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Die Hanfapotheke – Interview mit Franjo Grotenhermen

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Interview mit Dr. Franjo Grotenhermen vom Solidaritätskreis Hanfapotheke

HanfBlatt
Im Internet gibt es eine neue Webseite, die neugierig macht: www.hanfapotheke.org. Was darf man sich unter der Hanfapotheke vorstellen?

Franjo Grotenhermen
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlich von Cannabisprodukten und benötigen Unterstützung bei der Beschaffung ihres Medikamentes. Das Verhalten des Gesetzgebers und vielfach auch der Gerichte empfinde ich in diesem Bereich als unerträglich heuchlerisch und zynisch. Da wird beispielsweise damit argumentiert, dass Cannabisprodukte Nebenwirkungen verursachen können. Es ist aber trivial, dass wirksame Medikamente Nebenwirkungen verursachen können. Viele Medikamente, die tagtäglich von Ärzten verschrieben werden, können sogar tödliche Nebenwirkungen verursachen. Oder es wird darauf hingewiesen, dass Cannabis keine arzneimittelrechtliche Zulassung in Deutschland besitzt. Das bedeutet doch aber nicht, dass man Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen verwenden, deshalb strafrechtlich verfolgen und ihnen damit über ihr schweres gesundheitliches Schicksal hinaus weiteren Schaden zufügen müsste. Es ist heuchlerisch, beim Oktoberfest aus reiner Lust am Besäufnis die Volksdroge Nummer eins zu genießen, gleichzeitig aber einem Schmerzpatienten ein wirksames Mittel vorzuenthalten, weil es von anderen ebenfalls als Droge genossen wird. Die Menschen werden in ihrer Not mit fadenscheinigen Argumenten von der Politik und der Justiz allein gelassen. Die Hanfapotheke will ihnen dagegen, so gut es ihr möglich ist, beistehen. Ich möchte die Leser des Hanfblatts herzlich einladen, dabei nach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.
Die Hanfapotheke hilft Schwerkranken, die sich in einer Notlage befinden, konkret und ganz praktisch, indem sie ihnen hilft, ihr Medikament zu erhalten. Die Hanfapotheke lebt davon, dass es Menschen gibt, die bereit sind, kostenlos Cannabis an diese Patienten abzugeben. Die Spender bleiben dabei vollständig anonym, so dass sie an dem Projekt mitwirken können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Ich weiß, wovon ich spreche, wenn ich von Schwerkranken in Not spreche, denn ich habe seit Jahren regelmäßig damit zu tun. Alle Patienten, die Cannabis von der Hanfapotheke, also von den Spendern, erhalten, leiden an schweren Erkrankungen, profitieren gesundheitlichach ihren Möglichkeiten mitzuwirken.

Man ist also als Kranker, dem psychoaktive Hanfprodukte helfen können, nicht mehr darauf angewiesen, sich das teure (teil)synthetische THC vom Arzt verschreiben zu lassen oder sich gar im Rahmen einer Selbstmedikation beim Dealer zu versorgen, sondern kann einfach über www.hanfapotheke.org ordern?! Was muss man tun, um in den Genuss dieser Dienstleistung zu gelangen?

Patienten können nur dann Cannabisprodukte von der Hanfapotheke erhalten, wenn sie zuvor andere legale Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Sie müssen also zunächst versucht haben, sich THC (Dronabinol) vom Arzt verschreiben zu lassen, und ihre Krankenkasse um die Erstattung der Behandlungskosten bitten. Die Hanfapotheke ist kein Ersatz für einen möglichen legalen Zugang zu Medikamenten auf Cannabisbasis, sondern eine Notlösung, wenn andere Wege versagt haben, beispielsweise, weil die zuständige Krankenkasse die Kostenübernahme verweigert. Es muss eine echte Notstandssituation vorliegen. Diese Notstandssituation ist durch die Schwere der Erkrankung, durch eine nicht ausreichende Behandlung mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten, sowie durch die gleichzeitige Wirksamkeit einer Behandlung mit Cannabisprodukten und den fehlenden Zugang zu Cannabisprodukten gekennzeichnet. Das sind die Bedingungen, die das Oberlandesgericht Karlsruhe in einem Urteil aus dem Jahre 2004 im Falle eines Multiple-Sklerose-Patienten für das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstands formuliert hat. Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ein Patient darauf hoffen, über die Hanfapotheke Cannabis zu erhalten. Die Macher der Hanfapotheke haben die Hürden aus mehreren Gründen vergleichsweise hoch gesetzt. Erstens sollen vor allem die Patienten von der Hanfapotheke profitieren, die dies am dringendsten benötigen. Zweitens sollen sich die Aktivitäten der Hanfapotheke im juristischen Bereich des rechtfertigenden Notstands der beteiligten Patienten bewegen, so dass alle Beteiligten weitgehend geschützt sind. Und drittens sollen die Spender sicher sein können, dass ihr Cannabis an Personen gelangt, die ihn auch wirklich dringend medizinisch benötigen.
Die Versorgung beim Dealer ist im Allgemeinen sicherlich unzumutbar, zumal viele Schwerkranke nur über wenig Geld verfügen, und sie sich daher eine angemessene Versorgung häufig finanziell nicht leisten können. Oft besteht aber auch einfach kein Kontakt zu Personen, die illegale Cannabisprodukte verkaufen. Um als Patient Cannabis von der Hanfapotheke zu bekommen, reicht eine E-Mail an info@hanfapotheke.org. Dann wird ein Kontakt zu einem Vertrauensarzt der Hanfapotheke hergestellt, der überprüft, ob die Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind.

Nach welchen Kriterien stellt der Vertrauensarzt fest, dass die Einnahme psychoaktiver Hanfpräparate eine Verbesserung des Gesundheitszustandes bzw. eine Linderung bestehenden Leids sein kann?

Es gibt dabei kein Schema. Es gelten aber einige Prinzipien. So wird er einen ärztlichen Bericht vom Patienten anfordern, aus dem die Erkrankung und die Symptome hervorgehen. Das kann beispielsweise ein Krankenhausbericht sein. Dann wird in einem persönlichen Gespräch geklärt, ob schon einmal Cannabisprodukte versucht worden sind, wie die bisherigen Therapien verlaufen sind, etc.

Bei welchen Indikationen sind durch psychoaktive Cannabispräparate Besserungen der gesundheitlichen Befindlichkeit zu erwarten?

Das Spektrum der Indikationen ist groß. Im Vordergrund stehen heute vor allem chronische Schmerzerkrankungen sowie Symptome verschiedener neurologischer Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Verletzungen des Rückenmarks (Querschnittslähmung) und Tourette-Syndrom. Weitere wichtige Indikationen sind Übelkeit und Erbrechen sowie Appetitlosigkeit mit Gewichtsverlust bei Erkrankungen wie Krebs, Aids und Hepatitis C.

Wie und in welcher Form erhält der Kranke nun sein medizinisch indiziertes Cannabis?

Er erhält sein Cannabis mit der Post, wobei der wahre Absender unbekannt bleibt.

Wonach ergibt sich die Menge, die der Kranke zur Verfügung gestellt bekommt?

Die Menge ist individuell variabel und ergibt sich aus dem Bedarf des Patienten. Wenn er angibt, etwa 1 Gramm pro Tag zu benötigen, so wird die Hanfapotheke dies auch als seinen Bedarf akzeptieren und versuchen, ihm zu helfen, diesen Bedarf zu decken. In der Realität wird es aber sicherlich oft so sein, dass sein Bedarf nicht vollständig durch die Hanfapotheke gedeckt werden kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Bedarf größer sein wird als das Angebot. Wie im Konzept der Hanfapotheke zu lesen ist, kann sie keine optimale Versorgung sicher stellen. Dies gilt sowohl für die Quantität als auch für die Qualität. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, die rechtlichen Rahmenbedingungen so zu verändern, dass Patienten ausreichend mit Cannabisprodukten hochwertiger Qualtität versorgt werden bzw. sich versorgen können.

Wie können Spender Kontakt mit der Hanfapotheke aufnehmen,und wodurch kann ihre Anonymität gewährleistet werden?

Wir haben auf der Webseite der Hanfapotheke einen einfachen Weg vorgeschlagen. Es ist heute möglich, sich bei verschiedenen Providern wie gmx und yahoo eine anonyme E-Mail-Adresse einzurichten, so dass es nicht möglich ist, den wirklichen Absender zu ermitteln. Mit dieser E-Mail-Adresse meldet er sich dann über info(at-antispam-klammerfaffe)hanfapotheke.org und bietet seine Hilfe an. Es ist zu keiner Zeit erforderlich, dass ein Spender der Hanfapotheke oder einem Patienten mit seinem wirklichen Namen bekannt wird.

Wird die Zuverlässigkeit des Spenders und die Qualität des gespendeten Materials kontrolliert?

Sobald ein Patient von einem Spender Cannabis erhalten hat, gibt er der Hanfapotheke eine Rückmeldung, in der er auch von der Qualität berichten kann. Wir haben die Hoffnung, dass der Großteil der Spender den Patienten ernsthaft helfen möchte und sich dies auch in der Qualität des gespendeten Cannabis niederschlägt. Ich möchte aber auch gleichzeitig betonen, dass viele Patienten auch sehr dankbar sind, wenn sie eine mittelmäßige Qualität erhalten. Cannabis mittlerer Qualität ist besser als kein Cannabis.

Der Spender kann also bei anonymisierter E-Mail-Adresse aus dem Verborgenen agieren. Er erfährt aber die Adresse des Kranken, der sich ja ohnehin der Hanfapotheke gegenüber schon geoutet hat. An die kann der anonyme Spender dann sein Produkt schicken, oder wie muss man sich das praktisch vorstellen?

Ja, so funktioniert die Hanfapotheke. Der Spender geht keinerlei Risiko ein, entdeckt zu werden. Der Patient geht dagegen ein gewisses, jedoch überschaubar geringes Risiko ein, da es möglich ist, dass sich ein verdeckter Ermittler bei der Hanfapotheke als Spender ausgibt und dann die Adresse eines Patienten erhält, der sich mit Cannabis behandeln möchte. Da aber ein Spender im Allgemeinen nur die Adresse eines einzigen Patienten erhält, ist das gesamte Projekt damit nicht relevant beeinträchtigt und das Risiko für den einzelnen Patienten gering. Die Ausbeute für den verdeckten Ermittler wäre ebenfalls sehr gering, so dass es sich für die Justiz vermutlich nicht lohnt, auf diese Weise aktiv zu werden. Zudem kann man sich fragen, ob die Justiz tatsächlich ein Interesse daran haben kann, einzelne der beteiligten Patienten, die wirklich in Not sind, strafrechtlich zu verfolgen. Wenn auch möglicherweise formal Rechtsbrüche begangen werden, so wird doch tatsächlich niemandem ein Schaden zugefügt. Ganz im Gegenteil. Die Hanfapotheke schafft einen dringend notwendigen Ausgleich für eine Schieflage der gegenwärtigen rechtlichen Rahmenbedingungen für die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten. Und dieser Ausgleich nimmt sich gemessen an den tatsächlichen Erfordernissen eher gering aus. Die Hanfapotheke kann nicht viel mehr leisten als einige Tropfen auf den heißen Stein. Für den einzelnen Patienten kann dies jedoch von großer Bedeutung sein.

Wer steht hinter dem Projekt Hanfapotheke?

Aus verständlichen Gründen wissen dies nur wenige.

Fürchtet Ihr die strafrechtliche Verfolgung, und wie werdet Ihr in einem solchen Falle damit umgehen?

Die Mitglieder des Solidaritätskreises gehen vermutlich kein großes Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung ein. Ich rechne auch nicht damit. Sollte das dennoch geschehen, so sehe ich dem gelassen entgegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir etwas Gutes und Richtiges tun, dass nicht bestraft werden sollte. Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass sich im Mai 2002 elf Patienten, die Cannabis zu medizinischen Zwecken verwenden, in der Wochenzeitschrift Stern mit Foto, Name und Wohnort mit einer kurzen Geschichte geoutet haben. Sie forderten das Ende der Kriminalisierung von Kranken, die Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen. Keiner dieser Patienten hat in der Folge dieser Aktion strafrechtliche Probleme bekommen bzw. eine Strafanzeige erhalten.

Angenommen, jemand beabsichtigt medizinisch indiziert Cannabis einzunehmen, hat aber in seinem Leben noch keine oder nur geringe Erfahrungen mit Hanf als Genußmittel gemacht, woher bekommt er dann das stoffkundliche Knowhow?

Vielleicht durch die Lektüre des Hanfblatts. Er oder sie kann sich auch an die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin wenden. Die Hanfapotheke selbst bietet keine Informationen zur praktischen Anwendung von Cannabisprodukten und leistet auch keine medizinische Beratung, sondern konzentriert sich auf die Versorgung.

Das klingt gut durchdacht und erscheint altruistisch und unterstützenswert. Wir wünschen der Hanfapotheke, dass sie vielen Menschen helfen möge.

 

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Interview mit Martin Krause Cannabis im Straßenverkehr

HanfBlatt, Mai 2005

Grenzwertig: Fahren und Gefahren mit THC

Interview mit dem Rechtsanwalt Martin Krause

Da wurde in Teilen der Kiffer-Gemeinde schon aufgejubelt, als das Bundesverfassungsgericht im Januar diesen Jahres entschied, dass ein Wert von unter 1,0 ng/ml THC im Blut nicht auf eine Fahruntüchtigkeit schließen lässt. Im Gespräch mit Martin Krause, Anwalt für Drogenverkehrsrecht, wird deutlich, warum die Entscheidung der höchsten Richter der Republik keinen Anlass zum Jubeln gibt, worauf Cannabis-Konsumenten achten müssen, wenn sie ihrem Hobby und zugleich einer mobilen, kraftfahrzeuggestützten Lebensweise frönen wollen und warum es wahrscheinlich weiterhin keinen THC-Grenzwert wie beim Alkohol geben wird.

martin krause
martin krause

Frage: In einer wichtigen Entscheidung hat das Verfassungsgericht jüngst einem Mann Recht gegeben, der gegen einen Führerscheinentzug geklagt hatte: Die Behörden hatte Restspuren von Cannabis-Abbauprodukten in seinem Blut gefunden. Wird es jetzt bald einen Cannabis-Grenzwert wie beim Alkohol geben?

Antwort: Sie meinen das Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit, bei dem es lediglich um ein Fahrverbot von einem Monat, nicht aber um den Entzug der Fahrerlaubnis ging. Ob der Mann letzt endlich wirklich Recht bekommt steht übrigens noch nicht sicher fest, denn das Verfahren wurde nur an das Amtsgericht Kandel zurückverwiesen. Grenzwerte wie bei Alkohol hat es nie gegeben und wird es wohl auch in absehbarer Zukunft nicht geben, wie der Bundesgerichtshof mehrfach klargestellt hat. Solche Grenzwerte sind generell schwierig, da die Reaktionen der Konsumenten unterschiedlich und oftmals in keinem Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung stehen. Das Gericht hat beispielsweise kein Wort darüber verloren, wann jemand fahruntüchtig, ähnlich 1,1 Promille, ist. Das Gericht hat auch nicht gesagt, welche THC-Konzentration 0,5 Promille entspricht. Das Gericht ist lediglich der Meinung, dass eine THC-Plasmakonzentration im Blut von unter 1,0 ng/ml in der Regel keinen Einfluss auf das Fahrverhalten hätte und bei einem solch’ geringen Wert daher deshalb möglicherweise keine Ordnungswidrigkeit vorliege.

Frage: Ist denn die Wirkung von Cannabis tatsächlich so unvorhersehbar? Wo sehen die Gerichte den Unterschied zum Alkohol?

Antwort: Cannabis wirkt nicht bei jedem gleich. Die Auswirkungen sind von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Manche vertragen 5 ng/ml, ohne dass sie besondere Auffälligkeiten haben, andere vertragen nicht mal 1,1 oder 1,2 Nanogramm sondern fallen beim Romberg-Test durch. Was die Meinung einiger Richter im Vergleich Cannabis und Alkohol angeht sind mir zwei interessante Entscheidungen in Erinnerung. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat einmal entschieden, dass Alkohol ein Genussmittel, aber kein Rauschmittel sei und nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts gibt es sachliche Gründe für diese Unterschiede. Sie liegen in der unterschiedlichen Wirkungsweise und im unterschiedlichen Wissen über die Auswirkungen von Drogen. Alkohol führe nicht ohne weiteres zu Rauschzuständen und seine Wirkung sei weithin bekannt.

Frage: Die Gerichte scheinen die Literatur, die den Grenzwert einer THC-Plasmakonzentration bei 10ng/ml festgelegt sehen wollen, nicht heranzuziehen. Warum werden Autoren wie Grotenhermen/Karus (Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt, Heidelberg 2002), die sich wiederum auf Heishman (et al., 1997) und Liguori (et al., 1998) beziehen und ein dreiteiliges Grenzwertmodell entworfen haben nicht zur Beurteilung herangezogen?

Antwort: 10 Nanogramm ist viel zu viel. Wir haben die Promillegrenze gerade von 0,8 auf 0,5 beziehungsweise 1,3 auf 1,1 gesenkt, da wird niemand den hohen Wert von Zehn ins Gespräch bringen. Ich schließe aber auf Grund derzeitiger Entwicklungen und Forschungen in Holland und Belgien nicht aus, dass man sich hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit bei 5 ng/ml einigen könnte oder die Berechnung des sogenannten CIF-Wertes relevant werden könnte; das dauert aber sicher noch einige Jahre. Es gibt eben auch zahlreiche Gutachter, die sind der Meinung, dass schon 2 ng/ml zu viel sind und dieser Wert Einfluss auf das Fahrverhalten haben kann und beide Gutachter haben auf Ihre Art durchaus Recht. Das Problem ist und bleibt, dass der Konsum von THC im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar ist und von vielen verschiedenen Einzelfaktoren abhängt, nämlich Körpergewicht, Konsumart, Wirkstoffkonzentration, Set und Setting und so weiter und der eine bei 1,1 ng/ml erhebliche Ausfallerscheinungen haben kann und den Rombergtest nicht besteht und andere, die, sicher auch wegen der Gewöhnung und Toleranz, fünf oder auch zehn Nanogramm vertragen und manche sogar noch mehr.

Frage: Wenn schon die Jurisdiktion keinen Grenzwert findet, dann ist ja wohl die Chance auf einen solchen auf politischer Ebene gering. Wird also weiterhin das Verhalten des Verkehrsteilnehmers im Einzelfall entscheiden?

Antwort: Ja, jedenfalls in absehbarer Zeit, trotz der erwähnten Versuche im Ausland und des eventuell wichtiger werdenden CIF-Werts. Ich halte die derzeitige Praxis auch für richtig und gerecht. Es wäre nämlich unfair, dass derjenige, der weniger verträgt anders oder härter bestraft wird, als derjenige, der völlig bekifft am Straßenverkehr teilnimmt, denn es gilt wissenschaftlich als gesichert, dass ein Konsument, der an Cannabis gewohnt ist, auch mehr verträgt und weniger Auffälligkeiten hat. Das ist wie bei Alkohol. Wer nie oder selten Alkohol trinkt verträgt auf Grund der Tolleranzwirkung weniger als derjenige, der als „Gewohnheitssäufer“ eingestuft werden muss. Anders kann man sich auch nicht erklären, dass es Leute gibt, die mit 4 Promille überhaupt noch stehen können und andere, die bei 2 Promille klinisch tot sind.

Frage: Wie sieht das Vorgehen der Polizei konkret aus?

Antwort: Über die Schulungsprogramme der Polizeibeamten zur Drogenerkennung im Straßenverkehr und deren objektive und subjektive Wahrnehmungen könnte man stundenlang diskutieren. Sowohl die berühmten Pupillenerscheinungen als auch der polizeiliche Drogenschnelltest spielen dabei unter anderem eine Rolle. Beides ist aber nicht beweissichernd verwertbar. Große Bedeutung spielt deshalb unter anderem der erwähnte Romberg-Test.

Frage: Der besteht woraus?

Antwort: Beim sogenannten „Finger-Finger-Test“ steht der Betroffene gerade und die Beine sind parallel und direkt nebeneinander zusammenzustellen. Die Augen werden geschlossen und die Arme seitlich ausgestreckt („Schutzmann-Halt“). Sodann werden die Zeigefingerspitzen bei gestreckten Armen („Dicker-Bauch-zeigen“) langsam vor dem Körper in Nasenhöhe zusammengeführt, um mit den beiden Fingern zusammenzutreffen. Beim Rombergtest, der beschleunigtes oder verlangsamtes Zeitgefühl misst und zudem den Gleichgewichtssinn überprüft, ordnet der Polizeibeamte an, dass der Betroffene die Füße zusammenstellt und die Arme seitlich am Körper hängend anlegt („Normales stehen“). Der Kopf wird in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Der Betroffene zählt nach einem Startzeichen des Beamten der „inneren Uhr“ folgend 30 Sekunden ab. Ist diese Zeitspanne nach seiner Ansicht verstrichen, teilt er dieses dem Beamten mit. Beim Finger-Nase-Test steht der Betroffene mit geschlossenen Augen gerade. Die Arme sind seitlich am Körper hängend angelegt („Normal stehen“). Der Kopf wird in den Nacken gelegt und der Betroffene ballt beide Hände zu einer Faust, wobei er die Zeigefinder ausstreckt. Er führt die Zeigefinger mehrfach abwechselnd langsam zur Nasenspitze, um diese zu treffen. Die Augen bleiben bis zur Beendigung des Tests geschlossen.

Frage: Und wie sollte sich der Verkehrsteilnehmer verhalten? Muss er diese Tests überhaupt über sich ergehen lassen?

Antwort: Das kommt darauf an, wen Sie mit Verkehrsteilnehmer meinen und wem ich unter welchen Voraussetzungen etwas raten soll. Aus Sicht der Anwaltschaft ist es zumindest nie falsch, erstmal nichts zu sagen. Gar nichts, außer Name und so weiter und erst recht keine Angaben zum Drogenkonsum zu machen. Wenn der Polizist mich fragt, ob ich Drogen genommen habe, kann die einzig richtige Antwort eigentlich nur „Nein“ lauten und nicht etwa „ja, aber das ist schon länger her“. Man kann sich später immer noch äußern. Wenn der Betroffene allerdings wirklich nichts genommen hat und nur wegen Übermüdung rote Augen hat und er sich auch sonst keiner Schuld bewusst ist sondern er z.B. nur so komisch spricht, weil er gerade vom Zahnarzt kommt, kann man viele Probleme auf einmal erledigen, in dem man einfach den Aufforderungen der Polizei folgt. Sollte der Betroffene allerdings innerhalb der letzten 24 Stunden tatsächlich Haschisch oder Marihuana geraucht haben, wird ihm wohl jeder gute Rechtsanwalt raten müssen, den Romberg-Test auf keinen Fall zu machen. Fällt er nämlich durch diesen Test durch, kann aus der zunächst vorliegenden Ordnungswidrigkeit schnell eine Straftat werden. Die Polizei bzw. das Gericht müssen eine Fahrunfähigkeit beweisen. Es ist, mit einigen Ausnahmen, zwischenzeitlich höchstrichterlich mehrfach entschieden worden, dass eine Fahruntüchtigkeit nicht alleine auf Grund einer Blutuntersuchung oder der Pupillenerscheinung bewiesen ist. Wenn der Betroffene allerdings so dumm war und den Romberg-Test machte und durch diesen dann auch noch durchfällt, muss man sich ernsthaft fragen, wie doof der Betroffene eigentlich ist, denn mit Gewalt wird der Polizeibeamte einen Romberg-Test nämlich nicht durchführen können. Viele Betroffene fühlen sich objektiv sicher und sind auf Grund von vielen Fehlinformationen im Internet der Meinung, dass spätestens einige Stunden nach dem Rauchen eines Joints nichts mehr passieren könne. Das ist ein erheblicher Irrglaube, wie die gerichtliche Praxis zeigt und…

Frage: … einen Moment, gibt es weitere Ratschläge im Umgang mit den Behörden?

Antwort: Ich finde es nicht so gut, den Konsumenten hier Ratschläge zu geben, wie sie die Polizei und Justiz austricksen können, denn deren Arbeit ist sinnvoll und nötig. Besser fände ich, wenn sich der Cannabiskonsument darüber im Klaren ist, dass er bis zu 24 Stunden nach dem Konsum eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer darstellen kann und Drogenwirkstoffe im Blut nachweisbar sind und er sein Auto deshalb einfach stehen lässt. Aber um Ihre Frage juristisch korrekt zu beantworten; nein, der Betroffene kann nicht zum Romberg-Test gezwungen werden. Das sieht Paragraph 81a Abs. 1 der Strafprozessordnung nicht vor. Wie sollte das auch praktisch gehen?

Frage: Nun, der psychische Druck an dem Test teilzunehmen ist je nach Persönlichkeit des Beamten größer oder kleiner, Zwang wäre da nur das letzte Mittel. Aber kommen wir zur Praxis vor Gericht. Die häufigste Frage, die an sie gestellt wird, dürfte ja sein: „Man hat Cannabiskonsum durch einen Blutuntersuchung nachgewiesen. Wie lang ist mein Lappen nun weg?“ Wie wird der Hanfgenuss in diesen Fällen vom Gericht bestraft?

Antwort: Kann eine Fahruntüchtigkeit bewiesen werden, liegt eine Straftat vor. Unter Umständen kommt sogar noch Straßenverkehrsgefährdung dazu. Nach Paragraph 69a Strafgesetzbuch kann das bedeuten, dass die Fahrerlaubnis zwischen 6 Monaten und einem Jahr entzogen wird, manchmal auch länger, je nach dem, wie sich der Betroffene hinterher verhält. Liegt nur eine Ordnungswidrigkeit vor und kann eine Fahruntüchtigkeit, also eine Straftat, nicht bewiesen werden, wird neben einer Geldbuße und Punkten in Flensburg in der Regel ein Fahrverbot von ein bis drei Monaten angeordnet, je nach dem, ob man Wiederholungstäter ist oder nicht. Viele Betroffene glauben dann in einem solchen Fall aber, dass die Sache erledigt ist und sie noch mal glimpflich davongekommen sind und kiffen weiter. Doch da haben sie sich gewaltig getäuscht, denn nun wird die Fahrerlaubnisbehörde, also das Landratsamt, auf den Fahrer zukommen und versuchen, den Führerschein zu entziehen. Weil Sie übrigens fragen, wie Hanfgenuss bestraft wird: Man darf auch nicht vergessen, dass Cannabis illegal ist. Da kann also auch noch ein weiteres Strafverfahren wegen Haschischbesitz kommen und wenn der Betroffene Cannabis während der Fahrt im Auto dabei hat sind die Probleme erst recht perfekt.

Frage: Will dann jemand seine Fahrerlaubnis wiedererlangen muss er meist zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), auch „Idiotentest“ genannt. Nach welchen Vergehensarten muss man zur MPU und unter welchen Umständen erhält man den Führerschein tatsächlich zurück?

Antwort: Diese Frage kann ich Ihnen unmöglich in Kurzform beantworten, weil das von ganz vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Ich könnte drei Stunden drüber referieren. Die Fahrerlaubnisverordnung ist viel zu umfangreich. Über dieses Thema schreibe ich gerade ein Buch und bin schon bei Seite 300. Wichtig scheint mir zu sein, schon vorher dafür zu Sorgen, dass der Betroffene nicht zur MPU muss. Es gibt durchaus zahlreiche Möglichkeiten und nicht jeder muss den Idiotentest? machen. Bei manchen scheint er mir allerdings sogar sinnvoll. Wer völlig bekifft am Straßenverkehr teilnimmt oder sich jeden Tag volldröhnt solle meines Erachtens sein Verhalten überdenken.

Frage: Sicher. Auf der anderen Seite steht das Problem, dass bei der heutigen Rechtslage eben auch die moderaten Raucher, die sich ein bis zwei Mal die Woche einen schwachen Feierabend-Joint genehmigen, mit Führerscheinentzug zu rechnen haben.

Antwort: Das sehe ich anders. Der bloße gelegentliche Cannabiskonsum, ohne das Vorliegen eines in Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zu Paragrafen 11 bis 14 Fahrerlaubnisverordnung genannten Zusatzelementes oder einer nach Paragraf 14 Absatz 1 Satz 4 Fahrerlaubnisverordnung vorliegenden sogenannten weiteren Tatsache rechtfertigt keine hinreichend konkreten Verdachtsmomente für einen Fahreignungsmangel, mit der Folge, dass die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtswidrig wäre. Wer also zu Hause tatsächlich nur zwei mal pro Woche einen Joint raucht muss nicht zur MPU. Wichtig ist aber, dass der Betroffene nicht mit Haschisch angetroffen wird, weil die Verwaltungsgerichte ansonsten mathematische Konsumeinheiten berechnen und behaupten, dass man mit so und so viel Gramm viel mehr rauchen könnte und die Behauptung, dass man ja nur gelegentlich Haschisch rauche, damit widerlegt werden könnte.

Frage: Es wird beklagt, dass seit den Lockerungen bei Urteilen im Cannabis-Strafrecht manche Straßenverkehrsbehörden und manche Verwaltungsgerichte ihr Vorgehen gegenüber Cannabis-Konsumenten verschärft haben. Können sie das aus ihrer Praxis bestätigen?

Antwort: Mir ist von angeblichen Lockerungen der Strafgerichte nichts bekannt. Der Bundesgerichtshof hat schon im Jahr 1995 entschieden, was eine sogenannte geringe Menge ist und das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1994 klargestellt, dass Ermittlungsverfahren wegen des sogenannten Eigenkonsums eingestellt werden können. Daran hat sich nichts verändert. Im Gegenteil. Erst im Sommer letzten Jahres hat das Verfassungsgericht nochmals ausgeführt, dass Ermittlungsverfahren eingestellt werden können, so dass sich auch keiner wegen der Ungleichbehandlung zu Alkohol beschweren muss. Und auch die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hat sich nicht verändert. Seit dem 5. Juli 2001 und dem 20. Juni 2002 wissen die Richter sehr genau, wie sie mit Cannabiskonsumenten umzugehen haben. Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht haben klare Rechtsgrundsätze getroffen. Wenn man die Rechtsprechung richtig verfolgt und die Gesetze korrekt anwendet, bestehen hinsichtlich der Frage, wann jemand zur MPU muss, eigentlich keine großen Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten. Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass jemand mit mehr als 1,0 ng/ml THC am Straßenverkehr teilnimmt, wobei das auch den Führerschein kosten kann. Nur in Bayern ist die Rechtslage und Praxis etwas anders.

Frage: Nämlich wie?

Antwort: Normalerweise kann die Behörde den Führerschein sofort einziehen. Nach Paragraf 14 Absatz 4 und Paragraf 11 Absatz 7 Fahrerlaubnisverordnung muss die Behörde keine MPU anordnen, wenn jemand unter dem Einfluss von Cannabis ein Kraftfahrzeug führt. In dem sonst für so streng geltenden Bundesland Bayern kommt der unmittelbare Entzug nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshof aber erst ab 2 ng/ml infrage. Blutwerte darunter führen zur MPU.

Frage: Zum Abschluss interessiert uns natürlich ihre persönliche Meinung zu Cannabis.

Antwort: Wie wahrscheinlich zum Ausdruck gekommen ist, ergreife ich in der Öffentlichkeit keinerlei Partei für oder wider Cannabis. Das ist auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe sehe ich in der reinen Information durch klare Fakten, ob sie mir – oder anderen nun passen oder nicht. Wie ich ganz persönlich zu der Sache stehe ist deshalb auch irrelevant. Ich bin Jurist und kein Sozialarbeiter.

 


 

Zur Person: Martin Krause, 35, ist seit über drei Jahren als Anwalt für Drogenverkehrsrecht in München tätig. Er verteidigt Klienten, die wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz angeklagt sind. Einen Großteil davon steht wegen des Verdachts von Cannabis-Konsum im Straßenverkehr im vor Gericht. Krause ist als Autor für das „Handbuch Straßenverkehrsrecht“ und die Zeitschrift SVR (Straßenverkehrsrecht) und der JWO-VerkehrsR (Juristische Wochenzeitung Verkehrsrecht) tätig. Ende 2005 erscheint im ein Buch von Martin Krause, das dieser zur Zeit zusammen mit dem Pharmazeuten Patrick Lehmann und dem Biologen Andreas Stangl schreibt. Der knackige Titel: Drogenverkehrsrecht.

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Wichtige Regeln für das hanfgerechte Surfen und Posten im Internet

HanfBlatt Nr. 107

Hochspannung! Vorsicht im Netz

Wichtige Regeln für das hanfgerechte Surfen und Posten im Internet

Das Internet hat sich zum Tummelplatz für allerhand Angebote rund um Cannabis gemausert. Growtipps, Samenkauf, Rechtsberatung, Info-Newsletter: es existieren Angebote zu Hauf, um sich um sein Hobby oder Geschäft zu kümmern. Als Liebhaber der Hanfpflanze gilt es allerdings aufmerksam zu bleiben, obwohl der im Netz übliche flotte Umgang mit dem Thema Normalität vorgaukelt. Diese steht allerdings auf rechtlich schwammigen Boden. Im Surfalltag heißt es für den Kiffer: Holzauge, sei wachsam, aber werde nicht paranoid.

Es ist schon kurios: In den deutsch- und englischsprachigen Grower-Foren diskutieren weltweit zehntausende von Menschen die Zucht und Hege einer Pflanze, deren Kultivierung meistens illegal ist. Das ist der Vorteil der Informationsfreiheit, über Illegales Reden darf man, nur es tun halt nicht. Gerade von den Grower-Foren kann angenommen werden, dass sie von gelangweilte Staatsbedienstete in unregelmäßigen Abständen nach Hinweisen auf Zuchtanlagen durchforstet werden.

Und da werden sie schnell fündig: Im Forum von grower.de sind über 15.000 Benutzer registriert, aktiv davon sind über 4.000. Bei hanfburg. de waren am 4. November 2005 über 1.300 User gleichzeitig online, zusammen mit den Unterforen sind seit der Eröffnung hunderttausende von Beiträgen über alle möglichen Cannabis-Themen aufgelaufen. Natürlich hinterlässt hier kein Grower seinen Realnamen und die Anschrift, aber es kursieren diverse Bilder und Beschreibungen von Growrooms.

Es stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Sicherheit.

Die Betreiber der Foren distanzieren sich in ihren Disclaimern von eventuellen rechtswidrigen Inhalten und Postings und sind daher mehr oder weniger aus dem Schneider. Sie müssen erst aktiv werden, wenn sie Kenntnis von illegalen Verhalten in ihrem Forum erlangen. Dann sind sie verpflichtet, die entsprechenden Mails zu löschen.

Für die User stellt sich die Rechtslage weitaus komplizierter da. Beschreibt und illustriert er seine Anlage zu deutlich, dann könnte mancher Leser nervös werden, bei einigen fetten Buds dürfte es den Fahndern logischerweise in den Fingern jucken mal rauszukriegen, wo denn sowas Schönes wächst. Noch unklüger dürfte es sein Stecklinge anzubieten. Darauf reagieren nicht nur Beamte, sondern auch Forenbetreiber.
Wer 60 qm aufblühen lässt und damit im Forum hausieren geht handelt grob fahrlässig. Denn sollte einem Beamten das Treiben zu bunt werden ist folgendes Szenario denkbar: Auf den Computern eines Forenbetreibers lagern zusammen mit den Beiträgen auch die IP-Adressen der Verfasser. Haben die Beamten nun richtig Druck auf der Pumpe müssen sie ein Gericht finden, das den Internet-Provider, aus dessen Fundus diese IP-Adresse stammt, dazu verdonnert, die Kontaktdaten des zur IP-Adresse gehörigen Menschen rauszurücken. Anders formuliert: Wer meint, sich über seinen AOL-Zugang an einer munteren Diskussion über die großflächigen Anbau von Orange Bud beteiligen zu müssen ist blauäugig, um nicht zu sagen: beschränkt.

Es gilt sich zu merken: Im Internet ist man nicht anonym, mehr noch, jede Aktion hinterlässt Datenspuren auf dem eigenen Rechner und auf den weltweiten Servern, die die Anfragen des eigenen Rechners beantworten. Jede E-Mail liegt auf irgendeinem Zwischenrechner im Klartext, zu dem zum einen Techniker, zum anderen auf gerichtliche Anordnung aber auch Staatsorgane Zugriff haben. Will man wirklich nervös werden, muss man nur an Abhörsysteme wie das sagenumwobene „Echelon“ der Geheimdienste denken, dass in dem Ruf steht, im Bedarfsfall und jederzeit auch ohne richterliche Erlaubnis die Internet-Kommunikation abzuhören. Der neueste Schrei auf dem Paranoikermarkt dürfte der BKA-Trojaner werden, der, hat er sich erst einmal auf dem heimischen Rechner eingenistet, jeden Aktion am Rechner nach Wiesbaden meldet.
Natürlich sind NSA, die anderen Schlapphüte und das BKA nicht an der 2-qm Box in Delmenhorst interessiert, erwähnt wird das aber hier, um die technischen Möglichkeiten der vernetzten Welt aufzuzeigen.

Bisher kam es zu keiner Hausdurchsuchung nur wegen eines Forumsbeitrags. Daher wird sich in den Foren oft damit beruhigt, dass „die Grünen“ keinen Aufwand treiben werden, wenn es sich nur um Growing für den Eigenbedarf handelt. Das ist eine zu laxe Einstellung, gerade in den momentanen Zeiten, die eher einer Verschärfung der Drogengesetze entgegeneilen. Die Forenbetreiber haben das erkannt und rufen ihre Mitglieder zu mehr Sicherheitsbewusstsein auf.

Das HanfBlatt wäre nicht das HanfBlatt würde e s nicht eine Lösung anbieten. Sie lautet: Ein abgestuftes Sicherheitskonzept entwickeln.

Stufe 1
Zunächst gilt es selbst bei Anfragen wie „Ich habe hier ein kleines Stück Haschisch, welche Sorte ist das wohl?“, vor allem aber bei Growing-Erlebnissen und Tipps anonym zu bleiben. Es gibt technische Möglichkeiten, die verräterische IP-Adresse zu verschleiern und damit sicher in Foren zu posten. Unter http://meineipadresse.de/ stehen diverse Links zu Programmen bereit, die ein anonymes Surfen ermöglichen. Eine Testsektion zeigt Vor- und Nachteile gewisser Verfahren. Die Grundregel sollte lauten: Je höher das persönliche Risiko, umso besser sollten die Sicherheitsmaßnahmen sein. Einfache Proxies reichen dann nicht mehr, selbst JAP, der anonyme Weiterleitungs-Server der TU Dresden, muss im Zweifelsfall seine Daten rausrücken. Klüger ist es da auf Verfahren wie TOR (tor.eff.org) zu setzen. Das verlangsamt zwar die Surfgeschwindigkeit etwas, aber das ist der Preis der Sicherheit. Wer eine Zucht sein Eigen nennt, der sollte sich mit solchen im Grund nur mit solchen Anonymisierungstools in den einschlägigen Ecken im Netz wagen. Sollten ein-zwei fürsprechende Leserbriefe eingehen, beschreiben wir in einem Artikel gerne näher und für den Computerlaien verständlich, wie diese Tools funktionieren.

Die Weitergabe der eigenen E-Mail-Adresse ist nur an vertrauenswürdige Personen und Institutionen vorzunehmen. Und wer ist schon vertrauenswürdig, außer Mutti? Inzwischen versuchen leider diverse Anbieter bei jeder Gelegenheit, die E-Mail-Adresse des Nutzers oder Kunden einzusammeln. Mit Pech bedeutet das: SPAM. Es ist ein Fehler in einem Forum seinen GMX- oder Freenet-Account zu benutzen, vor allem, wenn bei diesem bei der Registrierung die korrekte eigene Heimatadresse mit Postleitzahl und Telefonnummer angegeben wurde. Apropos: Einige Anbieter bestehen bei der Registrierung auf eine gültige E-Mail-Adresse, an die eine Bestätigungsmail geschickt wird. Für diesen Fall gibt es herrlich sinnvolle Dienste im Netz, die E-Mail-Adressen zum Wegwerfen anbieten, beispielsweise spamgourmet.com oder spambog.com. Von dort wird nur eine genau bestimmbare Anzahl von Mails an den Original-Account weitergeleitet, alle weiteren versanden im Datennirvana.

Stufe 2
Wer tatsächlich heikle Daten und Bilder auf seinem Rechner hortet, wie beispielsweise das Bild der nackten Oma neben der blühenden Sativa, der sollte die Festplatte gegen unbefugten Zugriff verschlüsseln. E-Mail-Kommunikation mit Gesinnungsgenossen sollte ebenfalls nur verschlüsselt über die Kanäle rauschen. Die meisten E-Mail Programme wie das schlechte, aber häufig benutzte Outlook, das bessere Eudora oder The Bat, bieten mittlerweile Plugins an, um das Alles relativ unkompliziert zu gestalten. Für beide Vorgänge, die Festplatten- wie die E-Mail-Verschlüsselung, stehen der Klassiker PGP oder das quelloffene GNU-PGP zu Verfügung.
Danach hilft es sich noch tiefer mit dem Rechner anzufreunden. Im Klartext: Nutze Firefox statt dem Internet Explorer, schalte den Empfang von Cookies ab. Aktiviere eine Firewall, notfalls reicht die interne von Windows. In einem nächsten Schritt migriere auf Linux oder OS X.

Stufe 3
Was aber tun, wenn Realkontakt nötig ist, beispielsweise bei einer Samenbestellung? In großen Abständen werden ausländische Samenhändler hochgenommen, bei denen im Zweifelsfall deine Adresse lagert. Im Zusammenhang mit einem Händler in Österreich kam es 2005 zu massiven Problemen, die deutsche Polizei lud einige Besteller vor, es kaum zu Durchsuchungen. Inoffizielle Quellen sprechen von mindestens 30 Vorladungen und 80 Hausdurchsuchungen in den deutschen Bundesländern. Das sollte als Warnung ausreichen.

Wie einige Forenbetreiber die IP-Adressen ihrer Nutzer zügig entsorgen, so gibt es mittlerweile auch Samenhändler, die mit Kundendaten vernünftig umgehen und diese ebenso vor Zugriff schützen. Hierüber gilt es sich zu informieren, bevor man säckeweise Samen oder Zubehör anliefern lässt.

Insgesamt ist Sicherheit im Internet eine persönliche Angelegenheit, sich dabei auf andere verlassen reicht nicht aus. Die Anforderung an das kluge Verhalten im Netz steigt mit dem Wert des zu pflegenden Rechtsguts. Gerade bei Mengen- und Quadratmeterangaben sollte Zurückhaltung herrschen. Wer ist noch nicht wusste: Beamte sind auch Menschen. Sie beobachten die weiterhin wachsende Cannabis-Szene und ihr variabler Schwellenwert ist sowohl von objektiven Rechtsgrundlagen wie von subjektiven Schmerzgrenzen abhängig.

 

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

HanfBlatt Nr. 99, 2005

Kiffer im Spannungsfeld von Eltern, Freunden und Therapeuten

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

Es gibt verschiedene Motive und Formen Cannabis zu inhalieren. Eckart Schmidt, Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat in den 90er Jahren den Hamburger Drogenentzug für Jugendliche mit aufgebaut, seine Erfahrungen mit moderaten und starken Kiffern hat er nun in einem Buch veröffentlicht.

Wie begann Ihr beruflicher Kontakt mit Cannabisliebhabern, die einen problematischen Konsum aufwiesen?

1999 habe ich in der Fachklinik Bokholt den Kinder- und Jugend Drogenentzug aufgebaut. Da kam ich dann auch zum ersten Mal mit exzessiven Kiffern zusammen. Zunächst war ich selber nicht von einem Cannabisentzug in einer solchen stationären Einrichtung überzeugt, so nach dem Motto „Lass sie doch lieber kiffen als Alkohol trinken“, aber da kamen eben doch Menschen, die täglich und so viel gekifft haben, dass sie allmählich überall rausgeglitten waren. Sie hatten ähnlich wenig Anschluss an „normale“ soziale Verhältnisse wie Heroin-Konsumenten.

In welcher Altersgruppe waren die?

Im Schnitt zwischen 14 und 16 Jahren alt. Manche der exzessiv kiffenden hatten bereits mit zehn oder gar neun Jahren angefangen regelmäßig zu rauchen. Die meisten waren zigarettenabhängig, insgesamt war es eine Gruppe, die allerlei Mittel schon früh als Suchtmittel eingesetzt hatte.

Oft kamen die Jugendlichen nicht freiwillig. Ist das ein Problem bei der anfänglichen Gesprächssituation?

Im Drogenentzug, und das gilt auch für Kiffer, haben meist die Eltern oder Lehrer massiv darauf eingewirkt, dass der Jugendliche zu uns kam. Die wenigsten geben selber zu, dass sie ein Problem haben, sie denken, sie haben alles im Griff. Sie wollen maximal die Spitzen rausnehmen, ansonsten aber weiter funktionieren. Dadurch entsteht durchaus ein ambivalentes Gefühl bei ihnen. Die Folge ist, dass sie den ersten Entzug meist nicht durchhalten. In den meisten Fällen braucht es zwei bis drei Anläufe, erst dann sehen sie ein, dass ihr hartes Konsummuster ihnen Probleme bereitet und entwickeln auch eine Eigenmotivation wirklich etwas zu ändern. Die Entwicklung hinein in den exzessiven Konsum und wieder heraus ist nie geradlinig. Selten ist nach einer Behandlung alles gut.

 

Bei den Kiffern also, die in jungen Jahren jeden Tag und viel rauchen, hilft also zunächst nur Abstinenz, eine Hinführung zu einer kontrollierten Genussform ist nicht möglich?

So vereinfacht kann man das nicht sagen. Jeder Mensch ist anders und es gibt durchaus Kiffer, die zurückschrauben können. Der Größte Teil von den exzessiven Kiffern hat aber Schwierigkeiten direkt in einen kontrollierten Konsum überzugehen.

Wie also bricht man den anfänglichen Widerstand im Gespräch?

Brechen kann man ihn überhaupt nicht, man muss überzeugen. Wichtig ist zunächst für sie zu wissen, das sie zwar bei uns sind, aber jederzeit auch wieder gehen können. Im weiteren geht es darum zu vermitteln, dass sie für ihr Leben selbst verantwortlich sind und ihr Handeln, egal welches, immer auch Konsequenzen zeigt. Wir können und wollen ihnen nicht sagen, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wir können mit ihnen zusammen nur herausarbeiten, welches Wege wahrscheinlich zu welchen Zielen führen. Manchmal waren die Kiffer überrascht, wenn sie von uns eben nicht gesagt kriegten, „Du musst das und das machen, dann wird alles gut.“

"Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen", sagt Eckart Schmidt.
„Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen“, sagt Eckart Schmidt.

Mal anders herum gefragt: Wie erzieht man als Kiffer denn seine Eltern zu einer guten Gesprächsführung?

Das hängt natürlich von den Ausgangslagen ab. Es gibt die Art von Eltern, die keine Diskussion zulassen, und ob man die dazu erziehen kann ist fraglich. Und es gibt die, die einfach ein wenig zu ängstlich sind. Denen kann man zeigen, dass man sein Leben durchaus auf die Reihe kriegt. Und es gibt die, die sich zu Recht sorgen machen. Für den Beginn ist es hilfreich sich eine unangespannte Situation zu schaffen, um das Thema „Haschisch“ mal ganz allgemein und nicht an der eigenen Person festgemacht anzusprechen. Vielleicht anhand eines Zeitungsberichts oder einer TV-Sendung.

Da kommt aber schnell die Frage: „Und du?“

Ja, darauf muss man dann gelassen reagieren. Zu vermeiden sind vor allem Schuldzuweisungen. Wenn beide Seiten nur von Schuld und persönlichem Versagen sprechen, dann werden Gespräche unfruchtbar. Wenn Eltern entdeckt haben, dass das eigene Kind kifft, dann haben sie meistens Ängste. Als Kind kann man dann nur versuchen aufzuzeigen, dass man sein Leben trotz Konsum auf die Reihe kriegt. Da heißt es dann natürlich ehrlich gegenüber sich selbst sein. Die Frage ist: Krieg ich mein Leben gebacken oder bescheiße ich mich selber? In meinem Buch geht es in einigen Bereichen um Extremfälle, aber eben auch um die Kiffer, die sich in einem Grenzbereich aufhalten und diejenigen, die keine Probleme mit ihrem Konsum haben. Es gibt keine einfache Zuschreibung: „Du kiffst also bist so oder so“.

Da steht man natürlich von dem Problem, dass in den Familien, in denen solche offenen Gespräche möglich sind, der problematische Konsum von Cannabis ohnehin weniger vorkommt.

Das kann man wahrscheinlich gesetzmäßig so sagen, ja. Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen, und das liegt halt meistens am Elternhaus. Ich will hier nicht immer den Eltern die Schuld geben, aber oft hakt es in diesem Bereich. Trotz allem bleibt Eltern nichts anderes übrig, als das Gespräch zu suchen. Denn verbieten kann ich es meinem Kind nicht, dann kifft es halt um die Ecke. Ich kann ihm nur sagen: „Du kiffst, und aus meiner Sicht hat das diese und jene Folgen.“

Was aber folgt nach dem Gespräch?

Abgestufte Reaktionen. Wenn ein Kind seinen Eltern beweist, dass es mit der Droge zurecht kommt ohne wichtige Dinge zu verpassen, dann müssen diese nicht unbedingt tätig werden. Wenn aber die Eltern merken, das ihr Kind täglich kifft und aus ihrer Sicht deshalb in den Schulleistungen abfällt, interesselos gegenüber seinen Hobbies wird, immer mehr in eine Kiffergruppe reingeht und keinen Kontakt mehr zu Nicht-Kiffern hat, zudem konfliktscheu ist und sich selbst belügt, dann müssen Eltern ihm dies offen sagen. In einem zweiten Schritt müssen dann auch Konsequenzen folgen. Die sollte man anfangs durchaus gemeinsam besprechen.

Ein Beispiel?

Wie dies genauer aussehen könnte, wird anhand einiger Beispiele im Buch besprochen.

Man setzt eine Grenze und droht mit einer Sanktion?

Ja, er oder sie muss merken, dass sie verantwortlich für ihr Handeln sind. Es ist ihre Entscheidung. Die Sanktion kann offen sein, also so gestaltet, das bei einem Verstoß gegen eine vorher gemeinsam verfasste Abmachung sich danach auch zusammen überlegt wird, was das jetzt für Konsequenzen hat. Und das kann auch durchaus zum Nachteil des Jugendlichen gereichen, denn warum sollte ich beispielsweise meinem Kind weiterhin viel Taschengeld geben, wenn es das Geld komplett verkifft?

Was dann aber zur Folge haben kann, das er es sich auf andere Weise besorgt.

Daran kann ich dann aber nichts mehr ändern. Wenn ich ihm mehr Geld gebe, und er kann es nicht verwalten, dann wird er auch mehr für das Haschisch ausgeben. Dazu kommt, das das Handeln der Eltern dem Kind in diesem Moment auch zeigt, das es ernst genommen wird. Wer seinem Kind alles durchgehen lässt, der wird nicht ernst genommen. Aber ein Patentrezept für einen mündigen Umgang von Eltern und Jugendlichen miteinander und in ihrer Stellung den Drogen gegenüber gibt es leider nicht.

Eltern, Schulen, Gesellschaft und Politik wollen aber genau diese klaren Richtlinien haben.

Wenn so, dann so, als ob der Mensch eine Maschine ist. Menschen sind alle unterschiedlich und wenn man sich darauf einigen würde, das zu akzeptieren und den schwierigen Weg der individuellen Herangehensweise an individuelle Problemlagen zu gehen, dann wäre man schon einen beträchtlichen Schritt weiter.

Sie möchten die Diskussion von der Schädlichkeit von Cannabis von der Diskussion um die Legalisierung komplett abtrennen. Wie soll das funktionieren, denn wie soll man über eine andere Rechtsstellung von Cannabis diskutieren, wenn man nicht auf die wissenschaftliche Fakten zurück greift?

Wenn man aufklären will, wann Cannabis für den Menschen problematisch werden kann, ist es klüger, dies von der Diskussion um die Legalisierung abzutrennen. Die sogenannten „Fakten“ rund um Cannabis werden doch ohnehin immer so zusammengewürfelt wie es das jeweilige Konzept passt. Man kann den Menschen so oder so nicht von der Selbstverantwortung befreien. Es gibt ja Leute, die schlagen vor, man solle die Alleebäume fällen, weil sie besonders unfallträchtig seien. Es scheint für den Menschen immer nur die Variante „Ja“ oder „Nein“, „Gut“ oder „Schlecht“ zu geben. Und es macht ihn irre, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, das es so etwas nicht gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Eckart Schmidt Cannabis – Wann kann der Konsum problematisch werden?
Hamburg 2005 Verlag: Mein Buch
255 Seiten
Paperback ISBN: 3-86516-405-6
14,90 EUR

 

 

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

HanfBlatt, Januar/Februar 2005

Interview mit Tilmann Holzer über die Geschichte des Cannabis-Verbots und dem Ausweg aus der Sackgasse der Drogenpolitik

Tilmann Holzer, 29, ist Vorsitzender des Verein für Drogenpolitik (www.drogenpolitik.org). Zur Zeit schreibt er an einer Doktorarbeit über die Geschichte der deutschen Drogenpolitik von 1933 bis 1968.

HanfBlatt:
Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein waren Cannabisprodukte in Deutschland keiner Reglementierung unterworfen. Wann und warum wurde der Verkauf von „Indischem Hanf“ in einer staatlichen Verordnung berücksichtigt?

Holzer:
Cannabis wurde in Deutschland bis etwa Mitte der 1960er vor allem als Medikament und Nutzpflanze wahrgenommen und dementsprechend von staatlicher Seite behandelt. Ab 1872 war Cannabis in der „Kaiserlichen Verordnung über Apothekenwaren“ enthalten und durfte nur in noch in Apotheken verkauft werden, eine Mengen- oder Altersbeschränkung gab es nicht. Das Cannabisverbot, so wie wir es heute kennen, beruht auf der Integration von Cannabis in das „Genfer Opiumabkommen“ von 1925 und seinen Nachfolgern, Deutschland war damals gegen dieses erste globale Cannabisverbot.

Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.
Tilmann Holzer bei der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marion Caspers-Merk.

HanfBlatt:
Und warum war Cannabis in das Genfer Opiumabkommen reingerutscht? Es wird behauptet, damit wurde das „Cannabisproblem“ als „Drogenproblem“ erst geschaffen. Wie siehst du das?

Holzer:
Der ägyptische Delegationsleiter El Guindy forderte die Aufnahme von Cannabis, weil in Ägypten viel Cannabis konsumiert wurde. Praktisch alle anderen Delegationen wußten nichts von einem Cannabisproblem oder waren, wie beispielsweise Indien oder Thailand, gegen ein Cannabisverbot. Mit der taktischen Unterstützung El Guindys durch China, die USA und Frankreich konnte das Verbot aber beschlossen werden. Die Genfer Opiumkonvention ist die Urform aller Drogengesetze weltweit, weil sie durch die Ratifikation in nationale Gesetze umgewandelt wurde und so weltweit gültig ist. Im Laufe der Jahre wurden dann im wesentlichen die Strafen erhöht, das Cannabisverbot blieb. Die erste Strafverschärfung kam in Deutschland nachdem ab 1968 explosionsartig Cannabis konsumiert wurde. 1971 wurde deshalb das Opiumgesetz von 1929 in das Betäubungsmittelgesetz umgewandelt. Im Kern das Genfer Abkommen, nur viel härtere Strafen, im Ergebnis trotzdem jedes Jahr mehr Kiffer, bis heute.

HanfBlatt:
Die internationale Staatengemeinschaft baut mittlerweile auf die Kombination von Strafe und Therapie. Wird das die Zahl der Cannabiskonsumenten verringern? Und, so will ich mal frech fragen, ist es überhaupt nötig sie zu verringern?

Holzer:
Tatsächlich ist die „Therapie“ bei Cannabiskonsumenten quantitativ so unbedeutend, dass man nur von Strafe als hilfloser Reaktion von staatlicher Seite sprechen kann. Die Zahl der Konsumenten wird aber selbst durch die härtesten Strafen nicht beeinflusst, jedes Jahr gibt es mehr Kiffer. Der Staat kann die Zahl der Kiffer nur in sehr beschränktem Maße regulieren und selbst dass nur, wenn er einen vollständig legalen Markt hat, der streng reguliert werden kann, beispielsweise um Kinder vom Kiffen abzuhalten. Für Erwachsene gilt, dass sie selbst über ihren Drogenkonsum entscheiden dürfen, denn in einer Demokratie hat sich der Staat aus dem Privatleben, also auch dem Drogenkonsum herauszuhalten. Nur wenn Dritte gefährdet sind oder der Allgemeinheit Kosten entstehen, dann kann er Staat regulierend eingreifen. Gesundheitspolitisch gesehen, insbesondere finanziell, aber auch mit Blick auf Gewaltverbrechen, ist ein moderater Cannabiskonsum dem Alkoholkonsum ganz vorzuziehen. Mit Blick auf die Krebsstatistik ist es wichtig, den Cannabiskonsum vom Tabakrauchen zu trennen.

HanfBlatt:
Dies führt direkt zur Reformdiskussion des staatlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit Cannabis, die du und der Verein für Drogenpolitik jetzt mit dem „Globalen Cannabisregulierungsmodell“ neu beleben wollt. Nicht erst seit dem „Apothekenmodell“ ist die Regelung der Abgabe und des Verkaufs von Marihuana und Haschisch ein Streitpunkt. Wir wollt ihr das lösen?

Holzer:
Das Cannabisverbot hat total versagt, seit es 1971 verschärft wurde, kiffen jedes Jahr mehr Menschen in Deutschland. Es geht nicht darum, ob wir Cannabis legalisieren wollen oder nicht, sondern darum, ob Cannabis auf einem legalen oder einem illegalen Markt gehandelt werden soll. Cannabis ist überall erhältlich, kein einziger Staat auf dieser Welt hat bisher ein Cannabisverbot durchsetzen können. Deshalb hat der Verein für Drogenpolitik ein Konzept entwickelt, wie Cannabis in einem staatlich kontrollierten Markt gehandelt werden kann. Das ist das von dir erwähnte „Globale Cannabisregulierungsmodell“. Der Kerngedanke ist einfach: legal gehandeltes Cannabis ist ein wenig billiger als illegales und deshalb ist ein legaler Markt realistisch. Zweitens kann jeder einzelne Schritt vom Anbau bis zum Verkauf im Cannabisfachgeschäft staatlich lizensiert werden. Dadurch ist ein effektiver Jugendschutz, denn beim Verkauf Verkauf an Minderjährige droht Lizenzentzug, und ein hoher Qualitätsstandard möglich. In einem Rechtsgutachten weisen wir nach, dass ein legaler Cannabishandel im Rahmen der internationalen Verträge möglich ist. Was fehlt ist der politische Druck von unten, damit die Parteien den legalen Cannabismarkt ermöglichen. Als ersten Schritt wollen wir noch dieses Jahr unser Modell an alle Bundestagsabgeordneten verschicken, benötigen dafür und für die nächste Auflage, die an alle Landtagsabgeordneten gehen soll, noch 2000 Euro an Spenden.

HanfBlatt:
Fehlt nicht eher der politische Wille bei den Parteien, weil mit dem sensiblen Thema Drogenpolitik keine Wählerstimmen zu fangen sind? An einer Änderung der Rechtslage von Cannabis scheint sich seit Jahrzehnten niemand die Finger verbrennen zu wollen, zuletzt zogen die GRÜNEN den Schwanz ein.

Holzer:
Das ist sicher richtig, aber zu einfach. Richtig ist, dass die Parteien heute kein Interesse mehr an Drogenpolitik aufbringen, es geschieht beinahe nichts. Das war Anfang der 90er ganz anders. Wichtig ist, dass in den letzten Jahren die Medien immer mehr naiv-hysterisch über Drogen berichten, insbesondere über Cannabis. Das fällt auf die Parteien zurück, da es in keiner Partei Experten für dieses Thema auf Bundesebene gibt. Andererseits fehlt eine gut organisierte Interessensvertretung für eine bessere Drogenpolitik. Mit mehr Druck und Überzeugungsarbeit könnte man in den Parteien einiges bewegen, das zeigen Erfahrungen aus den 1990ern im Bereich Heroin und im Ausland. Deshalb haben wir den Verein für Drogenpolitik vor drei Jahren gegründet, als eine unabhängige und freie Organisation für diese Lobbyarbeit gegenüber Abgeordneten, Bundesregierung, Medien und Justizapparat und so weiter. Das funktioniert im Prinzip, aber erst mit einer guten finanziellen Ausstattung oder einer Stiftung für Drogenpolitik und hauptamtlichen Mitarbeitern wird es wirklich funktionieren. Dafür brauchen wir mehr Unterstützung von allen Seiten.

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Coffee-Shop-Veteran Nol van Schaik

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Coffeeshop-Virus breitet sich aus

Interview mit dem niederländischen Coffeeshop-Betreiber und Cannabis-Aktivisten Nol van Schaik

Nol van Schaik hat nicht nur einen guten Namen, sondern hat sich auch einen guten Namen gemacht. Einst 1989 beim Schmuggel von 200 Kilogramm Marokkaner nur knapp den französischen Strafverfolgungsbehörden entkommen, und seitdem von diesen gesucht, eröffnete der ehemalige Bodybuilder und American Football-Spieler 1991 in seiner schönen Geburts- und Heimatstadt Haarlem, nur 15 Bahnminuten von Amsterdam entfernt, den ersten von drei „Willie Wortel“-Coffeeshops. Mit seiner Partnerin Maruska de Blaauw gründete er 1998 das „Global Hempmuseum“ und einen Growshop in Haarlem und setzt sich für ein patientengerechtes Abgabesystem für medizinisch genutztes Cannabis über Coffeeshops ein. Im Jahr 2001 versuchte er gemeinsam mit dem mutigen britischen Medical Marijuana-Kämpfer Colin Davies und anderen den ersten Coffeeshop nach niederländischem Vorbild in Stockport bei Manchester zu etablieren und riskierte dabei seine Freiheit. Ein Hanfmuseum im Belgischen Antwerpen einzurichten, scheiterte ebenfalls am Widerstand von Polizei und reaktionären Politikern. Unermüdlich engagiert er sich für Erhalt, Verbesserung und Ausweitung des erfolgreichen niederländischen Coffee-Shop-Systems, 2002 mit der Gründung eines „Coffeeshop-College“, eines Kurses für angehende Coffeeshop-Betreiber. Sein letzter Coup ist „The Dutch Experience“, ein äußerst lesenswertes Buch eines Insiders über 30 Jahre Coffeeshop-Geschichte, von der Gründung des ersten Hippie-Coffeeshops „Mellow Yellow“ 1972 durch Cannabis-Pionier Wernard Bruining (förderte praktisch als „Johnny Appleseed“ des psychoaktiven Hanfes schon 1981-1985 den Nederwiet-Eigenanbau mit der „Lowlands Seed Company“ und in den Neunzigern mit dem „Positronics Sinsemilla Fanclub“), sowie der kommerziellen Unternehmen „Bulldog“ und „Rusland“, bis zu den Problemen, mit denen sich Coffeeshop-Betreiber wie Nol bis heute konfrontiert sehen. Für die Zukunft ist ein kleines „Bud, Bed and Breakfast“ über seinem „Sativa“-Coffeeshop geplant. Und auch in Spanien engagiert sich Nol in Sachen Cannabiskultur. Nol van Schaik

az: Eines vorweg, auch wenn der Coffeeshop-Betrieb natürlich ein Geschäft ist, dass sich lohnen muss, so möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir und allen anderen Coffeeshop-Aktivisten im Namen Vieler für eure Standhaftigkeit und euer Engagement in dieser Sache zu danken. Die Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden existieren, scheinen eine praktikable Möglichkeit zu bieten und ein Vorbild dafür zu sein, wie man mit dem Verkauf und Konsum von Cannabisprodukten umgehen kann. Absurderweise werden in anderen Ländern wie Deutschland immer wieder Kommissionen gegründet, die andere Wege untersuchen, den Konsumenten selbst meist zutiefst suspekt, wie das Apothekenabgabemodell oder der Vetrieb über Drogenfachgeschäfte mit Fachpersonal. Ist der Coffeeshop nun tatsächlich das beste Modell für die Abgabe und den Konsum von Cannabis?

Nol: Sehr freundlich von dir uns eure Anerkennung für unseren Kampf auszudrücken; ich hoffe er mag euch in naher Zukunft als Beispiel dienen! Das Coffeeshopmodell beabsichtigte damals bei seiner Einführung wie auch heute die Cannabisgebraucher, meist junge Leute, von den harten Drogen und ihren Konsumenten fernzuhalten. Das funktionierte und funktioniert immer noch. Verglichen mit den Ländern rund um uns herum, hat Holland prozentual weniger Konsumenten von Cannabis, obwohl es frei erhältlich ist, und als eine Konsequenz dieses Systems auch weniger Konsumenten harter Drogen. Auch wenn das Niederländische Coffeeshopsystem beispielhaft sein mag, so ist die Niederländische Cannabis- und Coffeeshoppolitik aus meiner Sicht fern davon realistisch zu sein. Wie auch immer, unsere Kunden bemerken unsere Probleme nicht. Sie können Cannabis innerhalb unserer Öffnungszeiten frei kaufen und konsumieren. Wenn man das Niederländische Coffeeshopmodell mit all den Nicht-Politiken auf der Welt vergleicht, muss ich sagen, dass wir die beste Lösung für die Cannabisverteilung haben.

az: Welche Bedingungen müssen für den Betrieb von Coffeeshops noch verbessert werden?

Nol: Die Niederländische Regierung verlangt von uns mit nur 500 Gramm Vorrat zu arbeiten, was schwierig zu machen ist, insbesondere, wenn man 25 verschiedene Cannabisprodukte auf dem Menü hat. Das sollte abgeschafft werden. Jeder Laden, der alkoholische Getränke führt, kann soviel Alkohol kaufen, lagern und verkaufen, wie er will, obwohl der Alkoholkonsum jeden Tag allein in Europa den vorzeitigen Tod von hunderten Menschen zur Folge hat. Zusätzlich sollte das Mindestalter für das Betreten eines Coffeeshops auf 16 Jahre herabgesetzt werden, so wie es bis 1996 der Fall war. Die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre hielt die jungen Menschen nicht vom Cannabisrauchen ab, es zwang sie lediglich auf der Straße zu kaufen, von Leuten, die auch harte Drogen verkaufen! Coffeeshops decken nur 20 Prozent der holländischen Städte ab, es sollten aber 100 Prozent sein! Nur 104 von 502 Niederländischen Stadtbezirken haben Coffeeshops in ihren Stadtgrenzen! Das ist verursacht durch die meistens der CDA angehörenden Bürgermeister der Städte ohne Coffeeshops. Wie ihre Partei wollen sie die Nulllösung in Sachen Coffeeshops. Und noch immer bezeichnet unsere Regierung Holland als Demokratie…

az: Wie sieht die Zukunft des Coffeeshop-Modells aus? Wird es liquidiert oder ersetzt werden, oder werden es andere Länder übernehmen?

Nol: Die Coffeeshops als solche können nicht liquidiert oder ersetzt werden, nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Es ist wahrscheinlicher, dass es sich ausbreiten wird, overground, das heißt, der Coffeeshop-Virus ist nämlich schon underground gesichtet worden, zum Beispiel an den Orten, wo ihr euer Rauchzeug besorgt…

az: Ein sympathischer Virus! Muss man denn hart sein, um sich im Coffeeshop-Geschäft behaupten zu können?

Nol: In gewisser Weise ja, aber nicht im Geschäft an sich, sondern mehr gegenüber dem ständigen Druck durch die Veränderungen in der Politik. Du musst stark sein, um einen Coffeeshop zu eröffnen, stark gegen das negative Image, das geschaffen worden ist, gegen die Autoritäten, die dich nicht mögen und gegen dumme Leute, die zufällig Justizminister sind. Das Cannabusiness in Holland ist O.K.; es wurde angefangen von einem Hippy, was die Standards gesetzt haben muss, Danke, Wernard!

az: Was macht einen guten Coffeeshop aus?

Nol: Ein guter Coffeeshop hat freundliches erfahrenes Personal, das Hasch und Marihuana guter Qualität verkauft, bevorzugt über die Waage, nicht in vorabgepackten Tütchen. Die Lüftung ist ausreichend; der Ort ist schön dekoriert und hat eine warme einladende Atmosphäre. Alle Arten von Rauchzubehör sollten vorhanden sein, ebenso wie ein guter Vaporizer. Selbst ein kleiner Shop sollte einige Brettspiele, Zeitung(en) und einen Cookie mit einer Tasse Kaffee bieten können.

 

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az: Natürlich kann er oder sie zu dir kommen, aber wie findet man den passenden Coffeshop ohne zu lange zu suchen, ganz allgemein?

Nol: Coffeeshops unterscheiden sich sehr im Stil oder kulturellem Vorherrschen, wie Bars oder Discos. Ein Hard Rock-Fan wird in keinem Fall in einen Reggae-Style-Coffeeshop gehen. Mein Tip: Geh an einen Ort mit vielen lokalen Stammkunden, weil die deine Preis-Leistungsverhältnis-Garantie sind. Ortsansässige werden keine hohen Preise für niedrige Qualität akzeptieren, deshalb tust du besser daran, dort zu kaufen, als an einem Ort, der hauptsächlich von Touristen besucht wird. Der erste Kontakt mit dem Personal sagt dir auch eine Menge; wenn sie freundlich sind, spiegelt sich das in der Kundschaft des Coffeeshops.

affe raucht

az: Wie alt muss ein Kunde sein? Wieviel darf er einkaufen? Darf er an den Thresen für wiederholte Käufe gehen? Darf er mehrmals am Tag wiederkommen? Was geschieht, wenn er mit seinem Kauf von der Polizei geschnappt wird? Gibt es außerhalb oder innerhalb der Coffeeshops Kontrollen?

Nol: Jeder Kunde über 18 Jahren kann 5 Gramm pro Coffeeshop pro Tag kaufen. Sie können für mehrere Käufe wiederkommen, aber tatsächlich müssen wir uns daran halten, pro Person pro Tag 5 Gramm zu verkaufen. In Wirklichkeit verkaufen wir dir, was du rauchen kannst…Die Polizei hat keine Zeit, kein Personal und keine Motivation die Verkäufe der Coffeeshops zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nur real in der Grenzregion zu Belgien.

az: Wie sollte sich ein Coffeeshop-Besucher benehmen?

Nol: Wie einer von uns, baue, inhaliere und genieße die Gesellschaft anderer Raucher. Es funktioniert immer. Cannabis ist auch eine Art Sprache, die jeder Raucher versteht. Benimm die einfach natürlich…

az: Wie kann man als Kunde die richtige Wahl aus den umfangreichen Menüs treffen? Wie sollte er wählen, und was sollte er meiden?

Nol: Das hängt von deinem Geschmack und Toleranzlevel ab. Wenn du also ein erfahrener Raucher bist, wag dich ans ganze Menü! Es ist ganz normal, den Dealer zu fragen. Sie können dich dabei beraten auszuwählen, wenn du ihnen erklärst, was du von dem Cannabis willst, ein helles High oder einen entspannenden Buzz. Mehr als eine Frage der Auswahl, ist es eine Frage der Dosierung. Jeder kann das stärkste Ice Hasch rauchen, wenn er seine Pfeife oder seinen Joint entsprechend seiner Bedürfnisse dosiert.

az: Gibt es noch importiertes Haschisch oder Gras, das mit dem kräftigen heimangebauten Nederwiet und Nederhasch konkurrieren kann?

Nol: Zur Zeit können sie nur unser Menü ergänzen. Hasch ist jetzt nur noch 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe. Es waren vor zwölf Jahren 90 Prozent. Einige Hasch-Varietäten, wie Nepalesische Tempelbälle und Indischer Charas, sind unvergleichlich. Manche Leute werden sie immer gegenüber Nederwiet bevorzugen.

az: Manche sagen, das importierte Gras und Hasch in den früheren Tagen vor der Einführung von Nederwiet seien nicht so stark und von solcher Qualität gewesen, wie das Homegrown-Zeug heute. Was sagst du dazu?

Nol: Wahr, aber das war gewöhnlich (von) samenreichem Weed. Die Sinsemilla-Anbautechniken haben die Qualität der Buds und des extrahierten Hasch verbessert.

az: Sind immer noch qualitativ hochwertige Sorten wie Afghane, Nepalesische Tempelbälle und Thaisticks erhältlich wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern, oder gehören sie ins Reich der Legenden? rund 3 gramm haschisch

Nol: Wir haben Nepalesische Tempelbälle auf unserem Menü und zwei Sorten Afghanen, also sind sie immer noch am Leben und qualmen. Ich hatte bis vor zwei Jahren Thaisticks, hab aber seitdem keine Guten mehr gesehen. Ich hoffe, wir werden auch in der Zukunft in der Lage sein, gute ausländische Haschsorten zu führen. Wir haben außerdem Indischen Charas und etwas Malana Cream, alles abhängig von unseren guten Kontakten mit den Lieferanten, die wir jetzt seit vielen Jahren kennen.

az: Welche Sorten sind definitiv vom Markt verschwunden? Gehören Türkisches und Libanesisches Haschisch dazu?

Nol: Da war nie eine große Ladung Türkisches Hasch erhältlich. Es kommt immer in kleinen Mengen, wenn es kommt. Es ist keine konstante Sorte. Libanese wird wahrscheinlich bald wieder zurück sein. Das Bekaa-Tal ist wieder voller Cannabis. Aber was uns kürzlich als Libanese angeboten wurde, kam wahrscheinlich aus Syrien, nicht so gut.

az: Mit Cannabis ist es ähnlich wie mit Wein, Kaffee oder Zigarren. Der Feinschmecker liebt ausgefallene Varietäten aus aller Welt. Hast du jemals Chinesisches, Philippinisches oder Haschisch von anderen exotischen Lokalitäten getestet?

Nol: Ich habe Chinesisches Hasch probiert, gebracht von einem Freund, der dort aus geschäftlichen Gründen war, nicht schlecht, aber nichts Besondres. Ich wünsche mir, ich könnte das Unbekannte testen…

az: Hat es im Laufe der Jahre Veränderungen in den Vorlieben bezüglich der verschiedenen Sorten gegeben? Bevorzugen bestimmte Subkulturen spezielle Cannabisprodukte? Haben Menschen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Favoriten?

Nol: Nicht dass ich wüsste, insbesondere nicht mit der Auswahl, die wir bieten. Die Leute lieben es, eine Menge verschiedener Varietäten auszuprobieren. Coffeeshops sind die Orte, wo du das kaufst, was du in deiner Gegend nicht kriegen kannst.

az: Du hast zweien deiner Coffeeshops die Namen „Indica“ und „Sativa“ gegeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Indica-Freund und einem Sativa-Liebhaber?

Nol: Der einzige Unterschied ist ihre Vorliebe für Sorten, von denen sie das kriegen, was sie wollen. Am Ende sind sie beide einfach Genießer von Cannabis; einer braucht ein stärkeres Gras um auf ein bestimmtes Level zu kommen, aber sie beide werden das Level erreichen, was sie sich wünschen. Oh, und ihre Joints riechen recht unterschiedlich!

az: Was kann ein Kunde tun, wenn er sich angeschissen vorkommt? Ich weiß, das in den meisten Fällen, insbesondere heute, die meisten Produkte der meisten Coffeeshops von einer relativ guten Qualität sind, zumindest machen sie stoned, obwohl die Preise angestiegen zu sein scheinen. Aber es ist nicht unmöglich, dass jemand importiertes Hasch oder Gras kauft, das zu alt, zu schwach, ausgetrocknet oder verschimmelt ist, oder im Falle von Nederwiet mit Pestiziden behandelt. Es gibt außerdem Gerüchte über die falsche Bezeichnung von Gras- und Haschsorten oder der Streckung und Mischung von Hasch um die Nachfrage nach bestimmten Varietäten zu befriedigen. In den Achtzigern gab es auch Betrügereien, den Verkauf von Hasch-Fälschungen („Afghan“, „Malana Cream“) an unwissende und schüchterne Touristen, meist in kurzlebigen Hanfblatt-Cofffeeshops im Zentrum von Amsterdam, aber ich beobachtete dies sogar einmal bei dem heute nicht mehr existierenden Hausdealer im berühmten Melkweg.

Nol: In unseren Shops kannst du immer zurückkommen und umtauschen, wenn du die Buds oder das Hasch, das du gekauft hast, nicht magst. Ich kann sagen, dass wir so wie viele unserer Kollegen kein schlechtes Cannabis haben. Ich weiss, dass andere, seit Jahren immer die selben Sorten auf dem Meü haben, was praktisch unmöglich ist. Du magst White Widow ordern und Power Plant kriegen, das ist wahr. Ich gehe dann und wann auf kleine Shoppingtouren durch Holland und unglücklicherweise gibt es immer noch Shops, die Weed und Hasch niedriger oder schlechter Qualität verkaufen. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist dass der Besitzer eines solchen Ladens selbst kein Cannabis raucht. Ein Raucher würde Seinesgleichen kein schlechtes Zeug anbieten. Wieauchimmer, wenn ich es mit 7/8 Jahren davor vergleiche, hat sich das sehr verbessert. Das ist der sich selbst regulierende Weg, nach dem das System funktioniert. Wenn du nur schlechte Ware hast, wird der Raucher zum nächsten Kollegen gehen, so dass du gutes Zeug verkaufen musst, um nicht bankrott zu gehen. Die Leute sollten eine Site im Internet haben, wo sie von schlechtem Cannabis berichten könnten, findest du nicht auch?

az: Sicher, sicher, eine gute Idee, und dazu noch umsonst, also ran an die Kartüffeln…Wie du es in deinem wunderbaren Buch erzählst, bist du sehr offen mit deinem Geschäft. Jeder kann weltweit den Verkauf von Cannabis in einem deiner Shops über Webcam fast live beobachten. Hat mal jemand deiner Kunden dagegen protestiert, oder lächeln sie alle nur, weil ein freier Mensch nichts zu verbergen hat, auch wenn es dumme Menschen nicht verstehen?

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Nol: Wir hatten nie eine Beschwerde darüber. Einige Leute wollen austesten, ob es echt ist, also winken wir ihnen oder halten einen Geldschein vor der Kamera hoch, so dass sie sehen können, dass wir lebendig sind.

az: Beabsichtigst du mal eines Tages ein Fachbuch über Management und Warenkunde für Coffeeshop-Gründer und -Mitarbeiter zu veröffentlichen? Du könntest der Richtige dafür sein.

Nol: Ich arbeite zur Zeit in Spanien gerade genau da dran, und ich bereite einen neuen Kurs vor: „Cannabis Noledge“. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

az: Und wer zum Teufel ist „Willie Wortel“?

Nol: „Willie Wortel“ ist der holländische Ausdruck für eine erfinderische Person, die ständig mit neuen Dingen kommt. Es ist auch ein Charakter in „Donald Duck“, der erfinderische Storch, ein Neffe von Donald. Viele Leute nennen mich Willie, aber ich nenne nur einen bestimmten Teil meines Körpers so.

az: Möchtest du etwas hinzufügen?

Nol: Kämpft weiter gegen die Prohibition. Wir können die Lügen besiegen!

Das Buch:

Nol van Schaik
The Dutch Experience.
The inside story: 30 years of hash grass coffeeshops, 1972-2002
2002, Real Deal Publishing (www.realdealpublishing.com)
323 Seiten

Weitere Informationen:
www.hempcity.net

 

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Cannabis Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem Pharmazeuten Manfred Fankhauser

hanfblatt, März 2004

Haschisch als Medikament

Ein Interview mit dem Pharmazeuten Manfred Fankhauser

Manfred Fankhauser, Jahrgang 63 und seit 1991 Apotheker in Langnau im schönen Schweizer Emmental, hat die bis dato beste Arbeit über die Geschichte von „Haschisch als Medikament“ in der westlichen Medizin geschrieben. Diese 1996 an der Universität Bern abgegebene Dissertation kann man jedem an der Pharmaziehistorie von Cannabis Interessierten nur wärmstens empfehlen. Beeindruckend allein die natürlich für weitere Forschungen offenen Listen der verwendeten Literatur und Pharmakopöen, sowie der einst im Handel befindlichen Cannabiszubereitungen und -präparate. Fankhauser ist obendrein in der international tätigen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM) aktiv. Das Thema lässt ihn also nicht los. Gründe genug, ihm einmal ein paar Fragen zu stellen.

Hanfblatt: Wenn man Ihr Buch „Haschisch als Medikament“ liest, wird einem deutlich, dass sowohl die Cannabisforschung als auch Cannabispräparate im 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der westlichen Medizin spielten. Wodurch erklärt sich dieser damalige „Cannabisboom“?

Fankhauser: Der Cannabisboom kam folgendermassen zustande: Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann man sich in Europa für indischen Hanf zu interessieren, nachdem der in Indien stationierte englische Arzt William B. O’Shaughnessy eine Studie veröffentlichte, welche zeigte, dass Cannabispräparate bei verschiedensten Krankheiten halfen. In der Zeit zwischen 1880 und 1900 waren Hanfpräparate sehr populär, weil Hanf bei diversen Krankheiten erfolgreich half und es noch wenig andere wirksame Arzneimittel gab.

Hanfblatt: Für welche Indikationen wurden Cannabispräparate besonders angepriesen und für welche besonders gerne genommen?

Fankhauser: Die wichtigsten waren: Asthma, Migräne, Schlafstörungen, krampfartige Schmerzen und Hühneraugenmittel. Insbesondere die Hühneraugenmittel waren noch weit bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr beliebt.

Hanfblatt: Welches waren die erfolgreichsten bzw. bekanntesten Präparate der Zeit?

Fankhauser: Einerseits waren es Halbfabrikate wie das „Cannabin tannicum MERCK“, welche in Apotheken zu Fertigpräparaten weiterverarbeitet wurden oder aber offizinelle, das heißt in den offiziellen Arzneibüchern vorkommende Zubereitungen wie Hanftinkturen (Tinctura cannabis indicae) oder Hanfextrakte (Extractum cannabis indicae). Daneben waren auch industrielle Fertigpräparate wie das Schlafmittel „Bromidia“ (ein Mischpräparat) oder diverse cannabishaltige Asthmazigaretten recht populär.

Hanfblatt: Ist aus dieser Ära in Europa lange vor der Hanfprohibition etwas über einen Gebrauch oder Missbrauch psychoaktiver Hanfzubereitungen als Rausch- oder Genussmittel bekannt?

Fankhauser: Hanf zu Rauschzwecken war in der Zeit als Hanf als Arzneimittel gebraucht wurde, praktisch unbekannt. Wohl lagen Berichte aus anderen fernen Ländern (zum Beispiel Ägypten und Indien) vor, wo man wusste, das Cannabis auch zur Berauschung diente. Ein Problem zu dieser Zeit war aber die Variabilität der Hanfpräparate; es kam vor, dass beispielsweise eine Hanftinktur hochwirksam oder aber auch praktisch nicht wirksam war.

Hanfblatt: Wer waren damals die aus heutiger Sicht wichtigsten Forscher in Sachen Hanf als Medizin?

Fankhauser: Der erwähnte englische Arzt William B. O’Shaughnessy (1809-1890), der französische Psychiater Jacques Joseph Moreau de Tours (1804-1884), die Deutschen Georg Martius und Carl Damian Ritter von Schroff (1802-1887). Wichtig waren auch die Arbeiten von Ernst Freiherr von Bibra (1806-1878), der 1855 das epochale Werk „Die narkotischen Genussmittel und der Mensch“ veröffentlichte, und vor allem diejenige von Bernhard Fronmüller aus dem Jahr 1869 („Klinische Studien über die schlafmachende Wirkung der narkotischen Arzneimittel“), für die er an eintausend Patienten Cannabis indica auf schlaffördernde Wirkungen testete. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es vor allem Franzosen und wenig später auch Schweizer Universitäten, insbesondere die Universität Bern, welche bis heute eine grosse Tradition in der medizinischen Hanfforschung aufrecht erhält.

Hanfblatt: Was waren die Gründe für das praktisch vollständige Verschwinden von Cannabispräparaten aus der medizinischen Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts?

Fankhauser: Es gab verschiedene Gründe. Erstens die medizinische Entwicklung, das heißt es kamen neue, „bessere“ Medikamente (zum Beispiel synthetische Schmerzmittel wie das Aspirin oder die Wirkstoffgruppe der Barbiturate, welche vor allem als Schlafmittel Verwendung fanden) auf den Markt, welche die Cannabispräparate stark konkurrenzierten. Zweitens die pharmazeutische Instabilität: Wie oben angetönt, war die unterschiedliche Wirksamkeit der Präparate lästig. Drittens rechtliche Einschränkungen: Durch die immer restriktivere internationale Gesetzgebung wurde die Verwendung der Cannabispräparate immer mehr eingeschränkt. Viertens wirtschaftliche Aspekte: Bedingt durch die beiden Weltkriege wurde die Einfuhr von indischem Hanf stark erschwert, beziehungsweise verteuerte sich massiv; zudem ging die Nachfrage nach indischem Hanf durch die gerade erwähnten Gründe zurück.

Hanfblatt: In den letzten Jahren ist nicht zuletzt durch die Entdeckung der körpereigenen Endocannabinoide und Cannabinoidrezeptoren das Interesse an Hanf und seinen Wirkstoffen als Heilmittel neu erwacht. Was kann die gegenwärtige medizinische Cannabisforschung aus der Pharmaziegeschichte lernen?

Fankhauser: Interessanterweise bestätigen die heutigen modernsten Forschungsergebnisse vielfach die bereits seit langem bekannten Anwendungen. Im Weiteren gibt der riesige nicht nur kulturhistorische sondern auch medizinhistorische Hintergrund der Pflanze zusätzliche Sicherheit in der Therapie.

Hanfblatt: Wo liegt die Zukunft von Cannabis als Medizin?

Fankhauser: Ich denke es geht in zwei Richtungen. Zum einen die moderne Cannabisforschung, welche sich mit Rezeptoren und detaillierten biochemischen Vorgängen beschäftigt, das heißt die Pflanze beziehungsweise das THC wird als Modellsubstanz genommen, aber das verwendete Medikament hat mit der Ursprungspflanze eigentlich nicht mehr viel zu tun. Auf der anderen Seite die direkte Verwendung der Pflanze, sei es als Tinktur, als Tee, als Öl, als Inhalation und so weiter. Diese Anwendungsformen haben auch einen starken Bezug zur Volksmedizin.

Hanfblatt: Behindert die Cannabisprohibition die Entwicklung und Verschreibung von Medikamenten auf Cannabisbasis in unnötiger Weise? Ist die Cannabisprohibition aus Ihrer Sicht nach heutigem medizinischen Kenntnisstand überhaupt noch zu rechtfertigen?

Fankhauser: Nein, meiner Meinung nach auf keinen Fall. Müsste Cannabis als Heilmittel nicht den drogenpolitischen Rucksack mittragen, wären Hanfmedikamente schon längst wieder geschätzte Arzneimittel. Ich würde mir wünschen, dass man das vielfältige Wirkspektrum dieser Arzneipflanze vorbehaltlos beurteilen könnte, dann stände einer Wiedereinführung von Cannabis in die Therapie wohl nichts im Wege.

az

Das Buch:

Manfred Fankhauser
„Haschisch als Medikament.
Zur Bedeutung von Cannabis sativa in der westlichen Medizin.“
332 Seiten
ISBN 3-9520758-9-2
veröffentlicht 2002 durch SGGP/SSHP
c/o Schweiz. Apothekerverein, Stationsstr. 12, CH-3097 Liebefeld BE

oder am einfachsten
zu 47,- SFr (31,- Euro) plus Versandspesen (Vorkasse) direkt vom Autoren:
Manfred Fankhauser
Dorfstr. 2
CH 3550 Langnau
Schweiz
fankhauser@panakeia.ch

 

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Mimi und der Kifferwahn – Anti Marihuana Krimis der 50er Jahre

HanfBlatt Nr.81, Jan/Feb 2004

Anti-„Marihuana“-Krimis der 50er Jahre

Ohne Krimi ging die Mimi bekanntlich nie ins Bett. Zu einer spannenden Bettlektüre gehörte ein Cocktail aus Sex and Crime, gerne mal gewürzt mit einer kräftigen Prise Rauschgift. Populäre Unterhaltungsromane spielten schon immer eine wegen ihrer hohen Reichweite nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung rassistischen, sexistischen und drogenfeindlichen Gedankenguts. In ihnen ging es nicht um von unterschiedlichen Menschen bevorzugte Genußmittel, sondern um das dämonische „Rauschgift“ (in den Zwanziger Jahren in erster Linie Opium, Morphium und Kokain). Nach dem Zweiten Weltkrieg betrat aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten kommend ein neuer Kandidat das Parkett: „Marihuana“. Den in der Nazi-Zeit gleichgeschalteten und von „Volksschädlingen“ bereinigten Deutschen, war der Übergang in den demokratischen Kapitalismus von US-Gnaden sehr entgegengekommen. Die Anslinger´sche Anti-Marihuana-Propaganda wurde ungeprüft in Fachliteratur, Zeitschriften und Romane übernommen. Im Wirtschaftswunderländle ließ es sich beim Schmökern ob der fremden Rauschgiftseuche angenehm schaudern.

Bereits 1951 erschien in der Westernkrimi-Reihe „Conny Cöll der Wunderschütze“ von K. Kölbl ein Heft unter dem Titel „Marihuana“. Im Vorspann heißt es: „Was ist Marihuana? Schätzungsweise zwanzig Millionen Menschen in aller Welt sind in den letzten Jahren Sklaven des mexikanischen Rauschgiftes „Marihuana“ geworden. Dieses sogenannte „Blonde Gift“ lähmt nach seiner ersten anregenden Wirkung sehr bald jeden moralischen Widerstand seiner Opfer und in grauenhaft kurzer Zeit werden die Süchtigen zu Verbrechern und Dirnen, zu Amokläufern des Verkehrs und zu ständigen Insassen der zahlreichen Irrenhäuser.- So harmlos das Rauschgift in seiner pflanzlichen Form auch ist, so zerstörend und so furchtbar sind seine Folgen. In seiner Wirkung ähnelt Marihuana dem orientalischen Haschisch, ist aber weit gefährlicher und nervenzerrüttender als dieses.“ In diesem Tonfall geht es weiter: „Nach Ansicht der amerikanischen Polizei ist ein großer Prozentsatz aller Verkehrsunfälle, Gewalttaten und Sittlichkeitsverbrechen auf das Schuldkonto dieser Giftpflanze aus Mexiko zu setzen.-“ Und. „Die Süchtigen können ohne dieses Gift nicht mehr leben. Der Körper verlangt immer mehr davon. Die Folgen aber sind verheerend. Das Gift zersetzt den Organismus, lähmt verschiedene Nervenbahnen. Und der Endeffekt: Verbrechen – Dahinsiechen – Wahnsinn – Selbstmord!- -Unsere Folge Nummer 12 schildert, wie der Wunderschütze Conny Cöll den ersten Großverbrecher, Duff Garson, der die damals unbekannte Giftpflanze Marihuana in die Staaten schmuggelte, zur Strecke brachte.“

Dass der gegen Minderheiten gerichtete Nazi-Jargon in der Verteufelung der Drogen und derer, die mit ihnen umgehen, eine akzeptierte Fortsetzung fand, belegt folgende Passage (S. 29f): „Dem G-Man fiel sofort der feine, süßliche Geruch auf, der ihm entgegenströmte. Ein plötzlicher Gedanke durchfuhr ihn. Sollte er vielleicht jener vielgenannten Lasterhöhle auf der Spur sein, von der auch Oberst Sinclair sprach, als er ihm den Auftrag übermittelte, dieses Rauschgiftzentrum mit Stumpf und Stiel auszurotten. Wenn Oberst Sinclair von „Ausrotten“ sprach, dann mußte es etwas außerordentlich Gefährliches und Verbrecherisches sein, denn der Chef der G-Abteilung der Geheimen Nordamerikanischen Bundespolizei war sparsam mit solchen Ausdrücken.- Ausrotten! – Dieses Wort gefiel ihm, dieses Wort war Balsam für die Seele Conny Cölls. Bei diesem Gedanken mußte er unwillkürlich lächeln. Ausrotten! Dieses Wort gefiel ihm sogar außerordentlich.“ und wenig später: „im dritten Raum sah er nichts als schlafende Menschen. – Süchtige, mit diesem Teufelszeug aus Mexiko vergiftete Menschen. Ein maßloser Ekel stieg in Conny Cöll hoch und eine plötzliche Wut gegen den Urheber dieses menschlichen Viehstalls, Duff Garson, überkam ihn. Er wußte, daß diese Menschen für das normale Leben verloren waren, daß sie einem langen, furchtbaren Siechtum entgegengingen und in diesem Moment verstand er die Worte des Obersten Sinclair: Ausrotten mit Stumpf und Stiel!“ Natürlich muß Duff Garson sterben. Dem Rest der „Marihuana“-Schmugglerbande ergeht es nicht besser (S.32): „Alle Angeklagten wurden zum Tode durch den Strang verurteilt! – Dann erfuhr man auch die Tragödie der schönen Dorothe. Als sie verhaftet wurde, weil man sie im Halbdämmerzustand und noch ganz unter dem Eindruck des Rauschgiftes vorfand, brach sie in ein hysterisches, kreischendes Gelächter aus, das auch nicht verstummte, als das Polizeiauto mit ihr davonfuhr. Die erste Nacht in der Zelle war für sie die Hölle auf Erden. Sie bot dem grauhaarigen Wächter alles an, was sie besaß, für eine einzige Zigarette von der Sorte, die man ihr bei der Einlieferung abgenommen hatte. Sie bot ihr ganzes Geld, dann ihre kostbare Armbanduhr, ihren prachtvollen Saphirring, ihre wundervolle Perlenkette und dann sich selbst! – Vergeblich. – Am nächsten Morgen, als sie zum Verhör vor den Polizeirichter geholt werden sollte, fand man sie an ihrem schmalen Gürtel erhängt in der Zelle. – Ende.“

„Marihuana“ heißt auch der Mitte der Fünfziger Jahre aus dem Amerikanischen übersetzte Kriminal-Roman von Kenneth Stuart. Er wird im Vortext folgendermaßen angepriesen:
„Rauschgift! Ein neuer erregender Kriminalroman. Gewissenlose Verbrecher werden unbarmherzig und ohne Gnade gejagt.- Rauschgift! Eines der schrecklichsten Laster, von dem die Menschheit unserer Erde befallen ist. Tausende siechen unter qualvollen Leiden dahin. Doch immer wieder finden sich Verbrecher zusammen, die die Drogen mit hohem Gewinn an den Mann bringen. Die Gewinnsucht läßt sie vor nichts halt machen, ihnen gilt der Mensch nichts, der Profit alles…Dieser spannende Roman läßt einen tiefen Blick hinter das Netz eines internationalen Rauschgiftringes tun, und der Leser wird hinter der harten Sprache viel Wahrheit wiederfinden.“

 

Wie diese Wahrheit aussieht, sollen ein paar Zitate veranschaulichen. So erzählt eine „Marihuana“-Händlerin wie ihr Geschäft von statten geht (S. 126f): „Meine Gäste sind größtenteils Highschool- oder Collegeboys und -girls“. (Also quasi die Unschuldslämmer in Person.) „Die Schlepper bieten dem Jungen oder dem Mädel eine „Annemarie“ an, und die merken es ja beim Rauchen fast nie. Dann kommt der Rausch…Was glauben Sie, was wir hier schon für Ekstasen erlebt haben,…Ja und dann…dann kommen sie immer wieder. Die meisten von ihnen haben ein sehr reichliches Taschengeld. Manchmal bringen sie auch Schmuck oder andere Wertgegenstände. Haben sie das Zeug erst einmal ein paar Wochen geraucht, kommen sie nie wieder davon los!“ Und auf die Frage, was sei wenn die Süchtigen kein Geld hätten und mit einem Skandal drohten, antwortet die Frau: „“Die machen schon keinen Skandal. Die wollen Zigaretten haben und wissen, daß sie bei einer Anzeige in eine Entwöhnungsanstalt kommen und ihnen kein Händler in den ganzen Vereinigten Staaten mehr auch nur ein Gramm verkauft. Wir sind sehr gut organisiert, und wer kann mir etwas beweisen? Meistens aber gebe ich in solch einem Fall ein paar Zigaretten umsonst und verspreche für jeden neuen Kunden, den sie mir zuführen, 10 Stück. Was meinen Sie, wie die dann werben?“ Jimmy nickte nachdenklich mit dem Kopf. Das war das Verhängnisvolle bei den Rauschgiften, wen es einmal gepackt hatte, den ließ es nicht wieder los, und das Ende war meistens das Irrenhaus.“

Und hier noch ein Klischee, das ein Politiker aus der Alkoholikerfraktion einer christlichen Partei nicht besser verzapfen könnte (S.170): „Die Sängerin legte sich mit ihren quälenden Gedanken auf die Couch und kämpfte minutenlang mit der Versuchung, durch eine Marihuana-Zigarette sich für eine Stunde einen schönen Traum zu erkaufen. Dann siegte aber die Vernunft. Im Liegen goß sie sich ein Glas voll Whisky und leerte es mit einem Zuge.“Dass die „Marihuana“-Süchtigen ein erbärmliches Bild abgeben ist klar (S. 248):

„Deutlich war der junge Bert Warring zu erkennen, der in einem Büro auf einem Sessel saß und schluchzte: „So geben Sie schon eine Zigarette, ich will auch alles sagen.“ Die Stimme des Antwortenden…fragte: „Wann haben Sie zum ersten Mal Marihuana geraucht?“ Das Gesicht des dem Rauschgift Verfallenen war jetzt groß und deutlich auf der Leinwand zu sehen. die eingefallenen Wangen, der schmale Mund und die entzündeten, tränenden, beinahe irr blickenden Augen…“
Schliesslich wird der „Rauschgifthändler“ überführt (S. 250):
„Sie Bestie in Menschengestalt haben Tausende der Armen auf dem Gewissen, die in unzähligen Irrenanstalten langsam dahinsiechen.“

 

Die Angst vor der Gefahr des Überschwappens der neuen Rauschgiftseuche aus den fernen USA wird auch noch geschürt, in dem der Autor in der Handlung zehntausende „Annemarie“-Zigaretten nach Berlin schmuggeln läßt.

 

Von Paul Altheer erschien 1956 der Kriminal-Roman „Marijuana das neue Gift“. Im Klappentext heißt es: „Wieder einmal ein Roman von Paul Altheer, sagt sich der Leser und freut sich im voraus auf ein paar Stunden angenehmer Unterhaltung, geistreich, einfallsreich, anregend und erfüllt mit jener angenehmen Spannung, die den Leser in eine andere Welt zu entführen vermag.- Diesmal ist es der Kampf gegen eine weltumspannende Organisation von Rauschgifthändlern, die mit dem neuen Gift „Marijuana“ Millionengeschäfte macht und jene armen Menschen verseucht, die ihm verfallen.“

In einem eigenen Kapitel „Marijuana“ wird kräftig vom Leder gezogen. Hier einige Ausschnitte (S. 137ff) „aus einem Vortrag über dieses neue Gift, dessen Auftauchen in Berlin man vor einigen Wochen mit Entsetzen festgestellt hatte“: „Die harmlos aussehende Pflanze zeigt die gleichen vernichtenden Eigenschaften wie das Opium, ja, sie ist in gewisser Hinsicht noch viel gefährlicher und zerstörender…Verheerend ist die Wirkung von Marijuana. Nach dem Genuß der ersten Zigarette kommt ein ungewöhnliches Glücksgefühl über den Raucher. Er wird fröhlich und möchte am liebsten die ganze Welt umarmen. Nach der zweiten Zigarette aber wird er melancholisch. Eine tiefe Depression erfaßt ihn; Selbstmordgedanken und tiefe Traurigkeit durchströmen ihn. Nach der dritten Zigarette aber verliert der Raucher jeden Sinn und jedes Verständnis für Raum und Zeit…Die Katastrophe aber folgt nach der vierten Zigarette. Bei neun von zehn Rauchern stellen sich Mordgelüste ein. Ein Zustand ähnlich dem des Amokläufers überfällt ihn. Der friedlichste Mensch wird zum Raufbold und zeigt einen absoluten Vernichtungswillen, der sich nun aber nicht mehr gegen sich selber, sondern gegen seine Mitmenschen wendet.-
Das Furchtbare aber ist, daß ein Mensch, der einmal Marijuana geraucht hat, von dem unstillbaren Verlangen nach diesem Gift erfaßt wird. Noch weit mehr als bei Haschisch, Heroin, Morphium und ähnlichen Giften, drängt es den ihm Verfallenen, den wirklich Süchtigen, alles aufzuwenden, um in den Besitz des unentbehrlich gewordenen Giftes zu kommen…Es hat übrigens sehr viel Ähnlichkeit mit einem andern Gift, das unter dem Namen Zombi auf Haiti bekannt ist. Ja, im Grunde genommen ist es dasselbe…Sie wissen, daß Zombi, wenn es im Uebermaß genossen wird, jede Erinnerung auslöscht und den Willen tötet…“

Später wird in der „Geschichte des Studenten Fernand“ noch einer draufgesetzt (S.153):
„Wir dürfen ohne weiteres sagen: Wer einmal Marijuana genossen hat, kommt von ihm nicht mehr los. Tausendmal stärker als Morphium, Heroin, Opium und alles Aehnliche, was wir kennen, ist dieses Marijuana in seiner Kraft, mit der es sich an denjenigen klammert, der ein einziges Mal von ihm genossen hat. Der Student Fernand hat alle Stadien des Marijuana-Süchtigen durchgemacht. Er war froh und ausgelassen wie nie zuvor – nach der ersten Zigarette. Er wurde melancholisch und schwermutsvoll wie ein russischer Emigrant – nach der zweiten Zigarette. Er verlor sich in unendliche Träumereien, in uferloses Sinnen und Denken – nach der dritten Zigarette. Als er es aber einmal bis zu vier Zigaretten kommen ließ, war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Wie ein Verfolgter begann er um sich zu schlagen. Seine Fäuste bluteten, der Schaum stand ihm vor den Lippen. Und als seine Freunde ihn zu beruhigen versuchten, griff er sie an, einen nach dem andern und alle zugleich, bis er durch einen Zufall den Dolch eines jungen Mädchens, das er über alles liebte, in die Hand bekam und sich damit auf seine Kameraden stürzte. Grace, das Mädchen, dem der Dolch gehörte, warf sich zwischen die Kameraden, mehr um ihn vor einer unbesonnenen Tat zu bewahren, als ihre Kameraden zu schützen. Sie sank, unter den Stichen ihres eigenen Dolches, bewußtlos zusammen. Fernand tobte wie ein Amokläufer, stach blindlings um sich, verletzte drei seiner besten Feunde und Kameraden, von denen einer heute noch zwischen Leben und Sterben schwebt…Bis er sich endlich müde getobt hatte und zusammensank, wie von einem Sandsack auf den Kopf getroffen…Nun liegt er, neben zweien seiner Freunde, im Krankenhaus und weiß von allem nichts. Er sinnt vor sich hin wie ein böses Tier, das nur ein Ziel kennt: Blut. Sein Ziel allerdings – wir wissen es leider nur zu gut – heißt Marijuana. Wenn es ihm gelingt, uns zu entwischen, auszureißen, dann wird sich die Katastrophe wiederholen, so oft wiederholen, bis sein Körper von dem Gifte mitleidlos zerfressen und der endgültigen Zerstörung anheimgegeben ist…Wir haben kein Mittel gegen dieses neue Gift. Noch nicht. Wir stehen ihm machtlos gegenüber. Es gibt nur eins: Die Quellen verstopfen, die dieses Verderben, genannt Marijuana, ausspeien.“
Das ist Kifferwahn in Reinkultur.

Geradezu herzlich nimmt sich dagegen der Kriminal-Roman „Marihuana für Yukatan“ von Hanns Hart aus, der ebenfalls Mitte der Fünfziger Jahre erschien. Eingangs heißt es: „Mord und Angst rufen das Inferno der Hölle…..!! Unheimliche Aktionen im Dschungel der Nacht nehmen jedem den Atem…..!!…ein echter Hanns Hart spannungsgeladen…atemraubend.“ Immerhin bringt der Ich-Erzähler nichtsahnend „Marihuanazigaretten“ unters Volk (S. 212f): „“Du Hund willst mich wohl auch süchtig machen?“ sagte er rauh. „Behalte deine Glimmstengel für dich, du Idiot. Damit kannst du Weiber reinlegen, aber nicht mich. Wieviel Marihuana brauchst du denn, bis du in Stimmung bist, Hurt?“ – Ich starrte ihn an und begriff es nicht. Ich sollte…? Und dann wußte ich es plötzlich. Es brauchte mir niemand zu sagen. – Die Chesterfield! Die Packung Chesterfield in meiner Tasche…! – Das war es. Es waren Marihuanazigaretten. Vier oder fünf Millionen rauschgiftverseuchte Zigaretten. Mit ´ner Spezialmischung aus Tabak und Marihuana. Ich lachte los. Es war ein giftiges Lachen, das ihn mich anstarren ließ. Ich lachte immer weiter. Immer weiter, weil ich wußte, was ich für ein Idiot gewesen war. Ein Riesennarr, der irgendwem auf den Leim gekrochen war…Chesterfield geimpft! Es war zum Totlachen!“ Schliesslich werden die wahren Übeltäter aber von ihm gestellt und er zwingt sie „unter dem Druck der MP-Mündung“ ihr „eigenes Kraut“ zu „probieren“ (S.234f). „Ich zwang sie, auf Lunge zu rauchen. Es war ein feines Schauspiel, und ich ließ ihnen keine Ruhe. Sie mußten auch noch zwei andere Chesterfield zwischen ihre Lippen klemmen. Sie waren grün vor Wut. Aber dann stellte sich die Wirkung ein. Ihre Augen glänzten seltsam.- Jetzt hatte ich sie soweit. Sie hatten keine Hemmungen mehr…gar keine.“ „Und ich kannte den Zustand, der nach dem Genuß von Marihuana erzeugt wird. Sie fühlten sich jetzt wie Helden…wie Riesen, die Bäume ausreißen konnten.“ Was ihnen bei der anschliessenden Keilerei allerdings nichts nützt, denn (S. 241) der Angreifer „sah alles in krankhaft verzerrten Farben“. Natürlich werden die Übeltäter überwältigt. Ende gut alles gut…

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Interview mit Franjo Grotenhermen

hanfblatt, 2003

Zwei Schritte vor, einer zurück

Interview mit Dr. med. Franjo Grotenhermen

Dr. med. Franjo Grotenhermen ist Mitarbeiter des nova-Instituts für ökologische Innovation in Hürth (Rheinland) und Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) mit Sitz in Köln. Er führt zudem die Geschäftsführung der deutschen Sektion, der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM). Grotenhermen ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher, darunter den Standardwerken „Cannabis und Cannabinoide: Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potenzial“ (Huber-Verlag) und „Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt (Springer-Verlag).

Hanfblatt: Jahrtausendelang wurde Hanf weltweit in traditionellen Kontexten medizinisch genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde schließlich auch in Europa mit alkoholischen Extrakten aus getrockneten Hanfblüten experimentiert, wurden zahlreiche Indikationen postuliert und überprüft. Doch es gelang nicht, einen eindeutigen Wirkstoff zu isolieren und zuverlässig wirksame standardisierte Extrakte zu entwickeln. Auch empfand man die psychoaktive Wirkung bei vielen Anwendungen als störend. Man konzentrierte sich von Seiten der Pharmaindustrie auf andere Pharmazeutika, bevorzugt synthetische oder teilsynthetische Reinsubstanzen. Cannabis indica galt schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als medizinisch obsolet. Die weltweite Verteufelung des Konsums von Hanf als psychoaktives Genussmittel durch die in den Zwanziger Jahren beginnende Prohibitionspolitik und die ab den Dreissiger Jahren ausgehend von den USA inszenierte Anti-Marihuana-Hysterie schien der Erforschung medizinischer Nutzungsmöglichkeiten den Gnadenstoß zu versetzen. Wann genau begann nun das Interesse hieran wieder aufzuflammen, und wie erklärt sich dieses Phänomen?

Grotenhermen: Die fehlende Standardisierung medizinischer Cannabiszubereitungen war tatsächlich einer der wesentlichen Gründe, möglicherweise der wichtigste Grund für das Verschwinden dieser Medikamente aus den Apotheken Europas und Nordamerikas. Erst Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gelang es einer israelischen Arbeitsgruppe die genaue Struktur des Delta-9-Tetrahydrocannbinol (kurz: Delta-9-THC oder THC) zu entschlüsseln. Dies war ein wichtiger Impuls für die moderne Cannabinoid-Forschung. Neben diesem laborchemischen Grund für eine starke Zunahme der Forschungsvorhaben zu Beginn der siebziger Jahre förderte die Zunahme des Cannabiskonsums unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen der westlichen Industriestaaten auch das wissenschaftliche Interesse an den Wirkungen der Droge und ihrer Inhaltsstoffe auf den Menschen. Mitte der siebziger Jahre gab es die ersten klinischen Studien mit THC, in denen man mögliche therapeutische Wirkungen untersuchte, wie seine Wirksamkeit bei Erbrechen und Übelkeit im Rahmen einer Krebschemotherapie, den appetitanregenden Effekt oder die Senkung des Augeninnendrucks beim Glaukom (grüner Star).Dieser ersten Welle der modernen Cannabisforschung folgte etwa zwanzig Jahre später die zweite, noch größere Welle, die erneut durch eine grundlegende Entdeckung ausgelöst worden war. Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre wurde das körpereigene Cannabinoidsystem entdeckt, das aus spezifischen Bindungsstellen für Cannabinoide und körpereigenen Bindungsstoffen besteht. Die spezifischen Bindungsstellen heißen Cannabinoid-Rezeptoren und die körpereigenenen Bindungsstoffe heißen endogene Cannabinoide oder Endocannabinoide, von denen Anandamid, 2-Arachidonylglyzerol und Noladinäther die drei wichtigsten sind. Dieses körpereigene Cannabinoidsystem, das wurde bald klar, spielt eine Rolle bei vielen Körperprozessen, wie etwa bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken, bei der Verarbeitung von Schmerzen, bei der Regulierung des Appetits. Das Verständnis der natürlichen Funktionen des Cannabinoidsystems beinhaltet das Verständnis der Wirkmechanismen bei therapeutisch gewünschten Wirkungen, wie etwa der Schmerzlinderung, und bei möglicherweise unerwünschten Wirkungen, wie etwa der Störung des Gedächtnisses.

Hanfblatt: Welche medizinischen Indikationen haben sich in den letzen Jahren für die Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden als erfolgversprechend erwiesen?

Grotenhermen: Am besten erforscht sind die therapeutischen Cannabis- bzw. THC-Wirkungen bei Übelkeit und Erbrechen, wie sie bei der Krebschemotherapie auftreten können, sowie bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust im Zusammenhang mit der Aids-Erkrankung. Als am wichtigsten scheinen sich jedoch heute die Behandlung chronischer Schmerzen unterschiedlichster Ursache und der Einsatz bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen, wie etwa multiple Sklerose und Querschnittserkrankungen nach Verletzung der Wirbelsäule, herauszukristallisieren. Bei einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin in Zusammenarbeit mit dem Institut für onkologische und immunologische Forschung in Berlin aus dem Jahre 2001 zur medizinischen Verwendung von Dronabinol (THC) und natürlichen Cannabisprodukten (Marihuana, Cannabistinktur, Haschisch) nahmen etwa ein Viertel der teilnehmenden Patienten diese Substanzen wegen chronischer Schmerzen, wie Migräne, Phantomschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Arthritis, Colitis ulzerosa, Fibromyalgie etc, ein weiteres Viertel wegen neurologischer Symptome. Die verbleibende Hälfte verteilte sich auf eine Vielzahl weiterer Erkrankungen wie Aids, Krebs, Hepatitis C, Juckreiz, Asthma, Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen, Alkoholismus, Opiatabhängigkeit, Glaukom, Epilepsie, etc. Cannabisprodukte werden also bei vielen Krankheiten und Symptomen erfolgreich verwendet. Man muss aber wissen, dass sie nicht immer das Mittel der ersten Wahl darstellen. So wird man beispielsweise bei Asthma, Glaukom und vielen anderen Erkrankungen zunächst andere Medikamente versuchen oder zunächst nicht-medikamentöse Verfahren ausprobieren, im Falle von Schlafstörungen zum Beispiel Entspannsungsübungen. Zudem wirken Cannabisprodukte nicht immer oder nicht immer im gewünschten Umfang. Viele Indikationen sind kaum erforscht, so dass sich nicht sagen lässt, wie hoch der Prozentsatz der Patienten mit einer der oben genannten Erkrankungen ist, der von einer Behandlung profitieren würde. Ich kenne aber Patienten aus allen oben genannten Indikationsbereichen, die von einer Behandlung mit Cannabisprodukten profitieren.

Hanfblatt: Wo liegen gegenwärtig die Forschungsschwerpunkte?

Grotenhermen: Die Themen der Cannabinoid- und Cannabisforschung sind heute breit gestreut. Während Mitte der achtziger Jahre in der medizinischen Datenbank Medline jährlich etwa 250 neue Artikel mit aktuellen Forschungsergebnissen zu den Bereichen Cannabinoide, Cannabis und Marihuana aufgeführt wurden, waren es im vergangenen Jahr etwa 800 mit weiter steigender Tendenz. Man kann vielleicht folgende wichtige Bereiche ausmachen: (1) Grundlagenforschung zum besseren Verständnis der Bedeutung und Funktionsweise des menschlichen Cannabinoidsystems, (2) Forschung zur besseren Abschätzung möglicher schädlicher Langzeitwirkungen und anderer Wirkungen des Cannabiskonsums, (3) Forschung zur Überprüfung der Wirksamkeit von Cannabinoiden bei verschiedenen Erkrankungen und zur Entwicklung neuer Medikamente, die das Cannabinoidsystem beeinflussen. Solche neuen Medikamente können wie das THC, die Cannabinoid-Rezeptoren stimulieren, eventuell aber auch die Konzentration der Endocannabinoide beeinflussen oder die Cannabinoid-Rezeptoren blockieren. Hier werden heute viele Ansätze erprobt, und ich gehe davon aus, dass in den nächsten 10 Jahren eine Anzahl von Medikamenten auf den Markt kommen wird, die auf unterschiedliche Art und Weise das Cannabinoidsystem modulieren.

Hanfblatt: Was muss noch geschehen, damit jeder Mensch, dem Cannabis, bei der Heilung seiner Krankheit oder bei der Linderung von Beschwerden helfen könnte, auch problemlos Zugang zum richtigen Medikament erhalten kann?

Grotenhermen: Das Thema ist stark ideologisiert, in dem Sinne, dass Prinzipien oft über Vernunft und gesunden Menschenverstand gesetzt werden. Eines dieser Prinzipien, das zunächst einmal sehr vernünftig ist, lautet: In Deutschland dürfen nur qualitätsgeprüfte Medikamente verwendet werden. Dabei scheut man sich jedoch vor der Beantwortung der Frage, ob denn umgekehrt ein Schwerkranker, der keinen Zugang zu einem qualitätsgeprüften Medikament auf Cannabisbasis hat, beispielsweise weil die Krankenkasse die Finanzierung einer Behandlung mit Dronabinol (THC) ablehnt, und der sich Hanfpflanzen auf seinem Balkon zieht, vor ein Gericht gestellt und eventuell ins Gefängnis gesteckt werden sollte. Möglicherweise werden erst die Gerichte der Politik klar machen müssen, dass die Gesetzgebung in diesem Bereich überholungsbedürftig ist. Es gibt hier erste Anzeichen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen die öffentliche Diskussion schon länger geführt wird als hierzulande, wie beispielsweise in Kanada und Großbritannien, zeigen, dass solche Entwicklungen viele Jaher dauern. Einen Zugang zur direkten medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten im Sinne einer tolerierten oder wie auch immer erlaubten Selbstmedikation wird es vermutlich nur geben, wenn aus politischer oder höchstrichterlicher Sicht die Verfügbarkeit von Cannabisprodukten aus den Apotheken nicht zu einer ausreichenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung führt. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die Krankenkassen sich auch in Zukunft in vielen Fällen weigern, die Kosten zu erstatten und die Medikamente weiterhin im Vergleich zu illegalem Cannabis sehr teuer sind.

Hanfblatt: Wer sollte auf keinen Fall Cannabisprodukte zu sich nehmen, weder als Medikament, noch zu Genusszwecken? Was sind sozusagen die Kontraindikationen?

Grotenhermen: Ganz allgemein kann man sagen, dass jemand der Cannabis nicht verträgt, es auch nicht nehmen sollte. Das ist eine einfache Regel, die aber oft nicht befolgt wird. So werde ich gelegentlich von Cannabiskonsumenten kontaktiert, die mir berichten, dass sie seit einiger Zeit unangenehme psychische Erlebnisse, wie etwa Angstzustände, beim Konsum erleben, jedoch weiterhin konsumieren möchten. Der Abschied von der Droge fällt oft auch bei schlechter Verträglichkeit nicht leicht. Darüber hinaus gibt es einige Personengruppen, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ihnen der Konsum schaden kann. Dazu zählen Personen, die an einer schizophrenen Psychose leiden, weil der Krankheitsverlauf ungünstig beeinflusst werden kann. Auch bei anderen schweren psychiatrischen Störungen ist die Wahrscheinlichkeit einer schlechten Verträglichkeit bzw. eines gesundheitlichen Schadens größer als bei psychisch Gesunden. Eine Schwangerschaft stellt eine relative Kontraindiaktion dar. Zwar sind die Schäden für den Embryo bzw. Fetus vermutlich auch bei starkem Konsum im Vergleich mit anderen Drogen gering, aber man sollte den Fetus nicht unnötig fremden Substanzen, die über den mütterlichen Kreislauf in seinen Kreislauf gelangen, aussetzen. Wer an Schwangerschaftserbrechen leidet oder anderen schwangerschaftsbedingten Beschwerden, die durch Cannabis gelindert werden können, dem würde ich allerdings durchaus zuraten, es einmal mit Hanf zu versuchen, und wenn er wirkt, ihn auch zu verwenden.

Hanfblatt: Was kann man aus medizinischer Sicht denjenigen empfehlen, die Cannabis als Genussmittel konsumieren, um eventuelle Risiken möglichst gering zu halten?

Grotenhermen: Beim Cannabiskonsum gibt es zwei Hauptthemen, wenn von möglichen Schäden die Rede ist. Das eine sind mögliche Schäden durch das Rauchen, die vermutlich weitgehend denen des Tabakrauchens ähneln, da beide Pflanzen und auch ihr Rauch bis auf das Nikotin und die Cannabinoide weitgehend ähnlich zusammengesetzt sind. Durch das Verbrennen von getrocknetem Pflanzenmaterial entsteht eine Anzahl von Substanzen, die die Schleimhäute schädigen und krebserregend wirken können, wie zum Biespiel Benzpyren oder Nitrosamine. Die Empfehlung lautet also: Weniger rauchen. Dies kann beispielsweise durch oralen Konsum (Kekse, Tee) oder durch das Rauchen THC-reicher Sorten erzielt werden. Das zweite Thema bezieht sich auf mögliche psychische und soziale Folgen des Konsums. Es besteht die Gefahr, dass mögliche positive Auswirkungen des Cannabiskonsums auf das seelische Befinden und das soziale Leben sich in ihr Gegenteil verkehren. Wie beim Umgang mit anderen potenziell suchtauslösenden, schönen und Freude bereitenden Aktivitäten sollte man darauf achten, dass man mit diesen Aktivitäten gestaltend und schöpferisch umgeht, dass man also nicht mit der Zeit psychisch von dieser Aktivität abhängig und sozial gelähmt wird. Man sollte als Konsument in dieser Frage selbstkritisch sein. Dabei kann bei gewohnheitsmäßigem Konsum von Drogen auch eine gelegentliche Konsumpause von einigen Wochen sinnvoll sein. Nach meiner Auffassung ist die Diskussion um die Frage, ob Cannabiskonsum körperlich abhängig machen kann oder nicht, eine wenig hilfreiche Diskussion, da auch eine psychische Abhängigkeit sehr stark sein kann und es letztlich unwichtig ist, ob vermehrtes Schwitzen und Schlafstörungen, die beim Absetzen auftreten können, psychische oder körperliche Symptome darstellen. Nach meinen Erfahrungen, die sich mit der wissenschaftlichen Erkenntnis decken, treten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen schädliche psychische und soziale Folgen häufiger auf als bei Erwachsenen. Ein gewohnheitsmäßiger Konsum bei Jugendlichen ist vergleichsweise häufiger als bei älteren Erwachsenen ein problematischer und abhängiger Konsum.

Hanfblatt: Immer wieder wird darum gestritten, warum man nicht gleich zur medizinischen Anwendung die als Genussmittel bereits bewährten getrockneten Hanfblüten oder das daraus gewonnene Harz oder einen Extrakt verschreibt, anstatt sehr teure industriell gewonnene Reinsubstanzen. Wo liegen hier kurzgesagt die Vor- und Nachteile? Oder anders gefragt, braucht man die Hanfpflanze dann eigentlich überhaupt noch, wenn man alle sinnvollen Präparate auf chemischem Wege synthetisieren kann?

Grotenhermen: Synthetisches THC bietet keine relevanten Vorteile gegenüber natürlichem Cannabis. Alles, was gegen eine Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte vorgebracht wird, wie etwa fehlende Reinheit oder mangelnde Standardisierung, sind in Wahrheit Argumente gegen ihre Illegalität, da sie bei einem legalen Zugang gut kontrolliert werden könnten. Die Frage, ob man Hanf noch braucht, wenn man synthetisches THC hat, stellt sich eigentlich umgekehrt: Synthetisches THC wird eigentlich nicht gebraucht, weil es Hanf gibt. Die Vorlieben der Ärzte und Patienten hinsichtlich definierter Einzelstoffe und natürlicher Kombinationspräparaten variieren allerdings, so dass ich dafür plädiere, beides anzubieten: Einzelsubstanzen und Ganzpflanzenzubereitungen. Zudem gibt es Hinweise auf Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit bei zumindest einigen Patienten, ein Thema, das allerdings bisher nicht durch kontrollierte Untersuchungen geklärt wurde. Vorteile gegenüber Cannabinoiden wie THC, die psychische Effekte ausüben, weisen einige nicht-psychotrope Cannabinoide auf, die sich heute in klinischen Studien befinden, darunter Dexanabinol und CT-3 (ajulämische Säure). Diese synthetischen Cannabinoide decken allerdings nur einen Teil des therapeutischen Potenzials von THC bzw. Cannabis ab, da eine Anzahl von Wirkungen über Cannabinoidrezeptoren vermittelt wird, die auch psychische Wirkungen hervorrufen. CT-3 wird gegen entzündlich bedingte Schmerzen, wie beispielsweise chronische Gelenkentzündungen getestet. Es wirkt etwa so wie Aspirin, ohne allerdings mit den Aspirin-typischen Nebenwirkungen auf Magen und Nieren verbunden zu sein. Zum Thema THC, synthetische Cannabinoide und pflanzliches Cannabis vertrete ich die Auffassung, dass alles verfügbar gemacht werden sollte, wenn es mit einem echten Nutzen für die Behandlung von Kranken verbunden ist.

Hanfblatt: Cannabisfreunde versprechen sich von der Debatte um die medizinischen Nutzungsmöglichkeiten der Hanfpflanze nicht nur eine Versorgung teilweise schwer Kranker mit einer gut verträglichen Medizin, sondern auch eine Entspannung im Umgang der Gesellschaft und der Strafverfolgungsbehörden mit denjenigen, die Hanf einfach nur als Genussmittel konsumieren. Manche gehen da sogar soweit, sich vorzustellen, man könne dann in Ruhe sein Pfeifchen schmauchen, das wäre dann ja Medizin, gut gegen Alles sozusagen. Wie schätzen Sie da die gesellschaftlichen Perspektiven ein, wenn es zu einer erleichterten und häufigeren Verschreibung von Cannabispräparaten kommen sollte?

Grotenhermen: Die Diskussion um die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten hat erheblich dazu beigetragen, die Diskussion um den Genuss- oder Freizeitkonsum zu versachlichen, denn im Zusammenhang mit der therapeutischen Verwendung taucht automatisch die Frage möglicher Nebenwirkungen und ihres Ausmaßes auf, beispielsweise die Frage: Schadet langzeitiger Cannabiskonsum der geistigen Leistungsfähigkeit? Zudem führt die medizinische Cannabisverwendung dazu, dass viele Menschen – Patienten, ihre Verwandten und Ärzte – einen legalen Kontakt mit der Droge bekommen. Meistens stellen sie dabei fest, dass die Warnungen vor den Nebenwirkungen in den vergangenen Jahren übertrieben waren, dass Cannabis bzw. THC sogar überwiegend sehr gut verträglich sind. Die medizinische Verwendung von Cannabis ist in der Lage, das Image der Pflanze auch bei solchen Personen positiv zu verändern, die bisher ein übertrieben negatives Bild von ihr hatten. Andererseits muss man natürlich sagen, dass Medikamente im Allgemeinen nicht gesund sind, sondern der Behandlung von Krankheiten dienen. Aus dem gelegentlich zur Rechtfertigung für den eigenen Konsum vorgetragenen Argument, Cannabis sei schließlich eine Medizin, kann daher im Umkehrschluss nicht gefolgert werden, Cannabiskonsum sei gesund für Gesunde. Die Frage, ob Cannabis auch für Gesunde positive Auswirkungen auf Leben und Befinden haben kann, entscheidet sich an der Frage des verantwortlichen Umgangs mit der Droge. Die Droge selbst ist dafür kein Garant.

Hanfblatt: Immer wieder lösen sich aus Medizinerkreisen die großen Warner, die den konservativen Kräften im Staatsapparat genehm, mit dem erhobenen Zeigefinger vor den schrecklichen Gefahren einer Verharmlosung und Entkriminalisierung eines schrecklichen Rauschgiftes warnen, um möglichst viele Forschungsgelder zum Beweis, dessen, was man insgeheim bereits bewiesen glaubt, abzuzweigen und sich als Gesundheitsapostel und selbsternannte Drogenexperten auf dem Medizinerolymp zu etablieren. Wie soll man diesen aus meiner Sicht an einer dogmatischen auf Gängelung basierenden Gesellschaft klebenden Feinden der freien persönlichen Lebensentfaltung gegenübertreten? Oder anders gefragt: Wird es jemals einen rationalen Umgang mit Cannabis und Cannabinoiden geben?

Grotenhermen: Nach meinem Eindruck haben sich die öffentliche Wahrnehmung und das Diskussionsniveau bereits merklich im Sinne eines rationalen Umgangs verändert. Dies ist ein Prozess, der sich wie alle Veränderungen, die Einstellungsänderungen voraussetzen, nur langsam vollzieht. Ich erfahre auch heute noch regelmäßig von Patienten, die ihren Arzt auf die Verschreibung von THC (Dronabinol) angesprochen haben, dass er dies mit dem Hinweis, er würde keine Drogensucht fördern, oder mit ähnlich ignoranten Bemerkungen grundsätzlich ausgeschlossen hat. Aber dennoch sind viele gesellschaftlich relevante Gruppen wie Journalisten, Mediziner, Juristen und auch Politiker heute insgesamt besser informiert als vor 10 Jahren. Aber es ist auch richtig, dass das Thema Cannabis auch heute noch vielen Eltern, Politikern und anderen Personengruppen Angst macht, was rationales Handeln manchmal erschwert. Die Ängste muss man übrigens ernst nehmen. Mit dem Thema Konservativismus wird zusätzlich ein Aspekt angesprochen, der über den Bereich des rationalen Umgangs mit Drogen hinausgeht. Konservativismus beinhaltet Haltungen, die nicht nur im Drogenbereich moralisierend und normierend massive Eingriffe in das Privatleben rechtfertigen oder als notwendig erachten, beispielsweise auch wenn es um den so genannten Kampf gegen den Terrorismus geht. Der rationale Umgang mit Cannabis oder anderen Drogen führt also nicht automatisch dazu, dass gängelnde Einschränkungen der individuellen Freiheiten verschwinden werden. In den letzten Jahren hat sich auch die Argumentation zur Rechtfertigung des Cannabisverbotes verschoben bzw. verändert. Wurde früher vor allem die Gefährlichkeit der Droge, auch im Vergleich zu Tabak und Alkohol, betont, so heißt es heute oft, Tabak und Alkohol würden bereits große gesundheitliche und soziale Schäden anrichten, die nicht durch die Legalisierung einer weiteren Droge vergrößert werden sollten. Solche Argumentationsverschiebungen stellen nicht nur ein Eingeständnis dar, dass die frühere Propaganda oder Überzeugung falsch war, sondern auch dass Prohibitionsbefürworter durchaus flexibel reagieren, beim Versuch, den gegenwärtigen Zustand zu erhalten. Ich bin kein Hellseher und kann nicht sagen, wohin die Entwicklung letztlich führt. Nach meinem Eindruck funktioniert die Bewegung im Cannabisbereich seit vielen Jahren wie bei der Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einer zurück. Da bleibt ja als positive Differenz immerhin ein Schritt nach vorn.

 

 

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Cannabis Mixed Reisen

Golfplatz-Einweihung mit Manni Kaltz

HanfBlatt, November 2003

Im Buschbrand der gegenseitigen Abhängigkeiten von Freizeit-Fabriken, Promis und Journalisten.

Der dunkle Anzug ist zu warm, schwitzend wanke ich in den Fahrstuhl. Abfahrt zum Bussi-Bussi. Ich weiß nicht, was mich auf der Terrasse des verbrauchten Strandhotels erwartet. Nun gut, den offiziellen Anlass habe ich erfahren: es geht um das Stopfen von nahe gelegenen 18 Löcher im Rasen – ein Golfplatz wird eröffnet. Dafür müsste man sich nur eine halbe Stunde nehmen, hier aber haben sich für die nächsten drei Tage A- und B-Promis aus der gesamten Republik angekündigt. Dazu sind Vertreter aus den Hochglanzmedien und PR-Berater angerauscht. Sie alle wollen in einem norddeutschen Seebad den Knospen ihrer Zunge folgen, Sonne anzapfen und ihren Hüftschwung justieren, kurz, sich auf Nass verlustieren, vulgo: die Eier schaukeln lassen.

Um der Situation gewachsen zu sein, habe ich meinen Kahn mächtig mit marokkanischen Pfefferminzblüten vollgeladen und meine liebliche Begleiterin sitzt im gleichen Boot. Gleißend brennt daher die Abendsonne auf die Kieselsteinplatten, auf denen 50 Paar schwarze Schuhe scharren. Eine Sonnenbrille wäre kommod, wohl aber ein zu deutliches Zeichen gewollt-cooler Distanz. Die PR-Dame kommt auf uns zugewieselt, „ahh, die Hamburger, hier rüber, kommen sie hier rüber, zur Hamburger Gruppe“. Flugs haben wir einen Sekt in der Hand, perlendes Gold, das Fraktale auf das Kleid meiner Muse wirft, und werden zu sechs Stehgeigern bugsiert, die in Plauderhaltung im Kreise stehen. Dieser öffnet sich den Fremdlingen, aber aus dem Auge des Zyklons weht kalter Wind uns entgegen. Man gibt sich vornehm, eine probates Mittel die eigene Unsicherheit zu tarnen. Von Hochlandgemüse innerlich aufgewühlt auf unbekannte Mitbürger zu treffen, birgt immer die Gefahr unfunky drauf zu kommen. Mund und Magen wollen rülpsend tief empfundenen Dünnsinn von sich geben, während der innere, rationale Obermufti und Bedenkenträger Befehle der sozialen Normen brüllt. Rechnen kann man nicht mehr, aber zurechnungsfähig will man sein. Anders ausgedrückt: Kiffen kann unsicher machen. Objektiv betrachtet eine drollige Zwickmühle, in der konkreten Situation ein Abenteuer, was schon für manchen Horrortrip sorgte.

Erfahrung tut hier Not, so weiß ich, dass ich mich zwar wie Fidel Castro fühle, aber nicht so aussehe. Mein Sektglas wirkt dabei wie eine rettende Rehling im Sturm. Smalltalk. Ein Blick in die Runde und plötzlich nimmt eine innere, alte Kraft von mir Besitz. Entgegen aller ungeschriebenen Gesellschaftsverträge spüre ich Begeisterung aufwallen, ein Gefühl von Jugend, eine Erinnerung an sportliche Ekstase, an Männerschweiß, an den von meiner Oma gestrickten Fanschal; dazu jucken ausnahmsweise nur meine Füße. Zusätzlich bin ich erleichtert über den alsbald folgenden, hoffentlich entkrampfenden Integrationsakt in die illustre Runde. Viel zu laut platzt es feucht aus mit heraus: „Das ist doch Manni Kaltz!“ Köpfe drehen sich, Aufmerksamkeit ist gesichert. Ich merke das nicht, überbrücke mit einem Ausfallschritt das Auge des Zyklons und stoße mein Glas an das meines überraschten Gegenübers. Ein klicken, ein sprudeln, ich fahre fort: „Wie geil, Manni Kaltz, ich glaub´ das nicht.“ Der Mann mit dem sauber gekürzten Vokuhila bleibt ruhig, denn „der Manni redet nicht so gerne“, wie ich später erfahre.

Schweigen, leichtes Entsetzen sogar, aber mein Verzücken kommt weiter in Rage. Ich stoße meiner schönen Begleiterin mit dem Ellbogen in die Seite, zeige mit dem Glas auf den Fußball-Heroen und fahre fort: „Ahh, das waren noch Zeiten, sie auf Rechtsaußen, dann Banane, und dann das Fußballungeheuer, hach, so wird heute gar nicht mehr gespielt. Unvergesslich, das 5:1 gegen Real Madrid. Zwei Dinger haben sie da reingesemmelt, oh Mann, wie geil.“ Doch der Flankengott, der 69fache Nationalbuffer, die Legende vom HSV, dieser Manfred Kaltz, brummelt nur einige undeutliche Worte und so langsam komme ich von meiner Wolke runter. Die Menschen um mich sind verstört, peinlich berührt. Sollte man einen dieser Fußball-Proleten im Nest hocken haben?

Ehrliche Begeisterung, so steht nach zehn Minuten fest, ist hier nicht gern gesehen. Und was noch wichtiger ist: Promis – und solche, die es sein wollen – spricht man nicht an. Sie sind froh sich mit Ihresgleichen zu sonnen, im Saft ihrer Erfolge zu schmoren. Wohlgemerkt gilt dies nicht für Manni, der Mann will einfach nur seine Ruhe haben, ihm ist Radau um seine Bananenflanken lästig.

Der Ausbruch war kurze Raserei, ich trete einen Schritt zurück. Die Augen meiner Begleitung liegen verträumt-ironisch auf mir, der Halbkreis aus Frührentner schließt sich wieder und wir stehen außen vor. O.k., das war´s erst einmal. Nebenbei hat der Direktor seine Rede an die golfende Nation begonnen, er preist die knöcherne Eichenkultur der Hotelkette. Die verdiente Vor- und Mitten-im-Kriegsgeneration ist in den Häusern hängen geblieben, dazu passt eigentlich nicht der Porno-Kanal, der auf unserem Zimmer nach jedem dritten Schaltvorgang erscheint. Wahrscheinlich wichst Opi sich den Wicht, während Omi bei der Pediküre weilt.

Wie gerufen wackelt plötzlich Elke S. ins Bild, blonder Star der 70er. Die spielt auch Golf? Nein, sie ist Schmuck, soll der prüden Rasenweihe Glamour und damit Nennung in den bundesweiten Magazinen garantieren. So ergibt sich der Sinn der Geselligkeit: Die Freizeit-Fabrik schiebt sich ins Bewusstsein der Kunden und die Prominenten bleiben im Gespräch, denn davon leben sie. Die anwesenden Journalisten salbadern Gutes über die Melange und übermitteln im Nebensatz die Koordinaten des Geschehens. Die Public-Relation-Dompteure behalten die Käfigtür im Auge. Und der Clou: Alle zusammen verbringen ein weiteres preiswertes Wochenende.

An diesem Kuchen will auch ich nagen, aber mein fußballhistorischer Ausfall hat uns schon nach zehn Minuten zu Parias werden lassen. Egal, gleich gibt es Diner. Der freundliche Direx lädt ein. Die Stimmung ist gut, man kennt sich von vielen anderen Jubelfeiern. Es ist die gemeinsame Leidenschaft aller derer, denen beim Tennis zu viele Rohlinge rumlaufen. „Haben sie noch Sex oder golfen sie schon?“ Wir sitzen am selben Tisch wie Manni, der aber lässt mir, seinem getreuen Fan, keinen Blick zukommen. In mir spielen die beiden Mannschaften von FC Bekifft-Ergötzlich und der Spielvereinigung Peinigend-Stoned einen harten Ball gegeneinander. Noch steht es 1:1, aber Peinigend-Stoned übt enormen Druck auf die Verteidigung von Bekifft-Ergötzlich aus.

Das Essen beruhigt unsere Gemüter, auch meine Begleitung erlangt so langsam ihre Fassung wieder. Meine Tischnachbarin, die Redakteurin einer TV-Zeitschrift, parliert zutraulich, schon fühle ich mich besser. Aber ich bin getäuscht worden, übel sogar. Denn der Mann der Dame, irgendeine Schauspielgröße, dessen Name ich vergaß, fragt sie, was denn das Thema unser noblen Unterredung sei. Nicht wissend, dass ich der Szenerie lausche, winkt sie mit der Gabel ab, zieht die schmalen Brauen hoch und sagt: „Ach nix, völlig uninteressant“. Nun will ich nicht eitel erscheinen, aber das scheint mir doch ein äußerst dünkelhafter und ungebührlicher Reflex auf meine wohl nicht klugen, doch aber warmen Worte zu sein. O.k., das war´s endgültig.

Schade, gerne hätte ich noch weitere Skizzen aus den nun folgenden Tagen gezeichnet. Ich hätte noch berichten können, von nicht geouteten Eiskunstläufern, die beleidigt sind, wenn man sie an den falschen Ecktisch des Festzelts setzt, vom Streit um kühle Austern und von Menschen, die nur (!) über Golf reden können. Aber diese Worte wären dunkel vor Häme, ohne das Licht des freudig-neugierigen Umgangs untereinander. Was also tun? Den Versuch beenden, und vorher noch erwähnen, dass wir lieber am Strand den Wellen folgten, als dort zu sein, wo man sich gegenseitig nur als Spiegel der eigenen Großartigkeit dient.