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Kopf an Kopf beim Hirndoping

Die Methoden des cognitive enhancement müssen endlich verglichen werden

Von Jörg Auf dem Hövel

Seit einigen Jahren wird über Hirndoping diskutiert. Dahinter steht die Hoffnung auf Mittel und Wege, dem menschlichen Geist auf die Sprünge zu helfen. Zugleich steht dahinter die Angst vor einer Anpassung an die nie enden wollenden Anforderungen der Leistungs- und Beschleunigungsgesellschaft und vor einer darauf aufbauenden Gesundheitsdiktatur.

In erster Linie wird über Medikamente und Arzneimittel gesprochen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Studie zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer psychoaktiven Hirndoping-Substanz den Weg in die Medien findet. Wie schon im Falle psychotherapeutischer Interventionen ist die Fixierung auf die Pharmakologie frappant. Dort lässt sie sich teilweise noch aus der Abkehr von der psychoanalytischen Tradition erklären, hier aber verwundert sie. Denn zum einen weisen alle vernünftigen Studien darauf hin, dass Konzentrations- oder gar Lerneffekte durch Arzneimittel wie Ritalin oder Modafinil marginal sind – wenn denn überhaupt vorhanden. Zum anderen existieren diverse alternative, nicht-pharmakologische Methoden des „cognitive enhancement“, wie die Forschung zu Hirnschrittmachern genannt wird. Um diese Methoden und ihre Einordnung in den Kontext der Diskussion soll es im folgenden gehen.

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Cognitive Enhancement

Cognitive Enhancement: Eine Liste

Artikel und Interviews zur Klärung eines Phänomens

Chirurgen am Limit.
Wie steht es um die Hirndoping-Affinität bei jungen Ärzten? (Telepolis v. 19.05.2013)

Tabula Rasa im Großhirn
Das Enzym PKMzeta spielt eine wichtige Rolle im Langzeitgedächtnis. Forscher wollen es nun für gezieltes Vergessen einsetzen. (Telepolis v. 11.04.2012)

Enhancement mit Statistik
Die Debatte um die Quantified Self-Bewegung und die Selbststeuerung
Telepolis v. 07.08.2012

Deutsche Studenten sind reserviert gegenüber dem Hirndoping
Die erste vernünftige Studie zum Thema zeigt die geringe Verbreitung des Phänomens. (Telepolis v. 10.02.2012)

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Hirndoping-Affinität von jungen Ärzten

telepolis, 19.05.2013

Chirurgen am Limit

Wie steht es um die Hirndoping-Affinität bei jungen Ärzten?

Der Arbeitsalltag vieler Chirurgen ist stressig, die Anforderungen hoch, Fehler können fatale Folgen haben. Eine umfangreiche Befragung der Universität Mainz unter über 1.100 Operateuren ging nun der Frage nach, ob diese Arbeitsbelastung dazu führt, dass die Ärzte zu sogenannten „cognitive enhancern“ greifen, um länger konzentriert arbeiten zu können. Die Ergebnisse zeigen neben der kaum wundersamen Tatsache, dass auch Ärzte Drogen nehmen, vor allem, dass die nötige Trennschärfe zwischen Aufputsch- und Hirndoping-Mitteln schwierig ist.

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Beliebige Endpunkte

Um zu positiven Ergebnissen zu kommen, ändern viele Studien zu Operations-Methoden ihre ursprüngliche Fragestellung

Der Trick ist aus der pharmazeutischen Forschung hinlänglich bekannt: Um zu positiven Ergebnissen für ein neues Arzneimittel zu kommen, ändern die Studienautoren ihre ursprüngliche Fragestellung. So wirkt dann beispielsweise ein Arzneimittel bei über 60-jährigen Frauen, weil diese während der Studien als einzige Gruppe positiv auf den Wirkstoff ansprachen.

Eine Forschergruppe von der Universität im niederländischen Nijmegen will nun herausgefunden haben, dass diese Willkür auch in Studien, die neue Operationsmethoden testen, gehäuft auftritt. Man untersuchte dafür 327 Experimente und verglich die während der Studienregistrierung genannten Untersuchungsziele mit den später veröffentlichten Ergebnissen.

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Was hilft, was nicht?

Bei der Hälfte der medizinischen Therapien könnte unklar sein, ob sie helfen

Die evidenzbasierte Medizin ist das neue Steckenpferd der Ärzteschaft. In ihr sollen nur solche Therapien zur Anwendung kommen, für die eindeutig feststeht, dass sie helfen. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, könnte man denken. Diese Eindeutigkeit will die evidenzbasierte Medizin durch möglichst umfassende empirische Belege garantieren, man hofft auf die Kraft der großen Zahl.

Das Handbuch für evidenzbasierte Medizin gibt alle Jahre wieder einen Einblick in die Anwendung und den Nutzen der wichtigsten Therapien. Dafür hat man 3.000 der gängigsten Anwendungen ausgesucht. Danach ist die tatsächliche Wirksamkeit der Hälfte der Therapieformen aufgrund fehlender hochwertiger Studien unklar. Nur 11% erhielten das Siegel des uneingeschränkten Nutzens, weitere 24% sind wahrscheinlich nützlich. Auch in der frei verfügbaren Online-Kurzdarstellung weisen die Autoren darauf hin, dass aus den Ergebnissen nicht geschlossen werden kann, wie oft die eine oder andere Therapie tatsächlich angewendet wird. Auch wird davon Abstand genommen, aus den Zahlen auf die Wirksamkeit im einzelnen Patienten zu schließen. Dies deutet auf die Kritik an der evidenzbasierten Medizin hin, deren Ergebnisse zwar statistisch belastbar sind, aber nicht immer klar ist, was sie für den Einzelfall bedeuten.

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Länger leben durch Vitaminzusatz?

Hilft die Einnahme von Antioxidantien?

Vom Mitentdecker der DNA, James Watson, ist der Satz überliefert, dass Antioxidantien in Nahrungsergänzungsmittel wahrscheinlich mehr Krebs verursacht als verhindert haben. Mit dieser Meinung steht Watson in einer Reihe mit den meisten wissenschaftlichen Studien, die sich mit der Wirkung von Antioxidantien bei gesunden Menschen beschäftigt haben. Warum aber gelten in der öffentlichen Meinung Wirkstoffe wie Vitamin A, Vitamin C und Beta-Karotin als gesundheitsfördernd, krankheitsvorbeugend oder gar lebensverlängernd? Neben der Studienlage ist das kulturelle Phänomen interessant. Warum haben die bunten Pillen einen so guten Ruf?

Die schnelle Antwort: Antioxidantien profitieren vom Nimbus, den der regelmäßige Verzehr von Obst und Gemüse umgibt. Denn diese verringern das Risiko, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs zu erkranken. Und da Obst und Gemüse viele Antioxidantien beinhalten, ging man lange Zeit davon aus, dass genau diese zur Gesundheit beitragen.

Um dies zu prüfen, vergab man in diversen Langzeitstudien Antioxidantien wie Beta-Karotin in Reinform als Nahrungsergänzungsmittel. Die Ergebnisse waren überraschend: Bis auf wenige Ausnahmen (Vitamin C bei Spitzensportlern, aber nicht bei Normalmenschen) gab es keine positiven Auswirkungen auf Therapie oder Krankheitsprävention. Nicht anders sieht es beim klinischen Einsatz aus. Hier war man darüber gestolpert, dass bei diversen Krankheiten der körpereigene Spiegel von Antioxidantien abfällt. Im Umkehrschluss hoffte man durch die Beigabe der Substanzen auf Besserung. Weithin Fehlanzeige. Im Gegenteil: Oft zeigten Nahrungsergänzungsmittel sogar negative Effekte.

Trotz dieses Wissenstands fördert die allgegenwärtige Werbung den Mythos von der Heilkraft der Antioxidantien. Sie trifft mit ihrer Nachricht auf eine (Pillen-)Einwurfgesellschaft, in der Gesundheit einen enormen Stellenwert gewonnen und gefälligst, wie vieles anders auch, auf Knopfdruck zu funktionieren hat. Optimierte Nahrung, optimiertes Lieben, optimiertes Leben.

Damit kein Missverständnis entsteht: Viele Antioxidantien (wie bspw. Vitamin C, Vitamin E, die Polyphenole und Flavonoide) müssen durch die Nahrung aufgenommen werden. In bestimmten Konzentrationen schützen sie den Körper von oxidativen Schäden, verhindern also, dass zu viele hochreaktive Sauerstoffverbindungen gebildet werden, die andere Moleküle strukturell verändern können. Denn das nennt sich dann „oxidativer Stress“ und ist ebenfalls ein beliebtes Wortgebilde in der Werbung.

Trotz vieler Bemühungen ist es allerdings noch nicht gelungen, einen kausalen Zusammenhang zwischen diesem „Stress“, der auch im menschlichen Alterungsprozess eine Rolle spielt, und Herzinfarkten, Rheuma oder Krebs nachzuweisen. Gleichwohl ist aber davon auszugehen, dass man zuviel „oxidativen Stress“ vermeiden sollte, wenn man eher krankheitsfrei leben möchte. Wie? So wie es aussieht, reicht für die meisten Menschen dazu das, was man gemeinhin einen „ausgewogenen Lebensstil“ nennt. Regelmäßige Bewegung an frischer Luft, eher Obst und Gemüse als Burger und Zucker und gesunde soziale Beziehungen.

Erschienen in der Telepolis unter http://www.heise.de/tp/blogs/3/153602

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Vergesst das Gehirn nicht

Das Protein PKMzeta galt als Zentralschalter für die Erinnerung, gar als Kandidat für effektives Gedächtnis-Doping. Nun kommen Zweifel auf.

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene chemische Substanzen gefunden, die für das Erinnern zuständig sind. Eine zentrale Rolle wurde dabei immer PKMzeta zugeschrieben. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Enzym, das Todd Sacktor bereits vor 20 Jahren entdeckt hatte. In einem seiner Versuche hemmte er im Hirn von Ratten das PKMzeta und konnte eine ansonsten stabile Erinnerung komplett löschen. In einem zweiten Versuch erhöhte er die Verfügbarkeit von PKMzeta und konnte nachweisen, dass dies bei den Nagern die Erinnerungsfähigkeit fördert.

Nicht nur Sacktor denkt, mit dem Enzym den Schlüssel zum menschlichen Gedächtnis in der Hand zu haben, sei es, um das Hirn besser lernen zu lassen, sei es, um es vergessen zu lassen. Zuletzt durfte eine Forschergruppe im anerkannten Magazin Science über die enorme Konsolidierungskraft von PKMzeta berichten.

Aber jetzt kommen Zweifel auf. Unabhängig voneinander deaktivierten zwei Forscherteams in Mausembryonen die Gene, die für die Bildung von PKMzeta verantwortlich sind. Die ausgewachsenen Mäuse besaßen das Enzym also nicht. Gleichwohl waren die Mäuse in der Lage, Erinnerungen auszubilden (Nature-Aufsätze hier und hier). Die Studien zeigen recht eindeutig, dass PKMzeta das Erinnerungsvermögen nicht als hauptverantwortliches Moment reguliert. Alternative Pfade sind möglich. Welche dies sind, muss weitere Forschung zeigen.

Wieder muss sich die Hirnforschung von der Hoffnung zu verabschieden, ein einzelnes Molekül sei in der Lage, Erinnerung (wer spricht noch von CREB?) oder Gefühle (Oxytocin) zu formen. Simple Erklärungen sind verführerisch und ökonomisch besser verwertbar. Gegenseitige Abhängigkeiten im körpereigenen Prozess, äußere Einflüsse, individuelle Eigenheiten – dies alles wird spätestens virulent, wenn es um die pharmakologische Umsetzung der Forschungsergebnisse geht.

Erschienen in der Telepolis unter http://www.heise.de/tp/blogs/3/153490

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Gesundheitssystem

Arzneimittel – der kontinuierliche Skandal, Teil 3

telepolis, 02.01.2013

(Teil 2, Teil 1)

Über Arzneimittel-Werbung, Ärzte-Fortbildung und Grundzüge eines optimierten Kontrollsystems

Jörg Auf dem Hövel

Schon seit längerem wird berichtet, dass das Marketingbudget der Pharma-Konzerne deren Ausgaben für Forschung und Entwicklung (R&D) wahrscheinlich um das Doppelte übersteigt. Auf der anderen Seite stehen Zahlen, die Booz & Company regelmäßig veröffentlicht. Danach stehen Pharma-Giganten wie Novartis, Hoffmann-La Roche, Merck und Pfizer seit Jahren unter den Top 10 der weltweit forschungsaktiven Unternehmen. Sie stecken aktuell zwischen 14 und 20 Prozent ihres Umsatzes in R&D – weitaus mehr als beispielsweise die Automobilbranche.

Wie auch immer man die Zahlen deutet, durch Gerichtsprozesse kommen in unregelmäßigen Abständen interne Dokumente zum Vorschein, die das systematische Vorgehen von Teilen der pharmazeutischen Industrie aufzeigen, die Vorteile eines Arzneimittels über unterschiedlichste Kanäle zu verbreiten und den [Off-Label-Gebrauch http://de.wikipedia.org/wiki/Off-Label-Use] zu bewerben. Um hier Übersicht zu erlangen, gründete die Universität San Francisco das Drug Industry Document Archive (DIDA), in dem solche Dokumente gesammelt werden.

Um den Verkauf ihrer Produkte ankurbeln, greifen die Unternehmen immer wieder zu unerlaubten Mitteln. Zuletzt wurde Glaxo-Smith-Kline im Juli 2012 vom US-amerikanischen Justizministerium zur Zahlung der beachtlichen Summe von drei Milliarden (nicht Millionen) US-Dollar verdonnert. Die Liste war lang: Unerlaubte Werbung, Zurückhaltung von Daten, auch, aber nicht nur in Bezug auf das Antidepressivum Paroxetin, Bestechung, Aufforderungen zum Off-label-Gebrauch des Asthma-Mittels Advair und falsche Behauptungen über die Sicherheit der Diabetes-Arznei Rosiglitazone.

Das sind keine Einzelfälle. Eli Lilly musste 2009 über 1,4 Milliarden US-Dollar Strafe zahlen, Pfizer im selben Jahr 2,3 Milliarden US-Dollar. AstraZeneca durfte 2010 rund 520 Millionen US-Dollar in die Staatskassen überweisen. Der Abbott-Konzern wurde 2012 zur Zahlung von 1,5 Milliarden US-Dollar verurteilt, weil man einen Abkömmling der Valproinsäure (Handelsname: Depakote) als Lösungsmittel für senile Renitenz propagiert hatte.

Juristisch kaum anfechtbar ist ein anderes Vorgehen. Omeprazol, ein beliebtes Mittel gegen Magengeschwüre, brachte fünf Milliarden Euro jährlich in die Kassen von AstraZeneca, bis 1999 das Patent auslief. Der dann angewendete Trick ist so einfach wie dreist: Das Omeprazol-Molekül wurde chemisch gespiegelt und zu Esomeprazol. Obwohl klar war, dass dieser gedrehte Wirkstoff nicht besser wirkt als der alte, verschrieben weltweit Ärzte das neue Medikament und nicht ein Generikum von Omeprazol, weil der Hersteller AstraZeneca ein millionenschweres Marketingprogramm lancierte.

Gesponserte Fortbildung der Ärzte

Dies führt zu der Fortbildung der Ärzte, der sogenannten Continuing Medical Education, die nicht nur in Deutschland Pflicht ist. Pro absolvierter Fortbildung erhält jeder deutsche Arzt Punkte, innerhalb von fünf Jahren muss er 250 ansammeln. Im Internet existieren zahlreiche kostenlose CME-Portale, von denen der überwiegende Teil durch die pharmazeutische Industrie betrieben oder indirekt gesponsert wird. So ist eine absurde Situation entstanden: Die Fortbildung von Ärzten wird von denen finanziert, deren Produkte sie auch verschreiben sollen.

In den USA gab das für die Zulassung von CME-Maßnahmen zuständige ACCME 2008 bekannt, dass von den rund 760.000 CME-Lehrstunden die Hälfte direkt von der Industrie gesponsert wurde. Um einen Einblick zu erhalten, befragte der Mediziner Volker Eckhardt die deutschen Teilnehmer eines renommierten Magen-Darm-Kongresses in den USA. 77% hatten eigenen Angaben zufolge einen Reiseunterstützung durch die Industrie erhalten. Und natürlich waren die meisten überzeugt, dass dies ihr Verordnungsverhalten nicht beeinflusse.

Mit den Erfolgen der Pharmakotherapie wuchs lange Zeit auch die Nähe der behandelnden Ärzte zur pharmazeutischen Industrie. Diese bemühte sich vermehrt um die Pillenverordner, man verschickte Kostproben, bot Beraterverträge an, lud auf Konferenzen, Hotel inklusive. Die Auswüchse des Systems ließen Kongresse mit Ehefraubegleitung auf Hawaii zu. Erst in den letzten Jahren ist hier Besserung in Sicht. Organisationen wie No Free Lunch oder die deutsche MEZIS proben die Befreiung aus der innigen Umarmung der Industrie.

Was muss sich ändern?

Journalistische Beiträge weisen oftmals auf die Macht- und Geldfülle der Pharma-Konzerne hin. Bei aller Kritik soll nicht vergessen werden, dass die Entwicklung wirksamer Arzneimitteln die Behandlung einiger Krankheiten revolutioniert hat. Polio und Diphtherie sind durch Impfungen im Griff, Herzanfälle beherrschbar, Leukämie kein Todesurteil mehr. Das medizinische Wissen wächst. Aufgrund der beschriebenen Entwicklungen ist die Wissensschaffung im Arzneimittelsektor allerdings zu einem Nebenprodukt der klinischen Forschung geworden. Insgesamt, so lässt sich attestieren, existieren zu viele kleine und kurze Studien mit oftmals nicht repräsentativen Teilnehmer, die in fehlerhaften Studiensettings behandelt werden. Nach Gutdünken des Auftraggebers werden diese Studien dann veröffentlicht oder eben nicht veröffentlicht. Die Folge: Tagtäglich entscheiden Ärzte weltweit auf unsicherer Wissensbasis über die pharmakologische Behandlung ihrer Patienten. Es existiert zur Zeit kein zuverlässiges System, das Ärzte mit Informationen versorgt. Und auch die Fachzeitschriften geben keinen systematischen Überblick. Der Tamiflu-Skandal (Was hat Roche zu verbergen? Tamiflu und der schwierige Zugang zu klinischen Daten) ist nur die Spitze des Eisbergs. Was ist zu tun?

 

  • In einem ersten Schritt muss ein funktionierendes Register für alle durchgeführten klinischen Studien eingerichtet werden. Im derzeitigen EudraCT sind kaum Ergebnisse zu finden und nicht alle der tatsächlich laufenden Studien aufgeführt. Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur ist eigenen Angaben zufolge nicht im Besitz aller aktueller Studiendaten. An dieser Stelle dürften nur Bußgelder weiter helfen, die bei Nichteinreichung verhängt werden.
  • Der Zugang zu den Studiendaten darf nicht nur auf Zusammenfassungen der Ergebnisse beschränkt werden. Das bestehende EudraCT hätte den Tamiflu-Skandal bezeichnenderweise nicht verhindert. Wie immer man die Geschäftsgeheimnisse der Hersteller sichert, nur mit der Einsichtsmöglichkeit zu den Rohdaten kann kontrolliert werden, ob das Studiendesign valide aufgesetzt, Endpunkte geändert, Hypothesen erst nach der Datenerfassung gebildet oder Aussteiger ignoriert wurden. Es fehlt an Interessengruppen, die Offenlegung von Daten im Arzneimittelsektor fordern.
  • Interessant wäre die Einrichtung einer Datenbank, in der evidenzbasierte Erkenntnisse auf Cochrane-Niveau und neue Studien zum Thema begutachtet und eingepflegt werden. Es ist für einen praktizierenden Arzt heute nicht möglich, allein aus der Lektüre der Fachzeitschriften die Übersicht zu behalten. Die Arbeit des IQWIG ist daher von zentraler Bedeutung und muss ausgebaut werden.
  • Um die Wirksamkeit pharmakologischer Therapien beurteilen zu können muss, wann immer möglich, ein neuer Arzneistoff gegen ein existierendes Medikament antreten. Wo immer möglich sollte dies im Alltag der Patienten geschehen.
  • Die nicht-kommerzielle Arzneimittelforschung muss ausgebaut werden. Heute existiert kein einziger Sektor in der akademischen Medizin, Forschung oder Ausbildung, in der industrielle Beziehungen nicht ein allgegenwärtiger Faktor sind. Diese Beziehungen sind politisch und wirtschaftlich gewünscht, ohne sie sind Forscher im bestehenden System kaum in der Lage, neue Arzneimittel zu entwickeln. Die Liaison führt aber parallel dazu, dass einige Wissenschaftler zu Gehilfen im Verkaufsprozess werden, anstatt den Wissensschatz zu vermehren. Individuell orientierte Transparenzvorschriften für Interessenskonflikte lösen nicht strukturelle Probleme in der Organisation von Wissenschaft.
  • Ärzte und Mediziner sollten gegenüber ihren Patienten die Geschenke Pharma-Referenten, Zahlungen und bezahlte Fortbildung transparent machen. Arzneimittelhersteller könnte man im Gegenzug verpflichten, ihre Zahlungen an Mediziner zu veröffentlichen. In den USA existiert mit dem „Sunshine Act“ ein solches Modell, jüngst kündigte der Dachverband der europäischen Pharmaunternehmen und Verbände einen Transparenzkodex an, allerdings mit freiwilliger Teilnahme. „Dollars for Docs“ sammelt Dokumente und Artikel zu den Verflechtungen zwischen Medizinern und Arzneimittelherstellern
  • Die Universitäten regeln die Veröffentlichung von Interessenkonflikte unterschiedlich, eine Übersicht fehlt für den europäischen Raum. In den USA pflegt die Vereinigung der Medizinstudenten eine PharmFree Scorecard-Website, auf der die jeweiligen Universitätsrichtlinien für Beraterverträge, Vorträge, Geschenkannahme, und Fortbildung aufgeführt sind.
  • Akademischem Personal muss Ghostwriting verboten sein.
  • Fachmagazine und Autoren müssen verpflichtet werden, am Ende jedes Artikels alle auch am Rande Beteiligten und den Studieninitiator zu nennen.
  • Alle Fachmagazine müssen ihre Werbeeinnahmen nach Arzneimittelhersteller getrennt jährlich aufführen. Zudem sind Reprints und deren Einnahmen aufzuführen. Journalherausgeber müssen ihre Interessenkonflikte regelmäßig offen legen.
  • Patienten sollten ihren Arzt fragen, ob er oder sie an industriegesponsorten Fortbildungen teilnimmt und wie oft er Pharma-Referenten empfängt.

 

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Gesundheitssystem

Arzneimittel – der kontinuierliche Skandal, Teil 2

telepolis, 29.12.2012

(Teil 1) (Teil 3)

Die Zulassungsbehörden und medizinischen Fachmagazine werden ihrer Aufgabe kaum noch gerecht

Jörg Auf dem Hövel

Jedes in Europa verschriebene Medikament ist von einer nationalen oder der europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) genehmigt worden. Die Behörden entscheiden auf Grundlage von Studiendaten darüber, ob das Medikament wirksam und sicher ist, später beobachten die Mitarbeiter, ob die Substanz im paneuropäischen Großeinsatz bei manchen Bürgern doch zu Problemen führt und entfernen solche Medikamente wieder vom Markt. Das Zulassungssystem wird ergänzt durch die Arbeit der wissenschaftlichen Fachmagazine, in denen die Studiendaten vorgestellt und diskutiert werden. Das klingt reibungsloser, als es in der Praxis ist.

Denn (1) zum einen werden die Zulassungsentscheidungen auf Grundlage schlechter Datenlage gefällt – nur rund die Hälfte aller Studien landen auf den Schreibtischen der Behörden.

Zum anderen (2) ist deren Aufklärungswillen gegenüber den Ärzten und der Öffentlichkeit kaum ausgeprägt – der Aufbau einer öffentlich zugänglichen Datenbank wurde lange verschleppt.

Die (3) Fachmagazine wiederum stehen unter wirtschaftlichem Druck und sehen sich den variantenreichen Marketingbemühungen der Arzneimittelproduzenten ausgesetzt.

(1) Unklare und selektiv veröffentlichte Daten

Experten weisen seit mindestens einem Jahrzehnt darauf hin, dass viele klinische Studien nicht veröffentlicht werden, wenn die Ergebnisse dem Auftraggeber nicht passen. 2010 veröffentlichte eine Forschergruppe eine umfangreiche Übersichtsarbeit zu dem Problem und stellte fest, dass rund die Hälfte aller klinischen Studien, die begonnen und fertig gestellt wurden, nie in einem Fachmagazin oder an einem anderen Ort publiziert worden waren.

Zugleich zeigen andere Übersichtsarbeiten die Dominanz von positiven Ergebnissen in den veröffentlichten Beiträgen. Mit anderen Worten: Negativ verlaufenden Studien, die keine signifikante Wirkung der Arznei zeigen konnten, werden nur halb so oft veröffentlicht wie solche mit positiven Ergebnissen. Die Konsequenz ist genau so erschreckend wie weithin unbeachtet: Täglich werden Arzneimittel auf Grundlage einer einseitiger Studienlage verschrieben. Es ist bei einer Vielzahl von Medikamenten einerseits unklar, ob sie tatsächlich so wirken wie beworben, und andererseits unklar, ob ein Alternativmedikament nicht genauso gut oder schlecht hilft.

Darunter leidet auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das in Deutschland den Nutzen von Behandlungen bewertet. Die Mitarbeiter sehen sich durch die selektive Veröffentlichung und das Verhalten der Hersteller in ihrer Arbeit „massiv behindert“.

Liegt ein Medikament beim IQWiG zur Prüfung vor, fragt das Institut beim Hersteller bewusst auch nach unpublizierten Studien nach. Man bekam in den vergangenen Jahren bei 41 Prozent (15 von 37) der Anfragen keine oder nur unvollständige Unterlagen. Diese Art von Publikations-Verzerrungen sind mittlerweile gut bewiesen und begleiten gleichwohl weiterhin die ärztliche Verschreibungspraxis. Eine vom IQWiG im Rahmen einer Analyse 2010 veröffentlichte Liste gibt eine Ahnung von der Größenordnung.

(2) Schleppende Aufklärung

Um diesen Wissensverzerrungen entgegen zu wirken, sind in den letzten Jahren gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die den Zugang der Öffentlichkeit auch zu ungünstigen Forschungsergebnissen sicherstellen sollen. In Deutschland ist ein Studienregister in Freiburg eingerichtet worden. Das Problem: In diesem werden nur die sehr genauen Angaben zu den Rahmenbedingungen der Studien, nicht deren Ergebnisse veröffentlicht. Die Freiwilligkeit soll trotzdem greifen, weil die großen Fachmagazine Studien nur noch publizieren, wenn sie zu Beginn registriert worden sind.

Besser machten es die USA, deren FDA seit 2007 alle Hersteller verpflichtet, die auf den US-Markt wollen, gleich zu Beginn einer Studie dieser unter clinicaltrials.gov einzutragen – eine Art Geburtsurkunde im Netz. Seither kann zumindest nachgeprüft werden, welche Studien angeschoben wurden.

Allerdings müssen deren Ergebnisse nur als Zusammenfassung eingepflegt werden. Es bleibt unklar, wie genau die Studien verlaufen sind, ausführliche oder gar komplette Datensätze sind hier nicht zu finden. Dabei zeigt die in Teil 1 beschriebene Studienpraxis, dass nur die komplette Einsicht in die Protokolle Ungenauigkeiten und Fälschungen verhindern können.

Nach langen Jahren der Diskussion richtete die EMA 2004 ein elektronisches Register für alle von europäischen Pharma-Unternehmen durchgeführten Studien ein. Der Name: EudraCT. Es enthält heute die Datensätze von über 30.000 Studien, war aber lange nur Expertenkreisen zugänglich. Erst nach Protesten und Medienberichten wurde eine öffentliche Website (EudraPharm) freigeschaltet, die eine Teilmenge der Studien zeigt. In einem Brief an das British Medical Journal mit dem Titel „Still waiting for functional EU Clinical Trials Register“ bemängelte Beate Wieseler vom IQWIG fehlende Suchfunktionen in der Website.

In Deutschland ist seit der letzten Gesundheitsreform das Arzneimittelgesetz um einen Passus (§42b AMG) ergänzt worden, der zur Veröffentlichung aller Ergebnisse „konfirmatorischer klinischer Prüfungen“ binnen sechs Monaten nach der Zulassung eines neuen Medikaments unter PharmNet-Bund.de verpflichtet. Das klingt gut, ist aber ebenfalls unzureichend: Denn zum einen müssen keine älteren Studiendaten eingepflegt werden. Gerade diese wären aber notwendig, um einen Vergleich zu ermöglichen. Zum anderen müssen keine Studien übermittelt werden, die keine Zulassung erhalten haben. Dabei wären gerade diese von Interesse für die Forscherkollegen und Allgemeinheit.

Unglücklich ist zudem die Beschränkung auf „konfirmatorische“ Studien. Im Normallfall sind damit Studien der Phase III gemeint, Phase I und II sowie Pilot-Studien müssen also nicht gemeldet werden. Dabei wären gerade diese wichtig, um unnötige Doppelprüfungen von Arzneimittelkandidaten zu vermeiden. Aber für die Arzneimittelproduzenten ist die Zurückhaltung von Daten nicht nur ein Versuch, negative Ergebnisse zu verschleiern, sondern eine Strategie, den Mitbewerbern so wenig Wissen wie möglich zu überlassen.

Es ist nicht so, dass hier nur Patientengruppen und Medienvertreter den Zugang fordern. Auch Ärzte fordern seit längerem eine bessere Übersicht über die Studienlage, weil sie sich ein besseres Bild von Arzneimitteln machen wollen. Zuletzt hat der weltweite Verband der Bulletins und Fachzeitschriften (ISDB) gefordert, dass der Zugang zu Informationssystem und Datenbanken [für die Allgemeinheit geöffnet werden muss.

Insgesamt teilen sich die pharmazeutische Industrie und die Regulierungsbehörden das Wissen rund um die Wirkung von Arzneimittel und schließen die Öffentlichkeit, Patienten, aber auch die Ärzte in weiten Teilen aus.

Fragt man die Regulierer selbst nach den Gründen, warum Studiendaten geheim bleiben sollten, verweisen diese auf die Gefahr einer falschen Berichterstattung durch die Medien; diese könnten Daten missinterpretieren.

Dies ist sicher richtig, richtig ist aber auch, dass beispielsweise eine frühzeitige Einsicht in die Dokumente rund um den Grippeimpfstoff Tamiflu dessen Risiken und Nebenwirkungen offen gelegt und enorme Kosten gespart hätte. Aber der Hersteller Roche ist bis heute nicht bereit zentrale Daten zu der Substanz bereit zu stellen.

Nur ein Nebenschauplatz sind da die immer wieder bekannt werdenden Verquickungen zwischen EMA und Industrie. Zuletzt verließ der langjährige Leiter der Agentur, Thomas Lönngren, im Dezember 2010 seinen Posten, um im Januar 2011 seine Tätigkeit bei der NDA Group aufzunehmen, einer Beratungsfirma für die Pharmaindustrie. Dieser Austausch zwischen öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft ist kein auf die pharmazeutische Industrie beschränktes Phänomen, stößt aber hier aufgrund der Aufsichtsfunktion besonders auf.

Schneller Durchlauf

Im Normalfall ist die Arzneizulassung ein mehrjähriger Prozess. In besonderen Fällen genehmigen die Behörden in Europa und den USA eine Substanz auch schneller. Diese beschleunigten Beurteilungsverfahren werden dann angewendet, wenn eine Substanz verspricht besonders gut zu wirken oder erheblich weniger Nebenwirkungen zu haben.

So sinnvoll diese schnelle Zulassung in einigen Fällen auch sein mag, sie hat dazu geführt, dass es unsichere oder unwirksame Medikamente auf dem Markt schaffen. Durch Verschleppungstaktiken seitens der Hersteller fehlt für einige Medikamente sogar der vollständige Nachweis ihrer Wirksamkeit.

So wurde die Zulassung vom Wirkstoff Midodrin, der gegen Kreislaufstörungen helfen soll, von der FDA im September 2010 zurück gezogen, weil der Hersteller Shire nicht alle Studiendaten zur Verfügung stellen konnte. Später wurde Medikament wieder zugelassen, weil Shire das Nachreichen der Unterlagen zusicherte – was bis heute, Ende 2012, nicht geschehen ist. In Europa ist das Mittel trotz Bedenken weiter auf dem Markt. Eine ähnlich unklare Lage herrscht bei dem Wirkstoff Gefitinib, der Tumorwachstum hemmen soll.

Alltagstauglich

Nach der Zulassung eines Medikaments beginnt der eigentliche Großversuch an der Menschheit. Die EMA beobachtet die Risiken und Nebenwirkungen in der alltäglichen Anwendung, Ärzte und Gesundheitsbehörden melden etwaige Vorfälle mit Patienten. Diese verpflichtet den Hersteller im Bedarfsfall sodann eine neue, mögliche Nebenwirkung auf den Beipackzettel aufzunehmen. Aber auch hier hockt der Teufel im Detail, denn die Hersteller haben ein Mitspracherecht bei der Formulierung des neuen Textes. So kommt es immer wieder zu erheblichen Verzögerungen. So verhinderte 2008 ein Hersteller über Monate, dass eine Warnung der EMA zu einem Cholesterinsenker veröffentlicht wurde, weil er mit dem Wortlaut nicht einverstanden war.

Seine wahres Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum kann ein Medikament erst unter Routinebedingungen beweisen. Hier zeigt sich, wie der Wirkstoff bei Patienten wirkt, die beispielsweise aufgrund ihres Alters unter mehreren Krankheiten leiden und parallel andere Arzneimittel einnehmen. Der Beleg der Effektivität einer Substanz ist dadurch erheblich erschwert, denn Alltagseinflüsse drohen die Resultate zu verfälschen. Rund um dieses Feld hat sich erst in den letzten Jahren die Comparative Effectiveness Research etabliert. Diese Forschung ist von zentraler Bedeutung, weil die hochrelevantensystematischen Übersichtsarbeiten ebenfalls nur die Daten von klinischen Studien analysieren und deren immanente Probleme daher fortschreiben.

Wie sinnvoll solche vergleichenden Untersuchungen unter Alltagsbedingungen sein können, zeigt die ALLHAT-Studie. In ihr wurden zwischen 1994 und 2002 über 40.000 Patienten mit erhöhtem Blutdruck untersucht. Eine bis dahin etablierte Standardtherapie, nämlich die Behandlung mit Chlortalidon, wurde mit der Behandlung mit neueren Blutdruckmitteln (Doxazosin, Lisinopril und Amlodipin) verglichen. Ein zentrales Ergebnis der Studie war, dass bei Patienten im Alter von über 55 Jahren neuere Blutdruckmittel nicht besser wirken.

An dieser Stelle wird ein weiterer Fehler im System deutlich: Selbst wenn bereits eine oder mehrere Arzneimittel für eine bestimmte Krankheit auf dem Markt sind, bestehen die Zulassungsbehörden nicht darauf, dass ein neues Medikament besser wirken oder weniger Nebenwirkungen haben muss. Für die Markteinführung reicht aus, wenn die neue Substanz besser als ein Placebo wirkt. Diese Placebo-Studien sind nicht nur aufgrund der oben genannten Veröffentlichungsverzerrungen nur bedingt geeignet, den Nutzen zu beweisen. Nicht nur die ALLHAT-Studie zeigt, dass erst die vergleichende Analyse sinnvolle Bewertungen möglich macht.

(3) Der Fortschritt der pharmakologischen Wissenschaft lebt von der Veröffentlichung der Resultate und Meinungen

Die Organe dieser Wahrheitssuche sind die diversen medizinischen Fachblätter und Magazine. Je höher das Ansehen (impact-factor) eines Magazins, desto besser für den Autoren des Beitrags, desto besser aber auch für das studierte Arzneimittel.

Wie die Publikumszeitschriften auch leben viele dieser Magazine heutzutage weniger von ihren Abonnenten als von den geschalteten Werbeanzeigen. Jedes Jahr, so lautet die Schätzung von IMS Health, schaltet die Pharmaindustrie für rund eine halbe Milliarde US-Dollar in den Fachmagazinen. Alleine die anerkannten Magazine NEJM und JAMA erhalten mindestens 10 Millionen US-Dollar jährlich.

Dieser Einfluss auf die Unabhängigkeit der Medien setzt sich fort. Denn die Blätter leben nicht nur von Werbeeinnahmen, sondern auch vom Nachdruck ausgewählter Artikel, deren Inhalt die Studienergebnisse für ein bestimmtes Medikament hervorheben. Diese Nachdrucke wiederum werden im Bedarfsfall von dem Hersteller geordert. Mehr noch, einige Verlage entwickeln in Zusammenarbeit mit den Pharma-Herstellern eigenständige Werbe-Magazine, die wie wissenschaftliche Journale aussehen. Der Verlag steht mit seinem guten Namen für die Qualität und Innovation der Beiträge, die allerdings primär Arzneimittel des Kooperationspartners behandeln.

Ein augenfälliges Beispiel dieses Vorgehens kam 2009 ans Licht. Der unter Medizinern anerkannte Elsevier Verlag hatte im Auftrag des Pharma-Konzerns Merck Inc. (nicht zu verwechseln mit Merck) mehrere Zeitschriften herausgebracht, unter anderem das „Australasian Journal of Bone and Joint Medicine“. Sie waren wissenschaftlichen Journalen äußerst ähnlich, bestanden aber nicht aus den sonst üblichen peer-reviewed Artikeln.

Es existieren weitere Hinweise darauf, dass die finanzielle Abhängigkeit der medialen Gralshüter das gesamte System wissenschaftlich fundierter Informationsvermittlung unterminiert. 2011 veröffentlichte eine deutsche Forschergruppe einen Aufsatz, in dem sie der Frage nachgingen, ob die Einkommensquelle deutscher Fachblätter Auswirkungen auf deren Arzneimittelempfehlungen hat. Es zeigt sich, dass kostenlose Journale (Ärztezeitung, Der Hausarzt, Medical Tribune, Der Allgemeinarzt) eher zu Empfehlungen von Substanzen tendieren, die von Journalen, die primär durch die Leserschaft finanziert werden, eben gerade nicht empfohlen wurden. Aber während die genannten kostenlosen Magazine mit Auflagen zwischen 50.000 und 67.000 in den Praxen der Republik verteilt werden, erscheinen Abo-Magazine wie das arznei-telegramm, Der Arzneimittelbrief und die Zeitschrift für Allgemeinmedizin mit einer Auflage zwischen 3.000 und 14.000 Stück.

Die Geister, die ich rief…

Die Qualität der Beiträge in den Magazinen leidet zudem unter Ghostwriting. Medizinische PR-Beratungsfirmen wie DesignWrite stellen gesamte Artikel oder wichtige Teile wie statistische Analysen zur Verfügung. So erarbeiten Auftraggeber, Beratungsfirmen und Autoren zusammen Fachartikel, die mehr oder mindern unauffällig die Vorteile einer neuen Anwendung postulieren.

Richard Horton, ehemaliger Herausgeber des Lancet, sprach gegenüber dem britischen Unterhaus von einem „Standardinstrument“, die Journale mit Ghostwriter-Editorials, Rezensionen, Reviews und Artikeln zu beglücken. Seltsamerweise ist noch nie ein Autor dafür belangt worden, dass er seinen Namen für einen Beitrag zur Verfügung gestellt hat, den er selbst gar nicht geschrieben hat.

Ghostwriting nachzuweisen ist schwierig, meist sind es Einzelfälle, die bekannt werden. Das letzte prominente Beispiel ist der Fall des anerkannten Osteoperose-Experten Robert Lindsay, dem vorgeworfen wird, über Jahrzehnte eng mit verschiedenen Pharma-Unternehmen zusammen gearbeitet zu haben.

Um dem Phänomen empirisch näher zu kommen, wählten 2011 Forscher eine repräsentative Auswahl von Artikeln in sechs der führenden medizinischen Fachblätter und kontaktierten alle deren rund 900 Autoren. Acht Prozent waren danach fremdbestimmt geschrieben worden, die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein. Bereits Ende der 90er Jahre hatte die Cochrane Organisation darauf hingewiesen, dass ihre Analyse von Fachartikeln Hinweise auf neun Prozent Ghostwriting und 39 Prozent „gift-autorship“, also die Bereitstellung des Namen in einem Autorenkollektiv, gefunden habe.

Es wäre naiv anzunehmen, dass finanziellen Bindungen zwischen Autoren und pharmazeutischer Industrie nicht Auswirkungen auf den Inhalt der Aufsätze und Artikel hat. Und auch das wurde mittlerweile mehrfach nachgewiesen. Eine Studie untersuchte beispielsweise die Abhängigkeit von positiver Einschätzung von Calciumkanalblocker durch wissenschaftliche Autoren und deren ökonomischen Beziehungsgeflecht. Ihr Fazit: „Unsere Ergebnisse zeigen einen starken Zusammenhang zwischen den von Autoren veröffentlichten Positionen zur Sicherheit von Calcium-Kanal-Antagonisten und ihren finanziellen Beziehungen zu den Arzneimittelherstellern.“

Interessanterweise trägt der Erfolg der in Teil 1 beschriebenen Auftragsforschungsinstitute zur Ausbreitung von Ghoswriting bei. Denn die CROs spalten klinischen Studien in ihre Bestandteile auf, um diese von unterschiedlichen Personen und Teams bearbeiten zu lassen. Autorenschaft und die Publizierung in wissenschaftlichen Organen haben dabei keine Priorität, die Karriere des zuständigen Mitarbeiters hängt nicht an der Veröffentlichung von Beiträgen in möglichst hoch bewerteten Journalen ab. Das Outsourcing auch dieses Prozesses bietet sich an.

Insgesamt ist bei aller Flut von medizinischen Arzneimittelstudien der wahre, evidenzbasierte Wissensstand über Medikamente ungenügend. Die traditionelle Kontrolle von Aufbau, Durchführung, Analyse und Nachbereitung klinischer Studien funktioniert unter den Bedingungen des modernen Marktes nicht mehr. Negative Studiendaten werden unterschlagen, Fachmagazine und Autoren in Abhängigkeit gebracht, Behörden in Grabenkämpfe verwickelt. Die pharmazeutische Wissenschaft droht sich vom Wahrheitsfindungsprozess abzukoppeln, weil auch sie im System allgegenwärtiger Rationalisierung, Ökonomisierung und Globalisierung agieren muss.


Teil 3 behandelt das Pharma-Marketing und umreißt Strukturen eines optimierten Zulassungs- und Kontrollsystems.

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Gesundheitssystem

Arzneimittel – der kontinuierliche Skandal, Teil 1

telepolis, 27.12.2012

Über Studiendesign, beauftragte Institute und geistiges Eigentum

Jörg Auf dem Hövel

Die verschiedenen Bestandteile des Systems der Arzneimittelzulassung und Kontrolle sind degeneriert und ihrer ursprünglichen Funktionen beraubt worden. Dies betrifft sowohl Design und Vollzug der klinischen Studien am Patienten, als auch die Kontrollmacht der Wissenschaftsorgane und Regulierungsbehörden. Einblicke in eine kranke Welt, die uns gesund halten soll.

Bevor ein Medikament verschrieben werden darf, muss es eine ganze Reihe von Hürden nehmen. Zunächst wird im Tierversuch die Verträglichkeit des neuen Wirkstoffs getestet. Erst darauf folgt in einer sogenannten „klinischen Studie“ (Phasen I-IV) die Anwendung am Menschen. Der Wirkstoffhersteller finanziert den gesamten Prozess und ist naturgemäß an der Markteinführung interessiert. Aus diesem Grund unterliegt das Design dieser Studien einerseits einer Kontrolle durch Ethikkommissionen, andererseits läuft es immer Gefahr, so entworfen zu werden, dass positive Ergebnisse heraus kommen.

Über die letzten Jahre ist durch wissenschaftliche Analysen, investigative Recherche und Whistleblower immer deutlicher geworden, dass der Output dieser klinischen Studien extrem fehlerbehaftet ist. Mehr noch, ein großer Anteil von Studien, deren Ergebnisse dem Auftraggeber nicht zusagen, wird erst gar nicht veröffentlicht.

Überspitzt könnte man formulieren, dass für den überwiegenden Anteil aller auf dem Markt befindlichen Medikamente nicht fest steht, wie wirksam sie tatsächlich im Vergleich zu anderen (pharmakologischen) Therapiemaßnahmen sind.[1] Die Ursachen sind vielfältig:

 

  • Für viele Forscher ist die Unterzeichnung eines Vertrages Normalzustand, in dem sie sich verpflichten, die Ergebnisse geheim zu halten, bevor der Auftraggeber die Genehmigung zu Veröffentlichung erteilt. In einigen Verträgen behalten sich diese auch das Recht vor, die Studie zu jedem Zeitpunkt abbrechen zu dürfen. Auch den Studienteilnehmern, also den Patienten, steht oft nicht das Recht zu, die Ergebnisse einzusehen.
  • In den meisten Fällen ist das Design so ausgelegt, dass das neue Arzneimittel seine Wirkung nur gegenüber einer Placebo-Pille und nicht gegenüber einem bereits auf dem Markt befindlichen Medikament beweisen muss. Dieses Vorgehen legt die Latte niedrig. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Tatsache bedenklich, dass der Anteil der Placebo-Responder, also derjenigen Probanden, die auf einen Placebo positiv reagieren, aus noch nicht genau bekannten Gründen gerade bei den Psychopharmaka immer höher] wird.
  • Eine andere Variante ist es, zwar ein Konkurrenzprodukt zum Vergleich heranzuziehen, dieses aber in zu hoher oder niedriger Dosis zu verabreichen.
  • Teilweise sind die Versuchsgruppen zu klein, um verallgemeinerbare Ergebnisse zu erhalten.
  • Über die Auswahl der Teilnehmer werden die Ergebnisse präformatiert. Denn oft sind Studienteilnehmer gesünder als die späteren, realen Patienten, im Regelfall sind sie zudem mit weniger Begleiterkrankung belastet. Die Wirksamkeit der Testsubstanz stellt sich dadurch besser dar.
  • Die primären Endpunkte (beispielsweise der komplette Rückgang der Erkrankung) werden nachträglich geändert. Eine Dateianalyse zeigt dies beispielsweise für das Antiepileptikum Gabapentin. Wie üblich war knapp die Hälfte der jemals durchgeführten klinischen Studien zu Gabapentin nie veröffentlicht worden. Für 12 veröffentlichte Studien überprüften die Autoren nun, ob die in den internen Dokumenten im Vorwege gesetzten Endpunkte mit den späteren übereinstimmten. Aber von den 21 genannten Endpunkten erschienen später nur elf. Sechs wurden ganz unter den Tisch fallen gelassen, weitere vier wurden plötzlich zu sekundären Endpunkten.
  • Ein ähnliches Vorgehen attestierten Statistiker klinischen Studien schon 2004. Das Centre for Statistics in Medicine in Oxford nahm 102 klinische Studien unter die Lupe, deren Ergebnisse in 122 Fachmagazinartikeln veröffentlicht wurden. Über die Hälfte der Endpunkte war, glaubt man der Analyse, unzureichend wiedergegeben und fast zwei Drittel hatten im Verlauf ihren primären Endpunkt verändert.
  • Mehrere Endpunkte werden so kombiniert, dass undeutlich ist, das ein vergleichsweise unwichtiger Endpunkt den größten Beitrag geleistet hat.
  • Es werden mehrere Endpunkt gewählt, in der späteren Analyse werden aber nur die mit positiven Ergebnissen genannt.
  • Weil messbare und klar defininierte Endpunkte oftmals schwer zu erreichen sind, werden Ersatz-Messwerte (med. Surrogat-Marker) herangezogen, von denen ein Zusammenhang zu Krankheit vermutet oder aus früheren Untersuchungen als bewiesen gilt. Ein Beispiel hierfür ist die Verringerung der Chance von Herzinfarkten durch das Senken des Cholesterinwerts mit Hilfe von Statinen. Inzwischen reibt man sich an diversen, lange als gesichert geltenden Erkenntnissen, die durch Surrogat-Marker gewonnen wurde, denn es ist bekannt, dass ein statistischer Zusammenhang nicht unbedingt eine Kausalität anzeigt und zudem Ausbruch und Verlauf von Krankheiten von diversen Einflüssen abhängen.
  • Es werden Subgruppen aus der Untersuchungseinheit heraus gelöst, bei denen das Medikament gewirkt hat. Damit werden Hypothesen erst nach der Datenerfassung gebildet.
  • Die Aussteiger aus der Studie werden in der späteren Analyse ignoriert.
  • Eine weitere Möglichkeit ist es, eine Studie früher als geplant abzubrechen, weil die bis dahin gewonnenen Daten positiv sind. Eine systematische Übersichtsarbeit von der McMaster Universität in Kanada kam 2005 zu dem Ergebnis, dass sich die Anzahl der abgebrochenen Studien seit 1994 verdoppelt hatte.
  • Es wird nicht beides, relativer und absoluter Nutzen einer Arznei angegeben. Das geschieht vor allem deswegen, weil Studien gezeigt haben, dass ein relativer Nutzen gerne überschätzt wird.

 

Im Gesamtbild ergibt die Liste eine Beantwortung auf die Frage, warum klinische Studien, die durch den Hersteller der Substanz finanziert werden, zu signifikant besseren Ergebnissen führen.

Aufragsforschungsinstitute: CROs

In den USA von der dortigen Zulassungsbehörde FDA genehmigten Arzneimittel dominieren seit dem 2. Weltkrieg den globalen Markt der Medikamente. Im Rahmen von Harmonisierungsmaßnahmen wurden seit den 50er Jahren die FDA-Reglementierungen von vielen Ländern übernommen, sie bilden daher bis heute die Basis der weltweiten Arzneimittelzulassungspraxis.

Lange Zeit wurden klinische Studien für Arzneimittel primär an Universitätskliniken und den damit verbundenen, sogenannten Academic Health Center (AHC) oder Zentren für klinische Studien in den USA und Europa durchgeführt. Diese hatten selbst Interesse an der Forschung, die Durchführung wurde aber schon immer in mindestens 2/3 aller Fälle von der pharmazeutischen Industrie finanziert.

Die Aufgrund von Arzneimittelskandalen und Patientenschutzerwägungen verschärften Zulassungsmodi führten dazu, dass sich der Prozess bis zur Markteinführung eines Medikaments zum Leidwesen der pharmazeutischen Industrie immer mehr verlängerte. Im Rahmen der Globalisierung und der entdeckten Vorteile des Outsourcing entstanden in 80er Jahren sogenannte Auftragsforschungsinstitute (Contract Research Organization, CRO), die heute weltweit Arzneimittelstudien in all ihren Phasen durchführen. Weithin unbeachtet von der Öffentlichkeit (eine Geschichte der CROs liegt bis heute nicht vor) wurde Wissenschaft dadurch privatisiert und kommerzialisiert. Diese Entwicklung hat sich verfestigt und dabei nicht nur die Arzneimittelforschung revolutioniert, sondern auch die Wissensproduktion und Publikationskultur radikal verändert.

Die Regierungen drängen seit den 1980er Jahren nicht nur in Deutschland auf eine enge Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft und öffentlichen Sektor. Man hofft auf Innovationen und gesenkte Kosten. Zudem sind die CROs Teil einer übergreifenden Entwicklung, die die Neuordnung des geistigen Eigentums, des Wandels der Wissensproduktion und des Ghostwriting umfasste.

Das Durchführen von klinischen Studien in CROs dekonstruiert das bis dahin übliche Studiendesign in seine Einzelteile und legt es in unterschiedliche Hände. Die nun zuständigen Beteiligten, seien es Patientenanwerber, Betreuer oder Statistiker sind nur dem Auftraggeber verpflichtet und in keiner Weise mehr an die Belange der medizinischen Wissenschaft gebunden. Die Studienprotokolle sind primär auf die optimale Kontrolle einer zügigen Arzneimittelentwicklung ausgelegt. Das Teilen der Erkenntnis ist sekundär, mehr noch, ob die Daten veröffentlicht werden wird endgültig von der Industrie bestimmt.

2008 stellten Wissenschaftler vom MIT fest (Artikel), dass der überwiegende Teil (66%) der klinischen Forschung nach wie vor in den klassischen Ländern stattfindet. Das wird nicht so bleiben. Die Marktforscher von Frost & Sullivan prognostizieren dem asiatischen CRO-Markt einen jährliche Wachstumsrate von 20% und spätesten 2015 Erlöse von 2,5 Milliarden US-Dollar im Jahr. Hierbei stechen Indien und China hervor, deren Regierungen bemüht sind beste Bedingungen für die Arbeit der CROs zu schaffen. Die Industrie kalkuliert mit den „Kosten pro Patient“, diese sollen in diesen Ländern um zwei Drittel niedriger sein.

Wichtiger noch ist aber die weitaus schnellere Abwicklung der Studien, womit sich der gesamte Zulassungsprozess beschleunigen lässt. Die Vereinigung der CRO-Unternehmen (ACRO) stellt aktuell auf ihrer Website dar, dass von ihren Mitglieder bereits 2009 über 9.000 Studien mit 2 Millionen Teilnehmern in 115 Ländern durchgeführt wurden.

Die Problemfelder solcher Studien sind virulent: Analphabeten müssen die Einwilligungserklärungen vorgelesen werden, unterschrieben wird mit Daumenabdruck. Im Schlepptau der CROs reisen die Beamen der Zulassungsbehörden an, um das korrekte Vorgehen vor Ort zu überprüfen – ein schwieriges Unterfangen.

Damit ist die Rolle der Ethikkommissionen angesprochen, die jede klinische Studien begleiten, um Schaden von den Patienten abzuwenden. Diese sind im Normalfall den Institutionen zugeordnet, in denen die klinischen Studien stattfinden. Der pharmazeutischen Industrie waren und sind diese Kommissionen ein Dorn im Auge, nicht zuletzt weil sie langsam arbeiteten und ausführliche Regelwerke aufstellten. Um den Prozess der Zulassung zu beschleunigen und auch kleineren Forschungsinstituten wie den CROs die Forschung zu ermöglichen, genehmigte die FDA 1981 auch privatwirtschaftlich organisierte IRBs. So entstanden bioethische Beratungsfirmen, die, so zeigten nachfolgende Analysen (Parexel Sourcebook), die Forschungsanträge erheblich schneller bearbeiteten.

Es wäre interessant zu erforschen, ob CRO-Arzneimittelstudien in Asien und Afrika systematisch zu anderen Ergebnissen kommen. Aber auch dies ist durch das Arkan-Verhalten von Industrie und Regulierungsbehörden zur Zeit nicht möglich. Es ist nicht einmal bekannt, wie viele Studien teilweise oder vollständig in Asien, Indien oder Afrika durchgeführt wurden. Weder die FDA noch die EMA verpflichten die Hersteller zu dieser Angabe.

Um zumindest die technische Qualität zu gewährleisten, bemüht sich ein Zusammenschluss von Regulierern und Industrie (International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use) um die Harmonisierung der Rahmenbedingungen in globalisierten Studien. Wie Arzneimittel in verschiedenen Populationen wirken, ist nicht nur eine genetische, sondern auch kulturelle Frage. Von den ethischen Erwägungen ganz zu schweigen, die solche Studien aufwerfen. In den Industrieländern fällt es den Pharma-Herstellern schwer, überhaupt noch unbehandelte, nicht mit diversen Arzneimittel-Vorerfahrung gesegnete Probanden zu finden. In anderen Regionen der Welt treibt dagegen die Armut die Probanden in die Labors.

Ein neuer Weg zu geistigem Eigentum: MTAs

Der Erfolg der Auftragsforschungsinstitute hängt mit einem weiteren Faktor zusammen. Seit die Patentierung von lebenden Organismen möglich ist, haben biopharmazeutische Firmen beispielsweise Patente auf Zell-Rezeptoren zugesprochen bekommen. Damit ist die Nutzung dieses Rezeptors reglementiert, nicht nur als pharmazeutisches Produkt, sondern auch als Forschungsinstrument.

Ein solcher Rezeptor könnte beispielsweise dabei helfen, bis dato unbekannten Hormone zu entdecken. Wer diesen Rezeptor für solche Screenings nutzen will, muss Gebühren an den Patentinhaber zahlen. Diese „lebenden Forschungsinstrumente“ stellten sich als lukrative Geldquelle für kleine und biopharmazeutische Firmen heraus. Zugleich wurden sie aber zu einem Instrument der Geheimhaltung. Wissenschaftler an Universitäten hatten sich bislang solche Rezeptoren kostenlos gegenseitig zur Verfügung gestellt. Für die Industrie ein unhaltbarer Zustand, denn damit konnte im Zweifelsfall auch die Konkurrenz von diesen Forschungsinstrumenten profitieren.

Um eine noch größere Kontrolle über Forschungsergebnisse zu erlangen, entwarfen biotechnischen Firmen und CROs eine juristische Konstruktion mit Namen „materials transfer agreement“ (MTA). In diesen Verträgen werden die Bedingungen geregelt, unter denen Dritten biologische Materialien (Zellen, Antikörper, Rezeptoren, usw.) überlassen werden dürfen. So wird genau festgeschrieben, was ein Dritter mit dem Material überhaupt anstellen darf, wer für etwaige Schäden haftet und vor allem, wie bei Erfindungen und Veröffentlichungen in Fachblättern zu verfahren ist.

Was harmlos klingt, hat nach Ansicht einiger Wissenschaftler zu einer Blockade medizinischer Forschung geführt. CROs und MTAs sind danach komplementäre Instrumente: Dem Auftragsforschungsinstitut wird vertraglich untersagt, geistiges Eigentum zu behalten, der einzelnen Wissenschaftler wird davon abgehalten, geistiges Eigentum zu finden. Im Ergebnis haben die Pharma-Hersteller die Kontrolle über fast jeden Aspekt der klinischen Arzneimittelforschung.


Teil 2 behandelt die schwindende Macht von Behörden und wissenschaftlichen Fachblättern sowie den Zugang zu Studiendaten.

Teil 3 versucht Bestandteile eines optimierten Zulassungssystems zu entwerfen.


Ben Goldacre hat ein erhellendes Buch zu dem Themenkomplex mit dem Titel „Bad Pharma“ geschrieben. Eine unbedingte Empfehlung!