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Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Bremer Suchtforscher Heino Stöver

Hanfblatt, Nr. 1006, März 2007

„Die Verelendungsprozesse hören nur durch die Vergabe von Methadon oder Heroin nicht auf“

AZ & AdH

Die Diskussion um den Umgang mit Genießern von psychoaktiven Substanzen wird weitestgehend vom präventiv-prohibitiven Ansatz dominiert. Aus dieser Perspektive scheint gar nichts anderes denkbar, als die irregeleiteten Jugendlichen und Erwachsenen auf den rechten Weg eines drogenfreien Lebens zurück zu führen. Oder existieren Alternativen? Ende der Achtziger Jahre hat sich die sogenannte „akzeptierende Drogenarbeit“ aus der Kritik an der nur auf Abstinenz ausgerichteten etablierten Drogenarbeit entwickelt. Diese zielte auf eine Änderung des Lebensstils und der Persönlichkeit abhängiger Drogengebraucher mit Hilfe justitiellen Zwanges ab. Die repressive Drogenpolitik, so die These der akzeptierenden Drogenarbeit, sei jedoch maßgeblich für die Lebens- und Konsumbedingungen der Drogengebraucher verantwortlich, die zu Verelendungsprozessen führen würden. Man forderte folgerichtig die Entwicklung sogenannter „niedrigschwelliger Ansätze“, wie von Sozialarbeitern geführte Szene-Cafes, Konsumräume und Übernachtungsstätten sowie die Begleitung für ihren exzessiven Drogenkonsum bekannter Techno-Parties. Zudem sollten Opiate oder Ersatzdrogen wie Methadon von Ärzten verschrieben werden können. Einiges von den Vorstellungen dieses in dieser Form neuen drogenpolitischen Ansatzes wurden bis heute realisiert.

Heino Stöver, Professor an der Universität Bremen, hat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet. Im Gespräch geht es um Erfolge und Niederlagen der akzeptierende Drogenarbeit, Opiatabhängigkeit und Beikonsum sowie fehlende Zukunfts-Visionen.

Frage: Professor Stöver, was würden Sie aus heutiger Sicht als die Erfolge der akzeptierenden Drogenarbeit verbuchen?

Heino Stöver: Man hat auf der fachlich-helferischen Seite einige gute Angebote implementiert. Zum einen erreicht die Schwerpunktgruppe der Opiatkonsumenten eine Substitutionsbehandlung, die heute etwa 70.000 Menschen umfasst. Ich erinnere mich, dass die Ärzte früher, bevor sie unseren Kontaktladen betraten, nach links und rechts schauten, ob sie jemand erkennt. Heute ist das dagegen eine Standard-Behandlung, die aber hinsichtlich ihrer Qualität und auch Quantität noch weiterentwickelt werden muss. Zum anderen existieren die Konsumräume, die ein wichtiges Instrument in der HIV und Hepatitis-Prävention sind. Drittens gibt es eine flächendeckende Abgabe von Einwegspritzen. Nachgeordnet muss man die „Safer-Use“ und „Safer-Sex-Kampagnen“ nennen, die ebenfalls zu einer positiven Bilanz beitragen.

Frage: Und auf gesellschaftlicher Ebene?

Heino Stöver: Wenn man akzeptierende Drogenarbeit auch als etwas politisch-gesellschaftliches begreift und damit die Akzeptanz eines Lebensstils von Menschen anspricht, die gewisse Drogen anderen vorziehen, dann hat man bisher wenig erreicht. Schon vor dem Hintergrund einer allgemeinen Drogenfeindlichkeit ist die Akzeptanz von Drogengebrauchern gering. Beispielsweise war die Diskussion um Cannabis vor zehn Jahren viel fortgeschrittener als heute. Da gibt es Wellenbewegungen, und heute befindet man sich offensichtlich wieder einmal in einem Tal.

Frage: Derzeit befindet sich die akzeptierende Drogenarbeit offensichtlich auf dem Rückzug. Fixerstuben werden geschlossen, Heroin-Verschreibungsmodelle beendet und psychosoziale Betreuungen reduziert. Unter der Vorgabe von verstärkter Qualitätskontrolle haben Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse in den Projekten eingesetzt. Therapeutische Ansätze und Zielorientierung mit Zwangsmaßnahmen werden in überarbeitete Konzepte aufgenommen und durchzusetzen versucht. Von Niedrigschwelligkeit und Suchtbegleitung, zwei wesentlichen Standbeinen der akzeptierenden Drogenarbeit, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die entsprechenden Projekte möchten das positiv besetzte Etikett der akzeptierenden Drogenarbeit offiziell jedoch nicht abgeben. Welche Faktoren sind für diese Krise, wenn man sie nicht letztendlich gar als Scheitern der akzeptierenden Drogenarbeit sehen will, verantwortlich?

Heino Stöver: Sie beschreiben die Eigendynamik einer Bewegung sehr gut, die auf allgemeines gesellschaftliches Wohlwollen stieß, weil angesichts der damaligen AIDS-Krise klar war, dass etwas geschehen muss. Die angeschobenen Projekte haben dazu beigetragen die AIDS-Epidemie einzudämmen. Heute haben wir bei den HIV-Neuinfektionen nur noch neun Prozent, die sich über Spritzen anstecken. Sehr viel weniger als vor 20 Jahren befürchtet. Aber durch den Erfolg sind immer neue Organisationen gewachsen, es entstanden Institutionalisierungs- und Hierarchisierungsprozesse, die Verlockungen auf Pfründe waren groß. Der Ursprungsgeist, das ist vollkommen richtig, ist verblasst. Dazu kommt, dass nach der AIDS-Krise die bis heute andauernde Hepatitis-Welle völlig unterschätzt wurde. Etwa 60-90 Prozent aller Opitatkonsumenten sind HCV-positiv. Da hat offenbar etwas nicht geklappt.

Frage: Hepatitis ist kein öffentliches Thema.

Heino Stöver: Ich selber war ja in der Praxis bis Mitte der 90er Jahre und schon da ist mir aufgefallen, dass wir unsere HCV-Broschüren eher pflichtschuldig schreiben. HCV ist eine graue Krankheit, es fehlt das absolut tödliche, sie hat nie die Schubkraft erfahren wie HIV/AIDS. Dort waren große Stars erkrankt, die gay community nahm sich des Themas an. Rund 8000 Neuinfektionen mit Hepatitis-C jährlich und rund 2000 mit HIV jährlich zeigen aber die Relevanz des Themas. Völlig unterbelichtet blieb auch, dass sich der Knast zum unabhängigen Prädiktor für HCV-Infektionen entwickelte. In der Haft ist die Chance, sich mit HCV zu infizieren, groß. Trotzdem kam es auf politischen Druck zum Abbau der Spritzenautomaten in den wenigen Gefängnissen die solch ein Angebot überhaupt realisierten. Die Projekte stagnieren, organisationssoziologisch formuliert haben Erstarrungsprozesse eingesetzt. Und in die Politik wurde die Nachricht nicht genügend transferiert.

Heroin Werbung von Bayer USA

Frage: Wo kann frischer Wind für die akzeptierende Drogenarbeit herkommen?

Heino Stöver: Da habe ich keine Antwort. So eine Schubkraft kann man nicht alle zwanzig Jahre entwickeln. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist gesättigt. Für einzelne Bereiche gilt es sich mit aller professionellen Kraft gegen das Vergessen zu wehren. Das ist aber nichts visionäres, was als Leuchtbild vorangehen kann. Schaut man auf die Geschichte der akzeptierenden Drogenarbeit haben ja Anfang der 80er Jahre Leute aus den sozialistisch orientierten Gruppierungen ihre alten, politischen Visionen am Drogenthema abgearbeitet. So konnten gesellschaftliche Prozesse in Frage gestellt werden. Anti-Psychiatrie, Patientenschutz, Verbraucherschutz, alles Themen, die heute noch aktuell sind. Diese Generation hatte eine Vision von einem gesellschaftlichen Umbau, eine Vision, die der Generation von heute zumeist abgeht.

Frage: Eines der großen Probleme in der akzeptierenden Drogenarbeit ist der Umgang mit dem sogenannten „Beikonsum“. Wenn man von Drogenabhängigen spricht, dann meint man in der akzeptierenden Drogenarbeit Menschen, die am liebsten Heroin konsumieren und die Finger nicht davon lassen können. So wird das Heroin zum Maß aller Dinge gemacht. Alles was sonst noch konsumiert wird, wird dann zum „Beikonsum“. Die Grundthese lautet: Wenn ein aus der Bahn geratener Heroinkonsument nur genügend qualitativ hochwertiges Heroin zu einem günstigen Preis erhält und unter hygienischen Bedingungen konsumieren kann, dann steht ihm nichts mehr im Wege wieder ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Man kann sicherlich gelten lassen, dass für die Mehrzahl der Opiatgebraucher die leichte Verfügbarkeit von Opiaten erst einmal eine Erleichterung darstellt. Wer jedoch einen süchtigen Lebensstil geführt hat, ist oft nicht mit der Aufrechterhaltung seines Drogenpegels zufrieden. Die viel gepriesene Eröffnung von Lebensperspektiven und einer klareren Sicht wirkt gerade auf die besonders problematisch konsumierenden Drehtürklienten eher deprimierend. Hier kommt der erwähnte Beikonsum ins Spiel. Ohnehin wurde schon im Vorfeld oft alles Mögliche sonst noch konsumiert. Dauerkiffen, Saufen, Benzodiazepine einwerfen und vor allem Kokainkonsum, insbesondere in rauchbarer Form, bringen betreuende Sozialarbeiter zur Verzweiflung. Gerade der exzessive Kokainkonsum und die Schwierigkeiten im Umgang mit durchgeknallten Kokain-Basern stellen den akzeptierenden Umgang in Frage. Auf der einen Seite meint man zwar noch, man müsste sich auf das Niveau dieser Klientel herab begeben und versuchen, die schlimmsten gesundheitlichen und sozialen Auswüchse deren Verhaltens abzufedern, andererseits denkt man mittlerweile offen über Zwangsmaßnahmen nach. Welche Ansätze zum Umgang mit der Problematik des sogenannten Beikonsums erscheinen derzeit sinnvoll?

Heino Stöver: Zum ein muss man sich aus den idealtypischen Vorstellungen lösen, was Substitutionsprogramme leisten können. Selbst bei der Verschreibung von reinem Heroin hing man und auch ich lange Zeit einem mechanistischen Bild nach. Nach dem Motto: „Wenn nur genügend Methadon, dann geht es allen Betroffenen gleich besser, die Kriminalität wird reduziert und die Prostitution nicht mehr nötig.“ Die Wirklichkeit hat in den letzten zwanzig Jahren gezeigt, dass das so einfach nicht funktioniert. Auf dem Wege Betäubung herzustellen gehen die Menschen viele Wege um sich aus der Wachbewusstseins-Gesellschaft auszuklinken. Die Verelendungsprozesse hören halt nur durch die Vergabe von Methadon oder auch Heroin nicht auf. Anfang der 90er Jahre gab es die „Roche-Phase“, da schliefen die Leute im Stehen ein. Viele Ärzte und Berater sind heute auf der Gratwanderung zu entscheiden, was selbst gewählter Lebensstil und was Krankheit ist. Antworten hat da momentan keiner, wie man mit den Opiatabhängigen, die zusätzlich noch Crack oder Kokain konsumieren, umgeht. Klar ist nur allen, das man die Brücke nicht abreißen lassen will, Schadensminimierung ist das Ziel. Einerseits macht Crack enorm abhängig, andererseits scheint es doch Konsummuster und Kontrollregeln zu geben, die den Konsum unterbrechen lassen.

Frage: Selbst viele Kokainkonsumenten, gerade wenn sie über die Erfahrung des Rauchens mit ihrem geringen Belohnungs-, aber hohen Gierfaktor verfügen, können sich eine freie Verfügbarkeit von Kokain, also eine Legalisierung, nicht als positive gesellschaftliche Perspektive vorstellen. Wie soll die Gesellschaft generell mit Kokain und seinen Konsumenten umgehen?

Heino Stöver: Die Frage ist wichtig, wird aber nicht diskutiert. Bei Heroin hat sich die Gesellschaft geeinigt, dass die Substanz krank macht, bei Kokain werden hedonistische Motive unterstellt. Ich kann mir nur eine ärztliche Verschreibung von Kokain vorstellen. Mag idiotisch klingen, aber wenn es zunächst darum gehen soll den Menschen zu helfen, dann kann diese ärztlich kontrollierte Abgabe helfen. Global gesehen hat das Verbot ohnehin mehr Nachteile als Vorteile. Ewig wird man keine Flugzeuge in die Erzeugerländern schicken können um dort die Plantagen zu entlauben. Vielleicht wäre ein fairer Handel die bessere Variante. Aber niemand setzt sich wirklich mit alternativen Kontrollmodellen auseinander, dabei wird uns das Thema in den nächsten Jahren beschäftigen.

Frage: Zur nächsten Frage und dem Cannabis und seinem Konsum: Ein Grundproblem scheint zu sein, dass ein ehrlicher Dialog über Cannabis nicht möglich ist, weil praktisch alle Beteiligten vom Sozialarbeiter über die Strafverfolgungsbehörden und Politiker über Cannabishändler bis zu Buchautoren und Growshop-Besitzern kommerzielle Interessen vertreten, Selbstvermarktung betreiben müssen und Rechtfertigungszwängen unterliegen. Eltern folgen in Angesicht des vielleicht auch nur vermeintlich renitenten Verhaltens ihrer Sprösslinge den Gesetzen von Ohnmacht und Überreaktion. Ein Dilemma, dass derzeit unlösbar erscheint. Wie könnte Ihres Erachtens der Weg zu einem ehrlichen und offenen Dialog bezüglich der Umgangsformen mit Cannabis aussehen? Wäre eine Entkriminalisierung der Cannabisgebraucher ein Schritt, der auch den Konsumenten, einen ideologieärmeren und selbstkritischeren Umgang erlauben würde?

Heino Stöver: Natürlich brauchen wir einen offeneren und ehrlicheren Dialog. Das sehen wir an den Anti-Cannabis Kampagnen, die immer mal wieder angestoßen werden. Dabei zeigt die kritische Epidemiologie, dass das Einstiegsalter nicht gesunken ist und auch die gestiegene Verbreitung des Cannabiskonsums ist nicht so klar und eindeutig wie das gerne dargestellt wird. Das Bild, das IFT und BzgA gezeichnet haben, wird durch unsere Untersuchung (1) gebrochen. Plötzlich aber gab es eine Hysterie, angestoßen wohl durch das Titelblatt des Spiegels „Seuche Cannabis“, und das bei einem Thema was schon gegessen schien. Die Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer hat schon vor zehn Jahren weitergehende Beschlüsse gefasst und wollte einen Modellversuch in Schleswig-Holstein mit Cannabis in Apotheken durchführen. Letzter Ausfluss der neuen, aus meiner Sicht unehrlichen, Anti-Bewegung sind die Studien von Rainer Thomasius von der Universität Hamburg. So wird alle paar Jahre die Cannabis-Sau durchs Dorf getrieben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, welche Hilfe- und vor allem Entdramatisierungs-Angebote ich den Eltern und Betroffenen gebe. Aber es wird lieber dem freien Markt überlassen, die Folgen sind klar: Es wäre der ein dummer Geschäftsführer, der jetzt keine neue Cannabis-Beratung anbietet. Ein offener Dialog wäre dagegen nur möglich, wenn zumindest erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 umgesetzt würden eine einheitliche Regelung für die „geringe Menge“ zu finden. Es braucht von oberster politischer Seite eine Wertschätzung der Studie von Kleiber und anderen (2), die ja alle darauf hinweisen, dass es einerseits einen moderaten Konsum gibt, andererseits einen problematischen Konsum, bei dem zu unterscheiden ist, wer da welches Problem hat. Sind es die Eltern oder der Jugendliche Cannabis-Raucher selbst? Ehrlich ist der Dialog auch deshalb nicht, weil er nur wieder das Verhalten der Konsumenten auf das Korn nimmt. Ich würde mir Forschungsaufträge wünschen, die die Auswirkungen der repressiven Kontrollpolitik auf die Konsumenten untersuchen. Was bewirkt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft in das Haus eines 16-Jährigen, der mit einem Joint aufgriffen wurde? Damit werden immerhin 200.000 Menschen Jahr für Jahr konfrontiert.

Frage: In der Schweiz gibt es diese Bemühungen eine klare Linie zu finden.

Heino Stöver: Die Botschaft der Entkriminalisierung birgt sicher ein Gesundheitsrisiko, aber das Risiko ist für Menschen höher, wenn sie nicht wissen, woran sie sind.

Frage: So wie bei der Frage um den angestiegenen THC-Gehalt im Cannabis.

Heino Stöver: Sicher trifft der höhere THC-Gehalt auf Nederwiet zu, hochgezüchtete Produkte, die sehr effektiv und potent sind. Wenn man die nicht gemäß der Menge runterdosiert, dann entstehen Probleme. Aber nicht bei Allem an Zuchtgras und nicht bei marokkanischem Haschisch hat sich der THC-Gehlt erhöht.

Frage: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und Probleme mit dem Cannabis-Konsum bestehen, was kann man raten?

Heino Stöver: Wirksam sind „von gleich zu gleich“ Modelle. Peer-Modelle, die auf die Erfahrung von anderen Konsumenten oder Ex-Konsumenten bauen. Dort hat man weniger Angst, Probleme, die man hat oder vielleicht auch nicht hat, offen zu äußern. Die Konsumenten können sich am ehesten vorstellen unter ihresgleichen zu berichten, und zwar auch über das Positive der Rauscherfahrung. Hier wird sich auch über geeignete und ungeeignete Zeitpunkte des Konsums unterhalten.

Frage: Für den Fall einer alternativen Cannabis-Kontrolle wurden zur Beruhigung kritischer Stimmen Modelle ins Gespräch gebracht, wie das Apothekenmodell oder der Drogenfachverkäufer. Man meint, dieses Personal würde seine Kundschaft im Falle gesundheitsschädigenden Verhaltens beraten und ausbremsen können. Auch in Ihrem neuen Cannabisleitfaden wird in einem Beitrag die potentielle beraterische Kompetenz von Head- und Growshop-Personal ins Gespräch gebracht. Selbst wenn man einmal einen gewissen Idealismus voraussetzt oder ein Eigeninteresse, das den dauerhaften Verlust eines Klienten als selbstschädigend realisiert, so erscheinen mir doch derartige Modelle als ähnlich naiv, wie von einem Kneipier beim Ausschank alkoholismuspräventive Arbeit zu erwarten.

Heino Stöver (lacht): Bisher gibt es halt nur zarte Versuche Ökonomie und Kunden zusammenzubringen. Gerade gibt es eine ähnliche Diskussion, weil Lottoschein-Verkäufer am Spielverhalten ihrer Kunden erkennen sollen, ob diese süchtig sind. Nun, das ist tatsächlich naiv. Wichtiger scheint mir zunächst die Qualitätskontrolle der Produkte zu sein. Wenn es überhaupt je zu einem aktiven Regeln diesen bisher illegalen Marktes kommt, dann kann das nur mit Qualitätskontrollen geschehen. Ich tendiere da eher zum Apothekermodell, denn der Apotheker ist zumindest jemand, bei dem man Rat suchen kann. Es gäbe Beipackzettel, man könnte Mischkonsum und Nebenwirkungen erfragen.

Frage: Ist der Cannabisgebraucher aber im Idealfall nicht eher mit einem Weinliebhaber zu vergleichen? Er möchte aus einer breiten Palette auswählen, es gibt bekanntlich hunderte von Kreuzungen und Sorten.

Heino Stöver: Das Apothekenmodell war schon einmal in der politischen Diskussion und daher praktikabler. Sympathisch fand ich es nie. Das niederländische Coffeeshop-Modell hat andere Vorteile: Man ist dort mit den Wirkungen vertraut, der Käufer kann vor Ort konsumieren. Aber Dunstabzugshauben unter der Decke, das Personal mit Glasscheiben von den Konsumenten getrennt? Wie oft muss ein geschulter Berater vor Ort sein? Es gibt noch viele offene Fragen, nur fehlt zurzeit der Impuls diese Fragen überhaupt anzugehen. Zudem ist ja selbst die Cannabis-Szene untereinander zerstritten. Für unsere Cannabis-Kampagne gab es einen Minimal-Konsens, aber manchen Vereinen waren 30 Gramm Eigenbedarf zu wenig. Aber irgendwo muss man ja anfangen!

Frage: Ein Appell an die verschiedenen Gruppen weniger ihr eigenes Süppchen zu kochen?

Heino Stöver: Sicher. Aber dafür bedarf es halt einer Vision, eines Modells, mit dem sich dann auch Prominente solidarisch erklären könnten, was den medialen Druck erzeugt.

Frage: Eine Kampagne: „Ich rauche, wenn ich will, und dann rauche ich gern“ beispielsweise?

Heino Stöver (lacht): Beispielsweise. Um die eingefahrene Situation zu lösen, müssen mehr Menschen an einem Strang ziehen.

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(1) Kalke, Jens; Verthein, Uwe; Stöver, Heino (2005): Seuche Cannabis? Kritische Bemerkungen zu neueren epidemiologischen Studien, in: Suchttherapie, 6. Jahrgang, S. 108-115.

(2) Kleiber, Dieter; u.a.: Cannabiskonsum. Entwicklungstendenzen, Konsummuster, Risiken. Juventa Verlag, Weinheim 1998.

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Drogenpolitik Interviews

Interview mit Henning Voscherau über synthetische Opiate vom Staat und die erreichbaren Ziele der Drogenpolitik

telepolis, 04.03.2007

Die Heroinabgabe muss kommen

Jörg Auf dem Hövel und AZ

Interview mit Henning Voscherau über synthetische Opiate vom Staat und die erreichbaren Ziele der Drogenpolitik

Sieben deutsche Großstädten wagen seit fünf Jahren ein drogenpolitisches Experiment. Sie vergeben reines Heroin an Abhängige, bei denen zuvor alle Therapieversuche gescheitert sind. Begleitet wird das Modellprojekt vom Hamburger Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung. Dieses legte nun einen Studienbericht mit einem positiven Fazit vor. Die Teilnehmer seien nicht nur gesünder als andere Süchtige, die mit Methadon behandelt wurden. Sie würden auch seltener straffällig, fänden häufiger eine Wohnung und einen Arbeitsplatz und würden weniger illegale Drogen nebenbei konsumieren.

Das Experiment scheint geglückt, die beteiligten Städte Hamburg, Hannover, Frankfurt, Bonn, Karlsruhe, Köln und München wollen aus dem Projekt eine Regelversorgung werden lassen. Doch dagegen sperrt sich die Fraktion der Union im Bundestag. Bisher dürfen Heroinabhängige nur mit Ersatzstoffen wie Methadon versorgt werden. Der Unions-Obmann im Gesundheitsausschuss, Jens Spahn (CDU), bezweifelt, dass die Ergebnisse so viel besser sind, „dass sie es rechtfertigen, eine harte Droge teilweise zu legalisieren“. Die Diskussion wird anhalten.

Zeitsprung in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In Hamburg hat sich quasi eine offene Drogenszene etabliert, die die Gegend rund um den Hautpbahnhof zum handeln und konsumieren nutzt. Man versucht die Abhängigen und zum Teil stark verelendeten Junkies zu vertreiben, löst damit aber das Problem nicht. Der Bürgermeister der Stadt, Henning Voscherau (SPD), schiebt die ersten Drogenhilfeprojekten im Bereich der sogenannten „Akzeptierenden Drogenarbeit“ an, die vielen der süchtigen Opiatgebrauchern durch niedrigschwellige Hilfen neue Lebensperspektiven bieten soll. Spritzenvergabe, auch in Gefängnissen, Gesundheitsräume, betreute Übernachtungsmöglichkeiten und Wohnformen, Beratungscafes sowie weitreichende psychosoziale Betreuung. Die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger konnte gesetzlich verankert werden, ein Heroinvergabeversuch wurde in die Wege geleitet. Andere deutsche Städte und Gemeinden folgten. Heute hat sich Voscherau aus der aktiven Politik zurückgezogen, engagiert sich aber weiterhin in der Drogenpolitik.

Frage:
Mittlerweile wurden eine Reihe der damals entwickelten Hilfsmöglichkeiten für Opiatabhängige wieder eingestellt. Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse haben unter den Prämissen von Qualitätskontrolle und -sicherung eingesetzt und stellen die Niedrigschwelligkeit in Frage. Wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung was die Projekte der Akzeptierenden Drogenarbeit betrifft?

Henning Voscherau:
Ein einschneidender Rückschritt, der die Menschenwürde vieler Betroffener antasten wird. Aus meiner Sicht ein Grundrechtsverstoß, denn stärker als in den letzten zehn Jahren wird diesen Menschen Hilfe verweigert, die sie zum Überleben brauchen und die sie brauchen, um sich aus der Opiatabhängigkeit zu befreien. Das können nicht alle, das weiß ich wohl, aber denjenigen, die es vielleicht schaffen könnten, wird nun die Möglichkeit genommen.

Frage:
Sie haben bereits 1990 auf das Scheitern des rein repressiven Ansatzes bei der Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Konsums illegaler Drogen hingewiesen. Ist bei objektiver Betrachtung heute nicht immer noch das Hauptproblem der Drogenpolitik, dass man sich scheut, diese beängstigende Sackgasse zu verlassen, um sich endlich einmal neuen pragmatischen und optimistischen Ansätzen zu öffnen?

Henning Voscherau:
Prohibition scheitert immer dann, wenn zum einen eine dr ängende Nachfrage in der Bevölkerung existiert, ob nun nach Alkohol, wie in den 20er Jahren in den USA, ob nach einer Droge wie Heroin, und wenn zum anderen die Durchbrechung der Prohibition riesige Gewinne verspricht. Das führt immer zu einem Prozess der Illegalisierung der Abhängigen und der Gewinnmaximierung für die Kriminellen. Das ist der dümmste und kurzsichtigste Weg, den man einschlagen kann. Es ist traurig, dass solche Dummheit jetzt wieder stärker fröhliche Urständ feiert.

Frage:
Die Ergebnisse der Heroinstudie liegen vor. Sie decken sich mit den Erfahrungen im Ausland: Der Gesundheitszustand der Betroffenen bessert sich, die Sterberate sinkt. Gleichwohl gibt es Bedenken, das Modell zur Regelversorgung für Abhängige zu machen. Das Argument der Gegner: “Es drohe die Enttabuisierung von Heroin.“ Besteht tatsächlich die Gefahr, dass Heroinkonsum dadurch bei Nichtkonsumenten an Reiz gewinnt?

Henning Voscherau:
Wenn man es richtig macht, besteht diese Gefahr nicht. Ich schlage nicht vor und glaube nicht, dass sonst jemand Ernstzunehmender das täte, analog zur Aufgabe der Alkoholprohibition künftig Heroin in der Kneipe oder Drogerie frei zum Kauf zugänglich zu machen. Im Gegenteil, man muss versuchen, die Heroinverabreichung zu medizinalisieren. Es kann nicht um Verabreichung an jedermann gehen. Man hat einen Patienten, einen schwer Abhängigen, man hat einen Arzt, er ist der verantwortliche Therapeut. Dieser muss das Recht haben zu verschreiben, was medizinisch indiziert ist. Wer als Politiker dem Gesundheitsmarkt der niedergelassenen Ärzte und Apotheker insoweit nicht vertraut, hat die Möglichkeit, Drogenbehandlungs-Ambulanzen vorzuschreiben, in denen streng auf Zuverlässigkeit geprüfte Therapeuten verhindern, dass diese Verabreichungsform und damit die Droge sich quer über die Gesellschaft verteilt.

Frage:
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass nach der Besetzung Afghanistans, des größten Opium- und Heroinproduzenten der Welt, durch westliche Truppen und die verbündeter Opiumwarlords die Opium-Ernten de facto auch unter Aufsicht der Bundeswehr Rekordhöhen erreicht haben, erscheint die Zaghaftigkeit bei der Realisierung einer kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige und das Beharren auf der Strafverfolgung von Konsumenten illegaler Drogen hierzulande geradezu absurd. Nach allem was wir wissen, kann man die Ergebnisse des Heroinvergabe-Modellprojektes positiv bewerten. Warum gestaltet es sich so schwierig, schwerstabhängigen Opiatgebrauchern einen legalen ärztlich kontrollierten Zugang zu dem für sie bestverträglichen Opiat, im Einzelfall also auch zu pharmazeutisch reinem Heroin, zu gewähren?

Henning Voscherau:
Man muss den Verhinderern in den Gesetzgebungsorganen zubilligen, dass sie wirklich Ängste haben, es könne sich allgemeine Zugänglichkeit zu Heroin entwickeln. Oder aber sie sind weltanschaulich so fixiert, dass sie es nicht über sich bringen können, eine pragmatische und vernünftige Lösung mitzutragen.

Frage:
So recht scheint die Domestizierung des Rausches nicht zu funktionieren…

Henning Voscherau:
Wohl wahr…

Frage:
… ist der Abstinenzansatz in der Drogenpolitik überhaupt noch zukunftsträchtig?

Henning Voscherau:
Für die Gesundheit von Menschen, für die Kosten des Gesundheitssystems und für die Gesellschaft insgesamt wäre es zweifelsfrei besser, wenn Menschen möglichst abstinent leben. Das gilt für Alkohol und Nikotin ebenso wie für illegale Drogen. Das ist zwar nicht die Realität, aber auch wenn das Ziel der abstinenten Gesellschaft niemals erreichbar sein wird – nebenbei bemerkt: durchsetzen von oben kann man es sowieso nicht – so ist es doch richtig zu sagen: So wäre es am besten, ein Ideal. Die praktische Vernunft in der Politik gebietet es aber, sich nicht auf ideale Ziele zu beschränken, sondern Wege zu gehen, die sich an Realitäten orientieren.

Frage:
Könnte es sinnvoller sein statt Abstinenz eine Drogenmündigkeit zu fordern, die weniger auf Enhaltsamkeit als auf den früh erlernten Umgang mit Suchtmitteln setzt?

Henning Voscherau:
Mündigkeit ist für einige Suchtstoffe eine Illusion, sagen mir die Naturwissenschaftler. Ich glaube nicht, dass man jemanden zum mündigen Umgang mit gelegentlichem Heroinkonsum erziehen kann. Insofern bin ich kein Anhänger einer gesellschaftlichen Salondiskussion über das Recht auf Rausch oder Drogenmündigkeit. Das mag individuell und in der Privatsphäre eine Fragestellung sein, zu der jeder einzelne Mensch das Recht hat, zur Direktive einer Drogenpolitik würde ich das nicht machen wollen. Ein kollektives Recht auf Mündigkeit im Umgang mit Heroin existiert nicht und indviduell sollte es das Recht auch weiterhin nicht geben, weil das Risiko unkalkulierbar ist.

Frage:
Was immer gerne vergessen wird, Millionen von Menschen konsumieren gelegentlich illegale Drogen, ohne damit schwerwiegende Probleme zu haben. Verbote halten sie nicht ab, sondern erhöhen Reiz und Risiko und verhindern eine sachliche entemotionalisierte Auseinandersetzung, die meines Erachtens für eigenverantwortliches Handeln notwendig wäre. Warum scheut man sich, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und hier offiziell gefördert risikominimierende Umgangsformen zu entwickeln?

Henning Voscherau:
Natürlich gibt es den individualistischen Ansatz, der sagt: Das Grundgesetz gewährt mir ein Selbstbestimmungsrecht, solange ich mit meinem Konsum Andere nicht in ihren Rechten beeinträchtige, muss ich selbst entscheiden dürfen, was mir gefällt. Ein weites Feld. Es ist schwer, Jemandem Vorschriften zu machen, wie er sein Leben führen soll. Gleichwohl muss man einräumen, dass die unterschiedlichen Suchtmittel individuell und gesamtgesellschaftlich ein unterschiedlich ausgeprägtes Gefahrenpotential tragen. Das will ich nicht als Jurist beurteilen, das sollen Mediziner und Biochemiker tun. In dem Moment, in dem jemand nicht mehr aus freiem Willen aus seinem Konsum aussteigen kann, wird eine Grenze überschritten und wird es gefährlich. Er oder sie ist dann Opfer dieser Drogen. Umso mehr muss dann medizinische Hilfe einsetzen und nicht, wie wir jetzt beim Heroinvergabeprojekt befürchten müssen, generell verweigert werden.

Frage:
Auch Sie benutzen den Terminus von Opfern und T ätern. Wenn Sie von Opfern sprechen, dann meinen sie, so verstehe ich Sie, Suchtkranke, wenn sie von Tätern sprechen, dann vermute ich, dass Sie damit Drogenhändler meinen, die vom Handel mit der verbotenen Ware profitieren.

Henning Voscherau:
Nicht nur. Täter sind zum einen die Menschen in der Produktions- und Vertriebskette, zum anderen macht die Illegalität aus Abhängigen Täter, weil sie sich zur Finanzierung ihrer Sucht als Dealer betätigen. Auch dies würde durch die Medizinalisierung gelöst.

Frage:
Handeln nicht auch die Opfer eigenverantwortlich, so dass man sich in Phasen, in denen sie nicht willens sind, ihren Lebensentwurf zu ändern, mit ihren Konsumgewohnheiten einfach arrangieren muss?Henning Voscherau:
Ein in die Abhängigkeit abgerutschter Mensch, der nicht aus freiem Willen aussteigen kann, handelt eben nicht eigenverantwortlich. Der Beginn mag Neugier oder Vernügungssucht sein, hat der Suchtmechanismus aber erst eingesetzt, überschreitet der User die Opferschwelle.

Frage:
Und muss man den sogenannten Tätern nicht zubilligen, dass sie letztlich auch nur unternehmerischen Prinzipien folgen und nur Produkte hoher Nachfrage und auf Grund der Kriminalisierung mit entsprechenden Profitmargen verkaufen?

Henning Voscherau:
Das ist eine treffende Beschreibung der Realität, zubilligen kann ich den Personen das aber nicht. Sonst müsste man dies den osteuropäischen Zuhältern und ihrem Handel mit Frauen auch zubilligen.

Frage:
Ein Problem, das in der Öffentlichkeit kaum thematisiert wird, allenfalls wenn mal wieder Prominente dabei ertappt werden, ist der Kokainkonsum. Auch hier gibt es ein breites Spektrum an Konsumenten. Eine Minderheit hat erhebliche Probleme damit, insbesondere mit dem Rauchen und dem Injizieren von Kokainprodukten. Diese Konsumenten zählen zu den Elendsten der Strassenszene. Eine spezielle Kokain-Substitutionsbehandlung ist derzeit nicht möglich. Wie soll die Gesellschaft Ihres Erachtens mit diesen Konsumenten umgehen?

Henning Voscherau:
Als ich mich vor vielen Jahren mit Experten der New Yorker Drogenszene dar über unterhielt, hatten die auch kein Rezept. Ein Problem ist, dass Kokainderivate eine extreme Neigung zu Gewalt bewirken können. Ein weiteres ist die fehlende Möglichkeit der Substitution. Es gibt zurzeit kein Patentrezept, jedenfalls ist mir keines bekannt, auch ein akzeptierender Ansatz ist hier schwer vorstellbar.

Frage:
Was hat sie dazu gebracht, sich mit einer politischen Karriere nicht sehr zuträglichen Themen wie Heroinvergabe und Drogenpolitik wiederholt zu beschäftigen?

Henning Voscherau:
Ich habe in den letzten 17 Jahren keine pers önlichen Nackenschläge oder unsachliche persönliche Angriffe erlebt, nur weil ich eine Außenseiterposition in der Drogenpolitik eingenommen habe. Auch Widersacher – unter teilweise katholischem Einfluss – aus dem südlichen und südwestlichen Deutschland gewährten mir stets Respekt für meine Überzeugung und Argumente. Zwei Faktoren führten damals zu meinem Engagement: Zu Beginn der 90er Jahre nahm die Zahl der Heroinsüchtigen zu, in Hamburg sprachen manche Quellen von 10.000 Abhängigen. Es bildeten sich halboffene Drogenszenen. Ich bekam einen Brief von einem Schweizer, der die Zustände am Hamburger Hauptbahnhof beklagte, kurzum: das Thema war einfach virulent. Der zweite Punkt war, dass mit mir befreundete Menschen ihren Adoptivsohn an Heroin verloren hatten. Sie berichteten mir von den familiären Folgen. Beides hat mich veranlasst, vorurteilsfrei über die Drogenpolitik nachzudenken. Ich bin dann relativ schnell zu der Überzeugung gelangt, dass ein Angebots- und Betreuungssystem unter genau definierten gesetzlichen Rahmenbedinungen helfen könnte. Der Vater dieses Kindes ist interessanterweise bis heute nicht dieser Meinung.

 

 

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Die schwarze Welle – Der Kaffee- und Kaffeehaus-Boom

Aus dem Hanfblatt, Nr. 106, März 2007

Vom Filterkaffee zur Latte Macchiato: Die Kaffeekultur erlebt den Höhepunkt ihres Booms

Seit ein paar Jahren rollt eine schwarze Welle über Stadt und Land. Nachdem Kaffee lange Zeit ein Dasein als aus schnorchelnden Maschinen tropfende Plörre gefristet hat, ist der Wachmacher in neuer Aufmachung plötzlich wieder hip geworden. Espresso-Bars nach italienischem und Galao-Bars nach portugiesischem Vorbild, „Coffee to Go“ im US-Style, in den Privathaushalten mehren sich wuchtige und knuddelige Espresso-Maschinen, es gibt sogar Shops in Innenstadtlagen, die nur mit an Geschirrspüler erinnernden Aufmunitionierungs-„Pads“ für die neue Schnell-Schnell-Kaffeemaschinen-Generation ihren Umsatz generieren. Nicht nur in den noch gebliebenen traditionellen Kaffeeläden legt man wieder Wert auf exotische Sorten mit genauer Herkunftsangabe, selbst bei Tchibo und Arko versucht man sich in blümerantem Kaffee-Exotismus zu übertrumpfen. Aus dem Einheitsgesöff der 80er ist ein ausdifferenziertes Produkt geworden, inzwischen kommt der seltsame Spruch „eine Latte, bitte“ bei keiner Bedienung mehr schräg an. Fehlen nur noch Capuccino-Seminare in Volkshochschulen. Deutliches Zeichen des Booms ist nicht zuletzt das Vordringen der Starbucks-Kette.

Zentralste Lage in Hamburg, gegenüber dem Rathaus. Das Anstellen ist nervig, vor allem, wenn danach 3 Euro für eine Tasse koffeinhaltiges Heißgetränk gezahlt werden müssen. Aber halt, bei Starbucks geht es nicht um Koffein, sondern, wie immer in den Zeiten nachmoderner Produktverhökerung, um Lifestyle. Marvin Gaye im Hintergrund, der Kaffeemacher ruft meinen verflüssigten Lifestyle zusammen mit meinem Vornamen aus. Wie persönlich! Die Sessel sind bequem, ich versinke im Schaum. Irgendwo in weiter Ferne ahnt man den hippiesken Ursprung des Ladens.

Zwei Studenten aus San Francisco eröffneten 1971 in Seattle das erste Starbucks-Cafe, es ging ihnen um die Verbreitung der Genusskultur von Kaffee und Tee. Kommt zusammen, chillt aus, hängt ab in einer außeruniversitären Teestube, einem freakigen Gruppenraum. Das erste Logo von Starbucks zeigte noch eine barbusige Hippie-Nixe, das wurde im Rahmen der political correctness abgeschafft. Der Duft, die Musik, die Entspannung; in den USA war dieser Ansatz neu. Die Welt muss beglückt werden, klar, der heutige Inhaber Howard Schultz will Starbucks in so ziemlich jedes Land der Welt bringen. Das Ziel sind weltweit mehr als 20.000 Filialen, mehr als McDonald’s, er eröffnet jeden Tag drei neue Kaffeebars. In Deutschland sind es Anfang 2007 genau 57 Läden in 19 Städten.

Im Sessel neben mir eine etwa 35-jährige Frau mit Harry Potter-Roman. Gegenüber ein Typ mit Wollmütze und Tarnhose, Handy auf dem Tisch. Lang geübte Lässigkeit. Er trinkt Bionade aus einer Plastikflasche. Aus einer Plastikflasche! Wenn das nicht der Untergang des Abendlandes ist, dann weiß ich auch nicht. Aber wer kann schon in dieser Welt ohne Widersprüche leben. Die Fluktuation ist hoch, die Frau liest weiter. To stay, to go, Transit und Verweilen, der Kaffee wirkt.

Die Ziele von Starbucks waren hoch gesteckt. Noch 2002 plante man bis Ende 2007 über 180 Filialen in Deutschland. Der Plan geht nicht auf, das urbane Publikum trinkt nicht mit, die Kette stößt in Deutschland auf einen bereits etablierten Markt, der von Kaffeehäusern nach Wiener Vorbild, italienischen Espresso-Bar-Abkömmlingen und „szenigen“ Cafes besetzt ist. Auch für die anderen Ketten wie San Francisco Coffee Company und Balzac ist Old Germany ein hartes Pflaster. Leiser Marktführer war 2002 laut „Food Service“ Segafredo mit 81 Outlets und einer interessanten Strategie: Der italienische Kaffeeröster kooperiert mit zwei Tankstellennetzen (Agip und Esso) sowie mit der Mitropa, was Präsenz in Bahnhöfen ermöglicht.

In den privat geführten Kaffeehäusern ticken die Uhren anders. Hier hängt man entweder beim Milchkaffee ab oder gibt sich sein zerebral-gutturales Stößchen. Der Inhaber ist oft Kaffeefan aus Leidenschaft. Diese atmosphärischen Sitzcafes wollen wenig gemein haben mit der alten, an die Konditorei angehängte Oma-Stube. Durch Wärme und Gemeinschaft etablieren sie den „dritten Ort“, einen Platz zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Das ist nichts neues, sondern aus der Wiener Kaffehauskultur abgeschaut. Dort sollen sich manche Literaten ihre Post ins Cafe gebracht haben lassen. Heute bietet das moderne Cafe ebenfalls ein ideales Ambiente, gerade für die Scharen von halbkreativen Halbarbeitslosen, die auf das nächste Teilzeitprojekt warten und die vielen Mutter-Baby-Einheiten, die auf das nächste Kind warten.

Vati und die halbglücklichen Festangestellten ziehen die agressivere Variante des Koffein-Schubs vor. Sie stürzen den doppelten Espresso in der Mittagspause, das garantiert Arbeitswut. Der To-Go-Hype ist die bürgerliche Variante des Kokain-Booms, Starbucks dealt die Kaffee gewordene Globalisierung. Was verdrängt wird: Die alleinige Nutzung von Kaffee als gesüßtes Aufputschmittel zur Aufrechterhaltung der Arbeitsleistung fordert seine Opfer letztlich wahrscheinlich nicht viel anders als der Missbrauch anderer Stimulantien, wie Koka, Kath oder Ephedra. Irgendwie haben es die Kaffee-Vermarkter im Einklang mit dessen Konsumenten allerdings geschafft den Teufelstrank im Gegensatz zu anderen Anregungsmitteln als harmloses Stimulantium zu etablieren.

Die Marktforschung erforscht den Trend und gibt die Erkenntnisse weiter: Der Deutsche trinkt im Jahr über 150 Liter Kaffee. Gerade das junge, angemessen situierte Zielpublikum feiert in der Nacht, will aber am nächsten Morgen fit sein. Party-Gänger sind enorm koffeinaffin, am Morgen danach hilft die schicke Espresso-Schleuder, die als Prämie beim Kauf des Ipod mitgeliefert wurde. In Folge weiter Verbreitung ist Kaffee seit zwei Jahrhunderten aus dem Fokus drogenpolitischer Zwangsmaßnahmen geraten. Ein Umstand, der sich, wie sich an anderen Substanzen zeigen lässt, durchaus ändern kann.

Sultan Murad der IV. (1623-1640) verfolgte Kaffeetrinker mit Folter und Todesstrafe, da er die Kaffeehäuser für Orte des politischen Widerstandes hielt. In Hessen war ab 1766 eine 14-tägige Gefängnisstrafe für das Trinken von Kaffee vorgesehen. Das galt für Arme, Reiche durften Trinken, wenn sie einen Obolus in die Staatskasse zahlten. Friedrich der II. von Preußen erklärte ein Monopol auf die Einfuhr und das Rösten von Kaffee. Es wurden Kaffeeschnüffler eingesetzt, um das schon damals in der Bevölkerung beliebte Produkt zu entdecken. Seit zwei Jahrhunderten gilt Kaffee nun als versinnbildlichte Nüchternheit und Trockenheit der protestantischen Arbeitsethik, die To-Go-Variante ist letzter Ausfluss dieser Entwicklung. Es kann durchaus vermutet werden, dass Kaffee auch deshalb nach Definition der Weltgesundheitsorganisation nicht als Suchtmittel gilt, weil er die Arbeitsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft nicht zu beeinträchtigen scheint.

Von der viertelstündigen Anflutungsphase des Koffeins merke ich nichts, ich stehe bereits nach fünf Minuten in Schweiß und hacke Buchstabenfolgen in die Tastatur. Besonders kreativ fühle ich mich nicht, dafür ist die Atmosphäre bei Starbucks nicht so ganz mein Ding. Ab mit dem Fahrrad Richtung Karo-Viertel, dort, in einem unorganisierten Cafe ist es ruhiger. Vielleicht der bessere Zustand des Kaffee-Genusses: Außen steht die Zeit still und innen werkelt die sanfte Konzentration. Wie sagte der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar so schön: „Ins Kaffeehaus gehen Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“

Wirkung und Dosierung

Koffein ist die weltweit am häufigsten konsumierte pharmakologisch aktive Substanz. Koffein (= Thein=Guaranin) in Reinform ist ein weißes, geruchloses Pulver, das von dem Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge 1820 erstmals aus Kaffeebohnen isoliert wurde. Eine starke Tasse Kaffee entspricht einer „vernünftigen“ Koffein-Dosierung (100 mg), die optimal wirksame Menge ist aber von Menschen zu Mensch unterschiedlich. Ein kleiner Espresso enthält circa 40 mg Koffein, eine Tasse Schwarztee bis zu 50 mg, Vollmilchschokolade rund 15 mg pro 100 g-Tafel, Halbbitterschokolade sogar 90 mg pro Tafel. Coca Cola bringt es auf rund 30 mg in der 330er Dose. Die maximale Konzentration im Blut wird 15-20 Minuten nach der Einnahme erreicht. Tee flutet langsamer an als Kaffee, wirken tut die Substanz dann 1-4 Stunden, je nach Stoffwechsel des Konsumenten. Bei Menschen liegt die tödliche Dosis bei ungefähr 10 Gramm Koffein, also etwa 100 Tassen Kaffee.

 

Ein weiterer Beitrag aus dem Hanfblatt zum Thema:
Extrakt eines Koffein-Junkies. Eine Koffein-Topologie

 

 

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Interview with Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Hallucinogens and Higher Wisdom

Interview with Charles S. Grob

Charles S. Grob, M.D., is Professor of Psychiatry and Pediatrics at the Harbor-UCLA Medical Center. He is one of the rare breed of scientists that was allowed to conduct studies with empathogens and psychedelics in the recent years. In his case he was able to work with MDMA, Ayahuasca and Psilocybin. He published two
books („Hallucinogens“ and „Higher Wisdom“), that allow readers to dive into the  knowledge of emminent psychedelic researchers. We interviewed him during the „Spirit of Basel“-LSD-Symposium celebrating the 100th birthday of Albert Hofmann.

Charles Grob

adh/az: What kind of studies did you conduct with MDMA?

CG: I did a normal volunteers safety study with 18 subjects in 1994-95. There we looked at psychological and physical reactions and did some brain scans before and after MDMA. That was our only study with MDMA. After that we conducted a study with ayahuasca and psilocybin. We did separate studies, first with ayahuasca and later with psilocybin. Keep in mind that the psilocybin and ayahuasca studies were very dfifferent from one another.

adh/az: What was the reason for changing from MDMA to psilocybin?

CG: We were permitted to do a study with MDMA with normal volunteers, which we accomplished. It took a couple of years to do that. By the time we were applying again for approval to do a study with cancer patients, the field had become much more sensationalized, and also
recreational use had become more widespread among youth in the U.S.. By then the neurotoxicity issue had also become very politicized, so we decided for that reason and also because we felt psilocybin would be physiologically gentler and safer than MDMA in patients with serious medical illness, to switch our application from MDMA to psilocybin.

adh/az: Did you follow up the discussion about the neurotoxicity of MDMA?

CG: Yes. The neurotoxicity issue was flawed by very poor methodologies, statistical errors, manipulation of the data and conclusions that are not warranted. The conversant study of George Ricaurte has a number of flaws.
adh/az: Is there in the scientific community a discussion of the results of Rainer Thomasius, reputed in Germany for his „ecstasy“ studies?

CG: They say he does the same as George Ricaurte has done manipulating the data. Some scientists are searching for negative data, because that’s the way they get funded.

adh/az: How high are the psilocybin-doses that you use in your study? And what kind of psychotherapy-model do you use?

CG: We got an approve for a modest dose of 0,2 mg per Kilogram (equivalent to 14 mg for a 70 kg-person). Later I hope to climb up to 0,3 mg per Kilogram (equivalent to 21 mg for a 70kg-person). As a preparation we inform the patient about the study. We know them and they know us. The session itself is based  on the model of Stanislav Grof, mostly just guiding the patient through the experience. They lie down, put eye-shades and some head-phones attached to a CD-Player on. I just encourage them to go deeply into the experience. Every hour I check in, controlling the blood pressure and asking how they are doing. Some people may want to sit up
and talk about the experience but after a while I encourage them to lie down again. There is a lot of time for talking after the session.

adh/az: So after all the years it is still the almost 40-year old work of Grof guiding the therapists using psychedelics?

CG: Yes, he wrote and spoke more effectivly than any other I am aware of.

adh/az: You did research on the UDV (Uniao do Vegetal) in Brazil, one of three religious communities that are allowed to take ayahuasca as a sacramental drug.

CG: Yes, and I was surprised how well the people are developing. Their psychological testing was very good. In fact on certain measures they performed much better than the control group. Their personality structures looked very healthy. Some of them have had several pathologies in the past, like alcoholism, drug addiction, serious mood regulation disorders, and the current assessment was quite healthy. And all these conditions appear to be in remission. I would like to do a study which analyses the use of  ayahuasca in the treatment of alcoholics and drug addicts.

adh/az: Do you think the methods of the UDV can be an example for the sensible
use of entheogens?

CG: There are aspects of this religious group which are unique for Brazil. So for the brazilian culture it works very, very well. There are efforts to transplant it into the USA and it is more controversity here, but I think the proof is in the outcome. Many of the people transform their lives in a positive direction. There is great potential in our culture to examine how it might incorporate religious structures who use psychoactive sacraments.You need a ritual context to get good results. The compounds of ayahuasca alone might be not enough. More than other psychedelics ayahuasca is group work medicine.
adh/az: How far can we go in using psychedelics or entheogens? Are they really necessary in our society?

CG: Our cultures are in great crisis in social, economic and ecologic prospect. Horrible wars are going on. It is a very troubled world we live in. Psychedelics offer the potential to send some light and facilitating the
healing process. They have the potential to play an important role in the future going back to the planetary roots which have been damaged for centuries. This work is exhausting but a foundation for the generation
following us. To awaken for this potential accepting, open, legally  protected manners is important. Perhaps the shamanic model is providing a strong container for psychedelics.

adh/az: The shamanic model and the ritual model of groups like the UDV depend on the responsibility of their leader or leaders?

CG: Yes, that is a problem. His ethics have to be at the highest level. There is always a risk getting to people, setting themselves up as the all-knowing, all-wise gurus, who misuse and abuse their patients or followers. In the jungle of south america a lot of disreputable ayahuasceros are in it for the money. And in the western society this
problem will be getting worse, because of the seductions of the modern culture.

adh/az: You just edited a book called „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. What can the elders teach the psychedelic greenhorns?

CG: First, the elders of the psychedelic movement have great stories to tell, because they were the pioneers of a fascinating time in history. Second, people from one generation to the next don’t have to reinvent the wheel. Everone should learn from the lessons of the past. This is one problem of our culture, forgetting the lessons of the past and we keep making the same mistakes in the future.

adh/az: Which leads to the mistakes of the sixties.

CG: Sure there were mistakes. Pretty wild, pretty out of control. Efforts to create safe protected structures failed. In part because the culture wasn’t ready. Things got crazy and out of the hand. There were cases in which
unprepared people took very powerful drugs in an inadequate context without people supporting them, perhaps mixing it with alcohol or other drugs. People really didn’t understand to safeguard the experience. They looked
at it as a recreational drug which LSD and other psychedelics are not. These are powerful therapeutic tools, powerful transformative tools, powerful facilitators of religious experiences.

adh/az: Is for example Timothy Leary still a cultural hero for you?

CG: For me personally? Well, he is a fascinating figure. I met him on several occasions and was impressed by his intelligence and his sense of humor. And he articulated the concept of set and setting very early. But Tim
Leary also had a tremendous need to be in the spotlight, to get attention. Also he was a provocateur and had an animosity towards the establishment. This perhaps unneccessarily alienated parts of the culture that might have been potential allies. He wanted it all as soon as possible and for all the people. Beside that if not Tim Leary someone else would have filled that role. He is a tragic figure.

adh/az: Aldous Huxley preferred it the other way round.

CG: Yes, his concept was to introduce these drugs quiet and slowly to the leaders of the society, than there will be a ripple down effect. Leary thought that everone should have this experience.

adh/az: How would you define something called the psychedelic movement?

CG: There are young and old people who strongly identify with the counterculture of the sixties or the experience they had with psychedelics. From their perspective it is neccessary to stick together and build something like a community with analog values. The psychedelic communities from the sixties never died of and the rave and techno scene is anoffshoot of the psychedelic movement too.

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Interview mit Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Halluzinogene und höhere Weisheit

Interview mit dem Psychiater Charles S. Grob

adh/az

Charles S. Grob ist Professor für Psychiatrie und Kinderheilkunde am Harbor-UCLA Medical Center in Los Angeles. Er gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die in den letzten Jahren in den USA die Wirkungen empathogener und entheogener Substanzen an Freiwilligen legal beforschen durften. In seinem Falle waren dies MDMA, volkstümlich als „Ecstasy“ bekannt, und Psilocybin, dem Wirkstoff der sogenannten „Zauberpilze“. In Brasilien untersuchte er die Rolle des halluzinogen Pflanzencocktails Ayahuasca als Sakrament in der Religionsgemeinschaft UDV (Uniao do Vegetal). Dabei handelt es sich um eine der drei Gruppen, denen dort der Gebrauch von Ayahuasca erlaubt ist.

Grob hat neben diversen wissenschaftlichen Aufsätzen zwei Bücher („Hallucinogens“ und „Higher Wisdom“) herausgebracht, in denen er wichtige Schriften bedeutender Persönlichkeiten zur Thematik und Problematik der Halluzinogene (Psychedelika bzw. Entheogene) und Empathogene (Entaktogene) versammelt. Wir interviewten ihn auf dem LSD-Symposium anläßlich des 100sten Geburtstages von Albert Hofmann in Basel. Grob ist als Interviewpartner heiß begehrt, gleichwohl nimmt er sich viel Zeit für uns.

Charles Grob Hb: Professor Grob, welche Art von Studien haben Sie mit MDMA durchgeführt?

Charles S. Grob: Ich führte in den Jahren 1994 und 1995 mit 18 normalen Freiwilligen eine Sicherheitsstudie durch. Wir beobachteten die psychischen und physiologischen Reaktionen und machten einige Gehirnscans vor und nach Einnahme von MDMA. Das war unsere einzige Studie mit MDMA. Danach führten wir eine Studie mit Ayahuasca und eine weitere mit Psilocybin durch. Dabei darf man nicht vergessen, dass diese beiden Studien sehr unterschiedlich waren.

Hb: Was war der Grund dafür, von MDMA zum Psilocybin zu wechseln?

CG: Wir hatten mehrere Jahre gebraucht, bis man uns erlaubte, an gesunden Freiwilligen die Studie mit MDMA durchzuführen. Zu dem Zeitpunkt als wir schließlich die Erlaubnis für eine weitere Studie mit Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium beantragten, war das Thema MDMA mittlerweile sehr dramatisiert worden. Auch der Freizeitgebrauch von „Ecstasy“ unter Jugendlichen in den U.S.A. hatte sich weiter verbreitet. Die Neurotoxizitäts-Problematik war stark politisiert worden. Aus diesem Grunde, und weil wir der Auffassung waren, dass Psilocybin bei Patienten mit schweren Erkrankungen physiologisch sanfter und sicherer als MDMA sein würde, beschlossen wir unseren Antrag von MDMA auf Psilocybin umzustellen.

Hb: Haben Sie sich über die Neurotoxizitäts-Diskussion auf dem Laufenden gehalten?

CG: Ja. Die Neurotoxizitäts-Thematik wurde verfälscht durch sehr schwache Methoden, statistische Fehler, Manipulationen der Daten und Schlussfolgerungen, die nicht berechtigt waren. Die umstrittene Studie von George Ricaurte weist eine Reihe von Fehlern auf.

Hb: Gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Diskussion der Ergebnisse von Rainer Thomasius, der in Deutschland für seine „Ecstasy“-Studien bekannt ist?

CG: Sie sagen, dass er dasselbe macht, was George Ricaurte getan hat: Manipulieren der Daten. Einige Wissenschaftler suchen nach negativen Daten, weil sie auf diese Weise finanziert werden.

Hb: Wie hoch sind die Psilocybin-Dosen, die Sie in ihrer Studie verwenden? Und welches psychotherapeutische Modell verwenden Sie?

CG: Wir erhielten die Erlaubnis für eine maßvolle Dosis von 0,2 mg pro Kilogramm Körpergewicht (entsprechend einer Dosis von 14 mg bei einer 70 kg-Person). Später hoffe ich auf bis zu 0,3 mg (entsprechend 21 mg bei einer 70 kg-Person) steigen zu können. Zur Vorbereitung klären wir die Patienten über die Studie auf. Wir kennen sie, und sie kennen uns. Die Sitzung selbst basiert auf dem Modell von Stanislav Grof, im Wesentlichen heißt das einfach den Patienten durch die Erfahrung zu geleiten. Sie legen sich hin und setzen Augenklappen und an einen CD-Spieler angeschlossene Kopfhörer auf. Ich halte sie dazu an, tief in die Erfahrung einzusteigen. Stündlich schalte ich mich ein, kontrolliere den Blutdruck und frage nach, wie es ihnen geht. Einige Leute möchten sich aufrichten und über die Erfahrung sprechen, aber nach einer Weile rege ich sie dazu an, sich wieder hinzulegen. Nach der Sitzung ist reichlich Zeit zum Reden vorhanden.

Hb: So ist es immer noch die nun mehr fast 40 Jahre alte Arbeit von Grof, die den Psychedelika einsetzenden Therapeuten als Anleitung dient?

CG: Ja, er schrieb und lehrte effektiver als irgend jemand sonst, der mir bekannt ist.

Hb: Sie haben die UDV (Uniao do Vegetal) in Brasilien untersucht, eine von drei religiösen Gemeinschaften, denen es erlaubt ist, das DMT-haltige Ayahuasca als sakramentale Droge zu nutzen.

CG: Ja, und ich war überrascht, wie gut sich die Menschen dort entwickeln. Ihre psychologischen Testergebnisse waren sehr gut. Tatsächlich schnitten sie in bestimmten Kategorien besser ab als die Kontrollgruppe. Ihre Persönlichkeitsstrukturen sahen sehr gesund aus. Einige von ihnen hatten in ihrer Vergangenheit verschiedene Pathologien gehabt, wie Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, schwere Stimmungsregulationsstörungen, und der aktuelle Befund war ziemlich gesund. Und all diese Konditionen scheinen in Remission zu bleiben. Ich würde gerne eine Studie machen, die den Gebrauch von Ayahuasca in der Behandlung von Alkoholikern und Drogenabhängigen analysiert.

Hb: Glauben Sie, dass die Methoden der UDV ein Beispiel für den vernünftigen Umgang mit Entheogenen sein können?

CG: Einige Aspekte dieser religiösen Gruppe sind ziemlich einzigartig für Brasilien. Für die brasilianische Kultur funktioniert sie sehr, sehr gut. Es gibt Bestrebungen, sie in die U.S.A. zu verpflanzen, und es ist hier kontroverser, aber ich glaube, dass am Ende zählt, was dabei rauskommt. Viele der Menschen verändern ihr Leben in einer positiven Richtung. In unserer Kultur besteht ein großes Potential darin zu untersuchen, wie sie religiöse Strukturen, die psychoaktive Sakramente benutzen, inkorporieren kann. Man braucht einen rituellen Kontext um gute Ergebnisse zu erhalten. Die Bestandteile des Ayahuascas allein dürften nicht genügen. Mehr als jedes andere Psychedelikum ist Ayahuasca Gruppenarbeits-Medizin.

Hb: Wie weit sollte man im Gebrauch von Psychedelika oder Entheogenen gehen? Sind sie für unsere Gesellschaft wirklich notwendig?

CG: Unsere Kulturen sind in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht in einer großen Krise. Schreckliche Kriege finden statt, wir leben in einer sehr problembelasteten Welt. Psychedelika bieten das Potential etwas Klarheit zu bringen und den Heilungsprozess zu fördern. Sie haben das Potential in der Zukunft eine wichtige Rolle dabei zu spielen, uns wieder an die planetarischen Wurzeln zu führen, die seit Jahrhunderten beschädigt werden. Diese Arbeit ist anstrengend, aber eine Grundlage für die Generationen, die nach uns kommen. Für dieses Potential akzeptierende, offene, legal geschützte Bedingungen zu schaffen ist wichtig. Vielleicht bietet da das schamanische Modell eine gute Grundlage für die Psychedelika.

Hb: Das schamanische Modell und das rituelle Modell von Gruppen wie der UDV hängt von der Verantwortlichkeit ihres Führers oder ihrer Führer ab.

CG: Ja, das ist ein Problem. Seine Ethik muss auf dem höchsten Niveau sein. Da besteht immer ein Risiko für die Menschen, sich selbst als allwissendende, allweise Gurus aufzuspielen, die ihre Patienten und Anhänger missbrauchen und erniedrigen. Im Regenwald Südamerikas sind eine Menge verrufener Ayahuasceros nur des Geldes wegen bei der Sache. Und in der westlichen Gesellschaft wird das Problem auf Grund der Versuchungen der modernen Kultur noch schlimmer werden.

Hb: Sie haben gerade ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. Was können die Alten den psychedelischen Greenhorns lehren?

CG: Erstens haben die Altvorderen der psychedelischen Bewegung großartige Geschichten zu erzählen, weil sie Pioniere in einer faszinierenden Zeit der Geschichte waren. Zweitens müssen die Menschen von einer Generation zur Nächsten nicht das Rad neu erfinden. Jeder sollte von den Lektionen der Vergangenheit lernen. Das ist ein Problem unserer Kultur, dass man die Lektionen der Vergangenheit vergisst und die gleichen Fehler in der Zukunft wiederholt.

Hb: Was uns zu den Fehlern der Sechziger führt.

CG: Sicher gab es da Fehler. Ziemlich wild, ziemlich außer Kontrolle. Bemühungen sichere geschützte Strukturen zu schaffen scheiterten, teilweise, weil die Kultur dafür nicht bereit war. Dinge wurden abgedreht und entglitten. Es gab Fälle, in denen unvorbereitete Leute sehr machtvolle Drogen in unangemessenen Kontexten einnahmen, ohne Menschen, die sie unterstützten, vielleicht auch noch gemischt mit Alkohol oder anderen Drogen. Die Leute verstanden nicht wirklich, die Erfahrung zu schützen. Sie betrachteten sie als Freizeitdrogen, was LSD und andere Psychedelika nicht sind. Es handelt sich dabei um mächtige therapeutische Hilfsmittel, mächtige transformierende Werkzeuge, mächtige Förderer religiöser Erfahrungen.

Hb: Ist Timothy Leary noch ein kultureller Held für Sie?

CG: Für mich persönlich? Nun ja, er ist eine faszinierende Figur. Ich traf ihn bei verschiedenen Gelegenheiten und war von seiner Intelligenz und seinem Sinn für Humor beeindruckt. Und er artikulierte sehr früh das Konzept von Set und Setting. Aber Tim Leary hatte auch ein enormes Bedürfnis im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Obendrein war er ein Provokateur und hatte eine Abneigung gegenüber dem Establishment. Das verschreckte vielleicht unnötigerweise Teile der Kultur, die potentielle Verbündete hätten sein können. Er wollte alles so schnell wie möglich und für alle Menschen. Unabhängig davon, wenn nicht Tim Leary, dann hätte jemand anderes diese Rolle eingenommen. Er ist eine tragische Figur.

Hb: Aldous Huxley bevorzugte es anders rum.

CG: Ja, sein Konzept war es, diese Drogen ruhig und langsam den Führenden der Gesellschaft nahe zu bringen, dann würden die positiven Auswirkungen nach unten durchrieseln. Leary war der Auffassung, jeder sollte diese Erfahrung haben.

Hb: Wie würden Sie das definieren, was man die „psychedelische Bewegung“ nennt?

CG: Es gibt junge und alte Menschen, die sich stark mit der Gegenkultur der Sechziger identifizieren oder den Erfahrungen, die sie mit Psychedelika machten. Aus ihrer Perspektive ist es notwendig zusammen zu halten und so etwas wie eine Gemeinschaft mit analogen Werten zu bilden. Die psychedelischen Gemeinschaften der Sechziger sind nicht ausgestorben, und die Rave- und Techno-Szene ist auch ein Spross der psychedelischen Bewegung.

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Interview mit Rick Doblin von MAPS

HanfBlatt Nr. 103, September 2006

Psychedelische Forschung

Ein Interview mit dem MAPS-Gründer Rick Doblin

Rick Doblin ist der Gründer der einzigartigen „Multidisziplinären Assoziation für Psychedelische Studien“, besser bekannt als MAPS. MAPS unterstützt seit nun mehr 20 Jahren Wissenschaftler dabei, die staatliche Erlaubnis für die Erforschung heilender und spiritueller Potentiale von Psychedelika (wie LSD, Psilocybin, Peyote, Ketamin, Ibogain, DMT und Ayahuasca), Empathogenen (wie MDMA) und Cannabis-Produkten zu erhalten. Auch für die Forschung selbst stellt MAPS Gelder zur Verfügung. Die gemeinnützige Arbeit von MAPS wird durch die Spenden ihrer Mitglieder ermöglicht. Obwohl MAPS ihre Basis in den USA hat, ist sie international ausgerichtet und offen für jeden mit einem ebensolchen Geist, der etwas in dieser Hinsicht bewegen möchte. Nebenbei hat sich der MAPS-Informationsbrief zu einem bemerkenswerten Magazin voll erstaunlicher Informationen über die Szene der psychedelischen Forscher entwickelt. Auf dem erfolgreichen LSD-Symposium (www.lsd.info) anlässlich Albert Hofmanns 100tem Geburtstag in Basel im Januar 2006 mit über 2000 Teilnehmern aus 37 Ländern war auch MAPS mit den von ihr unterstützten Wissenschaftlern stark präsent.

az: Du hast MAPS 1986 gegründet, in dem Jahr, als die empathogene Substanz MDMA, auch „Ecstasy“ genannt, kriminalisiert wurde. Was war der Grund für diesen idealistischen Schritt?

Rick Doblin: Ich hatte gesehen, wie MDMA erfolgreich therapeutisch eingesetzt wurde, als es noch legal war. 1985 kriminalisierte die Drug Enforcement Agency (DEA) auf einer Notstandsbasis das MDMA, sowohl für den Freizeitgebrauch als auch den medizinischen und therapeutischen Einsatz. Das abschließende Verbot erfolgte 1986. Auch wenn wir zunächst einen Gerichtsprozess zur Aufrechterhaltung des legalen therapeutischen Gebrauchs gegen die DEA gewannen, wurde mir doch klar, dass wir am Ende wohl verlieren würden. Die DEA konnte die Empfehlung des Richters, MDMA legal für die Therapie verfügbar zu halten, ignorieren und tat es auch. Der einzige Weg, MDMA zurück in den legalen therapeutischen Gebrauch zu bringen, war der als ein von der Lebensmittel- und Arzneibehörde FDA zugelassenes verschreibungsfähiges Medikament. Ich gründete MAPS, um Gelder für die dafür nötige Forschung zu akquirieren, weil weder die pharmazeutische Industrie noch die größeren Stiftungen MDMA-Forschung finanzieren würden.

az: Wie war es für Dich mitzuerleben, wie MDMA, weitgehend unbekannt, aber erfolgreich als psychotherapeutisches Hilfsmittel eingsetzt, als es noch legal war, der Treibstoff für die schließlich riesigen Rave-, Acid House- und Techno-Szenen wurde?

Rick Doblin: Persönlich mag ich Raves und durch die Nacht bis zum Sonnenaufgang zu tanzen. Die Unterscheidung zwischen dem Freizeitgebrauch, dem therapeutischen und dem spirituellen Gebrauch ist oft willkürlich und keineswegs so klar und deutlich wie uns Anti-Drogenkrieger glauben machen wollen. Nichts desto trotz erkannte ich, dass der Gebrauch von MDMA auf Raves, die DEA dazu motivieren würde, alle unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von MDMA zu kriminalisieren. Aber anstatt mich über Raves und Raver aufzuregen, wurde ich wütend auf die Regierung, dafür, dass sie sowohl den therapeutischen als auch den Freizeitgebrauch von MDMA kriminalisierten. Die Risiken von MDMA sind am Größten im Rave-Setting. Wie auch immer, ich denke, dass wir mit angemessenen Risikominderungsstrategien die Gefahren des MDMA-Konsums auf Raves erheblich verringern könnten. Ich glaube nicht, dass die Prohibition die Risiken, die mit dem MDMA-Gebrauch auf Raves verbunden sind, verringert.

az: Nach all diesen Jahren: Gibt es irgendwelche wissenschaftlichen Beweise für Gefahren des therapeutischen oder des Freizeitgebrauchs von reinem MDMA?

Rick Doblin: Ja, es gibt Gefahren sowohl beim therapeutischen wie beim Freizeitgebrauch von MDMA. Keine Droge ist vollkommen sicher oder frei von Nebenwirkungen. Die größte Gefahr des therapeutischen Gebrauchs ist erhöhter Blutdruck. Deshalb schließen wir derzeit in unseren MDMA-Studien Menschen mit Bluthochdruck und beeinträchtigter Herzfunktion aus. Das Risiko der Neurotoxizität und möglicherweise reduzierter geistiger Leistungsfähigkeit ist kein bedeutendes Problem im Zusammenhang mit dem therapeutischen Einsatz von MDMA.
Was den Freizeitgebrauch betrifft, sind unreine Drogen eines der größten Risiken. Ein weiteres meines Erachtens ernsthaftes Risiko ist die Aufdeckung tiefer und komplexer Gefühle, für deren Erfahrung manche Menschen nicht bereit sind. Das kann dazu führen, dass man sich nach MDMA schlechter fühlt, wenn Gefühle hochkommen und man sie dann zu verdrängen versucht. Überhitzung ist auch eine Sorge, weniger das Trinken von zuviel Wasser. Neurotoxizität ist meines Erachtens kein bedeutendes Problem, selbst bei Leuten nicht, die MDMA ziemlich regelmäßig und über lange Zeiträume nehmen. Wie auch immer, es gibt einige Beweise dafür, dass Menschen, die 60mal oder häufiger MDMA genommen haben, bei manchen neurokognitiven Tests schlechter als der Durchschnitt abschneiden, aber immer noch innerhalb der normalen Spannbreite. Ob das auf MDMA direkt oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist, ist unklar.
Mit der Steigerung der Dosis und der Einnahmefrequenz steigt auch das Risikopotential.

az: Kürzlich hat es eine emotional aufgeladene Diskussion über Eure Unterstützung des Gebrauchs von MDMA in Fällen traumatisierter israelischer Soldaten gegeben. Kannst Du in Kürze die Fakten klar stellen?

Rick Doblin: MAPS sponsert eine Leitstudie in Israel, die den Einsatz von MDMA-unterstützter Psychotherapie bei Subjekten mit Kriegs- und Terrorismus-bedingtem Post-Traumatic-Stress-Disorder (PTSD) untersucht. Die Studie ist in Gänze genehmigt und soll im Juli 2006 beginnen. Derzeit (April 2006) sind wir dabei, die Ausbildung des israelischen Co-Therapeuten-Teams vorzubereiten, indem wir sie nach Charleston, SC, bringen, damit sie Dr. Michael und Annie Mithoefer dabei beobachten können, wie sie dort MDMA/PTSD-Sitzungen durchführen.

az: MAPS hat Forschung unterstützt, die sich damit beschäftigt hat, den sichersten Weg für die Applikation von Cannabinoiden herauszufinden. Vaporizer, Wasserpfeife, Purpfeife oder Joint, was ist die für die Atemwege sicherste Methode der Cannabinoid-Zufuhr?

Rick Doblin: Die sicherste Methode ist der Gebrauch eines Vaporizers, der die Verbrennungsprodukte eliminiert. Aber da selbst das Rauchen von Marijuana nicht ursächlich mit Lungenkrebs in Verbindung gebracht wurde, ist es schwierig zu artikulieren, welche Risiken durch das Vaporisierungssystem reduziert werden.

az: Hat es andere wichtige Entdeckungen rund um das heilige Kraut gegeben?

Rick Doblin: Die jüngste Studie von Dr. Donald Abrams hat gezeigt, dass Marijuana signifikante Wirksamkeit bei der Behandlung HIV-bedingter Neuropathie (Schmerzen) hat.

az: Wie sieht es aus mit Salvia divinorum und seinem Wirkstoff Salvinorin A? Gibt es derzeit irgendwelche Forschungen dazu, wie man sie effektiv in einem therapeutischen oder spirituellen Kontext nutzen kann?

Rick Doblin: Ich weiss von keiner klinischen Forschung am Menschen mit Salvia oder Salvinorin A. Wenn man wissen will, wie man sie am effektivsten im spirituellen Kontext gebraucht, dann sind die Kulturen, die sie bereits nutzen, die besten Informationsquellen.

az: Ich weiss, es dauert in den USA sehr lange, bis man die Regierungs-Erlaubnis für psychedelische Forschung erhält. Was sind die größten Schwierigkeiten dabei?

Rick Doblin: Die FDA betrachtet die Protokolle vorrangig unter wissenschaftlichen und nicht politischen Gesichtspunkten. Mehr können wir nicht erwarten. Die Hauptschwierigkeiten kommen von der DEA, die Lizenzen ausstellen muss, damit die Studien beginnen können. Ihr ist kein regulärer Zeitplan vorgeschrieben, nach dem sie handeln muss, was eine Verzögerungsstrategie von Seiten der DEA zur Folge hat. Wir müssen oft politischen Druck auf die DEA ausüben, damit sie unsere Studien genehmigt. Die DEA hat Angst davor, dass objektive Forschung den aufgebauschten Informationen über die Risiken widerspricht, die vom National Institute on Drug Abuse (NIDA) herausgebracht werden.
Wenn man an Regierungsfinanzierung denkt, dann kann man das für die nächste Zeit vergessen. Ein stark einschränkender Faktor ist die Finanzierung, aber es war bis jetzt schwieriger, die Erlaubnis zu erhalten. Deshalb bin ich stolz, sagen zu können, dass unser Spendenaufkommen immer ausreichend war und keine Studien durch einen Mangel an Finanzen hinausgezögert wurden.

az: Stellt die für die Genehmigung und Durchführung von legaler Forschung notwendige Zusammenarbeit mit Behörden wie der DEA ein mögliches Risiko für die Menschen dar, die mit den Wissenschaftlern zusammenarbeiten? Ich denke, das ist eine wichtige Frage, denn unter den gegenwärtigen Gesetzen mögen manche der Unterstützer psychedelischer Forschung in dieser Hinsicht persönlich verwundbar sein. Es gab da auch einige Gerüchte rund um den Forscher Dr. John Halpern, er sei in der Zusammenarbeit mit der DEA zu weit gegangen.

Rick Doblin: Versuchspersonen in der psychedelischen Forschung, ausgeführt von Dr. Halpern und Anderen, sind absolut keinem Risiko von Seiten der DEA ausgesetzt. Die Forscher erhalten ein von der Regierung ausgestelltes Vertraulichkeitszertifikat, das davor schützt, dass Informationen über die Versuchspersonen an die DEA weitergegeben werden.

az: In den letzten Jahren haben die Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen mit Psilocybin, Entzugsbehandlungen mit Hilfe von Ibogain und Ayahuasca („Daime“), als Sakrament im rituellen Kontext brasilianischer Religionen eingenommen, besonderes Interesse hervorgerufen. Was geht gerade jetzt in der psychedelischen Forschung ab?

Rick Doblin: Studien, den Nutzen von Psilocybin zur Behandlung von Angst bei Krebspatienten zu untersuchen, und unsere bald beginnende Studie, die MDMA zur Behandlung der Angst bei Krebspatienten einsetzt. Anstrengungen werden unternommen, die LSD-Forschung wiederzubeleben, zuerst für grundlegende Gehirnforschung, dann gegen Cluster-Kopfschmerzen, schließlich für LSD-Psychotherapie.

az: Wo liegt die Zukunft der psychedelischen Forschung?

Rick Doblin: In der therapeutischen Applikation bei psychischen Krankheiten, so dass Psychedelika verschreibungsfähige Medikamente werden können.

az: MAPS spielt eine bedeutende und angenehm sichtbare Rolle in der weltweit verstreuten psychedelischen Gemeinschaft. Was sind die besten Events, wo man sich treffen, kommunizieren und feiern kann?

Rick Doblin: Der Burning Man, das Boom Festival und Konferenzen, wie „Spirit of Basel“, die Albert Hofmann´s 100ten Geburtstag feierte.

 

 

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Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

telepolis, 18.06.2006

Von der ewig missachteten Gerichtsentscheidung

Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

Vor zwölf Jahren gab ein Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Anschub zu einer politischen Diskussion und gesellschaftlichen Entwicklung, die bis heute anhält. In ihrer „Cannabis-Entscheidung“ legten die Richter fest, dass ein gelegentlicher Eigenkonsum von Haschisch oder Marihuana straflos bleiben soll. In einem zweiten Schritt verpflichtete das Gericht die Bundesländer dazu, die Strafverfolgung von Haschisch- und Marihuana-Konsumenten anzugleichen. Es könne nicht sein, so die Richter, dass in Bayern der Konsum viel härter als in Schleswig-Holstein verfolgt würde. Seither herrscht Verwirrung in der Republik. Die Entscheidung fiel in die Ära von Love-Parade, Neo-Hippies und Spaßkultur, viele interpretierten den Richterspruch als Quasi-Legalisierung von Cannabis. Kiffen war cool, alle wollten dabei sein, die Konsumenten schienen immer jünger zu werden. Von den Bundesländern wurde der Auftrag eine im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung zu garantieren und ihre Vorschriften zu harmonisieren tapfer ignoriert.

Jetzt scheint Bewegung in die festgefahrene Situation zu kommen: Das Bundesgesundheitsministerium hatte beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben, die die gegenwärtige Rechtspraxis untersuchen sollte. Zusammen mit Letizia Paoli analysierte Carsten Schäfer über 2000 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und befragte Experten zur Lage der „Kiffernation“. Im Interview spricht Schäfer, der heute als Staatsanwalt in Baden-Baden tätig ist, über erwachsene Ersttäter, den umstrittenen Begriff der „geringen Menge“ und den Unterschied zwischen juristisch und politisch zu klärenden Fragen.

Frage: Herr Schäfer, durch ihre Studie haben sie ein umfangreiches Bild über die Strafverfolgung bei Cannabis-Besitz gewinnen können. Ist die Praxis der Verfahrenseinstellung in den verschiedenen Bundesländern gravierend unterschiedlich?

Antwort: Aus meiner Sicht ja. Die Unterschiede ergeben sich insbesondere aus den unterschiedlichen Höchstewerten für die Anwendung des § 31 a BtMG, die zumeist in Länderrichtlinien festgelegt sind (zwischen 6 g und 30 g), insbesondere aber aufgrund der Unterschieldichen Anwendung des § 31 a BtMG auf Wiederholungstäter. Insbesondere bei Letzterem ergibt sich eine sehr große Bandbreite: von der Anwendung nur auf Ersttäter, bis zu regelmäßigen oder gar obligatorischen Anwendung bis zu bestimmten Cannabis-Höchstwerten. Dies führt auch in der Praxis zu den festgestellten und auch prozentual messbaren Unterschieden. Da die absolute Mehrzahl aller Cannabis-Konsumentendelikte sich in einem Grammbereich deutlich unter sechs Gramm abspielen, haben hier die unterschiedlichen Höchstgrenzen keinen großen Einfluss.

Foto Carsten Schäfer
Carsten Schäfer

Frage: Eine andere Frage ist aber, ob diese gravierenden Unterschiede auch zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtspraxis geführt haben.

Anwort: Hier gibt es derzeit noch sehr wenig Rechtsprechung und kaum Literatur. Diese Frage ist aus meiner Sicht – auch nach Vorliegen unserer Studie – vollkommen offen. Der Grund: Die förderalistische Grundstruktur des GG verbietet grundsätzlich die Anwendung des Art. 3 GG – und damit des Gleichheitssatzes – über die Bundesländergrenzen hinweg. Verlangt wird vom Bundesverfassungsgericht eine „im Wesentlichen gleichmäßige Rechtsanwendung“, ohne dass dies allerdings bisher konkretisiert worden wäre.

Frage: Also kann es auch in Zukunft normal und rechtskonform sein, wenn in den Ländern unterschiedlich bestraft wird? Die Bundesregierung sieht ja auch nach der Veröffentlichung ihrer Studie weiterhin „primär die Länder in der Verantwortung“.

Antwort: Grundsätzlich ist eine unterschiedliche Rechtspraxis zulässig, die Frage ist jedoch „wie“ unterschiedlich diese sein darf. Hier ist es auch weiterhin grundsätzlich die Pflicht der Länder, durch Anpassung der Richtlinien für eine gleichmäßige Rechtsanwendung zu sorgen. Erst wenn dieses nicht gelingt, und ein Ergebnis unserer Studie war ja, dass trotz der Cannabis-Entscheidung aus dem Jahr 1994 (!) bisher keine Einigung erzielt werden konnte, wäre der Bundesgesetzgeber in der Pflicht, durch Neuregelung des § 31 a BtMG für eine gleichmäßigere Rechtsanwendung zu sorgen. Dies aber nur unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber aufgrund unserer Studie Handlungsbedarf sieht. Sieht er das nicht und belässt alles beim Alten, wäre letztendlich das Bundesverfassungsgericht – nach erneuter Vorlage dieser Streitfrage durch ein erstinstanzliches Amtsgericht – berufen, dies zu entscheiden und die derzeitige Rechtspraxis als verfassungskonform oder verfassungswidrig zu erklären.

Frage: Hier gibt es dann ja ein weiteres Problem: Da Art. 3 GG nicht anwendbar ist, besteht grundsätzlich auch kein Anspruch des betroffenen Cannabis-Konsumenten auf Gleichbehandlung.

Antwort: Richtig. Ein Beschuldigter, der z. B. in Bayern wegen Besitz von 10 g Cannabis angeklagt und verurteilt wird kann sich also grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er zum Beispiel in Berlin oder Schleswig-Holstein nicht verfolgt würde! Lediglich ein zu entscheidendes Amtsgericht kann der Rechtsauffassung sein, dass die Rechtslage so ungleich ist, dass der § 31 a BtMG in seiner jetzigen Fassung nicht verfassungskonform ist und diese Frage sodann Karlsruhe vorlegen.

Frage: 12 Jahre nach der Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts ist man also nicht nur keinen Schritt weiter gekommen, die Frage nach der „geringen Menge“ droht zur endlosen Geschichte zu werden. Existieren solche Burlesken in anderen Rechtsbereichen auch?

Antwort: In der empirischen kriminologischen Forschung wurden auch bei anderen Opportunitätseinstellungen im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität unterschiedliche Rechtsanwendungen festgestellt. Hierbei handelt es sich um Einstellungen wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO, etwa bei Diebstählen mit geringfügigem Schaden. Das Problem besteht darin, dass der Beschuldigte hinsichtlich der Nichtanwendung sogenannter Opportunitätseinstellungsvorschriften durch die Staatsanwaltschaft – und hierzu gehört nebend dem erwähnten § 153 StPO u. a. auch der hier behandelte § 31 a BtMG – kein Rechtsmittel einlegen kann. Somit gelangen die Voraussetzungen des § 31 a BtMG nicht zur Überprüfung höherrangiger Gerichte, die mit ihrer Rechtsprechung für eine gleichmäßige Rechtsanwendung sorgen könnten. Voraussetzung einer Einstellung nach § 31 a BtMG ist neben der geringen Menge auch eine geringe Schuld, und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Diese „unbestimmten Rechtsbegriffe“ unterliegen grundsätzlich der Auslegung durch den sachbearbeitendenden Staatsanwalt, regelmäßig gesteuert durch Länderrichtlinien, die durch diesen bindend anzuwenden sind. Unterschiedliche Richtlinien im Bundesgebiet führen so fast zwangsläufig zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung, ohne dass höhere Gerichte, etwa der BGH, regulierend eingreifen könnten.

Frage: Welche cannabisbezogenen Tatbestände führen häufig zur Einstellung des Verfahrens seitens der Staatswaltschaft und Amtsgerichte?

Antwort: Im Rahmen unserer Studie hat sich eine „Idealkonstellation“ herauskristallisiert, bei der davon ausgegangen werden kann, dass in allen von uns untersuchten Bundesländern eine Einstellung des Verfahrens nach § 31 a BtMG erfolgt: Bei erwachsenen Ersttätern ab dem 21. Lebensjahr, Umgang mit einer Cannabismenge unter 6 g, keine Fremdgefährdung und lediglich eine Tatbegehung. Diese Verfahrenkonstellation betrifft allerdings nur knapp 20 % aller untersuchten Cannabisverfahren. Bei den Amtsgerichten werden hauptsächlich Verfahren gegen Jugendliche bis 18 Jahren beziehungsweise gegen Heranwachsende bis 20 Jahren nach dem Jugendstrafrecht eingestellt. Zumeist gegen die Ableistung von Arbeitsauflagen. Hier ließ aber die Untersuchung aufgrund der geringeren Fallzahlen keine Klassifizierungen zu. Regelmäßig dürfte es sich um Delikte handeln, die geringfügig oberhalb der für eine Einstellung relevanten Kriterien angesiedelt sind; etwa bei Mengen knapp oberhalb des Höchstwertes, oder – bei konservativeren Bundesländern – erstmaliger Wiederholungstat. Andere Einstellungen durch die Gerichte sind von eher untergeordenter Bedeutung.

Frage: Und auf der Ebene der Staatsanwaltschaften?

Antwort: Im Rahmen der Untersuchung konnten lediglich in Bayern und Sachsen Einstellungen mit Auflagen in nennenswerter Anzahl beobachtet werden. Auch hier handelt es sich überwiegend um Verfahren gegen Jugendliche oder Heranwachsende. Dies führt letztlich auch zu den oben dargestellten Ungleichheiten bei Abweichungen von der beschriebenen „Idealkonstellation“, wenn man den Parameter „Alter“ des Täters verändert. Insbesondere in Bundesländern mit liberalerer Einstellungspraxis wird hier aber regelmäßig nach § 31 a BtMG, bei Jugendlichen auch nach Jugendrecht, § 45 Abs. 1 JGG, also ohne Auflagen eingestellt.

Frage: Neben der Auswertung von knapp 2000 Akten haben sie für ihre Untersuchung auch Gespräche mit Amtsrichtern, Polizisten und Strafverteidigern geführt. Kann man deren Einschätzung in Bezug auf die Rechtspraxis der Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten länderübergreifend zusammenfassen?

Antwort: Grundsätzlich konnten wir im Rahmen unserer Expertenbefragungen feststellen, dass in der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gericht) zwar bekannt ist, dass gewisse Unterschiede und ein Nord-Süd-Gefälle bestehen, im großen und ganzen jedoch wenig über die Rechtspraxis in anderen Bundesländern – insbesondere etwa die Höhe der unterschiedlichen Grenzwerte – bekannt ist. Naturgemäß sind es eher die Stravferteidiger, die sich diesbezüglich bereits Wissen angeeignet haben. Allerdings war auch zu beobachten, dass die Einschätzung stark von der konkreten Problemlage abhängt. In ländlichen Gebieten ist die Belastung mit BtM-Verfahren, insbesondere auch was die sogenannten „harten“ Drogen anbetrifft, bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Großstädten oder in grenznahen Bezirken wie beispielsweise Aachen. Dies hat natürlich auch Einfluss auf die Strafverfolgung von Massendelikten, wie es Konsumentendelikte mit kleinen Mengen Cannabis sind. Letztendlich werden diese Delikte in Bezirken mit hoher Belastung eher nierderschwellig behandelt und zwar nicht nur auf Seiten der Staatsanwaltschaften durch vermehrte Einstellungen, sondern bereits auf Ebene der Polizei durch die Anwendung vereinfachter Verfahren, bei denen die Ermittlungstätigkeit auf ein Minimum beschränkt und insbesondere auf ausführliche Beschuldigtenvernehmungen verzichtet wird. Dies spiegelt sich dann natürlich auch in der Einschätzung der Problemlage durch die Ermittlungsbeamten wider.

Frage: Kann man nach den Ergebnissen ihrer Studie die praktikable Höhe der „geringen Menge“ Cannabis genauer festlegen?

Antwort: Das Problem ist ja, dass es sich hierbei um eine rein politische Frage handelt bei gleichzeitig relativ geringer Praxisrelevanz. Im Rahmen der Studie betrafen über 80 % aller untersuchten Cannabisverfahren Delikte im BtM-Mengen unterhalb von 6 Gramm. Dennoch hat beispielsweise die hessische Landesregierung nach dem politischen Wechsel von der SPD zur CDU die Höchstmenge von 30 Gramm auf 15 Gramm Cannabis herabgesenkt, während die Berliner Landesregierung zum Zeitpunkt des Abschlusses unserer Untersuchung umgekehrt eine Anhebung von 15 auf 30 Gramm beschlossen hatte. Aus meiner Sicht ist dieses Problem aber weniger dringlich, als eine Einigung hinsichtlich der Auslegung anderer Kriterien. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 festgelegt, dass der „gelegentliche Eigenkonsum“ straflos bleiben soll. Dies betrifft zweifellos das Kriterium der Wiederholungstäterschaft: wie behandelt man einen Konsumenten, der zum Beispiel mit 2 Gramm Cannabis erwischt wurde, aber bereits ein Jahr zuvor – oder auch schon mehrfach – durch BtM-Besitz oder Erwerb aufgefallen war? Hier entstehen die gravierenden Unterschiede, da dies auch einen prozentual höheren Anteil an Verfahren betrifft. Um auf die Höchstmenge zurückzukommen: Der BGH hat 1998 einmal – ausgehend von einem angenommenen relativ geringen Wirkstoffgehalt 10 Gramm Cannabis ins Spiel gebracht, ohne dass dies allerdings Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaften oder Instanzgerichte entfaltet hätte. Dies scheint mir ein tragfähiger Kompromiss zu sein.

Frage: Spielt der Wirkstoffgehalt eine Rolle?

Antwort: Damit ist tatsächlich ein weiteres Problem angesprochen: Grundsätzlich ist juristisch nicht auf die Grammmenge, sondern auf den Wirkstoffgehalt abzustellen. Die Festlegung von Höchstgrenzen für die Anwendung des § 31 a BtMG diente einzig der Verfahrensvereinfachung, da ein an sich notwendiges Wirkstoffgutachten bei Bagatelldelikten unverhältnismäßg wäre. Die derzeitige Diskussion über Marihuana-Produkte mit relativ hohem Wirkstoffgehalt lassen erwarten, dass unter Umständen auch die Diskussion über die Höchstmengen neu entfacht wird. Zumindest in der juristischen Fachliteratur werden Konsequenzen bezüglich der Gefährlichkeitseinstufung von Cannabis neu diskutiert. Hier muss die weitere Entwicklung abgewartet werden.

Frage: Welche Rolle sollte ihrer Ansicht nach das Strafrecht bei der Regulierung des Drogenkonsums der Gesellschaft zukünftig spielen?

Antwort: Ich denke, dass das Strafrecht nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und auch spielen muss, man sollte aber die Auswirkungen auf das Drogenkonsumverhalten nicht überbewerten. So hat gerade die Drogenprohibition der letzten Jahrzehnte nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Umgekehrt halte ich aber auch eine Freigabe von Cannabis nicht für angebracht. Aus meiner Sicht wird das Gefährdungspotenzial von Cannabis – insbesondere bei Dauerkonsum Jugendlicher – nach wie vor unterschätzt. Letztlich geht es doch um die Frage, in wieweit der Staat mit seinem schärfsten Schwert – dem Strafrecht – in das selbstbestimmte Handeln des Menschen eingreifen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in diesem Zusammenhang die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis grundsätzlich für legitim erklärt, gleichzeitig aber festgelegt, dass ein gewisser Bereich der „selbstverantwortlichen Eigengefährdung“ straflos bleiben soll. Das Gericht hat dies mit „gelegentlichem Eigenkonsum geringer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum ohne Fremdgefährdung“ umschrieben. Diese Linie sollte konsequent fortgeführt und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtseinheitlichkeit umgesetzt werden. Wo dann die Grenze der „geringen Menge“ und des „gelegentlichen Eigenkonsums“ gezogen wird, vermag ich nicht zu entscheiden. Im Fahrerlaubnisrecht wird bereits seit längerem zwischen gelgentlichem und regelmäigem Konsum unterschieden und Anhand des Abbauproduktes THC-COOH im Blut bestimmt. Dies könnte auch für das Strafrecht ein gangbarer Weg sein.

Parallel hierzu sollte jedoch die Strafbarkeit nicht aufgegeben werden. Zum einen halte ich gerade die Einwirkungsmöglichkeiten im Jugendrecht für unverzichtbar, denken Sie an die Möglichkeit von suchstspezifischen Auflagen, wie zum Beispiel Drogenscreening, Drogenberatung, ambulante Therapien. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Strafbarkeit des Drogenbesitzes häufig auch als Auffangtatbestand für die Bestrafung von Dealern eingreift, denen ein Handeltreiben nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Deswegen ist es auch wichtig, dass den Staatsanwaltschaften durch den § 31 a BtMG ein Spielraum verbleibt, in Einzelfällen von der vorgegeben Linie auch abzuweichen.

Literatur:
Carsten Schäfer; Letizia Paoli:
Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006, Duncker&Humblot.
447 Seiten. EUR 35,-

 

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Drogenpolitik Rezensionen

Rezension Wolfgang Schneider: Die „sanfte“ Kontrolle, Suchtprävention als Drogenpolitik

HanfBlatt Nr. 106

Was sind die Ursachen? Wie kann geholfen werden?

Geschichte und Gegenwart der Drogenforschung und der Drogenpolitik zeigen, dass es keinen „Königsweg“ zur Reduzierung von Drogenabhängigkeit gibt. Was aber sind die grundsätzlichen Annahmen über die Entstehung von schädlicher Drogenabhängigkeit und in wie weit bestimmen diese Theorie das Handeln des Drogenhilfesystems?

Dirk Themann hat sich die Mühe gemacht und verschiedene Theorie über die Entstehung von Drogenabhängigkeit überprüft. So nimmt zum Beispiel die Psychoanalyse (Freud) an, dass eine gestörte Kindheit zu einer gestörte Persönlichkeit und damit zu (Heroin-)Abhängigkeit führen kann. Themann hat dies anhand der Geschichte von Abhängigen überprüft, sein Fazit: Die Annahme ist mit den empirischen Daten nicht vereinbar.

Ähnliches gilt aus seiner Sicht für die sogenannten Anomie-Theorie, die Drogenabhängigkeit mit fehlenden sozialer Ordnung bzw. Regel- und Normenschwäche erklären wollen. Am besten schneidet bei Themann der Labeling-Ansatz ab. Dessen Schema: Der Drogenkonsum einer Person führt zu einem Brandmarkung. Dieses Stigma führt zu vermehrter Diskriminierung dieser Person, diese Diskriminierung führt wiederum zum sozialen Ausschluss aus der Gesellschaft und dieser Ausschluss birgt für die Person als eine mögliche Bearbeitungsstrategie den Rückzug in die kriminellen Drogenkarriere an. Aber auch hier gilt: Menschen funktionieren nicht wie Maschinen, es müssen viele Faktoren zusammenkommen, um jemanden in die Sucht zu bringen.

Insgesamt schafft es Themann, die psychologisch dominierte Drogenforschung, die in all ihren Varianten von einer individuell-defizitären Persönlichkeit der Drogenkonsumenten ausgeht, kritisch zu beleuchten. Schön wäre gewesen, wenn er weitere Theorien zur Entstehung von Abhängigkeit auf ihre Praxistauglichkeit abgeklopft hätte.

Aber auch so: Ausgehend von dem theoretischen Mangel entwirft Themann ein eigenes Modell, das verschiedene Theorien verbindet. Es berücksichtigt, dass es „den“ Drogenabhängigen nicht gibt, das eine nicht geringe Zahl von Konsumenten existiert, die Heroin kontrolliert einnimmt und das einige den Konsum selbstständig beenden. Der Autor landet schließlich bei der Forderung nach einer konzeptionellen Umgestaltung der Drogentherapien, einer Teillegalisierung mit gering dosierten Heroin, wobei geklärt werden müsse, wie kein Schwarzmarkt entsteht.

Insgesamt viele harte Bretter, die Themann gekonnt bohrt, ein kleines Buch mit hohem Gewicht. Dass die Sprache sich meist in den Tiefen der Wissenschaft bewegt, dass muss wohl so sein. Es ist daher zwar kein Vergnügen, dass Buch zu lesen, aber für alle unbedingt zu empfehlen, die sich auf hohem Niveau mit den Alternativen zur festgefahrenen Drogenpolitik beschäftigen wollen.

Dirk Themann:
Alternativen zu individuenzentrierten Drogentheorien und zur Drogenpolitik
Tectum Verlag 2006
202 Seiten, broschürt
ISBN: 3-8288-9088-1
24,90 EUR

 

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Drogenpolitik

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch (5): Das Judentum

HanfBlatt Nr. 102, 2006

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch

Teil 5

Das Judentum

Abraham, Mose, Isaak: Urtümliche Gestalten mit langen Bärten und strenger Miene. Das jüdische Leben ist voller Gebote, bleibt da Platz für den Rausch?

Das Judentum ist eine Religion der Schrift. Das wichtigste Buch der Juden, die Tora, vereinigt die fünf Bücher des Propheten Mose mit 613 Geboten. Will man korrekt nach jüdischem Glauben leben, gibt es eine Menge zu beachten. Und um das gleich vorweg zu nehmen: Über wilde Feste zur Huldigung Jahwes oder rauschhafte Rituale, um dem eigenen göttlichen Funken näher zu kommen, steht in der Tora nichts. Ist der Judaismus ein gänzlich nüchterner Glauben? Ganz so einfach ist es nicht.

Etwas Geschichte führt auf den richtigen Weg: Alle drei großen monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, wurzeln im Alten Testament und berufen sich auf Mose. Kein Wunder, denn die Familienverhältnisse sind klar: Der Prophet Mose ist, wie Mohammed und Jesus, ein Nachfahre von Abraham. Dieser zeugte mit seiner ersten Frau den Ahnherrn der arabischen Stämme, nämlich Ismael, und mit der zweiten Frau Isaak, den Ahnherrn der jüdischen Stämme.

Die Geschichte von Moses ist, ähnlich wie das Nibelungenlied oder Homers Odyssee, eine Legende mit historisch wahrem Kern. Jahwe, der jüdische Gott, spricht zu Mose und erteilt ihm den Auftrag, den Volksstamm der Hebräer aus dem Elend Ägyptens herauszuführen. Und zwar in ein Land, „in dem Milch und Honig fließen“. Moses führt das Volk über 40 Jahre lang durch die Wüste, etabliert dabei den Glauben an Jahwe, bringt die ganze Truppe schließlich nach Palästina und gründet Jerusalem. Auf diesem Mythos stützt sich die Identität der Juden bis heute, er ist in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen. Umso schwerer wog die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Christus und die darauffolgende Verbannung.

Während im Christentum der Messias und das Leben nach dem Tod im Zentrum aller Heilserwartungen steht, gilt für die Juden die Befolgung der Tora als Heilsweg. Nur ein Leben nach ihren Weisungen ist ein Leben nach dem Willen Gottes. Die wichtigsten Dinge sind bereits auf Erden zu erledigen. Alkohol, Cannabis und andere Drogen lenken aus dieser Sicht nur von einem konzentrierten, Gott und dem Tora-Studium gewidmeten Leben ab. Soweit die Theorie.

Im Laufe der Jahre entwickelte die jüdische Kultur strikte Hygiene- und Ernährungsvorschriften. Wie im Islam gibt es Vorhaut-Massaker. Das heute geflügelte Wort „koscher“ steht auch in Beziehung zu Substanzen, die berauschend wirken. Sie sind der überwiegenden Meinung nach nicht koscher. Es gibt viele Juden, die sich durchaus als gläubig bezeichnen und trotzdem Wein trinken oder ab und zu einen durchziehen. Einige progressive Rabbiner plädieren für eine Normalisierung im Umgang mit Rauschdrogen, vor allem Cannabis. Das ist nicht nur eine Anerkennung der Tatsache, dass die israelische Ecstasy-Affinität und die Feierfestigkeit israelischer Neo-Hippies weltweit legendär ist. Es ist auch ein Zeichen für die Autonomie der jüdischen Gemeinden auf der Welt.

Denn es ist kein einziges Oberhaupt, als vielmehr eine große Anzahl von Rabbiner, die die Tora auslegen. Die dazugehörige Gemeinde muss folgen. So kommt es zu durchaus unterschiedlichen Interpretationen der heiligen Schriften. Aber wer jetzt schon den Koffer packt: es sind keine Gemeinden bekannt, die den Gebrauch psychoaktiver Substanzen billigen.

Die nüchterne Sicht auf das Erdenleben pflanzt sich in der Diskussion um Cannabis als Medizin fort. Hier gibt es mittlerweile offizielle Stellungnahmen von Rabbinern in den USA, die den Einsatz von therapeutischem Hanf offen befürworten.

Es ist wie so oft bei der Betrachtung von Religionen: Schon über die korrekte Auslegung der alten Schriften wird gestritten, über die korrekte Lebensführung noch mehr. Das Judentum glänzt heute mit Altgläubigen und Progressiven, Nationalisten und Pazifisten, Rationalisten und Mystikern. Das Judentum ist kein Block, wie die Antisemiten immer meinen, es existieren keine festen Hierarchien und natürlich auch keine jüdische Weltregierung. Im Gegenteil, in vielleicht keiner anderen Religion ist die Vielfalt von Meinungen und Ansätzen so ausgeprägt wie im Judentum.

Vergangenheit

Die mystischen Zweige der jüdischen Kultur, wie Merkabah, Kabbala und Chassidismus bemühen sich seit Jahrhunderten um die direkte Beziehung des Menschen zu Gott. Aber auch diese Traditionen verbleiben auf „vernünftigen“ Ebenen, von ritualisierten oder etablierten Räuschen ist nichts bekannt. Es gibt zwar Textstellen in der Tora, in denen „kaneh-bosm“ eine Rolle bei der letzten Ölung spielt. Noch ist aber nicht geklärt, ob es sich dabei um Cannabis oder Kalmus gehandelt hat (der allerdings im Orient damals unbekannt war). Wie auch immer: Es dürfte klar sein, dass die frühen Hebräer den Hanf als Faserpflanze kannten. Ob sie ihn allerdings als Rauschmittel genutzt haben, ist zumindest zweifelhaft.

Daniel Sieradski, der zur Zeit an einem Buch über „Judentum und Drogen“ schreibt, sucht seit Jahren nach den spirituellen und entheogenen Wurzeln des Judaismus. Er sagt: „Man findet hier und da unklare Hinweise, aber eine spezifische Ritualkultur scheint es nicht gegeben zu haben; es sei denn, sie haben sich gut getarnt.“

Nur der Konsum von Wein hat sich in den religiösen Praktiken bis heute halten können. Am Abend vorm Sabbat, dem jüdischen Wochenruhetag, wird im Rahmen einer Zeremonie (Kiddusch) ein Glas Wein gereicht – und auch getrunken. Dieser dient in der Interpretation einiger Rabbis durchaus dazu, die spirituelle Sensitivität zu erhöhen. Ein ausgelassenes Fest soll das aber nicht werden.

Bei jüdischen Hochzeiten gehört Wein ebenfalls zum Ritual. Feiern ist seit Urzeiten beliebt. Baal Shem Tov, ein osteuropäischer Rabbi, propagierte Musik und Tanz als Mittel Gott auf freudige Weise näher zu kommen. Auch Sexualität ist im Judentum keine unreine oder gar unspirituelle Angelegenheit. Die Faszination an der körperlichen Liebe, so glauben viele Juden, hängt auch mit dem göttlichen Funken darin zusammen.

Vorläufiges Fazit: Das Judentum lebt gut mit dem Widerspruch, eine rationalistische Religion zu sein. Rauschmittel allerdings, denen die Tendenz innewohnt, diesen Rationalismus aufzubrechen und zu erweitern, haben seit je her wenig Chancen. Theoretisch. Praktisch begeistern sich auch gläubige Juden an der Wirkung von bewusstseinsverändernden Substanzen.

Dies ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass eine ganze Reihe etablierter Drogenforscher jüdischen Ursprungs sind. Um nur vier Namen zu nennen: Rick Doblin (MAPS), Charles Grob, Howard Lotsof, Lester Grinspoon. Aus ihrer Sicht stehen sie in der Tradition von Heilung, Mitgefühl, der Erklärung religiöser Erfahrungen und der Transformierung der Gesellschaft.

In Israel tritt politischer Hanf-Aktivismus seit 1999 zu jeder Parlamentswahl an. Die Ale Yarok- („Grünes Blatt“) Partei setzt sich unter ihrem Spitzenkandidaten Boas Wachtel vehement für eine Änderung der Drogenpolitik ein. „Das Drogenproblem darf nicht mehr nur unter dem kriminalistischen Aspekt gesehen werden. Es ist ein sozial-medizinisches Problem“. Wichtig sei, die Besitzer von kleineren Mengen Cannabis nicht mehr zu bestrafen und den Aufzug von bis zu fünf Marihuana-Pflanzen zu erlauben.

Zur Zeit gelten in Israel bis zu 15 Gramm Cannabis als Eigenbedarf, der allerdings mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Das kommt selten vor, es ist wie in anderen Industrienationen auch: Über die Hälfte der (jährlich rund 20.000) Drogendelikte geht auf den Kleinstkonsum von Haschisch oder Marihuana zurück. Die meisten Fälle davon enden nicht im Gefängnis, sondern als Kurzeitfeger im Park.

Es wurde viel darüber gestritten, ob der Ansatz, dass die drei großen Weltreligionen keine anderen Götter neben sich dulden, der Hauptgrund für Kriege im Namen des Glaubens ist. Beispielsweise war ein gewisser Antijudaismus Grundlage der Theologie der christlichen Kirche. Die katholische Kirche definierte sich lange über die Ablehnung des Judentums, von weltlichen Herrschern wurde diese Tendenz nur zu gerne aufgenommen, um die Juden im Laufe der Jahrhunderte immer weiter ins gesellschaftliche Abseits zu drängen.

Gleichwohl erlebte Anfang des 20. Jahrhunderts das deutsche Judentum seine Blüte. Zum ersten Mal seit dem Mittelalter waren alle rechtlichen Benachteiligungen aufgehoben. Um 1910 wohnten fast 620.000 aller deutschen Juden in Berlin. Mehr als 60 % gehörten zum mittleren und gehobenen Bürgertum, nur wenige lebten in Armut. Wieder einmal kam Neid auf, unterfüttert von neuen, biologischen Argumenten, die Juden als minderwertige Rasse diffamieren. Die Folgen sind bekannt: Latenter Antisemitismus und blinder Gehorsam führten unter Adolf Hitler zur größten Katastrophe des 20. Jahrhundert, dem Holocaust.

Gegenwart

Inzwischen mehren sich in den USA Stimmen, die das Ziel, die amerikanische Gesellschaft von Drogen zu befreien, für weltfremd halten. Balfour Brickner ist emeritierter Rabbi der Stephen-Wise-Free-Synagoge in Manhattan und hat sich mit anderen Rabbis, muslimischen Imamen und christlichen Geistlichen zur Vereinigung der „Religious Leaders for a More Just and Compassionate Drug Policy” zusammengeschlossen. „Es ist finanziell, moralisch und religiös gesehen falsch, Menschen dafür einzusperren, dass sie Drogen nehmen. Das löst das Problem nicht”, sagt er. „Amerikanische Politiker leben in dieser Frage vollkommen an der Wirklichkeit vorbei. Sie sind ängstlich, dumm, und sie irren.”

Die israelische „Green Leaf“ Partei, die die Legalisierung von Cannabis fordert, stellt jüngst fest, dass Cannabis während des Passah-Festes nicht koscher ist (hier der Link).

 

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Eine satyrische Bilanz zur hundertsten Ausgabe des Magazin „Hanfblatt“

In Opium-Nebeln und Bilsenkraut-Gewittern

Eine satyrische Bilanz zur hundertsten Ausgabe des Magazin „Hanfblatt“

Man bat mich, eine Bilanz zu ziehen. Dafür musste ich erst einmal in die finstren Wälder fliehen, raus aus dem Reich der Ratio, der Illusionen, Täuschungen und Trugschlüsse. Nun umweht Palo Santo-Duft mein welkes Haupt, das die Bruchstücke vergangener Träume zusammenklaubt. Der Wahrsagesalbei, Salvia divinorum, war im Ansatz großartig und versprach mehr: Da kommt noch was, am Besten die Reinsubstanz. Für die Einen dann ein Segen, für die Anderen die neueste „Horrordroge“ auf dem schier endlosen Highway to Hell, ein Grund mal wieder per Anhalter durch die Galaxis zu reisen.

Jenen an der chemischen Front möcht ich, auch, wenn sie mich nicht fragen, sagen: 1,4-Butandiol ist das wahre „Liquid Ecstasy“! Die offiziellen Kandidaten GHB (Natrium- oder Kalium-Gamma-Hydroxy-Butyrat) und GBL (Gamma-Butyro-Lacton), das sind nur Schattenkämpfe, Scheingefechte für die ewigen Prohibitionisten in ihren geistigen Zwangsjacken. Alkohol ist ein schlechter Witz dagegen. Nur noch etwas für Kontrollfreaks. Hier kommt eine Industriechemikalie, integraler Bestandteil eines allgemeinen Deliriums, eines Taumels um eine friedliche Gang-Bang-Party herum, die Droge zum Ringelpietz mit Anfassen. Von der darf man Niemandem erzählen, weil sonst Alle nur noch Willy wählen. Und von den Ketamin-Pforten, da sollst Du schweigen an vielen Orten. Rede dort lieber über Kirsch-Sahne-Torten.

Ayahuasca-Analoge, die sind wirklich heilig. Über die werde ich keine dummen Witze reißen, auch wenn man selbst auf Ayahuasca reichlich seinen Spaß haben kann. Alles so schön bunt hier, und das da unten, der Elfenmaschinen-Gesangsverein, der mir da so freundlich zuzwinkert, und die rosanen Delphine, die dort um die Wette kopulieren, das kann man durchaus kapieren: Das bin ja ich! Das ist ja mein Programm! Das ist mein La Pura Vida. Das ist mein Leben, und ich bin der Lebenslauf. Mann, ab sofort bin ich einfach nur noch gut drauf, mit ein bisschen Respekt für meine mich und Dich liebenden Freunde.

Ginseng ist ein Freund unter Freunden. Betel ist eine Option, die dich frech anlacht, eine Hand, die Dich hebt wie die von King Kong und sanft wieder am Boden absetzt, vollkommen unzerfetzt und natürlich unverletzt. Channa, Kratom und Pituri, am Abend dann noch Besuch von Huri. Nein, keine Angst, so schnell wird es da schon keine Meute von Friedensaposteln zu bunt treiben. Dem kann man gelassen ins Auge sehen.

Der prächtige relativ schnell wachsende Säulenkaktus San Pedro, ein mühseliges Unterfangen, sich den göttlichen Phallus einzuverleiben, das die Spreu vom Weizen trennt. Hot Stuff for Lovers. Mehr davon später, sprach der Attentäter. Peyote, replant the desert with the sacred dessert. Packe die Gelegenheit am Schopfe und beobachte den Kopfe beim Blühen und schau ihm dabei zu, wie sich seine prallen rosanen Früchte mit den niedlichen kleinen schwarzen Samen zur Reife entwickeln. Synthetischer Geheimtip aus dem Shulgin´schen -IHKAL-Universum: 4-Acetoxy-DIPT, die schmelzige Liebesdroge ohne großen Ego-Verlust: I love to love every body and my body feels so sexy! Argyreia nervosa, was für eine Pflanze! Hast Du Dir mal die Stämme angesehen, wie sie sich in den Bungalowanlagen von Koh Chang an den Wänden hochwinden? Das ist die pure Windenpower. Da müsste manche Ayahuasca-Liane vor Neid erblassen, zumindest ein wenig beim Fluoreszeieren nachlassen, wenn sie nicht zugegebenermaßen begründeterweise so verdammt stolz wäre.

Was schreibe ich mir hier wieder zusammen?! Das drucken die doch nie, diese liebenswerten Schisser. Gut, dass meine Leser, diese Tollen, gerne auch mal etwas von meiner anarchischen künstlerischen Arbeit lesen wollen. Das zeigt mir doch, dass es noch immer reichlich aufgeschlossene Menschen gibt, die nicht bereit sind, den Status quo von Ungerechtigkeit und Gewalt, die mangelnde Bereitschaft, Verantwortung für das Leben zu übernehmen, als für immer und ewig gegeben hinzunehmen. Und die sich keineswegs öffentlich für ihr tragi-komisches Dasein als hoffnungslose Romantiker vom Kaliber einer Anhäufung lokaler Geniusse a la Rammstein und Konsorten oder etwa ihre Zwiesprache mit den Pflanzengeistern schämen, in meinen Augen ein wahrhaft fürstliches Benehmen.

Und ewig lockt das Opium den Musterbürger, das ideale Sakrament für die Zeit des Wartens auf den Aufschwung. Bis zum großen Wunder, den grandiosen Ideen für neuen Plunder, bringen wir uns in Schwung mit Opium aus heimischem Mohn, mit dem wir die Ostzone neu begrünen, paradiesische Landschaften. Danke dem unverzichtbaren Hauptbestandteil eines jeden Original-Ostzonensuppenwürfels. Wer dann um halb Acht abends noch aufrecht steht, der kriegt ne Flasche Fliegenpilz-Met. Überhaupt ist die Zeit reif für den Glücks- und Duselpilz, die Berserker-Disco-Coolness, den Marathon in Strapsen und High-Heels. Going deeper to the ground mit unterirdischem Sound. Immer wieder beugen sich über mich die Schatten der Nacht, was habt ihr mit mir gemacht, habt mich ausgelacht, unter der Erde zu Bett gebracht, machtet mich heilig, weil nur mehr drollig und nicht überzeugend rollig in einer lauen November-Vollmond-Nacht. Hört ihr die Engelstrompeten von ALDI?! Wie sie schallen, wie sie wallen, wenn wir aus unseren Kinderzimmern in den zugefrorenen Pool vor der Prunkvilla unserer Eltern knallen, in Wirklichkeit aber nur unterm Bett in eine Art Totenstarre verfallen und von blauen Kühen und totaler Freiheit lallen. Der Kahlkopf ist mit Euch! Sowieso. Dazu brauch ich wohl nichts mehr zu sagen.

Wenn Einer den allergrößten Respekt verdient, dann der Spitzkegelige! Die Bauern müssten verpflichtet werden, seinen Bestand zu pflegen, zu hegen und zu vermehren, so dass es einmal heißen kann: Das größte Lebewesen der Welt ist ein Pilz: Psilocybe semilanceata! Sein Mycel heißt Germany. Auf seiner Oberfläche leben eigenartige parasitäre Wesen, die sich ausschließlich vom Mycel ernähren und nach jedem Bissen Freudensprünge in die Luft machen und dabei so komisch kiechern, als hätten sie tagelang nur Christian Rätsch gelesen. Dafür hab ich nen Riecher. Das war auch mal so eine Macke: Sie sind doch jetzt son Experte, nun gebn se mal ne Prognose ab: Wie wird das so in der Zukunft? Was pfeifen wir uns da rein? Sie müssen es doch wissen! Wenn nicht Sie, wer dann?! Da nützt auch kein, ach hab keine Philosophie und auch keine Juristerei studiert, hab die ökonomischen Zusammenhänge nur beim Lesen von Max Stirner kapiert. Da nützt kein Fluchen und kein Schreien, Bilanzen und Zukunftsprognosen, das muss jetzt nun mal sein. Der Spökenkieker sagt Dir nur ein Wort: Speed! Was, die olle Kamelle? Die macht doch nur schnelle und täuscht dir vor, du seist besonders helle! Dabei bist du einfach nur wach, und dein Spirit sagte dir ohnehin schon vor langer Zeit „Gute Nacht, ich muss erst einmal eine Runde puffeln“. Ephedra ist da die harmlose Lösung und Kokatee eine glorreiche Alternative zur Nervosität des Grünen Tees, wenn man ihn ganz allein für sich trinkt, dann kann man sie erschauen, die Grüne Fee, wie sie kokabekränzt vom Schloss Neuschwanstein winkt.

Kath-Gebrauch zu kriminalisieren war rassistisch. Wir sollten es eigentlich besser wissen und Niemandem sein geliebtes Genußmittel verbieten. Jeden Tag immer Koffein, Nikotin, Alkohol und vom Onkel Doktor Benzos und Tramal, das ist für freie Menschen keine vernünftige Wahl. Das ist eine traurige Kombination. Kein Wunder, dass alle nur jammern und so fürchterlich depressiv sind. Vielleicht sollte man es mal aus einer anderen Perspektive betrachten, alles nicht so verbissen. Wir sind hier, um uns gegenseitig das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Das Gegenteil ist glatt gelogen. Man wittert geradezu Südsee-Idyllen aus prä-missionarischer Zeit. Gestern hoams die Kawa verboten, diese Vollidioten. Wer an Kawa krepiert, der hat in seinem Leben wirklich schon alles ausprobiert, um zu vermeiden, dass er einmal in einem Anfall der Selbsterkenntnis vor Einsamkeit und Ehrfurcht friert, oder eben Pech gehabt, kann vorkommen. Das ätherische Muskatnußöl und Krähenaugen, das sind definitv Ressourcen für Notzeiten oder Zeiten der langsamen Gangart. Welcher Wahnsinnige will dies Alles im Zeitalter der Internet-Aufklärung verbieten? Kein Lebewesen ist illegal! Ihr Narren an der Macht, kümmert Euch lieber um die Menschen, die auch gerne bei der Konsumorgie dabei wären, aber draußen bleiben müssen, weil sie über den Stacheldraht nicht rüber und an den Bluthunden nicht vorbei kommen. Die beschränkte Sichtweise zu überwinden und wenigstens für Augenblicke bewußt zu werden, darum geht es, nicht um den Nebel der Betäubung. Es geht um die Kontraste, um Reisen zum Baum der Erkenntnis inklusive Verkostung und feuchten Küssen von den Lippen der Brillenschlange. Im Weinen liegt Wahrheit, im Wein allein ist sie nicht mehr drin. Alles andere wäre Etikettenschwindel.

Aber der Hanf hat gesiegt. Heute manipuliert er auf Wunsch gerne die Gene. Anbauwissen ist praktisch Allgemeingut geworden. Damit kann man sich überall auf diesem Planeten selbst versorgen, ob im U-Boot in internationalen Gewässern, in Polarstationen oder im Seitenflügel des Space-Labs neben der MDMA-Tabletten-Presse. MDMA ist das Spirit-Molekül, das seinen Missbrauch mit Bad Vibrations und Visionen von Lochfraß bestraft und den respektvollen Umgang mit göttlicher Gnade und Wellen verliebter Dankbarkeit belohnt. Und Kokain, das ist viel heiße Luft in Dosen, ja, ja, du gehörst zu den ganz, ganz Großen – Maulhelden. Und das Mutterkorn breitet sich immer weiter aus, oh dieser Klimawandel, all diese Feuchtigkeit und die geilen neuen Roggenhybriden der Globalisierungsfanatiker und da drüben in den Brachen bei den verfraggelten Öko-Bauern, da kann man Urlaub machen und als himmlische Sporen auf günstige Gelegenheiten lauern. 100stes Hanfblatt und 100 Jahre Albert Hofmann, das ist mehr als nur Zufall. Das war von Anfang an geplant. Der Chemiker gehört aufs Titelblatt, mit Sprechblase und Schlagzeile: Albert zum 100sten Geburtstag fordert: „Legalize it! Fools, please, don´t critizise it!“ In diesem Sinne blühen die Gedanken, denn die sind frei, und gedeiht es, das neue Zeitalter, das Zeitalter nach Jetzt, bevölkert von illustren Gestalten, die sich weigern ständig, die Luft anzuhalten. Aber, das ist doch Humbug – das ist doch fiktiv?! Na, dann werd doch aktiv!