Schön ist, wenn bereits der Titel eines Buches so viel über dessen Inhalt aussagt, dass ein unsinniger Kauf vermieden werden kann. Im englischen Original heißt das Buch von Trevor Grice und Tom Scott „The Great Brain Robbery“, die deutsche Übersetzung „Die schönen Blödmacher“. Beide Titel weisen auf die einseitige und vereinfachte Darstellung eines an sich komplexen Sachverhalts hin. Tom Scott behauptet schon in der Einleitung: „Tatsächlich konnte man bis vor Kurzem Cannabis verteidigen – weil das endgültige Urteil noch ausstand. Aber das hat sich geändert. Wissenschaftler aus aller Welt sind in den Gerichtssaal zurückgekehrt, und das Urteil lautet: schuldig!“.
Dieser Tenor durchzieht das gesamte Werk, welches sich als „Lese- und Arbeitsbuch für Jugendliche und Erwachsene“ bezeichnet: Cannabis und die anderen Drogen sitzen auf der Anklagebank, aber von einem fairen Prozess kann nicht die Rede sein. Längst überholte Behauptungen aus der Mottenkiste der Reefer-Madness-Ära (verminderter Sexualtrieb durch Kiffen), veraltete Informationslage (Marihuana sei „in keiner Weise ein wirksames, sicheres Medikament“) oder schlicht falsche Beschreibungen der Wirkung einer Droge (LSD führe zu „starker Müdigkeit“). Dazu kommt noch simple Angstschürung („die Methoden der Drogendealer sind raffinierter geworden“) und fadenscheinige Bilder („Marihuana ist ein Einbrecher. Er arbeitet heimlich und hinterlässt keine Spur. Am Morgen danach sieht es so aus, als ob alles in Ordnung wäre, doch nichts funktioniert mehr richtig.“). Und ausgerechnet im Kapitel „Die harten Fakten“ werden wissenschaftliche Scheingenauigkeit und christliches Weltbild vermengt („Die Synapse, der Treffpunkt von Elektrizität und Chemie, ist der Ort, wo stimmungsverändernde Substanzen (…) ihre schwarze Magie entfalten.“).
Im Kapitel über Marihuana wollen Scott und Grice den „schlagendsten Beweis für die anhaltende Negativwirkung von Marihuana auf das Gedächtnis“ an einem Versuch festmachen, den Forscher um V.O. Leirer mit Piloten im Jahre 1991 durchführten. Diese sollten 24 Stunden nach einem Joint im Flugsimulator brillieren, schnitten dabei aber schlechter ab als die nüchterne Kontrollgruppe. Hätten Scott und Grice den Bericht wirklich gelesen, hätten sie bemerken müssen, dass Leirer und seine Kollegen von „sehr feinen“ und „sehr marginalen“ Unterschieden in der Performance sprachen, die weniger ausgeprägt waren, als die durch das Alter der Piloten verursachten Unterschiede.
So spielt das Buch mit den Ängsten von Eltern, Lehrern und Kindern und ist zu keiner Zeit in der Lage den Zeigefinger runter zu nehmen. Das im Kern für jede Droge eine Dosis-Wirkungsbeziehung herrscht scheint die Autoren nicht klar zu sein. Es stellt sich zudem die Frage, ob sie tatsächlich daran glauben, dass sie auf Basis ihres Abstinenzparadigmas einen Zugang zur Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen erhalten.
Harsch gesagt: Es ist nahezu unvorstellbar, dass irgendeinem, der deutschen Sprache mächtigen Jugendliche oder Erwachsenen männlichen oder weiblichen Geschlechts, dieses Buch eine Hilfestellung sein könnte.
Tom Scott, Trevor Grice:
Die schönen Blödmacher – Was man über Drogen wissen muss
Verlag An der Ruhr
Mülheim an der Ruhr 2007
Broschiert: 179 Seiten
ISBN-10: 3834602302
EUR 16,50
Ärzte müssen sich seit 2004 regelmäßig fortbilden – eine gute Idee, schlecht umgesetzt. Denn viele wichtige Web-Kurse für Mediziner werden von der Pharmaindustrie gesponsert oder selbst betrieben, Produktwerbung inklusive. Jetzt will das Kartellamt einschreiten.
Alles begann mit einer guten Idee. Damit ihre Heilmethoden auf dem neuesten Stand sind, sollten sich alle deutschen Mediziner regelmäßig weiterbilden. Auch die abgelegensten Arztpraxen der Republik sollten vom wissenschaftlichen Fortschritt durchdrungen werden und zeitgemäße Therapien anbieten. Das von den Gesundheitsexperten erdachte System war denkbar einfach und wurde 2004 im Rahmen der Gesundheitsreform eingeführt: Pro absolvierter Fortbildung erhält jeder Arzt Punkte, innerhalb von fünf Jahren muss er 250 ansammeln.
Offen blieb allerdings, wer die Weiterbildung für die rund 145.000 Kassenärzte und Psychotherapeuten organisiert, vor allem aber wer sie finanziert. Die Ärzte selbst? Die Berufsverbände? Oder die Pharmaindustrie? Gegen letztere Variante sprach ein Passus im Sozialgesetzbuch, laut dem die Fortbildungen „frei von wirtschaftlichen Interessen“ sein müssen. Die Landesärztekammern müssen die Schulungen zertifizieren – um deren Qualität zu sichern und, so der Plan, einseitige Darstellungen oder gar Produktwerbung zu verhindern.
Doch dazu sind die Ärztekammern offenbar nur bedingt in der Lage. Inzwischen haben sich im Internet kostenlose Portale durchgesetzt, von denen der überwiegende Teil durch die pharmazeutische Industrie betrieben oder indirekt gesponsert wird.
Ein gesundheitsökonomisches Wunder
Rund hundert solcher virtuellen Schulen existieren derzeit. Alle großen Pharmakonzerne sind mit einem eigenen CME-Portal (Continuing Medical Education) im Netz vertreten, wie etwa Pfizer mit „pro-cme.de„, Astra Zeneca mit „top-cme.de“ oder Sanofi-Aventis mit „online-cme.de„. Dazu kommt eine Vielzahl von krankheitsbezogenen Internet-Seiten, die mit Unterstützung von Pharmaunternehmen betrieben werden.
Mediziner erhalten mit ihrer individuellen Arztnummer Zugang zu den Portalen. Damit ist weitgehend sichergestellt, dass tatsächlich der Arzt selbst die Vorträge ansieht und den anschließenden Fragebogen ausfüllt. Werden alle Fragen korrekt beantwortet, erhält der Teilnehmer die begehrten CME-Punkte. Das gesundheitsökonomische Wunder ist: Trotz der aufwendigen Programmierung und Aktualisierung der Lernmodule verlangt kaum einer der CME-Anbieter Geld.
Kann unter diesen Bedingungen ein Fortbildungsmarkt entstehen, so wie vom Gesetzgeber gewünscht? „Nein“, sagt Roland Holtz. „Warum sollte ein Arzt für etwas zahlen, was er zwei Mausklicks entfernt gratis erhält?“ Holtz hatte zusammen mit der Universität Hannover versucht, ein kostenpflichtiges Fortbildungs-Portal zu etablieren. Aus seiner Sicht scheiterte dies an der Marktdominanz der Pharma-Portale. Er stellte Strafanzeige gegen die größten Betreiber und informierte zugleich das Bundeskartellamt.
Das knöpfte sich daraufhin die Ärztekammern vor, die für die Zertifizierung der CME-Websitesn verantwortlich sind. In einem 19-seitigen Brief an die Bundesärztekammer monierte das Kartellamt die Online-Kurse, von denen viele „als Fortbildung getarnte Werbemaßnahmen“ seien, vor allem aber die Marktverstopfung. Man drohte, den Ärztekammern per Unterlassungsverfügung das Genehmigen solcher Schulungs-Portale zu verbieten.
Harsche Antwort der Ärztekammern
Die Antwort kam zügig, der Tonfall war harsch. Man unterliege nicht den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches, sondern allein dem jeweiligen Kammer- und Heilberufsgesetzen der Länder, so die Bundesärztekammer. Ihre Empfehlungen zur ärztlichen Fortbildung ließen ein „transparentes Sponsoring in Bezug auf Fortbildungsmaßnahmen“ ausdrücklich zu. Damit waren die Fronten geklärt. Das Bundeskartellamt wird nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wahrscheinlich exemplarisch gegen eine der Landesärztekammern vor Gericht ziehen.
Das könnte auch die Ärztekammer Hamburg betreffen. Deren Präsident Frank Ulrich Montgomery erklärt: „Bei zertifizierter ärztlicher Fortbildung sind die kommerziellen Hintergründe, wenn es sie gibt, klar erkennbar.“ Man vergebe für Fortbildungsveranstaltungen grundsätzlich nur dann Punkte, wenn neben der Anforderung an die wissenschaftliche Qualität auch die Sponsoren und die Verbindungen der Referenten zur Industrie transparent seien.
Doch schon eine kurze Stichprobe lässt daran zweifeln. Die Hamburger Ärztekammer hat im vergangenen Jahr 16 Online-Fortbildungen zertifiziert. Alle werden von der Firma Eumecom angeboten, die zum Pharmakonzern GlaxoSmithKline gehört. Letzteres aber ist weder auf der CME-Website des Unternehmens noch auf dessen CME-Unterseiten wie etwa „ringvorlesung.de“ auf den ersten Blick zu erkennen. Erst eine gezielte Suche im dortigen Impressum schafft die von Montgomery versprochene Transparenz. „Die Ärztekammer würde sich freuen, wenn deutlicher hervorgehoben würde, wer die Anbieter des Angebots sind“, sagte Montgomery zu SPIEGEL ONLINE ein.
Andere CME-Portale propagieren einzelne Medikamente – mal offensiv, mal subtil, wie zum Beispiel auf „Univadis“. Dieses ist von der zum US-Konzern Merck gehörenden Pharmafirma MSD aufgesetzt, nach Unternehmensangaben sind hier über 40.000 deutsche Ärzte registriert. In einer Beispieltherapie wurde hier einer Diabetes-Patientin der Fettwertsenker Simvastatin verschrieben. Den hat MSD im Portfolio, doch das Problem für den Pharmakonzern ist, dass Simvastatine als Generika erhältlich sind – der Patentschutz lief 2006 aus. Schlechte Aussichten also, noch große Gewinne zu erzielen. Allerdings hat MSD mit dem Wirkstoff Ezetimib einen weiteren Lipidsenker im Köcher.
In der Fortbildung wurde dem Arzt nun eine Kombinationstherapie aus beiden Wirkstoffen vorgestellt – und in den anschließenden Fragen galt eine solche Therapie als einzig richtige Antwort. Der Hintergrund: MSD hat Simvastatin und Ezetimib in einem neuen Kombinationspräparat mit Namen Inegy vereinigt, auf das der Arzt zwangsweise stoßen wird, wenn er den Empfehlungen des CME-Portals folgt. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte MSD mit, das Modul sei bereits nicht mehr im Netz.
Das stimmt zwar, doch die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) hatte von MSD schon 2007 die Löschung des Moduls verlangt. Lange passierte nichts, erst vor etwa zwei Monaten verschwand es dann von der Website. KVB-Vorstandschef Axel Munte zeigt sich gleichwohl zufrieden: „Auch wenn man über die Dauer bis zur Rücknahme der Fortbildung geteilter Meinung sein kann, so finde ich es insgesamt erfreulich, dass die entsprechende Fortbildung inzwischen vom Netz genommen worden ist.“
Noch liegt der Anteil der Internet-Portale am gesamten CME-Markt bei geschätzten zehn Prozent. Doch alle Beteiligen sind überzeugt, dass er stetig wachsen wird. Denn im Internet lassen sich die nötigen CME-Punkte bequem und schnell sammeln: Pro absolvierter Einheit gibt es zwischen zwei und fünf Punkte.
Kooperation mit Pharmaindustrie ausgelagert
Der größte CME-Anbieter, der Heidelberger Springer-Verlag, verzeichnet nach eigenen Angaben monatlich über 20.000 Teilnahmer an Online-Fortbildungskursen. Über 50.000 deutsche Ärzte seien registriert und könnten aus über 300 Fortbildungen wählen. Rund 35.000 davon drücken nach Angaben des Verlags regelmäßig die virtuelle Schulbank.
Die Partnerschaft mit der pharmazeutischen Industrie lagert Springer in ein eigens dafür geschaffenes CME-Portal aus. Hier werden ausschließlich Fortbildungen in Kooperation mit Unternehmen aus der Pharmabranche angeboten. „CME mit Partnern“ nennt Springer das Projekt.
Offen ist, ob das immer ergiebig ist. Die Weiterbildung zur Therapie bei Morbus Paget etwa, einer krankhaften Deformierung der Knochen, wird laut Springer-Verlag von der Firma Novartis unterstützt. In der Online-Lehrstunde wird eine Studie vorgestellt, in der ein neues Novartis-Medikament mit der bislang marktführenden Arznei verglichen wurde. Es überrascht kaum, dass das Novartis-Mittel als das bessere angepriesen wird.
Verschwiegen wird jedoch, dass bis heute kein Medikament die Ausbreitung des Knochenwuchses bei Morbus Paget tatsächlich hemmt. So suggeriert die Fortbildung einen Therapiefortschritt, wo allenfalls eine bessere Verträglichkeit gegeben ist. Stephan Kröck, Mitglied der Geschäftsführung im Springer-Verlag, sieht das anders: „Die Studienlage legt hier tatsächlich einen Vorteil des neuen Präparats in einigen Bereichen nahe. Dies sollte man Ärzten, die Patienten mit Morbus Paget behandeln, mitteilen, und wir halten die Art der Darstellung in diesem Beitrag für absolut angemessen.“
Bedenken bei der Bundesärztekammer
Die Bundesärztekammer ist weniger glücklich über die von der Industrie gesponserten Fortbildungen, sieht aber kaum Alternativen. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender des Senats für ärztliche Fortbildung, hat die große Menge an notwendigen Angeboten als Problem ausgemacht. Sie könne von den Berufsverbänden allein nicht erbracht und von den Ärztekammern nicht bis ins letzte Detail überprüft werden.
Wie lange sich die Kammer auf dieses Argument zurückziehen kann, ist unklar. Denn schon Stichproben reichen aus, um die wissenschaftliche Unausgewogenheit vieler Fortbildungen festzustellen. Selbst wenn man zugesteht, dass gerade bei neu eingeführten Medikamenten die Fachinformationen auf das Produkt bezogen sein müssen, dürfte das kaum die alternativlose Darstellung des neuen Wirkstoffs rechtfertigen. Denn insbesondere bei neuen Arzneimitteln besteht Anlass zur Vorsicht, weil gefährliche Nebenwirkungen oft erst später bekannt werden – nachdem Zehntausende oder Hunderttausende Patienten das Mittel bereits eingenommen haben.
Der in Berleburg/Westfalen geborene Geheime Medizinal-Rat Professor Franz Karl Ludwig Wilhelm von Winckel (1837 – 1911) war ein bedeutender Gynäkologe und Direktor der Königlichen Universitäts-Frauenklinik in München. Er war ein Freund des öffentlichen Vortragswesens. Im Volksbildungsverein München hielt er am 19. Februar 1890 einen langen Vortrag mit dem Titel „Über die Bedeutung des indischen Hanfs im Menschen- und Völkerleben.“ In diesem vereint er ein interessantes Potpourri des damaligen, von Mythen, negativen Vorurteilen und Halbwissen geprägten Kenntnisstandes zu Geschichte und medizinischer Erforschung des indischen Hanfs und seiner teilweise in sich widersprüchlichen Ansichten dazu. Von besonderem Reiz ist der hier zugegeben willkürlich extrahierte (natürlich ethnozentristische) Kernteil, in dem er vom Riambakultus berichtet.
„Die genaue Schilderung dieses Hanf- oder Riambakultus verdanken wir erst Pogge, Wissmann, Wolf und Francois. Die Geschichte dieser neuen Religion ist noch jungen Datums und bietet mancherlei interessante Seiten. Dieselbe wird von Wissmann und Pogge etwas verschieden dargestellt.
Die Völker, bei welchen der genannte Kultus in höchster Blüte steht, sind die Baluba, ein Mischvolk, eine Völkerfamilie, die östlich bis an den Tanganjika-See, westlich bis an den Kassai, nördlich bis an die Bakete, beziehentlich Bakuba, und südlich bis an das Lundareich stossen. Der Hauptherrscher in diesem Volke ist der mit Wissmann und Pogge sehr befreundete Häuptling Kalamba in Mukenge, nahe dem Lulua, dessen sehr intelligente Schwester Meta mit dem Beinamen Sangula eine Art geistlicher Nebenregierung führt. Zu diesen Baluba wurde etwa 1874 durch einen östlich von ihnen wohnenden Häuptling Muamba Putu, welchen der vor kurzem in Afrika verstorbene Stabsarzt Wolf noch persönlich kennen lernte, das Hanfrauchen eingeführt.
Und während bis dahin die Baluba in immerwährenden Fehden lagen und entschiedene Anthropophagen waren und einzelne, nicht weit von ihnen wohnende Völker noch jetzt diesem Genusse huldigen, gelang es Kalamba mit Hilfe des Riambakultus sich ein grösseres, einheitliches Reich zu schaffen und eine friedliche Ära zu eröffnen, durch welche sein Land als Land der Freundschaft, Lubuku genannt, den Fremden geöffnet wurde, und aus den unbezähmbaren, aber allerdings durch eine verhältnismäßig hohe Intelligenz von jeher von ihren Nachbarvölkern ausgezeichnet Wilden ruhige, weit mehr gesittete und einer höheren Kultur immer mehr zugängige Menschen gemacht wurden. Natürlich ging diese Umwandlung nicht ohne Kampf ab.
Anfangs schienen Kalamba und Meta selbst keine überzeugungstreuen Anhänger des Riambakultus gewesen zu sein, denn im Jahre 1876 brach ein heftiger Aufstand gegen sie aus, indem man sie beschuldigte, den Tod eines Mannes durch Fetischzauber herbeigeführt zu haben. Man zwang sie infolgedessen Riamba zu rauchen und als Kalamba und Meta dadurch betäubt zu Boden stürzten, fiel man mit Messern über sie her. Kalambas Bruder wurde getötet; er selbst durch Bangalaleute gerettet; Meta aber, für tot auf dem Platze gelassen, rettete sich, aus der Ohnmacht erwacht, zu einem befreundeten Häuptling und erhielt infolgedessen später den Zunamen Sangula, d. h. wieder zum Leben Erstandene (Pogge). Aus der Saula war nun eine Paula geworden und seit jener Zeit ist sie die fanatische Hohepriesterin des Riambakultus, dem sie im Verein mit ihrem Bruder ringsumher immer mehr Anhänger und Verbreitung verschaffte. Die alten Fetische und Zaubermittel wurden auf Kalambas Befehl zerstört und öffentlich verbrannt und an ihre Stelle trat als Universal-Zauber- und Schutzmittel gegen alle Unbilden und als geheiligtes Symbol des Friedens und der Freundschaft der Hanf, Riamba. Das Hanfrauchen wurde allen zur Pflicht gemacht und alle Feste wurden mit Riambarauchen gefeiert.
Der Schmuck der Priesterin ist der grüne Hanfzweig, mit dem sie nicht bloss die aufgeregten Leidenschaften der Menschen beschwichtigt, den sie auch gegen die aufgeregten Elemente, wie die stürmische See, schwingt. Will jemand in die Gemeinschaft der Riambagläubigen aufgenommen werden, so muss der Neubekehrte eine öffentliche Beichte über alle seine Vergehen ablegen, alsdann wird ihm von Meta als Strafe dafür wässeriger Pfefferextrakt in jeden Augenwinkel geträufelt, infolgedessen er oft wochenlang an heftigem Bindehautkatarrh leidet und gewiss hinreichend Gelegenheit hat, rechte Einkehr in sich zu halten. Nun werden ihm auch noch die Haare geschoren, denn alle Riambabrüder sollen geschoren sein. Als Symbol des Riambakultus ist die vor dem Dorfe auf hoher Stange aufgesteckte Kalabasse zu betrachten, da das Riambarauchen aus Flaschen-Kürbissen stattfindet. Das letztere geschieht alltäglich auf grossen Plätzen vor der Wohnung des Häuptlings, welche Kalamba dadurch schaffen liess, dass er nicht bloss alle Palmen, sondern auch die Bananen und Ananas zerstören liess.
Der Genuss des Palmenweins und des Opiums wurde streng verboten und nur der des Hirsebieres gestattet…Sollen von der Gottheit frohe Ereignisse erbeten werden, will man sich zu einer gemeinsamen grösseren Tat stärken, will man lieben Verstorbenen eine Weihe darbringen, so wird Riambarauchen angestellt; es ist das Gebet, die Messe, die Prozession und die Beruhigung aller Skrupel, Sorgen und Ängste. Als Kalamba beispielsweise im Anfang seiner Reise mit Wissmann nachts einmal durch einen bösen Traum, dass man ihn in der Stadt der Weissen gefangen nehmen werde, erschreckt war, beruhigte er sich nicht eher, als bis Wissmann mit ihm Hanf geraucht hatte. Aber auch der Muschilange, welcher seine Frau und seine Kinder verkaufen will, pflegt die moralischen Bedenken, die ihm keineswegs fremd sind, durch starkes Riambarauchen zu ersticken.
Ist Jemand eines Vergehens beschuldigt, sei es Diebstahl, Mord usw., so wird er zum Riambarauchen verurteilt, weil man bei diesem Gottesgericht erwartet, dass er die Wahrheit sagen oder bewusstlos zusammenstürzen oder, wenn er unschuldig sei, durch Erbrechen von dem Gift befreit werde. Der fragliche Übeltäter raucht dann allein aus einer Pfeife, in welche, wie bei der Besiegung des Häuptlings Katende durch Kalamba ausdrücklich einmal hervorgehoben wird, eine starke Riambamischung (!) eingelegt wird, während der hohe Gerichtshof zu je 4 Personen aus einer Pfeife zusammenraucht. Hier ist also beobachtet worden, dass in gewissen Fällen der Hanf nicht allein, sondern mit anderen Pflanzen, wahrscheinlich sehr giftigen, wie Bilsenkraut, Stechapfel usw. vermischt wird, aber nur um einen Schuldigen zu entlarven und zu strafen…
Sehr auffallend ist ferner, dass Kalamba mit der Einführung des Riambakultus auch alle Haushaltungstiere, mit Ausnahme der Tauben und Hühner, also die Hunde, Ziegen und Schweine töten liess. Er hatte die bestimmte Absicht, wie er das in der veränderten Einrichtung des Kischila erklärte, sein Volk weniger blutdürstig zu machen und es an eine einfachere Lebensweise zu gewöhnen.
Aber auch ein religiöser Grund bestimmte ihn, denn mit dem Riambakultus entwickelte sich bei den Baluba auch der Glaube an die Seelenwanderung; man dachte, dass die Seelen Verstorbener in Tiere ebensogut wie in Menschen einwandern könnten…Übrigens muss man hinzusetzen, dass durch dieses Abschaffen der grösseren Haustiere die Baluba doch nicht zu reinen Vegetarianern gemacht wurden, da sie auf den Reisen mit Wissmann, Pogge, Francois und Müller immer sehr gern an der Verteilung ihrer Fleischjagdbeute teilnahmen und diese frohe Aussicht gewöhnlich schon abends vorher durch einen Riambatanz feierten.
…Wenn ein Fremder zum Besuch kommt, so wird er mit Hanfwedeln begrüsst und befächelt, auf seinen Weg werden Hanfblätter gestreut und mit Pemba (Ton) sein Gewand bestrichen. Darauf trinkt der Muschilange Kischila, d. h. Blutsfreundschaft, mit ihm. Diese Prozedur wurde in sehr sinnreicher Weise von Kalamba verändert und wie folgt erklärt: „Das Feuer“, sagt er, „ist die höchste Macht der Erde und Riamba das einzige Mittel für Gesundheit und Leben. Wenn wir Kischila nun vom Feuer mit Riamba trinken, so ist dies unverbrüchlich. Wer es dann wagen wird, sein Wort zu brechen, der wird vom Feuer vertilgt werden, dem wird kein Feuer mehr leuchten, kein Riamba mehr helfen. Ohne Feuer kann aber niemand das Eisen bereiten, ohne Eisen kann niemand seine Felder bebauen oder ein Haus errichten, ohne Riamba kann kein Mensch auf Erden leben, somit muss sich jeder hüten, das Feuer und Riamba durch seinen Wortbruch zu erzürnen.“ Darauf werden dann von der Priesterin (Sangula) einige Hanfkörner in den kochenden Kognak gestreut und jeder Reisende und die anwesenden Häuptlinge trinken davon, womit das Freundschaftsbündnis geschlossen ist.
Brechen Streitigkeiten zwischen Riambabrüdern aus, so wird mit einem Büschel getrockneten Hanfes, wie mit einem Zauberstabe versucht, die Streitenden zu trennen; wenn das aber nicht gelingt, so schlägt die Hohepriesterin Meta Sangula mit einem kräftigen Stocke ohne Ansehen der Person dazwischen. Überhaupt erschien dieser Priesterin das Gefühl der Furcht fremd und sie trat oft mit einem Büschel grünen Hanfs in der Hand unbewaffnet ihren Feinden entgegen, um eine drohende Anrede zu halten. Schien diese keinen Eindruck zu machen, so suchte sie durch heftige Gesten oder auf andere minder schickliche Weise dem Gegner ihre Verachtung zu beweisen und ihre Krieger zum Kampfe anzufeuern. Wie sie denn auch, als im Anfang ihr Bruder Kalamba noch Bedenken hatte, Wissmann auf seiner grossen Reise zu begleiten, erklärte, wenn die Männer keine Courage hätten, so würden die Frauen allein mit jenem ziehen und dem Fremden ihr Wort halten…
Höchst amüsant ist nun ein Kriegerauszug: Jeder Muschilange erscheint im gewöhnlichen Hüfttuche, aber mit der unvermeidlichen Riambapfeife, die an Schultern und Rücken hängt oder wie ein Kind im Arm getragen wird, so dass die Menge mehr einem starken Orchester von Dudelsackpfeifern und Tubabläsern, als dem beutelüsternen Tross mutiger Krieger gleicht.
Die Pfeifen, aus denen geraucht wird, sind ausgehöhlte Kürbisse, in denen seitwärts ein tönerner Zylinder als Pfeifenkopf und am oberen Ende ein Mundstück ausgeschnitten ist. Dieselben sind oft bis zu einem Meter gross, so dass z.B., als auf Wissmanns Reise einmal ein Boot umschlug, eine ins Wasser gestürzte Frau sich solange an einer solchen schwimmenden Riambapfeife halten konnte, bis sie gerettet wurde…
Sehr bemerkenswert ist es nun, dass zu dem Hanfrauchen der Baluba immer der Riambatanz gehört; er wird bei allen Festen, ebenso wie bei Kriegszügen, ja fast täglich, um den religiösen Eifer zu zeigen, bis zur Erschöpfung getanzt. Er macht den Eindruck, als ob alle bösen Geister der Unterwelt sich gesellig zu demselben vereinigt hätten; während des Tanzes wird fortwährend Riamba geraucht und Männer, Weiber und Kinder nehmen an diesen Tänzen teil. Begleitet wird derselbe von Trommeln und einer Musik, die von den Anwesenden teils gesungen, teils durch Pfeifen, Klappern, Rasseln und Blasen auf dem Elfenbeinhorn zu einem unbeschreiblichen Getöse wird. Sobald die Wirkung des Hanfs bei einigen akut wird, springen sie auf, tanzen mit zurückgeworfenem Kopfe, stieren Blickes, die wiegenden drehenden Bewegungen der Hüften mit Schwingen der ausgestreckten Arme und ausgespreizten Fingern begleitend oder sie stampfen im Takte mit den Füssen, wild ins Weite stierend und jene eintönige, bald lallende, bald aufjubelnde Melodie singend. Diese Tänze werden auf dem grossen Platz um ein mächtiges Holzfeuer oft die ganze Nacht hindurch bis früh 5 Uhr getanzt; sie werden vor dem Beginn grosser Unternehmungen ausgeführt und am frühen Morgen ist die tanzende Menge nicht selten noch so aufgeregt, dass z.B. zum Überfluss die Gewehre abgefeuert und unnötig Munition verschwendet wird…
Wenn nun ein so sorgsamer und langjähriger Beobachter jener Völkerschaften wie Wissmann, den ja ihre Häuptlinge lange Zeit nach Osten und Westen begleiteten, nichts von einem geistigen Verfall derselben hervorgehoben hat, nachdem jene doch schon über ein Jahrzehnt dem Riambakultus huldigten, wenn trotz allen Rauchens und Tanzens die Ausdauer der Baschilange auf jenen Reisen oft eine erstaunliche war und Kalamba sowohl als Meta Sangula als höchst intelligente Personen geschildert werden, deren persönlicher Mut und Ausdauer beim Überwinden von Schwierigkeiten manchmal rühmend anerkannt wird, wenn endlich Wissmann die schädliche Einwirkung des Hanfrauchens wohl für übertrieben ansieht, so wird man mit der Erklärung dieser bedeutenden Unterschiede durch die Verschiedenheit des afrikanischen vom indischen Hanfe allein sicher nicht mehr ausreichen…Da man nun so oft schon den Europäern, und keineswegs mit Unrecht, vorgeworfen hat, dass sie durch Einführung des schlechtesten Branntweins jene Völkerschaften zu korrumpieren und zu Grunde zu richten versucht haben, so hätte an dieser Stelle die deutsche Regierung, um nicht ähnlichen Vorwürfen dereinst ausgesetzt zu werden, eine Verpflichtung, sich ernstlich die Frage vorzulegen, ob sie den Wissmannschen Auffassungen folgend, den Riambakultus möglichst unterstützen und erhalten oder aber ihm entgegentreten solle.“
Auf dem Weg nach Eleusis. Albert Hofmann und das LSD.
Der Schweizer Chemiker Albert Hofmann durfte am 11. Januar 2006 in Basel seinen 100. Geburtstag feiern. Weltberühmt ist er für seine zufällige Entdeckung der erstaunlichen Wirkungen des LSD (LysergSäure-Diäthylamid) im Jahre 1943. Er arbeitete damals für den Pharmakonzern Sandoz (heute Novartis) und hat später immer wieder ausgiebig von diesem Ereignis erzählt. In seinen Augen kam das LSD zu ihm. 1958 isolierte er aus den mexikanischen Zauberpilzen erstmals die Wirkstoffe Psilocybin und Psilocin und synthetisierte diese. 1960 fand er in den Samen der mexikanischen Zauberwinde Ololiuqui psychoaktive Lysergsäure-Alkaloide. Eine Sensation, hatte man derartige Alkaloide doch zuvor nur aus dem Mutterkorn-Pilz gewonnen. Die Entdeckung des Wirkstoffes des mexikanischen Wahrsagesalbeis, Salvia divinorum, den er auch untersuchte, blieb Anderen vorbehalten.
1963 fand er in den kleinen in Europa überall spriessenden Spitzkegeligen Kahlköpfen, Psilocybe semilanceata, ebenfalls den Wirkstoff der „Magic Mushrooms“ und öffnete damit die Pforten für den import- und zuchtunabhängigen Gebrauch hierzulande. Hofmann selbst nahm gelegentlich und gut vorbereitet gemeinsam mit anderen bürgerlichen Intellektuellen aus seinem Freundeskreis (u.a. dem Autoren Ernst Jünger, „Annäherungen“, und dem Orientalisten Rudolf Gelpke, „Der Rausch im Orient und Okzident“) LSD und Psilocybin und hat davon in seinem Standardwerk „LSD-Mein Sorgenkind“, dessen Titel Jünger übrigens zu mütterlich fand, berichtet. Ungewollt war er ein Wegbereiter der psychedelischen Welle der Sechziger. Von den messianischen Psychedelika-Aposteln vom Typus eines Timothy Leary hat er sich immer distanziert, ohne einen Dialog mit ihnen zu verweigern. Von einem massenhaften Gebrauch, der automatisch zu einer irgendwie besseren Welt führen würde, wie er in dieser Zeit propagiert wurde, hielt er nichts, sah er doch auch die psychischen Risiken, die derart potente Hilfsmittel unter falschen Voraussetzungen eingenommen, bergen.
Sympathisch war ihm dagegen ein sozial integrierter Gebrauch ähnlich dem des Kykeons der eleusinischen Mysterien. Fast 2000 Jahre lang wurde im antiken Griechenland im Tempel von Eleusis ein Gebräu serviert, dass den Adepten in diesem Rahmen eine Erfahrung der Einheit mit der Schöpfung und der Auflösung der Grenzen zwischen Leben und Tod bot, die prägende Wirkung auf das alltägliche Leben hatte. Gemeinsam mit dem Mykologen Gordon Wasson und dem Religionsgeschichtler Carl Ruck spekulierte Hofmann 1978 darüber („Der Weg nach Eleusis“), ob es sich bei dem Kykeon nicht um eine spezielle Zubereitung aus Mutterkörnern gehandelt habe, die LSD-ähnlich gewirkt haben könne. Sein naturmystisches Weltbild fand in der psychedelischen Erfahrung, die ihn an eine ähnliche Kindheitserfahrung in der Natur erinnerte, Bestätigung. Mystische Erfahrung und Naturwissenschaft schließen sich nicht einander aus, sondern ergänzen sich. Das Wunder der Schöpfung wird in Anbetracht naturwissenschaftlicher Beschreibung keineswegs kleiner, sondern größer. Und letztlich ist jeder Einzelne Schöpfer eines eigenen Universums, erwacht doch in ihm erst in einzigartiger Weise das ganze Wunder dessen, was ist. In Anbetracht der teilweisen
Wissenschaftsfeindlichkeit in den alternativen Szenen der 60er ist es schon eigenartig, dass gerade Albert Hofmann und seine bedeutende Stimme alle Irrungen und Wirrungen überdauert hat. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass er nun mal nicht zu den radikalen Psychonauten gehört, die exzessiv und hochdosiert konsumierend, verständlicherweise dementsprechend bizarre Botschaften aus dem Jenseits ihrer Erfahrungen mitbrachten und bringen, aber das ist auch gut so. So steht Albert Hofmann für das, was Psychedelika vernünftig eingesetzt in einer ideal(isiert?)en Gesellschaft sein könnten: Wissenschaftliche, therapeutische und sakramentale Hilfsmittel um ein glücklicheres Leben in Einklang mit der Natur zu führen. Tatsache ist aber, auch wenn man sich den sozusagen von einer weisen Elite kontrollierten Gebrauch wünschen mag, dass der psychedelische Geist längst aus der Flasche ist. Er steht den Menschen überall wild, frei und ungezwungen zur Verfügung. Was man daraus macht, obliegt letztlich jedem Einzelnen. Wer nun neugierig auf Albert Hofmann geworden ist, oder als Fan von seinem philosophischen Werk, insbesondere von „Einsichten Ausblicke“, nicht genug von ihm kriegen kann, dem schenken Roger Liggenstorfer (Nachtschatten-Verlag) und der Journalist Mathias Broeckers („Hanf“) mit „Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD. Auf dem Weg nach Eleusis.“ einen schönen Band, der sieben Texte von Hofmann selbst enthält, obendrein ein aufschlussreiches Interview, das die Herausgeber im August 2005 mit ihm geführt haben, zahlreiche Fotos aus seinem Familienalbum, sowie Essays von Myron Stolaroff (Autor von dem Meisterwerk „Thanatos to Eros“!), Ralph Metzner (psychedelisches Urgestein), Günter Amendt (dem Erfrischenden), Wolf-Dieter Storl (dem Anregenden), Jonathan Ott (dem Visionären), Christian Rätsch (no comment;-) und Claudia Müller-Ebeling (über Künstler und LSD!) und der Herausgeber selbst. Ein Veröffentlichungsverzeichnis ergänzt das Ganze. Eine gelungene stimulierende und wertvolle Hommage.
az
Mathias Broeckers/ Roger Liggenstorfer (Hrsg.)
„Albert Hofmann und die Entdeckung des LSD.
Auf dem Weg nach Eleusis.“
Lizenzausgabe für AT Verlag, Baden
Nachtschatten Verlag, Solothurn 2006
Geb.; 143 S., 18 SW-Foto-Seiten
ISBN 3-03800-276-3
Wer meint, sich stimulieren zu müssen, aber dabei auf synthetische Amphetamine, gemeinhin als “Speed” bekannt, verzichten möchte, der kann im Pflanzenreich fündig werden. Wenn man von den beliebten coffeinhaltigen Anregungsmitteln einmal absieht, wird man unweigerlich auf die zahlreichen über trockenere Gebiete des Planeten verbreiteten Meerträubelarten stoßen, botanisch Ephedra genannt.
Es handelt sich um niedrige besenartig verzweigte Büsche oder Sträucher mit dünnen immergrünen Ästchen, die an Schachtelhalm erinnern, und unscheinbaren schuppenförmigen Blättern. Wie bei Hanf gibt es männliche und weibliche Pflanzen, die sich erst zur Blüte unterscheiden lassen. Die Früchte erscheinen als kleine auffällig rote Beerenzapfen.
Meerträubel ist eine sehr urige Pflanze und bevölkert unseren Planeten schon viele Millionen Jahre. Auch ist Meerträubel ein treuer Begleiter der Menschheitsgeschichte und eine der ältesten bekannten psychoaktiven Heilpflanzen überhaupt. Es wurde als Beigabe in den Neandertalergrabhöhlen von Shanidar (auf dem Gebiet des heutigen Iran) gefunden. Seine Wirkungen wurden praktisch überall genutzt, wo es wild gedieh, sowohl in der Alten als auch in der Neuen Welt. In Kulten und religösen Ritualen spielte es immer wieder eine Rolle.
Als stimulierende Wirkstoffe enthalten viele eurasische und nordafrikanische Ephedraarten unterschiedliche und schwankende Mengen an natürlichen Amphetamin-ähnlichen Wirkstoffen, den sogenannten Ephedra-Alkaloiden. Zu diesen zählen vor Allem l-Ephedrin und Pseudoephedrin, außerdem Norephedrin, N-Methylephedrin und einige andere. Sie alle wirken ähnlich, aber nicht identisch. Die spezielle Mischung in einer vorliegenden Ephedraprobe kann eine von sensiblen Menschen durchaus spürbar unterschiedliche Geamtwirkung entfalten. Jedoch wirken alle blutdrucksteigernd, gefäßverengend, herzschlagbeschleunigend, kreislaufstimulierend, harntreibend, antiallergisch (insbesondere nasenschleimhautabschwellend), krampflösend auf die Bronchien (hustenreizlindernd, antiasthmatisch), appetithemmend und zentral anregend.
Die Alkaloide selbst werden deshalb in Arzneimitteln eingesetzt, zum Beispiel zur Linderung von Erkältungen mit Husten oder in fragwürdigen Appetitzüglern.
Beliebt als so eine Art “Armeleute-Speed” waren Anfang der Achtziger die in Apotheken frei erhältlichen Medikamente Ephedrin Knoll (mit 0,05 Gramm d,l-EphedrinHCl pro Tablette) und Percoffedrinol, das damals noch Ephedrin und Coffein in einer sich gegenseitig verstärkenden Mischung enthielt, bis diese Präparate schließlich 1984 rezeptpflichtig wurden und dann schon bald (1987) vom Markt verschwanden.
Heute taucht Ephedrin bei uns nur noch als ein untergeordneter Bestandteil in Kombinationspräparaten auf.
In den Achtzigern existierte in den USA ein legaler Versandhandel für ephedrinhaltige Tabletten und Kapseln, die stärkere, sonst nur auf dem Schwarzmarkt erhältliche “Speed”-Präparate imitierten. In Amsterdamer Headshops konnte man reines Ephedrin-Hydrochlorid erwerben, um damit “Speed” oder “Kokain”-Pulver zu strecken oder zu imitieren.
Ephedrin war nie so beliebt, wie seine euphorisierenderen Konkurrenten. Es war in erster Linie problemloser und preiswerter erhältlich. Dabei können die Ephedra-Alkaloide als Ausgangssubstanzen für die Synthese der chemisch und pharmakologisch nahe verwandten illegalen Amphetamine (insbesondere durch Reduktion Methamphetamin) dienen. Mittlerweile obliegen sie deshalb einer verschärften internationalen Kontrolle.
An die Stelle der Reinsubstanzen ist in den letzten Jahren vermehrt das verträglichere Ephedrakraut getreten. (Aber Vorsicht: Es ist bei uns zumindest apothekenpflichtig und darf außerhalb höchstens als botanisches Anschauungsmaterial gehandelt werden.) Von vielen Leuten wird die Wirkung eines Ephedratees als körperlich angenehmer, weniger “brutal” und psychisch euphorisierender beschrieben, als dies bei den Pharmapräparaten der Fall sein soll. Dafür ist der reale Wirkstoffgehalt weniger abschätzbar, die Dosierung etwas problematischer. Auch enthält das Ephedrakraut Gerbstoffe und andere Substanzen, die in größerer Menge genossen durchaus “auf den Magen hauen” können.
Ephedra hat im Rahmen der Technobewegung und des damit popularisierten “Ecstasy”-Konsums eine neue Bedeutung als Zusatz anregender Kräutertabletten erlangt, die von findigen und windigen Geschäftsleuten durch massive Werbung als legale und scheinbar nicht gesundheitsschädliche “Alternative”, als sogenannte “Kräuter-Ecstasys”, oft maßlos überteuert, an den Mann gebracht wurden. Sie enthalten in der Regel aber nur geringe Mengen Ephedra. Dieses ist obendrein meist der einzig nennenswert psychoaktive Bestandteil. Nicht viel mehr als eine Idee in Pillenform. Selbermischen kommt auf jeden Fall preisgünstiger, und man weiß, was drin ist.
Die Ephedra-Alkaloide und damit auch das Ephedra-Kraut sind außerdem nicht ganz unbedenklich. Wer Herz-Kreislaufprobleme, insbesondere Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen, besonders in Hirn und Extremitäten, Schilddrüsenstörungen, eine Prostataerkrankung, eine geschädigte Leber oder Niere oder ein Engwinkelglaukom hat oder gar schwanger ist, sollte auf jeden Fall die Finger von der Droge lassen!!!
Coffein verstärkt gefährliche Nebenwirkungen. Auch Alkohol und Nikotin sind sicherlich keine guten Partner für Ephedra.
Hohe Dosierungen machen sich durch Pupillenerweiterung, Nervosität, Zittern, Schweißausbrüche, eventuell Herz-Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, starke Mundtrockenheit, Harnverhaltung und Verstopfung bemerkbar. Die körperliche Symptomatik dominert.
Bei toxischen Dosen kann es zu Krämpfen, Herrhythmusstörungen, Schock und Atemlähmung kommen. Selbst Herzinfarkt und Schlaganfall werden in der medizinischen Literatur erwähnt.
Komplikationen sind allerdings bei überlegtem, gelegentlichem und wohldosiertem Gebrauch selten.
Zu den Nachwirkungen zählen insbesondere bei höheren Dosierungen oder wiederholter Einnahme eine mehr oder weniger ausgeprägte Mattigkeit, eventuell Gefühle von Niedergeschlagenheit und vor allem Schlafstörungen (Einschlafschwierigkeiten, unruhiger, schwitziger Schlaf), kurz ein Aufputschmittel-Hangover. Künstliche Stimulation geht in jedem Falle auf Kosten der eigenen Energiereserven.
Wer täglich Ephedra nimmt, geht das Risiko einer Gewöhnung ein. Schnell entwickelt sich Toleranz. Immer größere Mengen werden gebraucht, um eine der ersten Dosis auch nur annähernd vergleichbare psychisch stimulierende Wirkung zu erzielen. Das zehrt aus und erhöht erheblich das Risiko negativer Folgen. Fahrigkeit, Nervosität, Gereiztheit, Konzentrations- und Schlafstörungen, sowie schwerwiegendere vorübergehende psychische Störungen wurden bei anhaltendem, stark übertriebenen Gebrauch von ephedra-alkaloidhaltigen Pharmapräparaten beobachtet. Ephedrin ist so konsumiert letztlich nicht weniger bedenklich als stärkere Arten von “Speed”. Vom nicht ärztlich verordneten täglichen Gebrauch ist deshalb dringend abzuraten.
Wie wirkt das Zeug nun eigentlich? Was ist der Reiz daran?
Wenn es nur ausnahmsweise mal genommen wird, dann setzt innerhalb von 15 bis 60 Minuten langsam eine Wachheit mit Klärung der Gedanken ein, oder auch eine Art von Aufgeregtheit und Hibbeligkeit, so ein Gefühl wie “jetzt gehts los”, vielleicht sogar mit einer euphorischen Note zumindest zu Beginn, aber das wars dann auch schon, wenn man sich nicht selbst in den Törn reinschafft. Die Angeregtheit oder auch Erregtheit hält etwa vier Stunden deutlich und bis zu sechs oder gar acht Stunden insgesamt an. Wer zu innerer Unruhe, Aggressionen und Gereiztheit neigt, mag im Einzelfall eine Verstärkung dieser Züge erleben. Wer die Dinge eher locker angeht, mag die Stimulatuion zum mentalen Driften, sich Räkeln, zum Labern, Spazierengehen, Tanzen, Kuscheln oder Rammeln nutzen. Wenn man es auf das Letztere anlegt, sollte man nicht vergessen, daß Ephedra besonders zu Beginn seiner (auch gefäßverengenden) Wirkung und mit steigender Dosis nicht gerade die Durchblutung vor allem der männlichen Geschlechtsorgane fördert und schließlich den Orgasmus eher hinauszögert, was ja erwünscht sein kann. Die Ephedrastimmung muß nicht unbedingt erotisch sein, kann aber im entsprechenden Ambiente insbesondere von Frauen sinnlich erlebt werden. Aber watt dem einen sin Nachtigall, ist dem anderen bekanntlich sin Uhl. So kann man auch das typische Kribbeln unter der Kopfhaut auf der einen Seite willkommen heißen und genießen oder als unangenehm nervigen Kratzreiz erfahren.
Das Inhalieren von Cannabisdämpfen in Kombination mit Ephedra wird als wohltuend beschrieben. Das Cannabis gebe dem bisweilen vergleichsweise ernüchternden oder allenfalls manischen Ephedratörn erst eine wirklich interessante, sinnliche, zusätzlich erotisierende, phantasie- und humorvolle Note, wobei andersherum das Ephedra dem wirren und ermüdenden mancheiner Cannabisdröhnung entgegenspaziere. Wie dem auch sei…
Wie wird Ephedra genommen?
Man kann das zu feinem Pulver gemahlene Ephedrakraut in Kapseln abgefüllt oder in zum Beispiel O-Saft gerührt herunterspülen. Auch Extrakte lassen sich durch Heißwasserauszug, Abfiltern und Eindampfen herstellen und ähnlich einnehmen. Alkoholische Getränke sind noch effektiver bei der Extraktion.
Die traditionelle Zubereitung erscheint allerdings als die Vernünftigste und Schmackhafteste: Man bereitet einfach einen Tee zu. Dazu werden pro Tasse oder Becher ein bis zwei Gramm der getrockneten Zweigchen mit kochendem Wasser überbrüht und zwei bis drei Minuten ziehen gelassen, damit nicht zuviel der bitteren und magenbelastenden Gerbstoffe in den Tee übergehen. Oder man läßt das Kraut zehn Minuten köcheln, bevor man abgießt. Das schmeckt dann nicht mehr so gut, extrahiert aber mehr der Alkaloide. Nimmt man frisches ungetrocknetes Kraut für die Abkochung, verbessert sich der Geschmack des Tees. Der Tee kann mit Honig oder Rohrzucker gesüßt und mit Limonensaft aufgepeppt werden. Diesen kann man auch von Anfang an zufügen. Er erhöht die Wasserlöslichkeit der Alkaloide. So zubereitet schmeckt der Ephedratee gar nicht mal so schlecht. Aber es gibt erhebliche Unterschiede in den Sorten. Leider auch im Wirkstoffgehalt. So läßt sich nicht ohne Weiteres sagen, wieviel Ephedra für die gewünschte Wirkung erforderlich ist. An eine neuerworbene Probe tasten sich Ephedra-User deshalb vorsichtig heran, Tässken für Tässken.
Die Spanne des Alkaloidgehaltes reicht von geringen Mengen von vielleicht 0,2 % bis zu 3,3 %! Im Allgemeinen steigt der Alkaloidgehalt kontinuierlich vom Frühjahr bis zum Herbst an. Deshalb werden die frischen neugewachsenen jungen Zweige meist im Oktober, manchmal auch während der Blüte geerntet.
Die Dosierung: Wieviel nimmt man denn nun?
Nehmen wir als Anhaltspunkt mal die typische medizinisch-therapeutische Dosis von EphedrinHCl. Sie liegt zwischen 0,01 und 0,05 Gramm. Zum “Aufputschen” wurden aber höhere Dosen genommen, üblicherweise 0,05 bis 0,15 Gramm (also 50 bis 150 Milligramm).
Der durchschnittliche Wirkstoffgehalt des hier erhältlichen getrockneten Ephedrakrautes dürfte zwischen 0,5 und 1,5 % Ephedra-Alkaloide betragen. Die typische therapeutische Dosis für die Einnahme als Tee liegt bei 1 bis 4 Gramm des Krautes. Wer sich stimulieren will, nimmt in der Regel mindestens 2 bis 5 Gramm.
Welche Sorten gibt es?
Insgesamt sind bis zu 70 Ephedraarten beschrieben worden. Fast alle enthalten Ephedra-Alkaloide. Ein paar der wichtigeren Arten seien hier genannt. Dabei ist zu bedenken, dass in den amerikanischen Arten keine (!) Ephedra-Alkaloide gefunden wurden, Konsumenten insbesondere von Mormonentee und Tlanchalahua aber von anregenden Wirkungen berichten. Vielleicht spielen andere Inhaltsstoffe eine Rolle. Auch mag die Identität des konsumierten Tees nicht immer eindeutig sein.
In Mexiko trinkt man einen schmackhaften “Schlankheits-Tee” von Tlanchalahua (Ephedra trifurca) in der Dosis von 1 Gramm pro Teebeutel pro Tasse, den man nur ein bis drei Minuten ziehen läßt. Eine Tasse wirkt eher subtil. Nach drei bis fünf Tassen war eine deutliche Wirkung spürbar. In leckeren u.a. Zitronengras enthaltenden mexikanischen Teemischungen wie “Yogi” und “Samadhi” macht Ephedra trifurca einen Anteil zwischen 20 und 40 % aus.
In Mexiko wird auch Ephedra americana als Tee getrunken oder gegen Kopfschmerzen geraucht. Ephedra americana wächst in trockeneren Gebieten von Nordamerika über die Anden (curip-huaracan ist der Quetschua-Name) bis runter in den Norden von Chile (dort pingo-pingo genannt). Ein solcher Tee wirkte lediglich harntreibend. Aus den USA kommt manchmal der Mormonentee (meist Ephedra nevadensis) zu uns. Ein Teelöffel pro Tasse, zehn Minuten ziehen lassen, wird als Dosis für ein anregendes Getränk angegeben.
Eine robuste mehrjährige Sorte aus den Bergen Nordindiens und Tibets (von 3000 bis 5600 Meter hoch!) ist Ephedra gerardiana (Somalata). Sie läßt sich auch bei uns im Freiland anbauen und übersteht selbst harte Winter. Die Erträge sind zwar nicht gerade hoch, Potenz und Geschmack aber gut.
Eine der klassischen Ephedrasorten für den Apothekenhandel ist die vom Kaukasus bis nach China (dort neben anderen Ephedraarten Ma Huang genannt) verbreitete Ephedra equisetina. Es wurden in getrockneten frischen grünen Zweigen Alkaloidgehälter von 0,6 bis 1,75 % gemessen, mit Spitzenwerten bei 3,3 %.
In denselben Gebieten gedeiht auch Ephedra intermedia ( auch Ma Huang genannt) mit mittlerem Wirkstoffgehalt (zwischen 0,8 und 1,35 % Alkaloide). Wildwachsende Ephedraarten gelten in manchen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (insbesondere in Kasachstan) als eine der populärsten Drogen des Undergrounds. In geheimen Labors wird mitunter Ephedrin extrahiert und weitervertrieben oder daraus durch Oxidation das potentere und euphorisierendere Methcathinon (Ephedron) synthetisiert.
Ephedra sinica (Ma Huang) aus China gilt gemeinhin als sehr potente Ephedraart, mit Spitzen bei um die 3 % im Herbst. Die Durchschnittswerte lagen jedoch bei Analysen kultivierter Pflanzen bei 1,2 bis 1,6 %. Außerdem soll “Ma Huang” als Tee nicht gut schmecken.
Im Mittelmeerraum wachsen an den Küsten und Flußufern eine Reihe von Ephedraarten, einige davon als typische schon recht ansehnliche Sträucher der Macchia (Ephedra major). Sie lassen sich im Urlaub problemlos ernten. Interessant ist auch Ephedra distachya (auch Ephedra vulgaris genannt), die schon in der Antike medizinisch genutzt wurde. Der Tee hat einen recht angenehmen Geschmack. Wirkstoffgehalte von 0,65 bis 1,7 % der Alkaloide wurden gemessen. In ihr ist nicht Ephedrin das Hauptalkaloid, sondern das deutlich schwächere Pseudoephedrin. Pseudoephedrin wurde von sensiblen Gebrauchern als weniger stimulierend und mehr körperlich wirkend beschrieben. Einzelne Bestände von Ephedra distachya und seinen nächsten Verwandten kommen auch an der südwestfranzösischen Atlantikküste und hoch bis Südtirol, die Schweiz (Ephedra helvetica) und das ungarische Donaugebiet vor. Sie sind dort aber rar und sollten geschont werden.
Auch das im Mittelmeerraum vorkommende Ephedra fragilis, das “Zierliche Meerträubel”, wurde schon von “den Alten” anno dunnemals genutzt.
Wo kriegt unsereins dett Meerträubli her?
Wenn man nicht selber ernten kann oder in den Herkunftsländern Ephedrakraut einkaufen will, konnte man früher versuchen über eine “Kräuterapotheke” Ephedra zu erwerben. Die “Apothekendroge” muß einen “vorgeschriebenen Mindestgehalt” von 0,5 bis 1,25 % an Alkaloiden aufweisen. Sie soll in der Regel aus Zentralasien, Indien oder Südosteuropa stammen. Meist handelt es sich um “Ma Huang”.
Dasselbe Material, aber auch selbst importiertes Ephedrakraut anderer Herkunft, läßt sich anonymer und zuverlässiger im ethnobotanischen Fachhandel bestellen, dort aber nur “als optisches Anschauungsmaterial”, leider machmal etwas überteuert. Von den Händlern sollte man Angaben über botanische Identität, Herkunft und Alkaloidgehalt einfordern, damit man sich beim Betrachten der Proben an den hoffentlich korrekten Angaben ergötzen kann.
Kernige Hammond-Riffs treffen auf Electro-Pop, Sitar-Anmutungen auf fluffige Elektronica, satte Baselines auf die Wellenlänge eines Strandtages. Handfest-sphärisches aus der Hansestadt Hamburg. Der Mann der tausend Namen (Meyerman, Elfenmaschine, DJ Kekse), Sven Meyer vom Hamburger Hanffest, seine Bands und Projekte spülen den Sound des neuen Jahrtausends durch die Ohren. „Sand Pauli“ lässt uns im mühelos-anregendem Raum zwischen Retrospektive und Futuristik liegen lernen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Dahintreiben und trotzdem wach sein. Man kann es Mind-Elevating nennen, besser passt vielleicht „innerer Tidenhub“. Eine kuschelige Synthese aus den klassischen Instrumenten der analogen Ära und den charmantesten Sounds aus den Electro-Welten. Maritime Hamburger Contenance melangieren mit indischer Bollywood-Spiritualität und der Sanftheit eines sonnigen Gemüts. Die Scheibe klingt ein wenig so, als ob Udo Lindenberg schon in den 70er den Alkohol abgeschwört hätte und während seiner damaligen Reise nach Indien zusammen mit Hark Bohm und einem bekifften Horst Janssen für eine Jam-Session ins Studio in Bombay gegangen wäre.
Die Akzeptierende Drogenarbeit als Gegenentwurf zum Abstinenzparadigma der herrschenden Drogenpolitik scheint am Ende zu sein. Es ist Zeit Bilanz zu ziehen.
Zunächst ein Rückblick: Während des ersten großen Drogenkonsumbooms in den 60ern und Anfang der 70er keimten in einer Phase der Orientierungslosigkeit auf staatlicher Seite aus der linken Szene gewachsene offene Hilfsprojekte wie „Release“ auf. Für kurze Zeit (1970 bis 1975) konnten sie eine Alternative zur damaligen Psychiatrisierung sprich Einweisung der Konsumenten illegaler Drogen in die Irrenanstalten bieten. Kiffende Weltverbesserer versuchten damals mittels diverser kreativer Projekte Junkies zur Speerspitze der subkulturellen Revolution zu machen. Dank geschickter Selbstdarstellung gelang ihnen eine Zeit lang die Finanzierung über Spenden und staatliche Tagegelder.
Schnell berappelte man sich jedoch auf Behördenseite und förderte praktisch nur noch auf totale Abstinenz setzende therapeutische Unternehmen, die bereit waren mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten. Das „Drogenhilfesystem“ wurde auf drei Säulen gestellt: Erstens Prävention, sprich Dramatisierung zur Abschreckung, zweitens Strafverfolgung und damit Ausgrenzung der Konsumenten, um diese quasi als Seuchenherde sozial zu isolieren und über die Verschärfung des sogenannten „Leidensdrucks“ zum Ausstieg zu „motivieren“, und drittens rigide Abstinenztherapien, offiziell seit 1982 „statt“ aber defacto als alternative Strafe. Dieses System erwies sich als weitgehend uneffektiv und trug erheblich zu einer Verschlechterung der Verfassung der stigmatisierten Konsumenten bei.
Mit der zweiten Drogenwelle in den Achtzigern und der rasanten Verbreitung der damals nicht effektiv behandelbaren HIV-Infektion bzw. AIDS-Erkrankung trat in Kreisen injizierender Drogengebraucher eine massive Verelendung ein, die von kritisch denkenden Sozialwissenschaftlern und Pädagogen insbesondere freier Träger, Initiativen und der AIDS-Hilfen als unmittelbare Folge einer in eine Sackgasse geratenen repressiven Drogenpolitik interpretiert wurde. Man entwickelte einen Gegenentwurf, eine auf einer „rationalen und humanen Drogenpolitik“ basierende „Akzeptierende Drogenarbeit“, die der Schadensminimierung dienen sollte. 1990 wurde gar ein „Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, akzept e.V.“ gegründet.
Zugute kam dieser neuen drogenpolitischen Ideologie, dass in den Aufbruchsjahren nach der „Wiedervereinigung“ 1989 plötzlich vieles realisierbar erschien, was in den deprimierenden 80er-Jahren der reaktionären „Wende“ unter BRD-Kanzler Helmut Kohl noch als undenkbar galt. In diese Zeit Anfang der 90er fielen auch das Haschischurteil des Bundesverfassungsgerichts, die folgenden Coffeeshop-Experimente in den Großstädten, der Growshop-Boom, die Smart Drugs-, Herbals- und Psilo-Wellen, die von den Autoren Herer/Bröckers angezettelte „Hanf rettet die Welt“-Euphorie mit ihren Hanf-Produkten und Läden und die parallel laufende „Ecstasy“-Party-Seeligkeit der frühen Techno-Jahre inklusive LSD-Revival in der Goa-Szene. Ähnliche Entwicklungen fanden zudem nicht nur in Deutschland statt, sondern in weiten Teilen Europas, insbesondere in den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Spanien. Offene Grenzen, das Internet und moderne Kommunikationstechnologien trugen ihren Teil zur Gesamtentwicklung bei.
Die abstinenzorientierte Drogenpolitik wirkte überkommen, realitätsfern und geradezu lächerlich. In der Folge gelang es in Deutschland zahlreiche „niedrigschwellige“ Projekte mit akzeptanzorientiertem Ansatz zu verwirklichen, wie Szene-Cafes mit Spritzentausch, Fixerstuben, Übernachtungsstätten und pädagogisch betreute Wohngemeinschaften. Ein wichtiges Ziel war die Substitutionsbehandlung der Opiatabhängigkeit. Die Möglichkeit der ärztlichen Verschreibung von Methadon/Polamidon, heute auch Buprenorphin/Subutex, wurde schließlich sogar gesetzlich garantiert. Da sich die Konsumenten dafür zeitweise einer „Psychosozialen Betreuung“ unterwerfen mussten, boomten Einrichtungen, die hier zur Stelle waren.
Dennoch schwebte über Allem immer noch der Anspruch staatlicher Drogenpolitik Akzeptierende Drogenarbeit nur für eine Übergangsphase im Leben der Klienten finanzieren zu wollen. Das Ausstiegsdenken war keineswegs vom Tisch. Aus Ratlosigkeit lies man machen, was auf der dienstleistenden Seite eine Art Wildwuchs zur Folge hatte. Da die Finanzierung der entsprechenden Einrichtungen meist nicht pauschal sondern über die Zahl der Klientenkontakte oder Stundenhonorare erfolgte kam es zu undurchschaubaren Abrechnungen. Nicht selten wurden Klienten obendrein in mehreren Einrichtungen gleichzeitig betreut. Zusätzlich wanderten sie ihrem primären Bedürfnis nach Grundversorgung und Obdach folgend nach erfolgten Rausschmissen oft von einer Einrichtung in die Nächste. Es haperte aus Sicht der Kostenträger insgesamt an Zielvorgaben und an Qualitäts- und Effektivitätskontrollen.
In den letzten Jahren bemühte man sich nun von Behördenseite aus diese Lücken zu schließen. Projekten, die den neuen Kontrollansprüchen nicht genügen konnten oder wollten, wurde die Finanzierung entzogen. Wer im Rennen bleiben will orientiert sich in der Konzeptualisierung seines Unternehmens an scheinbar modernen Leitbildern: Ausufernden Antrags- und Dokumentationssystemen, wie sie die WHO bei ihrem Versuch im Rahmen der Globalisierung ein einheitliches von der westlichen Medizin geprägtes Menschenbild zu konstruieren und zu institutionalisieren vorgibt, Floskeln aus dem Case-Management, therapeutischen Ansätzen aus der Verhaltenstherapie, wie sie mit dem materialistischen auf Genetik und Epigenetik setzenden Menschenbild der US-amerikanischen NIDA konform gehen. Sah man die Arbeit vorher als schadensminimierend und suchtbegleitend, sollen die „Klienten“ jetzt offiziell selbst, wenn sie sterbenskrank sind, „trainiert“ (das klingt „ein Stück weit“ nach Boot-Camp) und „auf Ausstieg orientiert“ werden (aus der „Sucht“ natürlich). Wo vorher in vielen Projekten eine relative Gleichberechtigung unter den Mitarbeitern herrschte, werden Hierarchien aufgebaut, die der klassischen Hackordnung Psychiater, Psychologe, Sozialpädagoge, Hilfspersonal entsprechen.
Teilen des (Führungs-)Personals kommt der rigidere und gängelnde Umgang mit unter Druck gesetzten Klienten durchaus recht. Mittlerweile älter geworden, sehnt man sich nach mehr Distanz zum Objekt, nach strikterem Regelwerk und konzentriert sich ohnehin mehr auf sein Privatleben. Für die Klientel ist so eine Entwicklung bedenklich. Was sich als professionelle Distanz verkleidet, droht in Ignoranz gegenüber im humanen Ansatz immerhin theoretisch gleichwertigen und gleichberechtigten Mitmenschen umzukippen. Aus Akzeptierender Drogenarbeit kann auf diesem Wege eine überheblich auftretende Entmündigende Drogenarbeit werden.
Der Leistungsdruck unter dem nicht nur die Klienten sondern auch die relativ schlecht bezahlten Mitarbeiter stehen führt bei diesen teilweise zu Burn out-Symptomen und Krankheitsausfällen. Qualifiziertes Personal zu finden, dass sich derartige Arbeitsbedingungen reinzuziehen bereit ist, wird schwierig. Die Akzeptierende Drogenarbeit als optimistische Alternative ist am Ende. Doch die Vereinsmitgliedschaft bleibt bestehen. Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen.
Welche Fehler führten zu dieser Misere?
Das zentrale Problem aller Drogenkonsumenten ist nach wie vor die Kriminalisierung und die damit zusammenhängende soziale Ausgrenzung. Ihrer Beendigung müsste eigentlich das Hauptengagement gewidmet sein, nicht der Besitzstandswahrung, dem Erhalt pädagogischer „Idyllen“, die keine (mehr) sind. Die Meisten, die ihren staatlich finanzierten Laden bekommen hatten, hielten sich schließlich drogenpolitisch zurück. Mancheine Einrichtung war froh, wenn ihr Kontrollen erspart blieben. Man blieb inkonsequent in der Durchsetzung von Zielen innerhalb der Projekte wie auf der langfristig viel bedeutsameren drogenpolitischen Ebene. Auf dieser ließ man sich mit Kompromissen abspeisen. So auch in der Opiat-Substitution mit Methadon/Polamidon. Nach deren immerhin erfreulichen Realisierung war hinter der Durchsetzung der Originalstoffvergabe, sprich Heroin, nicht mehr der erforderliche Druck.
Inkonsequent war man auch in der Diskussion und Klärung von Fragen, wie man beispielsweise mit Schwerstabhängigen umgehen oder wie man sich gegenüber dem sogenannten „Beikonsum“, insbesondere dem von Kokain („Base“, „Steinen“, „Crack“), verhalten soll. Das Phänomen des süchtigen Verhaltens ist bis heute wissenschaftlich und ethisch nicht hinreichend ergründet worden. Zuverlässige dauerhaft effektive Hilfen gibt es daher nicht. Bedeutende das Leben stabilisierende Faktoren scheinen am Ende ganz banal eine unkomplizierte medizinische Versorgung, gesicherte menschenwürdige Wohnverhältnisse, flexible Arbeitsangebote und vor Allem eine kontinuierliche menschliche Anbindung darzustellen.
Unter den Projekten herrscht obendrein mangelnde Solidarität. Letztlich wurschteln die verschiedenen Einrichtungen unterschiedlicher Träger mehr oder weniger unkoordiniert und bisweilen unambitioniert vor sich hin. Die Träger stehen gegenüber den staatlichen Geldgebern zueinander in starker Konkurrenz. So lässt sich drogenpolitisch nichts durchsetzen. Von einer Lobby kann nicht die Rede sein.
Leider herrscht bei den Mitarbeitern selbst nicht selten Ignoranz gegenüber dem Menschenbild und den Idealen der Akzeptierenden Drogenarbeit. Die Leitlinien von einem parteiischen akzeptierenden, respektierenden, an der Menschenwürde orientierten, die Selbständigkeit des Individuums fördernden, die Handlungsspielräume erweiternden Umgang mit Drogengebrauchern sind vielfach auch mit dem Älterwerden der Mitarbeiter aus dem Fokus geraten. Dass auch drogenpolitisches Engagement zu den Aufgaben der Akzeptierenden Drogenarbeit gehört ist Vielen gar nicht mehr bewusst.
Generell fehlt die Bereitschaft zu einer ehrlichen (selbst)kritischen Bestandsaufnahme sowohl der tatsächlich geleisteten Drogenarbeit mit all ihren Pleiten und Pannen, wie auch der Auswirkungen der Drogenpolitik in den vergangenen Jahren unter Herbeiziehung aller Beteiligten inklusive der Betroffenen. Aber so locker funktioniert Drogenpolitik nun mal nicht, schon gar nicht in Zeiten des Neoliberalismus. Dieser verlangt gleichermaßen nach der Kontrolle Aufmüpfiger und staatlicher Knauserei bei den Bedürftigen wie nach Schaffung maximaler Freiheiten für die Aktionen kapitalistischer Unternehmen.
Es bleibt zu hoffen, dass die in Folge dieser Hinwendung zu einer tendenziell auf Bevormundung und Überwachung setzenden Drogenpolitik zu erwartenden Verelendungsprozesse bei den Betroffenen und damit zusammenhängende Frustrationserfahrungen bei in der Drogenarbeit Tätigen irgendwann doch noch einmal zu einem dann koordinierteren nachhaltigeren Engagement für einen menschlicheren Ansatz in der Drogenpolitik wie in der Gestaltung des Hilfesystems führen mögen.
Auch ohne den naturwissenschaftlichen Nachweis einer Wirkung können Placebos den Patienten heilen: Wie genau der Effekt entsteht, ist unklar, da die Gesundung nicht unbedingt auf die Einnahme eines Placebos zurückzuführen ist. Doch Mediziner versuchen von den Erfolgen der Scheinbehandlungen zu lernen.
Eine Mutter aus Maryland (USA) hat einen kleinen Internet-Shop eröffnet: „Efficacy Brands“. Im Sortiment gibt es nur ein Produkt – Dextrose-Tabletten mit Kirschgeschmack. Pillen ohne wirksamen Inhaltsstoff, Placebos. Jeder kann hier ein Medikament kaufen, das keines ist. 50 Tabletten kosten umgerechnet 3,20 Euro. Sie sollen Eltern helfen, ihre Kinder von einer eingebildeten Krankheit zu befreien, aber auch echte Beschwerden zu lindern. In den USA herrscht Aufregung, Medizinethiker wie Howard Brody von der Universität Texas geben zu bedenken, dass Placebos „unberechenbar“ seien, manche Menschen würden „dramatisch stark“ auf ein solches Mittel reagieren, andere gar nicht. Die Diskussion zeigt die Unsicherheit gegenüber einem faszinierenden Phänomen. Obwohl der Placeboeffekt seit Jahrhunderten erforscht wird, ist immer noch unklar, warum er entsteht. Nun wollen Mediziner von der sogenannten Scheinbehandlung lernen.
Placebos sind alle Maßnahmen, die ohne naturwissenschaftlichen Nachweis einer Wirkung dennoch eine positive Reaktion beim Patienten bewirken. Die meisten Ärzteverbände verbieten den Einsatz von Placebos. Dass Ärzte sie dennoch einsetzen, bewiesen zuletzt die dänischen Forscher Asbjørn Hróbjartsson und Michael Norup. Sie befragten über 700 Ärzte. Knapp die Hälfte der Allgemeinärzte hatte in den letzten Jahren mindestens zehn Mal ein Placebo verschrieben – um den Patienten zu helfen, aber auch um herauszufinden, ob jemand simuliert.
Ärzte greifen dann zum Scheinmedikament, wenn der Patient nach einer Behandlung verlang. Der lateinische Ausdruck Placebo heißt übersetzt: „Ich werde gefallen“. Eine weitere Funktion haben die Scheinpillen bei zufallskontrollierten und doppelblinden Studien: Sie helfen der Wissenschaft herauszubekommen, ob eine andere Substanz oder Methode wirklich wirkt. Schon hier ist ein erstes Problem sichtbar. Durch die weltweit größte Akupunktur-Studie Gerac hat sich vor Kurzem herauskristallisiert, dass eine Placebobehandlung durchaus besser als eine Nichtbehandlung sein kann. Hans-Christoph Diener vom Universitätsklinikum Essen stellte fest, dass „eine Scheinakupunktur fast genauso wirksam“ wie eine klassische chinesische Akupunktur sein kann.
Untersuchungen zum Placeboeffekt
Um dem Placeboeffekt auf die Schliche zu kommen, setzt man heute oft eine Kontrollgruppe ein, die weder Behandlung noch Placebo erhält. Antonella Pollo und ihr Team von der Universität Turin gaben Schmerzpatienten beispielsweise zunächst ein starkes Schmerzmittel. Parallel dazu injizierte man eine Kochsalzlösung. Diese zweite Infusion wurde aber durch die Ärzte mit unterschiedlicher Bedeutung aufgeladen: Der ersten Patientengruppe wurde nichts von einer schmerzstillenden Wirkung dieser Infusion erzählt. Der zweiten Gruppe wurde erzählt, dass die Kochsalzinfusion entweder ein kräftiges Schmerzmittel oder aber ein Placebo sein kann. Der dritten Gruppe wurde dargelegt, dass die Infusion ein Schmerzmittel sei. Die Behandlung aller drei Gruppen war also auf physischer Ebene gleich, denn alle erhielten eine Schmerzmittel und parallel dazu unwirksame Kochsalzlösung. Aber die damit zusammenhängende Erklärung war unterschiedlich. Das Ergebnis: Die zweite Gruppe forderte weniger Schmerzmittel nach als die erste Gruppe, der nichts erzählt worden war. Am wenigsten Opiat wollten aber die Probanden der dritten Gruppe haben, diejenigen, die dachten, sie hätten zusätzlich ein starkes Schmerzmittel erhalten.
Ist also ein Placebo gegenüber einer Nichtbehandlung immer die bessere Wahl? Nicht unbedingt. 2001 zeigte Asbjørn Hróbjartsson zusammen mit Peter C. Götzsche, dem Direktor des Nordic Cochrane Center in Kopenhagen, dass viele Experimente, die die Placebo- mit Nichtbehandlung verglichen hatten, methodisch auf schwachen Beinen stehen. Ihre Meta-Analyse über 114 Studien fand „wenig Beweise“ dafür, dass Placebos gegenüber Nichtbehandlung große Vorteile haben. Aber diesem Fazit widersprechen Forscher immer wieder.
Selbst wenn der Placeboeffekt nicht zuverlässig arbeitet, unstrittig ist: Er existiert. Die Frage ist nur warum? Bis heute ist unklar, weshalb in manchen Situationen der Placebo wirkt, in manchen nicht. Gibt es überhaupt einen bewährten und wiederholbaren Placeboeffekt? Die Beweislage ist dürftig.
Leicht zu erforschen ist der Effekt nicht, was unter anderem daran liegt, dass beispielsweise nicht jede Gesundung nach Einnahme eines Placebos auf dieses zurückzuführen ist. Viele Symptome bessern sich nach einiger Zeit ohnehin. Einige weitere Rätsel: Offenbar wirken Scheinmedikamente besser, je häufiger sie eingenommen werden, und wenn sie einen Markennamen tragen. Blaue Beruhigungspillen helfen besser als rote, es sei denn, man ist Italiener, dann ist es genau umgekehrt. Deutsche können ihre Magengeschwüre effizient mit Placebos behandeln lassen, in der restlichen Welt ist die Erfolgsquote aber nur halb so gut. Das liegt nicht daran, dass die Deutschen besonders placebosensibel sind. Denn bei Blutdruck-Placebos ist es umgekehrt, hierauf sprechen die Deutschen weltweit am schlechtesten an.
Die Placebo-Sensiblen sind ein Problem für die Arzneimittelentwicklung, viele Studien beginnen daher mit einer reinigenden Maßnahmen, indem sie erst einmal allen Studienteilnehmern ein Placebo verabreichen und die darauf besonders Ansprechenden vom weiteren Verlauf ausschließen. Das Problem ist, dass bis heute keine verlässliche Methode existiert, um diese sogenannten Placebo-Responder zu identifizieren. Es gibt keine typischen körperlichen oder charakterlichen Eigenschaften einer Person, die besonders gut auf ein Placebo reagiert. Menschen reagieren zu einem Zeitpunkt ausgeprägt, zu einem anderen Zeitpunkt kaum auf ein Scheinmedikament. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass viele der eingesetzten Placebos wie Speisestärke, Kochsalzlösungen und Milchzucker durchaus physiologische Eigenschaften besitzen.
Schon das Design von Placebo-Studien ist schwierig: Einige Placebo-Forscher sind nicht davor gefeit, die Überlegenheit von Scheinbehandlungen bereits in ihrem Untersuchungsdesign zu formatieren. Ein Beispiel ist die oft zitierte Arthroskopie-Studie von Bruce Moseley. Seine Bilanz damals, die seither in der Welt steht: Nur angedeutete Kniegelenksoperationen führen ebenso zum Erfolg wie korrekt durchgeführte. Mosley hatte Arthroskopien durchgeführt, bei acht der Patienten allerdings nur einen Schnitt gesetzt, damit die Narbe zur Gesundung beiträgt. Sechs Monate später waren sowohl die Scheinoperierten als auch die korrekt Operierten zufrieden mit dem Ergebnis. Aber anstatt zu schließen, dass die Patienten die OP gar nicht nötig gehabt haben oder der chirurgische Eingriff nutzlos war, weil das Knie auch ohne Eingriff geheilt wäre, zog Moseley einen anderen Schluss: Die Heilung der acht Scheinoperierten sei durch den Placeboeffekt verursacht worden, die anderen Patienten hätten sich besser fühlten, weil sie richtig operiert wurden.
Das dopamingesteuerte Belohnungssystem
Spielt sich der Placeboeffekt nur im Kopf ab? Die Frage ist falsch gestellt, negiert sie doch den Fakt, dass jede psychische Begebenheit ein körperliches Korrelat hat. Im Falle der Placebos deuten das obige Experiment und die anderen Erfolge mit Schmerzpatienten darauf hin, dass die körpereigenen Opiate eine wichtige Funktion übernehmen. Vanda Faria, Doktorandin an der Universität in Uppsala, hat vor Kurzem 24 Studien zu den neuronalen Veränderungen durch Placebogabe überprüft. Danach spielen Endorphine, Cortisol und anderer körpereigene Substanzen beim Placeboeffekt eine Rolle. Schein- und Normalbehandlung können dabei ähnliche neuronale Mechanismen auslösen. Zusätzlich scheint das dopamingesteuerte Belohnungssystem wichtig zu sein.
Unklar ist, inwieweit das Wissen um den Placeboeffekt dessen Wirkung beeinflusst, ob also ein hohes Maß an richtiger Lageeinschätzung und an korrekter Selbsteinschätzung die Erfolgschancen verringern oder erhöhen. Für beides gibt es Hinweise. Unklar ist auch, wie sich messen lässt, ob der Patient überhaupt geheilt werden will.
Fest steht: Der Kontext, in dem ein Medikament vergeben oder eine Methode angewandt wird, spielt bei der Wirkung eine entscheidende Rolle. Heilung besteht aus mindestens drei Faktoren: der Wirkung von Medikament, Operation oder anderer Intervention, durch die biochemische Prozesse angeschoben oder krankhafte Veränderungen im Körper eliminiert werden. Zum anderen wirken die Selbstheilungskräfte des Patienten. Und dann ist da noch die wichtige Interaktion zwischen Patient und Arzt. Diese auch „Bedeutungserteilung“ genannte Interaktion ist ein entscheidender Faktor.
Schon 1985 war man der Bedeutungserteilung bei der Medikamentenvergabe auf der Spur. Ein Team um Richard Gracely nahm sich einige Patienten vor, denen die Weisheitszähne entfernt worden waren. In einer Doppelblindstudie konnten diese daraufhin einen Placebo, ein Schmerzmittel (Fentanyl) oder sogar einen Schmerzblockadehemmer erhalten. Der Clou: Einer Hälfte der beteiligten Ärzte wurde erzählt, es gäbe ein technisches Problem, daher würden die Patienten kein Fentanyl erhalten können. Diese Finte führte in der Placebo-Gruppe zu einer denkwürdigen Konsequenz: Obwohl ihnen von den Ärzten nichts über die vermeintlich technischen Probleme mitgeteilt wurde, stieg die Schmerzstillung bei denjenigen Placebo-Patienten erheblich, deren Ärzte daran glaubten, sie könnten Fentanyl injiziert bekommen. Eine der besten Erklärungen für dieses Phänomen ist: Die Ärzte haben ihr Wissen um die mögliche Schmerzmittelinjektion nonverbal an die Patienten kommuniziert.
Eine anhaltende Gesundung eines Menschen ist umso wahrscheinlicher, je eher die physikalisch-chemische Therapie und die Bedeutungserteilung durch Arzt und Patient in die gleiche Richtung zielen. Der Placeboeffekt rüttelt nicht nur ein weiteres Mal an der überkommenen Vorstellung der Trennung von Körper und Psyche, er kann als Instrument dienen, um der Zeicheninterpretation auf die Spur zu kommen, die ein Arzt gegenüber einem Patienten leisten muss. Diese Interpretation kann nicht allein auf einer Deutung der biochemischen Ereignisse in dessen Körper beruhen. Der Arzt muss den Patienten befragen, um seine individuelle Vorgeschichte zu erfahren und zudem seinen kulturellen Kontext berücksichtigen. Doch das kostet Zeit. Wie die Versuche mit Schmerzpatienten zeigen, hätte eine gründlichere Erklärung des Placeboeffekts einen weiteren Vorteil: Es wären weniger Medikamente nötig, um Heilung zu erzielen.
Kaum jemand kann sich der Faszination der Orgie entziehen, sei es aus Begeisterung, sei es aus Abscheu. Die lustvolle Hemmungslosigkeit beflügelt die Phantasie. Welche Funktion hatte die Orgie in der Geschichte? Und spielt sie heute noch eine Rolle in der Gesellschaft?
Die klassischen Griechen hatten schon Jahrhunderte vor dem Erscheinen von Jesus Christus einen speziellen Gott, nämlich Dionysos. Dieser war für Rausch, Ekstase und den Wein zuständig. Ein wilder Kerl. Jedes Jahr feierten die Griechen Dionysos mit mehreren Festspieltagen. Dort wurde aber nicht gesoffen und gefummelt, sondern hohe Kultur zelebriert: Dichter trugen ihr Kunst vor, Komödien und Tragödien wurden aufgeführt, Satyrspiele abgehalten. Satyrn sind mythologische Figuren, halb Mensch, halb Tier, die wie Dionysos immer feierbereit waren. Der Sage nach scharten sie sich um den Gott, um mit ihm zusammen allerhand Schabernack zu treiben. Der prominenteste Vertreter dieser Gattung ist Pan. Die weiblichen Fans von Dionysos waren die sogenannten Mänaden. In der griechischen Welt vermengten sich der Mythos der Dichtungen, tatsächliche historische Figuren und gelebter Alltag auf heute kaum noch vorstellbare Weise. So sind die Mänaden nicht nur die erdachten Begleiterinnen von Dionysos, sondern auch die Anhängerinnen eines Kultes, der lange Zeit sein Wesen trieb. Ursprünglich waren Orgien religiöse Festspiele, erst später wurden sie zu Anlässen trunkener Wildheit.
Eine besondere Rolle in der Geschichte der Orgie spielt ein kleines Örtchen in der Nähe von Athen mit Namen Eleusis, heute ein Vorort der Millionenmetropole. Hier spielten sich die legendären „Mysterien von Eleusis“ ab. Im antiken Griechenland waren diese Mysterien über einen Zeitraum von annähernd 2000 Jahren ein wichtiger Kultkomplex. Auch sie waren keine Orgien im engeren Sinne. Die Teilnahme war einem Griechen nur ein einziges mal im Leben gestattet. Die Gesetze verlangten bei Androhung der Todesstrafe absolutes Schweigen über die Vorgänge in Eleusis. Es ist bis heute unklar, was genau dort passierte, die überlieferten Schriften zeugen allerdings davon, dass viele Teilnehmer hier beeindruckende spirituelle Erfahrungen gemacht haben. Da während der Mysterien auch ein Trank eingenommen wurde, spekuliert man bis heute darüber, dass dieser Trank halluzinogene beziehungsweise entheogene Substanzen enthalten haben muss.Der Chemiker Albert Hofmann hat mit anderen Autoren dazu eine Theorie vorgelegt. Stichhaltige Beweise fehlen aber. Denn mutterkornbefallener Roggen oder Wildgrasmutterkörner sind schwer dosierbar und führen oft eher ins Delirium als denn ins Götterreich. Wahrscheinlicher ist der Einsatz von Bilsenkraut oder Schlafmohn. Auf der anderen Seite dürfte die Empfänglichkeit der antiken Menschen für spirituelle Erfahrungen durch Lebenswelt sowie Set und Setting sehr hoch gewesen sein, so dass vielleicht schon kleine Mengen einer Droge zu außergewöhnlichen Erfahrungen geführt haben. Wie auch immer, zu sexuellen Massenakten ist es während dieser antiken Techno-Party nicht gekommen. Dionysien und die Eleusis-Mysterien waren eng an naturgegebene Vorgänge gebunden, sie fanden zumeist im März zu Beginn der neuen Vegetationsperiode statt.
Die Römer übernahmen viele der griechischen Traditionen, so auch der Gott Dionysos. Er hieß ab jetzt Bacchus. So entstanden die Bacchanalien und allmählich die Art der zügellosen Orgien, die bis heute in unseren Vorstellungen präsent sind. Mengen von Alkohol, wahrscheinlich aber auch Laudanum und anderen berauschenden Substanzen gehörten von nun an zu den Festen dazu. Man verkleidete sich, der Mummenschanz erhöhte die Hemmungslosigkeit – hier gibt es Berührungspunkte zum Karneval.
Im 2. Jahrhundert v. Chr. steigerten sich die Bacchanalien zu volksfestartigen, vollkommen entfesselten Massenorgien. Es bildete sich die Grundstruktur der Orgie heraus, wie wir sie bis heute kennen und definieren. Alle Beteiligten streben danach, einander durch möglichst sinnliche Handlungen gegenseitig zu überbieten und erotisch zu reizen. Die Partner einer Orgien treten in eine ständige Wechselwirkung, sie sind gleichzeitig Handelnde und Zuschauer. Es gilt in einem Rausch der Sinne zu versinken, durch ständige Reizung und Überreizung alle Grenzen fallen zu lassen. Alle dafür nötigen Mittel sind legitim. Damals wurden dabei die Grenzen zu menschenverachtenden Methoden immer wieder überschritten. Sklaven konnten sich nicht wehren, Kinder auch nicht. Selbst Tiere wurden missbraucht. Im Jahre 186 v. Chr. wurde es schließlich dem römischen Senat zu bunt. Er erließ einen Beschluss über die Bacchanalien und verbot sie. Um klar zu machen wie ernst man es meint, ließ man mehrere Tausend Teilnehmer hinrichten.
Von hier an trieb man es um Untergrund weiter. Ein Phänomen, das sich bis heute gehalten halt. Der Mythos der Bacchanalien wurde in zu einem bevorzugten Thema der bildenden Kunst. Ursprünglich zeigten die Maler die eigentlichen Bacchusfeiern, mit der Renaissance erweitert sich der Darstellungskreis. Er umfasste von da an alles, vom fröhlichen Gelage bis zur entfesselten Orgie. Kaum einer der großen Künstler der Neuzeit blieb vom Stoffgebiet der Bacchanalien unberührt. Die Wiedergabe der orgiastischen Hemmungslosigkeit ist das eigentliche künstlerische Problem, denn zuviel zeigen durfte man oft nicht. Zuletzt zeigte Georges Grosz in seinem Bild „l’orgie“ scheißende Damen und überlaunige, schwerstbesoffene Herren in der für ihn typischen Art des dekadenten Verfalls.
Vögelei
Von den Geschichtsschreibern überliefert sind meist nur die Ausschweifungen am Hofe. Berüchtigt in der Neuzeit waren die Orgien, die der Regent von Frankreich, Philipp II. von Orléans (1674–1723), veranstaltete. Als überzeugter Atheist hielt er sie gerne an christlich-religiösen Festtagen ab. Bestechend liebenswürdig, rasant frivol, künstlerisch begabt; Philipp sah im eigenen Vergnügen die einzige Richtschnur des Handelns. Er und seine Freund erdachten immer neue Ausschweifungen, die im Paris des 17. Jahrhunderts das bewundernd-schaurige Stadtgespräch bildeten. Es herrschten Verhältnisse, die heute undenkbar scheinen. Mit seiner eigenen Tochter unterhielt Philipp eine leidenschaftliche und öffentlich bekannte Liebesaffaire. Inzest war damals ohnehin in hohen Kreisen nichts ungewöhnliches, selbst das „gemeine Volk“ stieß sich nicht daran. Auch die anderen, üblichen Grenzen des Geschlechtsverkehrs wurden wenig beachtet. Kinderschändung war niemals wieder so verbreitet wie in diesem Zeitalter, das heute Rokoko genannt wird. Nach einigen Herzanfällen begriff er als 47-Jähriger, dass seine exzessive Lebensweise ihren Tribut forderte und gab sein nächtliches Lotterleben auf.
Mit der Angebotsvielfalt steigerte sich auch die Zahl der während Orgien konsumierten Drogen. Heute dürfte bei sexuell ausgelassenen Festen neben dem Alkohol vor allem Kokain eine Rolle spielen. Das Pulver gilt als Rammelgarant. Schade, das die Klavitatur der Liebesmittel heute meist nur auf chemischen Wege angeschlagen wird. Die Natur bietet viel. Es ist wenig darüber bekannt, ob heute Rituale existieren, die mit Hilfe psychoaktiver Substanzen und sexuell-erotischer Spielarten ein ekstatischen Erleben für alle Teilnehmer generieren wollen. Die schwülen und muffelnden Hinterzimmer der vorstädtischen Swinger-Clubs und die reglementierten Dark-Rooms der schwulen Szene kommen zwar der Orgie noch am nächsten, haben aber kaum zum Ziel sich im Wollusttaumel zu verbrüdern.
Heute ist die wilde Orgie domestiziert. Zum einen durch wissenschaftliche Einsicht, denn man weiß, dass Freiwilligkeit zum Erleben dazu gehören muss und erotische Exzesse mit Minderjährigen bei diesen mentale Narben hinterlassen. Zum anderen ist die Orgie durch moderne Regeln und Tabus domestiziert. Denn trotz aller Freizügigkeit ist die beklagte Pornographisierung weithin virtuell, sei es im Internet, sei es in literarischen Feuchtgebieten. Auch der am Ende des alten und Anfang des neuen Jahrhunderts vielgescholtene Hedonismus (Stichwort: Spaßgesellschaft) zeigte eher die soziale Tendenz, sich mit einer dauerhaften, aber dadurch halbschlaffe Erektion zufrieden zu geben. In diesem Sinne leben wir in einer ständigen semi-orgiastischen Zustand, umgeben von Gewaltorgien, Medienorgien und Konsumorgien.
Die Abgrenzung zwischen einer ordentlichen Orgie und der Perversion ist schwer. Menschen haben Macken aller Art, das macht uns aus. Das reicht vom Spleen, immer nur bei Sinatra vögeln zu können, über Bondage und justierbaren Krokodil-Brustklammern bis hin zu Lustgewinn durch menschlichen Kot, Koprophilie genannt. Was es nicht alles gibt. Und: Erlaubt ist was gefällt. Die Orgie muss nicht unbedingt Zeichen einer degenerierten, rohen Lustwelt sein. Der Begriff der Sublimierung trifft es schon ganz gut: Sublimierung kann eine Erhöhung der Sinne sein, trägt aber immer auch die Gefahr einer Umlenkung von Wünschen in sich, die untergründig und unbewusst in jedem von uns schlummern. Sie ab und zu auszuleben ist die eine Sache, sich ihrer bewusst zu werden eine andere.
Mittlerweile gilt in Wissenschaftskreisen als gesichert, dass Cannabis-Konsum eine latent vorhandene Psychose zum Ausbruch bringen kann. Zwar ist nur etwa ein Prozent der Bevölkerung anfällig für diese Krankheit, wer allerdings in dieser Gruppe kifft, erhöht sein Risiko, dass eine Psychose tatsächlich ausbricht. Nun finden sich unter Psychosepatienten häufig Cannabiskonsumenten. Dies wurde bislang als Beweis für die schlechte Eigenschaft von Cannabis angesehen. Andererseits wurde zugleich darauf hingewiesen, dass viele Patienten die Substanz als Selbstmedikation nehmen, weil die beruhigende und sedierende Wirkung von Cannabis schätzen. Zwei britischen Wissenschaftler haben sich in einer neuen Untersuchung (British Journal of Psychiatry, 192/2008, S. 306-307) auf die Spur dieses widersprüchlichen Phänomens gemacht.
Ihre Ausgangsvermutung: Je höher der Anteil des sogenannten Cannabidiol in dem Gras, desto geringer die Chance ein unangenehmes Erlebnis beim Kiffen zu haben. Neben dem bekannten, psychoaktiv wirkenden THC gilt Cannabidiol als ein nicht psychoaktives und daher vernachlässigbares Cannabinoid. Celia Morgan und Valerie Curran analysierten die Haare von Cannabiskonsumenten. Danach teilten sie die Gruppe in drei Subgruppen auf: Diejenigen, die nur THC im Haar hatten (N=20, 7 Frauen, 13 Männer, Durchschnittsalter=26), diejenigen, bei denen sowohl THC als auch Cannabidiol im Haar gefunden wurde (N=27, 21 Männer, 6 Frauen, Durchschnittsalter=27) und solche, die keine Cannabinoide im Haar hatten (N=85, 27 Frauen, 58 Männer, Durchschnittsalter=26). Die Konsumneigung in den beiden Subgruppen mit Cannabinoiden im Haar war etwa gleich stark ausgeprägt. Mit einer psychologischen Testbatterie überprüften die Autoren sodann die Neigung der Probanden zu unangenehmen Erlebnissen währen des Rausches. Und siehe da: Die Subgruppe, die nur Spuren von THC und keine Cannabidiole im Haar sitzen hatten, berichteten eher von unschönen Sinnestäuschungen sowie Freud- und Lustlosigkeit. Anders herum formuliert: Ein hoher Anteil von Cannabidiol im Cannabis lässt den Rausch sicherer werden.
Die Autoren sehen in ihrer Studie einen Beweise dafür, dass der Konsum unterschiedlicher Sorten von Cannabis zu unterschiedlichen psychologischen Erlebnissymptomen führt. Man kann noch einen Schritt weiter gehen. Seit Jahren beschweren sich einige Cannabis-Connaisseure über Gras mit zu hohem THC-Gehalt, gemeinhin als Psycho-Gras bezeichnet. Zeitgleich wurde immer deutlicher, dass zum einem neben dem THC andere Cannabinoide zur ausgewogenen Gesamtwirkung von Cannabis beitragen, zum anderen das Cannabidiol höchstwahrscheinlich antipsychotische Eigenschaft besitzt. Wer den Bogen noch weiter spannen will, der kann sogar darauf hinweisen, dass Morgan und Curran kaum Unterschiede in der Psychose-Empfänglichkeit zwischen den THC-Cannabidiol- und den Ganz-Ohne-Was-im-Haar-Probanden fanden.
Eine wichtige Einschränkung der Studie existiert allerdings: Die Studienteilnehmer wurden alle aus einer Langzeitstudie von aktueller und ehemaliger Ketamin-Konsumenten rekrutiert. Um die Ergebnisse zu erhärten soll die Studie daher mit Personen wiederholt werden, die nur Cannabis konsumiert haben. Ansonsten gilt weiterhin: Es existiert ein Beziehung zwischen Cannabis und dem Ausbruch einer Psychose, aber eben keine kausaler Zusammenhang. Das Eintrittsalter und die genetische Veranlagung spielen eine wichtige Rolle. Eine Studie mit 3500 Jugendlichen zeigte 2005, dass die Personen, die Cannabis bereits im Alter von unter 16 Jahren konsumierten, ein signifikant höheres Psychoserisiko auswiesen als Jugendliche, die erst später kifften. Eine weitere Studie konnte zeigen, dass die Menschen, die eine bestimmte Variante des COMT (Catechol-O-Methyl-Transferase)-Gens besitzen,ebenfalls ein höheres Risiko tragen, an einer Psychose zu erkranken, wenn sie in ihrer frühen Jugend Cannabis konsumieren.