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Cannabis Psychoaktive Substanzen

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Cannabis angepflanzt und Haschisch produziert

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

Die Wiedergeburt einer alten Bekannten

Jörg Auf dem Hövel

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Haschisch produziert

Die Bauern im nördlichen Afghanistan finden zu einer alten Tradition zurück: Sie bauen Cannabis Indica an. Für sie ist es oft der letzte Ausweg aus bitterer Armut. Im Westen darf man sich freuen, das Haschisch wird 2008 den deutschen Markt erreichen.

Das Haschisch aus den nördlichen Berg-Regionen Afghanistans galt schon immer als exzellent, Händler und internationale Connaisseure greifen jetzt wieder gerne zu: Außen schwarz-glänzend, innen dunkelbraun, gut knetbar und vor allem bretthart in der Wirkung. Die Afghanen sind stolz darauf, ein extrem stoned machendes Naturprodukt herstellen zu können.

Seit den 80er Jahren ist man an schlechte Nachrichten aus Afghanistan gewöhnt. Damals fiel die sowjetische Armee in das Land ein, ein bis heute währender Bürger- und Stellvertreterkrieg begann, in dem sich die Sowjetunion und die USA auf fremden Gebiet gegenüberstanden. Nach dem Abzug der Russen 1989 bekämpften sich zunächst Mudschaheddin-Gruppierungen, später eroberten die Taliban das Land und errichteten einen äußerst restriktiven Staat. Seit 2001 soll eine internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) über den Frieden wachen. Aber die Rivalitäten zwischen den Stämmen und Völkern sind extrem, die ausländischen Interessen gespalten. Es ist nicht absehbar, das das Land zur Ruhe kommt.

In diese Krise hinein arbeitet die Drogenpolitik der Vereinten Nationen. Ihr Motto: Vernichtung der Schlafmohn-Felder, mit denen sich die Bauern über Wasser halten, der wahre Profit mit Opium und Heroin wird an ganz andere Stelle erwirtschaftet. Aber: Afghanistan gilt als der Opium-Lieferant der Welt, über 80% des weltweit konsumierten Heroins soll aus Opiumlieferungen aus Afghanistan stammen.

Noch vor zwei Jahren blühten in der nördlichen Provinz Balkh, die an Usbekistan grenzt, die Schlafmohnfelder. Auf internationalen Druck ließ der Gouverneur die Felder vernichten. Farhad Munir, Sprecher des Gouverneurs erläuterte stolz: „Wir haben es geschafft, den Opiumanbau in Balkh auf Null herunterzufahren.“ Die Bauern versuchten es auf Anordnung für eine Saison mit Weizen, dieser gedieh zwar, brachte aber kaum Einnahmen. Man versprach den Bauern finanzielle Unterstützung, die nie ankam. Unter diesen Rahmenbedingungen haben sich die Bauern in der Provinz notgedrungen auf eine Tradition besonnen, sie pflanzen eine alte Kulturpflanze: Hanf.

Vor Ort wiegen sich nun die grünen Dolden im Wind. Die Cannabis-Kultivierungsflächen seien in 2007 um 40% gestiegen, jammert denn auch die UN in einem Report. Man spricht von über 50.000 Hektar Anbaufläche. Die Bauern dagegen sind begeistert. Die Hanfpflanze ist nicht so kompliziert in der Aufzucht wie der Mohn. Gesät wird nach alter Tradition im April und Mai, geerntet im November und Dezember.

Ein Reporter der New York Times berichtet von erstaunlichen 2,70 Meter hohen Pflanzen, der interviewte Hanfbauer sagt: „Das ist noch gar nichts, die müssen sie mal sehen, wenn die den richtigen Dünger kriegen.“ Mit dem Anbau verdiene er doppelt so viel wie mit der Kultivierung von Baumwolle, die zudem arbeitsintensiver sei. Wie viele andere in der Region steht er in einer Tradition: Schon sein Vater und sein Großvater hätten hier Cannabis angebaut, berichtet er.

Verkauft wird das Haschisch an lokale, vertrauenswürdige Zwischenhändler. Fotos zeigen ölig-schwarze, etwa handflächengroße Platten. An den Straßen rund um die größte Stadt im nördlichen Afghanistan, Mazar-i-Sharif, wird das wohlduftende Harz relativ offen in kleinen Straßenbuden verkauft. Der Preis: Rund ein Dollar. Nein, nicht pro Gramm, sondern Einheit. Sogar auf einigen Wochenmärkten soll es einfach zu erhalten sein. Die afghanische Bevölkerung sieht im Haschisch ohnehin nicht ein Teufelszeug, seit Jahrhunderten wachsen die Indica-Pflanzen im Land wild. Nach der Schreckensherrschaft der Taliban gehört Hasch rauchen heute wieder zum Alltag, lokalen Schätzungen zu Folge kifft die Hälfte der Bürger in der Provinz Balkh mehr oder minder regelmäßig. Die UN spricht allerdings von nur „rund 520.000“ Cannabis-Konsumenten im gesamten, 30 Millionen Bürger starken Land.

Bis Ende der 70er Jahre war Afghanistan für leckeres Haschisch bekannt, mit dem Beginn des Krieges in den 80er Jahren hörten die Bauern auf Cannabis anzupflanzen. Lange war kaum noch Haschisch auf dem internationalen Markt erhältlich, vieles, was als „Afghane“ angepriesen wurde war (schlechtes) Hasch aus Pakistan. Das sieht heute wieder anders aus. Ein Bauer aus dem Charbolak-Distrikt im Norden Afghanistans berichtet dem „Institute for War and Peace Reporting“ von zwei Sortierungen von Haschisch, dem hochqualitativen „Shirak“ und dem nicht so guten „Khaka“. Pro Pound (453 Gramm) Shirak könne er 20 Dollar verlangen, pro Pound Khaka 10 Dollar. Die Zwischenhändler liefern das Haschisch dann zunächst nach Pakistan, Iran und Tadschikistan geschmuggelt, von dort aus erreicht es dann die Welt.

Der Anbau ist und bleibt illegal, das Katz und Maus Spiel wird weiter gehen. Die Regierung in Kabul hat angekündigt keine in 2008 keine Ernte zuzulassen. Die Ernte 2007 habe man deshalb nicht zerstört, so die Offiziellen, um den Bauern nicht die Lebensgrundlage zu nehmen. Diese haben auf die Ankündigung schon reagiert – sie wollen wieder Cannabis aussähen. Nebenbei: Im Rahmen ihres ISAF-Einsatzes ist die deutsche Bundeswehr auch in der Region Balkh stationiert. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis den Damen und Herren das neue Entspannungsangebot dort auffällt.

 

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Drogenpolitik

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Koksen ist 80er? Weit gefehlt.

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Jörg Auf dem Hövel

Same procedure as every year: Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) legt ihren Bericht für das europäische Drogenjahr vor. Die EBDD überwacht im Auftrag der EU die Entwicklung im Drogensektor in den Mitgliedstaaten. Einige Zahlen lassen aufmerken: Jeder siebte Erwachsene hat im letzten Jahr mindestens einmal zum Joint gegriffen – das sind rund 23 Millionen Menschen. Damit bleibt Cannabis die beliebteste illegale Droge Europas. Trotzdem der Konsum nach wie vor auf hohem Niveau liegt, schöpft die EBBD Hoffnung: „Nach einem stark ansteigenden Cannabiskonsum in den 90er Jahren und einem leichteren Anstieg nach 2000 weisen die jüngsten verfügbaren Daten darauf hin, dass sich der Cannabiskonsum insbesondere in den Ländern mit hohen Prävalenzraten stabilisiert oder sogar rückläufig ist“, schreibt die EBDD. Im Klartext: Der große Hype ist nach Ansicht der Experten vorbei. In einigen Mitgliedstaaten gäbe es Anzeichen für eine „sinkende Popularität der Droge unter jüngeren Menschen“.

Laut Drogenbericht haben durchschnittlich 13 % der jungen erwachsenen Europäer (das sind die zwischen 15 und 34 Jahren) in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Der höchste Konsum wird in Spanien (20 %), der Tschechischen Republik (19,3 %), Frankreich (16,7 %), Italien (16,5 %) und dem Vereinigten Königreich (16,3 %) verzeichnet. Die aktuellen Daten für Länder mit mittlerem Konsum zeigen eine Stabilisierung in Dänemark und den Niederlanden sowie sinkende Raten in Deutschland. Unter jüngeren Erwachsenen stieg der Konsum in Ungarn, der Slowakei, Norwegen und Italien.

Laut Drogenbericht konsumiert nur ein relativ geringer Anteil der Konsumenten Cannabis „regelmäßig und intensiv“. Was heißt das? Schätzungsweise ein Prozent (ja, 1 %) der europäischen Erwachsenen, also rund 3 Millionen Menschen, kiffen nach Ansicht der EBDD möglicherweise täglich oder fast täglich. Die Prävalenz ist unter männlichen Jugendlichen im Allgemeinen höher.

Damit kommt auch der EBDD zum neuen Steckenpferd aller Statistiken über Cannabis, den „behandlungswürdigen Kiffern“. Zwischen 1999 und 2005 habe sich die Zahl der Europäer, die eine Behandlung wegen Cannabisproblemen nachfragten, etwa verdreifacht. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Behandlungsnachfragen wegen Cannabisproblemen von 15 439 auf 43 677 an. Allerdings, so die Beobachtungsstelle, scheint sich dieser Aufwärtstrend jetzt zu stabilisieren. Unklar ist nach wie vor, inwieweit die zunehmende Behandlungsnachfrage auf einen Anstieg eines intensiven Konsums und des damit verbundenen Behandlungsbedarfs zurückzuführen ist. Oder aber andere Faktoren eine größere Rolle spielen, wie eine größere Zahl von Zuweisungen aus dem Justizsystem, ein besseres Berichtswesen oder die Eröffnung spezifischer Behandlungsdienste für Cannabiskonsumenten.

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Interessant ist aus dieser Sicht vor allem der Beliebtheitsgrad von Cannabis unter Schülern und Schülerinnen. Die europaweit höchste Lebenszeitprävalenz („habe schon mindestens einmal im Leben gekifft“) des Cannabiskonsums unter 15- und 16-jährigen Schülern wurde in Belgien, der Tschechischen Republik, Irland, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich und Spanien verzeichnet, die allesamt Raten zwischen 30 % und 44 % meldeten. Deutschland, Italien, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei verzeichneten Raten von über 25 %. Dagegen wurden aus Griechenland, Zypern, Rumänien, Schweden, der Türkei und Norwegen Schätzungen für die Lebenszeitprävalenz von unter 10 % gemeldet.

Laut Drogenbericht wird die Bewertung der Cannabissituation in Europa durch Marktfaktoren erschwert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der EU berichteten 2007 über die Herstellung beträchtlicher Mengen von Cannabis im eigenen Land. Der Trend zur Selbstversorgung und Home-Growing scheint sich fortzusetzen.

Rechtslage

In Europa ist auch 2007 die Tendenz fortgesetzt worden, alternative Maßnahmen zu strafrechtlichen Verurteilungen zu finden, wenn es um den Besitz kleiner Mengen Cannabis für den persönlichen Gebrauch geht und keine erschwerenden Umstände vorliegen. Stattdessen setzt man auf Geldbußen, Verwarnungen, Bewährungsstrafen, Straffreiheit und Beratung. Es gibt deutliche Hinweise: die Abschaffung der Haftstrafen in Luxemburg (2001) und Belgien (2003) sowie die Verringerung der Haftstrafen in Griechenland (2003) und in Großbritannien (2004). Entspannte Leitlinien für Polizei oder Staatsanwälte wurden in Belgien (2003 und 2005), Frankreich (2005) und im Vereinigten Königreich (2004 und 2006) verabschiedet. 2006 war man in der Tschechischen Republik nahe daran, unterschiedliche Klassen nicht-medizinischer Drogen einzuführen.

Pulvermanie

Trotz großer Unterschiede zwischen den Ländern scheinen die neuen Daten zu belegen, dass Kokain zu einer Primärdroge in Europa geworden ist. Es ist nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge, und hat damit Ecstasy und den Amphetaminen den Rang abgelaufen hat. Die EBDD schätzt, dass rund 12 Millionen Europäer, das sind 4 % aller Erwachsenen, einmal in ihrem Leben Kokain ausprobiert haben. Rund zwei Millionen Europäer haben in den letzten 30 Tagen Kokain konsumiert, das ist mehr als das Doppelte der Schätzung für Ecstasy.

Über psychedelische beziehungsweise entheogene Drogen macht der EBDD-Bericht kaum Angaben. Trotzdem sie immer mal wieder durch das mediale Sommerloch getrieben werden, scheint entweder ihre Mengenrelevanz auf dem gesamteuropäischen Markt zur Zeit unbedeutend zu sein oder aber die Konsumenten fallen nicht unangenehm auf. In Zahlen: In den letzten 12 Monaten haben laut EBDD in nur sieben Ländern mehr als ein Prozent (1 %) der 15-24-Jährigen LSD genossen. Das war in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Italien, Lettland, Ungarn und Polen. Die Lebenszeiterfahrung des LSD-Konsums liegt bei Erwachsenen in Europa zwischen 0,2 % und 5,5 %, wobei zwei Drittel der Länder sogar nur Prävalenzraten zwischen 0,4 % und 1,7 % melden. Unter jungen Erwachsenen (15 bis 34 Jahre) liegt die Lebenszeitprävalenz des LSD-Konsums zwischen 0,3 % und 7,6 %, während er in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen zwischen 0 % und 4,2 % beträgt.

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Rezensionen

Rezension Andreas Rosenfelder- Digitale Paradiese

HanfBlatt Nr. 113, März 2008

Computerfreak

Computerspiele waren über Jahrzehnte der Inbegriff purer Zeitverschwendung: Wer sich in digitalen Labyrinthen und Katakomben herumtrieb, verabscheute Frischluft, hatte keine Freunde und verdarb sich mit Monsterjagd und Punktesammeln das Gehirn. Diese Sicht hat sich geändert.
Andreas Rosenfelder gräbt sich in die Matrix und nimmt den Leser mit auf seine Tunnelfahrt durch die junge Kulturgeschichte der Games und die wichtigsten Spieletitel der letzten 30 Jahre. Der belesene Autor besucht einige Spieleschmieden und Games-Conventions auf der Welt, führt in die Zusammenhänge von normaler und virtueller Welt ein und knüpft immer wieder an literarische Vorbilder an, zitiert die Griechen und Montesquieu. Entwicklerstudios in der Ukraine, E-Sport-Olympiaden auf italienischen Formel-1-Strecken und Gamer-Expeditionen an die historischen Strände der Normandie: Die Orte wechseln, der Gamer bleibt.

Rosenfelders Unterfangen wird schon nach ein paar Seiten deutlich: Er möchte die PC- und Konsolenspiele auf die gleiche Stufe wie die literarische und cineastische Hochkultur heben – und überspannt dabei teilweise den Bogen. Denn anstatt systemstabilisierenden Effekten den Grund zu gehen oder in der Tiefe zu erläutern, warum Gamer zocken, plaudert Rosenfelder über Spielszenen, Polygone und Texturen und feiert die teilweisen dünnen Storys als „vollkommenen Zusammenfall von Ästhetik und Politik“.

Der Buchtitel „Digitale Paradiese“ spielt natürlich auf Baudelaires „Künstliche Paradiese“ an. Aus Rosenfelders Sicht sind diese Paradiese „rauschhafte Inselwelten, Gegenwelten zum durchorganisierten Alltagsleben“, anders gesagt: Fluchtorte. Aber alles wovor man flieht, das arbeitet Rosenfelder schön heraus, ist in den Spielen in veränderter Form wieder da: Arbeit, Leistung, Druck, Konkurrenz. Nur halt in verzauberter Form, was die bekannten Alltagseigenschaften wieder spannend macht. In den Phasen, wo Rosenfelder diesen Phänomenen nachspürt, ist das Buch besonders stark. Schön wäre gewesen, wenn er Baudelaires Titelvorgabe noch ein Stück weiter gefolgt wäre. Denn der französische Dichter sah in den künstlichen Paradiesen ja eben nicht nur Fluchtorte, sondern eine geheimnisvolle, aufblitzende Gegenwart der Ewigkeit. Diesen rauschhaften Aspekt der Games vernachlässigt Rosenfelder. Trotzdem ist das Buch ein ansprechendes Protokoll einer einsichtsvollen Entdeckungsreise. Wer sich von der hochtrabenden Sprache, die das einfach oft kompliziert ausdrückt, nicht abschrecken lässt, der erhält einen farbgewaltigen Einblick in eine der wichtigsten Kulturindustrien des 20. und 21. Jahrhunderts.

Andreas Rosenfelder: Digitale Paradiese. Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele.
Broschiert: 192 Seiten
Kiepenheuer & Witsch Verlag 2008
ISBN-10: 3462039555
8,95 EUR

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Rezensionen

Rezension Harry G. Frankfurt – Bullshit

HanfBlatt Nr. 101

Darf man dieses Buch verschenken? Leicht könnte sich der Beschenkte der Laberei beschuldigt fühlen, aber schon Design und Haptik des kleinen Bändchens aus dem Suhrkamp-Verlag lassen den guten Willen des Schenkers erkennen. Der amerikanische Philosoph und Professor an der Universität Princeton Harry G. Frankfurt weiß, was Bullshit ist. In einem kurzen Essay klärt er die folgenden Fragen: Sind Bullshit und Humbug das gleiche? Wie unterscheidet sich der Bullshit von der offenen Lüge? Man greift den Worten des Professors nicht zuweit vor, wenn man sagt: Die Lüge unterscheidet sich vom Bullshit durch das unterschiedliche Verhältnis zur Wahrheit. Während die Lüge das Gegenteil der Wahrheit ist, bleibt sie dem Bullshitter schlicht gleichgültig. „Der Bullshitter“, so schreibt Frankfurt, „weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht.“
Zusätzlich klärt der Mann auch noch die Frage, warum es heute soviel Bullshit gibt. Bullshit sei immer dann unvermeidbar, „wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen“. Und wie sollte das bei der Komplexität der Welt auch anders ein, könnte man hinzufügen.
Leider streift Frankfurt den Zusammenhang von Bullshit und Humor nicht, gleichwohl: Insgesamt ein erhellendes, gewitztes, anspruchsvolles und damit rundum empfehlenswertes Werk. Kein Scheiß.

Harry G. Frankfurt: Bullshit
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006
73 Seiten, gebunden
ISBN: 3518584502
8,– EUR

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Cannabis

Cannabis und Straßenverkehr

Hanfblatt, März 2008

Knüppelschaltung oder Fahrrad

Welche Fehler fahrende Kiffer in Polizeikontrollen und danach machen

Eines der größten Probleme für Menschen, die ab und zu Cannabisprodukte genießen, ist das unfreiwillige Zusammentreffen mit der Polizei. Dies ist vor allem dann unangenehm, wenn neben den möglichen Problemen mit Eltern oder Arbeitgeber plötzlich der Führerschein in Gefahr ist. Aber wer sich einige Regeln und Tipps rund um Rauschhanf und die kraftfahrzeuggestützte Lebensweise zu Herzen nimmt, der lebt weiterhin glücklich und mobil.

schutzmann

Die Landstraße rollt unter einem hinweg, die Sonne lugt zwischen den Wolken hervor, ein geschenkter Tag geht seinen freundlichen Gang. In der nahen Ferne kündigt eine rot-weiße Pilonenreihe Ungemach an. Eine Kelle winkt, man bremst, „Verkehrskontrolle“ steht auf einem dreieckigen Schild. Schon in diesen ersten Sekunden entscheidet sich sehr viel. Erster Tipp: Ruhe bewahren, einmal tief einatmen, langsam ausatmen. Man wird kontrolliert, das heisst zunächst einmal, dass man die Kontrolle behalten soll.

Die Maxime heißt: Den Gegenüber einschätzen, genau so, wie dieser das ja auch tut. Beamte spulen ein Routineprogramm ab, das mit Schubladen arbeitet. 1. Schublade: Das Automobil. Stichworte: Freakiger VW-Bus mit langhaarigen Bombenlegern als Insassen. Alter Mercedes mit Peace-Zeichen. Tiefer gelegter Golf mit wummernden Techno-Bässen. Die Musikwahl kann entscheidend sein, leise Klassik lässt Pflanzen blühen und beruhigt vielleicht Beamtenhirne. Der erste Eindruck zählt. Einige Polizisten sehen es nicht so gerne, wenn man ihnen bei der Kontrolle entgegenkommt und aus dem Wagen steigt. Die USA lassen grüßen, dort muss man sitzen bleiben. Auf der anderen Seite ist Aussteigen proaktives Verhalten und kann damit Teil der angesprochenen Souveränität sein.

2. Schublade: Der Kontrollreigen beginnt fast immer mit der Aufforderung, Fahrzeug- und Führerschein vorzuzeigen. Diese Papiere sollten ohne viel Gefummel zugänglich sein. Oft kommt parallel die Frage, ob man etwas getrunken oder sonstige Rauschdrogen zu sich genommen hätte. Nun muss der Fahrer zwei Dinge gleichzeitig tun, Stresshormone fluten an. Da heisst es wiederum Ruhe bewahren, ruhig antworten, alles vorzeigen. Sind die Papiere in Ordnung, der Beamte aber gelangweilt oder hat er aus irgendeinem Grund Verdacht geschöpft, geht die Aktion in die nächste Runde. Der Verbandskasten dient als Enterhaken, um den Fahrer aus dem Auto zu ziehen. Ein aufgeräumtes Mobil, vor allem aber ein leicht zugänglicher (nicht durch Gepäck verbauter) und vollständiger Verbandskasten sind jetzt wichtig. Letztlich prüft der Beamte damit nicht nur den technischen Zustand des Autos, sondern auch den motorischen Zustand des Chauffeurs. Fast unnötig zu erwähnen: Gerötete Augen sind eine schlechte Sache, unsicheres Verhalten sowieso.

Ist bis hierhin alles gut gelaufen, sollte der Beamte nun eine gute Weiterfahrt wünschen. Fordert der Schutzmann allerdings zum Tanz auf oder lädt gar in den Dienstwagen ein ist die 3. Schublade erreicht. Ab hier weiß man, dass dem Beamten irgend etwas spanisch vorkommt. Schwierig, aber umso wichtiger ist es nun weiterhin die Ruhe zu bewahren. Manches Mal wird dem Proband vorgeschlagen einen motorischen Test zu absolvieren. Beliebt ist beispielsweise das Zusammenführen der Finger auf Nasenhöhe mit gestrecktem Arm. Gerne wird auch der so genannte Romberg-Test angewandt. Dabei soll der Betroffene nach einem Startzeichen der inneren Uhr folgend 30 Sekunden abzählen. Wichtig ist: Kein Menschen muss diese Tests über sich ergehen zu lassen. Die meisten Anwälte raten dazu, diese Tests zu verweigern, vor allem dann, wenn man in der letzten Zeit tatsächlich Cannabis konsumiert hat. Denn fällt man durch wird die Angelegenheit vor Gericht meist noch arger. In manchen Bundesländern ist es durchaus üblich, den Delinquenten bei Verdachtsmomenten gleich vor Ort in ein Röhrchen pinkeln zu lassen oder dessen Haut mit der Drugwipe abzustreichen. Gerne werden auch Feuerzeug, Schlüssel oder Portemonnaie mit den sensiblen Drogen-Detektoren kontrolliert. Wer Stunden vorher wild gebröselt und sich nicht gründlich die Hände gewaschen hat, der wird den Ausschlag auf den Streifen gut erkennen können. Dann ist das Kind in den Brunnen gefallen. In die 4. Schublade sollte man möglichst nicht fallen, denn auf deren Etikett steht „Eindeutiger Kiffer“.

Um vom Kiffer-Verdacht abzulenken geben einige Fahrer an, Alkohol getrunken zu haben, selbst wenn dies gar nicht der Fall ist. Denn: Erwähnt man den Konsum auch nur einer kleinen Menge Bier, Wein oder Wodka Red-Bull sind die Beamten verpflichtet zum Pusten zu laden. Dies kann ein gewitztes Manöver sein, auf der anderen Seite wird die Zeit, die man mit den netten Damen und Herren in Uniform verbringen darf, dadurch erheblich verlängert. Stellt man dabei im Umgang ungeschickt an, wächst die Gefahr auf andere Substanzen überprüft zu werden. Das Zauberwort heißt Souveränität. Und damit ist nicht Selbstüberschätzung gemeint. Dazu neigen viele Kiffer eh nicht, aber seien wir ehrlich: Viele Menschen der heutige Zeit leben polytoxisch, haben also zumeist zum Joint eh ein Bier genossen. Souveränität bedeutet, einen offenen, selbstbewussten Umgang mit den Ordnungshütern zu pflegen. Verhuschtes in die Ecke drücken, verblödetes Gekichere oder fahriges Rumnesteln an Jacke und Portemonnaie sind zu vermeiden. Großkotziges Alki-Gelaber natürlich ebenso. Wer eh zu nervösen Handlungssträngen neigt, sollte sich des schlechten Eindrucks auf Staatsdiener bewusst sein. Gerade jüngeren Polizeibeamten braucht man mit kessen Sprüchen meist nicht kommen.

An dieser Stelle sei der Schauplatz des automobilen Straßenverkehrs kurz verlassen. Denn auch, wenn man als Radfahrer oder Fußgänger mit Gras oder Haschisch von der Polizei aufgegriffen wird, ist der Lappen in Gefahr. Oft gibt die Polizei ihre Erkenntnis über den Spaziergänger an die zuständige Führerscheinstelle (oft das Landratsamt) weiter. Die Damen und Herren dort werden sich nun fragen, ob eine Kraftfahreignung überhaupt gegeben ist und dies gegebenenfalls überprüfen.

Aber zurück zu unserem Auto- oder Motorradfahrer. Der nächste Schritt auf der Eskalationsstufe ist die Blutabnahme durch einen Arzt. Hier hilft kein Zetern, die muss man über sich ergehen lassen. Gemotze und Gejammer hilft sowieso nicht weiter, denn das Blut wird dadurch nicht sauberer. Nachdem man um eine Spritzenfüllung Lebenssaft erleichtert wurde wird man wahrscheinlich mit Bus oder Bahn nach Hause fahren müssen. Es folgen Tage, Wochen und Monate der Unsicherheit, denn die Behörden lassen sich meist Zeit.

Was für Folgen drohen, sollte die Analyse tatsächlich THC im Blut aufgespürt haben? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Nach rund 2-3 Wochen liegt der Polizei das Ergebnis der Blutuntersuchung vor. Dieses gilt es möglichst schnell in Erfahrung zu bringen, denn davon hängt das weitere Vorgehen ab. Zwei Werte sind entscheidend: Zum einen der Wert der THC-Carbonsäure (THC-COOH). Dieses Abbauprodukt ist im Urin bei starkem Konsum bis zu drei Monate, im Blutplasma bis zu vier Wochen nachweisbar. Zum anderen ist dies der Wert des THC-OH. Dieses Abbauprodukt ist nur wenige Stunden nach dem Konsum nachweisbar, es wird gerne auch „aktives THC“ genannt. Mal ganz abgesehen von den Maßnahmen, die die Polizei vollziehen möchte, weil aus ihrer Sicht eventuell eine Straftat vorliegt – sie wird den Vorgang auf jeden Fall an die Führerscheinstelle weiter leiten. Diese kann drei verschiedene Instrumente einsetzen – und diese sind abhängig von den oben genannten Werten.

  1. Die MPU. Die „Medizinisch Psychologische Untersuchung“ wird durchgeführt, wenn die Damen und Herren vor Ort davon ausgehen, dass der Führerscheininhaber aufgrund seines nachgewiesenen THC-Konsums nicht geeignet ist ein Fahrzeug zu führen. Die MPU besteht aus einem medizinischen Test, einem Reaktionstest, einem Gespräch mit einem Psychologen und einem Drogenscreening. Wichtig ist: In der MPU muss man durch einen sogenannten Abstinenznachweis zeigen, dass man in den letzten Monaten sauber gelebt hat.
  2. Das ärztliche Gutachten. Dieses wird angeordnet, wenn die Führerscheinstelle erst einmal prüfen will, ob eine MPU durchgeführt werden soll. Das ist oft der Fall, wenn nur eine geringe Menge von THC im Blut gefunden wurde. Das Gutachten ist also eine Art Vorstufe zur krasseren MPU. Bei einem ärztlichen Gutachten überprüft ein Arzt über einen längeren Zeitraum, ob man Cannabis oder andere Drogen konsumiert.
  3. Screening. Bei den sogenannten Screenings wird man einmal oder auch mehrmals sehr kurzfristig zu einem Drogenscreening eingeladen.

Einige Fallbeispiele verdeutlichen, was nun folgen kann. Fangen wir mal bei dem kleinstmöglichen Schaden an, nennen wir ihn Fall 1: Die Blutuntersuchung ergab kein aktives THC, wohl aber eine THC-COOH von 3 ng/ml. Damit weiß man, es ist lange her, dass dieser Fahrer gekifft hat. In den meisten Fällen drohen hier keine weiteren Konsequenzen, man darf weiterhin die Gegend mit dem fahrbaren Untersatz unsicher machen. Schon anders sieht es im zweiten der Beispielfälle aus: Findet die Polizei nämlich wiederum kein aktives THC, wohl aber THC-COOH in einer Konzentration zwischen ungefähr fünf und 75 ng/ml ist aus Sicht der Behörden deutlich, dass dieser Fahrer im letzten Monat mindestens einmal, wahrscheinlich aber öfter gekifft hat. Man wird also die Fahreignung anzweifeln und ein ärztliches Gutachten, mit etwas Glück aber keine MPU einfordern. Fall 3: Wiederum kein aktives THC, aber eine Menge von mehr als 75 ng/ml THC-COOH. Konsequenz: Der Lappen wird eingezogen. Die Behörde denkt, dass regelmäßig konsumiert wird, daher wird eine MPU angeordnet. Der vierte und häufigste Fall: Im Blut findet sich sowohl aktives THC wie auch ein Wert von mehr als fünf ng/ml Blut THC-COOH. Damit ist aus Sicht der Beamten klar, dass der Fahrer in den letzten Stunden vor Fahrtantritt einen Joint geraucht hat. Wenn keine erschwerenden Ausfallerscheinungen dazu gekommen sind (Schlangenlinie oder gar ein Unfall) ist dies eine so genannte Verkehrsordnungswidrigkeit. Das bedeutet zunächst: Ein Monat Fahrverbot, vier Punkte in Flensburg, Bußgeld, Auslagen der Polizei bezahlen. Kosten: Rund 600 Euronen. Den Führerschein gibt es erst wieder, ja, man ahnt es, nachdem man die MPU bestanden hat.

Über das geschmeidige Durchgleiten durch diesen legendären Test wurden schon ganze Bücher verfasst, im Internet kursieren Tipps. Das wichtigste ist zunächst einmal: Wer Lust auf mobilen CO-2 Ausstoß hat sollte sofort jeglichen Cannabiskonsum einstellen. Es wäre fatal während einem – auf welche Zeit auch immer befristeten – Fahrverbot munter weiter zu rauchen. Denn im Rahmen der MPU verlangt die Behörde später den Nachweis, dass man mindestens sechs Monate clean gewesen ist.

Die oben genannten Fälle decken nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten ab, denn die Länderbehörden agieren unterschiedlich. Erschwerend kommt hinzu, wie oben bereits erwähnt, wenn während der Kontrolle Cannabis im Wagen oder am Körper gefunden wurde. Dann ist die Wurst warm, denn die Verwaltungsgerichte berechnen Konsumeinheiten und sind recht erfolgreich darin vor Gericht zu beweisen, dass man viel mehr rauchen würde als man selbst angibt.

Die Fünf „Nie“ im Straßenverkehr

  • Nie unter Cannabiseinfluss ein Auto, Motorrad oder Fahrrad steuern. Verwaltungsrechtlich auf der sicheren Seite ist man erst, wenn zwischen Konsum und Fahrtantritt 48 Stunden liegen.
  • Nie Cannabis im Auto mitführen. Denn das zeigt den Beamten, dass hier anscheinend ein Kiffer fährt und später dem Richter, dass jemand nicht in der Lage war, Konsum und Kraftfahren auseinander zu halten.
  • Nie besonders witzig, besonders eloquent oder besonders sonderlich rüberkommen. Denn: Du-bist-normal.
  • Nie den Konsum von Cannabis oder anderen Rauschmitteln zugeben. Auch nicht, wenn dies ein Monat oder Jahr her ist.
  • Nie vergessen: Das Fahrrad ist nicht nur das Fortbewegungsmittel mit der höchsten Energieeffizienz, seine Aktivierung führt auch zu Fitness und einem Wahnsinns-CO2-Karma.

 

 

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen Übermensch

Interview mit Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber und die Zukunft der Drogenkultur

Hanfblatt Nr. 112, März 2008 „

Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt!“

Interview mit dem Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber, dessen Anwendung in der Suchttherapie und die Zukunft der Drogenkultur.

Der US-Forscher Ken Wilber hat ein Erklärungsmodell für das Bewusstsein entwickelt, das verschiedenste philosophische und psychologische Ansätze integriert. Dadurch kommt er zu einem räumlichen Modell, dass im wesentlichen aus drei Elementen besteht: Quadranten, Ebenen und Zuständen. Quadranten sind die unterschiedlichen Bereiche, die jedes Ding ausmachen. Danach besitzt alles (ja, alles) eine Außenseite, nämlich den Körper, und eine Innenseite – das individuelle Bewusstsein. Zugleich steht dieses „Objekt/Subjekt“ in einem kollektiven Verbund, nämlich einem kulturellen und einem systemischen. Klingt kompliziert, ist aber ein einem Beispiel ganz einfach zu begreifen: Ein Mensch hat immer ein ganz persönliches Bewusstsein, zu dem nur er Zugang hat. Dieses ist mit seinem Gehirn als körperlichem Ausdruck verbunden. Zugleich ist kein Mensch allein auf der Welt, sondern er ist in das kollektive Bewusstsein seiner Kultur eingebunden. Der äußere Ausdruck seiner Gesellschaft findet sich in ihren Systemen und Institutionen wieder, wie beispielsweise der Wirtschaft und dem Verkehrswesen.

Und nun kommts: Keiner dieser Bereiche lässt sich auf einen anderen reduzieren, es gibt von allen Dingen also immer vier Aspekte, „vier edle Wahrheiten“, wie es im China-Restaurant heißen würde. Die Auswirkungen dieser Sichtweise sind phänomenal, denn nun es ist möglich, die seit Jahrhunderten propagierte Trennung zwischen Körper und Geist beizulegen: Das sind nach Wilber nur zwei Seiten der gleichen Medaille.

Quadranten nach Wilber
Quadranten und Ebenen nach Ken Wilber

Nun kann man einwenden: „Ja aber ein Stein, hat der auch ein persönliches und gar kollektives Bewusstsein? Die Anwort lautet „Ja“, wenn auch auf einer sehr niedrigen Ebene. Damit kommt man schon zur nächsten Annahme (nicht nur) Wilbers, daß die Evolution nämlich eine Richtung hat, hin zu mehr Bewusstheit. Ein Stein hat, so weit wir wissen, sehr sehr wenig Bewusstsein, eine Pflanze schon etwas mehr, weil sie auf ihre Umwelt reagieren kann, und dass ein höheres Tier recht viel Bewusstsein hat, wird wohl niemand bestreiten wollen. Aus diesem Beispiel wird aber auch ersichtlich, dass die Quadranten in Wechselwirkung zueinander stehen: je komplexer der Körper, desto komplexer ist auch das Bewusstsein. Und weil sich Atome, Moleküle, Zellen, höhere Lebewesen und Menschen zeitlich nacheinander entwickelt haben, spricht Wilber von Entwicklungsebenen, wobei jede folgende die vorherige integriert: Eine Zelle kann ohne Atome und Moleküle nicht sein.

Auch das menschliche Bewusstsein im Speziellen hat sich bis heute über mehrere deutlich unterscheidbare Ebenen entwickelt. Das Bewusstsein der Urhorden war archaisch, die Stämme hatten ein magisches, die frühen Hochkulturen ein mythisches Bewusstsein. In unserer Gesellschaft dominiert die rationale Ebene, die vom wissenschaftlichen Weltbild geprägt ist. Sie wird jedoch immer mehr von der pluralistischen Postmoderne („alles geht“) abgelöst. Wilber hofft für die Zukunft auf eine neue, integrale Bewusstseinsebene.

Jeder Mensch durchläuft die oben genannten Ebenen während seines Lebens. O.k., manche werden nie erwachsen, wie es so schön heißt, sie bleiben auf einer vorrationalen Ebene stehen. Die Mehrheit aber schwingt sich im Laufe des Lebens bis zu der Stufe auf, auf der der Großteil der Gesellschaft steht und die Wilber daher das „Durchschnittsbewusstsein“ nennt. Wer weiter will, wird durch den Magneten der sozialen Kontrolle zurück gehalten, wer hinterherhinkt, wird durch den Magneten der gesellschaftlichen Anforderungen nach oben gezogen.

Das dritte wichtige Element in Wilbers Bewusstseinsmodell sind die Bewusstseinszustände. Diese leitet er ganz einfach von den drei natürlichen Bewusstseinszuständen Wachen, Träumen und Tiefschlaf ab. An die letzen beiden können wir uns normalerweise nach dem Aufwachen nicht erinnern. Doch sind Wilber zufolge außergewöhnliche Bewusstseinszustände nichts anderes als ein wacher Zugang zu den Welten, die wir im Traum oder Tiefschlaf erleben. Auslöser für außergewöhnliche Bewusstseinszustände können extreme Lebenserfahrungen, spirituelle Techniken, aber auch psychoaktive Substanzen sein.

Zustände nach Wilber
Zustände nach Ken Wilber
Und nun kommts: Diese psychoaktiven Substanzen lassen sich recht elegant im Wilberschen Modell von Ebenen, Quadranten und Zuständen beschreiben. Nehmen wir nur einmal die Wirkung von Cannabis in den vier Quadranten: Zum einen haben wir den Konsumenten, der sein Wohlbefinden steigert und einen bestimmten, inneren, allein ihm zugänglichen Zustand erreicht. Zum anderen verändern sich dadurch seine Körper- und Hirnaktivität. Cannabis wirkt aber zugleich im kulturellen Quadranten, intersubjektiv, sozusagen. Hier wird ausdiskutiert, welche Bedeutung die Substanz für die Gesellschaft hat. Wohlgemerkt sprechen wir hier von der Innenseite, da durch Kommunikation gegenseitiges Verständnis erzeugt wird. Von außen betrachtet schafft Cannabis aber auch eine gesellschaftliche Infrastruktur (Headshops, Firmen, Polizeieinheiten, usw.): Das ist der untere rechte Quadrant.

Was nun Cannabis und andere psychoaktive Substanzen sonst noch mit dem Menschen aus der Sicht dieses Modells anstellen, darüber handelt das folgende Gespräch mit dem Psychologen und Suchttherapeuten Wulf Mirko Weinreich. In seinem Buch „Integrale Psychotherapie“ hat er das Wilbersche Modell für die psychotherapeutische Praxis umgesetzt, im März diesen Jahres wird er auf dem „Welt Psychedelik Forum“ in einem Vortrag die psychedelische Erfahrung im Kontext dieses Modells erläutern.

Frage:
Legt man das Modell Ken Wilbers zu Grunde, wirken psychoaktive Substanzen zum einen in den Quadranten, zum anderen auch im Bewusstsein des Menschen auf besondere Weise. Wie würden Sie die Wirkung von „Drogen“ zunächst einmal auf der subjektiven Ebene erklären?

Antwort:
Das hängt natürlich ganz von der Art der Substanz ab. Die lassen sich ja grob in drei Wirkungsrichtungen einteilen: die anregenden „Upper“, die beruhigenden „Downer“ und die Psychedelika. Es gibt auch noch ein paar Zwitter, wie MDMA und Cannabis.

Drogenwikrungen

Alle Substanzen, die auf dem Upper-Downer-Pfeil liegen, scheinen vor allem unser normales Tagesbewusstsein zu verändern, wobei die Upper bei den meisten Menschen deutlich Ich-stärkend wirken, die Downer eher Ich-auflösend. Um es extrem zu illustrieren: Man vergleiche dafür nur mal den typischen Kokainbenutzer mit dem typischen Heroinkonsumenten. Ganz anders dagegen wirken die Psychedelika, die es ermöglichen, das normale Tagesbewusstsein einschließlich des Ichs weitgehend zu transzendieren und in außergewöhnliche Bewusstseinszustände einzutauchen. Das Ich verstehe ich hier als individuelle psychische Struktur, also den Teil des Bewusstseins, der dafür sorgt, daß wir morgens beim Aufwachen immer noch wissen, das wir die gleiche Person sind wie gestern.

Frage:
Und wovon ist abhängig, ob die verschiedenen Substanzen einen positiven Aspekt in das Leben des Konsumenten einbringen?

Antwort:
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es nichts Negatives in unserem Universum gibt. Positiv und negativ sind menschliche Bewertungen, die einfach davon abhängen, ob etwas intelligent oder unintelligent eingesetzt wird: „Das Messer in der Hand eines Mörders ist etwas anderes als das Messer in der Hand eines Arztes.“ Selbst Heroin als die verrufenste Droge entfaltet als Morphium bei Schmerzpatienten ihr positives Potential.

Frage:
Intelligenter Einsatz ist also abhängig von der Kompetenz, der Motivation und vom Kontext?

Antwort:
Richtig. Psychoaktive Substanzen können uns die Möglichkeiten unseres eigenen Bewusstseins zeigen, oder auch, was uns fehlt. Sie können also Wegweiser sein – für dauerhafte Veränderung braucht man andere Methoden, wenn man nicht im Kreislauf der Sucht landen will. Ich benutze bei meinen Patienten gerne ein Bild: „Stell Dir vor, Du sitzt in einer dunklen Einzelzelle. Und dann nimmst Du eine Droge, die Fensterläden gehen auf, Du siehst die Sonne, den Himmel, eine Landschaft ohne Grenzen et cetera. Die Droge lässt nach – die Fensterläden schließen sich und Du sitzt wieder im Dunkeln. Um dauerhaft nach draußen zu kommen, hilft nur eines: Du musst Deinen Hintern bewegen!“ Und „Hintern bewegen“ ist für mich nur ein anderes Wort für Selbst-Entwicklung.

Frage:
Das zielt auf den transformatorischen Aspekt, der ja nicht immer erwünscht ist. Die meisten der Konsumenten wollen ja eher eine kurzzeitige Entspannung oder Erregung ihrer Lebenslage.

Antwort:
Die meisten Menschen benutzen psychoaktive Substanzen für Dinge, für die sie eigentlich nicht da sind: zur Gefühlsregulation, zur Problembewältigung, für Kontakt und Abgrenzung und so weiter. Das geht am wahren Potential der Substanzen vorbei. Sich nur entspannen zu wollen, das ist psychologisch gesehen, wie mit dem LKW Brötchen holen fahren – ein Fahrrad hätte es auch getan – beispielsweise Sex oder eine Phantasiereise. Aus integraler Sicht ist der transformatorische Aspekt natürlich der interessantere, wobei Transformation durchaus auch Spaß machen darf.

Frage:
Aber wie benutzt man psychoaktive Substanzen korrekt?

Antwort:
Der Hauptunterschied zwischen der hedonistischen und der transformatorischen Verwendung ist das Setting und vor allem die Aufmerksamkeitsausrichtung. Im ersten Falle agiert der Konsument in der Außenwelt und nimmt sich selbst nur am Rande wahr. Im zweiten Falle liegt die Aufmerksamkeit ganz auf der Selbstbeobachtung: Was verändert sich wie in Körper und Bewusstsein während der Wirkzeit? Erst dadurch können die Substanzen ihr volles Potential entfalten – und der Anwender kann lernen, in diese Zustände ohne chemische Hilfe zu kommen. MDMA kann das Wesen der Liebe zeigen, LSD ermöglicht spirituelle Erfahrungen. Aber natürlich ist in MDMA keine Liebe und in LSD keine Transzendenz enthalten – das ist alles im Bewusstsein des Anwenders. Ob jemand nun fähig ist, eine Substanz als Wegweiser zu benutzen, oder hedonistisch oder sich sogar nur zudröhnt, hängt natürlich von seiner persönlichen Reife ab – was integral gesehen nichts anderes als seine individuelle Bewusstseinsebene ist. .
Um mal ein Beispiel zu bringen: 1985 habe ich einen Beutel Marihuana geschenkt bekommen. Das war natürlich ein Schatz in der DDR, den man nicht so einfach wegpaffen konnte. Also habe ich mir immer wieder Settings überlegt, wie ich das meiste da rausholen konnte. Z.B. mehrere Runden den gleichen Weg durch ein Stück Straße und Park gehen, jedes Mal mit einem anderen Musikstück im Walkman und dabei beobachten, wie sich die eigenen Gefühle und der visuelle Eindruck je nach Musikstück änderten. Jedes Mal habe ich mir irgendetwas einfallen lassen, was ich erforschen wollte. Die einzelnen Experimente fanden immer im Abstand von mehreren Wochen statt. Nach 10-12 Malen hatte ich das Gefühl, alles gelernt zu haben und Marihuana wurde uninteressant. Nach der Wende habe ich noch ein paar andere Substanzen kennengelernt, mit denen es mir genauso erging: Ein paar Mal ausprobieren, lernen, wie ich den Zustand willentlich ohne Substanz herbeiführen kann – und Tschüß.

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Frage:
Und die Gefahr der rein entspannenden Herangehensweise liegt worin?

Antwort:
Die hedonistische Haltung verführt sehr zur eigenen Passivität und dazu, immer öfter immer mehr zu nehmen. Das verändert den Konsumenten auch – aber eher in regressiver Weise. Es ist für mich zum Beispiel erstaunlich, dass die meisten Patienten in meiner Klinik schon zig „Pappen“ eingeworfen, aber noch nie das volle Potential von LSD erlebt haben. Sie sagen, es sei schön bunt gewesen –von der wahren Natur des Bewusstseins keine Spur. Bei anderen Substanzen genau das gleiche. Und sie sind immer ganz platt, wenn ich ihnen zeige, dass sie mit bestimmten Trance-Techniken die gleichen Zustände wie mit ihren Drogen erreichen können.

Frage:
Denkt man dieses Argument bis zum Ende, könnte es zur Legitimation der momentanen Drogenpolitik dienen, da die hedonistischen Nutzer den Zusammenhalt des sozialen Systems gefährden.

Antwort:
Drogen sind meines Erachtens gerade in der hedonistischen Anwendung grundsätzlich systemstabilisierend, da die hedonistische Anwendung nicht zu kritischen Einsichten führt. Anregende Drogen wirken leistungssteigernd, beruhigende Drogen stellen die Leute ruhig – was will der Staat mehr? Das es Gesetze gegen viele psychoaktive Substanzen gibt, hat meines Erachtens weniger mit deren Gefahrenpotential, sondern eher was mit Traditionen und rivalisierenden Lobbies zu tun. Wissenschaftlich lässt sich der derzeitige Zustand jedenfalls nicht begründen.

Frage:
Müssen, um zu einer besseren Anwendung von Drogen zu kommen, zugleich immer auch Veränderungen in allen Quadranten angestoßen werden?

Antwort:
Grundsätzlich käme der notwendige Veränderungsimpuls aus dem kollektiv-inneren Quadranten, nämlich dann, wenn genügend Individuen die derzeit herrschenden Auffassungen in Frage stellen. Das Problem ist, dass diese Diskussion kaum von den reinen Hedonisten ausgeht, obwohl sie in der Überzahl sind. Eigentlich müsste beispielsweise der „Verein für Drogenpolitik“ mehrere Millionen Mitglieder haben – tatsächlich sind es nur einige hundert. Dagegen schafft es die Gruppe von Menschen, die sich für eine transformatorische Anwendung dieser Substanzen einsetzt, allein in diesem Jahr im deutschsprachigen Raum zwei Großkongresse auf die Beine zu stellen – dabei sind das weltweit vielleicht nur tausend Menschen.

Frage:
Der kollektive-innere Quadrant, also das „Wir“, unterliegt in seiner Bewertung von psychoaktiven Substanzen den Zwängen der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaftsform. Wie kann es angesichts der Konsummechanismen zum Umdenken kommen?

Antwort:
Die Frage verleitet ja fast zu einer allgemeinen Kapitalismuskritik – das spare ich mir hier mal. Integral betrachtet gehe ich davon aus, dass die Evolution einfach weiter geht – also auch die Evolution des individuellen und kollektiven menschlichen Bewusstseins. Daraus folgt, dass sich das Durchschnittsbewusstsein unserer Gesellschaft langsam aber sicher nach oben verschiebt. Damit wird irgendwann sowohl genügend Wissen vorhanden sein, um psychoaktive Substanzen differenziert zu bewerten, als auch genügend Kraft im Sinne von gesellschaftlichem Druck, um aus diesem Wissen konkrete Gesetze entstehen zu lassen. Man braucht also nur etwas Geduld.

Frage:
Wie könnte denn eine integrale Drogenpolitik aussehen?

Antwort:
Lassen Sie mich mal ein bisschen in die Zukunft spinnen: Eine solche Drogenpolitik müsste sowohl die Quadranten als auch die Ebenen beachten. Das heißt beispielsweise, dass restriktive Gesetze für Menschen, die sich mit relativ einfachen Bewusstseinsstufen identifizieren, weiterhin angebracht sein können – in diese Richtung geht ja der Jugendschutz. Dummerweise hört die Differenzierung der Gesetze mit 18 Jahren auf. Nur weil der Körper dann ausgewachsen ist, sind noch längst nicht alle Menschen „erwachsen“. Auch nach dem 18. Lebensjahr gibt es noch Entwicklung, allerdings verlagert sie sich immer stärker vom Körper auf das Bewusstsein in Form von Persönlichkeitsreifung. Es gibt zwar eine Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen auch reifer sind, das ist aber kein linearer Zusammenhang. Das heißt, dass Erwachsene gleichen Alters nicht alle auf derselben Bewusstseinsebene stehen. Ich nenne die Bewusstseinsebene gerne „inneres Alter“ – im Gegensatz zum „äußeren Alter“ des Körpers. Anders ausgedrückt: Menschen über 18 unterscheiden sich nicht nur quantitativ voneinander, indem der eine vielleicht etwas schlauer ist, als der andere, sondern auch qualitativ. Konsequent zu Ende gedacht müssten für jede Ebene eigene Gesetze gemacht werden…

Frage:
… was unter falscher Anwendung leicht zu einem totalitären Staat führen kann.

Antwort:
Als Suchttherapeut würde ich mir Liberalität lieber auf anderen Gebieten denn dem der Drogen wünschen. Psychoaktive Substanzen können zwar durchaus intelligent eingesetzt werden, sind aber nicht wirklich lebensnotwendig. Da ich als junger Mensch auch etwas zur Übertreibung neigte, bin ich ganz froh, als ehemaliger DDR-Bürger erst mit 30 richtig mit dem Thema Drogen konfrontiert worden zu sein. Doch zurück zu einer integralen Drogenpolitik:
Da sich Bewusstseinsebenen derzeit nur relativ aufwendig bestimmen lassen, wäre die einzige praktikable Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten Substanzen auch über das 18. Lebensjahr hinaus nach dem körperlichen Alter zu regeln, also Gesetze für 30-, 40- oder 50-jährige zu erlassen. Vielleicht gibt es irgendwann ja mal die Möglichkeit, die Bewusstseinsebene relativ schnell und sicher neurologisch zu bestimmen.

Frage:
Die neurologische Bestimmung wäre ja eine reine Messung im rechten Quadranten.

Antwort:
Wenn Wilber Recht hat, dass alle Phänomene in den inneren Quadranten Korrelate in den äußeren haben, müsste sich die Bewusstseinsebene des Einzelnen auch neurologisch nachweisen lassen. Zielorientierte Bewusstseinstests sind leider sehr anfällig, wie z.B. Assessment-Center zeigen: Nur um die begehrte Stelle zu bekommen, werden die richtigen Antworten von den Anwärtern auswendig gelernt, egal, ob man für den Job geeignet ist, oder nicht. Da bietet der rechte Quadrant einfach die objektiveren Daten, weshalb ja auch das körperliche Alter oft als Kriterium genommen wird. In meiner Zukunftsspekulation wäre ein neurologischer Status nichts anderes, als ein körperliches Kriterium – nur viel differenzierter. Genau genommen wäre es eher eine Form von Leistungsdiagnostik, so wie Schulzeugnisse. Nur dass hier nicht Intelligenz, sondern das allgemeine Bewusstseinsniveau gemessen würde. Leider sind Intelligenz und Persönlichkeitsreife ja nicht identisch, sonst würden es die Schulzeugnisse auch tun. Aber wie gesagt, dass ist nur eine Idee auf der Suche nach einem einfachen, objektiven und akzeptablen Kriterium.

Frage:
Und was hätte man von so einem so differenzierten Kriterium?

Antwort:
So, wie Schulzeugnisse einem Menschen unterschiedliche Rechte verleihen – z.B. die Möglichkeit zu studieren oder eine bestimmte Stellung in der Gesellschaft einzunehmen – so könnte das gleiche für die Bewusstseinsebene in Bezug auf einen differenzierten Zugang zu psychoaktiven Substanzen gelten. Auch wenn es im Moment ungewöhnlich klingt, so gäbe es dann die Möglichkeit, dass Menschen gleichen äußeren Alters aufgrund ihres unterschiedlichen inneren Alters unterschiedliche Rechte hätten. Das könnte z.B. heißen, dass ein Mensch Alkohol trinken darf. Einem anderen – gleichaltrigen – wäre es dagegen verboten, weil man sich aufgrund seiner Bewusstseinsebene nicht sicher sein kann, ob er anderen Leuten unter Alkoholeinfluß nicht den Schädel einschlägt. Aus der Anwendung der Persönlichkeitsreife als Kriterium, ergäbe sich ein ironisches Paradoxon: Derzeit sind Drogen vorrangig ein Jugendthema. Nach dem integralen Modell käme es zu einer Umkehrung: Je älter – besser: je reifer – ein Mensch ist, desto eher würde ihm legaler Zugang zu bestimmten Substanzen gewährt.

Frage:
Ich wüsste aber immer noch gerne etwas mehr über die Auswirkung einer integralen Drogenpolitik auf die kollektiven Quadranten?

Antwort:
Eines hatte ich schon genannt: Eine differenziertere Betrachtung dieser Substanzen in der öffentlichen Meinung und daraus abgeleitete Gesetze. Außerdem müßte eine wirkliche Kultur im Umgang mit psychoaktiven Substanzen entwickelt werden, wie sie viele Naturvölker noch haben. Das heißt, die Menschen müssen lernen, mit diesen hochpotenten Mitteln sinnvoll umzugehen, nicht nur im Party-Setting. Thomas Metzingers Vorschlag für einen LSD-Führerschein geht z.B. in diese Richtung. Im kollektiv-äußeren Quadranten ginge es z.B. darum, außer dem Repressionsapparat eine Infrastruktur zu schaffen, die einen konstruktiven Gebrauch überhaupt erst ermöglicht. Das würde mit einer staatlich kontrollierter Produktion und dem Vertrieb beginnen, um Missbrauch weitestgehend auszuschließen, und vielleicht mit speziellen Forschungslaboratorien enden.
Um hier keine falschen Hoffnungen zu wecken und es ganz deutlich zu sagen: Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt! Statt dessen ginge es um einen mit dem integralen Modell begründbaren differenzierten und rationalen Umgang mit diesen Substanzen. Der derzeitige Umgang in der westlichen Welt ist völlig irrational – was einer der Gründe für die Drogenkriminalität ist: Gesetze, die keiner versteht, werden ignoriert. Lediglich Holland versucht da andere Wege zu gehen.
Viele der jungen Leute, die sich heute die Freiheit nehmen, Drogen nach eigenem Gutdünken zu konsumieren, wären auch nach dem integralen Modell von bestimmten Substanzen ausgeschlossen. Verschiedene Drogen, deren Gefahrenpotential nachgewiesenermaßen geringer ist als die des Alkohols und die jetzt noch verboten sind, wären dann aber sicher auch in jungen Jahren schon erlaubt. Das 21. Lebensjahr sollte aber nach meiner Auffassung die absolut untere Grenze sein – Bewusstseinsebene hin oder her. Vorher haben Körper und Geist noch mit der Pubertät zu tun, so dass der Drogenkonsum in 99% aller Fälle nur dazu dient, die damit verbundenen Unannehmlichkeiten zu kompensieren. Vielleicht würde das Konsumalter für Alkohol sogar auf 25 oder 30 Jahre heraufgesetzt. Weitere Substanzen wiederum, deren Sucht und Gefahrenpotential absolut nicht beherrschbar ist, würden sicher für den Normalbürger generell verboten bleiben und wären nur bestimmten, z.B. medizinischen, Anwendungsbereichen vorbehalten. Wenn Evolution nach Wilber eine ständige Zunahme an Differenzierung und Komplexität ist, kann eine zukünftige Drogenpolitik auch nur eine differenzierte und komplexe sein. Im Moment ist das ja oft sehr grob: Die Befürworter sagen „Ja“ und die Gegner „Nein“ – und das wars.

Frage:
Wie sieht es aus mit der integralen Drogenpolitik im rechten oberen Quadranten, die sich mit den objektiven, beobachtbaren Tatsachen beschäftigt? Was können die herkömmlichen Naturwissenschaften leisten?

Antwort:
In diesem Bereich sind natürlich vor allem die Biochemie, die Psychologie, die Medizin und die Neurowissenschaften gefragt, um die Auswirkungen psychoaktiver Substanzen sowohl auf den Körper als auch auf das Bewusstsein des Individuums zu untersuchen. Verrückterweise werden diese Wissenschaften am stärksten von der allgemeinen Drogenprohibition getroffen: Während der Jugendliche auf dem Parkplatz vor seiner Disko das – illegale – Drogenparadies vorfindet, quält sich der interessierte Wissenschaftler von Sondergenehmigung zu Sondergenehmigung. In Wissenschaftskreisen ist allgemein bekannt, dass das Gefahren- und Suchtpotential der Substanzen sehr unterschiedlich ist. Das zeigen auch meine eigenen Ratings bei Konsumenten. Drogenklassifikation

Zu ähnlichen Ergebnissen ist 2007 eine englische Befragung gekommen, die an Ärzten, Polizei- und Justizbeamten durchgeführt wurde, die im Drogenbereich arbeiten. Aus diesen und auch vielen medizinischen Erkenntnissen müsste die Politik nur mal die entsprechenden Schlüsse ziehen.
Was Sie in der oberen Tabelle sehen, sind bloß die negativen Aspekte. Viel spannender wären natürlich die positiven, nämlich das einmalige Potential der einzelnen Substanzen. Der weitaus größte Teil der Untersuchungen, die es dazu gibt, stammt leider aus den 60er Jahren, also aus der Zeit, bevor der „war on drugs“ ausgerufen wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es wieder eine nennenswerte Forschung. Diese ist vor allem neurologisch orientiert, versucht also mit bildgebenden Verfahren die Wirkung auf das Gehirn zu untersuchen. Die wirklich spannende Frage ist natürlich, wie eine Substanz zum Wohl der Menschen genutzt werden kann – und da reicht es nicht, die chemischen und biologischen Veränderungen im Gehirn zu untersuchen, sondern auch die Auswirkungen auf Denken, Fühlen und Verhalten.

Frage:
Sie sind ja nun Psychologe und Suchttherapeut, beschäftigen sich also überwiegend mit dem individuell-inneren Quadranten. Wo sehen Sie da Anwendungsmöglichkeiten?

Antwort:
Da ich selbst über 20 Jahre Meditationserfahrung habe, interessieren mich persönlich besonders außergewöhnliche Bewusstseinszustände – also das, was man u.a. auch mit bewusstseinserweiternden Drogen erreichen kann. Unsere Gesellschaft leidet unter anderem ja an einer Sinnkrise. Weder der rationale Materialismus – „Money makes, that the world goes round“ – noch das mythische Christentum sind in der Lage, dieses Loch in den Seelen zu füllen. Erforschung des Innenraumes über Meditation wäre eine Möglichkeit – doch hat nicht jeder die Zeit dazu, sich 20 Jahre lang hinzusetzen. Ein entsprechendes Setting vorausgesetzt, bräuchte es eigentlich nur 45 Minuten, damit einem Menschen deutlich wird, dass Atheismus ein Irrtum ist und auch der christliche Vater-Gott ein bißchen an der Wahrheit vorbei geht – nämlich so lange, wie die meisten oral eingenommenen Halluzinogene brauchen, um zu wirken. Wer jemals die entsprechende Erfahrung gemacht hat, weiß, dass es sich dabei nicht um „Halluzinationen“ handelt, wie uns der Name Halluzinogene weismachen möchte, sondern dass es so ist, als ob einem eine Augenbinde abgenommen wird – und man die Welt zum ersten Mal sieht, wie sie wirklich ist.

Frage:
Wenn man das so hört, wundere ich mich, dass halluzinogene Drogen keinen größeren Einfluß auf das religiöse Leben haben?

Antwort:
Ich finde ihn ziemlich stark. Das ganze vielgeschmähte New Age ist letztlich nichts anderes als ein Nachhall der ersten psychedelischen Revolution in den 60ern: Ein Teil der Jugend machte unter Drogen spirituelle Erfahrungen pantheistischer und panentheistischer Natur. Da unsere Gesellschaft dafür keine Erklärungsmodelle hatte, wandten sie sich in den Osten. Sie suchten nach Erklärungen und nach Wegen, um diese Zustände permanent zur Verfügung zu haben. Das beste Beispiel sind die Beatles, die zu Maharishi Mahesh Yogi gingen, nachdem sie LSD genommen hatten. Das hat letztendlich den Buddhismus-, Zen- und Hinduismus-Boom ausgelöst. Auch die Beschäftigung mit dem Schamanismus gehört dazu. Im Westen bieten die Unitarier bzw. Freireligiösen zwar Erklärungsmodelle im Geiste der Aufklärung, aber keine Erfahrungswege, wie man solche Zustände dauerhaft verwirklichen kann. Letztendlich geht es aber darum, beides zusammenzubringen: Die Wege, um unmittelbare spirituelle Erfahrungen zu machen, sowie Erklärungsmodelle, die möglichst moderne und postmoderne Erkenntnisse mit einschließen sollten, die also einer rationalen oder pluralistischen Bewusstseinsebene entsprechen. Das könnte ein zeitgemäßer Ausweg aus der heutigen Sinnkrise sein. Dank des deutschen Papstes geht es im Moment ja eher wieder zurück in Richtung Mittelalter.

Frage:
Gibt es direkte therapeutische Anwendungen?

Antwort:
Die meisten Therapeuten beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Tagesbewusstsein, also dem manifesten ICH. Aus integraler Sicht könnte man es so beschreiben, dass sie psychisch Kranken helfen, eine Bewusstseinsstufe zu erreichen, die die umgebende Gesellschaft für das äußere Alter des Betroffenen für angemessen hält. Dabei wird sehr viel mit Verhaltenstraining, Aufarbeitung der Vergangenheit, Einsicht, etc. gearbeitet, wenig jedoch mit intensiven korrigierenden Erfahrungen. Und gerade da könnten solche Substanzen hilfreich sein, als Wegweiser oder als Katalysator für psychische Prozesse. Z.B. erhielten in den 60ern Alkoholabhängige in Kanada eine einmalige Dosis LSD in einem klinisch-therapeutischen Setting – mit einer bis heute anhaltenden umwerfenden Effektivität. Ich persönlich halte zwar LSD aufgrund von Wirkungsdauer und Intensität gerade bei wenig strukturierten Patienten für ein extrem heftiges Medikament. In letzter Zeit wird der Einsatz von MDMA und verwandten Stoffen bei verschiedenen psychischen und psychosomatischen Krankheiten untersucht, z.B. bei Posttraumatischen Belastungsstörungen. Diese Substanz scheint das größte therapeutische Potential zu haben, bei einem relativ geringen Gefahren- und Suchtpotential. In meinen Gruppen hatte ich z.B. noch nie einen Ecstasy-Abhängigen. Die meisten, die diese Droge hedonistisch einnehmen, kennen sie ja nur im Party-Setting, meist überdosiert, damit sie länger tanzen können und mehr Alkohol vertragen. 95% meiner Patienten haben noch nie den Zustand erlebt, den man vielleicht am besten als „Herzöffnung“ bezeichnen kann, obwohl sie schon hunderte Pillen „geklinkt“ haben. Wenn ich „95%“ sage, ist mir schon bewusst, dass das nicht repräsentativ ist, da Menschen, die eine Therapie nötig haben, diesbezüglich eine Negativ-Auswahl darstellen. Dieser Zustand der „Herzöffnung“ zeichnet sich durch absolute Angstfreiheit, Urvertrauen und Kontaktfähigkeit aus. Dadurch ist es recht leicht möglich, sich mit Traumata auseinanderzusetzen, deren Konfrontation man normalerweise vermeiden würde. Das ist das, was man als Katalysatorfunktion bezeichnen könnte.

Frage:
Kritiker wenden ein, dass es absurd sei, in der Suchttherapie Drogen einzusetzen.

Antwort:
Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine einmalige Erfahrung im therapeutischen Setting Süchtigen klar machen könnte, was sie eigentlich in den Drogen suchen, nämlich Nähe, Kontakt, Sicherheit. Viele von ihnen sind ja genau das Gegenteil: Sie sind voller Spannungen, misstrauisch und absolut nicht kontaktfähig. Gerade wenn jemand durch traumatische Erfahrungen oder eine lange Haftzeit emotional total blockiert ist, könnte die Erfahrung dessen, was möglich ist, eine Neuorientierung anstoßen.
Eine andere Möglichkeit ergäbe sich bei der Therapie von Menschen, die eine drogeninduzierte Psychose haben, die nach einem „Horrortrip“ „auf LSD hängengeblieben“ sind, wie man so schön sagt. In der normalen Psychiatrie versucht man das manifeste ICH zu stabilisieren. Als Gegengewicht zur Unordnung, die der Horrortrip im subtilen Selbst dieser Menschen verursacht hat, mag das ganz hilfreich sein – die Unordnung selbst wird dadurch aber nicht beseitigt. Eine wirkliche Heilung von Horrortrips kann meines Erachtens nur erfolgen, wenn man mit therapeutischer Hilfe noch einmal an diesen Platz geht, das heißt, indem man den ursächlichen Bewusstseinszustand jenseits des Tagesbewusstseins noch einmal induziert. Da die meisten dieser Menschen das nicht willentlich hinbekommen, wäre eine Möglichkeit die therapeutisch gesteuerte Anwendung eines Halluzinogens um dann den Schrecken bewusst zu integrieren. Allerdings wären solche Anwendungen sicher Einzelentscheidungen, da nicht alle Patienten fähig sind, aus derartigen Sitzungen die entsprechenden Einsichten zu ziehen. Und es kann ja nicht darum gehen, bestehende Psychosen oder Suchtstrukturen zu verfestigen. Das vorhin erwähnte Beispiel mit den Alkoholikern oder die erfolgreiche Therapie von Heroin-Abhängigen mit Ibogain zeigen, dass die therapeutische Anwendung psychoaktiver Substanzen nicht zu mehr, sondern zu weniger Sucht führt.

Frage:
Das therapeutische-transformatorische Setting, das Sie immer wieder betonen, was ist das besondere daran?

Antwort:
Die Beschreibungen ähneln sich da ziemlich: Statt „Risiko-Mischkonsum“ in großen Mengen werden die Substanzen dort in sehr geringer Dosis und pur verabreicht, dann niemals häufig, sondern nur einmal oder wenige Male in großen Abständen und nach sorgfältiger vorheriger Vorbereitung, statt Lärm ist dort Stille, statt Bewegung ist dort Ruhe, statt um den Kontakt mit anderen Menschen geht es um den Kontakt mit sich selbst. Dazu kommt dann noch eine entsprechende Lenkung durch Fragen, die der Therapeut stellt. Das ist natürlich das genaue Gegenteil vom Party-Setting.

Frage:
Wenn der therapeutische Nutzen so offensichtlich ist, warum wird das aus ihrer Sicht nicht schon längst praktiziert?

Antwort:
Da gibt es mehrere Gründe. Die politischen hatten wir schon. Dann gibt es natürlich wirtschaftliche: MDMA wurde schon 1913 entdeckt. Doch damals gab es noch keine richtige Psychotherapie. Heute, wo man wüsste, was man damit anfangen kann, sind die Patente abgelaufen. Das heißt, dass MDMA für die Pharmakonzerne völlig uninteressant ist, da sich damit kein Geld mehr verdienen läßt. Für andere Substanzen wie LSD und Psilocybin gilt ungefähr das gleiche. Außerdem müssen Vorteile und Nachteile natürlich erst einmal genau erforscht werden – wobei die Risiken der meisten klassischen psychoaktiven Substanzen natürlich bekannter sind als die Nebenwirkungen vieler Medikamente, die die Pharmakonzerne aktuell auf den Markt bringen. Hinzu kommt der alte Streit zwischen Medizin und Psychotherapie: Nur Ärzte dürfen Medikamente geben, auch psychoaktive. Aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Auftrages sind die meisten Mediziner allerdings nicht an Medikamenten interessiert, die zu außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen führen – im Gegenteil: Der Mensch soll doch wieder „normal“ werden. Morphium ist okay, das nimmt die Schmerzen und der Patient ist wieder normal. Und Polamidon nimmt den Heroinabhängigen den Suchtdruck, ohne einen Rausch zu erzeugen. Aber MDMA, Ibogain oder LSD? Dabei haben diese 3 Substanzen wenig oder kein eigenes Suchtpotential. Wenn ich all die abhängig machenden Medikamente sehe, habe ich manchmal das Gefühl, dass die meisten Ärzte mehr Angst vor dem Rausch als vor der Sucht haben.

Weinreich

Frage:
Was haben Sie für ein Klientel? Können Sie das genauer beschreiben?

Antwort:
Altersmäßig natürlich eher junge Leute, die meisten aus dem Prekariat. Und wenn ich es nach den Hauptdrogen trennen sollte, könnte ich sagen, ca. 30% Heroin, 30% Kokain, 30% Methamphetamin und 10% THC. Von diesen 100% sind 98% aber auch Raucher und 80% haben ein Alkoholproblem. Oft steht letzteres sogar im Vordergrund.

Frage:
Und das Wilbersche Modell findet Verwendung bei Ihrer Arbeit?

Antwort:
Klar! Daran wird doch eines deutlich: dass Sucht in erster Linie keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsstörung ist. Das zeigt sich an den Symptomen in allen Quadranten, z.B. emotionale und kognitive Unreife im individuell-inneren und süchtiges Verhalten und die körperlichen Auswirkungen im individuell-äußeren. An den Grenzen zu den kollektiven Quadranten kommen dann Störungen der Beziehungsfähigkeit und eine radikale Weltsicht im inneren und dissoziales Verhalten wie Beschaffungskriminalität etc. im äußeren hinzu. Normalerweise bekommen wir einfach nicht mit, das das alles zusammengehört, weil wir unsere Aufmerksamkeit aus dem Kontext heraus immer nur auf einen Quadranten richten. Und dann sehen wir entweder den Kriminellen, oder den Süchtigen, oder den Radikalen oder den emotional instabilen Menschen. Das sind einfach alles Symptome, die für eine bestimmte Entwicklungsebene typisch sind, mit der sich die meisten der oben beschriebenen Klienten identifizieren. In der klassischen Psychologie läuft sie unter dem Terminus „Persönlichkeitsstörung“. Der Blick durch die Quadrantenbrille hilft mir, das ganze Paket von Symptomen als ein Ganzes zu sehen und mich nicht an einzelnen festzubeißen. Das heißt, ich versuche nicht nur, den Patienten von seiner Sucht wegzukriegen, sondern ihm auch zu helfen, einen Entwicklungsschritt als ganzer Mensch, also in allen Quadranten zu machen.

Frage:
Ist das Modell für Ihre Patienten denn nicht etwas zu kompliziert?

Antwort:
Ich arbeite da schon mit Vereinfachungen, doch versuche ich ihnen grundsätzlich die Bewusstseinsebenen klar zu machen, vor allem, was es für Vorteile hat, sich da weiterzuentwickeln. Manchmal geht es auch ganz handfest zu. Z.B. lasse ich mich nicht auf rechtsradikale Diskussionen ein, da es dabei meines Erachtens nicht um eine wirkliche politische Meinung geht. Ich mache ihnen einfach deutlich, dass Rechtsradikalität eine Kinderkrankheit des Geistes ist, wie Mumps oder Masern für den Körper. Und dagegen hilft nur eines: Schnell erwachsen werden.

Frage:
Wo sehen Sie denn als nächstes Veränderungen im öffentlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen?

Antwort:
Ich bin mir sicher, dass die psychotherapeutische Anwendung über kurz oder lang kommen wird. Die Forschung in anderen Ländern ist sehr verheißungsvoll. Und spätestens wenn die Krankenkassen mitbekommen, dass sie damit viel Geld und Therapiezeit sparen können, werden sie Druck auf die Pharmakonzerne und die Politiker ausüben, damit die ihre Blockadehaltung aufgeben. Das könnte noch vor einer Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes kommen.


Personeninfo:
Wulf Mirko Weinreich

geb. 1959, Dipl.-Psych., außerdem Studium der Ethnologie, Sinologie und Religionswissenschaft, schon viele Jahre mit Unterstützung vieler Lehrer und Methoden auf Entdeckungsreise im eigenen Innenraum, seit 1985 therapeutische Arbeit mit Methoden der Humanistischen, Systemischen und Transpersonalen Psychologie im Einzel- und Gruppensetting, mehrere Jahre ehrenamtliche Mitarbeit in einer Drogenberatungsstelle, z. Zt. Gruppentherapeut in einer Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen, Autor des Buches „Integrale Psychotherapie“
Website: http://www.integrale-psychotherapie.de

Kategorien
Cannabis Drogenpolitik

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

This will get you medicated!

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt. Das verändert auch die Kifferkultur.

Über die vergangenen Jahre hat sich immer deutlicher herausgestellt: Cannabis hilft bei schweren Krankheiten. In den USA ist daher in 12 Bundesstaaten Patienten die Anwendung von Marihuana oder Haschisch erlaubt, es soll an die 300.000 autorisierte Cannabis-Nutzer geben. Die Regierung in Washington kämpft gegen die Verschreibungswelle.

Es ist eine groteske Situation, die sich da in den USA entwickelt hat. Die Bundesregierung unter George W. Bush wehrt sich strikt gegen die Zulassung von Hanfprodukten als Medizin. Mehr noch, sie bekämpft die Anstrengungen einzelner Bundesstaaten Cannabis für Schwerkranke zugänglich zu halten. Dabei haben mittlerweile 12 der 50 Bundesstaaten Gesetze erlassen, welche die Abgabe von Cannabis an Patienten regeln. Mittlerweile soll es in den USA 250.000 bis 300.000 autorisierte Medizinalhanf-Nutzer geben.

So ist auf regionaler Ebene legal, was auf Bundesebene illegal ist. In Staaten wie Montana und Colorado kam es im vergangenen Jahr zu seltsamen Szenen: Der örtliche Polizei hatte sich in einigen Städten damit arrangiert, dass Ärzte Marihuana verschreiben, Patienten, die mit einem Beutel angetroffen wurden, blieben unbehelligt. Am nächsten Tag aber verhafteten Beamte der Strafverfolgungsbehörde DEA die Personen und räumten die Läden aus, in denen die Patienten ihr Cannabis erhalten hatten.

Der Vertrieb des heilkräftigen Cannabis‘ ist ohnehin die Crux: Zwar dürfen Ärzte Hanf verschreiben, nur gibt es aufgrund der Bundesgesetze keine offiziell legalen Möglichkeiten für die Kranken, an ihr Medikament zu kommen. So entstanden Cannabis-Clubs, die unterschiedlichen funktionieren. In einigen erhält man nur Cannabis, wenn man ein ordentliches Clubmitglied ist. Bei anderen reicht es aus, wenn man am Eingang seine Rezept vom Arzt vorzeigt. In beiden Fällen öffnet sich dahinter meist eine breite Auswahl an Therapeutika. Verschiedenen Sorten, meist grob nach Sativa und Indica und ihres Wirkungsgrades getrennt, Öle, Butter und Kekse sind in unterschiedlichen Mengeneinheiten zu kaufen. Ein typischer Beutel mit einer 1/8 Ounce (3,5 Gramm) kostet 50 Dollar. In einigen Clubs zahlen arme Kranke nichts für ihr Gras, die anderen Klienten tragen dieses Modell. Sogar Haschisch gibt es auf Rezept.

Die Hochburg dieser Entwicklung ist Kalifornien. Alleine hier sind zur Zeit über 10.000 Patienten registriert. Die Genehmigungen für Rauschhanf gelten ein Jahr lang. Die Clubs agieren halblegal, aber nicht im Untergrund. Ihre Namen klingen wie aus einem Hippie-Streifen: Das „Purple Heart Center“ in Oakland, das „Love Shack“ und die „Bernal Heights Arzneiausgabe“ in San Francisco.

Der dortige „Medical Cannabis Act“ wurde 2005 erlassen, damit wurde ein Entwicklung angestoßen, von der selbst die Cannabis-Befürworter nicht immer genau wissen, ob sie gut verläuft: Innerhalb kurzer Zeit entstanden fast 100 Clubs, manche von Aktivisten der ersten Stunde, manche aus reinen Profitgründen gegründet. Nicht immer war klar, wer unter welchen Umständen Cannabis erhielt. Der Druck aus Washington wurde größer. Seit Sommer 2007 müssen sich die Clubs nun einer strengen Sicherheitsüberprüfung stellen, die Bürokratiemühle kam in Gang. Gesundheitsamt, Arbeitsschutz, Feuerwehr: jeder brachte seine Richtlinien vor. 6.600 Dollar Anmeldegebühr sind seither pro Club fällig.

Clubs wie die „HopeNet Co-Op“ und der „Good Fellows Smoke Shop“ haben die Zulassung erhalten, auch, weil sie eng mit den Behörden zusammenarbeiten. Matt Kumin, ein Anwalt aus San Francisco, berät Cannabis-Clubs und ist überzeugt: „Nur die Kooperationen werden überleben, die Allianzen mit Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden eingehen und auch Forscher ihre Projekt überprüfen lassen.“

Martin Olive vom „Vapor Room“ stimmt dem zu, er und sein Kompagnon arbeiten mit „Americans for Safe Access“ zusammen, einer Vereinigung von Bürgerrechtlern, Wissenschaftler und Patienten mit über 40.000 Mitgliedern (sic!), die sich für den ordentlichen Zugang zu Cannabis einsetzen. Olive berichtet von 75 Todkranken, die sein Club kostenlos mit Cannabis versorgt. Im „Vapor Room“ wird ein großer Teil des Medizinalhanfs gleich vor Ort konsumiert, „das schließt den Wiederverkauf aus“.

Abseits der Cannabis-Clubs haben sich Lieferservices und Head-Shops mit Hinterzimmer etabliert, die Autoren Patrick McCartney and Martin A. Lee („Acid Dreams“) sprechen gar von 400 Stück, 200 davon alleine in der Region in und um Los Angeles. Die Zeiten der „Social Clubs“ sind vorbei, neuerdings wird von „Dispensaries“ gesprochen, ein medizinischer Fachausdruck für Arzneiabgabestellen. Gras aus Mittel- und Südamerika wird in diesen modernen Apotheken kaum noch verkauft, die örtlichen Grower in Orange County und dem Rest der USA liefern seit Jahren gute Qualität. Man spricht in Anlehnung an goldene Zeiten bereits vom „Großen kalifornischen Grasrausch“.

Es mehren sich die Zeichen, dass die gute Idee der Abgabe eines naturnahen Medikaments an schwerkranke Menschen aus dem Ruder gelaufen ist. Darunter leiden vor allem die tatsächlich Kranken: Die Genehmigungen führen immer wieder zu Problemen, sei es, weil ein Patient von einem Bundesrichter angeklagt wird oder er mehr als die genehmigten Pflanzen in seinem Garten groß gezogen hat. Die Zahl der Anklagen gegen Patienten ist enorm angestiegen, immer wieder schließt die DEA auch sauber arbeitende Clubs und vernichtet das Cannabis vor Ort. Ärzte werden verdächtigt, ohne vernünftige Diagnose Rezepte auszustellen. Journalisten proben die Praxis und erhalten tatsächlich ohne Probleme eine Verschreibung. Es ist ein absurdes Durcheinander entstanden.

Der Wunsch nach Normalisierung des Cannabiskonsum für jedermann droht die zarte Wurzel des Medizinalhanfs anzufressen.
Mit großen Problemen sind diejenigen konfrontiert, die Cannabis für medizinische Zwecke anbauen. 1996 rief der Bürgermeister des kalifornischen Santa Cruz den 15. November zum Tag des “medizinischen Cannabis” aus und ehrte Valerie Corral in seiner Rede. Damals gediehen unter ihrer Obhut Hanfpflanzen für 125 schwerkranke Menschen, denen sie die harzhaltigen Blütenstände lieferte. Zwei Jahre später wurde ihre hoch gelobte Plantage von der DEA hoch genommen.

Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten (Stand: Januar 2008)
Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis
Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung
Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten
(Stand: Januar 2008)

In anderen Bundesstaaten ist die Medizinalhanf-Bewegung ebenfalls weit fortgeschritten. Zur Zeit haben neben Kalifornien noch elf weitere Bundesstaaten Cannabis als Medizin (meist über Volksentscheide) legalisiert: Alaska, Colorado, Hawaii, Maine, Maryland, Montana, Nevada, New Mexico, Oregon, Rhode Island, Vermont und Washington.

Meist ist nur relativ genau geregelt, wer wievielt Cannabis sein Eigen nennen darf. Beispiel Rhode Island. Hier darf „ein Patient zwölf Pflanzen besitzen“ und 2,5 Ounces (rund 70 Gramm) Gras besitzen. Beispiel Oregon: Dort hat die Konkretisierung des Cannabis-Gesetzes im Jahr 2006 fest geschrieben: Jeder Patient darf bis zu sechs reife Pflanzen und 18 Setzlinge beherbergen, zudem 24 Ounces (680 Gramm) Cannabiskraut für den persönlichen Gebrauch horten. Auch in Oregon ist der Erhalt von Cannabis kein Einzelfall mehr: Das medizinische Programm umfasst rund 15.000 Patienten.
Auch die Indikationen sind von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Meist umfassten sie AIDS, Krebs und Multiple Sklerose, nicht immer auch Glaukom, Epilepsie und chronische Schmerzen.

Angesichts solcher Zahlen ist es kein Wunder, dass die Gegner der Verschreibung vermuten, dass jeder mit Lust auf Rausch sich zu einem Arzt bewegt. Und tatsächlich: Besonders verschreibungswillige Mediziner werden auf Listen im Internet geführt. Auf der anderen Seite stehen eine große Anzahl von Menschen mit ernsthaften Leiden, wie Multipler Sklerose oder AIDS, die enorm von der Wirkung des natürlichen Cannabis profitieren. Die Entkriminalisierung-Bewegung, vor allem aber die Kiffer, die Cannabis nur aus verständlichen Kreativitäts- und Entspannungsgründen konsumieren, werden sich überlegen müssen, ob ihr Aufsatteln auf das Pferd mit Namen „Cannabis als Medizin“ dieses nicht allzu schnell zum erlahmen bringen wird. Damit wäre dann niemanden mehr geholfen.

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Rezensionen

Rezension Ingo Niermann Adriano Sack: Breites Wissen

HanfBlatt Nr. 107

Registerfreaks

In den Zeiten der Unübersichtlichkeit sollen Listen und Lexika für Ordnung sorgen. Seit Ben Schotts Sammelsurium ist der Listenwahnsinn ausgebrochen, das Buch von Ingo Niermann und Adriano Sack setzt noch einen drauf. Sie führen uns in den Kosmos des „Breiten Wissens“, der „seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer“. Auf knapp 200 Seiten folgt eine Liste nach der anderen: wer was mit welcher psychoaktiven Substanz mal angestellt hat und was sich mit den anderen noch anstellen lässt.

Auf der einen Seite ist es sicherlich Effekthascherei, eine Art „Gala“ der prominenten Kokser und User aufzuführen. Auf der anderen Seite: Bei dieser Menge an Informationen über Drogen ist es eine gewichtige Leistung der Autoren, wenig Fehler zugelassen zu haben. Von Harnsperre nach Engelstrompetenkonsum ist zwar in der Praxis wenig bekannt, auch von rektalen Kokain-Heroin-Cocktails bei Pferden träumte wohl nur Harry Anslinger. Die kürzeste Liste ist die der drogenfreien Musiker, hier steht nur der Name „Frank Zappa“ und auch das ist nicht ganz richtig, denn Zappa war zum einen die Wirkung von Marihuana wohlbekannt, er hat nur später nicht mehr gekifft, zum anderen war er starker Zigaretten-Raucher.

Das Buch durchzieht der Tonfall eines Johannes B. Kerner: „Es gibt ja Berichte, die besagen, dass sie ihre Frau schlagen. Ich sage das ja nicht, nur die Berichte. Was sagen sie dazu?“ Im vorliegenden Werk ist diese Art der anbiedernden Distanz ironisch überspitzt, dass macht den Listenirrsinn erträglicher. Die Autoren tragen viel Wissenswertes und noch mehr Anekdoten zusammen, eine Sammlung, die in dieser Form bisher nicht existiert. Hut ab!

So erfährt man viel über die Drogenaffinität der Helden des modernen Zeitalters: Filmstars, Politiker, Modemacher, Fußballspieler und deren Trainer, irgendwie scheint jeder schon mal eine Pille geworfen oder den Rüssel ins Pulver gesteckt zu haben. Aufgelistet werden die „Dämlichsten Drogenfilme“, „Wichtige Drogenhändler“, „Großartige Drogenszenen der Filmgeschichte“ (eine interessante List, nur fehlt hier aus meiner Sicht „Blueberry“ von Jan Kounen), es gibt eine Liste mit „Woran man gutes Haschisch erkennt“, eine über „Literarische Drogenklassiker“, mehrere über das Verhalten von Tieren auf Droge und eine über „Deutschsprachige Kokainlieder“. Dazu kommen Tipps wie „So faltet man ein Kokainbriefchen” oder Bauanleitungen für ein Erdloch. Das alles ist kurzweilig, da kann jedermann in der Mitte anfangen und erwischt trotzdem den Faden, denn es gibt ja keinen. Höchstens den weiteren Beweis, dass die „bösen Drogen“ inmitten der Gesellschaft angekommen sind.

Wenn man denn mäkeln will liegt das eigentliche Problem des Buches in seiner Kurzatmigkeit. Das lässt sich bei Listen zwar kaum vermeiden, wird aber hier erwähnt, damit das Buch nicht in den Ruf gerät, eine Art amüsantes Nachschlagewerk, gar ein Lexikon zu sein. Denn es ist oft nur die halbe Wahrheit, die dem Leser präsentiert wird. Wer dieses Buch liest sollte sich auf eine Reise gefasst machen, einen (Über-) Flug über ein Meeresregion – wer tauchen will, sollte eine andere Karte zur Hand nehmen.

Ein „toxikologisches Manifest“ der Autoren schließt das Buch ab. Die dort aufgeführten 10 Punkte fassen den Irrweg des „Krieges gegen die Drogen“ noch einmal hervorragend zusammen. Fazit: In Zeiten der Lexika- und Listenmanie ist das Werk ein weiteres schönes Sammelsurium, das einige Mythen aufklärt und andere erst schafft. Endlich dürfen Anekdoten und Wissenschaft miteinander spielen.

 

Ingo Niermann, Adriano Sack: Breites Wissen.
Die seltsamen Wege der Drogen und ihrer Nutzer
Eichborn Berlin Verlag 2007
180 Seiten
14,90 Euro
ISBN: 978-3-8218-5669-8