Kategorien
Mixed

Gastronomie-Tipp: Monofaktur

zurück zur Homepage

DIE WELT Kompakt

Jenseits von Gut und Böse Klingt seltsam, aber wer hier reinschaut ohne vorher das Programm studiert zu haben, der kann (böse) überrascht werden. „Wir sind ein Gemischtwarenladen, völlig unberechenbar“, sagt Wanja Belaga, 35, Betreiber der Monofaktur.

Der Club in der Innenstadt kennt weder bei Musik- noch bei Konzertauswahl Berührungsängste: Heute Münchener Hip-Hop, so am 10.02 „Sunday Rain“, die ihr neues Album „Für immer unterwegs“ inszenieren, Morgen dann Garage Punk aus Portland, Übermorgen eine schwul-lesbische House-Party.
Und als ob das noch nicht genug verwirrt, steht in dem kleinem Einraumclub ein Klavierflügel, Dienstags wird gerne Jazz gegeben. Das Publikum ist dementsprechend ausgesucht, Belaga spricht von einer „feinen Gemeinde“, die dem Club seit über einem Jahr treu sei.

Am Interrieur kann das nicht liegen, ein spröder Charme durchweht den Raum: einige verunsicherte Freischwinger, zwei Bartresen, eine Rückzugsecke, die Bühne ist eine niedrige Erhebung. Aber Nachts funkeln bekanntlich sowieso eher die inneren Werte und denen hilft die Crew hinterm Tresen (mit fairen Preisen) gerne auf die Sprünge. Belaga spricht trotzdem eine Warnung aus: „Für das Normalvolk ist das hier nichts.“

Monofaktur
Sonnenstraße 27
Täglich ab 21 Uhr
Programm unter www.monofaktur.info

 


]]>

 

zurück zur Startseite von Jörg Auf dem Hövel mit weiteren Rezensionen, Interviews und Artikeln

 

Kategorien
Cannabis Interviews

Ein Interview mit Jerry Beisler über den Haschisch-Trail und darüber hinaus

HanfBlatt, Nr. 105

Der Bandit von Kabul

Ein Interview mit Jerry Beisler über den Haschisch-Trail und darüber hinaus

Der Autor und Dichter Jerry Beisler hat kürzlich ein sehr schönes autobiographisches Buch vollendet, in dem er von seinen Erfahrungen in den Siebzigern berichtet. Er stieß in Kabul/Afghanistan zum berüchtigten Haschisch-Trail, exportierte Tibetanische Teppiche aus Kathmandu, baute in Kalifornien Marijuana an, promotete als Freund die Musik von Jerry Garcia, Jefferson Starship, Santana, Fleetwood Mac, David Crosby, Taj Mahal und der Mike Bloomfield Band und so weiter. Für Old-School-Hanf-Aficionados sind die Erinnerungen ein Lesevergnügen, in das abzutauchen Spaß bringt. Im gleichen Atemzug sind sie ein einzigartiger, dabei auch repräsentativer Teil der kollektiven Erinnerungen dieser für die Entwicklung der internationalen Gegenkultur so wichtigen aber nun mehr längst vergangenen Zeit. Eine Fülle von Schnappschüssen aus dem Hippie-Leben bieten zusätzlichen Augenschmauß. Ich überraschte Jerry während des Aktes: Er schreibt an drei weiteren Büchern, die sich mit den Sechzigern beschäftigen („Hoosiers and Hippies“), den Achtzigern („Cocaine Cowboys“) und – erraten – den Neunzigern („Paradise, Pain and Production“). Er nennt diese Serie „As the Prayer Wheel Turns“. Was mich betrifft muss ich die Gebetsmühle im Namen des Hanfblattes stoppen, um ihm, auch wenn in seinem Buch „The Bandit of Kabul“ mehr steckt als faszinierende Dope-Stories, ein paar bohrende Fragen von besonderem Interesse für unsere wissbegierige Leserschaft zu stellen.

Hanfblatt: 1971, in den Zeiten vor Handy, Internet, Walkmen und globalem Satelliten-Fernseh-Overkill selbst im abgelegensten Dorf, hast Du die USA verlassen, um dich mit deinen Freunden auf dem bereits etablierten sogenannten Hippie- oder Hashish-Trail zu treffen, dem magischen Pfad von Europa durch die Türkei, den Iran, Afghanistan und Pakistan nach Goa in Indien und Kathmandu in Nepal und darüber hinaus zu vielen anderen Plätzen Asiens. Was war dein Beweggrund?

Jerry Beisler: Der sich entwickelnde Polizeistaat in den USA. Meine Freunde und ich waren gegen den völkermörderischen Krieg, der in Vietnam tobte. Wir kamen aus der politisch aufgeladenen Bürgerrechtsbewegung und waren Ziele für inszenierte Razzien gewesen. Im „Bandit von Kabul“ kulminiert diese Unterdrückung in einer Massenverhaftung, die sich gegen Anwälte richtete, die Kriegsdienstverweigerer und Cannabisfälle verteidigten. Wenn die Regierung anfängt, Rechtsanwälte anzuvisieren und einzuschüchtern, bleibt friedliebenden Menschen keine Verteidigung mehr übrig. Sein Land zu verlassen und ins Exil zu gehen war über Jahrhunderte hinweg die einzige Wahl, wenn Tyrannei regiert.

Hanfblatt: Was für Menschen hast Du auf dem Haschisch-Pfad getroffen? Wie würdest Du die Szene beschreiben?

Jerry Beisler: Es hing davon ab, ob du beispielsweise mit dem Red-Eye-Charterflug billig über Island oder Frankfurt anreistest oder auf dem Weg in die Hände eines verzweifelten Diebes oder eines korrupten Zöllners fielst. Auch, ob du krank wurdest oder tödlich erkranktest, war häufig reine Glückssache. Das gesagt, überlebten die, die etwas über Tibetische und Ayurvedische Medizin lernten, drei Pfeifen rauchten anstatt drei Tage in einer Opiumhöhle abzuhängen und darüber hinaus geschäftstüchtig etwas ins Laufen brachten.
Die Szene war ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Es gab kreative Leute, die großzügig gaben, wohltätige Geister, die ihren Weg in Waisenhäuser und Flüchtlingslager fanden. Andere liefen in die Arme von Gurus, begannen spirituelle Lebensweisen oder begaben sich auf hochabenteuerliche Bergwanderungen, Flussfahrten oder die wildesten, verrücktesten und gefährlichsten Busfahrten, die man sich vorstellen kann. Einige Leute rauchten Dope, blieben im Hotelgarten und genossen Tee und Philosophie. Das Beste an „der Szene“ war, dass Alle Reiseerfahrungen und Informationen über die lokale Politik oder Geschichte austauschten und sich generell an der Anwesenheit der Anderen erfreuten, unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Background. Junkies sind eine Szene und ein Kapitel für sich. Das kann jemand anderes schreiben.

Hanfblatt: Durch welche Art von Unternehmungen schafften es die Leute auf dem Trail zu überleben?

Jerry Beisler: Amsterdam war so ein Geldmagnet, dass es alles verschlang. Einige Leute zogen ausschließlich aus diesem Markt Vorteile. Im „Bandit von Kabul“ beschreibe ich ein Hotel in Indien, das 60 Räume hatte. In jedem Raum wurden Koffer mit falschen Böden präpariert, um sie mit Haschisch hauptsächlich aus Kashmir, Manali und Nepal speziell für den Schmuggel nach Amsterdam zu präparieren. Es gab allerdings auch noch andere Märkte. Andere handelten mit Antiquitäten, Schmuck und Teppichen. „Der Bandit von Kabul“ dokumentiert, dass die schräge Wirtschaftspolitik verschiedener asiatischer Länder in bizarrer Weise Geschäftsmöglichkeiten schuf. Zum Beispiel Indira Gandhi, Herrscherin Indiens in den Siebzigern, verbot zu einem bestimmten Zeitpunkt Gold. Inder lieben Gold. Man stelle sich die finanziellen Möglichkeiten vor, die sich dadurch boten, dass Indien von Ländern umgeben war, in denen Gold reichlich und legal vorhanden war.

Hanfblatt: Du hast dich mit deiner Freundin in Kabul niedergelassen. So wie Du es beschreibst, muss Afghanistan in jenen Tagen ziemlich gefährlich gewesen sein. Die Leute waren nicht an westliche Menschen gewöhnt und noch weniger an Hippies und ihre freiheitsliebenden Frauen. Was war die Faszination von Afghanistan in den frühen Siebzigern?

Jerry Beisler: Freiheit. Pure unverschnittene Freiheit. Zusätzlich war ich ein Pferdenarr. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr geritten. Wie ein Fußballer in Europa in der Weltmeisterschaft mitspielen möchte, wollte ich mit den großen Reitern der Steppe reiten. Ökonomische Freiheit. Der Geldmarkt hatte 95 lizensierte Händler, die für eine kleine Gebühr jede Währung der Welt gegen jede andere tauschten. Für einige der kleinen abgeschiedenen Länder der Welt brauchte es ein oder zwei Tage, aber es war Geld gegen Geld. Außerdem waren die Reisenden, die sich nach Afghanistan hingezogen fühlten und keine Junkies waren, körperlich auf der Höhe und intelligent. Sogar das Botschaftspersonal und die Afghanischen Beamten waren angenehm. Alleinreisende Frauen waren in den beiden weltoffensten Stadtteilen von Kabul-Stadt absolut sicher. Überall sonst im Land war es geschlechtsunabhängig, Hund frißt Hund, Überleben des Stärkeren.

Hanfblatt: Du wurdest Teil von einigen Haschischschmuggel-Aktionen. Der berühmte Schwarze Afghane wurde zum boomenden Dope-Markt in den liberalen Niederlanden geschafft. Was war das Geheimnis einer erfolgreichen Haschischschmuggel-Operation in dieser Zeit?

Jerry Beisler: Diplomaten und ihre unmittelbaren Günstlinge. Königliche Lizenzen in Großbritannien. In den USA waren es Zollspeicher. Nichtsdestotrotz braucht man Leute mit Mut und Integrität um den wichtigen Schritt von den verzweifelten Farmern in die Umgebung eines asiatischen Flughafens zu machen. Der kleine Sprung von irgendeinem abgelegenen Bergdorf über den Khyber-Pass oder die Berge runter von Manali trennt den Mutigen vom Hochmütigen.

Hanfblatt: Welche Art von Operationen waren zum Scheitern verurteilt?

Jerry Beisler: Alle Schmuggelaktionen, die ein Tier mit einschlossen. Leute versuchten Käfige voller Haschisch für alle möglichen Tiere dieses Planeten zu bauen, so scheint es. Sie schickten Durchfall-gebeutelte, finanziell abgebrannte weibliche „Mulis“ mit henna-rotgefärbten Haaren auf jeder Billigairline los, die noch einen freien Sitzplatz hatte. Das hat sicherlich einen komischen Aspekt, unter dem all die durchgeknallten gescheiterten Ideen zu einem Film verarbeitet werden könnten.

Hanfblatt: Du hast auch die Installation der wahrscheinlich ersten Hasch-Honigöl-Produktionsanlage in Afghanistan mitgekriegt. Kannst Du uns darüber etwas berichten?

Jerry Beisler: Die Ladaine-Kommission in Kanada hatte 1968 einen Nationalen Bericht zur Cannabisforschung herausgegeben. Sie publizierten jedes Fünkchen vorausgegangener Cannabisstudien, pharmazeutischer Verkäufe und medizinischer Anwendungen, die gedruckt worden waren. 1923 und 1924 hatten zwei große Amerikanische Firmen per Postversand bestellbar eine Haschischöl-Tinktur im Angebot. Durch den Ladaine-Report wurde ich auf Hasch-Öl aufmerksam. Ich wurde in Afghanistan einfach darin involviert als der Erste, der es ohne eine richtige Ahnung für eine Vermarktungs- oder Geschäftsstrategie wiederbelebte. Ich dachte, gelagerte Flaschen goldenen Öls würden nicht viel anders sein als feiner Wein in einem Keller. Eines Tages wollte und nahm jemand die Idee und sie pumpte Geld und Arbeit in eine lokale Ökonomie, die in großer ökonomischer Not war.

Hanfblatt: Eine eigenartige Sache für ältere Europäer ist, dass Du Marijuana gegenüber Haschisch bevorzugtest. Du hast in Kabul sogar einen Gärtner angestellt, um dir einen Bestand an Acapulco Gold zu pflanzen. Kannst Du erklären warum? Wie entwickelte sich das Grass unter Afghanischen Bedingungen? Hast Du Kreuzungsexperimente gemacht?

Jerry Beisler: Keine Zuchtexperimente an sich. Akmed Ahmen war ein Marokkanischer Lieferant von Cannabisprodukten für die Rockstars Pete Townsend, Jim Hendrix, Keith, Mick und Brian Jones von den Rolling Stones. Akmed hatte große Schwarzweiß-Fotos von jedem von ihnen, wie sie im Garten seines Wohnhauses in Tanger rauchen. Im selben Haus überzeugte mich Akmed, dass Haschisch zu stark sei um es außer bei seltenen Gelegenheiten zu benutzen. Ich folgte seinem Ratschlag. Alle Grass-Samen, die ich oder irgendjemand von denen, die ich kannte, in einem anderen Klima oder Kontinent anzubauen versuchten, so die einhellige Meinung, entwickelten sich dürftig im ersten Jahr, passten sich dann aber klimatisch an und gediehen.

Hanfblatt: Zurück in den Bergen von Kalifornien fingst Du an Marijuana anzubauen und wurdest Teil der aufblühenden Homegrowing-Industrie. Aber zunächst war es nicht einfach, Dein Selbstangebautes zu verkaufen. Wie hast Du es geschafft, potentielle Kunden für dein Produkt zu interessieren?

Jerry Beisler: T-Shirts mit Slogans wie „Sweet and Spicy“ oder „Grown 1000 meters up in the Flavor Zone“. Ich gab sie als Erinnerungsstück zu jedem Kauf dazu, und sie wurden auf ihre Weise Sammlerstücke. Im Nachhinein amüsant ist, dass die Grower-Szene so paranoid war, dass es schwierig war einen T-Shirt-Produzenten zu finden, der bereit war, Shirts mit der Abbildung von Buds zu fabrizieren. Man stelle sich vor, davor Angst zu haben, für eine Zeichnung eingesperrt zu werden.

Hanfblatt: Welche Samensorten hast Du in den Siebzigern benutzt? Hast Du Kreuzungsversuche gemacht?

Jerry Beisler: Im „Bandit von Kabul“ dokumentiere ich einige der Sorten, die daraus entstanden Thai, Afghan, Sumatran, Mexican und Kreuzungen zu vermischen. Ich hab es mehr aus persönlicher Neugier gemacht, als aus irgendeiner Art wissenschaftlich botanischem Interesse heraus.

Hanfblatt: Warum hast Du 1981 mit dem Anbau aufgehört?

Jerry Beisler: Der Amerikanische Präsident Reagan erklärte den „War on Drugs“, im wahrsten Sinne des Wortes. Flugzeug- und Hubschrauber-Überwachung über privatem Eigentum und aus niedriger Höhe begannen, was den Verlust eines weiteren Bürgerrechts bedeutete. Obendrein begann die Bundespolizei mit Beobachtungen und Festnahmen rund um Gärtnereibedarfsläden.

Hanfblatt: Was wurde aus der Hippie-Bewegung, wie ich die nicht-dogmatische Gegenkulturbewegung der Sechziger und frühen Siebziger einmal nennen will? Warum ist sie zu Ende?

Jerry Beisler: Viele der Überlebenden kämpfen immer noch für die gute Sache. Die Hippies haben in zehn Bundesstaaaten das Recht Marijuana medizinisch zu nutzen erkämpft. Sie haben die grüne Bewegung vorangebracht und waren an vorderster Front in der ökologisch verträglichen Landwirtschaft. Das sickert durch zur nächsten Generation, zumal sie jetzt angefangen haben zu fordern, den Schulkindern weniger Zucker und schlechte Fette zuzuführen. Obwohl zehn Staaten cool sind, gibt es dafür zehn mehr, die einem für zehn Gramm zehn Jahre Knast geben. Um also die Frage zu beantworten: Sie ist nicht zu Ende.

Hanfblatt: Im Rückblick scheinen die Hippies subjektiv viel mehr die Speerspitze der Avantgarde gewesen zu sein als die engstirnigen politischen Dogmatiker dieser Zeit. Welche Art der Veränderungen, die immer noch nachwirken, würdest Du der Hippie-Generation zuschreiben?

Jerry Beisler: Rassische und religiöse Toleranz wurde erweitert. Der Kampf Mutter Erde davor zu bewahren durch Pestizide, Verschmutzung und Ausplünderung der Meere zerstört zu werden begann. Ich glaube, die nachhaltigste Idee wird die sein, dass im Gegensatz zu vergangenen Generationen, die an kleine beschränkte Definitionen der menschlichen Existenz glauben wollten, die Hippies an das Wachstum des menschlichen Verstandes und Bewusstseins glaubten.

Hanfblatt: Danke für die Beantwortung der Fragen. Und selbstverständlich werde ich es den Lesern überlassen, die wahre Identität des Banditen von Kabul herauszufinden.

Jerry Beisler: Peace, ich danke euch.

Das Buch:

Jerry Beisler
„The Bandit of Kabul“
Regent Press, Oakland, California, USA 2006
Pb., 251 pp., many black&white photos
ISBN 1-58790-094-7
29.95 US-Dollar

Kategorien
Mixed

Das Pokerfieber grassiert – Warum Pokern zum Volkssport aufsteigt

telepolis, 18.01.2007

Warum Pokern zum Volkssport aufsteigt

Unangenehmes Gefühl, sich einem Anbieter von Online-Poker anzuvertrauen. Egal. Alles geht sehr schnell. Warum verlassen jetzt alle den Tisch? Ich hatte gerade zweimal hintereinander 30 Cent gewonnen. Und das mit relativ schwachen Blättern. Ein neuer Tisch muss her. Kein Problem, es sind knapp 15 Tausend Spieler online. Und das nachmittags um drei Uhr. Am nächsten Tisch sitzen zehn Spieler, da kommen schnell mal sechs Dollar im Pott zusammen. Pedrofino46 verlässt den Tisch, nachdem er zwei Dollar gegen mein 10er Pärchen verloren hat. Die Karten sind mir hold, ich setzte nur bei guten Blättern und gewinne innerhalb von einer halbe Stunde 14 Dollar. Große Sache.

Pokern ist beliebt. Bei Stefan Raab zocken die Promis, James Bond spielt in „Casino Royale“ nicht mehr Baccarat, wie in der ursprünglichen Geschichte von Ian Fleming, sondern pokert den Bösewicht in Grund und Boden, DSF überträgt ganze Turniere. Jetzt ist die Sportwettenfirma bwin (1) mit einer Casinolizenz aus Gibraltar ins Geschäft eingestiegen und Anbieter aus den USA drängen auf den europäischen Markt. In Deutschland grassiert das Poker-Fieber.

Am besten nachweisen lässt sich der Hype bei den Zubehör-Händlern, Vereinen und Online-Casinos. „Wir haben 2006 unseren Absatz im Segment Pokern mehr als verfünffacht“, bestätigt der Geschäftsführer der Altenburger Spielkartenfabrik, Peter Warns. Im Weihnachtsgeschäft waren Poker-Koffer mit Kartenspiel und Chips einer der Verkaufsschlager im Einzelhandel.

Lizenz zum Gelddrucken

Die German Poker Player Association (2) veranstaltet Turniere in ganz Deutschland, monatlich nehmen hier mittlerweile über 5.000 Spieler und Spielerinnen teil. Auch die staatlich lizenzierten Casinos veranstalten regelmäßig Pokerevents. Wo früher ein Turnier die Woche ausreichte, gehen heute an vier Abenden in der Woche Chips über den Tisch. Am 15. Januar 2007 startet die offene deutsche Pokerliga (3) mit einem Qualifikationsturnier in die erste Saison. Gewonnen werden können hier nur Sachpreise.Pokercards

Beim großen Online-Pokeranbieter Partygaming (4) geht es um mehr. Hier sind zeitweise über 70.000 Spieler auf den Servern eingeloggt, die um teilweise hohe Summe pokern. Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen alleine in der Pokersparte über 800 Millionen Dollar um, das meiste davon in den USA. Die Firma Pokerstars (5), über den Ableger PartyPoker einer der Hauptsponsoren vieler deutscher Pokerevents, gilt als eine der weltweit größten Glücksspielfirmen in privater Hand. Aufgrund der heiklen Rechtslage ist das Geschäftsmodell verzweigt: Pokerstars ist in Besitz einer Holding aus Costa Rica, Rational Enterprises, der Hauptsitz ist allerdings auf der Isle of Man in der irischen See. Das sichert Steuervorteile. Um auch in Übersee agieren zu können hat man sich eine Online-Glückspiel-Lizenz aus dem Kahnawake-Indianerreservat in der Nähe von Québec, Kanada, beschafft. Das dortige Rechenzentrum hostet diverse Gambling-Provider. Die Indianer pochen auf ihr Recht auf Autonomie, die kanadischen Behörden beäugen die Aktivitäten kritisch, zudem wächst der Druck aus den USA.

Dort sind die goldenen Zocker-Zeiten seit Oktober 2006 vorbei. Im Rahmen des SAFE Port Act (6) (H.R.4954) wurde der UIGEA (Unlawful Internet Gambling Enforcement Act) verabschiedet, danach sind keine finanziellen Transaktionen von US-Konten zu Online-Casinos mehr erlaubt. Die Folge: Spieler und Anbieter zieht es in die alte Welt.

In Deutschland lässt bwin keine US-Bürger an den Tisch. Gleichwohl wird in Dollar abgerechnet. Der Umsatz innerhalb eines Quartals stieg 2006 von 1,9 auf 2,7 Millionen Euro. Alles in allem soll die Poker-Branche in Deutschland im Jahre 2006 über 23 Millionen Euro umgesetzt haben, das Wachstum wird auf 50 Prozent geschätzt. Die virtuellen Pokerräume verdienen ihr Geld, indem sie von jedem gespielten Pot einen kleinen Betrag einbehalten, in der Regel fünf Prozent.

Poker in Brüssel

Das Treiben spielt sich vor dem Hintergrund einer unsicherer Rechtslage ab. Glücksspiel ist in Deutschland nur in lizenzierten Casinos erlaubt, das Onlinepokern ist demnach illegal. Jeder, der ein Glücksspiel mit Geldgewinnmöglichkeit ohne Lizenz öffentlich anbietet, macht sich strafbar. Doch die virtuellen Spielstätten haben ihren Geschäftssitz im Ausland. Noch hat keiner versucht sie zu zwingen, keine Spieler aus Deutschland mehr anzunehmen.

In den Poker-Foren wird nun diskutiert, wie es mit Pokern und dem staatlichen Glücksspielmonopol weitergehen soll: Ist Poker überhaupt ein Glücksspiel? Trotz der möglichen Minimierung des Faktors Glück durch Erfahrung, Finesse und Taktik obliegt die Verteilung der Karten naturgemäß Fortuna. Gleichwohl stellt sich ein Phänomen ein, das von Skat und Backgammon bekannt ist: Auf lange Sicht gewinnt der bessere Spieler. Nur will natürlich niemand zugeben, dass er kein guter Spieler ist.

Schon melden sich daher die auf den homo ludens spezialisierten Suchtforscher zu Wort. Mit dem Hype, so die wohl folgerichtige Annahme, wird auch die Zahl derer steigen, die mit der Droge Poker Probleme kriegen. Nur Laien wundern sich darüber, dass der Staat sich in Doppelmoral verstrickt, indem er einerseits vor Glücksspiel warnt, andererseits daran verdient. Dies ist bei Tabak- und Alkohol nicht anders.

Die Branche hilft sich derweil mit Sachpreis-Turnieren, für ein Full House gibt es vorerst nur Kassler und Handkreissägen. Man hofft auf Brüssel, denn dort wird entschieden, ob das deutsche Glücksspielmonopol mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. „Es wäre nicht der erste Fall, bei dem Europa seine Befugnisse klar und deutlich demonstriert“, sagt Markus Maul vom Verband Europäischer Wettunternehmer (VEWU).

Privatsache

Ehrlicher als bei anderen TV-Ereignissen zeigt Pokern, worum es den Beteiligten geht: Geld. Und offener als bei anderen „Sportarten“ ist der finanzielle Aspekt deutlich zu sehen. Neben dem Bluff ist es vor allem das stets sichtbare und greifbare (Spiel-) Geld, das den Reiz von Poker ausmacht. Zudem umweht die Beteiligten ein Hauch von „Jedermann“. Es scheint, als ob wirklich jeder die Spielregeln begreifen kann. Der Rest ist dann Chuzpe. Dass die Sendungen im TV so gut ankommen, liegt auch an der Einführung der Unterglastisch-Kameras und der Einblendung der Wahrscheinlichkeiten für die vorliegenden Blätter. Der Zuschauer weiß mehr als alle am Tisch.

Die populärste Pokervariante ist Texas Hold’em. Dabei werden fünf Karten vom Kartengeber offen aufgedeckt. Vorher erhält jeder Spieler zwei verdeckte Karten, die er mit Karten aus den fünf offenen zu einer Hand aus fünf Karten kombinieren kann – die beste Kombination gewinnt.

In kleinen Privatrunden zeigt Pokern schnell die Grenze der Freundschaft auf. Wirklich spannend empfinden viele das nämlich Spiel erst, wenn die Chips reale Euros repräsentieren. So gehen am Abend schnell 20 Euro, gerne aber auch mal 100 Euro verloren. Und während die Skatkasse am Ende des Jahres gemeinsam versoffen wird, sind Pokerschulden sofort zu begleichen. Nach der Pokerweisheit, dass man nicht die Karten, sondern den Gegner spielt, herrscht gespannte Beobachtungs-Atmosphäre. Bunte Abende, an denen am Tisch munter gelacht wird, sind unter diesen Bedingungen selten. Spinnt man diesen Gedanken weiter, ist Pokern Private-Equity im Kleinformat, der Einsatz kurzweilig angelegtes Risikokapital, die Beteiligten spielen für einen Abend Heuschrecke. Das kann man mögen, besonders lustig ist es auf Dauer nicht.

Das Fernsehen versucht derweil, aus den professionellen Kartenhaltern echte Stars zu machen. Der pöbelnde Australier Toni G, der stets Wert auf die Feststellung legt, sein Land zu vertreten, der coole Libanese Sam Farha, der aufgrund des Rauchverbots immer mit trockener Zigarette auftritt. Und natürlich der Moneymaker, dessen Traumsieg bei der World Series of Poker 2003 vielen als Vorbild gilt. Er qualifizierte sich über das Internet und gewann nach einem Turnier-Marathon gegen mehr als 800 Gegner 2,5 Millionen Dollar. Heute verdient er als Werbträger mehr. Vielleicht ist das die Nachricht, die für alle so verlockend ist: Mit Pokern kann jeder reich werden.
Links
(1) http://www,bwin.de/
(2) http://www.gppa.de/
(3)
(4) http://www.partygaming.com/
(5) http://www.pokerstars.com/
(6) :

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24412/1.html

 

Kategorien
Rezensionen

Rezension Franjo Grotenhermen, Britta Reckendrees: Die Behandlung mit Cannabis und THC

HanfBlatt Nr. 106

Guter Rat nicht teuer

Es ist erfreulich: Während in der Drogenpolitik quälende Langsamkeit beim Umdenken herrscht, schreitet die Diskussion um Cannabis als Medizin voran. Nachdem die Wirksamkeit von THC und den Cannabinoiden bei unterschiedlichsten Krankheiten bewiesen wurde und immer mehr Menschen sich zutrauen, trotz der unsicheren Rechtlage, Hanf als Heilmittel zu benutzen, war es an der Zeit für einen praktischen Ratgeber, der die medizinischen Möglichkeiten mit Tipps für die Praxis verbindet. Der wohl führende Experte zum Themenkreis, Franjo Grotenhermen, hat nun zusammen mit Britta Reckendrees dieses Buch geschrieben und damit eine wichtige Lücke geschlossen.

Die Autoren klären zunächst ab, bei welchen Krankheiten der Einsatz von Marihuana, Haschisch oder einem THC-haltigen Medikament wie Dronabinol überhaupt in Frage kommt. Sodann werden die rechtliche Lage, die Arzt-Patient-Beziehung und die Möglichkeiten der Kostenübernahme für Dronabinol durch die Krankenkassen erläutert.

Es folgt ein Kapitel über Dosierung und Nebenwirkungen. Vermissen tut man darin eine ausführliche Unterscheidung der Verträglichkeit der unterschiedlichen Zuführungs- und Zubereitungsformen. Beispiel: Bei welcher Krankheit bietet sich welche Darreichungsform (Kraut oder Dronabinol, oral oder inhaliert) an? Wenn es hier überhaupt verallgemeinerungsfähige Erfahrungswerte gibt, dann gehörten sie in einen solchen Ratgeber.

Nicht nur das Kapitel über die Nebenwirkungen zeigt: Cannabis kann bei vielen Krankheiten helfen, zum Teil fehlen aber Langzeitstudien oder gar überhaupt solide wissenschaftliche Erhebungen, um das Medikament THC oder die Blätter des Rauschhanfs endgültig in der Schulmedizin zu etablieren. Wieder einmal rächt sich der Bann, der lange Zeit über der Cannabis-Forschung hing.

Die Autoren beantworten im weiteren Verlauf des Buches die wichtigen Fragen zu Fahrtüchtigkeit und Führerscheinentzug bei (dauerhaften) Cannabiskonsum und geben Hilfestellung bei möglichen Komplikationen mit dem Arbeitgeber. Jedes Kapitel wird mit den nützlichen „Praxistipps“ geschlossen. Ein eigenes Kapitel führt übersichtsartig in Anbau, Ernte und Lagerung von Cannabis ein, ein paar Rezepte, Anlaufadressen und ein Register schließen das Buch ab.

Fazit: Komprimiertes Wissen zu fairem Preis. Für alle therapeutisch orientierten Cannabis-Anwender der zur Zeit beste Ratgeber zum Thema.

 

Franjo Grotenhermen, Britta Reckendrees:
Die Behandlung mit Cannabis und THC
Nachtschatten Verlag 2006
106 Seiten, broschürt
ISBN: 3-03788-147-X
EUR 10,80

 

Kategorien
Gesundheitssystem

Der Trend zum functional food zeigt die Virtualisierung der Ernährung und birgt mehr Risiken als Vorteile

Das Essen der Zukunft

Das Geschäft mit Lebensmitteln mit einem beworbenen Zusatzwert boomt. Joghurts mit Bakterienkulturen, cholersterinsenkende Margarinen, ACE-Fruchsäfte, jodiertes Speisesalz. Die Regale in den Supermärkten sind voll mit Nahrung, denen gesundheitsfördernde Substanzen beigemengt wurden. Der Markt wird weiter wachsen, schon in 2005 lag das Umsatzwachstum bei probiotischen Joghurts bei knapp 17 Prozent, im ersten Halbjahr 2006 bei über 12 Prozent. Weltweit werden jährlich rund 590 Millionen Euro für diese Milchmixprodukte ausgegeben.

Für die USA prognostiziert das Natural Marketing Institute (NMI) weiterhin riesige Wachstumsraten. Bis 2009 sollen im Sektor der funktionalen und ergänzten Nahrungsmittel jährlich knapp 60 Milliarden US-Dollar umgesetzt werden, Food-Design Experten wie Elizabeth Sloan propagieren den ungebrochenen Trend.

Noch ist der Anteil von „functional food“ an der täglichen Nahrung bei uns gering, er liegt bei unter drei Prozent. Heiko Dunstmann, Nahrungsergänzungsmittel-Experte an der Universität Weihenstephan, erwartet bis 2011 allerdings eine Verdoppelung. Beim Unilever-Konzern denkt man größer. Weil das Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung weiter steige, würden auch Mehrwert-Produkte eine immer größere Bedeutung erlangen. Parallel dazu, so nimmt man an, stehe der Konsument künftig noch mehr in Eigenverantwortung für seine Gesundheit. Der Sprecher des Unternehmens, Rüdiger Ziegler, sagt: „Wir erwarten, dass der Anteil an functional food bis 2010 auf einen spürbaren Anteil vom weltweiten Lebensmittelmarkt wachsen wird.“

Die Industrie lebt vom Schaffen neuer Bedürfnisse, im sensiblen Bereich der Fütterung einer bewegungsarmen Gesellschaft gelingt dies besonders gut. Das Marktforschungsunternehmen ACNielsen hat gerade durch eine Umfrage herausgestellt, dass schon heute über 41 Prozent der Deutschen dem Satz zustimmen: „Lebensmittel mit gesundheitsförderndem Zusatznutzen halte ich für eine gute Sache“. Dabei ist die positive Wirkung der frisierten Speisen umstritten, mehr noch, von manchen Zusatzstoffen gehen gesundheitliche Risiken aus. Und: Die designte Nahrung ist eine weitere Etappe auf dem Weg zur völligen Denaturierung menschlicher Kost.

„Aus Sch… Geld zu machen“

Die wohl bekannteste Funktionsspeise auf dem deutschen Markt ist der probiotische Joghurt. Nestle („LC1“), Danone („Actimel“), Müller Milch („ProCult“) und mittlerweile auch die Discounter-Märkte bieten Joghurts an, die mit Bakterienstämmen ergänzt wurden. Probiotika sind lebende Mikroorganismen, jeweils genau definierte, gezüchtete Stämme. Die Theorie: Diese Mikroorganismen sollen sich im Darm ansiedeln, das Immunsystem stimulieren und für eine bessere Verdauung sorgen. In der perestaltischen Praxis ist unsicher, wie viele der neuen Helfer tatsächlich im Darm ankommen.

Die Zeitschrift „Ökotest“ stellte bereits 1999 viel niedrigere Konzentrationen in Joghurts fest. Zudem überlebten nur zehn bis maximal 40 Prozent der Keime den Weg durch Magen und Galle, der größere Teil kam also gar nicht an.

Sind die probiotischen Joghurts also nur ein Marketing-Gag? Die Hersteller halten mit Expertisen dagegen. Im Nestle-Labor bei Lausanne hat man Jahre lang unterschiedlichste Bakterienarten überprüft und sich schließlich für die Sorte „Lactobacillus acidophilus“ entschieden. Eine Milchsäurebakterie, die im Darm heimisch ist und in dem Ruf steht das Immunsystem zu stärken.

Sie wurde von den Forschern ursprünglich aus menschlichen Fäkalien gewonnen wurde, ein Umstand, der den Lebensmittel-Experten Udo Pollmer („Lexikon der Ernährungsirrtümer) 1999 zu der Aussage brachte: „Womit es der Lebensmittelwirtschaft tatsächlich gelungen ist, aus Sch… Geld zu machen.“ Ob einige der aktuellen Keime noch immer aus Kot oder Vaginalabstrichen stammen oder künstlich hergestellt werden, vermag Pollmer heute nicht zu sagen, „auch wenn es naheliegen mag.“

Milchsäurebakterien wurden schon immer genutzt, um Joghurt herzustellen. Die heute zugefügten probiotischen Mikroben gehören verschiedenen Stämmen an, die Herstellern setzen auf eigene Entdeckungen, um dem „Innovationsprodukt 1995“ LC1 Marktanteile streitig zu machen. Müller arbeitet mit dem Bifidobakterium „longum BB 536“, die Firma Yakult mit dem „lactobacillus casei shirota“.

Noch fehlen Studien über die Langzeitwirkung, aber Nestle konnte nachweisen, dass beim tägliche Verzehr eines LC1-Joghurts über mehrere Wochen hinweg der Anteil dieser Bakterien um das Zehnfache wächst. Dadurch, so zeigten voneinander unabhängige Studien, können Durchfälle, die durch Rotaviren oder nach Antibiotikatherapie auftreten, kürzer dauern und seltener auftreten.

Lohnt der Kauf der teureren Produkte also? Ansichtssache: Schon der konventionelle Joghurt reduzierte die Dauer von Diarrhöen von 8 auf 5 Tage, der probiotische auf 4 Tage. (1)

Dauereinsatz

Mittlerweile hat sich die Erforschung der Probiotika auf Erkältungen ausgedehnt. Auch bei Infektionen der oberen Atemwege scheinen Probiotika positive Effekte zu zeigen. In einer Doppelblindstudie verkürzte die Anwendung eines probiotischen Keimgemisches die Erkältungsdauer um knapp zwei Tage, auch die Symptomatik wurde reduziert.(2)

Aber: Um den immunsteigernden Effekt der Mikroorganismen aufrechtzuerhalten ist eine dauerhafte Zufuhr nötig. Noch ist unklar, wie lange die probiotischen Keime im Darm überleben und welche Dosen für eine eventuelle Kolonisierung nötig sind. Um überhaupt einen Einfluss auf die Darmflora ausüben zu können müssen wahrscheinlich täglich 108 (10 hoch 8) quicklebendige Zellen aufgenommen werden. Das probiotische Lebensmittel muss also mindestens 106 (10 hoch 6) solcher Zellen pro Gramm oder Milliliter enthalten, wenn die erforderliche Bakterienmenge mit üblichen Verzehrsmengen verpeist werden soll. Und noch ein Problem stellt sich: Schon nach ein paar Tagen ohne probiotischen Joghurt normalisieren sich die hohen Werte an gesunden Bakterien wieder.

Sind damit auch die Gefahren ausgeschlossen? Zumindest sind Probiotika bei hoher Dosierung nicht ungefährlich. Zumindest die Hersteller von Probiotika-Kapseln müssen auf ihren Beipackzetteln vor möglichen Risiken warnen, denn bei Menschen mit empfindlicher Bauchspeicheldrüse, Galle und Leber sind Komplikationen möglich. (3)

Noch weitgehend unbekannt sind Wirkmechanismus und Pharmakokinetik der Probiotika. Udo Pollmer sieht den Hype um die Bio-Kulturen kritisch: „Die Versuche, die Darmflora gezielt zu verändern, muten etwas seltsam an, wenn man bedenkt, daß deren genaue Zusammensetzung immer noch unbekannt ist.“ Eine generelle positive Bewertung von Probiotika ließe sich nicht vornehmen, die Effekte seien immer nur für einen oder wenige Bakterienstämme nachgewiesen.

Jürgen Schrezenmeir von der Bundesanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Kiel beurteilt die Datenlage insgesamt dagegen als so überzeugend, daß er zu einer präventiven Einnahme von Probiotika rät: „Es spricht vieles für eine Empfehlung“, erklärte Schrezenmeir 2005, allerdings bei einer Veranstaltung des „Instituts Danone für Ernährung“ in Stuttgart.

So kompliziert wie möglich

Den nächsten Schritt Richtung weitgehender Denaturierung der Nahrung ging 2004 Benno Kunz an der Universität Bonn. Er und sein Team von Lebensmitteltechnologen verpackten Milchsäurebakterien in sogenannte Mikrokapseln. Darüber gelangen die Probiotika unbeschadet durch die Magensäure hindurch in den Darm, wo sie ihre Wirkung entfalten können. Mit der Erfindung können künftig auch andere Produkte mit Probiotika aufgepeppt werden, zum Beispiel Wurst oder Gummibärchen. Im baden-württembergischen Ellwangen steht beim Chemieunternehmen Rettenmaier & Söhne bereits eine Produktionsanlage, die das Verfahren zur Herstellung von mikroverkapselten „Lactobacillus reuteri“-Bakterien nutzt.

Die Diskussion um die probiotischen Zusätze lässt sich auf andere Substanzen übertragen, die ihren Weg vermehrt in die Lebensmittel finden. Die Idee, Nahrung pharmazeutisch aufzupeppen, ist zwar nicht neu, wurde aber in den letzten Jahren perfektioniert. Bis vor zehn Jahren ging es noch um einzelne Anreicherungen, beispielsweise reicherte man Orangensaft mit Calcium an. Heute landen eine Vielzahl von Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien in allmöglichen Produkten. In den USA gibt es inzwischen kaum mehr ein industriell verarbeitetes Nahrungsmittel ohne diese „Zusätze“.

Für die industriell ausgefeilte Nahrungsmittelindustrie wird die unbehandelte Kartoffel vom Feld immer mehr zum Greuel, suggeriert sie doch, dass man auch ohne Zusatzstoffe gesund und preiswert leben kann. Aber genau dies ist möglich, nur wird es von den Apologeten der funktionellen Ernährung gerne verschwiegen. „Gute Nahrung“ muss für sie möglichst lange chemischen Prozessketten durchlaufen, nur dann wirkt sie „optimal“.

Soylent Green?

Damit stehen sie in zwei althergebrachten Traditionslinien, die zunehmend kritisch gesehen werden. Zum einen in der Tradition den Menschen als Maschine anzusehen, der nur etwas eingeworfen werden muss, um eine beliebige Funktion in Gang zu setzen. Zum anderen in der Tradition einer industrialisierten, pestizidkonformen Landwirtschaft, die in dem Ruf steht, die Grundlage ihrer Produkte, die Natur, durch unbedachten Umgang zu zerstören und zudem Nutztiere unter zumindest seltsamen, oft aber auch einfach erschreckenden Bedingungen hält. Selbst glückliche Bio-Kühe auf grünen Almen werden in kurzen Abständen neu geschwängert, um Milch zu geben.

Überzeichnet dargestellt sorgt eine hochtechnisierte Weiterverarbeitung in den Fabriken dafür, jeden verbliebenen, naturnahen Inhaltsstoff aus Milch, Frucht und Gemüse herauszuprügeln, um ein gleichförmiges Einheitsprodukt zu garantieren. Während in Halle 1 das Gut durch mechanische Behandlung und chemische Bäder gereinigt, separiert und purifiziert wird, soll in Halle 2 dem entleerten Produkt wieder eine Seele eingehaucht werden, indem allerlei Substanzen beigefügt werden.

Mancher Erdbeerjoghurt hat nur den Bruchteil einer Erdbeere gesehen und erhält seinen Geschmack durch australische Holzspäne und seine Konsistenz durch Emulgatoren. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Hinter allem steht der von Industrie und vielen Verbrauchern gleichermaßen getragene Irrglaube, man könne Nahrungsmittel immer billiger herstellen, ohne das sie dabei an Güte zu verlieren. Aber in die Einsicht dieses sauren Apfel will kaum einer beißen.

So wird es bei dem Trend bleiben „unser täglich Brot“ als Optimierungsspielwiese zu betrachten, um ungeahnte Konsumentenwünsche zu erzeugen. Pillenaffinität und Wissenschaftsgläubigkeit geben den Weg zur Durchdringung der alltäglichen Lebensmittel mit Zusätzen frei. Mit der Gesundheitsangaben-Verordnung der EU (siehe „Wucht und Wahrheit in Tüten„) ist es einem Hersteller bald erlaubt darauf hinzuweisen, dass sein Lebensmittel das Risiko an einem bestimmten Gebrechen zu erkranken senkt. Die Unterschiede werden fein: Es bleibt dem Hersteller weiterhin verboten, sein Produkt als Heilmittel von Krankheiten zu bewerben.

Zutat oder Marginalie?

Für das „functional food“ wird das eine neue Zeit einläuten. Ein durch EU-Experten bestätigter, gesundheitlicher Zusatznutzen, der offen beworben werden kann, wird Heerschaaren von Wissenschaftler im Auftrag der Konzerne auf die Suche nach immer neuen Lebensmittelzusätzen gehen lassen, die möglicherweise das Risiko senken, zu einer bestimmten Krankheit zu erkranken. Vorbild für die EU sind die Regularien der amerikanischen FDA (Food and Drug Administration). In den USA wird die Liste mit den angeblich gesunden Inhaltsergänzungsstoffen immer länger.

Angelika Michel-Drees vom Verbraucherzentrale Bundesverband ist daher besorgt, dass zukünftig Lebensmittel mit einem ungünstigen Nährstoffprofil zu functional food und somit als gesund ausgelobt werden können. „Süßigkeiten, Knabberartikel und zuckerhaltige Getränke sollten beispielsweise nicht durch Anreicherung und entsprechender Auslobung ein gesundes Image verliehen werden können.“ Die angereicherte Produkte würden auch „nicht automatisch gesünder machen“, so Michel-Drees, „denn sie können möglicherweise eher Ernährungsfehlverhalten und sonstige falsche Lebensgewohnheiten noch fördern.“

Neben den Probiotika sind es vor allem Vitamine, die Produkten beigemengt werden. Sie werden von Pharma-Konzernen wie BASF und DSM hergestellt und vertrieben. Der beliebte ACE-Vitaminmischung landet in Fruchsäften. In Deutschland hat das Bundesinstitut für Risikobewertung zwei Publikationen herausgegeben, in denen die toxikologischen und ernährungsphysiologischen Aspekte der Verwendung von Vitaminen und Mineralstoffen in Lebensmitteln erläutert werden.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sieht den chemischen Zauber nicht gerne, ihr Fazit: Wer sich vernünftig ernährt (und natürlich an die Richtlinien der DGE hält) braucht nur in Ausnahmezeiten wie der Schwangerschaft eine Extra-Portion irgendwelcher Vitamine.

Gehen Nahrungsergänzungsmittel und „functional food“ also weithin am tatsächlichen Bedürfnis der Menschen vorbei und tragen eher zur degenerierten Esskultur bei anstatt sie zu verbessern? Einige Ernährungsexperten äußern die Vermutung, dass die angereicherte Nahrung ohnehin nur der Gewissensberuhigung dienen. Mit einem probiotischen Joghurt pro Tag und ein paar Vitaminpillen würde versucht, den ansonsten ungesunden Lebenswandel wett zu machen. Dabei ist die Lösung aus dem Dilemma von schlechter Ernährung und Verfettung vergleichsweise einfach: Regelmäßige Bewegung und naturnahe Produkte, maßvoll genossen. Und am Ende der Diskussion um Probiotika und andere Zusätze in „funktionellen“ Lebensmitteln stellt sich heikle Frage: Wenn mit solchen Zutaten tatsächlich Krankheiten behandelt werden können, handelt es sich dann nicht doch um Medikamente?

— — —

Endnoten:

(1) Ärzte Zeitung v. 30.08.2005.
(2) M. de Vrese u.a. (2005): Effect of Lactobacillus gasseri PA 16/8, Bifidobacterium longum SP 07/3, B. bifidum MF 20/5 on common cold episodes: a double blind, randomized, controlled trial, in: Clinical Nutrition, Nr. 24, S. 481-491.
(3) Catanzaro, J.A.; L. Green (1997): Microbial ecology and probiotics in human medicine (part II). Alt. Med. Rev. 2: S. 296-305.