Wer nur grünen Tee und ab und zu eine Sportzigarette gewöhnt ist, der sollte dieses Buch mit Vorsicht genießen. Nüchternheit sollte man nicht erwarten. Der heute 61-jährige Michael „Bommi“ Baumann führt den Leser auf einen schmalen Grad. Auf der einen Seite liegen die vehement beschriebenen Abgründe seiner Drogensucht und seines Persönlichkeitszerfalls, auf der anderen Seite faszinierenden Reiseberichte aus dem Afghanistan der 70er Jahre und die zeitweise erhellende Analysen der damals entstandenen und bis heute herrschenden Drogenökonomie. Baumann war einer der Mitbegründer des „Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen“. Der Name war eine Verballhornung von Mao’s Traktat „Über die Mentalität umherschweifender Rebellenhaufen“ und zugleich eine ironische Abgrenzung gegenüber der stark politisierten Studentenbewegung. Es folgten die befreienden 68er, später die Zeiten des Terrors. 1981 wurde er in London verhaftet und zu fünf Jahren Haft verurteilt. Mediales Interesse konnte Baumann mit seinem 1975 erschienenen und verbotenen Buch „Wie alles anfing“ auf sich ziehen. Nun hat er mit „Rausch und Terror“ die Fortsetzung geschrieben.
„Mit Drogen wollten wir eine neue Sensibilität erreichen. Sie wurden als Vehikel zur Bewusstseinsveränderung gesehen und damit auch zur Veränderung der eigenen Persönlichkeit und der Umwelt. »Wenn Nixon auf LSD gewesen wäre, hätte er niemals den Vietnamkrieg geführt«, war eine weit verbreitete Haltung.“ Baumann beschreibt, wie er als Mitglied der fröhlichen Kiffer-Szene trotz Bewusstseinsveränderung und politischen Engagements den Weg der Selbstzerstörung einschlägt. Das aufgeklärte Denken vieler Menschen damals betraf die gesellschaftlichen Verhältnisse, umfasste aber nicht Wirkmächtigkeit verschiedener Drogen. So wurde damals kaum ein Unterschied gemacht, genommen wurde, was da war: Cannabis, LSD, Rohopium, Morphium, später Heroin. Stoned-Marxismus und Steine werfen auf LSD. Baumann weiß beredt vom Orientalisten Rudolf Gelpke, dem Knast, dem sagenumwobende Hippie-Treck nach Afghanistan und dem Haschisch-Schmuggel zu berichten. Profund analysiert er die verschiedenen Arten des Opiumkonsums und schildert Land und Leute. Das fesselt. Lange hielt er sich in der Region auf, die heute im Fokus militärischer Interessen steht, die Tribal Areas zwischen Afghanistan und Pakistan. Diese Insiderwissen ist wertvoll, Baumann zieht seine Schlüsse. Der „Krieg gegen den Terror“ ist aus seiner Sicht eine Verlängerung und Verschärfung des Ende der 60er begonnenen „Krieges gegen die Drogen“. Das Ergebnis ist ein System der Kontrolle, das politische und ökonomische Interessen unter dem Deckmantel humanistischer Aktionen versteckt. Indirekt bewachen die NATO-Truppen die Opiumplantagen in Afghanistan, denn die Karsai-Regierung ist nachweislich in den Handel verstrickt. Der Bruder des Präsidenten gilt als größter Dealer des Landes.
Sein Fazit daher: Alle Drogen legalisieren, denn sonst wird es nur noch schlimmer. Aber je länger man in dem Buch liest, umso erschreckender wird der mental-körperliche Abstieg Baumanns deutlich und umso mehr verwischen sich sein Erleben und seine Analysen. Irgendwann ist unklar, welcher Trip da geritten wird. Sollte es wirklich die Drogen und das „Turn On, Tune In, Drop Out“ statt der Revolutionäre gewesen sein, das den Westen der 60er Jahre umgekrempelt hat? Das ist doch eine arge Verkürzung der Geschichte. Baumanns Verdienst ist es gleichwohl, den Blick für die Zusammenhänge von Rausch und 68er-Bewegung neu geschärft zu haben. Von daher ist das berauschte Buch mehr zu empfehlen als viele der dicken Wälzer in politikwissenschaftlichen Seminaren, die nüchtern die Zeit der außerparlamentarischen Opposition abhandeln.
Bommi Baumann: Rausch und Terror. Ein politischer Erlebnisbericht.
Berlin: Rotbuch 2008
ISBN: 3867890366
256 Seiten, Broschiert
EUR 17,90
Damiana. Allein der Name klingt schon nach zärtlicher Verführung, läßt Herzen höher schlagen. Der Tee zur liebevollen Vereinigung, der Likör der leidenschaftlichen Eroberung. Herr Doktor, bei mir hat sich aber nichts geregt. Im Bereich der Aphrodisiaka bewegt man sich schnell auf dem Glatteis. Nichts ist von so vielen Faktoren abhängig wie die Entfaltung der Sexualität. Meist denkt man bei Aphrodisiaka an Mittel, die praktisch automatisch eine dauerhafte Erektion erzeugen, mach mir den Hengst, oder aber instantmäßig den Geschlechtspartner willfährig machen sollen. Dem liegt wohl ein Mißverständnis zugrunde. So simpel wirken Aphrodisiaka in der Regel nicht. Erotik, sexuelles Erleben ist immer ans Gehirn gekoppelt. Deshalb können die stark psychoaktiven Substanzen auch die intensivste Steigerung der erotischen, sexuellen und sinnlichen Empfindungen induzieren. Der Absturz liegt dabei aber bisweilen nicht allzuweit entfernt, dann nämlich, wenn sich eigene innere und zwischenmenschliche Abgründe auftuen.
Bei gelegentlichem Damianakonsum gesunder Menschen geht es mehr um subtile Wirkungen auf den Eros, die man empfinden mag oder auch nicht. Ähnlich verhält es sich mit seinen nur schwach psychoaktiven Wirkungen. Der moderate Konsum von Damiana ist aber auch vergleichsweise unbedenklich. Regelmässig genossen soll es besonders bei bestehenden Funktionsschwächen und bestimmten Krankheiten, die sich negativ auf Potenz und Libido auswirken, der Gesundung förderlich sein und einen allgemein kräftigenden Effekt entfalten.
Damiana, botanisch Turnera diffusa (früher auch Turnera aphrodisiaca genannt), ist ein meist kleinbleibender gelbblühender Strauch, der in den trockenen warmen Regionen Amerikas vom Süden der USA, insbesondere Texas und Südkalifornien, über Mexiko, insbesondere Nordmexiko und Baja California, bis nach Südamerika verbreitet ist. Verwandte Turnera-Arten gedeihen übrigens sowohl in der Karibik und in Südamerika als auch in den tropischen Zonen Asiens und werden teilweise ähnlich wie Damiana genutzt. Hauptanbauland für Damiana ist Mexiko, wo es zudem reichlich von Wildbeständen gesammelt wird. Kurioserweise lautet dort die gängige Bezeichnung für das „echte“ (Turnera diffusa-)Damiana-Kraut „Damiana de California“. (Damiana werden in Mexiko nämlich auch noch andere ähnlich genutzte Kräuter genannt.)
Die kleinen gezackten Blätter werden getrocknet und galten schon bei den amerikanischen Ureinwohnern als Aphrodisiakum und wichtiges Heilmittel gegen asthmatische Beschwerden und Atemwegserkrankungen. Es wird außerdem zur Appetitsteigerung, zur Linderung von Rheuma und Migränekopfschmerzen, zur Entspannung bei Menstruationsbeschwerden, gegen Bauchschmerzen, Durchfall und Harnwegsleiden, bei Nervosität, als Kräftigungsmittel bei Schwächezuständen, sowie als mildes Hirntonikum, besonders im Alter, eingesetzt.
Bei uns kann man das aromatische getrocknete Damianakraut mit seinen vielen kleinen holzigen Zweigchen günstig im Kräuterhandel erwerben. Man sollte aber unbedingt darauf achten, daß es sich um das „echte“ Damianakraut, sprich Turnera diffusa, handelt. Auch andere Kräuter werden bisweilen als Damiana verkauft.
Wenn man etwa einen Teelöffel des Krautes pro Becher nimmt, mit siedendem Wasser überbrüht und vor dem Abseihen etwa fünf bis zehn Minuten ziehen läßt, läßt sich daraus ein ganz passabler aromatischer Alltagstee zubereiten, der mit Honig gesüßt noch besser schmeckt. Davon kann man täglich, besonders in den Abendstunden, ein paar Tassen trinken. Wer allerdings schnell spürbare Wirkungen erwartet, muß höher dosieren, was dem Geschmack des entstehenden Gebräus nicht unbedingt zugute kommt. Ein bis zwei gehäufte Eßlöffel oder etwa fünf Gramm Damiana dürften die Minimaldosis darstellen. Der Teeextrakt soll noch stärker (und vermutlich bitterer) werden, wenn man ihn durch bis zu einstündiges Auskochen zubereitet. Wer sensibel genug ist, wird eine leicht erhöhte Körperlichkeit und Sinnlichkeit empfinden. Besonders Frauen sollen sich etwa eine Stunde nach dem Genuß bisweilen entspannter und sexualisierter fühlen können. Alkoholische Extrakte gelten als wirkungsvoller. In Mexiko gibt es mit Damiana aromatisierte Liköre mit entsprechend verführerischem Image. Ein alkoholischer Auszug läßt sich einfach herstellen, indem man 30 bis 50 Gramm der Blätter mit etwa einem halben Liter Wodka übergießt und knapp eine Woche, nicht direkt in der Sonne, ziehen läßt, gelegentlich umschüttelt und den entstandenen alkoholischen Extrakt schließlich abfiltriert. Zur Likörherstellung wird das zurückgebliebene Damianakraut nochmal mit etwa 350 ml Wasser übergossen und ein paar weitere Tage ziehen gelassen, bevor man abfiltert. Die beiden Extrakte werden miteinander vermengt und eine halbe bis eine Tasse Honig, notfalls unter vorsichtigem Erwärmen, darin gelöst. Den entstandenen Likör läßt man, damit sich ein abgerundeter Geschmack bildet, mindestens ein paar Wochen, wenn nicht gar Monate, an einem dun klen Ort stehen.
Welche Stoffe für die Damianawirkung verantwortlich sind, ist noch nicht ganz klar. Ätherisches Öl, reichlich Harz, der Bitterstoff Damianin und die Gerbsäure Tannin gehören zu den bekannten Inhaltsstoffen. In den Stengeln soll gar Coffein nachgewiesen worden sein.
Damiana wirkt harntreibend. Zuviel kann möglicherweise leicht reizend auf die Harnwege und übelkeitserregend wirken. Wer Leberprobleme hat, sollte sich in Sachen Damiana zurückhalten. Vor hochdosiertem Dauergebrauch wird gewarnt.
Eine gewisse Berühmtheit hat das Rauchen von Damiana als „Legal High“ erlangt, zum Beispiel in einer Wasserpfeife beim Trinken des Tees. Möglicherweise entwickeln die Harze dabei eine psychoaktive Wirkung. Damiana gehört auf jeden Fall zur Garde der zahlreichen Kräuter, die geraucht einen mehr oder weniger starken „Effekt“ haben, ohne auch nur entfernt an so kräftig psychoaktiv wirksame Rau(s)chkräuter wie den Rauschhanf oder den Stechapfel zu erinnern. Aber wohl auch auf Grund seines exotischen und aphrodisischen Images und des wohlklingenden Namens findet sich Damiana in zahlreichen Kräutermischungen, die als rauchbare Marijuanaalternativen vermarktet wurden und werden. Zweifellos läßt es sich als nikotinfreie Grundlage für einen sinnlichen Kräuterjoint einsetzen. Ob einem der spezifische Geschmack des recht teerigen Rauches zusagt, muß man selbst entscheiden.
Zum Abschluß möchte ich einen männlichen Damiana-Probierer zu Wort kommen lassen:
„Bei einem bitteren Tee aus zwanzig Gramm Damianablättern habe ich eine gewisse träumerische körperliche Verinnerlichung erlebt und so eine Art Sedierung, nur etwa ein, höchstens zwei Stunden lang. Bei einem ziemlich ekligen Tee aus vierzig Gramm der Blätter war ich definitiv irgendwie breit, aber in keiner Weise halluzinogen oder psychedelisch oder wie auch immer, mehr gedämpft, insgesamt eher schwach. Wenn ich Damiana rauche, spüre ich eine nicht allzu lang anhaltende eigenartige wache Leichtigkeit. Damiana scheint sehr sanft zu sein oder schwach, besonders wenn man Stärkeres gewohnt ist oder unangemessene Erwartungen hat. Am besten gefällt es mir als normaldosierter Tee, ein gehäufter Teelöffel der Blätter pro Becher, in entspannter Atmosphäre. Dazu vielleicht noch ein kleiner Spliff und die Dinge sich entfalten lassen.“
Dass sich das Gute in der Welt auf Dauer eben doch durchzusetzen scheint, das macht Hoffnung. Sicherlich, es geht hier nur um eine Cocktail-Bar, aber diese ist eine Institution mit neuem Standort. Die Negroni-Bar war über sechs Jahre in der Inneren Wiener Straße zu Hause, nun ist sie in großzügige Räume in die Sedanstraße umgzogen. Und die Cocktail-Szene folgt errötet ihren Spuren.
Warum diese Verehrung? Da sind zum einen die Drinks. Hervorragende Cocktails, sauber gemixt. Die cremig-sahnigen „After Dinner“ Varianten sind nie zu schwer, für Fans vom Big Lebowksi ist der White Russian zu empfehlen. Kräftig-elegant ist der „Between the Sheets“.
Die Klassiker sind dabei, aber auch hauseigene Kreationen. Mauro ist gekürter Vizeweltmeister in der Cocktail-Mixen, sein Partner Michele komponiert ebenso liebevoll. Die Folge der französisch-schweizerischen Arbeit: Stammgäste.
Zum anderen ist da die Atmosphäre. Das Interieur ist klassisch, dunkles Holz an den Wänden, quadratische Tische, straffe, aber bequeme Sitzecken. Darin sitzt aufrecht ein unaufgeregtes, aber interessantes Publikum. So lässt sich leben.
Ein reiner Sport-Fernseher, Bier und Curry-Wurst: Sportfan, was willst du mehr? Wer genug von Leberkäse und Brezn hat, den treibt es in den Bergwolf. Dort wird die beste Curry-Wurst der Stadt aufgefahren, denn Würste und Soße kommen laufend frisch mit dem Kühltransporter aus dem Mekka der grönemeyerschen Leibspeise: Bochum. Dazu gibt es Pommes rotweiß oder Kartoffelsalat (ja, auch preiswert).
Frank Bergmeyer und Michael Wolf schufen ein schlicht-kühles Ambiente mit grob gehobelten Holzbänken und orange-blauem Neonlicht. Ein Party-Keller aus den 70er wurde hier ins neue Jahrtausend gebeamt.
Am Wochenende sitzen meist Männer im Raum, denn es läuft Fußball-Bundesliga. Dann traut sich endgültig keiner mehr die auf der Karte angebotene Veggiewurst (Zitat: „schwul & auf Tofubasis“) zu bestellen. Hier gibt es sie halt noch, die echten Kerle.
Bergwolf Fraunhoferstr. 17 80469 München Tel: 089/ 23259858 Mo-Do 11.00-14.00 Uhr, 18.00-02.00 Uhr Fr 11.00-14.00, 18.00-03.00 Uhr Sa 11.00-03.00 Uhr So 17.00-22.00 Uhr
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Ein Vergleich der giftigen Inhaltsstoffe von Tabak und Marihuana
In der Diskussion um die Gefährlichkeit des Cannabiskonsums ist ein Argument immer wieder zu hören: Marihuana-Rauch sei mit erheblich mehr giftigen Inhaltsstoffen belastet als Tabakqualm. Eine Studie im Auftrag des kanadischen Gesundheitsministeriums fand nun heraus: Das stimmt so nicht.
Für den Versuch nutzte man getrocknete Cannabisbuds der Firma Prairie Plant Systems, die ihm kanadischen Saskatoon für das Gesundheitsministerium Cannabis anbaut. Sowohl der Marihuana-Spliff als auch die Tabak-Zigarette wurden von standardisierten Rauchmaschinen eingeatmet, die den menschlichen Lungenzug recht gut imitieren.
Zieht man normal an einer Zigarette oder an einem Spliff fluten etwa 40 mg Teer in die Lunge, dies ist bei beiden Rauschdrogen ähnlich. Zieht man stark, strömen rund 80 mg Teer bei der Zigarette und rund 100 mg Teer beim Spliff ein. Dieser Unterschied in der Menge hängt wahrscheinlich mit dem unterschiedlichen Abbrennprozess der Pflanzenteile zusammen. Ein deutlicher Unterschied ergab sich bei Ammoniak. Dieses wurde in einer etwa 20-mal so hohen Konzentration im Cannabis gefunden. Das ist wahrscheinlich durch die sehr nitrathaltigen Düngemittel bedingt. Aber auch die Höhe der Verbrennungstemperatur spielt eine Rolle bei der Ammoniakbildung.
Auch andere Verbindungen wurden im Cannabisrauch verstärkt nachgewiesen: Blausäure (HCN) kam rund 2,5 mal so oft vor, Stickstoffmonooxid (NO) in etwa 4-mal so hoher Konzentration. Dazu waren einige aromatische Amine in 3- bis 5-mal so hoher Konzentration wie im Tabakrauch vorhanden. Schwermetalle wie Kadmium, Quecksilber und Blei wurden dagegen im Marihuanaqualm im Vergleich in deutlich niedrigeren Konzentrationen gefunden. Auch dies hängt vermutlich mit den Anbaumethoden zusammen. Wird Tabak wird nämlich auf Böden angebaut, der mit Schwermetalle kontaminiert ist, nimmt die Pflanze diese Stoffe auf. Die Spliffs enthielten im Vergleich zu den Zigaretten zudem geringere Konzentrationen an niedrigmolekularen Carbonyl-Verbindungen wie Formaldehyd und Azetaldehyd, sowie an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen.
Die kanadische Studie um ihren Autor David Moir bestätigt frühere Experimente, die im Cannabisrauch viele der gleichen Chemikalien wie im Tabakrauch gefunden haben. Eine Bewertung der vorhandenen Unterschiede ist daher nicht einfach. Zunächst muss festgestellt werden, dass die Verbrennung von Tabak- oder Marihuana-Pflanzenmaterial eine komplexe Mischung von Chemikalien hervorbringt, deren Zusammenspiel noch nicht vollständig verstanden ist. Sodann ist zu konstatieren, dass es darunter Substanzen gibt, die aufgrund ihrer krebserzeugenden Eigenschaften in besonders schlechtem Ruf stehen. Neben Teer sind das vor allem die Schwermetalle und die Nitrosamine. Letztere kommen im Marihuanaqualm nicht vor. Das nicht als krebserregend, sondern als „krebserregend-verdächtig“ beschriebe Formaldehyd kommt in beiden Zigarettenarten vor, allerdings etwas niedrigeren Werten im Gras. Dagegen ist das erhöhte Vorkommen der giftigen Blausäure im Cannabisrauch beunruhigend. Die kanadischen Forscher wollen nun in einem neuen Experiment die Toxizität von Tabak- und Marihuana Rauchkondensaten in drei verschiedenen biologischen Systemen testen.
Eine Verbindung zwischen Krebs und dem Rauchen von reinem Marihuana ist bislang nicht bewiesen. Aufatmen kann da kein Kiffer, denn die westeuropäische Konsumkultur mischt ja bekannterweise zumeist Marihuana oder Haschisch mit Tabak zu den beliebten Joints. Die kanadische Studie zeigt erneut, dass diese Sitte der Gesundheit abträglich ist, denn so mischen sich auch die gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffe der beiden Pflanzen.
Die Cannabinoide und ihre Empfänger im Körper werden zu einem wichtigen Geschäft der Pharma-Industrie
Jörg Auf dem Hövel
Seit Jahrhunderten ist bekannt, das Cannabiskonsum enorm appetitanregend sein kann. Dieser Heißhunger ist Legende. Auf Basis dieses Effekts entwickeln Forscher nun neue Medikamente. Der altehrwürdigen Pflanze Cannabis sativa und ihrer Inhaltsstoffe steht die vollständige Verwurstung durch den pharmakologischen Industriebetrieb bevor. Das hat Vorteile, denn die Pflanze gerät aus dem Zwielicht. Das hat aber auch Nachteile.
Um die aufsehenerregende Entwicklung in der neuesten Cannabisforschung zu verstehen ist zunächst ein kurzer Ausflug in den medizinischen Sektor nötig: Die Hauptwirkstoffe der Cannabis-Pflanze werden Cannabinoide genannt. Im Körper jedes Menschen sind kleine Empfangsstationen in den Zellmembranen dafür zuständig, dass die Cannabinoide ihre Wirkung entfalten können. Diese Stationen werden Rezeptoren genannt. Die meisten psychoaktiven Substanzen wirken über solche Rezeptoren, indem sie an sie binden oder sie blockieren und damit die Signalweiterleitung beeinflussen. Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckten Forscher ein ausgedehntes System von Rezeptoren, das primär der Aufnahme der Cannabinoide zu dienen schien. Man nannte es das „endogene Cannabinoid-System“. Die Auswirkung dieser Entdeckung und Namensgebung fängt man erst heute langsam an zu begreifen. Denn im Laufe der Zeit entstand ein ganzer Forschungszweig, der sich nur mit diesem System beschäftigte. Eine neue Welt tat sich auf, Konferenzen wurden abgehalten, Universitäts-Abteilungen beantragten Gelder.
So schön der Mythos klingen würde: Die Cannabinoid-Rezeptoren sind von der Evolution nicht nur dafür geschaffen worden, um Cannabis aufzunehmen. Allen Forschern war Anfang der 90er Jahre klar: Wie bei allen anderen Rezeptoren auch musste ein körpereigener Stoff existieren, der eine bestimmte Funktion an diesen Rezeptoren erfüllt. 1992 entdeckte der tschechische Chemiker Lumír Hanuš und der amerikanische Molekularpharmakologen William Anthony Devane diese Substanz im Körper und nannte sie „Anandamid“. Eine mehr oder minder feine Ironie, denn im Sanskrit steht das Wort „Ananda“ für die Glückseligkeit.
Weltweit forschte man in den Laboren der Pharma-Firmen und Universitäten weiter, nun galt es, die Cannabinoid-Rezeptoren genauer zu untersuchen. Man entdeckte zwei Arten, diese werden heute als CB-1 und CB-2 Rezeptoren bezeichnet. Ersterer findet sich vorwiegend in Nervenzellen. Am häufigsten kommt er im Kleinhirn und im Hippocampus (eine Sektion im Großhirn) vor. Der CB-2 findet sich dagegen vorwiegend in den Zellmembranen des Immunsystems und auf Zellen, die am Knochenauf- und -abbau beteiligt sind. Es wird vermutet werden, dass weitere Sub-Rezeptoren für Cannabinoide existieren. Diese beiden Rezeptoren sind Ziel der Entwicklung von neuen Wirkstoffen und damit letztlich neuen Medikamenten. Für Kranke lockt Linderung, für die Pharma-Industrie ein Riesengeschäft. Wie immer, wenn neue Medikamente in Aussicht stehen, vermischen sich Wünsche, Prognosen und Versprechungen. Fakt ist: Alleine im Markt der Appetitzügler haben über zehn Unternehmen Wirkstoffe entwickelt und in der Prüfung, die am CB-1-Rezeptor ansetzen. Abbildung 1 zeigt den Aufschwung, den dieser Forschungszweig seit 2000 erfahren hat.
Versuche wirksame Appetitzügler herzustellen gab es viele: Amphetamin (Speed) galt in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als probates Mittel, um den Hunger zu stillen. Bei regelmäßig-übermäßiger Einnahme, so stellte man fest, überwogen allerdings die negativen Langzeitwirkungen. Bis heute weisen viele der auf dem Markt befindlichen Appetitzügler eine ähnliche chemischen Struktur wie Amphetamin auf. Nur haben sich die Chemiker darum bemüht, die psychoaktiven Wirkung zu eliminieren. Ein solcher Wirkstoff ist beispielsweise Fenfluramin, einer anderer Phentermin. In den USA kam es Anfang der 90er Jahre zum sogenannten „Fen-Phen“- Debakel, weil die beiden Medikamente von Patienten parallel eingenommen wurden und es zu Herzbeschwerden kam.
Ein Problem ist: Die zugrunde liegenden Mechanismen der körpereigenen Regulation von Nahrungsaufnahme und Sättigungsgefühl sind erst in Ansätzen verstanden. Die fresslustzügelnden Eigenschaften von Speed basieren auf der Hemmung des Hungerzentrums im Zwischenhirn. Aber die auf Amphetamin beruhenden Medikamente haben unerwünschte Nebenwirkungen. Aus diesem Grund und weil die Pharma-Industrie naturgemäß immer auf der Suche nach neuen Verkaufsschlagern ist geriet Cannabis in den Fokus.
Die Überlegung der Pharmakologen: Wenn Cannabis den Appetit über die Cannabinoid-Rezeptoren anregt, dann müsste eine Blockierung des Rezeptors den Hunger zügeln. Solche Blockierer werden Antagonisten genannt. 1994 synthetisierten Wissenschaftler beim Pharma-Konzern Aventis einen einen CB-1-Antagonisten und nannten ihn „Rimonabant“. Dieses Medikament ist bis heute in Europa zum erfolgreichen Appetitzügler geworden. Wie so oft treten aber Nebenwirkungen auf, in den USA ist das Medikament daher nicht zugelassen. Auch in Europa sollen Langzeitstudien klären, ob Rimonabant gefahrlos länger eingenommen werden kann. Glaubt man den Studie, verlieren fettleibige Patienten in Rimonabant-Therapie tatsächlich an Gewicht.
Seit dem Erfolg von Rimonabant ziehen die anderen Firmen nach. Merck & Co. entwickeln Taranbant, Pfizer einen Stoff mit dem Arbeitstitel CP-945598. Die Blockade des Cannabinoid-Rezeptors bringt aber nicht den Vorteil der Hungerreduktion. Der Rezeptor ist eben nicht nur für den Appetit, sondern für andere Mechanismen im Körper zuständig, so kommt es, dass Testpersonen immer wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, wenn sie CB-1-Antagonisten einnehmen. Eine Erklärung ist: Die Euphorie, die beim Konsum von Cannabis verspürt wird, schlägt bei der Blockade des dafür zuständigen Rezeptors ins Gegenteil um. Fest steht bisher nur, dass ein Eingriff in das cannabinoide System des Menschen weitreichende Folgen haben kann. Trotz dieser Hindernisse haben heute diverse Pharma-Firmen und Biotechs Patente auf CB-1 und CB-2 Blocker oder Enhancer eingetragen.
Sativex
Expertise im Cannabinoid-Markt hat sich die britische Firma GW Pharmaceuticals erarbeitet. Mit „Sativex“, einem Mundspray, haben sie das einzige Cannabinoid-Produkt auf dem Markt, welches aus organischem Material hergestellt wird. GW hat die Erlaubnis Cannabispflanzen in großen Mengen anzubauen. Mit jedem Spraystoß liefert Sativex 2,7mg THC and 2,5mg Cannabidiol an den Patienten. Bis heute ist es nur in Kanada zugelassen und auch nur bei Patienten mit Multipler Sklerose. In anderen Ländern laufen Genehmigungsverfahren, um Sativex als Schmerzmittel zuzulassen. Auch GW Pharmaceuticals arbeitet an einem Appetitzügler, dieser basiert auf einer Unterart des THC, dem Tetrahydrocannabivarin (THC-V). Dieses gewinnt GW ebenfalls aus den eigens angebauten Pflanzen. Wie das oben erwähnte Rimonabant gilt THC-V als CB-1-Antagonist, allerdings als natürlich vorkommender.
Die Analyse des endogen cannabinoiden Systems fokussierte sich bis 2006 vor allem auf den CB-1-Rezeptor. Neuere Forschung zeigen nun, dass der CB-2 Rezeptor eine wichtige Rolle bei einigen Körperfunktionen spielt: Knochenschwund im Alter (Osteoporose), Modulationen des Immunsystems, Nervenentzündungen, Schmerzempfinden. Schon jetzt zeigt sich aber: Die für die Medikamentenentwicklung so wichtigen Tierversuche sind hier wenig aussagekräftig, weil Ratten und Mäuse anders auf CB-2-Substanzen reagieren als Menschen. Dazu kommt: Weder Cannabis noch die cannabinoiden Agonisten oder Antagonist wirken zielgenau in nur bestimmen Regionen des Körpers oder Gehirn, wenn auch die Pharma-Industrie gerne von „hochselektiven Wirkstoffen“ spricht. Nein, das System Mensch wird in seiner Gesamtheit geflutet, so kommt es zu chemischen Kaskaden bei Botenstoffen, deren Ausgang nur durch Trial and Error heraus gefunden werden kann. Die Naturmedizin hat ein solches Verfahren über die Jahrhunderte an Millionen von Menschen angewandt, die moderne Pharmazie arbeitet dagegen mit 1000 Probanden, die einen Wirkstoff über einen kurzen Zeitraum erhalten.
Fazit
Die Entdeckung des cannabinoiden Systems ist aus vielerlei Gründen ein Meilenstein. Zum einen kann die wissenschaftliche Erforschung der Wirkung von Cannabis fortschreiten. Die verschiedenen Pflanzenwirkstoffe scheinen für diverse Vorgänge im menschlichen Organismus mitverantwortlich zu sein. Die Geschichte hat die breite Anwendungsmöglichkeit von Cannabis gezeigt, nun wäre es Aufgabe der modernen Forschung, dieses alte Wissen in moderne Medizin umzusetzen. Das Problem: Moderne Medizin heißt heute meist Pharmakologie. Pharma-Unternehmen sind in erste Linie an patentierbaren Wirkstoffen interessiert und werden daher alles versuchen, die natürlich vorkommende Wirkstoffe zu diskreditieren. Der euphorisierende Effekt von natürlichen Cannabisprodukten wird daher weiterhin als unerwünschte Nebenwirkung beschrieben werden. Mit viel Aufwand versucht man heute in den Labors, die psychoaktive Wirkung der Cannabinoide zu eliminieren und ein Reinprodukt zu erhalten, dass zielgenau nur bestimmte Bereiche des menschlichen Organismus beeinflusst. Die Geschichte der Medikamente zeigt aber nur zu deutlich, dass solche Bemühungen nur mit neuen Nebenwirkungen erkauft werden. Aber das Marketing der Pharma-Firmen wird dieses Phänomen weiterhin zu kaschieren wissen. Die Apologeten einer naturnahen medizinischen Anwendung des Hanfs, so traurig dies ist, werden unter den Bedingungen der heutigen Marktwirtschaft auch weiterhin als Kifferfreunde abgestempelt werden. Zukünftig werden diverse Medikamente auf den Markt stoßen, die das cannabinoide System zum Ziel haben werden. Zu einer Rehabilitierung der Pflanze wird das aber nicht führen.
Um 1900 waren Präparate auf Basis der Bedeutendsten der heute als Rauschgift verteufelten Substanzen wie Cannabis indica, Cocain, Opium, Morphium, Codein und Heroin gebräuchliche Medikamente. Ein Opiumgesetz gab es noch nicht. Campher, Coffein und Strychnin kamen als Stimulanzien zum Einsatz. Mildere pflanzliche Beruhigungsmittel wie Hopfen und Baldrian gehörten ebenso zum Repertoire wie Nachtschattenalkaloide und schlichtweg toxische Mixturen auf Quecksilber- und Arsen-Basis. Selbstverständlich wurde in Adelskreisen fleissig konsumiert, litt man doch nicht nur unter allerlei psycho- und somatischen Wehwehchen, sondern unter schweren Erkrankungen wie der verbreiteten Tuberkulose (TBC) und diversen Geschlechtskrankheiten, insbesondere der Geißel Syphilis. Diese infektiösen Krankheiten waren in der Prä-Antibiotika-Zeit praktisch kaum heilbar und führten zu Siechtum und frühem Tod. Die Rezeptbücher der Apotheke des Wiener Hofes der K.u.K.-Monarchie der Habsburger geben einen Einblick in die Verschreibungspraxis der damaligen Zeit, zumindest was die Rezepturen der reichen Elite betrifft. Den Autorinnen Sabine Fellner und Katrin Unterreiner ist es gelungen an Hand von diesen ergänzt durch umfangreiche Recherchen ein spannend zu lesendes pharmaziehistorisches Sittenbild dieser Zeit zu zeichnen.
Fünf Prominenten sind dabei eigene Kapitel gewidmet: Erzherzog Otto, der Quecksilber gegen seine Syphilis einsetzte, aber auch homöopathisch Cannabis nahm; Kronprinz Rudolf, der Morphium zur Linderung seines Trippers bekam, aber auch Cocain (so wie Kronprinzessin Stephanie); Kaiser Franz Joseph, der das beliebte Hustenmittel Codein konsumierte und sonst Einiges mehr; der legendären Sissy, Kaiserin Elisabeth, die in ihrer Reiseapotheke über eine eigene Spritze verfügte, mit der sie sich Cocain gegen ihre Melancholie zu injizieren pflegte und auch Hustenpulver auf Cannabis indica-Basis nicht verschmähte; Erzherzog Franz Ferdinand der nicht nur Cocain nahm, sondern auch allerlei Opiate gegen seinen chronischen Husten, darunter Heroin.
Lediglich ein paar besserwisserische Anmerkungen, die den hohen Unterhaltungswert des vorliegenden Werkes nicht schmälern können, seien hier erlaubt: Dass Cannabis indica im 19. Jahrhundert „in erster Linie zur Behandlung von Appetitlosigkeit“ (S.113) verwendet wurde, müsste belegt werden. (Maßgeblich ist hier Manfred Fankhauser mit seinem großartigen Meilenstein „Haschisch als Medikament“, der nicht auf diese Indikation gestossen ist.) Sigmund Freud empfahl oral (!) eingenommenes und daneben subkutan injiziertes Cocain. Die „intravenöse“ und die „intranasale“ Applikation waren zu seiner Zeit (1884) noch nicht etabliert (S.117).
Dass der karrieregeile „Wiener Quacksalber“ (so Han Israels) seiner damaligen Verlobten im Nachhinein vorwarf, sie sei Schuld, dass er nicht schon in jungen Jahren als Entdecker der Lokalanästhesie berühmt geworden wäre, wurde als Lüge entlarvt (Han Israels „Der Fall Freud“, sehr zu empfehlen). Demnach hatte Freud selbst die Verantwortung für sein damaliges Handeln zu tragen (S. 119). Aber vielleicht wäre der Menschheit so eine der großen Pseudo-Wissenschaften, die Psychoanalyse, erspart geblieben. Die Shen-Nung-Datierung ist fragwürdig wie eh und je (S. 174). Pemberton benutzte für die Ur-Coca Cola Cocablätter- und Colasamen-Extrakt und nicht Cocain (das damals verhältnismäßig teuer war) und Coffein als Reinsubstanzen (S. 176). Und der Name des Entdeckers des möglicherweise mit dem etwas später isolierten „Cocain“ identischen „Erythroxylin“s (1855), des Pharmazeuten Dr. Friedrich Gaedcke (1828-1890), wird verbreitet gerne falsch geschrieben (S. 175).
az
Sabine Fellner/Katrin Unterreiner
„Morphium, Cannabis und Cocain.
Medizin und Rezepte des Kaiserhauses.“
Amalthea Signum Verlag, Wien 2008
Geb. mit Su., 192 S., 11 Abb.
ISBN 978-3-85002-636-9
Interview mit dem Buchautoren Hans-Christian Dany über die Rolle von Amphetamin in der leistungsorientierten Gesellschaft
Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany hat eine lesenswerte Geschichte des Amphetamins vorgelegt. Darin beschreibt er die wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe einer Droge, die als Stimulanz bis heute eine wichtige Rolle sowohl in der medizinischen Anwendung wie auch im illegalen Gebrauch spielt. Seiner Meinung nach konzentrieren sich in dem kristallinen Beschleuniger die Sehnsüchte des leistungsorientierten und geschwindigkeitsverliebten 20. Jahrhunderts. „Speed“, wie Amphetamin gemeinhin genannt wird, ist aus dieser Sicht eine Droge der Disziplinierung, um den Anforderungen des Fordismus gerecht werden zu können. Dany, Jahrgang 1966, spricht im Interview über die Droge der Nazis, den motorisierten Geschwindigkeitsrausch der Beatniks, das Wachbleiben als Hilfsmittel der Kunst und systemstabilisierende Drogenbenutzer.
Frage: Amphetamin erlebt seine erste Blütezeit als Asthmamittel mit Namen Benzedrine in den USA der frühen 30 Jahre. Wie kam es zu dieser erster Konjunktur?
Hans-Christian Dany: Benzedrine erweiterte wirkungsvoll die Bronchien und half gegen Asthmaanfälle. In der Zeit der großen wirtschaftlichen Depression erreichte das neue Produkt aber schnell weitaus mehr Menschen als es Asthma-Kranke gab und wird zu einem Antreiber für den ökonomischen Aufschwung.
Lässt sich vergleichbares im europäischen Raum feststellen?
Zunächst entwickelte ein Franzose das erste europäische Amphetamin, aber auch die Deutschen wollten unabhängig von den Lieferungen des Wundermittels aus den USA werden.
Aber Deutschland galt doch als Apotheke der Welt.
Ja, aber in dem Fall lagen die Deutschen zunächst hinten, sollten durch ihren Willen zu einer rohstoffabhängigen Alternative aber rasant aufholen. Kunststoffe waren im an Rohstoffen armen Dritten Reich, dass plante die Welt anzugreifen, ein zentrales Thema. Perlon oder synthetischer Treibstoff wurden mit Blut und Boden zusammengedacht. Vor diesem Hintergrund entwickelten deutsche Wissenschaftler auch ein Recylingverfahren um aus Industrieabfällen Methamphetamin herzustellen. Ein Produkt das Ende der dreißiger Jahre unter dem Namen Pervitin auf den Markt kam.
Und von den Temmler-Werken in großen Mengen hergestellt.
Zielrichtung des zivilen Projektes war zunächst ein Alternativprodukt zu dem erfolgreichen Benzedrine, auf den Markt lanciert wurde das Ergebnis dann eher als leichtes Antidepressiva und Gegenrauschgift. Man nutzte es als Substitutionsmittel bei Alkoholismus, Opiat, und Kokainabhängigkeit. Pervitin war ein Versuch den Drogenmarkt unter Kontrolle zu bekommen.
Und landete schließlich bei der Wehrmacht.
Die war hellhörig geworden und testete das neue Wundermittel. Während der Blitzkriege wurden innerhalb weniger Monate 29 Millionen Dosen von Pervitin ausgegeben. Teilweise nahmen die Soldaten ihre Methamphetamin-Rationen aber auch von der Front mit nach Hause und schenkten es ihren Frauen. Etwas Chanel Nr. 5 und ein paar rote Kapseln aus Paris. Nach dem Krieg bekamen dann Kinder die Reste des Pervitins aus dem väterlichen Sturmgepäck, um in ihren Not-Abituren gut abzuschneiden.
Der „Generalluftzeugmeister“ Ernst Udet war abhängig von Amphetamin, auch andere Nazi-Größen nahmen Drogen in hohen Mengen, bekannt ist Görings Morphinaffinität. Wurde das innerhalb der Gruppe nie problematisiert?
Die Nationalsozialisten agierten in dieser Hinsicht widerspüchlich. Einerseits wurde im Zuge ihres Krieges gegen Rauschgift der Alkoholkonsum gebrandmarkt, andererseits zeigen die Statistiken einen Anstieg des Konsums im Dritten Reich. Daneben galt, was auch heute noch gilt: Solange man in bestimmten Strukturen funktioniert, wirft einem ja niemand den Drogenkonsum vor.
Funktionieren tat zeitgleich auch die junge Schauspielerin Judy Garland.
Garland sang 1938 in den USA 16-jährig unter starkem Amphetamin-Einfluss „Somewhere over the Rainbow“. Bei Garland ging es dem Werksarzt der Filmfabrik darum den Körper der pubertierenden Darstellerin auf die Figur der 10-jährigen Dorothy in „Wizard of Oz“ herunter zu hungern. In der damaligen Faszination für die technologischen Möglichkeiten von Drogen schien die Medizin kein Problem bei der Behandlung von Kindern zu haben. Die bis heute
verbreitete Form Behandlung von Kindern mit Amphetamin hatte sogar schon früher angefangen: 1937 erprobte Charles Bradley erstmals die Medikation unkonzentrierter Kinder mit Speed. All das macht die enorme Geschwindigkeit deutlich mit der das erst 1933 auf den Markt gekommene Präparat zu den Verbrauchern gebracht wurde. 1937 erhalten es erstmals Kindern, 1938 singt Garland den ersten Amphetamin-verstärkten Superhit und 1939 marschiert die deutsche Wehrmacht unter Amphetamin-Einfluss in die Blitzkriege.
Und es geht weiter: 1947 schreibt Jack Kerouac „On the road“, einen Klassiker der Speed-Literatur.
Die militärische Erfahrung des Amphetamin-gestärkten Geschwindigkeitrausches dringt nach dem 2. Weltkrieg in Zivilleben eine. Es ist ein neuer Weg, Mensch und Maschine bis zum äußersten zu treiben. Die industriell-kapitalistische Ordnung liefert die Voraussetzungen dafür, den Menschen als optimierbares Teilchen eines großen Apparates zu betrachten. Speed fördert die Dressur des Einzelnen im Gefüge der Maschine. Erst in den 70er Jahren sollte es zu einer Krise dieser Sichtweise kommen. Die Grenzen des Wachstums werden diskutiert. Aber die Skepsis war nur von kurzer Dauer, schon in den 80er Jahren kommt es zu einem Comeback der technischen Verbesserungsvorstellung des Menschen, ein Bild, in dessen Rahmen wir bis heute leben. Das Bewusstsein für den Preis, der für diese technologische Idee von Fortschritt gezahlt werden muß, ist zwar größer geworden, aber die Alternativen sind nicht gegenwärtig.
Und die Beatniks um Kerouac und Konsorten haben, so schreibst du, eher ihren Egoismus gefrönt als politische Verhältnisse ändern zu wollen?
Vielleicht kann man sich heute nicht mehr vorstellen, was individuelle Freiheit und Optimierung damals bedeutet haben. Schon länger ist diese Haltung der beschleunigten Bedürfnisbefriedigung problematisch geworden, weil es eines der letzten Versprechen ist, die die Gesellschaft zu bieten hat: Wie kann ich aus meinem eigenen Leben das maximale rausholen? Dazu kommt die Verherrlichung von Technologie als Freiheitsbegriffs. Das haben die Beatniks auf romantische Weise verkörpert.
In den 60er Jahren folgten die Hippies. Deren Verhältnis zu Speed war ambivalent. Speed galt als unnatürliche Droge.
Der berühmte Slogan „Speed kills“ wurde damals in Haight Ashbury geprägt. Dahinter steckte, neben der konkreten Angst vor der Übertragung von Hepatitis, eine Technologieskepsis. Drogen dienen aber auch als Vehikel zur sozialen Unterscheidung. Die Hippies kamen vornehmlich aus der Mittelschicht und wollten sich von der Arbeiterklasse und dem „White trash“ unterscheiden. Sie wollten kultivierter Drogen nehmen. Und das böse Speed galt und gilt bis heute als Droge der armen Leute.
Andy Warhol evozierte als „Fabrikdirektor“, wie du ihn nennst, zur gleichen Zeit mit Hilfe von Speed eine Art Dauerhysterie in seinem Umfeld.
In einem permanenten Ausnahmezustand sollten massenhaft Ideen freigesetzt werden. Jeder einzelne sollte sich als Subjekt bis zum Äußersten in den Produktionsprozess einbringen.
Kann das klappen, kreative Schübe durch Speed?
Für die moderne Kunst spielt das Kreative nur eine nachgeordnete Rolle. Warhol oder andere Kunstbewegungen der sechziger Jahre, wie auch vieles was in den Zusammenhängen von Punk oder Techno entstand – kulturellen Bewegungen die ohne Speed kaum vorstellbar wären, verstanden sich bewusst antikreativ. Da ging es darum Energien zu bündeln, sich reinzusteigern, Gedanken extrem zu fokussieren und rückhaltlos auf den Punkt zu zusteuern. Die Ausgangsidee kann dabei ganz banal sein, man muss es halt nur mit der Letztgültigkeit isolieren und behaupten. Das braucht Zeit, in der man einfach wach sein muss. Häufig ist es weniger der Einfall die Leistung, sondern deren Behauptung. Warhol, dem selten was einfiel, ließ sich Ideen von anderen flüstern und hat sie dann auf die Spitze getrieben.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner repetitiven Kunst und Amphetamin?
Auf Amphetamin zeigt sich bei vielen Benutzern das Phänomen des „punding“. Das ist die Faszination für Monotonie und Wiederholung. Deshalb entstanden unter Einfluss von Speed vielleicht soviele wunderbare Bild für die fordistische Revolution, deren Grundgedanke – die Wiederholung des immer gleichen Handgriffs am Fließband – sich durch den Gebrauch einer Droge übersteigert.
In den 80er Jahren kommt es dann zur Nutzung von Drogen auf breiter Ebene. Eine weiteres Amphetamin-Derivat, nämlich MDMA, ist hier Vorreiter.
Mit Ecstasy kommt es zur endgültigen Normalisierung chemischer Rauschmittel, wie wir sie heute kennen. Bevölkerungskreise unterschiedlichster sozialer Schichten haben ja heute Drogenerfahrung, wozu die Techno-Bewegung Anfang der 90er Jahre viel beitrug. Sie hat vorgeführt, wie Drogen als Spaß- und Arbeitsfaktor zusammen gehen. Lange schien Drogenkonsum ein „Außerhalb“ darzustellen; so fühlen sich ja heute noch manche Drogenbenutzer. Dem ist ja gar nicht mehr so.
Wozu werden Drogenkonsumenten dann heute noch verfolgt?
Um Migration zu kontrollieren, nicht gezahlte Steuern einzutreiben, geopolitische Interessen zu verpacken oder um die Eigentumsverhältnisse an Technologien zu wahren. In Thailand wurden vor fünf Jahren in wenigen Wochen über zweitausend Amphetamin-Schieber von der Polizei erschossen, die im Prinzip die gleichen Wirkstoffe verkaufen, die Pharmaunternehmen herstellen, um Medikamente auf den Markt zu bringen. Die United Nations lobten damals Thailands Drogenpolitik mit dem Argument: Kinder hätten das Recht in einer drogenfreien Umgebung aufzuwachsen. Auf Novartis, den Hersteller von Ritalin, werden solche Maßnahmen aber nicht angewendet.
Wie müsste Drogenpolitik aussehen, wenn sie nicht Kontrollpolitik sein will?
Dazu müssten sich die gesamten Verhältnisse des kapitalistischen Systems ändern. Die Tendenz geht aber eher dahin immer mehr Technologien – und Drogen sind eben auch eine Technologie – als Eigentum zu deklarieren. Es soll ja nicht nur Kontrolle über Drogen, sondern beispielsweise auch über landwirtschaftliche Produkte mittels Patente garantiert werden. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Letzlich kommt man immer wieder auf den gleichen Punkt: nicht die Drogen sind das Problem, sondern die Umstände, in denen sie genommen werden.
Du schließt das Buch mit der Ansicht, dass es gute Gründe gibt, nüchtern zu bleiben. Warum?
Was ich damit zu beschreiben versuche ist die aktuelle Konjunktur bestimmter Drogen – zu denen ich auch den Hanf zählen würde – in einer Welt fremdbestimmter Arbeit. Drogen – legale, wie illegale fügen sich einfach erstaunlich gut in die Mechanismen der Kontrollgesellschaft ein. Wobei nicht die Drogen, bei denen es sich ja zunächst nur um Technologien handelt, das Problem sind, sondern wie sie vom Machtapparat mißbraucht werden. Da wird versprochen, man könne damit funktionieren. Dagegen zu funktionieren spricht viel, insofern gibt es gute Gründe in den falschen Umständen nüchtern zu bleiben.
Die Frucht der Betelpalme liefert die psychoaktive Hauptzutat für eines der weltweit am meisten konsumierten Genussmittel, den Betelbissen. Das Kauen dieses Betelbissens ist besonders in Indien, Sri Lanka und bei der Landbevölkerung Indochinas und Indonesiens beliebt. Da das Betelkauen den Speichel rot und die Zähne im Laufe der Zeit schwarz färbt und abstumpft und zudem durch starke Anregung des Speichelflusses nicht ohne häufiges Ausspucken des an Blut erinnernden Speichels praktizierbar ist, ist diese Gewohnheit allerdings im Zuge des wirtschaftlichen Wachstums und der Anpassung dieser Länder an westliche Standards rückläufig und gilt zunehmend als unästhetisch, ungesund und hinterwäldlerisch.
Umso erstaunlicher, dass der Genuss des Betels dagegen in einem der wohlhabensten und modernsten Länder Asiens seit Anfang der Achtziger Jahre einen Boom erlebt. Taiwan, die demokratische chinesische Inselrepublik im äussersten Osten des Kontinents und am Rande des Pazifiks zwischen Japan und den Phillipinen gelegen, hat sich zur Hochburg der Betelafficionados gemausert. In dem subtropischen bis tropischen Klima der von Norden nach Süden 395 km langen und bis zu 144 km breiten Insel, durch die sich ein beeindruckender Gebirgszug mit Gipfeln bis zu einer Höhe von 3952 Metern zieht, gedeiht die Betelpalme optimal.
Das Betelkauen hat auf dem Eiland, das auch unter dem von portugiesischen Seglern bei ihrer „Entdeckung“ vergebenen Namen Formosa bekannt ist, wahrscheinlich eine sehr lange Geschichte. Schon bei der Urbevölkerung, vermutlich überwiegend malaiisch-polynesicher Abstammung, soll diese Gewohnheit sehr populär gewesen sein. Christliche Missionare des Neunzehnten Jahrhunderts beklagten die aus ihrer Sicht ekelhafte Sucht, das ständige Kauen und Ausspucken des schrecklich gefärbten Rotzes. Weisse Reisende derselben Zeit bewunderten die Schönheit der eingeborenen Frauen, bedauerten aber ihren unappetitlichen vom Betelkauen blutigroten Mund. Heute, nach jahrhundertelanger Einwanderung von Festlandchinesen und ihrer Dominanz in allen Bereichen der Gesellschaft, stellen die Stämme der Ureinwohner lediglich noch eine Minderheit von zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, die bei insgesamt 21,5 Millionen Menschen liegt.
Ihren Wohlstand hat die in dem von Nord nach Süd verlaufenden westlichen Flachland extrem dicht besiedelte Insel einer radikalen Industrialisierung in den letzten Jahrzehnten und der sprichwörtlichen Geschäftstüchtigkeit der Chinesen zu verdanken. Die Landwirtschaft steht allerdings nicht nach. Praktisch jeder nutzbare Flecken ist mit Reis, Zuckerrohr, Tabak, Gemüse und Obst bepflanzt, an der Küste auch zu Fischzuchtbecken umfunktioniert. Überall kann man Betelpalmanpflanzungen sehen. Im mittleren Westen und im Südwesten sind grosse Betelpalmenhaine unübersehbar. Die schlanke, ausgesprochen hübsche Betelpalme ist die Charakterpalme, wenn nicht sogar die Charakterpflanze von Taiwan schlechthin. An den Berghängen finden sich Teeplantagen und riesige Betelpalmpflanzungen, die vielerorts, und das ist einzigartig, so ineinander übergehen, dass die Betelpalmen den kleinen gestutzten Teesträuchern als Schattenspender dienen. Diese Art der vom ästhetischen Gesichtspunkt her beeindruckend schönen Mono- bzw. Duokultur wird durchaus auch kritisch betrachtet. Die Betelpalmen werden nämlich zunehmend an extra für sie vom Bergurwald gerodeten steilen Hängen gepflanzt. Vom Verlust an natürlichem Lebensraum abgesehen sind sie dort oft auch nicht in der Lage, dem Boden auf Dauer genügend Halt zu geben. Auf Grund der hohen Regenfälle in den Monsunzeiten auf der immer wieder von Taifunen heimgesuchten und von Erdbeben geschüttelten Insel kann es dadurch leicht zu Erosion und Bergrutschen kommen. Zweifellos eine ökologisch bedenkliche Entwicklung.
Der reife getrocknete Betelsame und seine faserige getrocknete Fruchthülle werden zwar schon seit langer Zeit in der chinesischen Medizin als vielseitige Heilmittel eingesetzt, seit Anfang der Achtziger Jahre ist aber der Anbau und Handel zu Genusszwecken auf Taiwan zu einem Milliarden-(US)-Dollar-Geschäft geworden. 1982 waren auf Taiwan lediglich 4.400 Hektar Land mit Betelpalmen bepflanzt, 1989 schon 36.000 Hektar und 1997 56.300 Hektar. Das ist mehr als eine Verzwölffachung der Anbaufläche in nur 15 Jahren! Schwerpunkt für diesen Boom waren die Provinzen Nantou, Chiayi und Pingtung am westlichen und südwestlichen Rand des zentralen Gebirgsmassivs. Die Produktion wurde 1997 auf 156 Millionen Kilogramm Betelfrüchte geschätzt, das wären mehr als sieben Kilogramm für jeden Einwohner! Für die Bauern lohnt sich das Geschäft. Das durchschnittliche Einkommen soll doppelt so hoch, aber manchmal bis zu zehn mal so hoch sein, wie das für den Anbau von Reis. Der Anbau von Betelpalmen ist auch schon bei kleinen Pflanzungen rentabel. Er erfordert nur vergleichsweise geringen Arbeitskrafteinsatz. Das macht ihn besonders für die zunehmend alternden Landwirte, deren Kinder sich immer weniger für die bäuerliche Arbeit interessieren und lieber in andere Berufszweige drängen, zusätzlich interessant. Diese Bedingungen machen den Boom von Seiten der Produzenten verständlich, die sogar schon vom Betel als dem „Grünen Gold“ sprechen, aber wie sieht es auf Seite der Konsumenten aus?
Auf den ersten Blick scheint in Grossstädten wie Taipeh, Tainan, Taichung oder Kaohsiung der Betelkonsum nicht sonderlich ins Auge zu stechen. Die Städte wirken recht sauber; die vielen modebewußten jungen Menschen scheinen eher dem Kaffeegenuss in überteuerten aber total hippen japanischen und amerikanischen Coffee-Shop-Ketten zu frönen. Bei ihnen gilt das Betelkauen als antiquiert. Doch wenn man genau hinsieht, erkennt man plötzlich im Strassenbild auch die Glaskästen, in deren Auslage sich die frischen Betelbissen oder täuschend echt aussehende Plastikmodelle der erhältlichen Varianten befinden. Dahinter meist Verkäuferinnen, seltener Männer, die die entsprechenden Bissen in Serie herstellen und abpacken. Dies geschieht im Vergleich zu anderen Ländern unter vergleichsweise hygienischen Bedingungen. Sogar Schutzhandschuhe werden oft benutzt.
Und dann stellt man bei genauer Betrachtung der Bissen noch zwei landestypische Besonderheiten fest: Der lokal konsumierte Betelbissen enthält nach meinen Beobachtungen keinen Tabak, wie es sonst in fast allen anderen Ländern der Fall ist, und noch wichtiger, er nimmt nicht den knackigen Samen aus der halbreifen noch grünen Nuss (Bali) oder den ungetrockneten Samen aus der reifen orangegelben bis braunen Nuss (Sri Lanka) oder den getrockneten reifen Samen (Indien, Thailand) als Grundlage, sondern die ganze noch blutjunge weissgrüne Frucht, die vom Samen gerademal den rudimentären Embryo beinhaltet!
Die Betelfrucht in diesem Zustand wird in drei verschiedenen Formen zum Kauen angeboten:
1. Die wie eine Eichel aussehende Frucht mit Stielansatz, vielleicht insgesamt 3,5 cm lang, wird mit einem speziell zugeschnittenen frischen Betelpfefferblatt eingewickelt, das zuvor mit ein wenig einer Paste aus gebranntem und mit Wasser versetztem Kalk bestrichen wurde. Der Stielansatz ragt raus, so dass man ihn zum Genuss abbeissen und ausspucken kann, um dann den ganzen Bissen in den Mund zu schieben und zu kauen. Er verhindert ein zu schnelles Austrocknen der saftigen Frucht vor dem Konsum und erhöht damit die Haltbarkeit. Diese Form des Betelbissens ist mit Abstand am beliebtesten. Ein Bissen kostet etwa 5 Taiwan-Dollar (ca. 40 Pfennig). Meist werden aber Ziplockbeutel verkauft, in denen sich etwa ein Dutzend der vorbereiteten Bissen befinden, zu 50 Taiwan-Dollar (ca. 4 DM).
Für den Hausgebrauch kauft man Früchte, Betelpfefferblätter und gebrannten Kalk auf dem Markt und verzichtet oft auf das Einrollen der Betelfrucht. Man schiebt sich stattdessen erst die vom Stielansatz durch Abbeissen befreite Frucht und dann das mit Kalkpaste bestrichene Betelpfefferblatt in den Mund.
2. Für „Hardcore-Betelkauer“ gibt es an einigen wenigen Ständen sogar gleich zwei, meist etwas kleinere, praktischerweise mit dem Messer schon vom Stielansatz befreite Früchtchen parallel nebeneinander in ein mit Kalkpaste bestrichenes frisches grünes Betelpfefferblatt eingewickelt.
3. Recht beliebt wiederum ist die dritte Variante: Der Stengelansatz der frischen Frucht wird mit dem Messer entfernt, die knackige etwa 2 bis 2,5 Zentimeter lange Frucht in der Mitte aufgespalten, ohne dass sie auseinanderfällt, in der Spalte mit ein wenig einer relativ geschmacksneutralen braunen Paste, vermutlich aus Catechu-Gerbstoff, gebranntem Kalk und Wasser, bestrichen und zuguterletzt ein kleines Scheibchen des grünen unreifen Fruchtstandes einer Pfefferart in der Mitte plaziert. Dieser Fruchtstand schmeckt übrigens genauso erfrischend pfeffrig, spearmintartig wie die frischen Betelpfefferblätter. Dieser Bissen wirkt optisch besonders ansprechend.
Ansprechend sind auch die Betelverkäuferinnen, wenn man ersteinmal über die städtischen Ausfallstrassen über Land fährt. Dann erkennt man, dass die Betelverkaufsstellen, die auffälligsten Läden überhaupt sind und wird sie nicht mehr übersehen können. Überall leuchtet und blinkert es wie bei einem bunten Grosseinsatz der Strassenverkehrswacht. Strahlenkränze aus Neonröhren, grosse Schrifttafeln, Abbildungen von Betelpalmen und -früchten deuten auf von bunten Neonröhren bekränzte Glaskästen hin, in denen oft hübsche junge Frauen auf Barhockern in bisweilen extrem aufreizenden ungewöhnlich freizügigen sexy Klamotten, oft Betelbissen vorbereitend, mehr oder weniger gelangweilt oder genervt dreinblickend auf Kundschaft warten. An manchen Strassen erinnert das mehr an einen Strich als eine sich bei einem mittlerweile hohen Angebot an Betel in gegenseitiger Konkurrenz übertrumpfende Betelverkaufsmeile, die hier um männliche Betelkauerkundschaft, vom Mopedraser bis zum LKW-Fahrer buhlt. Natürlich gibt es an den Ständen auch Zigaretten, manchmal Schmuddelbildchen, Getränke oder Eis. Sicherlich mag die Betel-Box für das ein oder andere Betel-Girl der Einstieg in die Prostitution sein, doch im Vordergrund steht im Allgemeinen der Betelverkauf, der meist recht flott, allenfalls mit einem kleinen Flirt am runtergekurbelten Wagenfenster, über die Bühne geht. Mit Speck fängt man halt Mäuse oder eben den typischen eher proletarischen männlichen Betelkauer. Als den Strassenverkehr störend scheint man diese Art der aufgetoppten Kundenwerbung nicht zu betrachten. Das gilt auch für das Betelkauen selbst. Manch ein Busfahrer auf dem Lande gehört zu den Dauerkauern. Im Süden des Landes kaut ein Grossteil der ländlichen Bevölkerung, egal ob Mann oder Frau. Die Frauen sind in Taiwan für asiatische Verhältnisse sowieso relativ emanzipiert. Die Zahl der Konsumenten geht in die Millionen, und wer kaut, der kaut den ganzen Tag, also eigentlich ständig. Im Schnitt wird vielleicht alle 30 bis maximal 60 Minuten nachgeschoben. Auf mich wirkten die Dauerkauer subjektiv oft etwas weggetreten und stumpf, zumindest nicht gerade geistig sonderlich flexibel. Aber das muss ja nicht unbedingt allein am Betel liegen. Lokale chinesiche Mediziner betrachten das Betelkauen zurückhaltend, lediglich als gewohnheitsbildend, und schreiben der Betelpalmfrucht selbst keine negativen Wirkungen zu, wenn sie nicht „exzessiv“ gekaut wird. Eine gehäufte Zahl von Mundkrebsfällen und Mundschleimhautschäden wird auf „Zusätze“ zurückgeführt. Die Kalkpaste mag hier ihren Anteil haben. Die seltene (siehe oben) Zugabe von Tabak dürfte in dieser Hinsicht bedenklich sein.
Nun fragt man sich natürlich, was das Besondere am Betelkauen ist. Wie wirkt das Zeug eigentlich?
Zunächst muss man klarstellen, dass der Betelgenuss ähnlich wie beim Zigarettenrauchen bei regelmässigem gewohnheitsmässigem Konsum ein anderer ist als beim gelegentlichen experimentellen Kauen eines einzelnen Bissens. Der Bissen, der dem Gewohnheitskauer genau den kurzen Kick gibt, den er braucht um ein gewisses angenehmes Dröhnlevel zu erhalten, das ihn nicht ausser Funktion setzt, sondern vielleicht erst über den Tag peppt, mag den Neuling aus den Socken hauen. Und dieses Risiko ist bei den Betelbissen, wie sie in Taiwan hergestellt werden, besonders hoch, denn es handelt sich um die mit Abstand potenteste Form eines reinen Betelbissens (ohne Tabak oder andere psychoaktive Zusätze) überhaupt!
Wenn man als Neuling einen ganzen knackigen Betelbissen Taiwan-Style in den Mund nimmt und zu kauen anfängt, dann dringt sofort der Saft aus der wässrigen Frucht, ihre feinen Fasern vermengen sich mit dem würzigen Betelpfefferblatt und der Kalkpaste zu einer orangeroten Masse. Innerhalb kürzester Zeit schiesst dazu Speichel im Überfluss in die Mundwinkel, man muss ausspucken. Gleichzeitig wird durch die Mundschleimhäute schon soviel Wirkstoff resorbiert, dass man einen mehr oder weniger heftigen an Nikotin erinnernden körperlichen Rush im Kopf erlebt, einen leichten Schwindel, gleichzeitig Druck auf der Magengegend, angeregten Stuhlgang, Schweissausbrüche, eine Art Adrenalinflash, dabei ein waches aber abgetretenes stumpfes Gefühl im Kopf, allerdings ohne Einschränkung der Handlungsfähigkeit bei Willensanstrengung. So erging es zumindestens mir bei meinen heroischen Selbstversuchen. Der ganze Rush dauerte 20 bis 30 Minuten, nach ca. 60 Minuten war die Wirkung im Wesentlichen vorbei. Eine gewisse Wachheit und Drömeligkeit hielt noch etwa eine zusätzliche Stunde an. Bei einem meiner Bissen, hatte ich schon nach wenigen Augenblicken das Gefühl, das wäre zuviel und spuckte den ganzen Bissen wieder aus. Ich hatte allerdings in kürzester Zeit schon soviel resorbiert, dass es mir vorkam als wäre ich an meinem Kopf kurz hochgehoben und in derselben und doch weil sich meine Befindlichkeit abrupt verändert hatte veränderten Umgebung wieder abgesetzt worden und müsse nun noch hektisch irgendetwas erledigen um dann entspannt und in Ruhe den anstrengenden Flash zu überstehen. Das Ende vom Lied war eine halbe Stunde Umtriebigkeit und als ich mich schliesslich hinlegte um endlich zu relaxen, liess das Zerren auch schon langsam nach. Es gibt sie also doch war meine Erkenntnis: Die Betel-Überdosis! Die Lektion lautete demnach: Kaue den Betelbissen behutsam und mit Respekt!
„Der Junggeselle“ war ein großformatiges Herrenmagazin, das unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg von 1918 an von Berlin aus für die Weimarer Republik publiziert wurde. Von zahlreichen Künstlern (insbesondere des Art Déco-Stiles) ansprechend illustriert spiegelte es bei wöchentlichem Erscheinen galant-erotisch einen der Zeitgeister der 20er-Jahre (den des modebewussten balzorientierten bürgerlichen heterosexuellen Mannes) wieder. Natürlich war auch „Haschisch“ ein Thema, das den Leser des „Junggesellen“ interessierte.
Im dritten Juliheft 1925 lieferte der Autor Karl Otto Graf von Baudissin mit „Haschisch“ einen Beitrag zum Thema.
„Das arabische Wort Haschisch bezeichnet ein im Orient vielfach gebrauchtes Berauschungsmittel, hergestellt aus den Blüten des indischen Hanf. Es hat in seiner Wirkung in mancher Hinsicht eine Aehnlichkeit mit dem Opium, jedoch in einer gewissen Beziehung ist seine Wirkung eine dem Opium direkt entgegengesetzte. Während nämlich das Opium auf die männliche Kraft lähmend wirkt, so ist der Einfluß des Haschisch…, jedoch das ergibt sich nachher aus meiner kleinen Geschichte.
Unser Schiff war gegen Abend in Port Said eingelaufen, um Bunkerkohlen und Süßwasser an Bord zu nehmen. Wir, die wir hiermit nichts zu tun hatten, und Herren unserer Zeit waren, benutzten die paar Stunden, um uns die Stadt anzusehen, die übrigens an orientalischen Reizen á la 1001 Nacht sehr arm ist.
Auf dem Place Lesseps promenierten wir ein halbes Stündchen umher und genossen das selbst für europäische Begriffe absolut nicht üble Freikonzert, dann begaben wir uns in das unmittelbar am Eingange des Kanals gelegene Casino Palace Hotel, wo wir bei einem eisgekühlten Jonny-Walker-Whisky und einer köstlichen Simon-Arzt-Zigarette mit Schaudern an die uns bevorstehende Glut des Roten Meeres dachten.
Im Laufe des Abends erschien der Schiffshändler an unserem Tisch, und auf meine Frage, ob er uns nicht irgendwo hinführen könne, wo etwas echt Orientalisches zu sehen sei, meinte er, das ließe sich schon machen.
Zwar sei das Betreten der Araberstadt für Europäer des Nachts aus Gründen der persönlichen Sicherheit streng verboten, jedoch kenne er einen eingeborenen Beamten der Polizei, und wenn wir uns nicht fürchteten, so sei er gern bereit, uns zu führen.
Wir zahlten und brachen auf.
Herrlich funkelten die Sterne am samtschwarzen Tropenhimmel, als wir die Rue au Village arabe betraten. Nach etwa 20 Minuten gelangten wir an die Mauer, die die Araberstadt umschloß. Da wir in Begleitung des Polizeibeamten waren, ließ uns der Posten ungehindert passieren.
Nun waren wir in der Arabetown. So habe ich mir immer ein Beduinendorf vorgestellt, kleine Holzhäuschen, windschiefe Lehmhütten, Dünen und Sand, Sand, Sand. Manch ermordeter Europäer – für seine Angehörigen und Freunde spurlos verschwunden – liegt hier verscharrt. Vielleicht hat er eine Tochter des Landes zu lange angesehen, vielleicht ist er das Opfer der Habgier eines Dorfbewohners geworden.
Wir gingen durch verschiedene krumme Straßen und Gassen, von denen eine wie die andere aussah, und betraten dann eine dieser Lehmhütten. In der Tür hockte ein altes, zahnloses, zum Skelett abgemagertes Araberweib, dem unser Freund in der Landessprache ein paar Worte zurief und ihr gleichzeitig ein Geldstück in die offene Hand warf.
Nach kurzer Zeit traten einige Arabermädchen in das dürftig erleuchtete Zimmer, jung und prachtvoll gewachsen, blitzende Augen, schneeweiße Zähne und blauschwarzes Haar.
Die Alte hatte sich in einer Ecke niedergekauert und fing an, ein tamburinartiges Musikinstrument zu schlagen. Die Mädchen begannen zu tanzen. Es war ein Bauchtanz – ein Hutschi-Kutschi -, den wir zu sehen bekamen.
Es war schön, herrlich schön. Wir verfolgten jede Bewegung und wagten kaum zu atmen.
Ich habe oft die Ansicht vertreten hören, der Bauchtanz sei unanständig. Wenn zwei dasselbe tun, so ist das bekanntlich durchaus nicht dasselbe. Was man so im Orient bei öffentlichen Darbietungen oft zu sehen bekommt, ist allerdings meistens alles andere als ästhetisch. Was hier getanzt wurde, war Kunst, unverdorbene, nicht angekränkelte Kunst. Ich habe jedenfalls selten etwas Reineres und Keuscheres zu sehen bekommen als diesen Tanz von jungen Frauen, der ja ursprünglich eine religiöse Handlung darstellte.
Der Tanz war zu Ende. Schweißüberströmt lagen die Tänzerinnen mit fiebrigen Augen und keuchendem Atem auf der Erde. Leise verließen wir das Haus.
Am Ausgang des Dorfes dankte ich dem Polizeibeamten für den uns gebotenen Genuß und belohnte ihn mit einigen Piastern.
Der Mann war offenbar sehr erfreut und zufrieden, denn er grinste wie ein fröhlicher Haifisch, als er immer und immer wieder versicherte: „Thank you, Sir! Thank you very much, Gentleman.“
Als ich ihn fragte, was er mit dem Gelde anfangen wolle, verklärten sich seine Züge: „Dafür kaufe ich mir Haschisch.“
„Haschisch?“
„Yes, Gentleman, Haschisch!“
Er sah es wohl meinem Gesicht an, daß mir Haschisch nicht bekannt war.
„O! Sie kennen Haschisch nicht? Wenn Sie Haschisch rauchen…,“ hier reckte er seinen muskulösen Unterarm in die Höhe und ließ seine Muskeln spielen. „Wenn Sie Haschisch rauchen, Gentleman, – ein kurzes verlegenes Lächeln – twenty five times, fünfundzwanzig Mal!“
Dieses kleine Erlebnis erzählte ich neulich mal so ganz beiläufig meiner Frau. Ich hätte auch was Klügeres tun können.
Sie sah mich groß an und fragte dann mit der größten Selbstverständlichkeit:
„Ja, sag mal mein Freund, warum rauchst du denn nicht Haschisch?“ –
Und jetzt besteht sie unerbittlich darauf, ich soll Haschisch rauchen. Wo soll ich nun in Berlin ausgerechnet Haschisch herbekommen?
Hätte ich ihr nur diese Geschichte nicht erzählt.
Meine Ruh´ ist hin…!“
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