerz anderer Menschen nicht erhöht. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie hatte gezeigt, dass bei den Teilnehmern nach der Hormonvergabe vermehrt Neid und Schadenfreude auftraten. Verlor ein Spielpartner Geld, reagierten die hormongedopten Mitspieler gerne hämisch.

Ein neues Experiment untersuchte nun, wie Oxytocin die Einstellung von Männern gegenüber ihren Freundschaften und der Beziehung zur eigenen Mutter verändert. Die Ergebnisse sind mehrdeutig.

Durchschnittlich veränderte das geschnupfte Hormon die Erinnerung an die Mutter nicht. Bei denjenigen Männern aber, die eher besorgt um ihre Freundschaften sind, führte das Hormon zu eingetrübten Kindheitserinnerungen. Gegenüber der Placebogruppe sahen sie ihre Mutter plötzlich als weniger fürsorglich an. Die Teilnehmer dagegen, die sich ihrer Freundschaften und sozialen Kontakte eher sicher sind, reagierten genau anders herum: Sie würdigten die Nähe zu ihrer Mutter und lobten die Geborgenheit.

Die Untersuchungsleiterin Jennifer Bartz spricht mit Blick auf Oxytocin von einer „nuancierteren Rolle als bisher gedacht“. Die Wirkung der Substanz sei viel individueller als angenommen und kein Patentrezept, um Vertrauen zu schaffen. Die Flutung von Konferenzsälen muss also nicht unbedingt helfen. Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen ist die Wirkung von der aktuellen Situation und der charakterlichen Disposition des Menschen abhängig. Zudem scheint es kulturelle Unterschiede zu geben. US-Amerikaner und Koreaner reagieren beispielsweise unterschiedlich auf das Hormon.

 

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Grohe – Die Mysterien des Haschisch

Die Mysterien des Haschisch

von M. Grohe (1863)

M. Grohe war ein Künstler, der der Faszination des Orients folgte um eine längere Zeit in Ägypten zu leben. Sein 1863 in Heidelberg erschienenes Werk „Ein Orient-Buch“ ist ein wunderbares Zeugnis dieser orientalistischen Begeisterung. Besonders gerne hielt er sich im Kaffeehaus bei seinen Haschisch rauchenden einheimischen Freunden auf. Den folgenden Text aus dem „Orient-Buch“ kann man praktisch als eine Ode an das Haschisch verstehen.

„Fort, Ungeweihte! Alle, die ihr mit lieblosem Herzen und geistlosem Blick diese Blätter betrachten wollt! Alle, die ihr das Dunkel mehr liebt, als das Licht, und die Kälte mehr, als die Wärme, und die Säuerniß mehr, als die Süße!

Fort, Ungeweihte! Alle, denen der Glaube ein Räthsel ist, und die Liebe eine Thorheit, und die Hoffnung ein Wahn! Für euch sind diese Zeilen leer und dunkel.

Ihr aber, ihr Lichten, die das Weltlicht selig gepriesen, verehrt auch hier die Mysterien der Liebe: ihr Demüthigen, ihr Sehnsüchtigen, ihr Sanftmüthigen, ihr Gerechtigkeitsliebenden, ihr Mitleidigen, ihr Reinherzigen, ihr Friedfertigen, alle ihr von der Welt Verfolgten, höret und leset, dies ist für euch geschrieben.

Wenn du einmal, lieber Leser, in einer jener „Nächte des Vergnügens“ – so heißt der Araber die Vollmondnächte – die Gassen und Gäßchen einer Mosleminenstadt durchwanderst – vielleicht an einem Freitag, wo dich Mittags der aus allen Häusern und Moscheen dringende Weihrauchduft entzückte – so befremdet Dich wohl noch weit mehr, wenn du gerade an einem Kaffeehaus vorübergehst, ein anderer Geruch, ungewohnt ätherisch, süßanziehend, rasch verfliegend, unvergeßlich….. Du bist „sehnsüchtig“, wohlan tritt ein! Grüße freundlich und bescheiden; setze Dich ruhig und still.

Der Wirth bringt dir ein Tässchen Kaffee und fragt dich leise und etwas verlegen, ob du „rauchen“ wolltest, du bejahst – die Liebe sagt immer ja.

Der Wirth rüstet die arabische Volkspfeife, mischt ein Stückchen Haschisch (ein Präparat aus indischem Hanf) unter den Tabak, legt zuletzt einige Kohlen darauf, raucht höflich die Pfeife an und reicht sie dir; du rauchst;.. du rauchst Haschisch….

„Da flog der Seraphim Einer zu mir und hatte in der Hand eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe hiermit sind deine Lippen gerecht, daß deine Missethat von dir genommen sei, und deine Schuld gesühnt“..

Wer aber beschreibt die seligen Schauungen des Eingeweihten? Wer entweiht die Mysterien der Liebe, des Dichtens, des Traums und des Gebets? Denn alle diese vier höchsten Fähigkeiten des göttlichen Menschen vermittelt die Phantasie; der Haschisch ist aber ein phantasievermehrendes Mittel, und zwar das stärkste von allen.

Ich selbst, für meinen Theil, hätte hier vom Haschisch lieber geschwiegen; ich war es aber der Wahrheit schuldig, davon zu reden. Aus zwei Gründen.

Einmal cursieren darüber unter den Europäern ganz lächerlich falsche Vorstellungen. Natürlich ! Irgend ein beliebiger Mister Phibs oder Smith läßt sich von seinem Dragoman in ein Haschischcafé bringen, und raucht, um darüber sofort nach old England zu berichten, vielleicht das erstemal gleich 6-8 volle Pfeifen, das Herz, statt voll Liebe, voll Falschheit und Argwohn und Spionirlust…. und redet dann noch von Schwindel, Betrunkenheit und Unsittlichkeit !… Die Thoren ! Wissen wir doch, welch ein köstliches Reizmittel, mäßig genossen, z.B. auch der Kaffee ist, dieser herrliche Nationaltrank der Gläubigen – wem aber wird es einfallen, einem Neuling gleich 6 Schoppen davon einzugiessen?

Denke man über den Haschisch, wie man wolle; man wird ohne denselben den Orient ebensowenig verstehen, wie die Zeit und das Vaterland Voltaires ohne den Schnupftabak. Niemand wird läugnen, daß der Haschisch, wie der Wein und die Liebe und alles Göttliche, neben seinen Priestern und Dienern auch seine Narren hat, und, leider auch, seine Opfer; Letztere meist arme Schlucker, die ohne sonstige ordentliche Nahrung, oft selbst ohne Kleidung und Obdach, den letzten Heller hingeben für diesen immerhin kostspieligen Genuß, der ihnen alles andere ersetzen soll.

Dagegen mäßig genossen, bei sonstiger vernünftiger Diät, gewährt der Haschisch, nach einem Worte des Propheten, die drei höchsten Segnungen des wahren Glaubens:
„Appetit, Liebeslust und Seelenruhe.“

In der That, einfach physiologisch betrachtet, hat der Haschisch, da er durch den feinsten Sinn, den Geruch, fast unmittelbar auf den Geist einwirkt, eine mächtig potenzirende, höchst genial stimmende Wirkung; er versetzt uns und alles um uns her gleichsam in den Superlativ. Ich citire hiefür ein vortreffliches Gedicht meines Freundes Winkler, das dir, lieber Leser, wenigstens annähernd einen Blick gönnt in die Seele eines Haschischrauchers:

– Zweitausend Türkenköpfe auf einem einz´gen Pfahl, Zehntausend Weiberaugen in einem einz´gen Saal; Dann Millionen Becher vom allerbesten Wein, Das muß für weise Leute ein schöner Anblick sein.

Im Bade, zum Bedienen, ein schwarzgelockter Knab´ Und ferne, wie die Sonne, die Aussicht auf das Grab; Dann Millionen Beutel vom allerfeinsten Gold, So wär´ der Sultan selber dem alten Sünder hold.

Vom allerbesten Meister den allerhöchsten Sang; Den allerreinsten Tabak, den feinsten Mokkatrank, Dann in dem schönsten Herzen den allergrößten Raum, Und süßer wär´ das Dasein, als heut´ mein Haschischtraum.-

Was meine eigene Erfahrung betrifft, so war (außer Garibaldi) der einzige Mensch, der mich auf Erden an Jesus Christus erinnerte, ein „Haschasch“ (ein starker Haschischraucher). Er kam niemals in das Café, ohne allen freundlich die Hand zu drücken, meistens Datteln und andere Süßigkeiten – denn die Haschischraucher lieben vor Allem das Süße – darin zurücklassend; oft auch küßte er uns unter lieblichen Segenssprüchen Stirn und Wange. Ich habe nie wieder solch heiteren Ernst gesehen, solch würdevolle Weichheit, solch ein ganz nur Liebe ausstrahlendes Wesen!

Natürlich müssen diese Leute unter sich etwas Communistisches haben, wie alle Glaubens- und Liebesgenossen, die von andern verachtet und verfolgt werden – denn das werden die Haschischraucher gar oft.

Auch vereinigt sie die liebenswürdige Gewohnheit unter einander zu borgen und zu leihen, da oft Einer die andern freihält, und dann diese wieder ihn. Ueberdieß rauchen oft 6-10 Personen, jeder nur ein paar Züge, aus einer und derselben Pfeife – man gibt wohl zu, Alles eben so viele Vorbedingungen wahrer Liebe.-

Eine andere Form des Haschisch ist der Lachzucker, helau hindi, ein grünlicher Hanfextrakt in kleinen Täfelchen, mit der sonderbaren Eigenschaft, daß er, in gehöriger Quantität genossen, unwiderstehlich zum Lachen reizt, vielleicht gar das altegyptische Mittel, das schon die schöne Helena ihren Gästen in den Wein gemischt hat, um sie aufzuheitern.

Der Gegensatz des Haschisch ist das Opium, aphiun. Wenn der „Haschasch“, dem Centralfugaltriebe des Geistes fast allzusehr nachgebend, gleichsam aus sich herausfahren möchte, „um Millionen liebevoll zu umschließen,“ so brütet der Opiumraucher, der „Aphiungi“, düster und mürrisch in sich hinein.

Wehe dem Unvorsichtigen, der diese gelben, gallsüchtigen Schmeerbäuche in ihren egoistischen Träumereien stört!

Der göttlichgrobe Osmin der „Entführung“ ist solch ein Aphiungi; indeß Alhasi Derwisch im „Nathan“, wie jetzt noch fast alle Derwische, das köstlichste Vorbild ist von einem ächten „Haschasch“.

Jener möchte immer, über seine schwarzen Pläne brütend, ausruhen; dieser aber mit seiner fröhlichen Wanderparole – „nur am Ganges gibt es Menschen“ – gleicht ganz seinen himmlischen Vorbildern, jenen ewigtanzenden Sternderwischen der Nacht.“

 

 

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Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld: Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Eine Skizze von Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1879)

Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1846-1910) war ein vielschreibender österreichischer Journalist, der Südosteuropa und den Orient bereiste. Sein kurzer ungetitelt in dem Buch „Zwischen Pontus und Adria“ (1879) erschienener von typischen Vorurteilen, Kenntnisdefiziten und damit zusammenhängend beängstigenden subjektiven Erfahrungen geprägter Bericht aus (I-)Stambul gibt ein heute geradezu amüsantes Beispiel für eine insgesamt negative Bewertung des Exotikums „Haschisch“:

„Ist der Kaffee in Folge seiner belebenden Eigenschaften eine Himmelsgabe, so muß das nicht weniger beliebte orientalische Reizmittel – das Haschisch – vorweg als ein wahrhaftiges Höllenkraut bezeichnet werden. Als der fromme Scheich Birazdan zuerst das Hanf-Präparat den Gläubigen zum Genuße vorsetzte, da dürfte er wohl kaum geahnt haben, daß nach wenigen Jahrhunderten der fünfte Theil aller Menschen des Erdballes diesem entsetzlichen Laster fröhnen werde. Und ein Laster ist der Genuß des Haschischs so gut wie jener des Opiums. Zwar wirkt das Haschisch-Essen, – Trinken und -Rauchen auf den Organismus des Orientalen in keineswegs so hohem Grade wie bei Europäern, die dergleichen an sich experimentiren. Immerhin aber zerstört das Präparat Körper und Seele und frühes Siechthum ist der Lohn für die durchträumten Wonnestunden, welche dem Haschisch-Genuße folgen.
Welche Bewandtniß es im Uebrigen mit dem berückenden Scheinleben hat, das ist nicht ganz leicht zu ergründen. Der Orientale, welcher durch den Haschisch-Genuß eine farbenglühende Welt um sich sieht und alle Paradiesesfreuden in stufenweiser Aufeinanderfolge durchkostet, kennt nichts, was diesem Behagen im Leben gleichkäme. Nicht-Orientalen wissen hingegen von keineswegs wonnigen Empfindungen zu berichten, und was meine persönliche Erfahrung betrifft, so muß ich solcher Negation vollkommen beistimmen.

Es war in dem spießbürgerlich-occidentalen „Cafe Flamm“ in der Grande Rue de Pera, wo ich zuerst die Wirkungen des Haschischs an mir erproben sollte. Ich saß da mit einem guten Freunde beim königlichen Spiel, beim Schach. Einige Tage vorher hatte ich mir von einem ungarischen Emigranten ein Stück zwei Jahre alten egyptischen Haschischs verschafft, und mehr aus Uebermuth als aus irgend welch` anderen Gründen schabte ich eine Dosis von der Größe eines halben Malzbonbons in die Tasse schwarzen Kaffees. Es dürfte ein Uhr nach Mittag gewesen sein.

Ueber zwei Stunden liefen die Figuren über das Brett, der Sieg wechselte wiederholt und noch immer blieb die Wirkung aus. Da plötzlich brach ich, trotz der ernsten Situation inmitten des Spieles, in convulsivisches Lachen aus; ich sprang auf und wies, bei sonst volkommenem Bewußtsein – auf ein prächtiges, berückendes Landschaftsbild, das sich vor meinen Blicken entfaltete. Mein Genosse, der wohl wußte, um was es sich handelte, ergriff mich gewaltsam am Arme und drückte mich auf den Sitz nieder….

Die Farben begannen zu wechseln, aus hellen Blüthenbeeten tauchte phantastisches Gewächs, unförmliche Baumstrunke mit langen gespenstischen Armen, die nach mir langten. Ich meinte zu ersticken und griff hastig nach einem bereitstehenden Glase Wasser, um die trockene Kehle zu befeuchten. Die Vision schwand und über die Augen glitten helle Flocken, wie Blüthenregen, während das Ohr entzückt gedämpften Melodien lauschte, die wie Geisterchoral auszitterten. In diesem Momente schien sich der gestörte Organismus zu beruhigen, aber unmittelbar hierauf taumelte ich noch einmal in die Höhe und klammerte mich entsetzt an die Tischkante…. Ich sah einen Feuerball vor mir kreisen, der in ein flammendes Gesicht überging und mir die wohlbekannten Züge eines perotischen Mädchens wies.

Dann bemeisterte sich des Körpers eine unbeschreibliche Schlaffheit und mein Freund benützte die Gelegenheit, um mich in meine Wohnung zu transportiren, wo mich ein sechzehnstündiger Schlaf überfiel. Noch ein zweites Mal übermannte mich die Versuchung, aber eine erklärliche Aengstlichkeit gebot diesmal Maß zu halten; die ganze Wirkung beschränkte sich auf ein ausgesprochenes Gefühl der Behaglichkeit.

Zu derselben Zeit machten auch zwei meiner Orientgefährten, selbstverständlich vor nüchternen Zeugen, um jedem Unfalle vorzubeugen, ihr Debut im Haschisch-Genuße. Ein junger ungarischer Cavalier hatte eine gehörige Dosis unter das blonde Kraut Smyrnas gestreut und begann bald unruhig hin- und herzuschwanken. Seine Augen sahen stier, und indem er das Rohr halb aus seiner zitternden rechten Hand gleiten ließ, vollführte er mit der linken Hand Bewegungen, als wollte er zu einer Orchestral-Musik den Tact markiren. Plötzlich kauerte er sich zusammen und begann sich wie ein Kreisel zu drehen… „Ich schwimme!“ stotterte er… „Der Tigris um mich, drüben goldene Kuppeln… Musa`s Moschee – der Korb ist toll und schwingt wie ein Rad“… Da stieß er einen Schrei aus` und brach zusammen.

Bela war kurz vorher in Bagdad gewesen. Er erzählte uns oft von den dortigen eigenthümlichen Stromfähren, kreisrunde, gehörig verpichte Körbe, die mittelst Löffelruder in rotirende Bewegung gesetzt werden. Die Vision bewegte sich sonach in einer Erinnerung… Mittlerweile war der andere Gefährte, ein deutscher Techniker, von seinem Sitze aufgesprungen und rannte wie toll zwei-, dreimal durch`s Zimmer, bis er in einer Ecke zusammenbrach. Hier begann er bitterlich zu weinen, aber nach wenigen Minuten verklärte sich sein Auge, und um seine Mundwinkel spielte ein seliges Lächeln… „Marie!“ flüsterte er, „ich komme!… Die Höhen nahen mir,… tief unter mir ein Lichtermeer,… goldene Turmspitzen… Der Himmel hellt sich auf und die Sterne thauen auf mich herab“… Er fiel zurück und begann zu schlummern.

Im Allgemeinen beweisen diese schwachen Versuche, daß das Gefühl des Wohlbehagens vorherrscht. Bei anderen Europäern, die das Experiment des Haschisch-Genußes ausführten, bestand die Wirkung der Hauptsache nach in denselben Erscheinungen, nur traten mitunter Beklemmungen und Blutandränge ein, die ein unbeschreibliches Angstgefühl hervorriefen. Die ersten Symptome sind in der Regel beschleunigte Pulsthätigkeit und das Gefühl totaler Unbeholfenheit, verbunden mit Schwindelanfällen. Bei allen Haschischtollen stellt sich aber das Schwebegefühl ein; der Körper fällt gleichsam stückweise ab, und mehr und mehr fühlt man sich emporgetragen, so daß die Hand ängstlich nach etwas tappt, woran sie sich zu klammern vermöchte. Gänzliche Bewußtlosigkeit tritt selten ein.

Vor wenigen Jahren noch machte in Constantinopel unter allen Europäern, die je dem Haschisch vollends zum Opfer fielen, namentlich der ungarische Emigrant Baron Splenyi gerechtes Aufsehen. Er gab sich anfangs heimlich der Teufelsgabe hin, indem er seine Einkäufe bei den Derwischen besorgte, bis diese selbst die Initiative ergriffen und auf die Person des würdigen Jüngers Beschlag legten. Splenyi war damals, wie man mir erzählte, noch ein vermöglicher Mann; die Diener des Propheten aber wußten es zu arrangiren, daß er ihnen seine ganze Habe auslieferte, zum Islam übertrat und schließlich dem Orden der Mewlewi (Dreh-Derwische) sich einreihen ließ.

Von hier ab ging es mit dem Unglücklichen ganz entsetzlich rapid herab. Er wurde viele Tage hindurch nicht mehr nüchtern, übernachtete unter den Cypressen des sogenannten „Piccolo Campo“ in Pera, und lief zuletzt nur mehr mit einem Felle bekleidet am hellen Tage durch das Frankenquartier, was die Polizei zu beanständen nicht für nöthig fand. Der damalige italienische Gesandte sah einst den halb Irrsinnigen unter den Fenstern seines Palais und ließ ihn zu sich kommen und gehörig ankleiden, nicht ohne ihm zum Schluße noch eine tüchtige Moralpredigt zu halten. Splenyi aber ging directe von der Wohnung des Gesandten auf den Missr Tscharschy (Egyptischen Markt) in Stambul, um sein Habit für eine Dosis Haschisch einzutauschen, und lief nach wie vor in seinem Thierfelle umher.

Einmal traf ihn einer meiner Bekannten in höchst seltsamem Aufzuge unweit Damascus. Mit himmelwärts gewendetem Blicke, auf einem Esel reitend, kam er daher; in seinem Gefolge befanden sich einige Araber mit – Spaten. Als jener Bekannte die Leute frug, was dieser Aufzug zu bedeuten habe, antworteten sie: Der Weli (Heilige) da, habe ihnen befohlen, ihn zu begraben. Orientalen nehmen es mit dem Wunsche eines Weli (sehr häufig identisch mit einem Verrückten) meist sehr ernst, und so mußte mein Gewährsmann die abenteuerliche Gesellschaft mit Waffengewalt auseinandersprengen… Splenyi starb in den besten Mannesjahren an – Entkräftung.“

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Interview with Michael A. Rinella about Plato and the Pharmakon

telepolis, 28.04.2010

„It is a contest between philosophy and its rivals
to speak with the power of truth.“

Interview with Michael A. Rinella about Plato, drug culture, ecstasy
and philosophy in ancient greece

Platon
Platon

Dr. Rinella, what significance, what weight did the Greeks of the Classical Period attach to intoxication?

Let us consider the question of significance or awareness first. It surprises me that there are many analysts who believe that intoxication was not a condition subjected to a constant, regular, and on-going ethical inquiry in ancient Greece, simply because ancient thought lacked, to give one example, something like our contemporary theory of addiction. In other words they argue that the ancient Greeks had no “drug problem” and were in a sense oblivious about drugs. Well of course that is true if by “drug problem” you are thinking of the specific set of responses to recreational drug use in play since roughly the beginning of the Industrial Revolution. But if you consider Greek thought on intoxication in its own terms you’ll find a discourse as rich and complex as the ancient discussion of food and sex.

And the emphasis?

The question of weight or emphasis is equally important. In contemporary market economies non-productive drug use has been problematized as a disease condition to be subjected to a juridical intervention by a criminal justice system, a medico-therapeutic intervention by a drug-abuse system, or both because these systems tend to operate in loose conjunction or alliance with one another (each having a normalizing role within late-capitalist society). In ancient Greece intoxication was problematized largely on aesthetic grounds. At least until Plato, who was considerably more sophisticated than his peers in terms of understanding human psychology.

What were the parameters of an aesthetic appraisal of intoxication? And what did Plato change?

The central idea within the symposia of the elite was to drink well, and wisely. And by “drink well” they meant becoming intoxicated. If you met this goal your peers considered you properly aristocratic, refined, and a truly attractive human being. The ancient Greek poets speak of this constantly. To allow the mind to be completely unseated by a substance such as wine was considered boorish, ugly, and unattractive for several reasons. On the one hand it was considered unmanly; it made the warrior emotional and feminine. On another it led to hubristic behavior, something that was, in a culture heavily based on honor and shame rather than responsibility and guilt, about as taboo as you could get. The ugly side of intoxication was seen as a primary cause of discord in the social body politic, what the Greeks called stasis. In the politically charged atmosphere following the end of the Peloponnesian War and the trial and execution of Socrates Plato comes along and introduces a new way to think about social discord. For instance in the Republic he uses the term stasiazonta, or “stasis within” and this allows him to begin to question the value of intoxicated states from a new perspective.

Was the most common choice of intoxication at that time, wine, comparable with our wine today?

No, it really wasn’t, and this is a continuing source of misunderstanding. Ancient wine was frequently combined with other substances, including what we would today call “recreational drugs.” The surviving textual record offers ample proof of this but, as classicist Carl A. P. Ruck and a handful of others discovered, purely textual evidence was easy to dismiss or, worse, simply ignore. Now, however, the latest techniques of archeological analysis have confirmed the presence of other intoxicants in Greek wine, to the point it is simply incontrovertible. I’m thinking specifically of anthropologist Patrick E. McGovern’s works, like Ancient Wine.

On which occasions and how often were which people drinking wine?

The occasions were many. Drinking might be done in public, or private, in a religious context, or a recreational context. And the ethics of consumption would have varied depending on the situation. For example the festival of the new wine, the Anthesteria, would have been a public and religious setting for drinking, while the wine drinking and sacrifices that took place before the theatrical performances, the City Dionysia, would have been primarily public and recreational, though of course the high priest of Dionysus was seated in the front row during performances. The drinking party of the wealthy during the Classical era may be thought of as private and recreational drinking, but at the same time the ritual libation s of wine that commenced this drinking in private were themselves religious in character. The question how often or how deeply people were drinking wine is difficult to assess over the gulf of time but I suspect it was on an order different than we are accustomed too. In Plato’s Laws, for example, the Spartan Megillus mentions having seen the entire city of Tarentum drunk during the Dionysia.

And Plato’s new perspective on intoxicated states led to a new view on ecstasy as well?

Closer to the reverse. Many of Plato’s dialogues dissect claims to knowledge and authority that are based on non-rational methods, and this leads him to new insights on the value of both intoxication and ecstasy. The ancient Greeks had a saying that translates to, approximately, “truth comes from wine and children,” and this view was extolled by many poets – whose cultural authority was great – and Plato’s contemporaries in the Athenian upper class. If the project of philosophy was to know the truth through rigorous intellectual training that led to contemplation of the eternal forms, as it was for Plato, you can see how an ecstasy-based path to wisdom was going to be a problem. It is a contest between philosophy and its rivals to speak with the power of truth.

So Plato sees no place for ecstasy in the civil society?

I would distinguish between his views of civil society and the politics. On the one hand Plato is careful not to tread too heavily on ground ordinarily reserved for religion, such the cult of Dionysus or the Eleusinian Mysteries. An accusation of impiety was something you avoided if you had any sense. On the other hand he is quite hostile to social intoxication and wants to cordon that off from as many people as possible. In the political realm he sees, at most, a place for the use of dialectic to perceive, almost like a religious revelation, the eternal and unchanging forms. At the same time he appears quite pessimistic about more than a handful of individuals ever reaching such a stage of enlightenment. All in all, he has very little use for ecstasy. He may borrow some of the linguistic trappings of, for example, religious ecstasy but in the end ecstasy winds up being replaced by philosophy.

Is it correct to say that Plato’s ideas about intoxication constitute the ground for the western „drug politics“ today?

In a certain sense, yes. Michel Foucault correctly identifies Plato’s dialogues as the soil, the leaven, the climate and the environment from which a number of spiritual and intellectual movements will germinate, rise, and grow over the next two millennia. Plato’s general distrust of, and hostility toward, the pharmakon, the drug, reappears in many ancient texts. Dio Chrysosotom and Clement of Alexandria, for example. Look at Immanuel Kant’s Metaphysics of Morals. Like Plato, he allows for moderate use of wine to promote friendly conversation, but for the drugs that produce what he calls “dream euphoria” there is zero tolerance. The individuals who use these drugs are, Kant writes, less than beasts, and may be denied treatment as human beings. And Kant’s influence on moral philosophy over the last two hundred years is undeniable. If you look at the arguments against “drug abuse” in early twentieth-century publications, like the American Journal of Mental Hygiene, the perspective on drug use is distinctly Kantian.

What are the disadvantages of this perspective on drug use?

The perspective is questionable for two reasons. First, it fails to see that the arguments it advances are historically situated. Said another way, during the Industrial Revolution a set of strategies arose to address the question of ecstasy and identity – including recreational drug use – that were unique to that time period. The response to the question of recreational drug use will be as different in the post-industrial age as our present policies are from the pre-industrial age. To give a very simple example, what would be the purpose of “driving while intoxicated” laws if your vehicle is intelligent enough to drive itself? Given the growth of artificial intelligence, this could happen within a century. Second, these discourses of “drug abuse” can hide behind the veneer of “science” but at their core they are rhetorical, polemics. They do not engage in dialogue, they speak in monologues, encase themselves in privileges they alone possess and will never agree to critically examine. The recreational drug user is denied as a subject having the right to speak. He or she is reduced to a data point in a problem of epidemiology. You do not have a dialogue with an epidemic. It is a threat, an enemy, against whom any action is just and capable of being justified.

Is there a need for re-integrating ecstasy into our culture?

There is. First, because there is some evidence suggesting that taking a “break from identity” is not a disease condition to be subjected to criminal or medico-therapeutic “intervention,” it is actually common in the natural world, and ought to be something we view as both rational and healthy. Second, because the consequences of drug prohibition are both too costly in a monetary sense and too odious in a democratic and human rights sense to tolerate any longer.

Why should we use chemical intoxication instead of other forms of reaching ecstasy?

If marijuana products were legalized, for example, I really don’t think you would see them replacing “the runner’s high,” or organized religion, or artistic creation. People will still enjoy running a marathon for its own sake, attending religious rites for spiritual consolation, and the thrill of performing music and the rush of dancing. The techniques or paths for reaching ecstasy should not be seen as mutually exclusive, but rather complimentary. Seen this way, recreational intoxication is simply a single facet of a very ordinary, common, and natural human behavior.

 

About the Author

Michael A. Rinella is instructor of political theory at Empire State College in New York, and former senior editor at the State University of New York Press. In his forthcoming book Pharmakon: Plato, Drug Culture, and Identity in Ancient Athens (Lexington Books) he examines emerging concern s for controlling state s of ecstasy in ancient Greece, focusing on the dialogues of Plato.

 

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Interview mit Michael A. Rinella über Plato, das Symposion und die philosophischen Ursprünge moderner Drogenpolitik

telepolis, 28.04.2010

„Für einen auf Ekstase beruhenden Pfad zur Weisheit war kein Platz mehr“

Interview mit Michael A. Rinella über Ekstase und Philosophie im Altertum und Plato als Ahnherrn der Drogenpolitik

Platon

 

Der us-amerikanische Autor Michael A. Rinella hat eine detailreiche Studie über die Ethik des Rausches in der griechische Philosophie und Gesellschaft veröffentlicht. Er beschreibt dabei den Sieg der Rationalität über die Ekstase während der klassische Periode zwischen 500 und 336 v. Chr. anhand von Material aus poetischer Literatur, medizinischen Dokumenten und Gesetzestexten, vor allem aber den Dialogen von Plato (427 – 347 v. Chr.). Im Interview mit der Telepolis spricht Rinella über angereicherten Wein, gepflegte Saufgelage und die Auswirkungen der griechischen Philosophie auf die heutige Beurteilung ekstatischer Zustände.

Dr. Rinella, welche Bedeutung, welches Gewicht, maßen die Griechen der klassischen Periode dem Alkohol- und Drogenrausch bei?

Lassen Sie uns zunächst die Frage der Bedeutung betrachten. Es hat mich überrascht, dass viele Wissenschaftler/Analysten glauben, dass der Rausch kein Gegenstand regelmäßiger und geordneter ethischer Diskussionen war, nur weil das damalige Denken keine Theorie der Sucht kannte. Es wird teilweise argumentiert, dass die Griechen kein „Drogenproblem“ und in gewisser Weise keine bewusste Einstellung gegenüber Drogen hatten. Nun, das stimmt natürlich nur, wenn man in den Kategorien spezifischer Reaktionen auf freizeit- und genussorientierten Drogenkonsum denkt, die aber erst seit der industriellen Revolution etabliert sind. Analysiert man das griechische Denken allerdings in seinen originären Ausdrücken, so findet sich ein reicher Diskurs, der ähnlich komplex ist wie die antike Diskussion über Ernährung und Sex.

Und die Gewichtung?

Die ist genauso bedeutend. In der zeitgenössischen Marktwirtschaft wird nicht-produktiver Drogenkonsum als Krankheit problematisiert und ist Ziel juristischer Interventionen durch das Rechtssystem und medizinisch-therapeutischer Interventionen durch das Suchthilfesystem. Oder die beiden intervenieren gemeinsam, nicht zuletzt, weil sie beide eine Normalisierungsfunktion in der spätkapitalistischen Gesellschaft haben. Im antiken Griechenland wurde der substanzgebundene Rausch in erster Linie als ästhetisches Problem behandelt. Zumindest bis Plato, der die menschliche Psyche wesentlich besser durchschaute.

Was waren denn die Parameter, um den Rausch unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten? Und was hat Plato geändert?

Die zentrale Idee der Elite war es, im Rahmen der Symposien gebührend und weise zu trinken. Und mit „gebührend“ meinte man damals, sich einen Rausch anzutrinken. Erreichte man dies galt man unter seinesgleichen als aristokratisch, anständig und als ansprechendes menschliches Wesen. Die antiken Poeten sprechen ständig davon. Sich allerdings völlig von einer Substanz wie Wein davontragen zu lassen galt als flegelhaft, hässlich und unattraktiv. Und zwar aus folgenden Gründen: Auf der einen Seite galt es als unmännlich, es drohte den Krieger weichlich und weibisch zu machen. Auf der anderen Seite führte es zu anmaßendem Verhalten, zur Hybris, etwas, das in einer Kultur, die extrem auf Ehre und Schande und weniger auf Verantwortung und Schuld beruhte, als absolutes Tabu galt. Die hässliche Seite des Rausches wurde darin gesehen, der primäre Grund für Zerwürfnisse in der sozialen Gemeinschaft zu sein, die die Griechen als „stasis” ansahen. In der politisch aufgeladenen Atmosphäre nach dem Ende des peloponnesisches Krieges und dem Prozess und der Exekution von Sokrates führte Plato ein neues Denken über die Gründe für Zerwürfnisse und soziale Uneinigkeit ein. Beispielsweise nutzt er in seiner Schrift „Der Staat“ den Begriff „stasiazonta“ oder „im Rahmen der stasis“. Dies erlaubt es ihm, die Fragen nach dem Wert des Rausches neu zu stellen.

War denn das verbreiteste Rauschmittel der damaligen Zeit, der Wein, überhaupt mit unserem Wein vergleichbar?

Nein, überhaupt nicht, und das ist eine Quelle fortwährender Missverständnisse. Antiker Wein war häufig mit anderen Substanzen versetzt, eingeschlossen dem, was wir heute Freizeit- beziehungsweise Partydrogen nennen würden. Die überlieferten Aufzeichnungen geben ausreichend Zeugnis davon. Wie Carl A. P. Ruck und Andere entdeckten wurden diese Aufzeichnungen aber übersehen oder gar ignoriert. Mit den neuesten archeologischen Analysetechniken konnte mittlerweile die Existenz von anderen, psychoaktiven Substanzen im griechischen Wein nachgewiesen werden, so das dies heute unbestreitbar ist. Ich denke da speziell an die Werke des Anthropologen Patrick E. McGovern, wie beispielsweise „Ancient Wine“ (http://press.princeton.edu/titles/7591.html).

Zu welchen Gelegenheiten und wie oft tranken die Menschen Wein?

Viele Gelegenheiten wurden genutzt. Getrunken wurde in der Öffentlichkeit oder privat, in religiösen Kontext oder um sich zu erholen. Die begleitenden ethischen Regeln für den Konsum variierten mit der Situation. Beispielsweise war das Festival für den neuen Wein, das Anthesteria, ein öffentliches und religiöses Setting für das Trinken. Der Weinkonsum und die Opferriten vor den Theraterauführungen der städtischen Dionysien waren eher öffentlich und freizeitorientiert. Obwohl hier der Hohepriester von Dionysos in der ersten Reihe saß. Die Trinkgelage der Wohlhabenden während der klassischen Ära waren eher privat und erhohlungsorientiert, obwohl die dabei praktizierten [http://de.wikipedia.org/wiki/Trankopfer Trankopfer] einen religiösen Charakter hatten. Die Frage wie oft und wie stark die Menschen Wein tranken ist nach so langer Zeit schwer zu beantworten. Ich vermute aber, dass es anders ablief, als wir uns vorstellen. In Platos „Nomoi“ erwähnt der Spartaner Megillus beispielsweise, er habe die gesamte Einwohnerschaft von Tarentum während der Dionysien betrunken erlebt.

Führten Platos neue Ansichten zum Rausch zu einer neuen Sicht auf die Legitimität der Ekstase?

Sie wurden nahezu ins Gegenteil verkehrt. Viele von Platos Dialogen analysieren die hergebrachten, nicht-rationalen Methoden zur Wissens- und Autoritätserlangung. Das führte ihn zu neuen Einsichten bezüglich des Wertes von Rausch und Ekstase. Die antiken Griechen hatten ein Sprichwort das ungefährt lautete: „Im Wein und den Kindern liegt die Wahrheit“. Diese Sicht wurde von vielen Poeten hoch gehalten und gelobt, und deren kulturelle Autorität war groß, ebenso wie die von Platos Zeitgenossen aus der Oberschicht von Athen. Das Projekt der Philosophie war für Plato die Wahrheitsfindung durch rigorose intellektuelle Anstrengung, die zu Einsichten in das ewig Seiende führt. Für einen auf Ekstase, also auf dem Aus-sich-Heraustreten, beruhenden Pfad zur Weisheit war da kein Platz mehr. Es ist ein Wettbewerb zwischen der Philosophie und ihren Rivalen um die Vorherrschaft über den richtigen Weg zur Wahrheit.

Also sah Plato keinen Platz für die Ekstase in der zivilen Gesellschaft?

Da würde ich zwischen seiner Sicht auf die zivile Gesellschaft und die Politik unterscheiden. Auf der einen Seite ist Plato bedacht darauf nicht in den Gefilden zu wildern, die der Religion vorbehalten sind, so wie der Dionysos-Kult oder die Eleusinischen Mysterien. Den Vorwurf der Pietätlosigkeit wollte er vermeiden. Auf der anderen Seite steht er Rauschmitteln und Rausch recht skeptisch gegenüber und möchte diesen von so vielen Menschen wie möglich fern halten. In der politischen Sphäre sieht er zwar die Chance durch Dialektik, quasi wie eine religiöse Offenbarung, das ewig Seiende zu erkennen. Zugleich ist er skeptisch, das mehr als eine Handvoll von Auserwählten diese Stufe der Erleuchtung erreichen. Insgesamt sieht er wenig Nutzen für Ekstase, am Ende wird sie durch die Philosophie ersetzt.

Kann man behaupten, dass Platos Ansätze den Rausch zu domestizieren, die Grundlage für die westliche Drogenpolitik bilden?

Unbedingt, ja. Michael Foucault identifiziert Platos Dialoge korrekterweise als das Erdreich, das Treibmittel, das Klima und das Milieu, in dem eine Anzahl von spirituellen und intellektuellen Bewegungen keimten, wuchsen und über die nächsten zwei Jahrtausende gedeihten. Platos generelles Misstrauen und seine Ablehnung gegenüber dem Pharmakon, der Droge, erscheint in vielen historischen Texten wieder, so zum Beispiel bei Dion Chrysostomos und Clemens von Alexandria. Oder schauen Sie auf Immanuel Kants Metaphysik der Sitten. Wie Plato lässt er moderaten Weinkonsum zum Fördern gepfleger Konversation zu, aber für Rauschmittel, die das evozieren, was er „geträumtes Wohlbefinden“ nennt, hat er keine Toleranz. Die Individuen, die diese Drogen benutzen, schreibt Kant, sind weniger wert als Tiere, ihnen könnte die Anerkennung als Menschen aberkannt werden. Nun, Kants Einfluss auf die Moralphilosophie der letzten zwei Jahrhunderte ist unbestritten. Schaut man auf die Argumente gegen „Drogenmissbrauch“ in den Publikationen des frühen 20. Jahrhunderts, wie dem „American Journal of Mental Hygiene“, fällt die Übereinstimmung mit den Ansichten von Kant ins Auge.

Was sind die Nachteile dieser Sicht auf den Drogengebrauch?

Diese Sicht ist aus zwei Gründen fragwürdig. Erstens übersieht sie die historische Bedingtheit der Argumentation. Mit anderen Worten: Während der industriellen Revolution kamen Strategien zur Beantwortung der Fragen nach Ekstase und Identität auf, auch in Zusammenhang mit freizeitorientierten Konsum, die zur damaligen Zeit passten. Die Antwort auf die Fragen zu freizeitorientiertem Drogengebrauch werden in der post-industriellen Ära anders zu beantworten sein. Unsere heutige Drogenpolitik stammt allerdings noch aus der prä-industriellen Zeit. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wie wäre der Inhalt von Gesetzen zu „Fahren unter Drogeneinfluss“, wenn das Auto intellgent genug ist sich selbst sicher zu steuern? Durch die Fortschritte der KI ist das noch in diesem Jahrhundert möglich. Zweitens verstecken sich die Diskurse um „Drogenmissbrauch“ hinter wissenschaftlicher Fassade, in ihrem Kern sind sie aber phrasenhaft und polemisch. Sie agieren nicht im Dialog, sondern im Monolog, sie kapseln sich in Privilegien ein, deren Grundlagen sie nie kritisch hinterfragen lassen. Dem Drogenkonsumenten wird dabei das Recht aberkannt, für sich zu sprechen. Er oder sie wird zu einem Datensatz in der epidemiologischen Problemanalyse reduziert. Aber Mit einem Seuchenherd kann man keinen Dialog führen. Er ist eine Gefahr, ein Gegner, gegen den jede Maßnahme gerechtfertigt ist.

Gibt es Bedarf, die Ekstase in die Kultur zu reintegrieren?

Ja. Zum einen, weil es durchaus Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wunsch, eine kurzzeitige Pause von der persönlichen Identität zu nehmen, keine Krankheit ist, die durch eine juristische oder therapeutische Intervention behandelt werden muss. Es ist vielmehr gebräuchlich in der Natur und sollte von uns als etwas angesehen werden, das vernünftig und gesund ist. Zweitens sind die Konsequenzen des Drogenverbots kostspielig, sowohl in monetärer als auch in humanitärer und demokratischer Hinsicht.

Warum sollte man psychoaktive Substanzen nutzen, es gibt doch genug andere Wege in den ekstatischen Zustand?

Würde man beispielsweise Cannabisprodukte legalisieren, so würden diese doch nicht die organisierten Religionen, das „Runners High“ oder das künstlerische Schaffen ersetzen. Die Menschen würden ihren Marathonlauf weiterhin genießen, religiöse Riten durchführen, um sich spirituell aufzuladen, den Nervenkitzel beim Musizieren erleben oder den Sturm beim Tanzen. Die Techniken zum Erreichen der Ekstase schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Sieht man das auf diese Weise, wird der genussorientierte Drogengebrauch zu einer weiteren Facette des ganz alltäglichen und normalen menschlichen Verhaltens.

 

Michael A. Rinella

Michael A. Rinella ist Dozent für Politische Theorie am Empire State College in New York und ehemaliger Cheflektor am Universitätsverlag State University of New York Press. Sein im Mai bei Lexington erscheinendes Buch „Plato, Drug Culture, and Identity in Ancient Athens“ examiniert die im antiken Griechenland aufkommenden Bestrebungen, ekstatische Zustände zu bändigen. Der Fokus des Buches liegt dabei auf den Dialogen von Plato.

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Cannabis Historische Texte

Klippel – Haschisch und Haschaschin aus den „Aegyptische Skizzen“

Haschisch und Haschaschin

Ägyptische Skizzen von Ernst Klippel (1910)

Ernst Klippel war ein großartiger Kenner der arabischen Welt, der diese jahrelang bereiste. Natürlich wußte er auch vom Haschisch zu berichten:

„Die türkische Regierung sowohl als die ägyptische haben nämlich in ihrer bekannten Sorge um das Wohl ihrer Untertanen den Anbau und den Verkauf des gesundheitsschädlichen Narkotikums strenge verboten.
Die selbstverständliche Folge des Verbotes war die Entwicklung eines grossartigen Schmuggelsystems. Die Pfiffe und Kniffe griechischer Händler, wenn es sich um einen Geldgewinn handelt, sind von jeher berühmt, und die ägyptischen Zöllner wissen ein Lied davon zu singen. Bald trifft eine Schiffsladung Brennholz in Alexandrien ein, und die findigen Beamten machen die betrübende Entdeckung, dass jedes Scheit ausgebohrt und mit dem verfehmten Genussmittel gefüllt ist, bald werfen harmlose Schiffer auf ihrer Fahrt durch den Suezkanal ganze Fässer voll der verbotenen Ware über Bord, die dann von unternehmenden Armeniern aufgefischt und geborgen werden. Doch sind seit der englischen Besatzung die Beamten wunderbar wachsam und abgefeimt; wohl an achtzig Prozent aller Schmuggeleien werden entdeckt. In jedem Falle wird das Haschisch beschlagnahmt und dazu noch eine hohe Geldstrafe auferlegt. Die konfiszierte Ware wird schliesslich gestempelt und dann – öffentlich meistbietend ins Ausland verkauft. Offenbar hat das vorher so gesundheitsschädliche Haschisch durch die Stempelung seine giftigen Eigenschaften verloren. Und auch der Fiskus profitiert alljährlich ein hübsches Sümmchen durch diese Konfiskationen, sowie durch die Razzias auf die Kaffeehäuser, wo dem verbotenen Genusse gehuldigt wird.

Was nun die gesundheitsschädliche Wirkung des narkotischen Krautes anlangt, so lässt sich allerdings nicht leugnen, dass ein übertriebener Genuss, namentlich bei unzureichender Ernährung, geradezu verheerend auf den Körper wirkt. Ich habe neulich die grosse Staatsirrenanstalt in Abbassieh bei Kairo besucht. Dort waren vier grosse Säle, angefüllt mit lauter Prinzen, Königen und Kalifen – wenigstens hielten sich die Leute selbst dafür -, alles frühere Handwerker, Arbeiter, Eseltreiber, welche sich durch übermässiges Haschischrauchen um ihren Verstand gebracht hatten. Indessen beweist mir jahrelange Beobachtung, dass ein mässiger und geregelter Genuss bei guter Ernährung nicht im geringsten schädlich wirkt. Die schlimmste Folge eines einmaligen Zuviel ist eine gewisse Trägheit und Abspannung am nächsten Tage. Viel kommt auch auf die Qualität des Narkotikums an. Das sogenannte yunany – griechische – ist viel schwerer und unzuträglicher als das feine aromatische schamy oder syrische. Früher war das balady oder einheimische ägyptische Haschisch berühmt, doch hat das Verbot des Anbaues, das seit mehr denn fünfundzwanzig Jahren im Nillande besteht, dem gewöhnlichen Sterblichen diesen Genuss unmöglich gemacht. Höchstens einige einheimische Granden und Feinschmecker dürfen es wagen, ein kleines Eckchen ihrer hermetisch abgeschlossenen Gärten mit diesem Zauberkraute zu bepflanzen.

Wie allgemein verbreitet der Haschischgenuss trotz aller Verbote heutzutage doch noch ist, lässt sich daraus ermessen, dass es in Kairo nicht weniger als mindestens dreihundert Kaffeehäuser gibt, in denen der Unsitte gefröhnt wird. Und zwar sind alle Schattierungen vertreten, von der elenden, schmutzigen Spelunke bis zum grossen Kaffeehause mit Garten, Springbrunnen und in sauberes Weiss gekleideten Dienern.

Haschisch ist eine Gottheit, der meist bei Nacht gehuldigt wird. Erst wenn der letzte Schein der Abendröte vom Himmel verschwunden ist und nachdem die mahnende Stimme des Muedsin die Gläubigen zum Nachtgebete gerufen hat, schleichen die Liebhaber des narkotischen Rausches der Stätte ihrer nächtlichen Vergnügungen zu. Vorsichtig verhüllt der ägyptische Grosskaufmann sein Haupt, ängstlich hält sich der Bey oder Pascha ein Taschentuch vors Gesicht, sobald sie hastig durch einen Nebeneingang ihr Lieblingskaffeehaus betreten. Es könnte ja jemand sie erkennen und dann würde ihnen der Name eines Haschasch ihr Lebenlang anhaften, ein Titel, der für orientalische Ohren etwa dasselbe bedeutet, wie Trunkenbold für die unsrigen. Bald herrscht dann ein reges Leben und Treiben im Gärtchen des Kaffeehauses. Die Gäste sitzen auf breiten, mit persischen Teppichen belegten Bänken, für den Kahwagy (Kaffeehauswirt) hat man noch ein Schaffell ausgebreitet, dessen Wolle mit der beliebten Hennah schreiend rot gefärbt ist. Mit untergeschlagenen Beinen sitzt er da, an eine Truhe von sorgfältig eingelegter Damaszener Arbeit gelehnt, der grosse Gafaw, dessen Kaffeehaus als das beste von ganz Kairo gilt. Ein kleiner Mann mit klugen, braunen Augen. Die zahllosen Falten und Fältchen seines pergamentenen Gesichtes bekunden, wie sehr er gelebt, geliebt, genossen das irdische Glück.

Um ihn und neben ihm gruppiert sich der Kreis der Stammgäste: Da ist Sid Fatih, der Aelteste der Gewürzkrämer des Bazars, eine Art ägyptischer Beau-Brummel in prachtvollen Seidengewändern, da ist ferner Ibrahim Bey, der einmal in Konstantinopel war und dessen eifrigstes Bemühen es seitdem ist, die steife Grandezza und erkünstelte Würde der grossen türkischen Seigneurs täuschend nachzuahmen. Da ist Abu el-Fadl, ein Europäer, der aber mit dreissig Jahren die reformierte Kirche verlassen und sich zum Islam „bekehrt“ hat; ein Sonderling, der die Sitten und Gebräuche des Ostens praktisch studiert, sich einen bescheidenen Harem hält und bereits zum Grabe Alys gepilgert ist. Da hockt der Pilger Yaha, ein frommer Schneider, der dreimal schon zum „Hause Gottes“ nach Mekka gewallt ist. Jedesmal schwor er sich, nach seiner Rückkehr dem verbotenen Kraute zu entsagen, und jedesmal brach er seinen Schwur. Da ist ferner der feiste Ferid Effendi, ein schlimmer Jüngling aus alter Familie, ein Wüstling, dem man böse Laster nachsagt. Einige geschwätzige Kopten, ein schäbiger Schriftgelehrter mit mächtigem Turbane, der Possenreisser des Kreises und einige Orientalen niederer Bedeutung vervollständigen die Gesellschaft.

Jeder Gast erwirbt bei seinem Eintritte vom Wirte einige Stücke (tamyrah) des schokoladenfarbigen Harzes, von denen je eines zur Füllung einer Pfeife ausreicht. Diese Pfeife (gosah) besteht aus einer halb mit Wasser gefüllten Kokosnussschale, in die ein, etwa eineinhalb Meter langes, ausgehöhltes Zuckerrohr gesteckt ist, ein zweites, ganz kurzes Ebenholzrohr trägt senkrecht den Pfeifenkopf aus gebrannter Tonerde. Seines strengen Geruches wegen raucht man Haschisch nie allein, sondern auf einer Unterlage, bestehend aus einem Gemisch von Honig und einem schwarzen, schweren Tabak, dem Hassan Kef. Auf diese Unterlage wird ein Würfelchen des hartgetrockneten Harzes gelegt, einige glühende Holzkohlen darauf getan und die Pfeife ist bereit. Ein Diener – in der Regel wählt man dazu schöne Knaben, schlohweisse Tunesier oder Türken – reicht die brennende Pfeife im Kreise herum, jeder Gast tut zwei oder drei tiefe Züge, den kühlen, aromatischen Rauch dabei in die Lungen einziehend und dann eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase ausstossend. So folgt Runde auf Runde und bald beginnt sich die Wirkung des betäubenden Genussmittels in dem Benehmen und auf den Gesichtern der Raucher zu zeigen.

Der Einfluss des Narkotikums ist je nach Temperament des Rauchers und der Grösse der genossenen Dose und der Art ihrer Zubereitung ein ganz verschiedener. Nach den ersten Zügen schon bemächtigt sich ein angenehmes Wohlgefühl des ganzen Körpers, eine Art süsser, wollüstiger Müdigkeit, dabei steigert sich die Tätigkeit des Gehirns, ganze Gedankenreihen werden blitzschnell durchdacht, geistige Bilder von seltener Schärfe und Lebhaftigkeit wechseln in kaleidoskopischen Reigen. Bei vorgeschrittenem Stadium des narkotischen Rausches stellt sich eine gewisse Geschwächtheit ein, das Bedürfnis zu reden um jeden Preis, dazu eine Neigung zu unmotiviertem Lachen. Es ist das der risus sardonicus, das kalte, rein körperliche Lachen, ohne seeelische Ursache.
In diesem Stadium lieben es die Raucher, sich an den berüchtigten schlüpfrigen Erzählungen des Orients zu ergötzen, Erzählungen, im Vergleich zu denen die Anekdötchen des Pester Caviar eine elende Spielerei sind.

Aber auch auf das Sexualsystem hat der Haschischgenuss eine belebende Wirkung. Frauen ziehen das Geniessen des Haschisch dem Rauchen fast immer vor, denn es gibt davon auch in Form von harmlos aussehenden Kuchen, Zuckerbohnen, Pillen und Getränken. Auch als dünne Stäbchen, die man in Zigaretten steckt, verschmähen die listigen Haremsschönen seinen Genuss nicht. Sie sind es ja auch nur allzu häufig, die ihre Männer dazu ermuntern.

Wird aber das Rauchen zu weit getrieben, so stellen sich leichte Vergiftungserscheinungen ein: der Blick wird starr und ausdruckslos, die Sprache schwer und lallend, im Gegensatz zur Alkoholvergiftung sinkt der Pulsschlag beträchtlich, und der Berauschte verfällt in einen bleiernen Schlaf.
Der erste Zustand ist der verführerischste, der Geist scheint gleichsam vom Körper losgelöst, wir empfinden ein Gefühl der Leichtigkeit und Unkörperlichkeit, welcher unwillkürlich die Illusion des Fliegens und Schwebens, wie auf purpurnen Aetherwellen, hervorruft. Erhaben ob Raum und Zeit empfinden wir die im Fluge verstreichenden Stunden wie ebensoviele Minuten. Regungslos, sprachlos sitzt der Raucher da, im stummen Glücke. So tief ist er in sich selbst versunken, dass er bei jeder Berührung durch die Aussenwelt wie in tötlichem Schrecke auffährt: Der übertriebene Haschischgenuss erzeugt ein unheimliches Angst- und Furchtgefühl.

Dem schon genannten Abu el-Fadl fiel einmal inmitten seiner Träumereien eine grosse schwarze Bohne aus dem geheimnisvoll rauschenden Blättergewirr in den Schoss. Der Träumer schaute die harmlose Frucht einen Augenblick verstört an, dann stiess er einen grauenvollen Angstschrei aus, rannte taumelnd einige Schritte und brach dann zusammen. Man brachte ihn bald wieder zur Besinnung und seine erste Frage war: „Der Skorpion, ist er tot?“ Er hatte in seinem narkotischen Rausche die Bohne für einen jener totbringenden Skorpione gehalten, die gelegentlich in menschliche Wohnungen dringen.
Man wandelt eben nicht ungestraft unter Palmen, und das Glück ist ein flüchtiger Schatten, es lässt sich nicht für ein paar Piaster kaufen.“

 

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Historische Texte

Ein Haschischrausch im Sommerloch

Ein Haschischrausch im Sommerloch

von Philipp Berges (ca. 1895)

Philipp Berges war ein 1863 in Lübeck geborener deutsch-jüdischer Journalist und Redakteur, der zeitweise in den USA arbeitete und später in Hamburg lebte. Ende des 19. Jahrhunderts schrieb er die „humoristische Skizze aus dem amerikanischen Leben“ „Ein Haschischrausch“ über einen hanebüchenen Trip mit einer Rauschhanf-Tinktur.

„In den weiten Räumen der Redaktionsoffice war es still geworden. Drückend lastete die Schwüle der Hundstage auf allen Gemütern und verwandelte die „verantwortlich-redaktionellen“ Gehirne in ebenso viele Treibhäuser voll strahlender, exotischer Gewächse, welche die tollsten Blüten trieben.“

Burn-out bei den Redakteuren – da erschien der Chefredakteur, der „Häuptling“, mit einer genialen Idee:

„Sie sollen dem Blatt ein Opfer bringen, ein Rauchopfer…fort, sage ich, in eine Opiumhöhle, damit wir morgen die Wirkungen dieses Giftes auf den Raucher schildern, seine Träume, seine Illusionen, seinen Katzenjammer-…“…
„Aber finden Sie nicht, daß das Opium denn doch ein etwas, nun, sagen wir, „abgedroschener“ Stoff ist?! Wie wär`s mit einem Rausch in dem berühmten indischen Ha-“
„Ha-?“
„Ha-sch-“
„Haschisch???“ schrie der Häuptling.
„Jawohl, Haschisch!“
„Ah! Großartig, herrlich, immens, kolossal, unbezahlbar!…Eilen, laufen, fliegen Sie, opfern Sie sich auf dem Altar des Tagesschrifttums…““

Und los ging`s:

„Nur noch wenige Minuten trennten mich von dem großen, weltgeschichtlichen Augenblicke, der mich – ein unschuldiges Opferlamm auf dem Altar des Tagesschrifttums – in den Rachen des grauen Moloch „Haschisch“ verschwinden sehen sollte.
Nach endlosen Irrfahrten durch New York und Brooklyn war es mir gelungen, den aus den Blütenschwänzen des indischen Hanfs gewonnenen Zaubertrank zu erlangen – gerade genug, wie der Apotheker sagte, um damit einen kapitalen Rausch anzustiften, mit dem man sehr vorsichtig umgehen müsse. Vorsichtig? Jawohl, denn die Wirkung sei in Bezug auf den Zeitpunkt ihres Eintritts ganz unberechenbar und verleite überdies nicht selten zu allerhand tollen Unternehmungen. Ich hatte also dementsprechend meine Vorbereitungen getroffen.
Nun saß ich in einer Sofaecke meines eigenen trauten Junggesellenheims und überschaute noch einmal mit erzwungener Kaltblütigkeit das Schlachtfeld. Die Thüre hatte ich zugeschlossen und den Schlüssel stecken lassen. Im Zimmer herrschte angenehme Dämmerung… Vor mir auf dem Tische stand in hellem Glase das berauschende Gift, daneben eine Flasche frischen Wassers; zur Rechten lag ein Kästchen mit Zündhölzern, zwei Bleistifte und einige Blatt Papier, zur Linken ein verschlossenes Couvert mit Briefen, Notizen und letztwilligen Verfügungen. Alles überragend aber stand in der Mitte des Tisches eine aufs genaueste geregelte Uhr…Wie würde die Wirkung sein? Würde es mich ohnmächtig niederwerfen – ?…Mit einer hastigen Bewegung der Hand gieße ich den Trank in mein Inneres herab – – – –
Ein süßlicher Geschmack verbreitet sich in meinem Munde, über die Zunge, den Gaumen, und steigt prickelnd in das Geruchsorgan empor. Gleich einem Strome flüssigen Feuers scheint der Zaubertrank in mein Inneres herabzurinnen. Der Zaubertrank?! – – – Alles bleibt still und unverändert. Keine Wirkung. Nicht die leiseste.“

Schließlich fing er an zu deklamieren, erst den neunten Gesang der „Odyssee“, dann in freier Rede seine Betrachtungen zu einem „Rückblick aus dem Jahre 2000“. Ob seiner geistigen Klarheit kam er zu dem Schluss:

„Ich bin das Opfer eines Betruges, der Apotheker hat, um den ungestümen Dränger loszuwerden, harmloses Zuckerwasser, Brausepulver oder, ich weiß nicht was sonst, in die Flasche gegossen und ich, der Angemeiertste aller Staubgeborenen, habe es für Haschisch getrunken – – -“

Eine volle Stunde war verflossen. Er zog sich an und verließ das Haus:

„Hm, und wenn die Wirkung später doch noch eintritt, auf offener Straße etwa?! – – Pah! Hatte ich nicht meine Legitimation und eine Reihe blinkender Dollars, ganz abgesehen von den papierenen, in der Tasche?! Vorwärts!!
Im nächsten Augenblick wurde die Thüre geräuschvoll verschlossen und die Treppe hinab schritt pfeifend ein ansehnlicher junger Mensch.
Dieser ansehnliche junge Mensch war ich. Ich – haha! der haschisch-vergiftete Redakteur!“

Mit der Hochbahn fuhr er „downtown“ um doch noch etwas Berichtenswerteres als „Stoff“ für sein Blatt zu erleben „als den elenden Haschischrausch“. Da erfasste ihn „ein gewaltiger Hunger“, den er „als eine Folge des verschluckten Giftmischerproduktes betrachtete“ und trat ins nächstbeste Restaurant um Steak und Kaffee zu bestellen. Plötzlich wurde die Frau in einem Reklamebild lebendig:

„Entsetzt sprang ich auf und blickte in die Höhe. Täuschung! Nichts regte sich, das blanke BIld schaute lächelnd zwar, doch unbeweglich, starr auf mich nieder. Langsam glitt ich zurück in meinen Sessel und stützte den Kopf in die Hand, um noch einmal in fieberhafter Anstrengung hinabzuhorchen in mein Inneres. Ja, jetzt regte es sich; wie mit Geisterhänden begann es mich zu umspinnen. Langsam schien eine fremde Gewalt auf mich niederzusinken – – es war, als ob ich selbst bescheiden zurücktrete, ganz zurück in den schattigen Hintergrund, und ein anderer Besitz nehme von dem Gebilde aus Fleisch und Blut, das meinen Namen trug. Und dieser andere war stark, wild, launenhaft, kampfesmutig – – auf und ab rollte und zuckte es durch meine Nerven. Mein Hunger schien plötzlich verschwunden; die Leere in meinem Magen, die sich eben noch zum Abgrund erweitern zu wollen schien, war bis zum Rande ausgefüllt.
Und während diese seltsame Verwandlung in meinem Wesen vor sich ging, stand mein altes, eigenes Selbst immer noch still im Hintergrund, geistesscharf beobachtend, nachdenkend; erfreut und ängstlich zugleich, und der Dinge harrend, die da kommen sollten. O, heiliger Apotheker, erhabener Freund der Gerechtigkeit, verzeihe mir die übereilten Anklagen! Dein Trank wirkt gut. Schon bin ich nicht mehr ich selbst, bin berauscht, behext, mein Wesen hat sich in zwei geteilt. O, wäre ich zu Hause geblieben, zu Hause in der sicheren Sofaecke.“

Er brach spontan auf:

„Wohin jetzt?! Gleichviel – nur vorwärts! Hurra! Die ganze Welt liegt offen. Nur vorwärts!
Summend, trällernd, pfeifend schritt ich den Broadway aufwärts, und meine Tritte hallten donnernd von den Wänden zurück. Jetzt bog ich in eine westliche Seitenstraße ein. Ein baumlanger Kerl von rowdymäßigem Aussehen, der (mit Recht) glauben mochte, ich befände mich unter dem Einfluß eines berauschenden Getränkes, stellte sich mir in den Weg. Ich prügelte ihn weidlich durch und schritt trällernd weiter, während am anderen Ende der Straße einige durch das Geräusch des Kampfes angelockte Blaujacken erschienen.
Ohne zu wissen, wie ich eigentlich hingekommen, fand ich mich nach einer Weile am „Abfahrtspeer“ der Hobokener Fährdampfer.“

Impulsgesteuert beschloss er nach Europa zu fahren, kaufte einen Fahrschein und enterte das Schiff. Dort nahm er sich eine Kabine und verfiel in Schlaf. Doch beim Erwachen stellte er erschüttert fest, dass er sich in einem Zug auf dem Weg zu den Niagarafällen befand:

„Aber trug denn ich die Schuld? Nein, es war ja die fremde Macht, die diese Verwirrungen angestiftet hatte, die starke Gewalt, die jetzt für mich dachte und handelte, der Geist des Haschisch, der mich fest in seinen Krallen hielt.
Allein der eigentliche Rausch war vorüber, das fühlte ich wohl. Zwar leitete der fremde, ungestüme Geist noch meine Handlungen, aber ich sah, hörte mit offenen Augen und Ohren, begriff, urteilte klar und scharf, lebte wieder in der Wirklichkeit.“

Die folgenden Wochen verweilte er bei den Fällen:

„Der besorgten Redaktion meiner Zeitung hatte ich schon wenige Tage nach meiner Ankunft über die Haschischirrfahrt Bericht erstattet und an meinen Brief das Ersuchen geknüpft, die kommenden Wochen als meine Sommerferien betrachten zu dürfen, da ich wider Willen nun doch einmal unterwegs sei.“

Dies wurde ihm zugestanden. Unterdessen hatte er sich bereits heftig in eine russische Fürstin verliebt:

„Zuweilen, wenn ich auf unseren einsamen Ausflügen neben ihr saß, überkam mich wieder der alte, traumhafte Zauber des Haschischrausches. Dann glaubte ich die Frühlingsgestalt mit dem blonden Haar und den blauen Augen wieder zu erkennen, die in jenem kleinen Restaurant am Broadway Miene machte, aus dem Reklamebild zu mir herabzusteigen.“

Der Chefredakteur schrieb ihm wochenlang genervte Briefe, doch:

„Nichts zog mich zur Arbeit, zum Schreibtisch…Ging ich dem Wahnsinn entgegen? Stand ich noch immer unter dem Einfluß der vielleicht übergroßen Dosis des Haschisch, oder war es nur meine wahnsinnige Liebe, die mich zu ihrem Sklaven machte?!“

Schließlich wurde er entlassen. Als er dieses Opfer seiner Geliebten mitteilen wollte, musste er feststellen, dass diese überraschend abgereist war. Verzweifelt beschloss er, sich von der Niagara-Brücke in den Tod zu stürzen:

„Ein wilder Hilfeschrei entströmte meinen Lippen und brach jäh ab. Heftig fuhr ich empor – erwacht vom Schall meiner eigenen Stimme.
Alles still um mich her, kein rauschendes Wasser, keine zackigen Felsenriffe. Ich bin gerettet. Aber wo, wo bin ich?…Ich befinde mich in meinem eigenen Zimmer, sitze noch immer in der sicheren Sofaecke! Vor mir auf dem Tische steht noch alles in gehöriger Ordnung…seit dem Verschlucken des Zaubertrankes ist der Zeiger nur um zehn Minuten vorgerückt…Tausend Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften, unzählige Gedanken und Handlungen, die Zeitdauer von Monaten, mit ihren Leiden und Freuden, habe ich durchlebt in zehn Minuten!! Nur eins vermisse ich – das leere Haschischglas. Ah – hier ist es. Es liegt, in tausend Scherben zersplittert am Boden – – – – –
Verehrter Herr Chefredakteur!
Hier ist nun die Haschischgeschichte, von welcher Sie sich so viel versprochen. Sie sehen, es ist auch nichts besonderes geworden. Zwar ein „echtes Kind meines phänomenalen Verstandes und meiner äquatorialen Phantasie“ (Ihre eigenen Worte, großer Häuptling), wird es mich doch nur auf höchstens acht Tage unsterblich machen. Nun, nicht ich, sondern der Haschischteufel trägt die Schuld, dessen Einflüsterungen ich genau aufgezeichnet habe…“