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Interview mit dem Suchttherapeuten Helmut Kuntz

hanfblatt, Nov. 2003

Dem Kiffer (mit Problemen) kann geholfen werden

Fragen an den Suchttherapeuten Helmut Kuntz

Legalisierungsbefürworter fordern frei nach dem Motto „Kein Knast für Hanf“ eine Beendigung der Strafverfolgung von Cannabisgebrauchern. Über Cannabisfreunden schwebt nämlich immer noch das Damoklesschwert der staatlichen Bestrafung und der sozialen Ausgrenzung durch beispielsweise Arbeitsplatz- oder Führerscheinverlust. In vielen Berufen und gesellschaftlichen Kreisen kann ein Outing als Cannabiskonsument unangenehme Folgen haben. Die Gefahr der Diskriminierung trägt sicherlich nicht zu einer freien und offenen Auseinandersetzung als Grundlage einer Prävention und Behandlung selbstschädigenden Konsumverhaltens bei. Denn, dass es auch eine Minderheit von Konsumenten gibt, die Cannabis nehmen, obwohl es ihnen offensichtlich nicht gut tut, oder so, dass es sie in unerwünschter Weise in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt, die also einen problematischen Konsum betreiben, dafür sprechen Umfrageergebnisse und die Berichte von Therapeuten, an die sich Kiffer mit Problemen wenden. Einer dieser Helfer in der Not ist der Familientherapeut Helmut Kuntz. Er hat seine Erfahrungen in dem interessanten Ratgeber „Cannabis ist immer anders“ (siehe unten) zusammengefasst.

az: Mag für die große Mehrheit der Gebraucher der Cannabiskonsum eine Bereicherung in ihrem Leben darstellen, so gibt es doch auch vereinzelt Konsumenten, bei denen sich alles nur ums Kiffen dreht, und die darüber das, was eigentlich in ihrer aktuellen Lebenssituation notwendigerweise zu tun wäre, nicht auf die Reihe kriegen. Wann beginnt Ihrer Einschätzung nach der Konsum von Cannabis problematisch zu werden, und wie äußert sich das?

Kuntz: Es ist vielleicht „hanfpolitisch“ wenig genehm und kratzt am Mythos von Cannabis als relativ harmloser Droge, doch ich kann auf Grund meiner Erfahrungen leider nicht mehr bestätigen, dass es nur vereinzelte Konsumenten sind, welche durch ihren Cannabiskonsum in Schwierigkeiten geraten. Teilweise bestehen die Schwierigkeiten in ihrem Leben schon vor dem Konsum, und der Gebrauch speziell von Cannabis findet in der trügerischen Hoffnung auf Erleichterung statt. Grundsätzlich ist der Konsum von Cannabis problematisch, wenn er zur Besänftigung bedrückender Gefühle dienen soll. Kritisch ist in jedem Falle der gewohnheitsmäßige, tägliche oder mehrfach tägliche Einsatz der Droge zu werten. Auch der „nicht bestimmungsgemäße“ Gebrauch von „Gras“ oder „Shit“ in der Schule oder am Arbeitsplatz spricht nicht für kompetente Konsumenten. Der chronische Gebrauch von Cannabis birgt in hohem Maße die Gefahr, die tragenden sozialen Beziehungen zu belasten oder sogar zu zerstören. Entwertende Äußerungen wie „Das ist mir doch egal“ oder „Du hast mir gar nichts zu sagen“ können verräterische Alarmzeichen sein. Das Risiko steigt mit den „harten“ Gebrauchsmustern wie „Bhong-“ oder „Eimer-Rauchen“. Es steht außer Frage, dass sie ein weitaus höheres Abhängigkeitspotential bergen, als das Genießen von Joints. Absolut „verpeilte“ Konsumenten mit solchen Gebrauchsmustern, z.T. sogar mit psychiatrischen Auffälligkeiten in Form psychotisch anmutender Symptome sind keine Seltenheit im Beratungsbereich. Das größte Risiko der Konsumenten ist aber weniger die Droge an sich, sondern die eigene Überheblichkeit im Umgang mit ihr, die Illusion, jederzeit alles im Griff zu haben und jede persönliche Gefährdung zu verleugnen.

az: Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für die Entwicklung selbstschädigender Konsummuster?

Kuntz: Selbstschädigende Konsummuster entwickeln sich auf Grund schädigender sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen. Die Konsumgesellschaft, die nach dem Motto „Immer mehr, immer weiter, immer schneller, immer höher“ lebt, ist bereits in ihrem Wesen eine süchtig kranke Gesellschaft. Wo sie als gnadenlose Ellenbogengesellschaft Menschen zunehmend ausgrenzt, ohne Schulabschluss, Lehrstelle, Arbeitsplatz oder Wohnung zurücklässt, nimmt sie den Menschen vielfach ihren Selbstwert. Fehlendes Selbstwertgefühl ist der ideale Nährboden für Suchtmittelmissbrauch. Wie soll jemand gut und fürsorglich mit sich umgehen, der kaum die Erfahrung gemacht hat, respektvoll behandelt zu werden?

az: Wer ist besonders gefährdet, in destruktiver Weise zu konsumieren? In welchen Lebensabschnitten besteht eine besondere Gefahr der Entwicklung problematischen Konsumverhaltens?

Kuntz: Ganz normale Suchtkranke kommen aus ganz normalen Familien. Wer den Platz im Leben nicht findet, wo er sich aufgehoben fühlt und wo er etwas Sinnvolles bewirken kann, entwickelt eher destruktive Verhaltensweisen als jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlt. Aber selbstverständlich ist der steinige mühevolle Weg der Pubertät und des Erwachsenwerdens eine besonders anfällige Zeit für Drogengebrauch. Da stellen sich eine Lebensaufgabe und ein Reifungsschritt nach dem anderen: Schulabschluss, Berufsorientierung, Ablösung vom Elternhaus, den Platz in der Gruppe finden, Umgang mit Liebesbeziehungen und Trennungen usw.. Menschen können daran reifen und im besten Sinne „erwachsen“ werden oder scheitern. In diesem Zusammenhang gesehen, muss uns die Tendenz sorgen, dass Jugendliche heute immer früher den Einstieg in den Suchtmittelgebrauch riskieren. Weder körperlich noch seelisch sind 11-, 12-, 13- oder 14-jährige Jungen und Mädchen darauf eingestellt, in diesem frühen Alter mit den Wirkungen potenter eigenmächtiger Rauschmittel zu tun zu bekommen. Dabei spielt es keine große Rolle, ob das Zigaretten, Alkohol oder andere psychoaktive Drogen sind.

az: Was können Kiffer selbst tun, wenn sie mit ihrem Konsumverhalten unglücklich sind und dies verändern wollen? Wohin können sie sich wenden, falls sie das Gefühl haben, Hilfe zu brauchen, und wie wird dann geholfen?

Kuntz: Die Frage enthält bereits den entscheidenden Punkt. Nur derjenige kann und wird etwas verändern, der dies auch will, und zwar ernsthaft und nicht nur halbherzig. Innerlich motivierte Kiffer haben gute Chancen auf positive Veränderungen, selbst wenn sie ganz tief im Schlamassel stecken. Sie können sich an jede örtliche Sucht- und Drogenberatungsstelle wenden, wenn sie erst die Hemmschwelle überwunden haben. Berater haben Schweigepflicht. Niemand muss also befürchten, sich in zusätzliche Schwierigkeiten zu bringen, wenn er Hilfe sucht. Wie die Hilfe aussehen kann, wird im Einzelfall zusammen entschieden. Da es allerdings eine Arbeit zwischen Menschen aus Fleisch und Blut ist, muss die „Beziehungschemie“ stimmen. Wer sich als Hilfesuchender bei einem Berater menschlich oder fachlich nicht gut aufgehoben fühlt, sollte weiter suchen.

az: Wie können Freunde und Angehörige jemandem helfen, der anscheinend über das Kiffen Beziehungen, Schule oder Beruf vernachlässigt?

Kuntz: In ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinträchtigte Kiffer unterschätzen häufig, was ihre Kifferei mit Freunden oder Angehörigen macht. Für Hilfsmöglichkeiten gibt es keine Patentantwort. Angehörige wie Freunde können allerdings nur dann helfen, wenn sie selbst mit ihren heftig widerstreitenden Gefühlen dem Kiffer gegenüber umzugehen wissen. Um die typischen Beziehungsfallen und Fehler im Verhalten zu vermeiden, müssen Angehörige zudem wisssen, was das Wesen der süchtigen Dynamik ausmacht. Wichtig ist klares konsequentes Verhalten. Unter Umständen müssen sich Angehörige darauf einstellen, Kiffer monate- oder sogar jahrelang durch viele Schwierigkeiten hindurch zu begleiten. Das ist ein überaus belastendes „Geduldsspiel“. Wo die Kifferei ein Ausmaß annimmt, dass sie in Diebstahl und tätliche Gewalt ausartet, können Angehörige die Grenze ziehen und dem Kiffer die Tür weisen, durch die er dann zu gehen hat. Andere entscheiden sich, ihr Kind niemals fallen zu lassen und unter allen Umständen die Beziehung zu halten. Für Eltern sind in solch schwierigen Situationen die Elterngruppen in Beratungsstellen sehr hilfreich zur eigenen Unterstützung. Freunde können einem Kiffer eigentlich nur sein Verhalten und seine Persönlichkeitsveränderung spiegeln. Aber weder Freunde noch Angehörige können jemandem helfen, der sich nicht helfen lassen möchte. Irgendwann muss man ihm dann die alleinige Verantwortung für sein Tun überlassen.

az: Es ist zu vermuten, dass auch im Falle einer Entkriminalisierung von Cannabisgebrauchern ein kleiner Teil der Konsumenten zumindest phasenweise in für sie problematischer Weise kiffen würde. Es wäre aber vermutlich ein weniger angstbesetzter, ideologisch verbrämter und damit offenerer Umgang möglich. Deshalb meine Frage: Beeinträchtigt die aktuelle Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht die Möglichkeiten therapeutischer Hilfe und ehrlicher präventiver Aufklärungsarbeit?

Kuntz: In meiner persönlichen präventiven, beratenden oder therapeutsichen Arbeit fühle ich mich durch die Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht wirklich beeinträchtigt. Ich brauche kein Blatt vor den Mund zu nehmen und kann offen über alle Aspekte des Cannabsikonsums sprechen. Als Berater habe ich einerseits Schweigepflicht und andererseits bin ich in keinem Zusammenhang zu Aussagen über Klienten gegenüber Dritten verpflichtet. Beratungsstellen sind insofern ein geschützter Raum.

az: Und zum Schluß dann noch die Gretchenfrage: Sie haben beruflich wohl in erster Linie mit Problemkiffern zu tun. Ihrem Buch kann man aber auch entnehmen, dass sie das weite Feld der integrierten Konsumenten kennen und durchaus respektieren. Obendrein verfügen Sie über eigene Konsumerfahrungen. Wie stehen Sie zur Frage einer Entkriminalisierung? Was muss gewährleistet sein oder noch erreicht werden, um eventuelle negative Konsequenzen des Cannabiskonsums möglichst gering zu halten?

Kuntz: Die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten nutzt in der Tat niemandem. Jeder Kiffer muss ein Eigeninteresse haben, das „11. Gebot“ zu beachten: „Du sollst dich nicht erwischen lassen.“ Erstaunlicherweise gibt es bei den Konsumenten noch verbreitete Missverständnisse in Bezug auf Tolerierung und Legalisierung des Cannabiskonsums. Eine Tolerierung haben wir in Grenzen erreicht. Für eine völlige Legalisierung wird es keine politische Mehrheit geben. Vor allem wird Legalisierung niemals bedeuten, Cannabis ebenso frei zu verkaufen, wie derzeit Zigaretten und Alkohol. Wir haben mit diesen beiden Suchtmitteln bereits Probleme genug. Angestrebt werden können pragmatischere Lösungen im Umgang mit Cannabis, wobei die Diskussion um mögliche „Coffeeshop“-Modelle mehr ideologisch als alltagstauglich geführt wird. Bei der praktischen Umsetzung solcher Denkmodelle stecken die Probleme im Detail: Wo soll Cannabis verkauft werden? Welche Qualifikation muss ein Verkäufer aufweisen? Wer darf ab welchem Alter wieviel erwerben? Selbst ein „Coffeshop“ kann wohl kaum an 11-, 12- oder 13-jährige Kiffer offiziell Cannabis verkaufen. Wo wenden die sich dann hin? Für den problematischen Umgang unserer gesamten Gesellschaft mit Suchtmitteln aller Art gibt es keine wirkliche Lösung. Es sei denn, wir könnten so zufrieden oder gar glücklich leben, dass wir es nicht nötig hätten, unser Leben durch die Wirkungen von Rauschmitteln zu „bereichern“. Aber dann hätten wir eine andere Gesellschaft.

Lesetip:

Helmut Kuntz
„Cannabis ist immer anders.
Haschisch und Marihuana: Konsum-Wirkung-Abhängigkeit.
Ein Ratgeber.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel 2002
278 Seiten
ISBN 3-407-22832-5
14.90 Euro

Helmut Kuntz
„Ecstasy-auf der Suche nach dem verlorenen Glück.
Vorbeugung und Wege aus Sucht und Abhängigkeit.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel, 2. erweiterte Neuausgabe 2001 (1. Aufl. 1998)
245 Seiten
ISBN 3-407-22830-9
10,90 Euro

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Cannabis Drogenpolitik

Legal – aber wie?

HanfBlatt Nr.80, Nov./Dez. 2003

Klar, legal! Aber wie?

Wie würde die Cannabis-Szene die Praxis der Legalisierung von Cannabis gestalten?

Zunächst einmal: „Legalisierung“ ist ein typisches Schlagwort, geeignet Verwirrung zu stiften. Letzlich geht es darum, welche Regulierungen für den Erwerb und Konsum einer Droge, in diesem Fall Cannabis, bestehen. Denkt man sich die Drogenpolitik als ein Spektrum, dann hockt am einen Ende die strikte, immer strafbewehrte Prohibition, am anderen Ende der gänzlich freie Markt. Wie könnte eine Legalisierung des Hanfs praktisch aussehen? Welche Modelle schlummern hierzu in den Schubladen der Ämter, welche Theorien haben die Wissenschaftler? Wichtiger aber noch ist, wie die Cannabis-Szene die Freigabe der pflanzlichen Produkte umsetzen würde. Was sagt der Otto-Normal-Kiffer, was der Dealer, was die Homegrowerin, was der Head-Shop-Besitzer? Ein Lauschangriff ins Herz einer bekifften Republik.

Hört man sich nun in der Szene um, so existieren recht moderate Töne ob der Realisierung der Legalisierung. Nur schrittweise, so meist die Annahme, sei zu erreichen, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz genommen wird. Zunächst sei daher in einem ersten Schritt der Konsums und der Besitz kleiner Mengen für den eigenen Bedarf zu entkriminalisieren. Aber was faällt noch unter Eigenbedarf? Michael, 19-jähriger Gelegenheitskiffer aus Bochum, meint: „Egal, wie man sich hier genau entscheidet, dem Richter eine Wochenration von 500 Gramm verklickern zu wollen, das dürfte schwierig werden.“

An dieser Stelle stellt sich eine Anschlussfrage, auf welche selbst unsere vielzitierten holländischen Nachbarn keine Antwort gefunden haben: Wo kommt das Zeug her? Die niederländische Hanfpolitik regelt zwar den Verkauf im Laden – hier kann jede Volljährige ihr fünf Gramm Beutelchen Marrok erstehen – was aber am Lieferanteneingang abgeht, das will keiner so recht wissen. Cannabis-Händler und Produzenten werden nach wie vor von der Polizei verfolgt. So eine Rechtspolitik nennt man „inkonsistent“ und eine solche ist im braven Deutschland nicht zu machen. Sebastian, 30, Miteigentümer eines Grow-Shops in Hamburg, sagt deshalb: „Der Markt in Holland ist kein peaciges Zuckerschlecken. Es gibt Revierkämpfe, Repressionen und Menschenopfer im Zusammenhang mit dem Handel mit Cannabis. Es muss in Deutschland also darum gehen, den gesamten Schwarzmarkt aufzulösen.“

Konservative Puritaner schlagen noch immer die Hände über dem Kopf zusammen, klügere Menschen ahnen es dagegen schon lange: „Ohne die Legalisierung des Anbaus, des Handels und des Konsums von Cannabis innerhalb bestimmter staatlich kontrollierter Rahmenbedingungen ist ein drogenpolitischer Neubeginn nicht möglich.” So schreibt der Drogenexperte Günther Amendt, 63, in seinem Buch “Die Droge, Der Staat, Der Tod”.

Wenn überhaupt, dann scheint für die verantwortlichen Schlaumeier in Berlin nur eine kontrollierte Marktregulierung denkbar, die zwei Bereiche berücksichtig: Gesundheits- und Jugendschutz. In einem zweiten Schritt könnte daher Cannabis ins Lebensmittelrecht eingeordnet werden. Dieses Recht stellt Cannabis dem Alkohol und dem Tabak gleich, was freilich auch beinhaltet, die Pflanze legal herzustellen und damit zu handeln. Dabei gilt es zunächst zwei Fallstricke zu umgehen.

Es ist zum einen unredlich zu behaupten, dass der Haschisch- und Marihuana-Konsum bei einer Freigabe nicht ansteigen würde. Dies kann keiner so genau wissen. Die Erfahrungen in Holland aber haben gezeigt, dass der Konsum trotz freier Verfügbarkeit nicht angestiegen ist. Autoren wie Amendt gehen davon aus, dass bei einer Freigabe der Gebrauch zunächst ansteigen, später aber wieder abflachen wird, wenn das „verdeckte Nachfragepotential erst einmal abgeschöpft ist“. Gewarnt werden muss auch vor der falschen Hoffnung, die Legalisierung könne den Missbrauch von Hanf vollständig verhindern. Immer wird ein bestimmter Anteil von Menschen den Cannabiskonsum in falsche Bahnen lenken. Vor diesem Hintergrund lassen sich ehrliche Überlegungen über die Praxis der Legalisierung anstellen.

Aus Sicht vieler Kiffer und anderer Experten ist der dritte Schritt den Anbau für den Eigenbedarf zu ermöglichen, wobei sich wieder die Frage der Grenzziehung stellt. Veteranen wie Hans-Georg Behr, Jahrgang 1937, schlagen ein auf fünf Jahre begrenztes Gesetz vor, welches den Anbau von bis zu 50 Hanfpflanzen erlaubt. Bei mehr als 50 Pflanzen wären 7,50 Euro pro Pflanze steuerlich abzuführen. „50 Pflanzen? Damit würde ich schon zufrieden sein“, sagt Lars, Home-Grower in Hannover.

Ein Teil von Wissenschaftler, aber auch der praxisorientierten Kiffer- und Grower-Szene setzt auf das staatliche Monopol für den Hanfvertriebe. Dies verwundert schon, ist es doch dieser Staat, der die Konsumenten nach wie vor mit Strafen belegt. Der Vorteil liegt auf der Hand: Eine nationale, noch zu gründende Institution könnte die Einfuhr von Gras und Hasch überwachen. Unter Umständen könnte so bereits eine Kontrolle des Anbaus (auch unter ökologischen Gesichtspunkten) in den Rohstoffländern gewährleistet werden. In den Händen dieser Behörde würde auch die Vergabe von Lizenzen zur pharmazeutischen Herstellung von Endprodukten liegen.

Damit ist man beim einem weiteren Vorteil staatlicher Aufsicht: Der Qualitätskontrolle. Schon heute gehört Duft- und Kristallspray zum Inventar einiger skrupeloser Homegrower in Deutschland. Eine Tendenz, die sich bei einer Freigabe des Anbaus wohl noch verstärken würde. Nebenbei bemerkt kann auch hier Holland kaum Vorbild für Deutschland sein. Sebastian vom Grow-Shop: „Die Anbaumethoden werden dort keineswegs vernünftig kontrolliert, die eingesetzten Mittel sind zudem oft gesundheitsschädlich.“ Zunächst einmal muss allen Beteiligten deutlich werden, dass hier keine Rosen, sondern eben ein Lebensmittel gezüchtet wird. Die letzten Lebensmittel-Skandale zeigen die Anfälligkeit der Branche für den unsachgemäßen Einsatz von Chemikalien. Worüber man sich dann aber im klaren sein muss: Ein starkes Kontrollnetz kann nur funktionieren, wenn dahinter ein fetter Behördenapparat agiert.

Ob das wiederum sinnig ist wird von einer anderen Fraktion der Kiffer-Szene angezweifelt. Mehr Staat, so diese Ansicht, dass bedeutet auch mehr Steuern und – fast noch schlimmer – die Gefahr, dass der Staat seiner ewig gärenden Kontrollsucht erliegt. Eine Minimalforderung ist daher – und da sind sich wiederum alle einig – das die Gelder aus Cannabis-Steuern zweckgebunden eingesetzt werden. Alle Einnahmen aus der THC-Besteuerung müssten dann der Rauschkunde-Information und Drogenhilfe zufließen.

Bei aller Vorfreude darf man ruhig über die Nachteile des legalen Hanfs mutmaßen. Es ist nämlich zu befürchten, dass die Tabakkonzerne hier den großen Euro wittern und den Markt mit billigen, qualitativ minderwertigen Joints überschwemmen werden. Wissenschaftler wie Jonathan Ott, Verfasser von „Pharmacotheon“, befürchten bei der Legalisierung von Cannabis eine ähnliche Entwicklung wie beim Tabak: „Legalisiert man Cannabis, würden die großen Tabak-Konzerne den Markt beherrschen. In alten Zeiten war Tabak eine sehr potente, visionäre Droge, später wurde es zu einem Laster: Gerade gut genug um Menschen zu verletzten, aber nicht high zu machen.“

Für Aktivisten und Politiker muss es also darum gehen, dass sich eher eine ausgeprägte Genusskultur wie beim Wein entwickelt, die ihr Heil abseits von industrieller Massenfertigung sucht. Auf der anderen Seite muss sich für die Produzenten die Herstellung von Feinheiten für gehobene Ansprüche lohnen. Ohne hier den Alkohol in die Ecke der dumpfen Bedröhnung stellen zu wollen, ist der Cannabisrausch gleichwohl subtiler und enorm von der Qualität des Produkts abhängig. Es wird immer eine Schar liebevoller Heger und Pfleger geben, die ihren Pflanzen Liebe und Respekt zollen, zugleich werden minderwertige Massenprodukte existierten, die auch aus ökologischen Gründen kräftig anzuprangern sind. Wer preiswerte Ware haben will, der wird auch in Zukunft bei Lidl einkaufen, wer Wert auf Güte legt, der wird in den Fachhandel wandern.

Dies schlägt den Bogen zu dem bewussten Umgang mit diesen Produkten. Wer sich über Sorte, Anbaugebiet, Lage, Erntetechniken, Weiterverarbeitung und Lagerung informiert, der hat schon einen enorm wichtigen Schritt beim Umgang mit einer Droge vollzogen. Man pfeift sich eben nicht irgendeinen Scheiß rein, nur weil es knallt, sondern sucht geflissentlich den gepflegten, kultivierten Rausch. Dies ist letztlich die beste Voraussetzung der vielbeschworenen „Prävention“, die man sich vorstellen kann. Wenn dann noch der Genuss in sozial gefestigten Mustern, eben mit Freunden zusammen, praktiziert wird, dann wird die Chance auf Drogenmissbrauch erheblich minimiert.

Zu einer vernünftigen Aufklärung gehört unbedingt auch der Beipackzettel, der über die Anwendung, Wirkungsdauer, Nebenwirkungen und Kontraindikationen aufklärt. Hier könnte mit wenig Aufwand viel Wirkung erzielt werden.

Zugleich müsste Aufklärung in mehreren Bereichen etabliert werden. In den Familien, den Kindergärten, den Schulen, in der Öffentlichkeit überhaupt muss Cannabis den Menschen wieder näher gebracht werden. Sebastian von Grow-Shop hat die Erfahrung gemacht, dass dies gut über den Anbau funktionieren kann. „Die Eltern begrüßen es eher, wenn der Sohn oder die Tochter mit einer lebenden Pflanze rumhantiert. Da kommt Verständnis auf.“ Denn zum einen, so Sebastian, sind die Kinder aktiv, zum anderen hätten die Eltern das Gefühl größerer Kontrollmöglichkeiten, weil das Kraut in Reichweite wächst. Das sei ihnen lieber, als wenn die Kinder das aus dem Coffee-Shop holen, wo keiner genau weiß, was da drin ist.

Um keine neue Doppelmoral zu etablieren, muss das Informationsmanagement über den Rauschhanf an einer weiteren, entscheidenden Stelle reformiert werden: Es geht einfach nicht an, dass sogenannte Erzieher, Dozenten und Professoren sich als Lehrmeister über Substanzen aufschwingen, die sie nie in ihrem Leben probiert haben. Um jungen Menschen einen sinnstiftenden Gebrauch zu vermitteln, muss der „Lehrer“ einen profunder Erfahrungsschatz mitbringen. Stichwort: Glaubwürdigkeit. Oder bringt man jemanden das Fahrrad fahren durch physikalische Formeln zur Beschreibung der Zentrifugal- und Pedalkraft bei?

Wann darf denn nun eine Heranwachsende mit dem Bong anfangen? Hört man sich in dieser Frage um, so herrscht mittlerweile selbst bei den Hardcore-Befürwortern des Hanfs die Einsicht vor, dass ein zu früher und vor allem zu exzessiver Konsum die persönliche Entwicklung stoppen kann. Kurz gesagt, es traut sich kaum jemand, die Abgabe von Cannabis an unter 16-jährige zu fordern. Der Jugendschutz müsste –so die weiter Meinung- von einem Werbeverbot für Cannabis und dessen Produkte begleitet sein.

Bleibt als letzter strittiger Punkt die Diskussion um die Abgabeorte für das göttliche Ambrosia. Im legendären Apotheken-Modell, das die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, Heide Moser, 1997 der erstaunten Öffentlichkeit vorstellte, sollte der Stoff aus dem die Träume sind von Apothekern verteilt werden. Der Gag: Bis 1958 war Cannabis tatsächlich als Arznei in deutschen Apotheken erhältlich. Heute widerstrebt es den Apothekern gründlich, dieses Mittel unters Volk zu bringen – die Apothekerverbände wehren seit Jahren jeden Vorstoß in diese Richtung ab. Auch sonst bleiben viele Fragen offen: Ist Cannabis sodann verschreibungspflichtig? Muss sich der Konsument registrieren lassen? Und warum überhaupt Apotheken? Kurzum: Dem gesamten Ansatz haftet ein etwas akademischer Duft an.

Die meisten Konsumenten sprechen sich daher für ein qualitativ wesentlich aufgebessertes Coffee-Shop-Modell aus. Dazu gehört ihrer Meinung nach eine entsprechende Ausbildung der Verkäufer und die angesprochene Regelung der Anlieferung. Lizenzierte Abgabeorte bedeuten immer auch: Lagerung größerer Mengen und daher Belieferung durch Großproduzenten. Logisch: Dieser Ansatz ist nicht durchzuhalten, wenn nur der Anbau zum Eigenbedarf erlaubt ist. Theoretisch vielleicht noch denkbar, dürfte den Machern in Berlin der Arsch auf Grundeis gehen, wenn sie an die Horden von Kapitalismusverweigerern denken, die sich in solchen Schuppen drängeln würden. Aber da müssten sie durch, die Damen und Herren.

Es ist zu vermuten, dass die Konzessionen für die Eröffnung eines Coffee-Shops (zunächst) heiß begehrt sein werden. Anbieten würden sich die Umfunktionalisierung der bereits bestehenden Head- und Grow-Shops, denn die Menschen hier bringen ihre Drogen-Vorbildung mitein. Aber wann erhält jemand so eine Konzession? Nun, immer dann, wenn eine Eignungs-Prüfung bestanden wird. Folgendes Planspiel ist denkbar: Das zuständige Gesundheitsamt bittet zum führerscheinähnlichen Wissens-Check. Hier muss die Bewerberin beweisen, dass sie THC von TEE unterscheiden kann, den Beipackzettel verstanden hat und ein umfangreiches Wissen über den Hanf und seine Effekte in sich trägt. Diskutierbar ist auch, dass die Konzession nur für ein Geschäft gilt. In jedem Coffee-Shop muss zu jeder Zeit eine amtlich abgesegnete Verkäuferin zugegen sein, ansonsten darf kein Cannabis über die Theke gehen.

Ein so geschnürtes Paket könnte die positiven Potentiale des Hanfs fördern und Gefahren des Konsums mindern, und zu guter Letzt noch die Hoffnung von Henning Schmidt-Semisch, Mitarbeiter am Institut für Drogenforschung der Universität Bremen, bestätigen. Er ahnt nämlich, dass  die Legalisierung dem Staat selbst nicht nur aus steuerlichen Gründen nützen würden, sondern auch, „weil sie zu einer Erhöhung der Glaubwürdigkeit staatlicher Drogenpolitik führt“. In diesem Sinne: Rock On!

 

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Hanf

Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

hanfblatt Nr. 84, Juli/August 2003

Hanf – Eine Nutzpflanze unter vielen?

Ein Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

Michael Karus gilt als der führende deutsche Experte für den Anbau von Hanf. Er ist Geschäftsführer des nova-Instituts, das sich durch die Erforschung der ökologischen Nutzbarmachung der Hanfpflanze einen Namen gemacht hat. Seit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe des Bestsellers von Jack Herer „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf – Cannabis – Marihuana“ im Jahre 1993 und dem im Zusammenhang mit diesem Buch stark angestiegenen Interesse an Produkten auf Hanfbasis sind nun 10 Jahre vergangen, Zeit einmal Bilanz zu ziehen und einige Entwicklungen Revue passieren zu lassen.

Hanfblatt: Wie steht es mittlerweile um den Hanfbau in Deutschland? Wie hat er sich in dem zurückliegenden Jahrzehnt entwickelt?

Karus: Nachdem der Hanfanbau im Jahr 1996 erstmalig seit über 15 Jahren Anbauverbot wieder möglich war, ist die Hanfanbaufläche zunächst stetig gewachsen (bis auf knapp 4.000 ha in 1999) und dann aber wieder auf ca. 2.000 ha gefallen (2002). Für dieses Jahr erwartet man wieder einen leichten Anstieg. Grund für diese Entwicklung waren zu Beginn überzogene Erwartungen an den Markt, die Absenkung der EU-Beihilfen und damit einhergehend ökonomische Probleme, die bereits zum Aus für einige Aufschlussanlagen wurden.

Hanfblatt: Hat der Hanfanbau in Deutschland eine Chance, sich gegen ausländische Konkurrenz zu behaupten?

Karus: Ja! Der Bedarf an Hanffasern kann in Deutschland weitgehend durch die deutsche Produktion gedeckt werden. Die EU dürfte inzwischen sogar eher Hanffasern exportieren als importieren.

Postkarte von 1917
Postkarte von 1917

Hanfblatt: Welche Bedingungen müssen geschaffen werden, damit Hanf sich gegen konkurrierende Rohstoffe durchsetzen kann?

Karus: Wenn Hanffasern zu Weltmarktpreisen produziert werden können, so gibt es kein Problem mit dem Absatz. Die Nachfrage nach Naturfasern, insbesondere in der Automobilindustrie, wächst stetig. Wenn Preis und Qualität stimmen, können die Fasern abgesetzt werden. Allerdings ist es nicht leicht, bei sinkenden EU-Beihilfen den Preis auf Weltmarktniveau zu halten. Dies wird nur durch verbesserte Aufschlusstechnik, höhere Durchsätze und geschickte Vermarktung der Nebenprodukte (Schäben und Samen) möglich sein.

Hanfblatt: Hat der Hanf den in ihn gesetzten Erwartungen entsprechen können, oder ist er doch nur eine Nutzpflanze von vielen?

Karus: Hanf war immer nur eine Nutzpflanze unter vielen. Alles andere war und ist Ideologie und irrationales Wunschdenken – und keine Basis für reale Geschäfte. Aus Hanf kann man tausende Produkte machen. Aber auch aus Soja (und vielen anderen Pflanzen) kann man tausende Produkte machen. Aber: Im Gegensatz zu Hanf macht man aus Soja bereits tausende Produkte … Das einzig wirklich Besondere an Hanf ist, dass bestimmte Sorten den bewusstseinsverändernden Stoff THC in relevanten Mengen enthalten. Dies hilft aber nichts, um die Fasern, Schäben oder Samen in den Markt zu bringen. Im Gegenteil, manchmal ist es sogar eher hinderlich.

Hanfblatt: Kann man sagen, dass der ersten Euphorie eine gewisse Ernüchterung gefolgt ist?

Karus: Wer heute noch im Nutzhanfbereich tätig ist, ist dies nicht mehr aus ideologischen Gründen oder Wunschträumen, sondern unter den realen Rahmenbedingungen des Marktes. Die anfängliche Euphorie hat zum Teil das Marketing von Endkonsumenten-Produkten erleichtert. Diese Produkte bestanden aber oft nur zu marginalen Anteilen aus Hanf (echte Hanfanteile in vielen Shampoos, Bieren oder Limonaden unter 1%) bzw. kamen ihre Rohstoffe vor allem aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Wie steht es mit der verarbeitenden Industrie? In welchen Bereichen rechnet sich die Hanfverarbeitung?

Karus: Die wichtigsten Märkte für Hanffasern sind die Automobilindustrie (Formpressteile wie Türinnenverkleidungen) und die Dämmstoffindustrie. Weiteren Einsatz finden die Fasern in Anzuchtvliesen für Kresse (in jedem Supermarkt!). Die Schäben werden primär als Tiereinstreu (Pferde und Kleintiere) eingesetzt und die Samen gehen vor allem als Tierfutter über die Theke. Hier gewinnt allerdings der Lebensmittelbereich (Samen, Öl) an Bedeutung.

Hanfblatt: Kann man einem Bauern noch mit gutem Gewissen den Hanfanbau empfehlen? Auf was sollte er achten? Welche Voraussetzungen müssen stimmen?

Karus: Wieviel Hanf dem Bauern pro Hektar bringt, kann heute leicht berechnet werden. Der Anbau lohnt sich, wenn im Umkreis von 50 km ein Faseraufschlussbetrieb existiert, der hinreichend viel für das Hanfstroh zahlt. Wo dies genau anzusiedeln ist, hängt vor allem von den regionalen Konkurrenzkulturen ab.

Hanfblatt: Die HanfHaus-Kette musste ja bekanntlich Konkurs anmelden. Hat sich wenigstens insgesamt ein stabiler Absatzmarkt entwickeln können und was muss noch geschehen, damit sich das Potential von Hanf als Rohstoff besser entfalten kann?

Karus: Dies habe ich oben schon beantwortet. Und noch einmal: Die HanfHaus-Kette hat außer ein paar Samen und Ölen praktisch nichts verkauft, was von deutschen Äckern stammte, sondern vor allem Produkte (insb. Textilein) aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Herer und sein Übersetzer Bröckers sind ja mit der provokanten These angetreten, dass Hanf als nachwachsender Rohstoff die Welt retten könne, zumindest vor den Folgen des Raubbaus an unersetzlichen Urwäldern, der Verschwendung fossiler Rohstoffe und Energieträger und unökologischer Landwirtschaft wie dem monokulturellen Anbau von Baumwolle. Kann man diese Behauptung so immer noch stehen lassen oder muss man sie revidieren?

Karus: Das ist natürlich vollkommener Unsinn. Jack hat ja sogar einen Preis für denjenigen ausgesetzt, der das Gegenteil beweisen könne. Für uns wäre dies ein Leichtes. Ich habe diesbezüglich auch mit Jack Kontakt aufgenommen. Wir haben uns aber nicht darüber einigen können, was er als Beweis akzeptieren würde ….

Hanfblatt: Wie sieht die Zukunft für den Hanf aus?

Karus: Gut! Hanffasern werden sich als industrielle Fasern weiter etablieren, Schäben werden (und sind) eine feste Größe für hochwertiges Tiereinstreu, und Hanfsamen werden sich mehr und mehr als gesundes Lebensmittel etablieren. Und auch im pharmazeutischen Bereich ist der Wall gebrochen, mehrere Unternehmen werden in den nächsten Jahren neue Präparate auf den Markt bringen.

Hanfblatt: Woher kommt Ihr besonderes Interesse am Hanf?

Karus: Das Interesse ist garnicht mehr so besonders. Wir beschäftigen uns inzwischen auch mit vielen anderen nachwachsenden Rohstoffen. Es gab halt damals in den Jahren 1993 bis 1997 die historisch günstige Situation, dass sehr viel Interesse an den Nutzungsmöglichkeiten von Hanf bestand und gleichzeitig kaum belastbares Wissen existierte. Diese Chance haben wir genutzt, um das nova-Institut als Experten-Institut für Hanf zu entwickeln. Heute ist bei uns ein so großes und breites Wissen über Hanf (und andere Faserpflanzen) verfügbar, ebenso wie zahlreiche nationale und internationale Kontakte, dass die Hanfforschung – insbesondere die Marktforschung und ökonomische Analysen – immer noch eine wichtige Einnahmequelle darstellt.

Hanfblatt: (scherzhaft) Ist es einsam auf dem Olymp?;-)

Karus: Im Gegenteil: Ich habe über den Hanf unzählige interessante Menschen in der ganzen Welt kennen gelernt, von denen viele meine Freunde geworden sind.

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Cannabis Historische Texte

Marihuana in den Groschenheften der Sechziger Jahre

hanfblatt 2003

„Finger weg von solchen Sachen“

Marihuana in den Groschenheften der Sechziger Jahre

Dass die Anti-Marihuana-Propaganda, als Reefer-Madness der Anslinger-Ära aus den USA herübergeschwappt, im kleinbürgerlichen Nachkriegsdeutschland sozusagen in Form eines Kifferwahns einen zumindest publizistisch fruchtbaren Boden fand, haben wir im Hanfblatt anhand von vier Krimis bereits belegt („Mimi und der Kifferwahn“, Hanfblatt Nr. 81). Weitere Dokumente dieser Zeit sollen demonstrieren, welche Klischees den deutschen Spiessbürgern hüben wie drüben bereits vor dem massenhaften Cannabiskonsum durch Gammler und Hippies ab Mitte der Sechziger Jahre mittels Trivialliteratur und Groschenheften in die „entnazifizierten“ Hirne gepflanzt wurden.


So erschien in Bremen 1956 von dem Vielschreiber („Nächtliches Ägypten“, „Unheimliches China“ etc.) Ernst F. Löhndorff der „Roman eines Rauschgiftes“ mit dem merkwürdigen Titel „Schwarzer Hanf“. Es geht natürlich um die „Marihuanapflanze“, das „Giftkraut“, „der schwarze Hanf“. Eine junge Frau entblößt sich schamlos vor allen Leuten auf dem Broadway inmitten von New York. „Was sie eben gesehen hatten, war die grotesk-düstere unfreiwillige Demonstration eines gefährlichen Rauschgiftes, das trotz aller Maßnahmen von Jahr zu Jahr in Amerika und sogar nun langsam in Europa beispiellose Triumphe feiert. Marihuana. Hergestellt aus der tabakähnlichen und auf gleiche Art behandelten und gerauchten Pflanze der „schwarzen Cannabis Indica“. Indischer Hanf.“ Im Orient von den „Wüstlingen“ und „den Massen der Armen“ geraucht, „wo es als „Haschisch“ oder „Bengh“ bekannt ist.“ „“Marihuana“, der Arzt, der eben das junge Mädchen untersucht hatte, stieß diesen Namen zornig aus, wie den seines ärgsten Feindes. Es war in der Tat sein ärgster Feind, den er mit allen Mitteln bekämpfte, wo immer er ihn traf.“ Dieser Jargon kommt einem wohlbekannt vor… „Er traf ihn oft. Nicht nur in anrüchigen Rauschgiftkneipen, sondern auch – und das war das Bedrohliche – unter den Girls und Boys der Highschools und Universitäten.“ Na klar, Muttis Lieblingen, den Stützen der Gesellschaft… „Wie er dieses Gift haßte, das in erschreckender Weise um sich griff! Das Gift, das aus jungen Leuten Verbrecher und Mörder macht, das sie körperlich und geistig ruiniert. Marihuana!“ (S.10/11)

Ja, entsetzlich! Es lohnt durchaus, die ganze hanebüchene Geschichte grob nachzuerählen. So taucht als Nächstes ein promiskuitives Südstaatenmädchen auf, das unter Marihuanaeinfluss auch nicht vor dem Verkehr mit „Negern“ zurückschreckt. Eines von vielen Beispielen aus allen Zeiten dafür, dass Rassismus und Antidrogen-Propaganda überall Hand in Hand gehen. Zurück in den „Happy Valley“ zu „Lizzy Horner“, die „erst zwanzig“ war, „ein gutgewachsenes, hübsches, rotblondes, von Natur aus gutmütiges Mädchen, nach dem sich so mancher junge Mann umdrehte. Kurz nach der Schulentlassung hatte Lizz durch ein Mädchen Marihuana kennengelernt. Sie ließ sich erzählen, daß alles Gerede über die Gefährlichkeit des Giftes Unsinn und Aberglauben sei. Und sie glaubte es nur zu gern. Jetzt war Lizz soweit, daß sie ohne Marihuana nicht mehr leben konnte. Sie war krank und elend, wenn ihr das Kraut einmal ausging.“ (S.36) Dem Schnaps ist sie zwar zusätzlich auch nicht abgeneigt, aber „Wer Lizz genau betrachtete und besonders in ihre unsteten blitzenden Augen mit den kleinen Pupillen sah, den überliefen Mitleid und Grauen. Solange Lizz nur eine oder zwei Marihuana-Zigaretten am Tage rauchte, war sie erträglich. Dann zeigte sie Negern gegenüber oft ein gutes Herz, schenkte den Kindern Lollypops und war glänzender Laune. Sobald sie aber mehr rauchte, wurde sie verrückt und schamlos.“

Und wie kann es anders sein: „Sie lief den Männern mit krankhafter Sucht nach. Es gab keinen Neger oder weißen Arbeiter im Umkreis, der nicht schon einmal mit Lizz hinterm Busch oder in ihrem Bett geschlafen hatte.“ (S.37) Zumindest versorgt sie sich teilweise selbst: „Vater und Tochter pflanzten sogar heimlich, inmitten ihres Maisackers versteckt, in eigenhändiger schwerer Arbeit ein Stück Land mit indischem Hanf an, der im Tennesseeklima gut gedieh. Sie ernteten, präparierten und schnitten das Teufelskraut und verkauften es in Bausch und Bogen, ohne daß jemand davon etwas erfuhr. Es hätte beiden zehn bis zwanzig Jahre Zuchthaus eingetragen.“(S.38) Und „Auch unter den halbwüchsigen Negern wurde Marihuana geraucht. Man kann es heimlich, aber fast überall in den Vereinigten Staaten auftreiben, in Zigaretten- oder tabakähnlichen Päckchen, und die Sucht greift erschreckend um sich. Besonders in den Großstädten…“ (S.39) „Schließlich rauchte sie eine Marihuanazigarette, und sofort überkam sie das wilde Verlangen nach einem Mann.“ (S.39) Ein harmloser zufällig von der Opossumjagd vorbeikommender „Mulatte“ namens „Washington“ soll quasi ihr Opfer werden. „“Verrückt bin ich nach dir, du Nigger!“ keuchte Lizz.“ (S.43) Eigentlich will der aber nichts von ihr, doch zu spät. Ihr Vater erscheint unerwartet auf der Bildfläche und Lizz kreischt „gellend: „Hilfe, Hilfe! Daddy, der Nigger will mich zwingen!““ (S.44) „Washington“ wird das „beklagenswerte Opfer grausamer Lynchjustiz“ (S. 57). „Lizzy Horner mußte sich im Staatssanatorium einer Rauschgift-Zwangsentziehungskur unterziehen. Diese Kur hatte wider Erwarten Erfolg. Nach einem Dreivierteljahr konnte sie als geheilt entlassen werden.“ (S.57)

Doch ein selbst nahezu weißhäutiger verbitterter junger „Neger“ namens „John“ verlässt die Gegend, beschließt sich, ob dieser Ungerechtigkeiten, nach seinem „Wahlspruch „Alle Weißen kaputtmachen““(S. 61) zu rächen und zieht über Chicago nach Haarlem/New York. Er steigt schließlich in den Marihuana-Schleichhandel ein. „John verdiente am Päckchen ungefähr hundert Prozent.“ Darfs noch ein bißchen mehr sein? „Die meiste Kundschaft hatte er unter den weißen Strichmädchen und deren Kavalieren. Aber es machte ihm nichts aus, seine Ware auch an Studenten, Studentinnen, Lehrburschen und andere abzusetzen, gleichgültig, ob es Weiße oder Farbige waren.“ (S.65) „Und die Sucht nach dem Rauch des schwarzen Hanfs breitet sich immer weiter aus, und Menschen werden reich am Unglück und der Schwäche anderer Menschen.“ (S. 67) Wo kommt das Zeug her? Natürlich aus Mexiko: „Der biedere Juan, oder mag er Pepe oder Estevan heißen, pflanzt wohlverborgen. Er erntet, trocknet und fermentiert ebenfalls geheim und streicht für das Kraut gute, klingende Pesos oder Dollars ein…Aber welches Elend in den Großstädten des nördlichen Nachbarn einreißt, das glaubt er nicht, und wenn man es ihm zehnmal erzählt. Pah, ein bißchen Marihuana!“ (S.78) Und „Während in Mexiko früher sich nur die Priesterkaste des schwarzen Hanfes bediente, ehe es allmählich unter den Indios volkstümlich wurde, kannte der Orientale seit langer Zeit sein Haschisch…Obwohl der Orientale eine unglaubliche Widerstandskraft gegen dieses Gift hat, machten sich doch die verheerenden Spuren allmählich bemerkbar.“ (S.79) Und die Regierungen kämpfen „im verseuchten Orient mit großer Energie“ und geringem Erfolg dagegen an, „denn das Gift wird immer wieder eingeschmuggelt.“

„Marihuana hat, besonders in den Vereinigten Staaten, anderen Rauschgiften wie Heroin und Cocain längst den Rang abgelaufen. An Marihuana, Tschärs und Haschisch wird viel Geld verdient. Und es gibt viele Menschen, die für Geld alles tun!“ (S.79) John baut schließlich einen internationalen „Ring“ auf. „John ging es vor allen Dingen ums Geld. Deshalb scheute er sich nicht, das Gift auch an Farbige, die der Sucht verfallen waren, zu liefern.“ (S.102) „John B. machte sich kein Gewissen über die tragische Rolle, die er spielte. Vielleicht war er auch noch zu jung, um übersehen zu können, daß er eigentlich ein gewissenloser, unsympathischer Verbrecher und indirekter Mörder Hunderter oder gar Tausender charakterschwacher Mitmenschen war.“ (S.107) Und das, während „Professoren, Ärzte, Lehrer und Polizei…aufklärende Vorträge in Schulen, Universitäten und am Rundfunk über die Gefahren von Rauschgiften, insbesondere von Marihuana“ hielten. „Einhundertachtzig Millionen Menschen wurde wieder einmal, wie schon so oft, an Hand drastischer Beispiele vor Augen geführt, welch schleichende Sucht am Mark Uncle Sams zu zehren begann.“ (S.107) Dass es auch anders geht, beweist die Geschichte von zwei Mädchen aus dem Internat, die die lokalen Marihuanaraucher an die Polizei verpfeifen: „Campbell College war frei von der Seuche. So helfen und halfen sich viele junge Leute in Amerika! Denn die Vereinigten Staaten sind trotz allem eine prächtige, junge und tatkräftige Nation.“(S. 116) Da habt Ihr´s! Währenddessen floriert „Johns Ring“. Er kauft Marihuana aus Mexiko und Asien, läßt über San Franzisko einschmuggeln und liefert sogar bis nach Nordafrika und Ägypten: „Jedes einzelne Säckchen wurde mit Etiketten, auf denen entweder Hitler oder Stalin in Rednerpose zu sehen waren, versehen. Der unergründliche Sinn der dortigen Raucher verlangte nämlich diese Bilder. Dies ist Tatsache. Die meisten Haschischpäckchen in Nordafrika wiesen diese Bilder auf.“(S.118) John eröffnet „in verschiedenen Großstädten bessere Bierlokale“,“die in Wahrheit Rauschgiftparlours waren; in ihren gut eingerichteten Kellerräumen fanden die Interessenten alle Bequemlichkeiten, um ihrem Laster zu frönen. Hand in Hand arbeitete mit dem Marihuanavertrieb der internationale Mädchenhandel. Auch das war Johns Werk.“ (S. 120)

Während „Lucky John“ nun mittlerweile mit einer Weissen namens Maybelle liiert ist, die nichts von Johns schwarzer Herkunft und seinen dunklen Machenschaften ahnt, und auch noch Vater wird, sorgt Johns Ring dafür, dass „eine Anzahl junger, blonder Mädchen, die dem Rauschgift verfallen waren“ aus Deutschland in „verschiedene jener dunklen Häuser in Rio und anderswo, aus denen nur in den allerseltensten Fällen eine Rückkehr möglich ist…“ (S.121) verbracht werden. John reist nach Port-au-Prince um auf der „Vudu“-Insel Haiti einen neuen „Stapelplatz“(S. 129) für Marihuana zu eröffnen. Dort wird er mit seiner schwarzen Herkunft konfrontiert und nimmt an einem ekstatischen blutrünstigen „Vudufest“ teil. In den Bergen werden ihm die „Zombies“, „ausgegrabene Leichen“ gezeigt, die auf den Feldern arbeiten, und er erfährt von seiner Führerin Jaqueline: „Bei uns auf Haiti wäre mit Marihuana kein Geschäft zu machen. Wir haben andere Mittel, die außer uns niemand weiß.“ (S.144) Welche erfährt er nicht. Dafür zeugt er, von ihr verhext, mit ihr „ein kleines, schwarzes Negerlein!“(S.153). Sie lässt ihn dann allerdings doch zurück zu seiner Frau fahren, und die „Erinnerung an Jaqueline verblaßte immer mehr in seinem Gedächtnis. Ihm war es als hätte er einen seltsamen, gefährlichen Traum gehabt. Die Geschäfte blühten.“(S.149) „mehr und mehr faßte die Rauschgiftsucht nun auch in Europa festen Fuß.“ Außerdem ist er nun auch noch einer der Größten im Geldautomatengeschäft geworden, auch in „Westdeutschland“. „Viele Jahre verstrichen. Das Geschäft wuchs trotz mancher Rückschläge.“ (S.154)

Währenddessen wächst seine „weiße“ Tochter „Iris“ „zu einer reizvollen, jungen, hübschen Dame heran“. (S.160) Maybelle macht sich Sorgen um ihre Tochter, wegen der „Gefahren für die heutige Jugend“ (S.154). Zu Recht, denn sie raucht mit sechzehn „ihre erste Marihuanazigarette. Sie wurde von einer Freundin verführt…Nach dieser ersten Zigarette, die ihr nicht sonderlich bekam, rauchte sie eine zweite, dann eine dritte, bis sie auf den Geschmack kam. Iris befand sich plötzlich im Kreise leichtsinniger junger Menschen, die – wie sie sagten – modern wären und die veralteten Ratschläge ihrer spießigen Eltern nicht brauchten, da sie selber genau wüßten, wie man das Leben meistere und genieße. In den meisten Fällen waren es Jugendliche, deren Erzeuger reich waren und die sich nicht viel um ihre heranwachsenden Kinder kümmerten.“(S.160/161) „Die Alten wunderten sich manchmal, warum ihr Junge oder ihre Tochter so nervös und zerfahren war, schrieben dies aber achselzuckend der schnelllebigen, unruhigen Zeit zu.“ (S. 161) Der Abstieg ist nicht aufzuhalten; trotz reichlich Taschengeld belügen und betrügen sie ihre ahnungslosen Eltern, um ihrer heimlichen Leidenschaft zu frönen. „Iris war eine der Tollsten…Geschickt verbarg Iris daheim ihre häufige Müdigkeit und nervöse Überreiztheit hinter dem Wort „Migräne“…In Wirklichkeit aber lag sie, schwer verkatert, in ihrem Bett und lechzte nach Whisky und Marihuana.“(S. 162) Eines Tages gibt sich Iris mit ihrer Freundin „Daisy“ in „Tiger Browns“ „unterirdischem Marihuanaparadies“(S.180) an der Bowery die Kante: „Die Platte spielte jetzt einen dröhnenden Rumba. Schwer und widerlich süß wogte der Rauch des schwarzen Hanfes…“ (S.173) Iris lässt sich von der Kneipe mit dem Taxi zum Broadway fahren: „Sie fühlte sich keineswegs betrunken. Ein anderes Gefühl beseelte sie, ein tolles, unbändiges Gefühl, das keine Hemmungen kannte. Wenn sie jetzt ihre ärgste Feindin und einen Revolver dagehabt hätte, so würde sie ihr lachend sechs Kugeln in den Bauch gejagt haben. Marihuana macht stark und mächtig und rücksichtslos…“ (S.178) Iris landet auf dem Broadway und „tanzte den Tanz, der sie ins Sanatorium bringen und ihre Eltern ins Unglück stürzen sollte…“ (S.178)

Monate später, nach dem Sanatoriumsaufenthalt, verfällt Iris wieder dem Marihuana und dem „Mulatten“ „Ray“, mit dessen Rennauto sie über die Strassen jagen: „“Darling, wollen wir das Marihuanarauchen lassen? Ganz und gar? Eine Kur machen? Endgültig?“ „Ganz und gar. Aber du mußt mich liebbehalten. Oh, Ray…“ So fuhren sie dahin. Marihuana, das sie sich vor wenigen Minuten abgeschworen hatten, lenkte Rays Hand und trieb seinen Fuß auf den Gashebel. Keiner sagte ein Wort. die Nacht duftete. Die Zikaden zirpten. alles sang, rauschte und glänzte. „Schneller, Ray“, flüsterte Iris heiser.“ (S.183)“ Natürlich müssen sie jetzt verunglücken: „Als sie Rays Wagen…wie eine Ziehharmonika zusammengepreßt…näher untersuchten, fanden sie ihn und Iris, Arm in Arm, ein Lächeln auf den toten Gesichtern.“ (S.184) Vadder John gerät in eine schwere Krise. „Er würde Maybelle alles sagen, er würde ihr sagen, daß er ein Neger ist, daß er der Rauschgifthändler, Bordellkönig und Geldautomatenbesitzer war…Was gingen ihn noch die Weißen an. Mochten sie nach ihrer Art leben, er war ein Neger und hatte sein weißes Dasein teuer bezahlt. Erst mit Iris, die in den Armen eines Farbigen gestorben war, dann mit Maybelle. Denn sie würde ihn verlassen.“ John will sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge offenbahren und dann nach Haiti auswandern, denn „dort singen und arbeiten die Neger in den Feldern, und eine Negerregierung wacht über sie.“ (S.187) Doch da bekommt er Besuch, einen Killer seines alten Geschäftspartners „Bronson Howard“: „Knackend schoß eine rotgelbe Flamme aus dem Schalldämpfer, wühlte sich blitzschnell in Johns Herz und warf ihn wie eine schlaffe Puppe auf den Teppich…“ (S.188) Doch „Irgendwo in einem warmen Land“ „wiegt sich im sanften Wind die raschelnde Marihuanapflanze, und überall duftet es nach Blumen und Erde.“ (S.189)

Natürlich nahm sich auch einer der langlebigsten und wohl erfolgreichsten Kriminal-Groschenroman-Helden des Themas an: Der kettenrauchende, doppelte Whisky ohne Soda bechernde und Jaguar fahrende „G.-man Jerry Cotton“, der Spezi vom FBI. Im 1958 in Bergisch-Gladbach erschienenen Band 57 „Finger weg von solchen Sachen. Ein Wahnsinniger hält Amerika in Atem.“ geht es selbstredend um Marihuana, den Mord an einem „rauschgiftsüchtigen“ Jungen namens „Joe Backley“ und den Selbstmord seiner Freundin „Margy Leccon“. „Bei den jungen Leuten ist diese verdammte Marihuanasucht leider sehr weitverbreitet.“(S.41) Der Schlüssel zu dem Fall ist das Tagebuch von Joe: Als Redakteur einer Schülerzeitung am „Sco-Marven College“ versucht er für einen Artikel in die Abgründe des lokalen Marihuanahandels vorzudringen: „Wieder Smoky Klub…Das Vorspielen neuer Schallplatten ist nur ein Vorwand für die Leutchen, um für einen Marihuana-Rauchabend zusammenzukommen.“ (S.42) „Nach dem sechsten Whisky“ probiert Joe eine „Marihuanazigarette“. „Ich weiß nicht mehr, wie es war, aber es muß irgendwie sehr schön gewesen sein. Ich fühlte mich so frei, so überirdisch gelöst. Gar nicht zu beschreiben. Ich weiß, daß ich dem Teufel auf die Schippe gestiegen bin.“ (S.43) Er hat Angst süchtig zu werden, aber er hat ja seine Freundin Margy, die ihn notfalls „in eine Entwöhnungsanstalt bringen lassen“ wird, bevor „ich mich durch das Gift runiere“. Doch es kommt heftiger als gedacht: „Ich bin süchtig…Heute morgen hielt ich es nicht mehr aus. Ich habe mir mit den Fingernägeln den Hals blutig geschunden, so verrückt machte mich die Gier nach dem Gift.“ Er erkennt die Lage: „Heute geht es mit einer Marihuanazigarette täglich los. In einer Woche sind es täglich schon drei. Und nicht genug. Sieben, elf, fünfzehn, ein ganzes Päckchen. Und der Körper gewöhnt sich an immer gößere Giftrationen und verlangt immer mehr. Es ist als ob man einen Teufel in sich drin sitzen hätte, der einen langsam, aber sicher auffrißt.“(S.43) Die anderen Süchtigen haben natürlich auch faule Ausreden auf Lager, „es wäre gar nicht so schlimm, und gesundheitsschädlich wären die Zigaretten genau nicht mehr als jede normale Zigarette und so weiter. Dabei kann man es ihnen schon ansehen, wenn man Bescheid weiß.“ (S.44)
Die Erwachsenen kriegen natürlich nichts mit: „Ich verstehe nicht, wo die Erwachsenen ihre Augen haben. Dauernd reden sie davon, daß sie für uns da sind, wenn wir sie brauchen, und daß sie uns immer helfen wollen. Ja, sehen sie denn alle nicht, in welcher heillosen Klemme ich sitze?“ (S.45) Joe findet heraus, daß der vier Jahre ältere und erheblich gewichtigere „Beel“ an der Schule mit Marihuana handelt. Der ist ihm längst auf die Schliche gekommen, vermöbelt mit seinen Kumpanen den armen Joe für seine Schnüffelei und höhnt: „Zuerst wollten wir dich umlegen. Aber das ist viel zu viel Aufwand. Du verreckst ja sowieso in einem Jahr oder in einem anderthalben. Ich hab´ dich jetzt soweit, daß du von den Zigaretten nicht mehr loskommst. Dein ganzes Leben nicht mehr.“ Und zur Strafe gibt´s ´ne kleine Preiserhöhung: „Für dich kosten sie nämlich von jetzt ab zwei Dollar mehr. Klar?“ (S.45) Und dann wird noch gedroht: „Wenn du dir je einfallen läßt, irgendwem was zu erzählen, was uns schaden könnte, dann schwöre ich dir, daß Margy von uns süchtig gemacht wird…Gibt sicher genug Männer, denen sie gefallen würde, wenn sie mal zahlende Freunde brauchte.“(S.46) Joe ist mit den Nerven am Ende. Er bestiehlt sogar seine Mutter. „Ich weiß nur, daß ich meinen eigenen Vater umbringen würde, wenn die Gier nach diesem verdammten, dreimal verfluchten Gift mich packt“. Schliesslich will sich Joe vollkommen verzweifelt „morgen“, wenn zwei „G-men“ vom FBI in der Schule auf Besuch vorstellig werden, verhaften lassen. Falls er vorher von Beel und seiner Bande ermordet werden sollte, soll sein „Tagebuch vor versammelter Schülerschaft vorgelesen werden. Vielleicht kann es diesen oder jenen abschrecken, der auf den törichten Gedanken kommen könnte: eine Marihuanazigarette könnte gar nichts schaden. Es bleibt nie bei einer. Und der Weg führt in die schlimmsten Höllen, die man sich nur vorstellen kann.“(S.47)

Jerry Cotton ist erschüttert : „Joe. Kamerad. Du wolltest auf deine Art gegen das übelste Verbrechertum der Welt kämpfen. Du mußtest in diesem Kampf unterliegen, wie so viele brave und tapfere Kameraden schon unterlagen und ihr Vorhaben mit ihrem Leben besiegelten. Aber daß dein Opfer nicht umsonst sein wird, daß schwöre ich dir, Joe. Das schwört dir der ganze FBI. Die letzte Runde werden wir gewinnen, und sollte ich dir dabei ins Grab folgen müssen.“ (S.47) Und er zündet sich eine Kippe an und rast mit dem Jaguar von dannen. Zwischendurch muss er allerdings noch ein Kind aus den Fängen eines völlig wahnsinnigen, von weißen Engeln faselnden Entführers namens „Baby Killer Jackson“ befreien. Aber wie der Zufall es will, stammt der Wahnsinnige aus dem selben College wie Joe und er hat „Marihuanazigaretten“ bei sich. „Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren hatte sich mit Marihuana bis in den Wahnsinn geraucht und war als Geistesgestörter zum schlimmsten Kindermörder seit Jahrzehnten geworden.“ (S.56) Jetzt ist Beel fällig. Er wird gestellt und gnadenlos verhört. Man legt ihm die Bilder der Kinder vor, „von Jackson ermordet im Marihuanawahn“ (S.61), und er wird geständig. Er schreibt die Namen seiner Kunden auf. „Sechsundvierzig Jungen zwischen jünfzehn und einundzwanzig Jahren. Und jeder einzelne hatte mit dem verflucht dummen Satz angefangen: Bloß mal sehen, wie das ist! Nur eine! Und alle sechsundvierzig waren süchtig geworden. Und vor uns saß einer, der an ihrer Sucht verdient hatte. Der Geld gescheffelt hatte, indem er andere rauschgiftsüchtig machen lasse.“ (S.61/62) Nun wollen sie noch wissen, wer der Marihuanalieferant war, und am nächsten Tag nehmen sie den Oberschurken in der Schule fest und führen ihn vor den Schülern ab, damit „der Henker“ sein Werk vollziehen kann (S.63) : Es handelt sich um „Mister Leyton“, den vierzigjährigen Schulleiter mit „den begrüßenswert modernen Ansichten“ (S.5). Zum Abschluss werden Joe und Margy beerdigt. „Es gab keine Ansprache. Die hielt Beethovens Musik.“ Das Tagebuch wird vorgelesen. „Ich glaube, daß es niemals eine eindringlichere Mahnung und Warnung vor Rauschgiften gegeben hat…Wir legten unseren Kranz vor den beiden Särgen nieder und zupften die Schleife auseinander: Der FBI – seinen zwei gefallenen Kameraden. Dann stahlen wir uns leise hinaus.“ (S.63)


Auch in der DDR interessierte man sich etwas verspätet wahnhaft für „Marihuana“, wie der gleichnamige Titel 63 von Heinz Engelke aus der „Kleinen Erzählerreihe“ beweist, der 1965 im Deutschen Militärverlag in Berlin in einer Erstauflage von 100.000 Heftchen erschien. Der langweilige Krimi spielt im kapitalistischen New York. In der interessanteren Nachbemerkung heißt es: „“Hast du Khif?“ flüstern Jugendliche an den Straßenecken, in Bars und Kellerstampen, vor Drug-stores und auf den Schulhöfen New Yorks, Münchens, New Orleans und Hamburgs. Khif – das ist die Traumzigarette – das ist Marihuana. Eine Marihuana-Zigarette ist teuer, sie kostet fünf Westmark“ Ohauahauahaua „oder einen Dollar, man braucht Geld, um sie „genießen“ zu können. Wer kein Geld hat und dem Gift verfallen ist, besorgt sich Geld. Im Gefolge dieses gefährlichen Giftes befinden sich Raub und Mord. Fünfzig Prozent der Morde in seiner Stadt seien auf den Genuß von Marihuana zurückzuführen, erklärte…ein bekannter Staatsanwalt aus New Orleans…Marihuana gehört zu den gefährlichsten Rauschgiften, deren Genuß Traumbilder weckt. Es vergiftet den Körper systematisch und macht den Menschen – wie auch der Genuß von Heroin, Morphium und Opium – zur Kreatur.“(S.30) Die Ursachen für das Problem sind offensichtlich: „In Ländern, wo Senatoren und hohe Politiker den Einsatz der schrecklichsten Waffen predigen und fordern, sehen die Menschen keine Zukunft, haben sie keine erstrebenswerten Ideale. Der Jugend bietet die offizielle Politik keine Perspektive. Sie sieht keinen Sinn in ihrem Dasein. Und so stehen die Jugendlichen an den Straßenecken, sitzen in Bars und Kellerstampen, nachdem sie sich Geld „besorgt“ haben, und flüstern: „Haben Sie Khif oder Stoff?““ (S.31)

 

 

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Cannabis Hanf Interviews

Interview mit Mathias Bröckers

hanfblatt, 2003

Der ganze Drogenkrieg kippt…

Ein Interview mit Mathias Bröckers

Der Journalist und Autor Mathias Bröckers gehört zweifellos zu den umtriebigsten und präsentesten Promis auf dem Hanfaktivistenolymp. Anlass genug für das Hanfblättli, ihn einmal wie einen Hanfsamen auszuquetschen. Fangen wir harmlos an…

HanfBlatt: Du beschäftigst dich seit nunmehr drei Jahrzehnten von verschiedenen Seiten aus mit dem Thema Hanf. Zu deiner Legende gehört die Freundschaft zu dem leider verstorbenen großzügig bekiffte Weisheit und Poesie brabbelnden Hanfsadhu Wolfgang Neuss. Wie kam es dazu?

Bröckers: Das war 1981. Ich war damals Kultur-Redakteur der „taz“. Es war die Zeit der Hausbesetzungen in Berlin, und Freunde, die für das Radio arbeiteten, hatten ihn dazu interviewt. Das heisst, sie hatten eine einzige Frage gestellt und Neuss hatte darauf einen seiner genialischen Monologe abgelassen: „Also Hausbesetzer ist schon mal das falsche Wort, Hausbenutzer würde ich da erst mal sagen, denn sie benutzen ja nur etwas, was ungenutzt rumsteht…“ so ungefähr fing das an und kam dann vom hundertsten ins tausendste und wieder zurück. Ich war völlig hingerissen von diesem assoziativen Mix, der immer wieder auf den Punkt, die Pointe kam, und das in einer unerhörten politischen Schärfe und Genauigkeit, so dass ich beim nächsten Mal, als der zweite Teil des Interviews gemacht werden sollte, mitgekommen bin und ihn gefragt habe, ob er nicht eine wöchentliche Kolumne für die „taz“ machen will. Dass wir uns dann so gut kennengelernt haben und Freunde wurden, hatte mit den Bedingungen zu tun, die er für diese Kolumne stellte: Du mußt drei mal in der Woche hier vorbeikommen, einmal um das Thema zu besprechen, dann zwei Tage später den Text abholen, und dann das Honorar vorbeibringen und von den Reaktionen berichten – „und jedesmal mußt du mit mir rauchen!“ Ich stimmte zu, ahnte aber noch nicht, was da Besonderes auf mich zukommt…

HanfBlatt: Was war das Besondere?

Bröckers: Dass sich in jedem seiner von ausgewählten Fachleuten gerollten Joints exakt 1,5 Gramm bestes Haschisch befanden und von diesen Raketen täglich mindestens 20 gezündet wurden – und ich war anfangs schon nach zwei Zügen völlig platt. War es schon im Wachzustand schwer, der Geschwindigkeit seiner Intelligenz und dem Wortwitz zu folgen, blickte ich jetzt gar nichts mehr und dämmerte vor mich hin. Die ersten Kolumnen apportierte ich stolz – und mußte zu Hause sofort ins Bett. Ich sagte dann: „Wolfgang, ich kann nicht so viel rauchen bei dir, ich krieg erst Hunger und dann Durst und dann werde ich völlig breit im Kopf, kann mich nicht mehr konzentrieren, werde dösig und dämmerig…“ – „Bröckers“, meinte er dann, “ du mußt üben. Du bildest dir das alles nur ein mit dem Hunger, dem Durst, der Verwirrung, der Müdigkeit. Wer bei der besten Zeitung Deutschlands das angeturnteste Feuilleton machen will, muß doch wissen, wie man mit Drogen – mit Ekstase – richtig umgeht. Du mußt lernen, high zu sein und gleichzeitig hellwach, entspannt und gleichzeitig hochkonzentriert, auf der Erde, top-professionell, und gleichzeitig im Himmel, völlig abgefahren…“ Unter seine Briefe schrieb er gern: „Nach Diktat abgefahren“.

HanfBlatt: Und, hast Du was gelernt?

Bröckers: Zumindest war ich bis zu seinem Tod 1989 einer der fleissigsten Studenten, auch wenn ich die Neuss’sche Meisterschaft nie erreicht habe. Der konnte ja auch 20 starke LSD-Trips auf einmal nehmen und klar und ruhig sitzen bleiben – so wie Neem Karoli Baba, der indische Guru von Tim Learys Harvard-Kollegen Richard Alpert (Ram Dass). Was Hanf betrifft, habe ich tatsächlich gelernt, die meisten unerwünschten Nebenwirkungen zu kompensieren und nur die jeweils erwünschten zuzulassen. Weil ich ab 1982 als Vater von Zwillingen nach Büroschluss keine Zeit für regelmäßige Feierabend- Sessions bei Neuss hatte, verlegten wir von da an unsere Treffen auf 7 Uhr früh. Das war nun eine echte Herausforderung, denn um 10 war die Redaktionskonferenz der „taz“ und danach musste die aktuelle Zeitung gemacht werden. Wolfgang war oft schon seit 5 Uhr wach und hatte nicht schon einige Tüten, sondern auch alle Morgen-Zeitungen intus. Wir frühstückten dann an der Ecke im Café Möhring und danach in der Wohnung stellte ich das Tonband an, der Vulkan sprudelte los und ließ Lokalklatsch und Globalstrategien, Privatclinch und Weltkrieg, Kleinkunst und Großkultur, Tagesaktualität und Ewigkeit kollidieren, in einem Satz. So sind dann die meisten seiner Kolumnen entstanden – und ich habe nebenbei über die Jahre gelernt, stoned zu sein und gleichzeitig wach, konzentriert und arbeitsfähig.

HanfBlatt: Das ist allerdings eine Leistung, die Anfängern bisweilen Schwierigkeiten macht. Mag sein, dass es auch ein wenig von der Persönlichkeit abhängt. Was können wir heute noch vom Spassmeister Neuss lernen?

Bröckers: Nun, was seinen Haschisch-Verbrauch angeht, kann er sicher nicht als Vorbild dienen. Andererseits muss man die Vorgeschichte sehen, er war ein Superstar des Wirtschaftswunderlands in den 50ern, mit seinem Partner Wolfgang Müller eine Art Laurel & Hardy auf deutsch, dann in den 60ern die Nr. 1 des Kabaretts, allseits geliebt, hochbezahlt, ständig auf Achse, aber ständig auf Aufputsch-und Schlaf-Tabletten und Alkohol. Hätte er so weiter gemacht, hätte er die 70er nicht überlebt: „Ich rauche den Strick an dem ich hängen würde“ meinte er später und hat, außer etwas Opium gegen die Krebsschmerzen in den letzten Monaten, keinerlei Pillen oder Alkohol je wieder konsumiert. Ausser Hanf (und Psychedelika) ließ er nie wieder eine Substanz an sich heran. Also insofern können wir selbst aus dieser extremen Drogengeschichte etwas lernen. Darüberhinaus ist Neuss (geb. 1923) für mich einer der herausragenden Künstler-Heroen der „Stalingrad“-Generation – ein kleiner brauner Fleischergeselle, der sich im Schützengraben den Finger abschießt, um ins Lazarett zu kommen, dort als Witzeerzähler und Frontkomiker erstmals Beifall erhält, die Komik als lebensrettend entdeckt, zum opportunistischen Medien- und Filmstar avanciert, aber dann politisch wird, als Vordenker und Lautsprecher der 68er Kultur-Revolution. Und noch in seiner angeblichen „Verkommenheit“ später, als letzter Hippie und erster Punker der Republik, ein höchst sensibler und sprachgewaltiger Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen. Der intelligenteste Mensch dem ich je begegnet bin, dieser Schlachtergeselle aus Breslau. Und was das Professionelle betrifft ein wahrer Großmeister seines Fachs. Nehmen wir nur den aktuellen Champion Harald Schmidt: Was heute eine 30-köpfige Redaktion an Witz in die abendlichen Konferenzen einbringt, zauberte Neuss jeden Tag locker im Alleingang. Ich habe diese „Early Morning Shows“ jahrelang erlebt und mir bei verschiedenen Fernsehfritzen den Mund fusselig geredet, aber leider gab es in den 80ern noch kein entsprechendes TV-Format, sonst wäre das Ungeheuer von Loch Neuss garantiert noch einmal ganz groß herausgekommen. Wolfgang als zugeschaltetes Orakel der Harald Schmidt Show wäre eine unschlagbare Kombination. Aber ich will hier nicht schwärmen, sondern den Lesern seine Bücher und CDs empfehlen. Die alten Sachen in Volker Kühns Werkausgabe „Das Wolfgang Neuss Buch“ bei Zweitausendeins, die neueren auf CD bei Conträr. Das Buch, das ich aus seinen taz-Kolumnen zusammengestellt habe („Der gesunde Menschenverstand ist reines Gift“, Heyne-Verlag 1986) ist leider lange vergriffen, aber die besten Texte wurden in die letzte Auflage des Zweitausendeins-Bands aufgenommen.

HanfBlatt: Den eigentlichen Treffer hast Du selbst aber erst mit der Wiederentdeckung eines bereits in mehreren unübersichtlichen und zusammengeschustert wirkenden Auflagen erschienenen Buches namens „The Emperor wears no Clothes“ gelandet. Was hat Dich bewogen dieses Werk eines alten amerikanischen Hippies namens Jack Herer in einer ansprechenden Form auf Deutsch neu herauszugeben?

Bröckers: Die erste Ausgabe von Herers Buch landete 1987 bei mir. Kurz danach bekam ich einen Auftrag des Magazins „Transatlantik“, eine Reportage über die Cannabis-Szene in Deutschland zu schreiben. In diese Geschichte baute ich die industriepolitischen Hintergründe des Hanfverbots von 1937 aus dem „Emperor“ ein, gab die Buchquelle an und dachte mir, jetzt wird sich sicher ein Verlag dafür interessieren und das Buch auf deutsch herausbringen. Dem war aber nicht so, bis ich 1992 Lutz Kroth von Zweitausendeins beiläufig von der Story erzählte. Der fand Jacks Buch sehr spannend, aber zu chaotisch, und meinte: „Wenn Du die Redaktion übernimmst, machen wir es.“ Und ich sagte: „Ich mache es nur, wenn wir es auf Hanfpapier drucken.“ So kam dann nicht nur das Buch, sondern auch das HanfHaus ins Rollen. Ich organisierte die Hanfpapier-Produktion, und plötzlich wollten alle dieses Papier und die anderen Produkte aus Hanf. Als die Übersetzung fertig war und mein Teil über die europäische und deutsche Industrie-Geschichte des Hanfs ebenso, klang das ganze so plausibel, dass es uns niemand abgnommen hätte. Viele hätten einen Fake vermutet. Deshalb bat ich das Katalyse-Institut um eine wissenschaftliche Studie über den Rohstoff Hanf, die wir quasi als offizielle Bestätigung anhängten. Außerdem checkte ich alle Quellen und Dokumente, aber ich fand keinen Haken – und bisher hat auch niemand einen gefunden. Bis auf eine in der 2. Ausgabe korrigierte falsche Zahl über den Ölertrag hat uns seitdem niemand einen Fehler nachgewiesen – und das Buch hat mittlerweile eine Auflage von 140.000.

HanfBlatt: Wie war die Zusammenarbeit mit Jack Herer, der dadurch wohl zu den Ehren kam, von denen er immer geträumt hatte?

Bröckers: Wir lernten uns im Sommer ’93 in Paris auf einer Hanf-Konferenz kennen, da war die deutsche Ausgabe schon fast fertig. Jack war wunderbar einquartiert, auf einem Hausboot auf der Seine mitten in der Stadt, und wir redeten vom Abend bis zum Morgengrauen. Als ich ihm die Kopie der „Lustigen Hanffibel“ von 1943 zeigte, die ich gerade zuvor in der Staatsbibliothek entdeckt hatte, war er völlig aus dem Häuschen – dass auch die Nazis „Hemp for Victory“ anpflanzen ließen, schien ihm wie das Tüpfelchen aufs i. Meine anfänglichen Bedenken, so ein Nazi-Dokument zu veröffentlichen, wischte er energisch vom Tisch. Jack ist Jude, seine Eltern kamen in den 30ern aus Polen in die USA. „Wir müssen das veröffentlichen“, meinte er, „die Cannabis-Raucher sind doch die Juden von heute, sie werden verfolgt und eingesperrt für NOTHING. Wenn du ein faschistisches System kennenlernen willst, komm nach USA. Sie fordern die Kinder in der Schule auf, die Eltern zu denunzieren wenn sie Pot rauchen und bevor du einen Job kriegst, wollen sie deinen Urin schnüffeln.“ So kam also die Hanf-Fibel in die deutsche und auch in die nächste US-Ausgabe. Was die Ehre betrifft, hatte Jack die in USA schon genug, aber was nützt die tollste Geltung wenn man kein Geld hat. Das habe ich ihm mit der deutschen Ausgabe endlich mal verschafft und bin deshalb natürlich sein dickster Buddy. Er hat sich keinen Benz davon gekauft, sondern wie bei ihm üblich die Bewegung damit gepusht. Dass Hanf in Kalifornien zumindest als Medizin für Schwerkranke mittlerweile legal ist, verdankt sich auch seinem unermüdlichen Einsatz. Weil er aber zuviel isst und sich zuwenig bewegt, hat letztes Jahr sein Herz gestreikt – seitdem muss er sehr langsam tun.

Mathias Bröckers und Roger Liggenstorfer bei der Vorstellung ihres Buches über Albert Hofmann, Basel 2006.
Mathias Bröckers und Roger Liggenstorfer bei der Vorstellung ihres Buches über Albert Hofmann, Basel 2006.

HanfBlatt: „Hanf – Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Cannabis Marihuana“ ist ein echter Bestseller geworden und ein Motor der Veränderungen, die in Sachen Hanf in den letzten Jahren hierzulande stattgefunden haben. Nicht vergessen darf man dabei allerdings das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, das praktisch eine teilweise Entkriminalisierung des Besitzes geringer Mengen Rauschhanfs zur Folge hatte und die ganze Hanfwelle mit mehreren Zeitungen und einem Boom an Head- und Grow-Shops, sowie mancherorts von den Strafverfolgungsbehörden ignorierten Coffeeshop-artigen Erwerbsläden initialzündete. Wie erklärt sich aus deiner Sicht der Erfolg des Buches? Was hat es bewirkt?

Bröckers: Erstmal eine generelle, grundsätzliche Imageverbesserung. Dieser ganze Dämonisierungs-Humbug schwirrte ja, seit den 30er Jahren implantiert, nach wie vor mächtig in den Köpfen, und das wurde mit der geballten Faktenladung des Buchs zurechtgerückt. Dieser Re-Education-Effekt war das Entscheidende für den Erfolg. Die Tatsache, dass z.B. viele Schüler und Jugendliche das Buch ihren Lehrern und Eltern in die Hand drücken konnten und das Tabu, über das Pfui-Bah-Thema „Rauschgift“ zu reden, gebrochen war. Plötzlich war tatsächlich wieder von Hanf die Rede und nicht nur von Hasch & Drogen. Hans Georg-Behrs Buch, das ja so hieß, „Von Hanf ist die Rede“, hatte das zehn Jahre zuvor noch nicht geschafft, weil es den ökologischen Aspekt der Hanfnutzung nicht berücksichtigte. Dass nun Jack Herer und mir die Vaterschaft der Hanf-Renaissance zugeschrieben wird, wurmt ihn ein bißchen, und deshalb erzählt er jedem, der es nicht hören will, wir hätten alles bei ihm abgeschrieben. Das ist natürlich Unsinn, auch wenn, ebenso natürlich, alle nützlichen Informationen aus seinem Buch in unseres eingeflossen sind, aber eben auch noch einiges mehr. Und dieses Mehr, die Tatsache, dass jetzt die ganze Pflanze, statt nur der Rausch-Aspekt, Thema war, brachte die entscheidende Wende. Als ich die ersten zehn Exemplare des Buchs frisch aus der Druckerei bekam, schickte ich sieben davon nach Karlsruhe an die sieben Verfassungsrichter. So wie die hervorragende Arbeit von Wolfgang Neskovic auf der juristischen Seite, hat das Buch auf der publizistischen Seite wohl entscheidend zu der Trendwende in Sachen Hanf beigetragen. Dazu kam dann das Gerichtsverfahren um den Anbau von Nutzhanf, das wir mit der „Hanfgesellschaft e.V.“ initiiert hatten und das 1996 erfolgreich war. So kam Hanf zurück auf die Felder. Und das HanfHaus, das als erstes Unternehmen in Deutschland wieder Produkte aus Hanf auf den Markt brachte, löste einen wahren Gründerboom aus. Seitdem ist die Pflanze fast in jeder Stadt wieder präsent. Und wie bei jedem Pionier-Boom üblich – am IT-Markt haben wirs gerade erlebt – folgt solch stürmischen Wachstumsphasen zwangsläufig ein Tief. In der Hanfbranche setzte das 1998 ein, zusätzlich forciert durch die Verschärfung der Gesetze zum Samenverkauf. So ganz tatenlos wollte die Kohl-Regierung den blühenden Hanflandschaften dann doch nicht zusehen. Auch die Schikanen in Sachen Führerschein, die dann einsetzten, sind ja nichts als ein plumper Versuch, hinterrücks auf die Hanfbremse zu treten – wo doch das Verfassungsgericht beim Gesetzgeber eigentlich angemahnt hatte, die Repressionen zu lockern. Was die legalen Hanfprodukte betrifft, so blieb von allen Produkten, die das HanfHaus auf den Markt brachte, kein einziges unbeschlagnahmt – ob Hosen, Shampoo, Möbelöl oder Unterhosen. Solche Schikanen machen den Aufbau neuer Märkte für den Rohstoff Hanf nicht leichter – ganz abgesehen davon, dass es nachwachsende Rohstoffe gegen die petro-chemische Konkurrenz sowieso schon schwer genug haben. Aber trotz all dieser Schwierigkeiten, bin ich als Schreiberling mit der Wirkung des Buchs mehr als zufrieden. Es bestätigt den Schmetterlingseffekt der Chaostheorie: Auch ein kleiner Furz kann, im richtigen Moment gelassen, weltbewegende Wirkung haben. Und dieses Buch, das eine Weltauflage von über 500.000 hat, hat tatsächlich schon einiges bewegt in der Welt und tut es weiter. 70 Jahre Desinformation lassen sich nicht in 7 Jahren umdrehen, aber es fehlt nicht mehr viel! Der ganze Drogenkrieg kippt… und ein Cannabis-Friede wird der Anfang vom Ende dieses Kriegs sein.

HanfBlatt: Ich möchte gerne nochmal den inhaltlichen Aspekt des Buches ansprechen. Kernthese des Buches ist, dass Hanf nämlich eine anspruchslose und dabei ungeheuer produktive und äusserst vielseitig nutzbare Pflanze ist. Hanf allein könnte als nachwachsender Rohstoff einen Großteil der Probleme beseitigen, die gegenwärtig dadurch entstehen, dass insbesondere zur Cellulose-, Baustoff-, Faser-, und Ölgewinnung unersetzbare Rohstoffe ausgebeutet werden, namentlich Rohöl und Holz. Auf diese Weise könne Hanf sozusagen die Welt retten. Eine sicherlich verführerische These für jeden Hanffreund. Kritische Stimmen erheben allerdings Bedenken und warnen vor den ökologischen Konsequenzen einseitiger Hanf-Monokulturen. Auch sei die traditionelle Aufschliessung der Hanffasern durch die sogenannte Hanfröste ein Wasser verschwendendes und stark verunreinigendes Verfahren. Was hälst du diesen Bedenken entgegen?

Bröckers: Verglichen mit den Pestizid-Orgien des industriellen Baumwollanbaus ist die Wasserröste doch ein völlig harmloses Verfahren – kein Gramm Chemie kommt zum Einsatz, auch wenn die Brühe, in der die Hanfstengel aufgeweicht wurden, natürlich nicht einfach in den nächsten Fluß geleitet werden kann. Wenn sie aber, wie das z.B. in Rumänien geschieht, als Düngung wieder auf die Felder kommt ist das ökologisch absolut in Ordnung – ein Kreislauf. Dennoch können so altertümliche Verfahren in Zukunft nicht konkurrenzfähig sein, schon gar nicht von der Baumwolle irgendwelche nennenswerten Marktanteile im Textilsektor zurückerobern. Dazu müssen modernere Technologien des Faseraufschlusses, die bereits existieren, vom Labormaßstab in die Praxis umgesetzt werden.
Die These, dass Hanf die Welt retten kann, war natürlich zugespitzt und plakativ, aber ich unterschreibe sie immer noch, auch wenn eine Lösung für die komplexen Probleme des Planeten defintiv nicht ausreicht. Aber Hanf weist überall in die richtige Richtung, ökologisch, ökonomisch, medizinisch und spirituell. Dass der Rohstoff Hanf nach 70 Jahren der Verbote und des Vergessens die Weltmärkte nicht im Sturm zurückerobern kann, ist klar – aber ebenso klar ist, dass er auf ewig als Rohstoff nicht konkurrenzfähig sein wird, solange die Umweltschäden des Baumwollanbaus oder der Waldvernichtung für Papier aus Holz, nicht in die Preise dieser Produkte eingehen. Würde ein konsequentes Verursacherprinzip eingeführt, sind Hanfprodukte schon jetzt konkurrenzfähig und erst recht, wenn sie massenhaft produziert würden. Mono-Kulturen sind dabei übrigens nicht zu befürchten. Hanf ist eine ideale Zwischenfrucht und hinterlässt die Äcker für die Nachfolgepflanzen in optimalem, giftfreien Zustand.

HanfBlatt: Die zweite zentrale These eures Buches lautet: Die rassistische zunächst gegen diskriminierte Minderheiten wie Mexikaner und Schwarze und mit ihnen verkehrende Weisse gerichtete „Marihuana“-Verteufelung, die in den 30er Jahren in den USA unter Harry J. Anslinger, dem langjährigen Leiter des U.S. Narcotics Bureau, begann, diente in erster Linie der Diskreditierung des Hanfes. Es existierte eine Verschwörung von Grössen aus der Holz- und Chemieindustrie, die dadurch den lästigen Konkurrenten Hanf ausschalten wollten. Hier führen Kritiker an, dass der Hanf, sofern er der Berauschung diente, auch schon vor Anslinger in vielen Ländern umstritten war und bekämpft wurde, in manchen Ländern wie Ägypten schon seit Jahrhunderten. Auch die internationalen Gesetze gegen Opium, Opiate und Kokain schlossen den „Indischen Hanf“ schon in den 20er Jahren mit ein. Die Verteufelung habe also vielerorts eine erheblich längere Geschichte. Einen nicht unerheblichen Teil daran habe auch die westliche Medizin und die Pharmaindustrie gehabt. Auf der anderen Seite sei der Hanf z.B. in Deutschland schon Ende des 19. Jahrhunderts auf Grund zu hoher Verarbeitungskosten gegenüber ausländischen Faserpflanzen (wie Baumwolle, Jute etc.) nicht mehr konkurrenzfähig gewesen. Erst während des Ersten Weltkrieges und zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges entsann man sich wieder seiner Qualitäten als einheimische Nutzpflanze. Danach verschwand er wieder langsam in der Versenkung. Der Anbau selbst wurde in der Bundesrepublik ja erst Anfang 1982 verboten. Hat es diese Verschwörung also wirklich gegeben?

Bröckers: Letztes Jahr habe ich mich als Herausgeber des „Lexikons der Verschwörungstheorien“ von Robert Anton Wilson eingehend mit der Struktur von Verschwörungen beschäftigt, die ja eigentlich die selbstverständlichste Sache der Welt sind: A und B verabreden sich heimlich, um sich gegenüber C einen Vorteil zu verschaffen. Das kommt in jedem Fischteich, jedem Biotop vor und auch in jeder Gesellschaft. Ein weiterverbreiteter Irrglaube ist allerdings, das solche Verschwörungen lange, gar über Jahrhunderte andauern. Insofern ist es sicher Unsinn, heute noch von einer Anti-Hanf-Verschwörung zu sprechen – dass aber die Barone der US-Petrochemie wie Irenee DuPont und Andrew Mellon (Gründer von Gulf-Oil) in den 30ern die Fäden für die erste Prohibitions-Kamgagne gezogen haben ist evident: Das Geld für die erste offizielle Anti-Marihuana.Kamgane kam von ihnen und dass ihr Leiter Harry Anslinger Mellons Schwiegerneffe war, ist nicht einfach ein Zufall. Eine großindustrielle Nutzung von preiswertem Faserhanf, die dank der neu entwickelten Maschinen gerade ins Haus stand und vom US-Landwirtschaftsministerium propagiert wurde, hätte die Markteinführung der DuPont-Kunstfasern aus Öl ganz erheblich erschwert. Dennoch ist dieser industriepolitische Hintergrund nicht die einzige Ursache für das Hanf-Verbot, aber er erklärt die Dynamik der Kampagne, die sich dann ja bis in die Single-Convention der UN durchgeschlagen hat. Neben den Geschäftsinteressen der petro-chemischen Industrie spielten auch rassistische, repressive Motive dabei eine wichtige Rolle. Die Hetzpresse von Hearst hatte schon in den 20ern begonnen, eingewanderte Mexikaner und Schwarze als Kriminelle und Drogenabhängige zu denunzieren, der Überhang an Verfolgungsapparat am Ende der Alkohol-Prohibition tat ein übriges. Da passte alles zusammen. Und sorgte dafür, dass die Hanfnutzung bis heute nicht an die technische Moderne angeschlossen ist. Die wunderbaren Fasern meines Hanf-T-Shirts, dass ich auch bei aktuellen 34 Grad Temperatur mehrere Tage tragen kann ohne verschwitzt zu riechen, werden noch so gewonnen wie zu Urgroßvaters Zeiten. Was die eigentlichen Schweinereien der Herren DuPont, Hearst und anderer betrifft, gehen die übrigens weit über ein bißchen Drehen an der Hanf-Repressions-Schraube hinaus. Ein Forscher aus Kentucky hat ausgehend von Jack Herers Dokumentation herausgefunden, dass DuPont als glühender Rassist und Antisemit u.a. den Aufbau einer faschistischen Organisation in den USA nach Vorbild der SS (Black Legion) finanzierte und Hearst ab 1934 von Nazi-Propagandaminister Goebbels 400.000 $ pro Jahr erhielt – und der „Readers Digest“ von da an auf nazi-freundliche Berichterstattung umschwenkte. Mittenmang in diesem braunen Fan-Club waren übrigens auch der Banker George Walker, der Urgroßvater des heutigen Präsidenten George W. Bush, dem er das Dabbelju in seinem Namen verdankt, und dessen Schwiegersohn Prescott Bush. Sie ergatterten in den 30er Jahren das heutige Vermögen des Clans, vor allem durch Geschäfte mit dem aufrüstenden Hitler-Deutschland. Prescott kam 1942 vor Gericht, wegen „Dealing with the enemy“ und weil er faschistische Gruppen in den USA unterstützt hatte. Dass Walker und Bush „zu den wichtigsten amerikanischen Unterstützern Hitlers“ zählten, wie ein zeitgenössischer Journalist schrieb, bleibt in den Biographien über die Familie heute natürlich ausgespart. Und dass DuPont, der in den 30ern General Motors kontrollierte, der Nazi-Wehrmacht ihr wichtigstes Transportfahrzeug, den Opel Blitz, lieferte, kommt in den Firmen-Biographien des weltgrößten Chemiekonzerns heute natürlich auch nicht mehr vor. Die Autos für den Blitzkrieg hätten ohne Treibstoff freilich nicht rollen können, deshalb verkaufte DuPont auch noch das Patent für die Gewinnung von „Holzgas“, also die Gewinnung von Treibstoff aus nachwachsenden und fossilen Rohstoffen, an die Nazis. Für die USA hatten die Ölbarone DuPont vor einer Nutzung dieses Patents gewarnt, es hätte Wettbewerb für ihren Sprit aus Öl bedeutet, aber Hitlers Wehrmacht durfte er damit ins Rollen bringen. „Holzgas“ wird im übrigen auch in der „Lustigen Hanffibel“ von 1942 erwähnt – inwieweit damals konkrete Versuche mit Hanf als Energiepflanze gemacht wurden, versuche ich gerade herauszubekommen.

HanfBlatt: Welche Visionen hast Du für eine Zukunft mit Hanf?

Bröckers: Wie schon gesagt glaube ich, dass ein Cannabis-Friede der Anfang vom Ende des Drogenkriegs sein wird. Dass wir das Problem mit Drogen, Sucht und Elend nicht durch Krieg in den Griff bekommen, dass der Kampf gegen Drogen mehr Probleme verursacht als löst – diese Erkenntnis setzt sich mehr und mehr durch, auch in konservativen Kreisen. Und doch fällt es der Gesellschaft natürlich schwer, erstmal Ja zu sagen zu Drogen, den Dämon sozusagen zu umarmen, seine Anwesenheit und Notwendigkeit zu akzeptieren – doch nur so kann er seinen Schrecken verlieren. Das heißt nicht, dass nicht auch dann noch Menschen Probleme damit bekommen – von 100 Bewohnern im globalen Dorf werden immer 3 oder 4 schwere Sucht und Abhängigkeiten entwickeln und weitere 3 oder 4% sind möglicherweise gefährdet, aber für die restlichen über 92% überwiegen die Vorteile bei weitem die Nachteile – egal um welche Substanz es sich handelt. Beim Hanf ist das von allen illegalen Drogen am leichtesten einzusehen – und deshalb denke ich, dass hier in den nächsten Jahren eine Wende erfolgen wird. Die Schweiz könnte als Laboratorium einmal mehr Vorreiter sein. Was die deutschen Gesetze betrifft, hoffe ich, in meinem Rechtsstreit um den Verkauf von Vogelfutter im HanfHaus vielleicht ein bißchen an dem 1998 ergangenen Samenverbot rütteln zu können. Vorerst steht da für mich aber erstmal das Gegenteil – 17 Monate auf Bewährung – im Raum. Die nächste Instanz wird voraussichtlich erst kommendes Jahr stattfinden. Falls sich bis dahin Rot-Grün zu einem Hauch von Reform aufrafft, oder zumindest einer Ankündigung derselben, könnte das der Wahrhheitsfindung des Gerichts sicher dienlich sein. Mit einer Entkriminalsierung des Besitzes und der Erlaubnis zum Anbau für den Eigenbedarf werden 90.000 von den 94.000 Justizverfahren, die im Jahr 2000 in Sachen Cannabis Kosten verursachten, überflüssig. Das wäre ein erster sinnvoller Schritt. Und was die Nutzung von Hanf als Rohstoff angeht, ist meiner Meinung nach ein besonderes Wiedergutmachungsprogramm nötig, sprich Zusatz-Förderung für Forschung, Entwicklung und Vermarktung von Hanf als Rohstoff. In das große Bio-Anbau-Programm, dass Renate Künast annonciert hat, passt Hanf ja wie der Faust aufs Gretchen….

HanfBlatt: Arbeitest Du an irgendwelchen konkreten Projekten?

Bröckers: Als aktiver Geschäftsführer des HanfHauses bin ich in diesem Sommer ausgestiegen – aber als Berater und Gesellschafter weiter an Bord. Ich werde in Zukunft wieder mehr schreiben. Gerade ist die Taschenbuchausgabe meines letzten Buchs über das Übernatürliche erschienen („Können Tomaten träumen?“ – Königsfurt-Verlag), und die da ventilierten Themen – Kosmologie, Quantenphysik, Katastrophentheorie, Bewußtseinsforschung usw. – beschäftigen mich weiter. Auch das Thema Verschwörungen. Und natürlich Hanf. Ich suche gerade nach Finanzierung für einen asketisch-luxuriösen, hanfgebundenen Fotoband – Mäzene bitte melden! Ja, und dann gibt es ein noch nicht ganz konkretes Projekt, das ich deshalb auch noch nicht ausplaudern kann, von dem ich mir aber viel verspreche. Es könnte einen ähnlichen Kick auslösen wie es das gelbe Buch in Deutschland getan hat – aber auf globaler Ebene. Es gibt immer noch viel zu tun – pflanzen wirs an!

Von oder mit Mathias Bröckers sind unter anderem der Bildband „Cannabis“ und natürlich das hier besprochene Buch von Jack Herer erschienen . Leicht zu bestellen über Amazon, neu oder gebraucht:

 

 

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Cannabis Drogenpolitik Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen

Dope auf dem Schulhof

HanfBlatt, Nr. 77, 2003

Dope auf dem Schulhof

Wie beliebt ist Cannabis unter Schülern? Und welche Folgen hat der Genuss?

Das Blech und die Scheiben von Philips roten Golf erzitterten unter den Klängen von Prince. Es war 1984 in irgendeiner Schule in einer Großstadt. In der großen Pause, ich glaube sie ging von halb bis um 11 Uhr, hatten wir es uns seit einem viertel Jahr zur Angewohnheit gemacht in der rostigen Karre zu verschwinden und eine Riesentüte zu rauchen. „Let´s go crazy“ dröhnte dann so laut aus den Magnat-Boxen, dass Passanten stehen blieben. Unsere Mitschüler, welche die Pause nutzen um aus dem nahe liegenden Penny-Markt Bier zu holen, die grienten nur wissend. Es war die Zeit in der uns endgültig klar wurde, dass Schule keinen Sinn macht, obwohl die Abiturprüfungen nahten. Cannabis stand dabei nie in dem Verdacht das Bewusstsein zu erweitern, wozu auch, wir wussten es ja eh schon besser. Die fetten Joints, die wir uns Tag für Tag reinzogen dienten keinem Ziel, sondern nur dem puren Amüsement. Wir wollten schnell und schmutzig leben, Mutti würde schon weiter zahlen.

Zeitsprung ins Jahr 2002: Eine Gesamtschule in Hamburg. Auf dem Schulhof tummeln sich die Racker, die älteren Schüler ziehen sich mit behördlicher Genehmigung eine seltsame Droge mit Namen „Tabak“ in der eigens dafür geschaffenen „Raucherecke“ rein. „Kiffer suchst Du?“, wiederholt einer der langen Kerls spöttisch und schaut mich von oben bis unten an. „Dann schau mal hinter das Gebäude dahinten. Vielleicht hast du Glück.“ Ich folge seinem Finger. Als mich die kleine Gruppe von Jungmännern sieht, nesteln sie in ihren Taschen rum. „Vom HanfBlatt, coool.“ Ja, sagen sie, „klar kiffen wir in den Pausen“. Jeden Tag? „Ooch ja, eigentlich ja.“ Nein, auf die Leistungen würden sich das nicht auswirken. „Der Unterricht ist sowieso völlig beschissen. Ob ich da breit bin oder nicht, dass macht keinen Unterschied.“ Die Hände in den Taschen, die Hosen in den Kniekehlen stehen sie da. Neuntklässler, die jedwedes Unrechtsbewusstsein beim Cannabisgenuss in die Tonne getreten haben. Für sie ist Kiffen Entspannungskultur, breit sein, high sein.

Das war 1984 nicht viel anders: Die Generation der Anti-Atomkraft-Bewegung mit ihren olivgrünen Parkern und ihren moralinsauren Eiertänzen hatte vor zwei Jahren die Schule verlassen, nun waren wir an der Macht. Wir, dass waren wilde Söhne und Töcher aus Beamtenhaushalten, welche die reduzierte Sprache von Albert Camus genossen und Jean Paul Satre lasen und ihn nicht verstanden. Es entwickelte sich eine Mischung aus krudem Existenzialismus und dem unbedingen Willen, dass Leben in vollen Zügen zu genießen. Techno war noch nicht erfunden, Acid-House war State of the Art und damit dämmerte langsam das Zeitalter des Hedonismus heran. Ohne es zu wissen waren wir die Vorläufer der heutigen Spaßgesellschaft. Wenn wir bekifft aus dem Auto zurück in den Unterricht flatterten, dann war Spaß garantiert – oder stumpfes rumdröhnen. Einmal kippte Philipp vom Stuhl vor Lachen, unser Biologielehrer (Typ: „Ich bin euer Kumpel“) schickte ihn entnervt zur Schulleiterin. Aber die Lehrer waren meist zu blauäugig, um unsere Zustände einzuordnen – oder sie wollten sie nicht sehen, weil wir seit der 11. Klasse den Unterricht eh nur noch für unser Privatscherzchen nutzten, mithin störende Elemente waren.

Tja, und nun die Preisfrage: Was hat das Cannabis mit uns getan? Um es mal mit den Maßstäben der Leistungsgesellschaft zu messen: Der eine Kiffer von damals kauft heute Fussballrechte in ganze Europa ein, der andere hat eine kleine Firma für Marktforschung gegründet, der dritte verdummt die Leute (er ist Angestellter in einer Werbeagentur), der vierte tut das ebenfalls, er schreibt diesen Artikel. Aber es gibt auch andere Wege: Einer aus unserem Kreise fand das Kiffen so großartig, dass er jeden Abend bedröhnt vor der Glotze hing, wir verloren ihn aus den Augen, Jahre später traf ich ihn wieder, er war ziemlich runtergekommen. Kaum jemand kommt auf die Idee, berufliche und private Erfolge am Graskonsum festzumachen, umgekehrt fällt das seit jeher einfacher. Und kaum jemand kommt auf die Idee die Fragestellung einmal umzukehren und eine Untersuchung darüber anzuschieben, welche Vorteile Jugendliche aus dem ja meist gemeinsam praktizierten Rauchritualen ziehen. Die Kiffen ein Problem sein muss, dies ist unausgesprochene Gedanken- und Finanzierungsgrundlage vieler Sucht- und Präventionsbüros.

Um es nicht falsch zu verstehen: Unser Konsum von Haschisch während der Schulzeiten hat die Leistungen in der Schule wahrlich nicht gefördert, im Gegenteil. Ab dem Moment der cannabioniden Intoxination waren wir bei körperlicher Anwesenheit freiwillig vom Unterricht ausgeschlossen. Letzlich waren wir das vorher zwar auch schon, aber nun gab es absolut keine Möglichkeiten für Lehrer und Lehrninhalte durch unseren Nebel aus Selbstgefälligkeit und Frohsinn durchzudringen. Nur hatten wir halt das Glück zu begreifen, dass man die Regeln des Systems irgendwann doch wieder befolgen muss, zumindest soweit, dass man nicht rausgeworfen wird. Die Eskapaden führten nie dazu den ideellen Reigen aus Eltern und sozialem Umfeld ganz zugunsten der hanfinduzierten Glückseeligkeit zu verlassen. Zudem hatten wir Glück, denn ein Lehrer stand dem Hanf nicht abgeneigt gegenüber. Wir teilten ein paar Züge lang unsere Erfahrungen. Der Mann hatte unser Vertrauen und war einer der wenigen Großgewachsenen, den man sich bei Problemen innerhalb und außerhalb der Schule offenbaren wollte.

Und was treibt der Hanfrauch heute aus dem Bewusstsein der SchülerInnen? Die sonore Stimme eines Hamburger Schulpsychologen dringt durch den Telefonhörer: „Ein großer Teil der Jugendlichen kann mit dem Cannabiskonsum umgehen, aber es gibt welche, die das nicht können. Wer zum Frühstück seine ersten Köpfe raucht, der hat schnell ein Problem.“ Der Mann kämpft mit mehreren Aufgaben: Ein Problem sei, dass keine aktuellen Zahlen vorliegen, ob sich der Konsum unter den Menschen unter 18 Jahren tatsächlich erhöht hat. „Wir erhalten schon immer öfter Meldung von Schulen und Eltern, dass die Cannabis konsumierenden Schüler jünger geworden sind.“

Ob Eltern, Lehrer oder Schüler: Die Erfahrungen mit akut gedopten Mitschülern sind schlecht, darum ist man sich einig, dass der Genuss von Hanfkraut in der Schule nichts zu suchen hat.

Wo früher erst die 17-jährigen rauchen, kiffen heute zum Teil schon die 15-jährigen. Dieser subjektive Eindruck wird durch die letzten Erhebungen in Hamburg bestätigt. 1990 hatten insgesamt 27,9 Prozent und 1997 26,5 Prozent der 15 bis 39-jährigen jemals in ihrem Leben Cannabis probiert. Diese sogenannten „Lebenszeitprävalenz“ hat sich über die Jahre also kaum geändert. Aber: Deutliche Veränderungen zeigen sich bei der Gruppe der jungen Konsumenten. 1990 gaben nur 8,4 Prozent der 15-17-jährigen an, im letzten Jahr Hanf geraucht zu haben, 1997 waren das schon 17,9 Prozent. Und so wie es aussieht hat sich dieser Trend eher noch verstärkt.

Kenner beobachten die Verjüngung der Szene schon seit längerem. Ein Head-Shop Besitzer erzählt: „Erst gestern kam hier ein maximal 15-jähriger rein, der einen Bong für die Tasche haben wollte. Der Typ war komplett sediert und fragt auch noch nach einem Gerät, dass er mit in die Schule nehmen kann. Damit ist er jetzt wahrscheinlich der Held in der Klasse.“ Insgesamt sei zu beobachten, dass die Käufer von Paraphenalia über die Jahre jünger geworden sind.

Die spannende Frage ist nun, welche Auswirkungen der Genuss von Cannabis hat. Darüber gehen die Meinungen auseinander, die empirischen Erhebungen im Bundesgebiet unterstützen die These vom kranken Kiffer allerdings nicht. Ein paar Zahlen: Im Jahr 2000 lag der Anteil der aktuellen THC-Liebhaber in Deutschland zwischen fünf und sechs Prozent. Hochgerechnet auf die Wohnbevölkerung sind das in Ostdeutschland 26.000 Personen und in Westdeutschland 214.000 Personen, die regelmäßig Cannabis konsumierten. Glaubt man den Erhebungen weiter haben nur wenige Kiffer Probleme mit ihrem Inhalationssport.

Die größte Studie zu dem Thema von Kleiber und Kovar kommt in feinstem Wissenschaftsdeutsch zu dem Schluss: „Was die Auswirkungen von Cannabis auf die psychische Gesundheit anbelangt, muss aufgrund der vorliegenden Ergebnisse die Annahme, dass der Konsum von Cannabis eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit nach sich zieht, zurückgewiesen werden.“ Fest steht auf der anderen Seite, dass diejenigen Menschen, die heute Dauerkiffer sind ihre ersten Erfahrungen relativ früh gemacht haben. Mit anderen Worten: Je früher man anfängt zu knastern, desto größer ist später die Chance dauerstoned durch die Gegend zu eiern.

Wie geht man nun mit dem jugendlichen Fans von Cannabis, Alkohol, anderen Genussmitteln und sogenannten Drogen um? Im Kern stoßen dabei zwei Auffassungen aufeinander. Die eine: Weil alle Rauschmittel das Potential zur Verstärkung und Wiederholung in sich tragen, muss das Ziel die Erziehung zur Abstinenz sein. Die Gefahr, die von der Integration des Drogenkonsums in die Gesellschaft ausgeht, zeigt sich deutlich am Alkohol. Die andere: Eine drogenfreie Gesellschaft ist nicht nur unmöglich, sondern durch ihre prohibitiven Zwangsmaßnahmen zugleich ein teilweise totalitärer Staat. Ziel muss daher die Erziehung zur selbstverantwortlichen Haltung und Handlung sein. Aus der Diskussion ausgespart bleibt meist die betroffene Gruppe, nämlich die, die ab und zu Cannabis zur Entspannung und zur Rekreation nutzt und eigentlich nur ein Problem hat: Dass die Produkte der Pflanze auf dem Markt erscheinen ohne auf Qualität geprüft worden zu sein.

Die Garde der Therapeuten, Suchtberater und Schulpsychologen steht vor dringenderen Problemen. Ihrer Meinung nach setzt das Betäubungsmittelgesetz der Beratungs- und Aufklärungstätigkeit enge Grenzen, zum anderen ist die Unkenntnis über Wirkungen und Auswirkungen von Gras und Hasch unter Lehrern, Eltern und Schülern riesengroß. In den Worten des Psychologen am Telefon: „Die Schule kann bei der momentanen Gesetzeslage keine Anleitung zum regelgeleiteten Konsum geben, und das kann auch nicht Auftrag der Schule sein.“ In der persönlichen Beratung von Schülern allerdings würde nicht nur auf Abstinenz abgestellt, „das wäre völlig unrealistisch“. Auf Veranstaltungen zum Thema Drogenkonsum würde immer wieder die Unsicherheit deutlich werden, die allenthalben unter Eltern, Lehrern und Schülern herrsche. „Zumeist wird der Cannabiskonsum total dramatisiert, andere spielen ihn vollständig runter.“ So oder so sei das Thema enorm emotional besetzt. Fazit des Psychologen: „Versachlichung und Aufklärung tuen Not.“

Bei der Veranstaltung „Jugend im Parlament“ berichteten Hamburger Schüler den Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft im Jahr 2000 von ihren Erfahrungen mit kiffenden Mitschülern. Die Überraschung: Die meisten Jugendlichen teilten mit, sie hätten bisher bei keinem ihrer Mitschüler Verhaltensauffälligkeiten oder Beeinträchtigungen der Leistung durch die Einatmung von geschwängerten Rauch festgestellt.

Im Regelfall würde Cannabis ohnehin in der Freizeit konsumiert, weiß Gert Herweg, der in Frankfurt als Fachberater tätig ist. In der Metropole haben seiner Einschätzung nach bis zu 20 Prozent der Schüler über 14 Jahren Erfahrungen mit Cannabis. Die meisten davon würden den Hanf aber nur probieren, wenige würden zu Gewohnheitsrauchern. Im gesamten Bundesgebiet ist zu beobachten, dass vor allem Schulen in sozial schwachen Wohngebieten von Problemen mit dauerkiffenden Jugendlichen berichten.

Misst man nicht mit ökonomischen Maßstäben, stellt sich die Frage nach den Vor- und Nachteilen des Drogenkonsums noch einmal anders. Was kaum einer der Therapeuten und „Drogenexperten“ auszusprechen wagt, ist doch, dass Cannabis und andere Rauschmittel bei vernünftiger Anwendung eben durchaus zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit beitragen können und nicht nur wie ein unablässig wachsendes Geschwür dieselbe zerfressen. Sicher, die Gefahren eines allzu frühen Konsums liegen auf der Hand: Sie bestehen in einer, bildlich gesprochen, Aufweichung einer Plattform, die man sich ja gerade erst -unabhängig von den Eltern- schaffen will. Gleichwohl gilt: Fatal ist doch die zeitweise Ausrichtung des jungen, sich entwickelnden Wertesystems an einer Droge nur dann, wenn der Mensch sich dadurch entweder unglücklich macht oder seine Verantwortung für das natürliche und soziale Umfeld auf längere Zeit negiert. Diese Gefahren bestehen, sind aber nach überwiegender Meinung eher vom Elternhaus und dem Freundeskreis abhängig als von Pflanzenextrakten.

Neugierde und Entdeckerdrang, Abgrenzung zu Autoritäten und das Erleben von Freiheit sind notwendige Bedingungen des Erwachsenwerdens. Sicher tut man der gedeihenden menschlichen Natur nicht zu sehr Gewalt an, wenn man einige Genussmittel per Gesetz kategorisch aus ihrem Erlebnishorizont streicht. Auf der anderen Seite lauern die Gefahren der blinden Konsumwut überall und in der propagierten „offenen Gesellschaft“ sollte es eben auch darum gehen, den Umgang mit diesen zu lernen. Aber wer lehrt diesen, angesichts überforderter Eltern, nicht legitimierter Schulen, die zudem ihren Ruf im Viertel nicht verlieren wollen und einem Freundeskreis, der zur Verharmlosung neigt?

Jörg Auf dem Hövel

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Marihuana Mythen 15: „Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Marihuana Mythen

Teil XV

Unsere Serie ist außer Atem, ja, sogar am Ende. Wir haben viel gegeben, haben Zahlen und Fakten gesammelt, Tabellen erstellt, Vergleiche gezogen und das Alles, um den weit verbreiteten Unwahrheiten über den Hanf Einhalt zu gebieten. Vorangetrieben von der Hoffnung, daß in Zeiten (post)moderner Beliebigkeit die Suche nach dem wahren Cannabis überhaupt Sinn macht. Der letzte Teil gibt sich locker, auf intellektuelle Weise konfus, fasst noch einmal die wichtigsten Ergebnisse über die Wirkungen des Rauschhanf auf die Körper-Geist-Einheit zusammen und wagt einen Ausblick.

„Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Die Mythe, eine altüberlieferte Erzählung, soll in bildhaft-anschaulicher Sprache ein vergangenes Ereignis vergegenwärtigen. Ursprünglich ging es um Geschichten aus einer Zeit, in der Götter und Dämonen regierten, kurz, die Welt noch beseelt war. Die Aufklärung und später die Wissenschaft drängten diesen Komplex in den Bereich des Unbewußten, denn die Welt besitzt keine Seele, meint man. An dieser Stelle könnte ein philosophischer Diskurs ansetzen, aber das würde zu weit führen. Der Ausdruck „Marihuana-Mythen“ soll indes zeigen, daß trotz eines wissenschaftlichen Mäntelchens wissentlich oder unwissentlich Lügen über den Hanf verbreiten wurden und werden.

Gleich die erste Folge nahm sich einen Mythos zur Brust, der in vielen Köpfen herumschwirrt: Die Annahme, daß sich der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen stetig erhöht hat. Wir mußten zeigen, daß in der westlichen Hemisphäre der Gebrauch von Rauschhanf über die Jahrzehnte relativ stabil geblieben ist. Er ist zwar gewissen Schwankungen unterworfen, diese sind aber eher durch Veränderungen in der Jugendkultur, als denn durch eine liberale oder restriktive Drogenpolitik zu erklären (HB 23/96). Eine der nächsten Folgen wies nach, daß Hanf durchaus als Medizin genutzt werden kann, es sogar diverse wissenschaftlich fundierte Einsatzgebiete gibt (HB 25/96).

„Marihuana schädigt die Lungen„, nannte sich der vierte Mythos. Klar, rauchen ist immer Gift für unser Atmungsorgan, das steht nunmal fest. Regelmäßige Kiffer leiden öfter als Nichtraucher an chronischen Husten und chronischer Schleimentwicklung. Mischt frau den Hanf zudem mit Tabak, erhöht sich die Risiko einer Krebserkrankung enorm. Die Forschungen auf dem Gebiet laufen, die Liebhaber des Rauchens sollten aber gewarnt sein. Ob Cannabis das Immunsystem insgesamt angreift, bleibt umstritten. Die Ergebnisse der frühen Untersuchungen wurden in den achtziger und neunziger Jahren wiederholt und oft verworfen. Hier darf –wie so oft- kein Kausalzusammenhang gezogen werden: Sportliche Menschen mit gesunder Ernährung und einen ausgeglichenem Seelenleben dürfte weitaus weniger schnell krank werden als der faule, fette Fernsehhänger. Die sexuelle Fortpflanzungsfähigkeit von Mann und Frau wird kaum beeinträchtigt: Zwar hat Marihuana leicht unterdrückende Auswirkungen auf die Spermaproduktion, diese ist aber reversibel. Die Damen der Schöpfung stört der Genuß nicht in ihrer Fruchtbarkeit, wohl aber in das Genießen ihrer Schwangerschaft. Wissenschaftler raten zu einer gewissen Prüderie gegenüber Cannabis in den berühmten neun Monaten, denn die Ergebnisse sind zu widersprüchlich. Was der Hanf im Hirn anstellt, darüber läßt sich trefflich streiten. Die Grenze zwischen Psyche und Physis ist gerade hier schwer zu ziehen, somatische Veränderungen wurden aber selten nachgewiesen. Berücksichtigt man die neurochemischen Daten von Tierversuchen, klinischen Fallstudien, empirischen Erhebungen, kontrollierten Laborstudien und Feldversuchen kann gesagt werden, daß Beeinträchtigungen des Hirns zwar möglich sind, bei einem kontrollierten Umgang aber äußerst unwahrscheinlich. Der überwiegende Teil der Erhebungen der Kiffer und Abs tinenzler beäugte, fand keine Unterschiede in den kognitiven oder intellektuellen Funktionen.

Erich Hesse schrieb 1966: „Die regelmäßige Aufnahme des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im Irrenhaus ist das Ende.“ Noch immer hält sich der Mythos von Cannabis als Suchtdroge. Das HanfBlatt bezog in Ausgabe 32/97 Stellung und verwahrte sich gegen die Sündenbockfunktion einer Substanz. Dosierung der Droge, Anforderungen des Berufs, soziales Umfeld und die persönliche Struktur des Konsumenten sind ausschlaggebend für die Wanderung auf dem Grad zwischen Gebrauch und Mißbrauch. Ziellosigkeit und Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene nach einer durchqualmten Nacht, daraus aber ein allgemeines „Amotivationssyndrom“ stricken zu wollen, ging uns entschieden zu weit. Interessant ist, daß die großen Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und Jamaika keine Beweise für dieses Syndrom fanden. Vor allem junge Menschen sind dann gefährdet, wenn sich der Hauptaugenmerk ihres Lebens einer Droge zuwendet. Zur Theorie der „Einstiegsdroge“ habe wir in Ausgabe 36/97 einige Worte verloren, einer Theorie, die in der Riege der internationalen Wissenschaftler (so wie der Flash-Back) keine ernst zu nehmende Unterstützung mehr findet. Es steht fest: Es sind eher drogenunabhängige Einflüsse, die eine „Umsteigen“ hemmen oder fördern. Von den Niederlanden kann die deutsche Republik in jedem Falle lernen, dort ist eine Trennung der Märkte in „weiche“ und „harte“ Drogen weitgehend gelungen und mehr Menschen kiffen im Nachbarland -trotz einer quasi-Legalisierung- auch nicht.

So, daß war´s. Aber weit gefehlt, denn noch immer forscht die Wissenschaft auf der ganzen Welt nach dem wahren Wesen der Cannabis-Pflanze und ihrer Wirkstoffe. Cannabis verspricht in der Zukunft Linderung für AIDS- und Krebskranke zu bringen, aber auch als Seelenbalsam ohne ärztliche Verschreibung nimmt es immer mehr seinen Platz in einer gestreßten Gesellschaft ein. Schnelllebigkeit und Informations-Overdrive zeichnen die gegenwärtige Epoche aus, der Genuß von Hanf dürfte als beliebte Zeitbremse seinen Platz bei jungen wie alten Menschen behalten beziehungsweise neu finden. Angesichts der neuen Ergebnisse rund um die Wirkung von Cannabis, stellt sich die Frage, was zuerst da war: Die wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, daß der mäßige Konsum annähernd frei von Schäden ist, oder eine sozial, kulturell und politisch veränderte Stimmung gegenüber dem Hanf. Denn eines haben die fünfzehn Folgen der „Marihuana-Mythen“ gezeigt: Voraussetzung für Wissenschaft ist eine Idee, wie ein Zusammenhang aussehen könnte. Und diese Idee prägt das Design jeder Forschung maßgeblich vor (von dem persönlichen Hintergrund des Forschers mal ganz abgesehen). Dies heißt nun nicht, daß die „Wahrheit“ der Beliebigkeit des Forschers weichen muß, sondern nur, daß alle Ergebnisse nicht im luftleeren Raum stehen, demnach vor ihrem Hintergrund betrachtet werden müssen. Auf diese Serie selbst angewandt heißt dies, daß die Forderung nach der Legalisierung aller Hanfprodukte Teil ihrer ideologische Basis war. Trotzdem wurde versucht, nicht die Augen vor der möglichen Schädlichkeit zu verschließen und sei es nur mit dem paracelsischen Gemeinplatz, daß die Dosis die Giftigkeit bestimmt.

Alte Mythen werden aufgelöst, neue Mythen entstehen. Um eine so berauschende Pflanze wie den Hanf werden sich immer Ungereimtheiten ranken. Der Wissenschaft obliegt es, ein solides Fundament für die Beurteilung von Cannabis zu schaffen und so damit beizutragen, dem einzelnen Hanfliebhaber einen der Gesundheit nicht abträglichen Genuß zu ermöglichen. Die Jugend mißachtet schon lange eine in den meisten Ländern verfehlte Cannabispolitik. Und erst nachdem Schmerzpatienten vermehrt zu Cannabis griffen, um Linderung zu erfahren, forschte die Wissenschaft nach den Ursachen für die lange ignorierten Wirkungen der Heilpflanze. Die beiden Beispiele zeigen: Die Forschung wird auch in Zukunft durch die Erfahrungen des Konsumenten einerseits relativiert, andererseits aber auch genährt. Das HanfBlatt wird den Fortgang weiterhin teilnehmend beobachten.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Marihuana Mythen – Teil 5 – Cannabis schwächt das Immunsystem

Marihuana Mythen

Teil V

Weihnachten ist längst vorbei und trotzdem noch spuken Märchen durch die Köpfe der Hanf-Experten. Die Mythen rund um den Hanf richten nachhaltigen Schaden an, fast undurchdringbar scheint das Gewirr der Behauptungen, die den Labors und Forscherstübchen entweichen. Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der fünfte Teil einer Serie überprüft die Behauptung:

„Marihuana schwächt das Immunsystem“

Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen behaupten den Zusammenhang zwischen Marihuana-Gebrauch und einer Schwächung des Immunsystems. Das Risiko, durch Erkältungen und anderen Infektionskrankheiten ins Bett geschickt zu werden, sei, so diese Meinung, bei Konsumenten von Rauschhanf erheblich höher, als bei Abstinenzlern. Bereits in den 70er Jahren entstanden, erhielten diese Behauptungen in den 80er neue Bedeutung, als vermehrt über den Gebrauch von Marihuana unter AIDS-Kranken berichtet wurde. Sollte man den Kiffer auf der Straße an seiner chronisch roten Nase erkennen?

DIE FAKTEN

sprechen eine relativierende Sprache. Um in diesem Fall für Aufklärung zu sorgen, muß zunächst ein Rückblick in die Historie gewagt werden. Die Ausgangstudie, die die ursprüngliche Beeinträchtigung des Immunsystems durch Gras behauptete, ging folgendermaßen vor: Man entnahm von Kiffern und einer Kontrollgruppe Blut und isolierte die weißen Blutkörperchen. Die Hälfte der weißen Zellen sind Lymphozyten, wiederum etwa 70 Prozent dieser werden T-Lymphozyten genannt. Diese stürzen sich im Bedarfsfall auf Eindringlinge im Körper, sie bilden einen Bestandteil der Immunabwehr des Körpers. Wittern sie Gefahr, vermehren sie sich um dem Feind in großer Zahl entgegentreten zu können. Der französische Wissenschaftler G.G. Nahas zeigte nun in der Studie, daß sich die T-Lymphozyten bei den Fans des Marihuanas nicht nur langsamer vermehrten, 44 Prozent der kleinen Kämpfer waren sogar außer Kraft gesetzt. Bei Krebspatienten sind das meist „nur“ bis 40 Prozent. Aber: Keine Untersuchung konnte die Zahlen von Nahas und seinen Kollegen je wieder nachweisen, sie wurde vielfach widerlegt. Zu spät, ein Mythos war geboren.

An dieser Stelle sei, daß Nahas noch heute als einer der angesehensten Wissenschaftler in seinem Heimatland gilt und mitverantwortlich ist für die unsäglich rigide Cannabis-Politik im Lande des berauschenden Weines. Aber schütten wir keinen Zorn und keine Häme aus, sondern wenden uns wieder dem Thema zu. 1988 zeigte eine andere Untersuchung das Gegenteil: Hanfraucher und Raucherinnen erfreuen sich bester Gesundheit, ihr Immunsystem sei sogar intakter als das von vergleichbaren Kontrollgruppen. Andere Wissenschaftler wollten 1979 nachgewiesen haben, daß einer der psychoaktiven Wirkstoffe im Hanf, das THC, die Widerstandsfähigkeit gegen das Herpes simplex-Virus senkt. Auch diese These wurde später (1991) überpüft und verworfen. THC bindet sich an das Herpes-Virus und inaktiviert es somit. Die äußerliche Anwendung eines Alkoholextrakts aus Cannabis sorgte dafür, daß vorhandene Bläschen innerhalb eines Tages verschwanden.

Nun greift leider auch die Marihuana-Forschung auf Tiere als Versuchssubjekte zu. Das Immunsytem von Nagetieren wurde in Mitleidenschaft gezogen, als sie THC in hohen Dosen verabreicht bekamen. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse sind stark angezweifelt worden, weil die Tagesdosis bei 100mg pro Kilogramm lag, etwa 1000 mal so hoch, als benötigt wird, um beim Menschen eine psychoaktive Wirkung zu erzielen.

In den drei großen Marihuana-Feldstudien in den 70er Jahren (Jamaica, Costa Rica, Griechenland) fanden die Forscher bei den Grasrauchern keinen Unterschied in der Empfänglichkeit für Krankheiten gegenüber Nichtrauchern. Einschränkend sei aber hier angeführt, daß neuere Forschungen THC-Metaboliten in der Lunge gefunden haben, und dies noch sieben Monate nachdem mit dem Rauchen des Hanfs aufgehört wurde. Diese Metaboliten sind durchaus imstande, daß Immunsystem anzugreifen. Die Gefahr einer Bronchitis ist unter Marihuana-Raucher höher als unter Nichtrauchern (siehe HANFBLATT 1/97).

Neue Nahrung erhielt der Mythos von der Schwächung des Immunsystems durch die Krankheit AIDS. Der ehemalige oberste Drogenwächter Nord-Amerikas, Carlton Turner, behauptete in den 80er Jahren, daß Marihuana den Ausbruch von AIDS begünstige. Alle ernstzunehmenden Studie widerlegten seine Annahme, trotzdem ließ er sich nicht überzeugen. Er krönte sein unwissendes Haupt zudem mit dem verbürgten Ausspruch, daß Hanf-Konsum zur Homosexualität führe. Ende gut, Alles gut: Turner trat später auch aufgrund dieser Fehltritte zurück.

Es steht fest: Weder begünstigt Marihuana den Ausbruch von AIDS, noch führt es zur Verstärkung der Symptome unter AIDS-Patienten. Im Gegenteil, heute nutzen viele AIDS-Kranke die Wirkung des Hanfs, um ihren Appetit anzuregen und ihre Übelkeit zu bekämpfen. Mittlerweile gehen manche Wissenschaftler sogar davon aus, daß THC stimulierende Effekte auf das menschliche Immunsystem hat.

Völlig unberücksichtig bei der schulmedizinischen Betrachtung bleibt der psychische Aspekt, der im folgenden kurz angerissen wird. Man weiß seit längerem, daß der Ausbruch vieler Krankheiten auch immer eine psychologische Komponente besitzt. Kurz: Wer sich wohl fühlt, wer sich an seinem Leben erfreut, wer gesund lebt, bleibt auch gesund. Marihuana besitzt nun wahrscheinlich das Potential, sowohl positiv wie negativ zu wirken. Zuviel Pot, zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort dürfte den Körper des Kiffers zur Rebellion verführen; der wohldosierte, in Ruhe genossene Konsum dagegen durchaus zur Stabilität des körperlichen und seelischen Gleichgewichts beitragen.

 

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Cannabis Routen

HanfBlatt Nr. 81, Jan/Feb. 2003

 Zwischen Karachi und Ketama…

… und zwischen Enddarm und Container. Wie fließen die Haschisch- und Marihuanaströme über den Globus?

Cannabis ist die am häufigsten gehandelte illegale Droge der Welt. Dem logistisch gut organisierten Warenverkehr stehen manchmal die Gesetze im Wege. Welche Routen nehmen Haschisch und Marihuana?

Zart sind die Sprossen des Hanfs und zart begann auch der Handel. Cannabis wächst auf allen Erdteilen der Welt und wird auch überall kultiviert, ob nun drinnen und draußen. Oft wurde zunächst nur für die Versorgung des lokalen Marktes angepflanzt, erst später, wenn die Nachfrage da war, kam es zum Transfer ins Ausland. Weniger die unbedingte kapitalistische Wille der Einheimischen, als vielmehr reiselustige Menschen bilden seit jeher die zweite nicht versiegende Quelle für Cannabis auf der ganzen Welt. Der Urlaub bietet für jeden Liebhaber des gepflegten Kiff seit jeher die Gelegenheit ein Stück Rauschkultur des jeweiligen Landes als persönliches Mitbringsel mit in die Heimat zu nehmen. So etwas gab es schon immer, professionalisiert wurde es in den 60er Jahren, als die ersten Hippies wahnsinnsgutes Haschisch aus Indien und Nepal in die Welt brachten. Seither ist diese Luft- und Landbrücke nie wieder abgerissen. Der Zoll nennt es „Ameisenhandel“, andere nennen es „Völkerverständigung“. Leider liegen keine Schätzungen darüber vor, wie viel des weltweit genossenen Cannabis von nahen und entfernten Freunden stammt.

Weltkarte der Cannabis-Routen

 

Grasgeschiebe

Der Handel mit den Blütenständen des Hanfs fokussiert sich auf einige Brennpunkte: Praktisch auf den Flughäfen der gesamten Welt wird Gras aus Kambodscha aus den Rucksäcken der Traveller gepickt. Kein Wunder, kostet das Kilo (!) meist minderwertigen Hanfkrauts in dem Land nur rund fünf Dollar. In der Provinz Koh Kong sollen noch immer recht himmlische Zustände herrschen. Hier ist eine traditionelle Hochburg des Hanf-Anbaus, zudem gibt es einen direkten Zugang zum südchinesischen Meer. Größere Mengen werden über vor der Küste liegenden Schiffen zunächst nach Thailand, später in die Welt distribuiert (siehe Karte). Die Australier verzeichnen seit Jahren einen regen Handel mit südwest-asiatischen Marihuana. Apropos Australien: Down under zeigt sich ein Trend, der sich weltweit durchzusetzen scheint. Über die Hälfte des in den letzten Jahren beschlagnahmten Grases stammte aus der Indoor-Zucht. Ähnliches lässt sich in Kanada und den Ländern der Europäischen Union beobachten. Die vielen Genießer haben mittlerweile erkannt, dass die Aufzucht und Hege von Cannabis nicht nur eine simple Angelegenheit ist, sondern sogar Spaß bereitet.

Neben Kambodscha sind es vor allem Indonesien, Laos, die Philippinen und Thailand, die auf größeren Feldern Hanf anbauen. Die UNO zeigt sich in ihrem letzten Drogen-Bericht sehr besorgt darüber, dass seit einiger Zeit auf Sumatra und Java vermehrt Cannabis angebaut wird. Insgesamt, so die Organisation, seien im Jahr 2002 über 4500 Tonnen Gras weltweit aufgegriffen worden. Wenn man nun berücksichtigt, dass dies schätzungsweise zehn Prozent der tatsächlich gehandelten und konsumierten Menge ist, dann bekommt man eine Vorstellung von dem ungeheuren Ausmaß des globalen Hanfrausches.

Interessant dabei ist natürlich, wo das meiste Marihuana beschlagnahmt wird, gibt dies doch Hinweise auf die (unterbrochenen) Reisewege. Manch´ einer wird es geahnt haben: Fast die Hälfte der jährlich ergatterten Menge wird in Mexiko einkassiert. Nirgendwo auf der Welt wird so viel gekifft wie in den USA und dieser Markt will halt versorgt werden. Ob in Trucks, auf Schiffen oder in Flugzeugen – Marihuana wird auf vielen Wegen über die Grenze ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten geschafft. Der fermentierte Geruch von jamaikanischem Gras ist in Deutschland und Europa selten geworden, mittlerweile exportierten die karibischen Inseln das meiste ihres Killer-Weed ebenfalls in die USA.

Neben Mexiko ist Kolumbien der zweitgrößte Anbaustaat auf dem amerikanischen Kontinent. Von hier aus wird das Gras entweder in die USA geflogen oder über die karibischen Häfen (oft: Covenas) nach Europa verschifft. Ansonsten übt sich der südamerikanischen Markt in Selbstgenügsamkeit. Wo der lokale Anbau nicht ausreicht, stehen die zentral gelegenen Länder Bolivien (Region um Cochabamba), Brasilien (Region Bahia und Pernambuco im Nordosten) und Paraguay gerne zur Seite.

In Europa selbst hat sich neben den bekannten Gras-Ländern Niederlande und Schweiz Albanien zu einem beachtlichen Anbauland von Marihuana gemausert. Das Bundeskriminalamt schätzt sogar, dass der Staat mittlerweile der „größte Marihuanaproduzent Europas“ sein dürfte. Auch hier wird nicht auf blauen Dunst hin angebaut, sondern für einen Markt, der sich recht unabhängig von den restriktiven Drogengesetzen nach kulturellen Modeerscheinungen ausrichtet. Kiffen ist „in“: Nur darum hat sich in den letzten zehn Jahren sich die Menge des sichergestellten Cannabis in Europa verdoppelt.

Afro-Look

Glaubt man den Zahlen der Drogenkontrollbehörden, aber auch den Berichten der Presse, wird die Anpflanzung von Cannabis in den mittleren und südlichen Länder Afrikas immer beliebter. Für den Verbraucher bleibt meist undurchsichtig, woher genau das Gras kommt. Die prinzipiellen Wege aus den Ländern: Hanfkraut, welches in den kleinen Staaten Lesotho, Malawi und Swaziland angebaut wird über die Straßen nach Südafrika verbracht, um von dort aus entweder mit dem Flugzeug oder aber mit dem Schiff über Kapstadt oder Durban nach Europa transportiert zu werden.

Im Februar 2001 verbrannte die Polizei am Mount-Kenia über 328 Tonnen feinstes Marihuana. In den Worten des UNO-Berichts 2001: „In Ost-Afrika, speziell in Äthiopien, Kenia, Madagaskar, Uganda und Tansania, hat Cannabis, welches bis dahin nur für den lokalen Markt angebaut wurde, die Stellung einer ökonomisch signifikanten Pflanze eingenommen.“ Neben Nigeria, über dessen legendären Hafen Lagos der Hanf aus der Region abtransportiert wird, ist der Kongo ein Hauptanbaugebiet im mittleren Afrika. In der Mindouli-Region im Süden des Landes wird seit Generationen Cannabis großgezogen. Im Kongo ist nach Angaben der OGD (Observatoire géopolitique des drogues), die einen (allerdings recht anekdotisch) jährlichen Bericht zur Situation des Drogenanbaus auf dem Globus gibt, der Anbau von Cannabis schwer umkämpft. Es kommt zu Verletzten und Toten. Die Lari, seit Generationen passionierte Hanfbauern, bestehen trotz internationaler Vereinbarungen auf ihr altes Recht den Hanf zu kultivieren. Der alte Präsident des Kongo, Bernard Kolelas, war Mitglied dieser Ethnie – er stand in der internationalen Politiker-Gemeinschaft seit jeher im Verdacht, den Handel nicht nur toleriert, sondern daran auch kräftig mitverdient zu haben.

Dies ist hier erwähnt, weil ohne die Kooperation hoher Regierungsstellen der gesamte, professionell organisierte Cannabis-Schmuggel auf der Welt zusammenbrechen würde. Ob in Südamerika, Indien, der Türkei oder eben in den afrikanischen Ländern: Nicht nur kleine Zöllner verdienen an der Prohibitions-Politik mit, schaut man einmal hinter die Fassaden der internationalen Plattitüden der Drogenbekämpfungspläne, fällt immer wieder auf, dass lokale Politiker, hohe Beamte und zum Teil eben auch Regierungspolitiker in den Handel involviert sind.

Hasch-Brüder

Damit ist man beim Haschisch angelangt, dessen groß angelegter Schmuggel gerade in Marokko und Spanien ohne die freudige Mitarbeit der offiziellen Kräfte so nicht möglich wäre. Kein Wunder, soll doch die Haschisch-Marge rund 10 % des Bruttoinlandsprodukts ausmachen. Über die Jahren zeigt sich: Rund 50 % des weltweit beschlagnahmten Haschisch werden in Spanien aufgetan, nur rund 10-15 % in Marokko selbst, weitere rund 5 % in Frankreich, etwa 3 % in den Niederlanden. Diese Zahlen zeigen die herausragende Stellung, die Marokko bei der Harzherstellung spielt. Das die EU-Regierungschefs dagegen nur recht lässig vorgehen, liegt nicht zuletzt daran, dass Marokko als wichtige Barriere gegen den gefürchteten islamischen Fundamentalismus gilt. Hier offenbart sich mal wieder ein schönes Beispiel für die Doppelmoral in der Drogenpolitik. Es bleibt weiterhin zu vermuten, dass zudem einige UNO-Vertreter der Anbauländer die weltweite Prohibition unterstützen, weil diese eine Quelle ihrer Einnahmen ist.

Aber zur Sache: An den Hängen des Rif-Gebirges hocken seit Jahrzehnten Einheimische und ausländische Geschäftsmänner zusammen. Zum Teil ernten sie gemeinsam, sodann wird das „Kif“ an die Küste gebracht und von dort entweder mit Privat-Yachten, Fischerbooten oder zu auf Reede liegenden Großschiffen gebracht. Beliebt soll es neuerdings sein, schwächeren Schmugglergruppen die Ware mit Waffengewalt abzunehmen und dann selber weiter zu vertreiben. So oder so verdienen die lokalen Amtmänner an den Transporten mit. Nach Aussage von Stefan Haag, Autor von „Hanf weltweit“, bieten manche Händler sogar einen Lieferservice an, für Zusatzkosten von rund 2500 Euro pro Kilo kommt das Haschisch frei Haus via Amsterdam nach Mitteleuropa. Die Kleinschmuggler nutzen die Fähren zwischen Tanger oder Ceuta nach Algeciras (Spanien) und die Fähren von Melilla nach Malaga und Almeria.

Wie es dann weiter geht, dass zeigte plakativ ein Vorfall im Herbst 1999. Ein Verkehrsunfall in der südspanischen Region Andalusien führte Drogenfahnder auf die Spur international operierender Cannabis-Händler. Ein Lastzug einer deutschen Spedition stürzte nahe Malaga auf regennasser Straße um – neben Ost und Gemüse auch mit 526 Kilo Haschisch an Bord. Die Ermittlungsgruppe machte schnell zwei Speditionen im Landkreis München und im Landkreis Freising als Transporteure ausfindig. Sie schmuggelten im Auftrag einer italienischen und einer spanisch-marokkanischen Organisation Cannabisharz quer durch Europa. Marokkanisches Haschisch wurde von Spanien aus zunächst an Abnehmer in Norditalien geliefert. Von dort aus wurde es in kleineren Portionen nach ganz Europa distribuiert. Es wird vermutet, dass es ohnehin meist die rund 1,5 Millionen Menschen umfassende marokkanische Diaspora in Europa ist, die den Verkehr mit dem Rauschgold aus ihrem Heimatland organisiert.

Die im obigen Fall angesprochene Gruppe transportierte auch Heroin und Kokain von Mazedonien via München nach England. Damit ist man bei der Frage, in wie weit der Cannabis-Schmuggel von den gleichen Menschen organisiert wird, die nicht nur andere Drogen lukrativ an den Mann bringen möchten, sondern realer Teil des Schreckgespenstes „Organisierte Kriminalität“ sind, das von den staatlichen Ermittlungsbehörden seit einigen Jahren so vehement propagiert wird. Legenden wie Howard Marks halten seit jeher das Bild der chaotisch-liebenswerten Haschisch-Brüder aufrecht, die ohne Waffen und Gewalt den Menschen in der Welt gute Lebens-Mittel beschaffen. Ob der international mit großen Mengen operierende Güteraustausch tatsächlich so harmlos abläuft, darf bezweifelt werden. Um es wage zu formulieren: Wo es um viel Geld geht, dürften Gier und Neid nicht fern sein. Zugleich steht fest, dass zumindest Teile der fester strukturierten Gruppen neben Cannabis auch mit Heroin (Asien) und Kokain (Südamerika) handeln und damit bewusst die Sucht ihrer Kundschaft in Kauf nimmt.

Nordafrika ist aber selbstredend nicht der einzige Großproduzent von Haschisch. Rund 10 % des weltweit beschlagnahmten, wohlriechenden Harzes landet in Pakistan auf dem drogenprohibitiven Scheiterhaufen. In dem Land laufen einige Kanäle aus dem Orient zusammen. Nicht nur landeseigene Produkte, sondern auch das Cannabis aus Afghanistan wandert zu einem Teil zunächst über die südliche Grenze. Dreh- und Angelpunkt in Vorderasien ist nach wie vor Karachi, über dessen Seehafen die dunklen Sorten mit den blumigen Namen in die Welt gehen.

Seidenweich

Der Bosporus galt lange als die Meerenge, welches das in Europa genossene Haschisch überwinden musste. Ob „Libanese“ oder „Afghani“ – an den türkischen Zöllnern führte kein Weg vorbei. Opium, Heroin, Haschisch, die Türkei wurde als strategisch wichtiger Basis angesehen, um den ungehemmten Substanzfluss auf der sogenannten „Balkanroute“ zu gewährleisten. Noch heute prahlen libanesische Haschisch-Dealer damit, dass ihre Kontakte türkischer Zöllner so ausgezeichnet seien, dass die Beförderung nach Europa kein Problem wäre. Früher einer der größten Haschischproduzenten der Welt, dümpelte im Libanon die Erzeugung im vergangenen Jahrzehnt etwas vor sich hin – nun wird aber wieder vermehrt angebaut. Im Hauptanbaugebiet im Bekaatal bei Baalbek rollen wieder die Traktoren durch die Hanffelder.

Zwei Faktoren haben über die letzten Jahre die „Balkanroute“ zumindest für den Haschisch-Transport uninteressanter werden lassen. Da ist zum einen das rigide Eingreifen der iranischen Behörden, die zunehmend keinen Lust verspüren als Transit-Land für „gotteslästerliches Teufelszeug“ zu fungieren. Zum anderen dienen die uns immer noch recht fremden zentralasiatischen Staaten mit Namen Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan nur allzu gerne als Transit- und Produktionsländern. Dies ist die klassische „Seidenroute“. Gerade in Kasachstan wächst das Gras in jedem Kuhdorf. Allein im legendenumwebenden Chu-Tal soll der Hanf auf einer Fläche von 138 Tausend Hektar wachsen. Schmiermittel und Kompetenzgerangel zwischen den Drogen-Behörden, dazu der Umstand, dass die Grenzen zwischen den genannten Staaten und auch dem großen Nachbarn Russland so gut wie unkontrolliert sind, führen zu einem ansteigenden Fluss von Haschisch und Marihuana über diese Seidenroute. Begünstigend kommt hinzu, dass die Verkehrsinfrastruktur relativ gut ist. Ob in Russland, in dessen Weiten quasi überall Hanf wächst, oder den baltischen Staaten, die als Transit-Stationen genutzt wird: Überall hier wird mehr und mehr Cannabis beschlagnahmt.

Diese Beschlagnahmungen durch die Polizei sind aber nicht immer der beste Indikator für einen regen Handel. So steht fest, dass in Europa die Städte Amsterdam und auch London ein Hauptumschlagsplatz für Cannabisprodukte sind. Selbiges gilt für Kopenhagen, von wo aus diese skandinavischen Ländern aus versorgt werden. Gleichwohl wird die Polizei hier nicht exorbitant fündig, was nur zum Teil an ihrer Verblödung, mehr noch an einer bewusst laxen Einstellungen gegenüber dem Haschisch-Schmuggel liegen dürfte. Viel spricht dafür, dass Amsterdam die Drehscheibe für Haschisch in Europa ist. Dies liegt nicht nur an der toleranten Drogenpolitik des Landes, sondern auch an der geographischen Position und ihrer Tradition als Kolonialmacht, die seit jeher mit Transport und Verteilung vertraut ist.

Eine weithin unbeleuchtete Rolle im internationalen Drogenhandel spielen Personen, die für ihre Regierungen tätig sind. Für den Kokain- und den Heroin-Handel steht mittlerweile fest, dass Mitarbeiter von Geheimdiensten (beispielsweise des CIA) und Armeeangehörige ihre Stellung nutzen, um von dem zu profitieren, was sie eigentlich bekämpfen sollen. Noch steht der Beweis aus, dass dies auch beim Cannabishandel eine maßgebliche Rolle spielt.

 

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Mythos 14: „Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert“

Marihuana Mythen

Teil XIV

Gut gelaunt durchstreifen wir das Tal der Erkenntnis, denn der Blick ist frei. Nur ab und zu ranken sogenannte Mythen (ein gar „widerporstiches“ Gewächs) auf unseren Weg. Wir zerschneiden sie mit einem Messer, welches da „Wissenschaft“ heißt und heben sie auf, um sie in unserem Sammelband mit dem Titel „Struktur und Funktion von Marihuana-Mythen im 20. Jahrhundert“ abzulegen. Am Ende des Tals wartet die erfrischende Quelle des Wissens, an der wir uns gütlich laben werden, um dann den Weg zurück anzutreten. Hin und her, hin und her: Ja, Sisyphos muß man sich als glücklichen Menschen vorstellen.

Wie sieht es aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Eine Serie im HanfBlatt räumt auf – dieses mal mit der Behauptung:

„Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert“

Ein oft gehörtes Argument, wenn es darum geht, das voraussehbare Scheitern einer neuen Drogenpolitik in Deutschland zu untermauern. Das kleine Land an der Nordsee steht bei konservativen Politikern als Symbol für den Sündenpfuhl Europas. Hier herrsche Anarchie, auf offener Straße würde gekifft, immer mehr junge Leute probieren Cannabis und andere Drogen und damit stiege auch Zahl der Drogentoten stetig. Dieses Kernargument der Hanf-Prohibitionisten bedarf einer äußerst sorgsamen Überprüfung – halten wir uns also an

DIE FAKTEN

Einige politische und soziale Hintergründe müssen zunächst geklärt werden:

Seit dem Sommer 1994 regiert in Holland eine Koalition aus nicht-konfessionellen Parteien. Die für die Cannabis-Frage zuständigen Minister (Justiz- und Gesundheitsministerium) können als links-liberal eingestuft werden, sie stehen allzu weitreichenden Eingriffen des Staates in die Gesellschaft skeptisch gegenüber. Zudem wurde in den letzten Jahren die Inkonsistenz der Coffee-Shop Politik immer deutlicher (Front-Backdoor-Problem): Während im Gastraum legal Haschisch und Marihuana vertrieben werden darf, bleibt die Beschaffung der größeren Mengen für den Besitzer illegal. Im Modell war also ein Problem immanent angelegt, denn Kontakte zur kriminellen Organisationen konnten nicht ausbleiben. Das Parlement beschloß aus diesem Grund, den Coffee-Shops einen leichteren Zugang zu den Drogen zu ermöglichen. Zugleich kam es aber zu einschränkenden Maßnahmen, weil es in den letzten Jahren vermehrt zu Beschwerden von Teilen der Bevölkerung gekommen war. Die Zahl der Kiffer-Läden war stetig gestiegen, 1996 existierten 2000 Stück im Ländle. Oft wurde diese von Nicht-Holländern geführt, die hervorragende Kontakte in ihre Heimatländern pflegten. Großorganisationen übernahmen den Handel, Holländische Hanf-Produkte wurden im Preis unterboten, kriminelle Kräfte hielten Einzug. Kritisiert wurde auch die Existenz der Shops in der Nähe von Schulen und Jugendeinrichtungen. Aus diesem Grund beschloß die Regierung, in Zukunft ein wachsameres Auge auf die Shops zu werfen und die Neueröffnung stärker zu Reglementieren. Heute dürfen im Einzelverkauf nicht mehr als fünf Gramm über die Theke gehen, weiterhin ist man aber berechtigt, bis zu 30 Gramm Pot bei sich zu tragen.

Bei der Hälfte des konsumierten Cannabis handelt es sich um Haschischsorten aus Asien, dem Nahen Osten und Nordafrika, die weitaus geringere Menge kommt aus Südamerika (hier insbesondere Kolumbien). Marokko ist mit knapp 75% der größte Lieferant. Es gibt Hinweise darauf, daß ein erheblicher Teil des importierten Haschischs wieder exportiert wird. Die Betriebsführung dieser häufig von Niederländern geleiteten Exportorganisationen ist sehr professionell und auf Kontinuität ausgerichtet. Im Jahre 1994 wurden über 43 Tonnen Haschisch und fast 195 Tonnen Marihuana beschlagnahmt. Die Zahl der gefundenen und vernichteten

„Nederwiet-Pflanzen“, also des niederländischen Hanfs, stieg auf 558.000. Der Marktanteil des Nederwiets an in den Niederlanden konsumierten weichen Drogen, soll inzwischen 50% betragen. Die in den Niederlanden seit jeher vorhandene Kenntnis von Gartenbau- und Veredelungstechniken hat zur Erreichung dieses Marktanteils beigetragen. Nederwiet gilt als Qualitätsprodukt und ist daher vor allem bei Jugendlichen beliebt. Soweit die aktuelle Lage.

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Wie ist es nun um die Cannabiskonsumenten bestellt? Hat die de-facto Entkriminalisierung zu einem Anstieg der kiffenden Menschen geführt? Und führte dies zum Umstieg auf andere, härtere Drogen? Die holländische Regierung stellte 1989 und 1996 den Erfolg einer seit 1976 grundlegend veränderten Drogenpolitik dar. Ihren Ergebnissen nach ist seit einigen Jahren der Konsum von Cannabis unter den Jugendlichen konstant. Die Zahl der Personen in den Niederlanden, die regelmäßig Cannabis nehmen, schätzt das NIAD (Nederlands Instituut voor Alkohol en Drugs) auf 675.000. In den ersten Jahren nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes stabilisierte sich das Konsumniveau, nahm aber im Zeitraum 1984-1994 wieder etwas zu. Sowohl trendmäßig als auch der Höhe nach weicht der Konsum in den Niederlanden nicht stark von dem in anderen Ländern ab. Um dem Mythos etwas näher zu kommen, vergleichen wir doch einmal das Genußverhalten von Holländern, US-Amerikanern und Franzosen.

Cannabiskonsum unter 12-18jährigen Holländern

Jemals probiert

Letzten Monat genossen

1984

4.8%

2.3%

1988

8.0%

3.1%

1993

13.6%

6.5%

(Quelle: NIAD)


Cannabiskonsum unter 12-17jährigen US-Amerikanern

 

Jemals probiert

Letzten Monat genossen

1985

23.2%

11.2%

1988

24.7%

6.4%

1993

11.7%

4.9%

(Quelle: NIDA)

 

Cannabiskonsum unter Franzosen (1992)

Alter

Jemals probiert

12-17 Jahre

4%

18-24 Jahre

32%

25-34 Jahre

31%

35-101 Jahre

14%

(Quelle: Comité Francedilais d`Education pour la Santé, 719 befragte Personen)

Die Tabellen zeigen, daß in Ländern mit strenger Aufsicht durchaus Cannabis unter den Jugendlichen grassiert. In den USA wird trotz einer restriktiven Cannabisprohibition gekifft was das Zeug hält. Der Konsum wird offenbar in erster Linie durch Moden innerhalb der internationalen Jugendkultur und durch andere Entwicklungen, wie der Zunahme der Langzeitarbeitslosigkeit unter Jugendlichen, beeinflußt. Von der staatlichen Drogenpolitik und der damit zusammenhängenden Verfügbarkeit von Drogen geht nur ein beschränkter Einfluß aus. Wie der Bundesdrogenbeauftragte Eduard („Ede“) Lintner trotz der Fakten und Zahlen auf die Idee kommt zu behaupten, daß niederländische Coffee-Shop Modell sei insgesamt gescheitert, weiß wohl nur er. Die holländische Regierung jedenfalls geht weiterhin davon aus, daß sie einen wertvollen Beitrag zur Trennung der Märkte zwischen harten und weichen Drogen leisten konnte. Und unter Vertretern einer progressiven Drogenpolitik wird das holländische Konzept seit Jahren als durchaus auf Deutschland anwendbar gesehen.

Ein holländischer Experte in Cannabisfragen, Mario Lap, möchte einen Schritt weiter gehen: Er schlägt ein staatliches Lizenzsystem für Cannabisprodukte vor. Die Vorteile: Der Markt würde vollständig aus dem kriminellen Millieu herausgelöst werden und es würde ein legaler Erwerbsbereich mit neuen Arbeitsplätzen entstehen. Zudem würden, so Lap, Polizei und Justiz entlastet, es könnten Qualitätskontrollen eingeführt und eine zielgerichtete Prävention entwickelt werden.

 

Jörg Auf dem Hövel