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Interview mit Michael A. Rinella über Plato, das Symposion und die philosophischen Ursprünge moderner Drogenpolitik

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telepolis, 28.04.2010

„Für einen auf Ekstase beruhenden Pfad zur Weisheit war kein Platz mehr“

Interview mit Michael A. Rinella über Ekstase und Philosophie im Altertum und Plato als Ahnherrn der Drogenpolitik

Platon

 

Der us-amerikanische Autor Michael A. Rinella hat eine detailreiche Studie über die Ethik des Rausches in der griechische Philosophie und Gesellschaft veröffentlicht. Er beschreibt dabei den Sieg der Rationalität über die Ekstase während der klassische Periode zwischen 500 und 336 v. Chr. anhand von Material aus poetischer Literatur, medizinischen Dokumenten und Gesetzestexten, vor allem aber den Dialogen von Plato (427 – 347 v. Chr.). Im Interview mit der Telepolis spricht Rinella über angereicherten Wein, gepflegte Saufgelage und die Auswirkungen der griechischen Philosophie auf die heutige Beurteilung ekstatischer Zustände.

Dr. Rinella, welche Bedeutung, welches Gewicht, maßen die Griechen der klassischen Periode dem Alkohol- und Drogenrausch bei?

Lassen Sie uns zunächst die Frage der Bedeutung betrachten. Es hat mich überrascht, dass viele Wissenschaftler/Analysten glauben, dass der Rausch kein Gegenstand regelmäßiger und geordneter ethischer Diskussionen war, nur weil das damalige Denken keine Theorie der Sucht kannte. Es wird teilweise argumentiert, dass die Griechen kein „Drogenproblem“ und in gewisser Weise keine bewusste Einstellung gegenüber Drogen hatten. Nun, das stimmt natürlich nur, wenn man in den Kategorien spezifischer Reaktionen auf freizeit- und genussorientierten Drogenkonsum denkt, die aber erst seit der industriellen Revolution etabliert sind. Analysiert man das griechische Denken allerdings in seinen originären Ausdrücken, so findet sich ein reicher Diskurs, der ähnlich komplex ist wie die antike Diskussion über Ernährung und Sex.

Und die Gewichtung?

Die ist genauso bedeutend. In der zeitgenössischen Marktwirtschaft wird nicht-produktiver Drogenkonsum als Krankheit problematisiert und ist Ziel juristischer Interventionen durch das Rechtssystem und medizinisch-therapeutischer Interventionen durch das Suchthilfesystem. Oder die beiden intervenieren gemeinsam, nicht zuletzt, weil sie beide eine Normalisierungsfunktion in der spätkapitalistischen Gesellschaft haben. Im antiken Griechenland wurde der substanzgebundene Rausch in erster Linie als ästhetisches Problem behandelt. Zumindest bis Plato, der die menschliche Psyche wesentlich besser durchschaute.

Was waren denn die Parameter, um den Rausch unter ästhetischen Gesichtspunkten zu betrachten? Und was hat Plato geändert?

Die zentrale Idee der Elite war es, im Rahmen der Symposien gebührend und weise zu trinken. Und mit „gebührend“ meinte man damals, sich einen Rausch anzutrinken. Erreichte man dies galt man unter seinesgleichen als aristokratisch, anständig und als ansprechendes menschliches Wesen. Die antiken Poeten sprechen ständig davon. Sich allerdings völlig von einer Substanz wie Wein davontragen zu lassen galt als flegelhaft, hässlich und unattraktiv. Und zwar aus folgenden Gründen: Auf der einen Seite galt es als unmännlich, es drohte den Krieger weichlich und weibisch zu machen. Auf der anderen Seite führte es zu anmaßendem Verhalten, zur Hybris, etwas, das in einer Kultur, die extrem auf Ehre und Schande und weniger auf Verantwortung und Schuld beruhte, als absolutes Tabu galt. Die hässliche Seite des Rausches wurde darin gesehen, der primäre Grund für Zerwürfnisse in der sozialen Gemeinschaft zu sein, die die Griechen als „stasis” ansahen. In der politisch aufgeladenen Atmosphäre nach dem Ende des peloponnesisches Krieges und dem Prozess und der Exekution von Sokrates führte Plato ein neues Denken über die Gründe für Zerwürfnisse und soziale Uneinigkeit ein. Beispielsweise nutzt er in seiner Schrift „Der Staat“ den Begriff „stasiazonta“ oder „im Rahmen der stasis“. Dies erlaubt es ihm, die Fragen nach dem Wert des Rausches neu zu stellen.

War denn das verbreiteste Rauschmittel der damaligen Zeit, der Wein, überhaupt mit unserem Wein vergleichbar?

Nein, überhaupt nicht, und das ist eine Quelle fortwährender Missverständnisse. Antiker Wein war häufig mit anderen Substanzen versetzt, eingeschlossen dem, was wir heute Freizeit- beziehungsweise Partydrogen nennen würden. Die überlieferten Aufzeichnungen geben ausreichend Zeugnis davon. Wie Carl A. P. Ruck und Andere entdeckten wurden diese Aufzeichnungen aber übersehen oder gar ignoriert. Mit den neuesten archeologischen Analysetechniken konnte mittlerweile die Existenz von anderen, psychoaktiven Substanzen im griechischen Wein nachgewiesen werden, so das dies heute unbestreitbar ist. Ich denke da speziell an die Werke des Anthropologen Patrick E. McGovern, wie beispielsweise „Ancient Wine“ (http://press.princeton.edu/titles/7591.html).

Zu welchen Gelegenheiten und wie oft tranken die Menschen Wein?

Viele Gelegenheiten wurden genutzt. Getrunken wurde in der Öffentlichkeit oder privat, in religiösen Kontext oder um sich zu erholen. Die begleitenden ethischen Regeln für den Konsum variierten mit der Situation. Beispielsweise war das Festival für den neuen Wein, das Anthesteria, ein öffentliches und religiöses Setting für das Trinken. Der Weinkonsum und die Opferriten vor den Theraterauführungen der städtischen Dionysien waren eher öffentlich und freizeitorientiert. Obwohl hier der Hohepriester von Dionysos in der ersten Reihe saß. Die Trinkgelage der Wohlhabenden während der klassischen Ära waren eher privat und erhohlungsorientiert, obwohl die dabei praktizierten [http://de.wikipedia.org/wiki/Trankopfer Trankopfer] einen religiösen Charakter hatten. Die Frage wie oft und wie stark die Menschen Wein tranken ist nach so langer Zeit schwer zu beantworten. Ich vermute aber, dass es anders ablief, als wir uns vorstellen. In Platos „Nomoi“ erwähnt der Spartaner Megillus beispielsweise, er habe die gesamte Einwohnerschaft von Tarentum während der Dionysien betrunken erlebt.

Führten Platos neue Ansichten zum Rausch zu einer neuen Sicht auf die Legitimität der Ekstase?

Sie wurden nahezu ins Gegenteil verkehrt. Viele von Platos Dialogen analysieren die hergebrachten, nicht-rationalen Methoden zur Wissens- und Autoritätserlangung. Das führte ihn zu neuen Einsichten bezüglich des Wertes von Rausch und Ekstase. Die antiken Griechen hatten ein Sprichwort das ungefährt lautete: „Im Wein und den Kindern liegt die Wahrheit“. Diese Sicht wurde von vielen Poeten hoch gehalten und gelobt, und deren kulturelle Autorität war groß, ebenso wie die von Platos Zeitgenossen aus der Oberschicht von Athen. Das Projekt der Philosophie war für Plato die Wahrheitsfindung durch rigorose intellektuelle Anstrengung, die zu Einsichten in das ewig Seiende führt. Für einen auf Ekstase, also auf dem Aus-sich-Heraustreten, beruhenden Pfad zur Weisheit war da kein Platz mehr. Es ist ein Wettbewerb zwischen der Philosophie und ihren Rivalen um die Vorherrschaft über den richtigen Weg zur Wahrheit.

Also sah Plato keinen Platz für die Ekstase in der zivilen Gesellschaft?

Da würde ich zwischen seiner Sicht auf die zivile Gesellschaft und die Politik unterscheiden. Auf der einen Seite ist Plato bedacht darauf nicht in den Gefilden zu wildern, die der Religion vorbehalten sind, so wie der Dionysos-Kult oder die Eleusinischen Mysterien. Den Vorwurf der Pietätlosigkeit wollte er vermeiden. Auf der anderen Seite steht er Rauschmitteln und Rausch recht skeptisch gegenüber und möchte diesen von so vielen Menschen wie möglich fern halten. In der politischen Sphäre sieht er zwar die Chance durch Dialektik, quasi wie eine religiöse Offenbarung, das ewig Seiende zu erkennen. Zugleich ist er skeptisch, das mehr als eine Handvoll von Auserwählten diese Stufe der Erleuchtung erreichen. Insgesamt sieht er wenig Nutzen für Ekstase, am Ende wird sie durch die Philosophie ersetzt.

Kann man behaupten, dass Platos Ansätze den Rausch zu domestizieren, die Grundlage für die westliche Drogenpolitik bilden?

Unbedingt, ja. Michael Foucault identifiziert Platos Dialoge korrekterweise als das Erdreich, das Treibmittel, das Klima und das Milieu, in dem eine Anzahl von spirituellen und intellektuellen Bewegungen keimten, wuchsen und über die nächsten zwei Jahrtausende gedeihten. Platos generelles Misstrauen und seine Ablehnung gegenüber dem Pharmakon, der Droge, erscheint in vielen historischen Texten wieder, so zum Beispiel bei Dion Chrysostomos und Clemens von Alexandria. Oder schauen Sie auf Immanuel Kants Metaphysik der Sitten. Wie Plato lässt er moderaten Weinkonsum zum Fördern gepfleger Konversation zu, aber für Rauschmittel, die das evozieren, was er „geträumtes Wohlbefinden“ nennt, hat er keine Toleranz. Die Individuen, die diese Drogen benutzen, schreibt Kant, sind weniger wert als Tiere, ihnen könnte die Anerkennung als Menschen aberkannt werden. Nun, Kants Einfluss auf die Moralphilosophie der letzten zwei Jahrhunderte ist unbestritten. Schaut man auf die Argumente gegen „Drogenmissbrauch“ in den Publikationen des frühen 20. Jahrhunderts, wie dem „American Journal of Mental Hygiene“, fällt die Übereinstimmung mit den Ansichten von Kant ins Auge.

Was sind die Nachteile dieser Sicht auf den Drogengebrauch?

Diese Sicht ist aus zwei Gründen fragwürdig. Erstens übersieht sie die historische Bedingtheit der Argumentation. Mit anderen Worten: Während der industriellen Revolution kamen Strategien zur Beantwortung der Fragen nach Ekstase und Identität auf, auch in Zusammenhang mit freizeitorientierten Konsum, die zur damaligen Zeit passten. Die Antwort auf die Fragen zu freizeitorientiertem Drogengebrauch werden in der post-industriellen Ära anders zu beantworten sein. Unsere heutige Drogenpolitik stammt allerdings noch aus der prä-industriellen Zeit. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wie wäre der Inhalt von Gesetzen zu „Fahren unter Drogeneinfluss“, wenn das Auto intellgent genug ist sich selbst sicher zu steuern? Durch die Fortschritte der KI ist das noch in diesem Jahrhundert möglich. Zweitens verstecken sich die Diskurse um „Drogenmissbrauch“ hinter wissenschaftlicher Fassade, in ihrem Kern sind sie aber phrasenhaft und polemisch. Sie agieren nicht im Dialog, sondern im Monolog, sie kapseln sich in Privilegien ein, deren Grundlagen sie nie kritisch hinterfragen lassen. Dem Drogenkonsumenten wird dabei das Recht aberkannt, für sich zu sprechen. Er oder sie wird zu einem Datensatz in der epidemiologischen Problemanalyse reduziert. Aber Mit einem Seuchenherd kann man keinen Dialog führen. Er ist eine Gefahr, ein Gegner, gegen den jede Maßnahme gerechtfertigt ist.

Gibt es Bedarf, die Ekstase in die Kultur zu reintegrieren?

Ja. Zum einen, weil es durchaus Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wunsch, eine kurzzeitige Pause von der persönlichen Identität zu nehmen, keine Krankheit ist, die durch eine juristische oder therapeutische Intervention behandelt werden muss. Es ist vielmehr gebräuchlich in der Natur und sollte von uns als etwas angesehen werden, das vernünftig und gesund ist. Zweitens sind die Konsequenzen des Drogenverbots kostspielig, sowohl in monetärer als auch in humanitärer und demokratischer Hinsicht.

Warum sollte man psychoaktive Substanzen nutzen, es gibt doch genug andere Wege in den ekstatischen Zustand?

Würde man beispielsweise Cannabisprodukte legalisieren, so würden diese doch nicht die organisierten Religionen, das „Runners High“ oder das künstlerische Schaffen ersetzen. Die Menschen würden ihren Marathonlauf weiterhin genießen, religiöse Riten durchführen, um sich spirituell aufzuladen, den Nervenkitzel beim Musizieren erleben oder den Sturm beim Tanzen. Die Techniken zum Erreichen der Ekstase schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. Sieht man das auf diese Weise, wird der genussorientierte Drogengebrauch zu einer weiteren Facette des ganz alltäglichen und normalen menschlichen Verhaltens.

 

Michael A. Rinella

Michael A. Rinella ist Dozent für Politische Theorie am Empire State College in New York und ehemaliger Cheflektor am Universitätsverlag State University of New York Press. Sein im Mai bei Lexington erscheinendes Buch „Plato, Drug Culture, and Identity in Ancient Athens“ examiniert die im antiken Griechenland aufkommenden Bestrebungen, ekstatische Zustände zu bändigen. Der Fokus des Buches liegt dabei auf den Dialogen von Plato.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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