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Cognitive Enhancement Übermensch

Einleitung zum Telepolis Übermensch Blog – Projekt Übermensch: Upgrade ins Nirvana

Einleitung zu einem neuen Telepolis-Blog am 21.11.2007

Projekt Übermensch: Upgrade ins Nirvana

Jörg Auf dem Hövel

Robotik, Neuro-Implantate, Hirn-Enhancement, Gentechnik: Wohin führt das?

Zwang und Lust an Vervollkommnung der eigenen Person sind uralt, evolutionär zunächst dem Überleben dienend wurde Erkenntnis zum Kulturgut. Schon die frühen Werkzeuge erweiterten den allgemeinen Handlungsraum des Menschen. Interessant wurde es immer dann, wenn die Werkzeuge inkorporiert wurden, denn dann stand Integrität und Wesensnatur auf dem Spiel.

Krücke, Holzbein und Brille sind frühe Prothesen, ihre Linie verlängert sich bis zu den chipgesteuerten Hochleistungsprothesen bei den heutigen Paralympics. Früher waren Prothesen und Implantate schlechter Ersatz, nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis eine Prothese oder ein Implantat zum Ausschluss eines Sportlers bei einem Wettbewerb führen wird (Wann ist ein Mann ein Mann?). Der rasante technische Fortschritt, Rechenkapazität gepaart mit Miniaturisierung, ermöglichen den Einzug der Technik in den Körper. Ein wunderbares Beispiel dafür, vor welchen Aufgaben die Sportethik zukünftig stehen wird.

baumkroneCochlea-Implantate übernehmen das Ohr, andere zentrale Funktionen des Körpers werden folgen. Teile der KI-Gemeinde träumen schon jetzt von der Übernahme höherer kognitiver Funktionen. Aber der Künstlichen Intelligenz sind über die Jahre die Grenzen ihres Ansatzes vor Augen geführt worden. Das hält die Apologeten des vollständigen Nachbaus des Menschen nicht davon ab, in unregelmäßigen Abständen den Durchbruch zu verkünden. In den letzten Jahren ist es still geworden um Minsky, Moravec und Kurzweil, dafür durfte Aubrey de Grey ran und die Heilung des Alterns voraussagen. Man kann sich über die Propheten lustig machen, sie sind allerdings nur die Randerscheinung einer umfassenden Geistesströmung, welche die Fähigkeiten des Menschen technisch erweitern will.

Die Rolle der in menschenähnlichen Maschinen verkörperten Künstlichen Intelligenz dürfte dabei klein bleiben. In eng umrissenen Welten wie beispielsweise Schachbrettern ist die KI stark, sobald sie in reale Unwägbarkeiten geworfen wird, zeigt sich die Schwäche der reinen Berechnung. Die Siliziumknechte tummeln sich zur Zeit auf Miniatur-Fußballplätzen oder auf vier Rädern in der Wüste und haben frappante Probleme, sich autonom zu orientieren, anzukommen, geschweige denn auch noch sinnig zu handeln.

Dort wo KI zum Posthumanismus wird, ist die Schwelle zum Erlösungsversprechen übertreten. Ob Reinraum des Cyberspace oder Upgrade eines Androiden mit kompletthumaner Software: Im Kern geht es um den Übergang des menschlichen Wesens in eine neue Seinsform. Logischerweise fließt in diesem Siliziumparadies nur klares Wasser die Flüsse hinunter und alle Frauen haben Körbchengröße G.

Neuro-Enhancement

Weitere Techniken weisen über den Menschen hinaus: Magnetisches und medikamentöses Enhancement der Denkvorgänge und natürlich die Gentechnik. Die Doping-Diskussion ist momentan noch primär an körperlich leistungssteigernden Substanzen wie EPO festgemacht, dabei leben Teile der Gesellschaft in einem dauergedopten Zustand. Morgens Koffein, Abends das Entspannungsbierchen, am Wochenende ein Näschen. Für die Verzweifelten Prozac, für die Willigen Viagra, für die Gestressten Diazepam.

Das spirituelle Doping des Geistes fristet ein Schattendasein in der Ecke der Drogenpolitik. Diese wird mittlerweile ohnehin von den Pharma-Konzernen effektiver betrieben. Indikationen lassen sich immer finden, das Geld kommt mit dem Off-Label-Use rein. Die Diskussion um Neuro-Enhancement mittels neuer, legaler Wirkstoffe ist bereits in Gang, aber in den Pipelines der pharmazeutischen Firmen ist kein Wundermittel mit Namen „Nürnberger Trichter“ in Sicht.

Allerdings werden die Grundlagen des Lernens immer besser ergründet, die Erforschung der Alzheimer Demenz zeigt die neuronalen Bedingungen des Denkens auf, hier lastet Leistungsdruck auf den Arzneimittelforschern. Weil zudem hohe Gewinne locken, ist damit zu rechnen, dass bessere Wirkstoffe entwickelt werden, die zumindest die Degeneration aufhalten. Ob dies in gesunden Menschen zu einer Leistungssteigerung des Denkorgans führt, steht auf einem anderen Blatt.

Genbasierte Designer-Medikamente

Rund zehn Prozent aller Medikamente auf dem Markt sind mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt worden – Tendenz steigend. Im Gegensatz zur grünen Gentechnik ist dieser Bereich der roten Gentechnik weithin akzeptiert. Das Einbringen eines fremden Gens in einen Organismus, um diesen zur Expression eines bestimmten Wirkstoffs zu bringen, ist die eine Sache, das Einbringen von fremden Genen in den menschlichen Organismus eine andere.

Aus Sicht einiger Mediziner ist diese „Gentherapie“ nur die logische Fortsetzung der Produktion von gentechnischen Arzneimitteln. Hierbei würde beispielsweise ein Patient mit einer Enzym-Mangelkrankheit keine Medikamente mehr einnehmen, sondern einige seiner Körperzellen würden gentechnisch so verändert werden, dass er das fehlende Enzym selbst bildet.

Bei der erblichen Immunschwäche SCID-X wurde das schon versucht, doch es trat als Nebenwirkung Leukämie auf. Die Mediziner hatten das Enzym-Gen an einer falschen Stelle ins Erbgut der schwerkranken Probanden eingefügt. Gentherapeutisch behandeln tat man auch zwei Männer in Frankfurt am Main. Dort wurde 2005 den zwei schwerkranken Patienten blutbildende, gentechnisch veränderte Stammzellen injiziert. Der Erfolg ist bis heute umstritten, die Langzeitwirkung auf die körpereigenen Zellen unklar.

Wissenschaftler wie der Humangenom-Pionier Francis Collins, der das „Human Genome Project“ zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms leitete, sehen gleichwohl optimistisch in die Zukunft. Er sagt voraus, dass bis 2020 genbasierte Designer-Medikamente für Bluthochdruck, Diabetes und andere der sogenannten „Volkskrankheiten“ verfügbar sein werden.

An dieser Stelle kann der Raum betreten werden, in dem die Zukunftsmusik spielt. Vorstellbar sind zukünftig beispielsweise Gentherapien, die auf die Nachkommen des Patienten vererbt werden. Noch verwehren sich die Mediziner gegen solche Ideen. Und noch geht es nur um ein Stück vom Leben für schwerkranke Menschen.

Der Übermensch des 21. Jahrhunderts

Schon immer gab es Bemühungen, sich mit Hilfe der Errungenschaften der Medizin nicht nur zu therapieren, sondern auch über den normalen Zustand hinaus zu optimieren. An dieser Stelle setzt Enhancement an, die Erweiterung der Basisfunktion.

Dieses Über-sich-Hinauswachsen, der Versuch der Vervollkommnung, die Lust, schier Übermenschliches zu leisten, ist Triebkraft der Menschheit bis heute; mit allen kreativen wie zerstörerischen Konsequenzen. Mit ironischer Konnotation kann man von einer sozialen Bewegung der „Übermenschen“ sprechen.

Aber der Übermensch ist nicht nur einer, der über sich hinaus wachsen will. Nach Friedrich Nietzsche will der Übermensch die Kräfte des heiligen Chaos in das Diesseits bringen. Alle Gefühlsspitzen und Erweckungen, aber auch die bis dato ins Jenseits gerichteten Ekstasen und Hoffnungen auf Erlösung sollen zurück auf die Erde gebracht werden.

Während Nietzsches Übermensch die Religion in sich wieder finden will, hat der Übermensch des 21. Jahrhunderts sie in den Raum technischer Potentiale zurück verfrachtet. Gründe dafür gibt es genug: Der Fortschritt wurschtelt sich in die letzten Fasern des molekularen Daseins hinein, alles scheint erklärbar, wenn nicht heute, so doch morgen. In diesem Sinne ist Wissenschaft zur Quasi-Religion geworden. Das über sich hinaus wachsen ist heute technisch banalisiert, die Aufgehobenheit im heiligen Chaos, dem geistigen Urgrund aller Religionen vor ihrer unheilvollen Institutionalisierung, ist heute eher durch den Cyberspace erwünscht als durch religiöse Praktiken.

Nietzsches Übermensch war ein entscheidendes Stück weiter gegangen. Erst in der Transzendierung des arbeitsorientierten, technisierten Welt findet der Mensch seine wahre Bestimmung: Ein hingebungsvolles Leben als Kunstwerk. Nicht nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Übermensch eben auch Gefahr läuft sich einzubilden, über die aus seiner Sicht Zurückgebliebenen zu richten. Wo der Übermensch herrscht müssen die Untermenschen leiden.

Selbstvervollkommnung trägt immer auch die Gefahr der Egozentrik und des Größenwahns in sich. Durch das über sich hinauswachsen entfremdet der Mensch sich dann von sich selbst. Man merkt, hier schwingt im Hintergrund schon die Idee von der Raupe, die noch zum Schmetterling werden muss. Getrieben wird diese nur heute wohl weniger vom naturgegebenen Programm, als von den Anforderungen der Leistungs-, manche würden sagen kapitalistischen Gesellschaft.

Angesichts der ökologischen Lage kann der Übermensch heute nur noch bescheiden von seinem Gipfel aus hinab blicken. Zu lange hat er vergessen, auf welchem Grund und Boden er da eigentlich steht. Nun müssen Aufstreben und Genügsamkeit neu ausbalanciert werden.

Es gibt also viel zu tun, um die Chancen, Gefahren und Absurditäten des Projekts „Übermensch“ zu erläutern. In einem neuen Telepolis-Blog wird davon zukünftig die Rede sein.

 

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Psychoaktive Substanzen

Ätherisches Hanföl

Hanfblatt, Nr. 110, November 2007

Gewidmet dem unbekannten Aromaten

Welchen Anteil kann ätherisches Hanfblütenöl an der psychoaktiven Wirkung von Rauschhanf-Präparaten haben?

Dauerkiffer wie „Mister Nice“ (Howard Marks) geben unumwunden zu, dass sie in erster Linie in der Lage sind, zu unterscheiden, wie stark ein Cannabispräparat törnt, nicht aber Variationen der Wirkungsform unterscheiden zu können. Gelegentliche Konsumenten vom Feinschmeckertypus geben dagegen an, ähnlich wie Alkoholgenießer, unabhängig von Set und Setting, Einnahmeform und Potenz, Unterschiede in der Art der Wirkung erkennen zu können. Die Art des von diversen Rauschhanf-Züchtungslinien und Haschischsorten zu erwartenden „Highs“ wird in Foren und Samenkatalogen oft blumig ausgemahlt, von „in die Couch drückend“ bis „cerebral“ ist alles dabei. Von Indicas erwartet man in der Regel ein anderes High als von Sativas, von Indischem Haschisch eine andere Wirkung als von Maroc. Solche Unterschiede kennt man auch von alkoholischen Produkten und coffeinhaltigen Genußmitteln. Deren spezifische Wirkung lässt sich anscheinend nicht allein auf die isolierten und identifizierten psychoaktiven Wirkstoffe zurückführen.

Für die psychoaktive Wirkung von Hanfpräparaten wird gemeinhin eine Substanz, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol, kurz THC genannt, verantwortlich gemacht. Andere Substanzen aus der chemischen Gruppe der Cannabinoide, von denen mehr als 60 verschiedene im Hanf entdeckt wurden, könnten dessen Wirkungen beeinflussen. Besonders das in vielen exotischen Haschischsorten zu einem hohen Anteil vertretene und in Faserhanf den Hauptbestandteil bildende Cannabidiol (CBD) steht in dem Ruf dem THC dämpfend bis einschläfernd und beruhigend bis angstlösend entgegen wirken zu können. Leider ist das Zusammenspiel der verschiedenen Cannabinoide und ihrer Isomere noch immer unzureichend erforscht.

Rätselhaft erscheint, dass die chemische Analyse qualitativ hochwertiger Präparate hochgezüchter Sorten in den letzten Jahren lediglich einen hohen Gehalt an THC ergeben hat. Der Anteil anderer Cannabinoide war demnach praktisch zu vernachlässigen. Wie kommt es aber, dass Konsumenten auch bei diesen Produkten Unterschiede in der Wirkung wahrnehmen wollen? Lässt man einmal subjektive Beeinflussung durch Herkunftsmythen, optisches Erscheinungsbild, Geruch und Raucheigenschaften außer Acht, dann kommen noch Hunderte anderer Cannabis-Inhaltsstoffe als Beeinflusser der THC-Wirkung in Frage. Von der Mehrzahl dieser Substanzen ist aber einerseits nichts über eine mögliche Psychoaktivität bekannt oder ihr Gehalt ist so gering, dass eine irgendwie geartete psychoaktive Wirkung nicht zu erwarten ist. Hier scheint also derzeit keine Klärung dieser Frage in Sicht.

Nun hat der bekannte amerikanische Hanf-Autor Ed Rosenthal die Bestandteile des ätherischen Öls der Hanfpflanze, das für deren charakteristischen Geruch verantwortlich ist, als mögliche psychoaktive Wirkstoffe ins Spiel gebracht. Im dritten Band des „Big Book of Buds“, einer Sammlung interessanter aber nicht kritisch hinterfragter Sortenporträts, wie sie von diversen Samenhändlern herausgebracht werden, erwähnt er mehrere Bestandteile ätherischer Öle. Diese könnnen nach den vorliegenden Analysedaten tatsächlich allenfalls in Spuren im ätherischen Hanföl vorhanden sein, wenn überhaupt. Zumindest legt er keinerlei Analysedaten vor, die ihr Vorkommen belegen. Wenn man an ihnen riecht, erkennt man unmittelbar, dass es sich bei ihnen nicht um Hauptbestandteile des ätherischen Hanföls handeln kann (Linalool, Terpineol, Borneol, Cineol, Pulegon). Ihre hypothetischen psychoaktiven Wirkungen, wie sie Rosenthal analog zur Aromatherapie, allerdings maßlos überzeichnet, postuliert, kann man deshalb an dieser Stelle außen vor lassen. Es ist interessanter sich auf die tatsächlich nachgewiesenen Bestandteile zu konzentrieren, von denen er immerhin Myrcen, Pinen, Limonen und Caryophyllen erwähnt.

Hochwertiges ätherisches Hanföl wird in der Schweiz als wohlriechender Parfüm- und Kosmetikabestandteil, Lebensmittelaroma und für die Aromatherapie professionell durch Wasserdampfdestillation der frischen ausgereiften möglichst wenig bestäubten Blütenstände im Freiland gewachsener weiblicher Pflanzen für den internationalen Markt gewonnen (siehe z.B. www.olison.ch). Der Ertrag ist gering. Ein Kilo frischer Blüten THC-haltiger Sorten liefert nur etwa 1,5 Milliliter ätherisches Öl. Faserhanfsorten liefern in der Regel weniger. Würde man die Blüten vorher trocknen, müsste man mit etwa einem Drittel Verlust durch vorzeitige Verdampfung rechnen. Auch würde sich die Zusammensetzung verändern.

Tatsächlich variiert die Zusammensetzung des ätherischen Hanföls erheblich, abhängig von der Sorte und deren Wachstumsbedingungen. Zu bedenken ist, dass sich das Spektrum der Bestandteile des ätherischen Öls im Laufe des Wachstums und der Blütenentwicklung verändert. Selbst von Tageszeiten scheint es abhängig zu sein. Durch Hitze verdampft das ätherische Öl in Teilen. Vom Zeitpunkt der Blütenernte und damit dem Tod der Hanfpflanze an beginnen Verflüchtigungs- und Umwandlungsprozesse. Licht, Sauerstoff, Wärme und Luftzug tragen zu Verlusten und Veränderungen bei. Der Gehalt an ätherischem Öl verringert sich. Der Duft verändert sich. Selbst bei kühler Lagerung des reinen ätherischen Öls in Dunkelheit und unter Luftabschluß treten Prozesse auf, die im Sinne einer Reifung des Geruchsbildes bis zu einem gewissen Grade mitunter sogar erwünscht sein können.

Der mit Abstand charakteristischste Bestandteil des ätherischen Hanföls sowohl von Faserhanf- als auch Drogensorten ist nach den vorliegenden Analysedaten (insbesondere Mediavilla und Steinemann) mit an die 50% das Myrcen. Dieses allein riecht schon angenehm aromatisch und typisch nach Hanfblüten. Auch geschmacklich erinnert es an Hanfblüten.

Alpha-Pinen mit seiner an Zedern und Pinien erinnernden Kopfnote und Hauptbestandteil des gereinigten Terpentinöls und des Wacholderbeerenöls ist ein wichtiger Bestandteil besonders von Rauschhanfsorten. Sein Anteil kann im Einzelfall sehr hoch ausfallen. Bei manchen Indicas (z.B. Northern Lights) ist diese Note besonders deutlich zu riechen. In Kombination mit Alpha-Pinen, diesem aber immer untergeordnet, tritt Beta-Pinen auf. Es hat einen kampferartigen Geruch.

Limonen, Hauptbestandtteil von Zitronen- und Pomeranzenschalenöl, sowie des Bergamottöls, ist ein weiterer charakteristischer Bestandteil des Hanföls, verantwortlich für eine frische citrusartige Note, die bei manchen Hanfsorten vom Sativa-Typus (wie z.B. aus Swaziland) besonders ausgeprägt ist. Allerdings riechen auch einige andere Bestandteile, die in geringen Mengen im Hanföl gefunden wurden, nach Citrusfrüchten und vermögen damit womöglich diese Note im Einzelfall noch zu unterstreichen oder zu variieren.

 

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Phellandren, wichtiger Bestandteil im Latschenkiefernöl, im ätherischen Hanföl aber nur ein untergeordneter Bestandteil, hat eine frische Note, die an Kampfer und Eukalyptus denken lässt. Es mag vielleicht zu dem angenehm erfrischenden Duft beitragen, wie sie manchen Hanfsorten (z.B. vom Haze-Typus) bisweilen zu eigen ist.

Hanfblüten haben typischerweise auch eine mehr oder weniger ausgeprägte widersprüchlich, oft als eher abweisend empfundene Geruchsnote. Ein regelmäßig in recht hohen Mengen auftretender charakteristsicher Bestandteil dieser Richtung ist das Trans-Caryophyllen. Auf das dieses begleitende aber in erheblich niedrigerem Anteil vorhandene ähnlich, aber etwas wuchtiger riechende Caryophyllen-oxid, das auch in diversen anderen ätherischen Ölen, wie z.B. dem Gewürznelkenöl enthalten ist, sollen Drogenspürhunde dressiert sein.

Zahlreiche weitere in geringen Mengen oder Spuren im ätherischen Öl enthaltene sogenannte Mono- und Sesquiterpene leisten ihren Beitrag zum Gesamtgeruchsbild. Die genaue Zusammensetzung und das Zusammenspiel der Einzelbestandteile im Gesamtgeruchsbild gerade bei den diversen Rauschhanfsorten des Schwarzmarktes sind ein noch offenes Forschungsfeld.

Nicht nur botanisch, sondern auch in der Zusammensetzung des ätherischen Öles mit dem Hanf am Nächsten verwandt ist übrigens der Hopfen.

Wie sieht es nun aber mit den von Rosenthal ins Gespräch gebrachten angeblich möglichen psychoaktiven Wirkungen der Bestandteile des ätherischen Hanföls aus? Wenn man von einem realistischen Anteil von 0,8% ätherischem Öl in getrockneten Hanfblütenständen ausgeht, dann müssten, wenn man bei den gegenwärtigen hochpotenten Sorten pur geraucht von einer für einen veritablen Rauschzustand ausreichenden Dosis von 0,1 bis 0,2 Gramm ausgeht und eine Bioverfügbarkeit des verdampften ätherischen Öles von extrem großzügig gerechnet 50% postuliert, bereits insgesamt 0,4 bis 0,8 Milligramm ätherischer Öle für eine psychoaktive Wirkung verantwortlich sein. Im Falle des Hauptbestandteils Myrcen würde das heißen 0,2 Milligramm inhaliert (also die Dosis eines kräftigen LSD-Trips) wären bereits psychoaktiv. Davon ist wissenschaftlich nichts bekannt. Man kann sich denken, dass, wenn dies der Fall wäre, ätherisches Hanföl nicht frei verfügbar wäre.

Um zu überprüfen, ob ein direkter psychoaktiver Effekt durch die Einnahme oder Inhalation der wichtigsten Bestandteile des ätherischen Hanföls möglich ist, wurden heroische nicht zur Nachahmung empfohlene Selbstversuche gemacht. Sie zeigten: 11 mg Myrcen oral eingenommen (also die 55-fache Menge!), und es war nichts zu spüren. Normale Zigaretten, die reichlich mit einem künstlich zusammengestellten ätherischen Öl getränkt wurden, das analog natürlichem Hanföl aus Myrcen, Alpha- und Beta-Pinen, Limonen, Phellandren, sowie Caryophyllen und Caryophyllen-oxid zusammengestellt wurde, wurden mehrmals ohne Effekt geraucht. Zur Warnung sei angemerkt: Die ätherischen Öle sind leicht entflammbar, können evtl. hautirritierend und in zu hoher Dosis eingenommen toxisch wirken.

Eine eigene direkte physiologische psychoaktive Wirkung ist demnach bei den in den Hanfblüten vorgefundenen Mengen ätherischen Öls nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht wahrscheinlich. Es ist nicht angebracht, hier voreilig einen neuen Mythos, den von einer variablen Psychoaktivität der verschiedenen Bestandteile des ätherischen Hanföls zu kreieren.

Nichts desto trotz ist der spezifische Duft, das Aroma des Rauschhanfes, Teil seines individuellen Genusses und kann somit eventuell wie auch von anderen Genussmitteln bekannt indirekt das subjektive Rauscherleben beeinflussen. Hier gibt es auf jeden Fall noch viel zu erforschen.

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Modafinil, die Firma Cephalon und ein Selbstversuch

telepolis, 23.10.2007

Gehirn-Doping: Augen geradeaus

Wie die Pharmafirma Cephalon die vermeintliche Gehirndoping-Substanz Modafinil im psychoaktiven Markt etabliert. Dazu ein Selbstversuch

Im Jahre 1992 wunderte sich Frank Baldino. Die eigentlich nachtaktiven Mäuse in dem Versuchslabor der Pariser Firma Lafon blieben den ganzen Tag wach. Die Tiere standen unter dem Einfluss einer neu entwickelten Substanz, die gegen Depressionen helfen sollte. Die chemisch korrekte Bezeichnung für den Wachmacher lautete kryptisch 2-Diphenylmethyl-Sulfinyl-Acetamid, kurz „Modafinil“ genannt.

Baldino hatte 1987 in den USA die Pharma-Firma „Cephalon“ gegründet und war in Paris auf der Suche nach einem neuen, aufputschenden und vor allem verkaufsträchtigen Medikament mit wenig Nebenwirkungen. Er entschloss sich Modafinil zu lizensieren. 2006, genau 13 Jahre nach der Lizenzierung, nahm Baldinos Firma bereits jährlich 727 Millionen Dollar alleine mit Modafinil ein. Generika-Hersteller sind in ihre Schranken gewiesen worden, Cephalon kann Modafinil, das in den USA unter dem Namen Provigil (Deutschland: Vigil) über den Tresen geht, bis 2011 ungestört verkaufen.

Der Erfolg von Cephalon und Modafinil gilt als Blaupause für die Etablierung eines so genannten „cognitive enhancers“ im Markt, einer Hirnpille, die nicht nur aufmerksam, sondern auch schlauer machen soll. Ursprünglich gegen die plötzlichen Schlafattacken von Narkoleptikern zugelassen, mausert sich das Medikament seit einigen Jahren zum Alleskönner. Aber was kann die Substanz wirklich?

Erster Anlauf
27.7.2007, 16.00 Uhr
 Das Wochenende naht, aber es liegt Arbeit auf dem Schreibtisch. Schrecklich schwere Artikel für die Telepolis? Nein, wildes Geschreibsel für einen Newsletter. Ich nehme die erste 200mg Dosis Modafinil meines Lebens. Set und Setting sind hervorragend: Gut ernährt, drei Wochen Urlaub in Griechenland hinter mir, eine gesunde Frau, Familie und Freunde gut in Futter. Nun will ich leisten und dabei auch noch schlauer werden. Ich bemühe mich möglichst nicht auf die Wirkung zu achten, die muss schon von alleine kommen.
17.30 Uhr
 Leichte, subjektiv empfundene Temperaturerhöhung. Ich arbeite normal weiter. Zügig und gekonnt, wie immer. Weder bin ich schneller an der Tastatur, noch sprudeln besonders brillanten Sätze aus mir in den PC.
19.00 Uhr
 Nun ja, zwei Tassen Kaffee würden mich aufgeweckter, aber auch nervöser machen. Ein ganz subtile Wachheit ist da, gänzlich ohne Euphorie, ohne Schub, nichts, was sich nicht sofort wieder abschalten ließe.
20:30 Uhr
 Feierabend. Das Kino auf der Leinwand erlebt sich nicht anders. Und das bei dem Simpsons-Film. Behalte ich mehr als sonst? Vielleicht ist es auch das eine Duff-ähnliche Bier, das mich etwas träge macht. Alkohol scheint kontraproduktiv. Danach jedenfalls ist mir in der Helligkeit wohler.
22.00 Uhr
 Sozial voll verträglich. Ich plaudere ohne besonders eloquent zu sein. Aber manchmal schaue ich mich um und merke: irgendwas ist anders.
22.15 Uhr
 Plötzlich leichtes ziehen im Unterkiefer, eine Erinnerung an das MDMA der späten 80er Jahre. Allerdings ohne dessen aufwallende, schwitzende Gefühlsschübe. Wahrscheinlich jubeln jetzt die Vertreter der Flashback-Theorien auf. Tja, jede wirklich gute Erinnerung setzt sich halt fest und wird eventuell mal wieder rausgekitzelt.
22:45
 Ich beobachte schon etwas schärfer, oder bilde ich mir das nur ein? Ein Grundproblem von Modafinil. Vielleicht hätte ich keinen grünen Tee beim Asiaten trinken sollten. Aus dem Essen kommen keine Würmer, „Langweilig“, wie Homer Simpson sagen würde. Ich gähne zu dritten Mal. Ist es das Gefühl, bevor aus gleich richtig abgeht? Nein.
23 Uhr
 Ich schaue Ottis Schlachthof auf Bayern 3. Ein sicheres Zeichen, dass ich nicht normal bin. Oder lockt mich der intellektuelle Humor? Unklar.
23.30 Uhr
 Ich lese.
1:45 Uhr
 Immer noch wach. Wahrscheinlich könnte ich gut schlafen, aber warum? Ich dümpel zwischen GTR2-Online Racing und einem Buch über die Lebensgeschichte eines toskanischen Kaufmanns aus dem 15. Jahrhundert.. Leichtes Hangovergefühl im Gesicht macht sich breit. Kein guter Atemrhythmus.
2.30 Uhr
 Immer noch nicht richtig müde gehe ich trotzdem ins Bett und schlafe sofort ein. Kleiner Kater am nächsten Tag, eine gewisse Schwere im Körper.

Off-Label Erweiterung

Nach den klinischen Test genehmigte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA 1998 den Einsatz von Provigil bei Narkolepsie. Bei Narkoleptiker verringert Modafinil die Zahl der plötzlichen Schlafepisoden um ungefähr eine Attacke am Tag. Eine höhere Dosierung als 400 mg hilft nicht besser. Die Hälfte der Konsumenten leiden unter Kopfschmerzen, andere Störwirkungen können Übelkeit, Schwindel und Durchfall sein.

Schon vorher hatte Cephalon aber nicht nur Kontakt zu Neurologen aufgenommen, die das unbekannte Medikament zukünftig verschreiben sollten. Mit einer Marketingkampagne sorgte man für die Verbreitung auch bei Ärzten anderer Fachrichtungen. In einer Broschüre wurde auf die hervorragende Wirkung von Modafinil auch bei anderen Krankheiten hingewiesen. Lange Zeit hielt die FDA die Füße still, auch, weil die Substanz als relativ ungefährlich gilt und in dem Ruf steht, auch bei lang anhaltender Anwendung nicht abhängig zu machen.

2002 wurde es der Behörde zu bunt, man rügte die aggressiven Werbemethoden von Cephalon, Ende 2004 ermittelte sogar der Bundesstaatsanwalt. Das Problem: Die Gesetze verbieten Unternehmen die Anpreisung ihrer Mittelchen für andere Indikationen als die von der FDA genehmigten; man kann aber nicht verhindern, dass Ärzte auf eigene Faust experimentieren.

Zwar weiß bis heute keiner ganz genau wie die Droge im Körper funktioniert, das hindert aber gerade in den USA wenig Ärzte Provigil bei allerlei Wehwehchen zu verschreiben: Chronische Müdigkeit, Schläfrigkeit, Herzfehler, Jet-Lag.


Baldino weiß: Inzwischen erzielt Cephalon die Hälfte aller Provigil-Einnahmen aus diesem legalen, aber argwöhnisch beobachteten „Off-Label Use“. Und dieser ist nicht nur bei Modafinil das Einfallstor für den Einbruch in neue Märkte.

Zugeben darf das niemand. In der Cephalon-Niederlassung in Martinsried bei München zeigt man sich daher zugeknöpft, wenn es um Auskünfte rund um Modafinil geht. „Kein Kommentar“, heißt es.

Noch wandelt Baldino sicher durch das Minenfeld des amerikanischen Kontrollsystems. Einerseits will er die FDA dazu bringen die Liste der Indikationen für Provigil zu erweitern, andererseits will er deren Ängste zerstreuen, die Substanz könne sich zur Lifestyle-Droge mausern. Dass dies längst geschehen sei, suggerieren Medienberichte, aber solide Studien über die Verbreitung der Substanz zur reinen Optimierung der Lebensleistung liegen nicht vor.

Aufmerksamkeitsstörung

Bis heute ist Modafinil als Mittel gegen Schlafapnoe- und Schichtarbeit-Syndrom in den USA zugelassen, aber Baldino, der seine pharmakologische Karriere bei DuPont begann, hatte schon früh ein nächstes Marktsegment ausgeschaut. In den USA boomt bei Kindern seit den 90er Jahren die Zappelphilip-Diagnose, als Mittel der Wahl bei ADHS gilt trotz aller Diskussionen noch immer Ritalin (Methylphenidat). Novartis setzte 2006 über 330 Millionen Dollar allein mit diesem Medikament um. Studien hatten ergeben, dass auch Modafinil beim Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom helfen kann. Die Analysten freuten sich schon, als sich die Gerüchte verdichteten, die FDA würde Cephalon die Vermarktung als Anti-ADHS-Mittel unter dem Namen „Sparlon“ genehmigen. Im September 2006 kam die Ernüchterung: Die FDA erteilte den Plänen eine Abfuhr, es war zu einem Fall von arzneimittelallergisch bedingten Hauterkrankung gekommen bei einem Probanden gekommen.

Für Provigil gilt: Die Substanzgruppe ist wirklich neu und kein sonst wie geartetes Derivat der Amphetamine, Alkaloide oder gar serotoninverwandten Halluzinogene. Dieser Umstand schiebt es zunächst einmal aus den Fokus der Drogenkontrollinstitutionen. Und Langzeitwirkungen konnten noch nicht erforscht werden. So ist die Aufregung unter Experten und Off-Label-Usern groß, selbst nüchterne Wissenschaftler wie Danielle Turner von der Universität Cambridge sprechen von einer „vielversprechenden Substanz“.

Friendly Fire

Die Euphorie der ersten Modafinil-Studien zog schon früh das Interesse der Streitkräfte an. Aus militärischer Sicht ist der Mensch eines der schwächsten Instrumente der Kriegsführung. Er braucht Essen, Wundversorgung und den Glauben, dass sein möglicher Tod der guten Sache dient. Und er braucht Schlaf, zufiel Schlaf, denn ohne Schlaf macht er Fehler.

Die Untersuchung eines Zwischenfalls in Afghanistan im Jahre 2002 zeigte das deutlich. Zwei Amerikanische Piloten hatten damals vier kanadische Soldaten unbeabsichtigt getötet. Vor dem Kriegsgericht gaben die Anwälte der Piloten an, dass ihre Mandanten zur Zeit des Unfalls unter dem Einfluss von Dexedrin standen. Anders formuliert: Sie waren auf Speed, dem klassischen Amphetamin, ein beliebter Stoff seit den Schlachten des 2. Weltkriegs.

Für Normalbürger verboten, ist Speed für das Funktionieren der US-Streitkräfte elementar. Dr. Pete Demitry, Arzt bei der Luftwaffe und selber Pilot, sagte während einer Pressekonferenz zu dem Kriegsgerichtsverfahren: „Die Air Force nutzt Dexedrin seit 60 Jahren. Und wir wissen, dass es sicher ist, weil wir nie einen Zwischenfall hatten, der nachweislich in kausaler Beziehung zu dem Anregungsmittel stand.“

Speed

Es ist eine weitere Ironie der Drogenpolitik, dass 60 Jahre militärische Anwendung anscheinend nur fröhlich-konzentriert aufgeputschte Soldaten erlebt haben soll. Und das wo doch Amphetamin in den USA immer wieder als Horrordroge bezeichnet wird („Speed kills“).

Tatsächlich ist die häufige Einnahme von Amphetamin gesundheitsschädlich, das Militär sucht nach Alternativen – und Modafinil ist eine davon. Die DARPA (http://www.darpa.mil/) hat 100 Millionen Dollar für ein Forschungsprojekt bereit gestellt, das im Ergebnis die kognitiven Leistungsfähigkeit der Soldaten während lang andauernden Schlafentzug erhalten soll.

Air Force und Cephalon sponsorten eine Studie der Harvard Universität, in der 16 gesunde Probanden 28 Stunden ohne Schlaf auskommen mussten. Die Personen mit Modafinilbeigabe schnitten in den kognitiven Tests besser ab als die mit Zucker-Placebo. Weltweit waren die Generäle begeistert. 2004 gab das britische Verteidigungsministerium zu, seit 1998 über 24.000 Tabletten Modafinil eingekauft zu haben. Die Verwendung blieb im Dunklen, auffällig war allerdings laut Guardian die jeweilige Bestellung größerer Mengen vor dem britischen Engagement in Afghanistan und Irak.

Zweiter Anlauf
4.8.2007, 18.00 Uhr
 Eine Open Air Party in Norddeutschland, der Techno-Beat wummert seit 18 Stunden, es ist aber erst Samstag. Der Blister knackt, 200 mg rein damit. Heute geht es weniger um das Steigern von Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis, sondern um gute Unterhaltung im doppelten Sinne: Entertainment und Kommunikation. Zudem lässt sich das Wirkspektrum einer Substanz in der fiebrigen Atmosphäre einer vollelektronischen Goa-Party besser abtasten.
18.30 Uhr
 Wenn es denn was abzutasten gibt. Obwohl gut ernährt rumort der Magen und entleert sich in einem chemisch angehauchten Schiss im nahe gelegenen Maisfeld. Ist es die Pille oder die Aufregung?
19.45 Uhr
 Ich fuhrwerke auf der Tanzfläche rum, Musik und Erleben sind großartig, aber im Normalbereich. Nur mit sensiblen Antennen lässt sich ein Verschieben optischer Frequenzen ausmachen. Oder sind das die Haschischschwaden, die über das Feld wabern? Auch beim zweiten Versuch erweist sich die Mischung mit Alkohol in den ersten Stunden als unklug. In der polytoxomanen Gesellschaft hier vor Ort bin ich wahrscheinlich einer der nüchternsten Kandidaten.
21.00 Uhr
 Erst nur eine Andeutung wird klar: Modafinil fördert bei mir eine zackige Roboterhaftigkeit. Die Motorik ist kontrolliert, sehr kontrolliert. So aufmerksam will ich gar nicht sein, zumindest nicht heute. Das Körpergefühl ist nicht unangenehm, aber der Fluss der Bewegung wirkt abgehackt. Wie immer bei Modafinil aber nichts, was sich nicht durch Aufmerksamkeit, in diesem Fall das Besinnen auf Geschmeidigkeit, wieder in den Griff kriegen lässt.
23.30 Uhr
 Könnte „cognitive enhancement“ die Bewusstseinserweiterung des zweiten Jahrzehnts werden? Eine Art 60er- und 90er Revival? Nein. Dafür sind die Substanzen nicht einschneidend genug, ihnen geht die Kraft zur psychischen Ausgrabung völlig ab. Eher wirken Modafinil & Co. wie aus Silikon entsprungene Banalitäten. Droht die Menschheit zur einer Horde vigilant arbeitswütiger Spacken zu verkommen?
2.50 Uhr
 Gesteigerte Kommunikationsfähigkeit oder Zufall? Auf jeden Fall bleibe ich an jedem Getränke- und Essensstand auf einen Schnack hängen. Zurück auf der Tanzfläche brettert der Sound durch die Menschenmassen. Lichtblitze, feuerspeiende Schönheiten, Mutanten auf Stelzen, Laser-Shiva Animationen, der Rest ein wild gewordener Schweinekoben. Ein Raver wälzt sich horizontal im Gras, Konvulsionen, „break on trough to the other side“, nach Spaß sieht das nicht mehr aus. Vielleicht wäre eine Encounter-Gruppe in Freiburg der sicherer Ort für solch' eine Abfahrt gewesen.
4.30 Uhr
 Ich bin weder hellwach noch getrieben, sondern einfach nur nicht müde. Na dann, gute Nacht. Nach fünf Minuten bin ich tatsächlich schon eingeschlafen. Kaum Hangover am nächsten Morgen.

Schubvergleich

Greg Belenky vom „Walter Reed Army Institute of Research“ in Silver Spring, Maryland, wollte es genauer wissen. Er verglich die Wirkung von Modafinil, Speed und Koffein an Soldaten, die bis zu 85 Stunden wach gehalten wurden. Sein Fazit: „Kurz gesagt wirken sie alle ähnlich: Gibt man sie jemanden, der müde ist, dann fühlt er sich besser. Allerdings wirkt Modafinil länger als Amphetamin und beide wiederum länger als Koffein.“

Sicher, Modafinil wirkt bis zu 12 Stunden, aber sollte das der einzige Unterschied gegenüber Speed und Koffein sein? Die Schreiber in den weltweiten Drogenforen dürften widersprechen und auf die verschiedenen und dosisabhängigen Effekte auf die Psyche hinweisen. Und natürlich hat auch Modafinil seine Nebenwirkungen. Je nach Dosierung können Nervosität, Übelkeit, Reizbarkeit, Zittern, Schwindel, Mundtrockenheit und Kopfschmerzen auftreten.

Höhere Weihen

Soldaten, Studenten und nun sogar die Professoren. Philipp Harvey, Professor für Psychiatrie an der Emory Universität in Atlanta, erzählte der Times vor kurzem freimütig von seiner Modafinil-Affinität zum Überwinden des Jet-Lags. Seine Kollegin Barbara Sahakian, Professorin für Neuropsychologie in Cambridge, berichtet von mehreren ihr bekannten Wissenschaftlern, die die Droge verschrieben bekommen haben, weil sie öfters Zeitzonen überqueren.

Sahakians Mitarbeiterin, Danielle Turner, testete die Substanz 2003 an 60 gesunden Probanden. Gegenüber Placebo schnitten sie in einem Test des Kurzzeitgedächtnis signifikant besser ab.
Die genauere Analyse des Turner-Tests relativiert die Ergebnisse: So verbesserte sich beispielsweise die Werte bei der Mustererkennung und dem Zahlenerinnerungstest Digit-Span (hier online), nicht aber beim schnellen Erfassen visueller Informationen und dem CANTAB-SWM, einer klassischen Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung. Die Testpersonen waren auf Modafinil in der Bearbeitungsgeschwindigkeit beim Zahlen-Verbindungs-Test (ZVT) nicht besser als andere. Man vermutet daher, dass die Leistungssteigerungen auf einer verlangsamten Reaktion beruhen: „Es sieht so aus“, sagt Turner, „als ob die Probanden durch das Modafinil etwas länger nachdenken, bevor sie antworten.“

Ist das alles die Aufregung wert? Es existieren pharmakologische Studien mit vergleichbaren Design, die andere Substanzen nutzten. Das Arbeitsgedächtnis wird ebenfalls durch Noradrenalin- und Dopamin-Agonisten (link) positiv beeinflusst. Selbiges gilt für die bekannten Stimulanzien wie Methylphenidat, bekannt als Ritalin, und sogar Amphetamin (link).
In Leipzig erforschten die Universität Leipzig und das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaft die Substanz (link). Auch hier fand man in einer doppelblinden und randomisierten Studie eine leicht verbesserte Leistungsfähigkeit in Tests des Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis.

Wie das?

Der weltweite Wissenschafts-Hype um die Substanz steht auf schwachen Beinen, denn der Mechanismus, nach dem Modafinil im Körper funktioniert ist noch immer weitgehend ungeklärt. Obwohl millionenfach verschrieben bleibt der pharmakologische Grund für den stimulierenden Effekt der Droge im Dunklen. Während Forscher wie Luca Ferraro die steigernde auf den Glutamathaushalt und verringerte GABA-Ausschüttung verantwortlich sehen (link), wollen andere die Veränderung des Hypocretin-Levels als Ursache ausgemacht haben. Es gibt Hinweise, dass der Hypocretinhaushalt bei Narkolepsie gestört ist. Wieder andere Wissenschaftler weisen auf die indirekte Stimulation von Noradrenalin und anderen Neurotransmittern am Alpha-1 Rezeptor hin (link). Dafür spricht, dass bestimmte Alpha-1 Blocker wie Prazosin die Wirksamkeit von Modafinil beeinträchtigen.

Fest steht: In Internet-Foren (und link) äußern sich User nicht nur euphorisch über die Substanz. Narkoleptiker sprechen von erheblichen Nebenwirkungen, Off-Label- und illegale Tester von einer Beeinträchtigung des Sprachvermögens oder der Kreativität (link). Anderen gefiel das „medikamentöse Dauerhoch“ (link) nicht.

Dritter Anlauf
Dienstag, 21. April 2007, 11.00 Uhr
 Sollte denn die innere Einstellung zu einem Medikament eine Rolle bei dessen Wirkung spielen, dann hat Modafinil bei mir wenig Chancen. Die bisherigen Versuche zeigten mich zwar als vigilen, aber genauso töffeligen Menschen. Schachgroßmeister werde ich nicht mehr.
11.30 Uhr
 Gute Idee, ich spiele eine Runde Schach gegen den PC, der mich aber wie immer gekonnt abfiedelt.
13.35 Uhr
 Leicht fickerig, wie der Experte sagt. Dazu das inzwischen bekannte flaue Gefühl im Magen. Alles nur subtile Erscheinungen. Das Basteln an html- und css-code geht leicht von der Hand.
16.00 Uhr
 Mir schwant, dass Modafinil seinen Platz vor allem dort finden wird, wo wenig Kreativität und viel Arbeitsleistung gefragt ist.
19.00 Uhr
 Ein normaler Arbeitstag geht dem Ende zu. Wäre da nicht dieses zarte Ziehen in der Gesichtsmuskulatur, das eine Richtung hat: Nach vorne. Das physische Resultat der beharrlichen Fokussierung auf den Monitor, bilde ich mir ein.
23.00 Uhr
 Die Substanz fordert schon Aufgrund ihrer Schlichtheit zur simplen Kosten-Nutzen-Abwägung auf. Zunächst ein individueller Prozess: Modafinil ist stärker als Koffein und andere milde Pusher, die Fokussierung enger. Sieht man vom durchaus beeinträchtigten Körpergefühl ab, bleibt die Substanz in ihrer psychischen, vor allem aber emotionalen Wirkung subtil. Merkfähiger oder gar kreativer macht sie nicht, eher breitet sich Fließbandatmosphäre im geistigen Raum aus. Gut, wenn Narkoleptiker von einer Substanz mit wenig Nebenwirkungen profitieren können. Als gesunder Mensch werde ich mich weiterhin eher auf die seit Jahrhunderten erprobten, naturnahen Wirkstoffe verlassen.

Spiegelkabinett

Um weiterhin kräftige Gewinne zu garantieren griff Cephalon vor kurzem in die pharmakologische Trickkiste. Man spiegelte und drehte ein wenig am Modafinil-Molekül und schuf ein Isomer mit gleicher Struktur und Summenformel, aber unterschiedlicher Konfiguration der Atome. Fertig war Armodafinil, das unter dem Namen „Nuvigil“ im Juni diesen Jahres den Segen durch die FDA erhielt. Das Patent läuft bis 2023. CEO Frank Baldino ist zufrieden: „Die Zulassung von Nuvigil erlaubt es uns, die Spitzenposition im Bereich der Wachsamkeit zu halten.“ Die Substanz wirkt länger, Wissenschaftler testen schon den Einsatz bei weitere Krankheiten. Nun sollen sogar Menschen, die an Depression oder Schizophrenie leiden, von dem Mittel profitieren.

 

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Cannabis

Kotzende Kiffer, durchgeknallte Diebe, pöbelnde Polizisten

20 Jahre als Head-Shop-Besitzer

„Die Jungs vom Zoll standen mit fünf Mann um den Karton mit den Schwarzen Witwen. So was hatten die noch nie gesehen, dass gab einen mittelschweren Aufstand in dem Laden.“ Michael vom Head-Shop „Ganesh Baba“, mit riesen Abstand Hamburgs ältester Headshop, schlägt sich seit zwanzig Jahren mit der Drogenpolitik herum. Ob Zoll, Polizei oder unehrliche Kiffer – als Besitzer eines Head-Shops erlebt man viel. Wir besuchen ihn an einem regnerischen Nachmittag in seinem Laden in Hamburg, um ein paar Anekdoten aus dem Leben eines Hanf-Pioniers zu genießen.

Die Zeiten, in denen der Zoll Pfeifen misstrauisch beäugte oder gar die Herausgabe verweigerte, sind heute vorbei. Michael lächelt: „Damals konnte ich die uniformierten Herren nur schwer davon überzeugen, dass die Schwarzen Witwen in Wahrheit Blumenvasen sind.“ Trotzdem bekam er den Karton. Auf die Idee ein Geschäft für Rauchgeräte und fernöstliche Waren zu eröffnen, kam er nach ausgiebigen Trips durch Asien („ein paar Mal Overland nach Bali“) in Varanasi.

Ab Mitte der 70er Jahre hatte es ihn auf dem Weg über Nepal („dort habe ich einmal vier Wochen nicht geraucht…“) wieder in die heilige Stadt im Norden Indiens verschlagen. Mit einem Koffer voller Pfeifen, Stirnpunkten (Bindis), Statuen, Waage, Tücher und anderem Kunsthandwerk kam er zurück nach Deutschland. „Die Bindis habe ich heute noch, der Kleber ist bloß leider nach 20 Jahren eingetrocknet. Wer konnte schon ahnen, dass die Dinger mal hier doch noch modern werden“, amüsiert sich Michael. Das Glück war ihm nicht holt: Bei der Einweihungsfeier seines Geschäfts klaute ein weiblicher Gast Ware im Wert von 800 Mark. Wir wollen es kaum glauben, aber Diebstahl blieb und ist noch heute nach Michaels Worten eine gängige Methode unter einigen Kiffern, das nötigen Zubehör für den Alltag zu besorgen. Über die Jahre zählte Michael über 100 Straftaten: Ob Einbruch, Scheckbetrug, Nötigung, Ladendiebstahl oder ein Brandanschlag 1995 mit drei Mollis- die Klientel gab sich auch ruppig. Die Scheiben des Ladens sind vergittert. „Nur Schutzgelderpressung kam nicht vor“, erinnert er sich. Das mag auch an der Lage des Geschäfts im biederen Uhlenhorst, einem Stadtteil im Osten Hamburgs liegen.

Während wir uns unterhalten, betritt Kundschaft den Laden und ordert drei Packen lange Blättchen. „Nimm doch fünf, dann wird´s billiger“ meint Michael, wünscht „Frohes Drehen“ und der Kunde tappst ins Wochenende.

Zunächst reiste er immer selbst nach Asien, um neue Waren nach Deutschland zu bringen, später liess er sich die Produkte über Exporteure zu senden. Der Verkauf von Kleidung und Kunsthandwerk lief allerdings schleppend. „Ausserdem haben mich Pfeifen schon immer mehr interessiert.“ Mitte der achtziger Jahre verkaufte Michael seine Paraphenalia nebenbei in Amsterdam, auf der Strasse, Coffee-Shops und im Grosshandel. „Da war an einem Wochenende mehr zu verdienen als in einer Woche in Hamburg im Laden“, erinnert er sich. „Die Leute denken ja, dass in Amsterdam alles billiger ist.“

Die größten Probleme für Michael schufen aber nicht der mangelnde Umsatz der ersten Jahre oder die klauenden Kiffer, sondern die Vollzieher der Drogengesetze: Die Polizei. Die Kundschaft wurde mit Ausweiskontrollen vor dem Geschäft schikaniert und als Head-Shop-Besitzer war man lange Zeit Freiwild für frustrierte Beamte vom Typ Norbert bei den Freak Brothers. Hausdurchsuchungen standen dabei ebenso auf dem Programm wie zivile Überwachungen. Dazu kam, dass gelegentlich dümmere unter den Kunden Michael verdächtigte, mit der Polizei zusammen zu arbeiten, weil sie nicht glauben konnten, dass jeder so einen Laden eröffnen könnte. „Die nahmen tatsächlich an, dass man so ein Geschäft nur mit einer speziellen Lizenz betreiben durfte“, wundert sich der 46-Jährige. Heute habe sich die Lage allerdings in dieser Hinsicht beruhigt.

Wieder geht die Tür vom Laden auf – Kundschaft! Der Mann hat eine einfache Frage: „Was brauche ich zum Pflanzen anbauen und hast du das alles?“ Michael zeigt sich ungerührt, offenbar kommt es nicht das erste Mal vor, dass ein Kunde ohne einen blassen Schimmer vor ihm steht. „Töpfe, Erde, Dünger und ein Buch“, antwortet er knapp. „Kaufe ich“, sagt der Mann. Fünf Minuten später hat er alles und verlässt den Laden.

Die alten Zeiten, in denen die Kiffer noch bewusstseinverändernde Ansprüche an ihren Haschisch-Konsum stellten, trauert Michael nach, das gibt er ehrlich zu. „Heute ist Kiffen nur noch eine Modeerscheinung, ohne jeglichen bewussten Hintergrund.“ Seine Augen glänzen als er erzählt: „Früher hielt man sich das Chillum an die Stirn und sagte: ´Bum Shanka´ oder ähnliches. Das war die Bitte an die göttlichen Wesen, den gleich kommenden Trip zu begleiten und eine Richtung zu geben. Heute wird einfach nur gekifft bis der Notarzt kommt.“ Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1994 waren die Leute erleichtert, erinnert sich Michael weiter. Für viele war dies ein Signal, offener mit ihren Cannabis-Vorlieben um zu gehen. Seit dem ist das Publikum jünger geworden und die Kaufgewohnheiten haben sich auch geändert. „Die Jungen kaufen Acryl, die Alten Glas“, bringt Michael den Unterschied auf den Punkt. Er zeigt uns einen Glas-Bong, der gerade repariert wurde. Für ihn selbst sind die Rasotherm-Geräte aus Jenaer Glas die ultimativen Rauchgerät. Festlegen will er sich aber nicht lassen: „Es kommt immer auf die Verwendung an. Für Feten und Chaos-Haushalte ist der Acryl-Bong natürlich ideal.“

Während Michael im Hinterzimmer gerade den Kaffee aufsetzt, geht wieder die Tür vom Laden auf. Der Mann sieht uns und meine vorm Bauch pendelnde Kamera, dreht auf den Hacken um und verlässt den Laden. „Samstags kommen immer die schrägsten Typen“, lacht Michael, „vor ein paar Jahren kotzte mir ein Typ in die Yuka-Palme; die Pflanze ging eine Woche später ein“. Ein anderes Mal war einem Kunden so übel, dass er sich vor die Tür erbrach – zum Glück war im letzten Moment die klemmende Tür doch noch auf gegangen.

Als wir auf die Drogenpolitik zu sprechen kommen, gerät Michael das erste Mal in Fahrt: „Das Samenverbot hat doch nur der Versorgnunsmafia in die Hände gespielt, der Konsum hat damit kein Stück nach gelassen. Dazu kommt, dass so ein Gesetz im Zeitalter offener Grenzen in Europa völlig blödsinnig ist.“ Durch die verfehlte Drogenpolitik und die Kommerzialisierung käme es zudem, so Michael, zu einer „Verhärtung der Szene“. Mittlerweile habe sich auch die Produktionsweise von Gras so professionalisiert, dass das in den Coffee-Shops angebotene Marihuana meist steril und automatisiert herangezogen wird. „Nach der naturfernen Aufzucht auf Steinwolle werden die Cannabisblüten abschließend mit Haarspray behandelt, damit sie schön harzig aussehen. Zur Krönung wird das Kraut dann auch noch nicht richtig getrocknet, weil es feucht mehr wiegt und das erzielt natürlich höhere Preise.“ Kein Wunder, so der Veteran, dass sich immer mehr Privatleute „für ihren Eigenbedarf von der Coffee-Shops abkoppeln wollen“.

Inzwischen sitzen wir seit drei Stunden bei Michael. Eine Goldgrube war der Shop nie, trotzdem ist er Michael ans Herz gewachsen. Auf die Frage, wie er sich seine Zukunft vorstellt, überlegt er kurz. „Hier bin ich und hier bleibe ich noch einige Zeit“, sagt er dann.

 

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Cannabis Gesundheitssystem

Cannabis und die Lunge

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Ergänzt im Juli 2007

Die Rauchzeichen sind deutlich: Cannabisrauch schadet der Lunge

In den letzten Jahren wurden eine Reihe von neuen, ernst zu nehmenden Studien zur Auswirkung des Kiffens auf die Lunge veröffentlicht. Schon in früheren Untersuchungen wurde darauf hingewiesen, dass regelmäßige Cannabis-Raucher, egal ob sie Cannabisprodukte nun mit oder ohne Tabak verbrennen und einatmen, statistisch gesehen eher an Husten und verschleimten Atemwegen leiden.

Genauer wollten es eine Forschergruppe um Michael Roth wissen. Sie untersuchten die Lunge von 40 Freiwilligen mit verschiedenen Konsummustern: (1) Nichtraucher, (2) Pur-Kiffer ohne Zigarettenkonsum, die rund fünf Spliffs in der Woche durchzogen, (3) Raucher, die eine halbe Schachtel Zigaretten täglich konsumierten und (4) Kombi-Kiffer, die sowohl kifften als auch Tabak rauchten. Jedes Mal wurden die Atemwege der Probanden per Endoskop videografiert und Lungenschleim untersucht (s. Foto). Das Ergebnis: Alle drei Rauchergruppen wiesen eine höhere Reizung der Bronchien auf als die Nichtraucher, wobei sich die Lungen der Pur-Kiffer und die der Tabak-Raucher kaum unterschieden. Am schlechtesten sah es bei den Kombi-Kiffern aus.

In Neuseeland untersuchten Robin Taylor und seine Kollegen über einen langen Zeitraum wiederholt den Atemtrakt von annähernd 1000 freiwilligen Kiffern, jeweils in deren 18ten, 21ten und 26ten Lebensjahr. Das Ergebnis: Sie litten im Vergleich zu Nichtrauchern eher an Husten, Schnupfen und Kurzatmigkeit. Dies galt unabhängig davon, so die Autoren, ob die Probanden zusätzlich auch noch Zigaretten rauchten. Wichtig: Es herrscht ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Menge des in dem Zeiträumen gerauchten Cannabis und der Schwere der Schädigung der Lunge. Gerade die Dauerkiffer, so die Autoren, leiden eher an Husten, vermehrtem Auswurf und Atemnot bei Belastung.

Das über allen professionellen Rauchern hängende Damoklesschwert hört auf den Namen „Krebs“. Auch hier gab es in den letzten Jahren wichtige Erhebungen. Grundsätzlich wohnt auch dem reinen Cannabisrauch das Potenzial inne nsere Zellen mutieren zu lassen und zu Krebs zu führen. Die meisten Studien nutzen aber enorm hohe Dosen, um diesen Effekt an den Zellen nachzuweisen. Am saubersten ist daher formuliert: Cannabisrauch kann, muss aber nicht Krebs auslösen. Selbst ohne Tabak birgt der dauerhafte und über einen langen Zeitraum betriebene Konsum von Cannabis die Gefahr der Krebserkrankung.

1999 untersuchte Zuo-Feng Zhang und eine Gruppe von Forschern an der Universität von Kalifornien 173 Lungenkrebspatienten und Nichtraucher-Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Ein Krebsrisiko erhöht sich mit Dauer und Dosis des Marihuana-Konsums. Langzeit-Kiffer, so die Autoren, erkranken 2,6 Mal häufiger an Krebs als Nichtraucher. Und das Risiko auf Krebs steigt um das 10-36-fache, wenn man zudem noch regelmäßig Fluppen raucht.

Für Krebs wie für andere Krankheiten gilt: Oft ist es sehr problematisch einen Kausalzusammenhang zum Cannabis-Konsum nachzuweisen. Die meisten Kiffer rauchen parallel Tabak, viele kennen die Wirkung von Hanf nur aus Tabak-Joints. Es besteht zwar der starke Verdacht, noch ist aber nicht nachgewiesen, dass der pure Genuss von Cannabis zu Krebs führt.

Neuseeländische Forscher haben 2007 die Auswirkung von Cannabis- und Tabakrauch auf die Lunge erneut verglichen (Thorax, Juli 2007). Sie untersuchten vier Testgruppen: Erwachsene, die nur Cannabis rauchen, solche, die nur Tabak genossen, eine Gruppe, die beides konsumierte, und Nichtraucher. Die Cannabis-Pur-Raucher mussten mindestens 5 Jahre lang einen Joint pro Tag geraucht haben, die Raucher ein Jahr lang mindestens eine Schachtel Zigaretten pro Tag. Nach dem Durchlauf der Statistik brachten die Forscher die Durchschnittswerte auf eine prägnante Formel: ein Pur-Joint ist für die Lunge das Äquivalent von 2,5 bis fünf hintereinander gerauchten Zigaretten. Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt das zum einen an der Tatsache, dass die Inhalation bei Pur-Rauchern viel tiefer und länger erfolgt.

Die schlimmsten Lungenschäden haben die Experten um Richard Beasley allerdings bei den Tabakrauchern und THC-Tabak-Kombinierern festgestellt. Sie litten öfter am sogenannten Lungenemphysem, einer Lungenkrankheit, die durch die Zerstörung der Lungenbläschen entsteht. Bei den Pur-Kiffern stellten die Forscher zwar kein Lungenemphysem fest, dafür aber leichtere Symptome wie pfeifenden Atem, Husten und „Schleimabsonderungen“, wie es in dem Bericht hieß.

Wohlgemerkt: Seit tausenden von Jahren verschafft Cannabis Asthmatikern Erleichterung, denn das Inhalieren des Rauches führt zu einer Erweiterung der Bronchien, die bis zu einer Stunde anhält. Und während so mancher Dauerkiffer fröhlich 85 Jahre alt wird, erwischt manchen sportlichen Veganer bereits mit 52 der Sensenmann. Wie so oft kommt es wohl auch auf die richtige Einstellung an. Und wer schon meint viel Gras und Hasch rauchen zu wollen, der sollte zumindest darauf achten seine kuschelige Körper-Geist-Einheit in Form zu halten. Das Motto „Viel hilft viel“ ist, egal, um was es nun geht, meist Raubbau am Körper, der sich früher oder später auf seine Weise rächen wird. Die junge Lunge kann sich erholen, ist sie aber erst einmal gründlich geteert wird es schwieriger mit dem Genuss der Riester-Rente.

Fazit: Die schädlichen Effekte von Tabak und Cannabis addieren sich, raucht man die beiden Kräuter zusammen, ist das weder aus Gründen eines kräftigen Highs noch aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll. Das klingt zwar puristisch, ist aber leider mittlerweile eine nachgewiesene Tatsache.

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Specials

Alkohol Special: Der Geist aus der Flasche

hanfblatt nr.108, Juli 2007

Vom Geist aus der Flasche

Am Alkohol zeigt sich, wie eine Gesellschaft mit einer Droge lebt, mit der sie eigentlich nicht umgehen kann

Obwohl Alkohol eine stark psychoaktive Substanz ist, hat sich die flüssige Droge nicht nur weltweit verbreitet, sie ist auch in vielen Ländern legal zu erwerben. Der Reiz des Rausches ist hoch, die Lust auf Wein, Bier, Schnaps oder Alcopops ungebrochen. Der Alkohol nimmt eine zentrale Stellung unter der Rauschmitteln ein. Warum bloß?

Fusel besitzt einen enormen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, 73 Prozent der Bundesbürger halten es für akzeptabel, wenn jemand „mal einen über den Durst trinkt“. Angesichts der jährlich rund 40.000 Toten und den volkswirtschaftlichen Schäden mutet es seltsam an, dass ausgerechnet diese Substanz einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft besitzt. Rund 1,7 Millionen Deutsche trinken mehr als Leber, Herz oder Hirn vertragen, weitere 1,7 Millionen gelten als klassische Alkoholiker.

Die Lösung für dieses Phänomen liegt auf mehreren Ebenen:
(1) Weingeist und seine Derivate sind über Jahrhunderte ins kollektive Bewusstsein gebrannt worden, die Droge ist voll etabliert. Ganze Institutionen und markante Zeitsteine im Jahresverlauf drehen sich um den Alkoholrausch. Das Oktoberfest, der Fasching, aber auch die „besinnliche Weihnachtszeit“ sind ohne die Unmengen an ausgeschenktem Bier, entkorkten Flaschen und gestürzten Kurzen nicht denkbar. Und: Alkohol ist ein wichtiger Schmierstoff persönlicher und geschäftlicher Beziehungen.
(2) Umsatz und Gewinn der Hersteller stimmen. Alkoholherstellung kann lukrativ sein, die deutschen Weinregionen sind dazu Touristenmagneten. Die Lobby besitzt politischen Einfluss.
(3) Der Droge selbst wohnt wenig revolutionäres Potential inne. Ihre bewusstseinsverändernde, transformatorische Spannkraft ist im Vergleich zu entheogenen Substanzen gering. Simpel gesprochen: Den Mächtigen droht vom Alkohol wenig Umstürzlerisches, auch deshalb wird er nicht verboten.
(4) Alkohol ist gut zu dosieren und für verschiedene Zwecke nutzbar. Niedrig dosiert wirkt er meist kommunikativ, in mittleren Dosen enthemmend, in hohen Dosen lässt er alles vergessen. Zudem ist er gut mit anderen psychoaktiven Substanzen wie Kaffee und Cannabis – um mal nur die harmlosesten zu nennen – mischbar.

Angesichts dieser Vorteile werden die erheblichen Nachteile als Kollateralschäden in Kauf genommen. Nicht nur, aber auch aus diesem Zynismus heraus lässt sich der Schluss erklären, den die Befürworter eines Verbots von Cannabis in die Diskussion führen: Man hat einfach Angst in dieser zur Sucht neigenden Gesellschaft ein weiteres Fass aufzumachen.

Zwei Problemgruppen hat man im Auge. Das sind zum einen die Jugendlichen, die, glaubt man den Zahlen, immer früher mit dem Alkoholkonsum anfangen und auch immer früher den Vollsuff praktizieren. Einige Zeit herrschte Aufregung um die sogenannten Alcopops, im Grunde recht biedere Zucker-Mischgetränke mit viel Alkohol, eine Art hässliche Nachgeburt der Techno-Generation. In Folge eines Alcopopgesetzes reduzierte sich der Konsum bei den unter 18-Jährigen auf 16 Prozent von vormals 28 Prozent im Jahr 2003.

Die Alkoholdealer halten seither dagegen: Kneipen bieten im herrlichsten Neusprech eine Alkohol-“Flatrate“ an, von 20-2 Uhr kann gesoffen werden was geht. „Binge Drinking“ ist Komasaufen, Ziel ist der möglichst schnelle Rausch inklusive Bewusstlosigkeit. Beliebt ist dieser Sport zurzeit in Großbritannien und einigen Ländern Skandinaviens, dort wird der Alkohol nicht nur unter Jüngeren ohnehin gerne zügig konsumiert. Ich erinnere mich an den Besuch einer Feier in Schweden, bei der alle Anwesenden binnen kürzester Zeit extrem betrunken waren, ohne Hemmung torkelten und auf die Straße kotzten.

Nur nebenbei: Seit Jahrzehnten dringt aus den teutonischen Schmieden keine Information über das Saufverhalten der Soldaten nach draußen. Aus guten Grund, denn jeder, der die Ehre hatte in dem Haufen zu dienen, weiß, dass hier der Grundstein für manche Alkoholikerkarriere gelegt wird. Die Anfälligsten bleiben gleich da.

Die andere Problemgruppe sind die stark trinkenden fast-schon oder tatsächlichen Alkoholiker. Alles in allem dümpelt der Pro-Kopf Verbrauch von reinem Alkohol in Deutschland seit über zehn Jahren bei rund 10 Litern jährlich, nur die Verhältnisse zwischen den Sorten verschieben sich. Wichtig bei der ganzen Zahlenspielerei um steigenden oder sinkenden Verbrauch von Bier und Wein ist: Ein Anteil von ungefähr acht Prozent der Bevölkerung konsumiert rund 40 Prozent des verkauften Alkohols.

Suchtvermeidend kann die alte Regel sein, nicht alleine zu trinken. Aber die Umgehungschancen sind groß, man braucht sich nur in den Dorf-und Großstadt-Kneipen umzusehen, in denen Abend für Abend die selben Kapeiken am Tresen hocken, sich gegenseitig die Welt erklären und Freundschaft fürs Leben schließen. Die deutsche Schlagerkultur („Sieben Fässer Wein“, „Einer geht noch“, ) und zahlreiche Alltagsweisheiten („Auf einem Bein kann man nicht stehen“) feuern den Alkoholkonsum noch an.

Es kann als weiterer Hinweis auf die Komplexität der Drogenwirkung im Spannungsfeld von Set und Setting interpretiert werden, dass trotz einem Jahrhundert intensiver Erforschung der Alkoholabhängigkeit die Therapie derselben weiter schwierig bleibt (s. Interview mit dem Suchtforscher Andreas Heinz).

Laaaaangweilig: Geschichtsstunde

Zurück in der Zeit. Der Alkohol schaffte es als Wein und damit „Blut Jesu“ in die christliche Mythologie, in den griechischen Mythen galt Dionysos nicht nur als Gott des Weines, sondern auch der der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Der Alkoholrausch galt als kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit, eine Vorahnung des ewigen Lebens. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit wurden dem Wein magische Kräfte zugesprochen, er wurde als Heilmittel gegen jedwede Wehwechen und ernsthafte Krankheiten eingesetzt. Die therapeutische Breite schien unerschöpflich. Bis in die 80er Jahre des letzten 20. Jahrhunderts hinein erhielt jeder Matrose in der englischen Marine täglich eine Portion Rum (rund 100 ml).

Im Mittelalter gehörte das maßlose Trinken zum Bürgeralltag, wer es sich leisten konnte, der soff. Mit der Rationalisierung des Lebens änderte sich ab dem 16. Jahrhundert auch die Einstellung zum Alkohol, die Obrigkeit setzte vermehrt auf Alkoholverbote, die immer auch im Zusammenhang mit den Luxusverboten standen, wie Kleiderordnungen, Verboten von bestimmtem Schmuck, teuren Kutschen und vergoldeten Möbeln. Religiöse Strenge und Abstinenz bedingen sich bei den christlich geprägten Religionen. Gleichwohl galten gerade die Mönche als Vorreiter des Suffs und der Völlerei.

Die Zwanghaftigkeit, die vom Alkoholismus ausgeht, wurde lange Zeit nicht gesehen, bis ins 18. Jahrhundert hinein galt es als freie Entscheidung des Trunkenboldes sich tagtäglich die Birne dichtzuknallen. In Amerika und Europa wurde der Alkohol im 19. und 20. Jahrhundert zum Sündenbock für alle möglichen schlechten Verhaltensweisen des Menschen. Die Mäßigkeitsbewegung radikalisierte zur Prohibition. In den USA gab es erste Verbote in einigen Bundestaaten bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Nahezu alle wurden nach ein paar Jahren widerrufen. 1869 gründete sich dann die „Prohibition Party“ (die bis heute existiert!), es kam zu (heute noch üblichen) seltsamen Bibelauslegungen und schließlich zur berühmten Prohibition von 1919-1933.

Der Alkoholkonsum der Arbeiterklasse ging daraufhin tatsächlich zurück: sie konnten sich den teuren Schwarzmarktschnaps nicht leisten, zugleich tranken der Mittelstand und die Jugendlichen soviel wie nie zuvor; die Mafia entstand. Es war weniger der Aufstand der Massen, als vielmehr ökonomische und juristische Zwänge, die zur Aufhebung der Prohibition im Jahre 1933 führten. Viele Großunternehmen wie Cadillac, General Electric, Boeing und die Southern Pacific Eisenbahngesellschaft glaubten, dass durch die Wiedereinführung der Getränkesteuer ihre Einkommensteuer gesenkt werden könnte. Dazu kam eine um sich greifende Missachtung der Pohibitions-Gesetze, die langsam auf andere Bereiche übergriff. Der Respekt vor dem Recht sank.

Initiation

Will man den Wert einer Droge an den Initiationsriten festmachen zeigt sich in der westlichen Welt ein Phänomen: Die Einführung in den Alkoholrausch besteht meist aus einem dreiphasigen Lall-, Taumel- und Kotzereignis.

Wer dagegen von den guten Seiten des Alkohols sprechen will, der spricht vom Wein. Noch heute trinken in Frankreich die Menschen durchschnittlich sechs Gläser am Tag und leben trotzdem lang; diese Geschichte durchstreift die Weinstuben der deutschen Republik genauso häufig wie die von der niedrigen Herzinfarktquote unter den Franzosen. baccus

Wein, das bedeutet heute eine enorm diversifizierte Kultur, die sich zwischen den beiden Enden Genuss und Sucht entfaltet. Sie variiert vom Tetrapack bis zum Luxusgut. Weinkeller, Dekantierflaschen, Degustation, Weinführer, Weinzeitschriften: Das Brimborium rund um den gegärten Traubensaft könnte als gute Matrize für die Eingliederung des Rauschhanfs und seiner Produkte dienen. Es ist die eingehende Beschäftigung mit der psychoaktiven Substanz, die Liebe zum Objekt, die Kenntnis von Wirkung und Nebenwirkung, das liebevolle Stapeln von Flaschen im Weinregal oder später Weinkeller, die einem Missbrauch der Droge vorbeugt, besser gesagt: vorbeugen kann.

Neben den wichtigen sozialen und individuellen Faktoren steigt die Gefahr in ein Abgleiten in die Abhängigkeit mit der Radikalität der Dareichungsformen und Einnahmetechniken. Sicher, die Dosis macht das Gift und auch gebrannte Schnäpse können ebenso wohldosiert wie Wein werden, dies setzt aber mehr Erfahrung voraus. Die meisten älter werdenden Jugendlichen verstauen das 80 Zentimeter Bong aus gutem Grund irgendwann im Schrank und setzen auf mildere Formen der THC-Aufnahme.

Der Deutsche Brauer Bund weist in einem Gutachten auf die vielen positiven Eigenschaften hin, die der Alkohol hat. Für den Chef des Brauerbundes, Richard Weber, ist Bier ohnehin kein Sucht-, sondern ein Genussmittel. Er sagt: „Wir sind Bierbrauer, keine Drogendealer“. Genau in diesem Punkt irrt er.

Die Bayern pochen seit Jahrhunderten auf ihren Suff, für sie ist der niedliche Gerstensaft in erster Linie ein „Lebens-“ besser noch „Grundnahrungsmittel“. Sie haben es geschafft. Dazu argumentieren die Hersteller mit Zahlen: Man gebe im Jahr rund 562 Millionen Euro an Werbegeldern in Deutschland aus, von den 200.000 Arbeitsplätze mal ganz abgesehen. Es ist dem Druck dieser Lobby zu verdanken, dass bisher keine weitreichenden Verbotsmaßnahmen umgesetzt werden. Aber der Fall des Rauchverbots zeigt: der Alkoholindustrie könnten schwere Zeiten bevorstehen. Eine potentielle Fremdgefährdung in Folge von Alkoholkonsum, gegenüber der die Gefahren des Passivrauchens vergleichsweise harmlos erscheinen, ließe sich hier ob im Straßenverkehr oder durch alkoholbedingte Straftaten problemlos an Hand von Statistiken belegen.

Die vielen Varianten des Alkohols werden derzeit jedoch überwiegend als Nahrungs- und Genussmittel akzeptiert, die heil- oder unheilvolle Wirkungen im Kräftespiel von Dosis, Individuum und sozialem Umfeld entfalten. Dahin sollten es eigentlich auch mehr der anderen und viel diskutierten Drogenzubereitungen schaffen. Denn die Zunahme an Verboten führt immer tiefer in eine repressive Gesellschaftsform hinein; vielleicht werden die Tabaknutzer tatsächlich bald zu den „neuen Junkies“, wie Günther Amendt vermutet. Eine freiere Gesellschaft bräuchte für die vielen Verlockungen die Bereitschaft zur Entwicklung vernünftiger regelmäßig an die aktuellen Umstände angepasster Konsumregeln, die nicht pauschal in Ignoranz gesellschaftlicher Realitäten mit staatlicher Autorität durchgeprügelt werden, sondern ein breites Spektrum im Feld von spirituellen Ritualen wie bei Ayahuasca, über Weindegustationen an der Mosel, schicken Whiskyverkostungen in den Städten bis zu rammelnden Techno-Festen abdecken.

 

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Bruno Martin

Hanfblatt, Nr. 109

Langsame und plötzliche Evolution

Jörg Auf dem Hövel & AZ

Interview mit dem Buchautoren und 68er-Veteranen Bruno Martin

Der Zeitgeist ist sich uneinig über die positiven und negativen Anschübe der 68er-Ära. Der Autor und Gurdjieff-Experte Bruno Martin erzählt im Interview über den suchenden Elan der damaligen Zeit, die psychoaktiven Türöffner und die göttliche Evolution.

Geboren 1946 in Karlsruhe wuchs Bruno Martin in einem linksliberalen Elternhaus auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung zog er nach München, wo er 1966-68 Politikwissenschaft studierte und aktiv an der linken Studentenbewegung beteiligt war. Es folgte eine lange Reise nach Indien, später verschlug es ihn nach England, wo er in der „Akademie für lebenslanges Lernen“ des britischen Mathematikers John G. Bennett studierte. Zurück in Deutschland gründete er Mitte der 70er Jahre einen Buchverlag und gab viele Jahre das New-Age-Magazin „Hologramm“ heraus. Obwohl ihn seine Familie mit vier Kindern viel in Anspruch nahm, begann er neben seiner Verlags- und Übersetzertätigkeit eigene Bücher zu schreiben, das bekannteste wurde das „Handbuch der spirituellen Wege“, das er 2005 zu einem „Lexikon der Spiritualität“ weiterentwickelte. Im Herbst erscheint nun im wiederbelebten Sphinx-Verlag sein neuestes Werk „Intelligente Evolution“, in dem er auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt, wie eine schöpferische Kraft die Evolution vorantreibt und das Leben kreativ weiterentwickelt. Er versucht mit vielen spannenden Fakten zu belegen, dass der materialistische Darwinismus als überholt gelten kann.

Frage: Es ist viel über die Zeit der 1960er Jahre, ihre persönliche und gesellschaftliche Wirkung geschrieben worden. Neben den positiven Prozessen bedeutete es für viele eine geistige Transformation, aber auch ein Verheddern, entweder in ideologische oder aber in esoterische Gefilde. Marxismus oder Leary, waren das wirklich Alternativen? Wenn Du den Blick zurück wendest: Welche Strukturen förderten einen konstruktiven Umgang mit den Dynamiken?

Bruno Martin: Es war kein sensitives Feld dafür vorhanden, es war Neuland. Will man die Geschichte von vorne beginnen zu schreiben, muss der theoretische Marxismus erwähnt werden, denn damit fing es bei den meisten an.

Frage: Bitte.

Bruno Martin: Ich war in der Studentenbewegung in München aktiv. Asta-Besetzung, Anti-Springer-Demonstrationen, Druck und Verteilung von Flugblättern. Eine sehr politische Zeit, im Kern anti-religiös, auch ich war aus der Kirche ausgetreten. Von diesem Standpunkt aus informierte ich mich über den Anarchismus und lebte in einer Wohngemeinschaft. Zu dieser Zeit, es war 1969, schneite eine Hippie-Kommune in unsere Wohngemeinschaft rein, der habe ich mich dann angeschlossen, denn das politische Engagement war mir vom Lebensgefühl her ohnehin nicht mehr radikal genug. Der Kommunismus war mir suspekt geworden, die autoritären Strukturen wurden schon sichtbar.

Frage: Das war auch die Zeit, in der du mit psychoaktiven Substanzen in Berührung kamst?

Bruno Martin: Zunächst wurde gekifft. Zu Marcuse, Freud und Wilhelm Reich gesellte sich Carlos Castaneda. So kam es zum langsamen Abwenden vom Allgemeinpolitischen und zum Aufbrechen der persönlichen Strukturen. Es war klar, dass man erst einmal bei sich selber anfangen muss, bevor man die Welt verändert. 1969, in Köln, nahmen wir dann in der Gruppe die ersten LSD-Trips, die verliefen eher anstrengend. LSD war kaum bekannt, erst ab 1969 gingen mehr Menschen auf den Trip. Die Yellow-Sunshine-Trips kamen auf den Markt, sehr rein, 250 Mikrogramm. Nach zwei, drei Trips habe ich die kosmische Dimension entdeckt – oder sie mich. So kam zur politischen und psychologischen Ebene eine spirituelle hinzu.

Frage: Die Suche begann?

Bruno Martin: Sie führte Richtung Indien, ich suchte eine fundierte spirituelle Ausbildung. Von Delhi aus reiste ich sofort auf die Vorgebirge des Himalaja und habe mir dort auf zweieinhalbtausend Metern eine Hütte gemietet. Fünf Mark im Monat hat die gekostet. Dort habe ich meditiert. Ein paar Kilometer entfernt hatte Lama Govinda sein Zentrum, bei mir in der Nähe wohnte im Wald ein alter Einsiedler. Ein Däne, 80 Jahre alt vielleicht, er nannte sich Sunyata. Bei ihm erfuhr ich die Lehre der Advaita-Vedanta – die letztlich sagt, dass die Welt weder existiert noch nicht existiert… Dann las ich „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ von Pjotr D. Ouspensky, das bot eine Art von wissenschaftlicher Spiritualität. Das führte direkt zum Interesse an einer Gurdjieff-Schule.

Frage: Warum kehrtest du nach Deutschland zurück?

Bruno Martin: Wahrscheinlich, weil meine wissenschaftliche Prägung doch zu stark war, die indische Lebensweise wirkte auf Dauer zu schwammig auf mich. In den Lehren von John Bennett, einem Mathematiker und Physiker, der ein Schüler von Gurdjieff war, fand ich eine neue Orientierung. Er hat den Begriff des „lebenslangen Lernens“ in unser Bewusstseinsfeld gebracht.

Frage: Bis dahin war die spontane Erleuchtung verlockender gewesen?

Bruno Martin: Sein Training spielte mit Spontaneität und Struktur. Ein Jahr lang ging ich in England in diese „Schule des Augenblicks“, danach gründete ich eigene Gruppen, um noch mehr zu lernen.

 

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Frage: Welchen Inhalt würdest du dem Begriff der „Naivität“ in diesem Zusammenhang einräumen?

Bruno Martin: Wir waren nicht naiv. Die politische Bewegung hat uns eher intellektualisiert, später kam die Neugierde dazu. Man musste Mut haben, um beispielsweise LSD zu nehmen. Wie Nietzsche sagte: „Man muss Künstler genug sein, um der Wahrheit ins Auge zu sehen.“ Jugendliche heute, die können schon auf einen gewissen Erfahrungsschatz zugreifen. Zugleich ist der Umgang mit der Droge in gewisser Hinsicht heute viel naiver. Da sind wenige, die ein kosmisches Bewusstsein anstreben. Das Empfinden wirkt oberflächlicher.

Frage: Schwer zu sagen. Die junge Generation ist extrem gesättigt von den visuellen und akustischen Arbeiten und Phantasien anderer Menschen. Ego-Shooter, Matrix, MTV. War die Zeit damals nüchterner, vielleicht sogar grauer, so dass der Bruch durch das LSD-Erlebnis viel intensiver war?

Bruno Martin: Sicher. Der Weg nach Innen ist heute viel schwerer. So dienen LSD oder andere Substanzen oft nur als Verstärker der künstlichen Welten.

Frage: Dazu Pappmachezwerge und Schwarzlicht-Konstrukte, der „Film“ ist eigentlich schon fertig.

Bruno Martin: Das zeigt, dass unser Bewusstsein diesen „Film“ selber erschafft und gestaltet. LSD ist nur ein Türöffner, ein Auslöser. Die Absicht ist dann das Entscheidende. Als Beispiel: Walking kann als reine Fitness-Variante oder eben als meditativer Vorgang verstanden und ausgeführt werden. In einem guten Trip verlässt man die Subjektivität und geht in die Objektivität. Dann trennt man nicht mehr zwischen sich und den Dingen, die Ganzheitlichkeit kommt. Aber diese Mystik ist nur schwer in Worte zu fassen.

Frage: Erlebnisse von Einheit mit Allem sind immer wieder beschrieben worden, meist in Zusammenhang mit Meditation.

Bruno Martin: Als die spirituellen Wege entstanden, waren und blieben sie auch die Ausnahmen. Die Leute sind in die Einsamkeit, später ins Kloster gegangen. Askese, Fasten, Singen, Beten, Arbeiten. Es war ist ein langer, fruchtbarer Weg bis zur Schau der Ganzheit. Damit dieser Weg nicht austrocknet, kann es aus meiner Sicht durchaus gut sein, ihn ab und zu aufzufrischen.

Frage: Wie?

Bruno Martin: Eben auch mit psychoaktiven Substanzen. Wer beispielsweise zehn Jahre lang einen buddhistischen Weg gegangen ist, dem kann ein LSD-Trip eine neue Perspektive geben, die natürlich eine alte ist. Es können dann Dinge geschehen, die man bis dahin nur kurz erheischt hat. Danach weiß man wieder, wohin es geht und warum man überhaupt an sich arbeitet. Klar, wer sich in diesem Zusammenhang nur auf Drogen verlässt, dem geht die Stabilität des Wesens ab, denn die ist nur durch Jahre währende Praxis erreichbar. Ich würde schon unterscheiden wollen zwischen dem Aufwachen und der momentanen Erleuchtung und dem dauerhaften Seinszustand. Ich habe nach den einschneidenden 68er Erfahrungen lange keine Entheogene mehr genommen und Energiearbeit, Bewegungsübungen und Meditation praktiziert. Als ich dann Mitte der 90er wieder auf einen Pilz-Trip ging war die Erfahrung eine andere: Viel stabiler, es hatte eine zusätzliche Qualität und Tiefe, die ich früher nur ahnte. Ich sah die Welt wie sie ist, im Sinne von William Blake.

Frage: Als Gefahr für die Psyche hast du das nie empfunden.

Bruno Martin: Nein. Sicher gibt es die, es fehlt an der Kultur und dem Wissen. Die Leute müssen verrückt sein, bei einer Party zehn Ecstasy-Pillen zu schlucken oder literweise Alkohol zu trinken. Davon wird man nicht schlauer, nur krank. Im Grunde müsste man Kurse anbieten, in denen man lernt, wie man mit psychoaktiven Substanzen umgehen kann. Die müssten von Leuten gegeben werden, die Erfahrungen damit haben – und die gibt es ja. Das wäre sinnvoller als das momentane Verbot und der Verlust der spirituellen Dimension. Aber die ist vielleicht gar nicht gewünscht.

Frage: Ein Hauch von Magie muss meist ausreichen, eine sanfte Überwältigung.

Bruno Martin: Ich meinte eher politisch nicht erwünscht. Die Integration der 68er Zeit ist ja weitgehend vollzogen, nur die drogenpolitischen und spirituellen Dimensionen will man nicht angehen.

Frage: Ein Fahrplan für die psychedelische Erfahrung war ab den 60er Jahren das „Tibetanische Totenbuch“, eine von Timothy Leary und anderen herausgegebene Neuformulierung eines ursprünglich aus dem 8. Jahrhundert stammenden Werkes. Darin wird der Prozess des Sterbens und der Wiedergeburt sowie die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf auszubrechen, auf den LSD-Trip angewandt. Ist das in der Rückschau nicht eine enorm suggestive Beeinflussung, die so manchen Trip in seltsame Bahnen geleitet hat?

Bruno Martin: Ich habe das Buch damals übersetzt und das nie so empfunden. Die Bardos, diese Zwischenzustände zwischen zwei Leben, habe ich nie als Todeserfahrungen interpretiert, sondern als Stufen der inneren Erfahrung auf dem Weg zum Licht. Starke Bilder von Türwächtern, wie dem Gott der Weisheit, der seine Zähne fletscht und dich zunächst abschreckt. Diese Illusionen können abgelegt werden, dann kommt man in die interessanten Dimensionen der Erleuchtungserlebnisse.

Frage: Das ist für jemanden, der bereits eine psychedelische Erfahrung gemacht hat, vielleicht ein probates Mittel. Für jemanden ohne Ahnung ist dieser fremde Film doch eher einschränkend, vielleicht sogar anstrengend.

Bruno Martin: Es geht um die grundsätzliche Erfahrung auf einem Trip, die oft mit verschiedenen Geistwesen beziehungsweise psychischen Zuständen einhergeht. Wenn ich nun durch ein Buch weiß, weshalb diese erscheinen, dann ist mir schon geholfen. Man tastet sich von einer Illusion zur nächsten, wenn man Glück hat, bis alle Täuschungen aufgelöst sind. Nebenbei bemerkt koche ich mein Essen auch nicht nach Rezept. Aber in einer Zeit, in der noch kaum ein Bewusstseinsfeld existierte, war das „Bardo Thödol“ in der Fassung von Leary eine der wenigen Möglichkeiten, geleitet durch einen Trip zu gehen. Nach den Lehren der tibetischen Lamas löst sich der Körper schrittweise auf, so dass mit dem Zerfall der äußeren Wirklichkeit im Augenblick des Todes der wahre, leuchtende Geist erfahren wird.

Frage: Wie muss man sich ein Bewusstseinsfeld vorstellen?

Bruno Martin: Wir leben in verschiedenen Feldern. Auf der kleinsten Ebene existieren Quantenfelder, also schwingende Einheiten, die Materie und Energie zugleich sind, zudem unbestimmt in ihrem Ort. Aus ihnen bilden sich Atome und das, was wir als feste Materie wahrnehmen. Auf der nächsten Ebene existiert die Biosphäre, mit allen Pflanzen und Tieren. Auch die Atmosphäre kann als Feld bezeichnet werden. Über die Luft sind wir mit allen anderen Lebewesen verbunden. Es wird uns erst langsam klar, wie eng wir mit diesen ganzen Feldern verwoben und wie abhängig wir von ihnen sind. Wenn ich ein paar Minuten nicht atme, bin ich tot. Das Bewusstseinsfeld ist nun das Feld, in dem die sensitiven und bewussten Informationen, die von uns erlebt werden, existieren und gespeichert werden. Es gibt den Begriff der Meme, also die Vorstellung von der Übertragung von Ideen nach einem Prinzip ähnlich wie bei den Genen. Die Meme nutzen das Bewusstseinsfeld, um sich zu verbreiten. Momentan haben die ideologischen Meme wohl die Oberhand gewonnen.

Frage: Das Bewusstseinsfeld ist immateriell?

Bruno Martin: Da kommen wir auf den Punkt. Das elektromagnetische Feld der Quantenphysik ist auch kein materielles Feld und gleichwohl real. Dieses Energiefeld wird zusammengehalten und verknüpft durch Information, also Geist. Das Bewusstseinsfeld liegt nicht außerhalb der Naturgesetze, sondern ist – wie alles – eng mit den anderen Feldern verwoben. Die wenigsten können sich vorstellen, dass es so etwas wie feste Materie im Grunde gar nicht gibt. Nun, mit etwas Trip-Erfahrung kann man sich das vorstellen.

Frage: Und Spiritualität ist die Praxis der Modifikation des Bewusstseinsfelds?

Bruno Martin: Ja, spirituelle Arbeit besteht darin, das eigene, schwingende Energiefeld homogen zu machen. Dies ist ein individueller Vorgang, denn jeder arbeitet spezifische Qualitäten in seinem Leben aus. Es ist durchaus möglich, dass dieses Energiefeld vom eigenen Bewusstsein zusammengehalten wird und mit dem größeren Bewusstseinsfeld zusammenwirkt, so wie die Luft auch immer wieder ausgetauscht wird. Vielleicht wird auch die Information ausgetauscht, so dass Leute Reinkarnationserlebnisse haben. Man darf das nicht zu persönlich sehen.

Frage: Welche Rolle spielt die Evolution in diesem Kontext?

Bruno Martin: Die Natur ist enorm komplex aufgebaut und jedes kleinste Insekt spielt eine Rolle in der Biosphäre. Das Ganze muss sich irgendwie selbst organisieren. Da kommt die Intelligenz ins Spiel: denn Selbstorganisation geht nicht automatisch. Es sind einfach zu viele Variablen im Spiel. Diese Intelligenz ist aber nicht von Anfang an allwissend, sondern ist mit der Evolution gewachsen, genauso wie wir dazu lernen, wenn wir älter werden. Schon in den ersten Quantenfeldern existierte eine kreative Triebkraft voller Experimentierlust, die sich in Richtung der Erschaffung von Leben entwickelt hat. Der Begriff der „intelligenten Evolution“ drückt das gut aus. Wenn wir genauer hinschauen sehen wir, dass komplexe Dinge nicht rein mechanistisch aus einfachen Bauteilen entstehen können. Es ist mir nicht weiß zu machen, dass beispielsweise einfache Bakterien sich irgendwann zufällig zu neuen Zellen mit Zellkernen entwickeln, in denen ein ausgeklügelter genetischer Code mit 3 Milliarden Buchstaben auf Nano-Ebene enthalten ist, und dieser Prozess dann nach Milliarden von Jahren bei Säugetier-Zellverbänden und den 50-100 Billionen Zellen des Menschen endet. Da wurde viel kreativer Schweiß vergossen.

Frage: Das Zusammenspiel ist aus deiner Sicht zu komplex, um nur auf Zufall, Anpassung, Mutation und Notwendigkeit zu basieren?

Bruno Martin: Der Darwinismus ist heute schon wieder zur Religion geworden. Keiner traut sich, auszutreten. Die meisten Ergebnisse aus den verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten werden nur selten interdisziplinär zusammengetragen. Jede Fachrichtung produziert nur winzige Bausteine. Doch keiner der Wissenschaftler spielt mehr Lego damit. Ich habe in meinem Buch versucht, die Legosteine zu einem Hundertwasser-Haus zusammenzusetzen.

Frage: Und das Ergebnis?

Bruno Martin: Das Ergebnis ist: Die Dinge sind so eng miteinander verknüpft, dass mechanistisch-materialistische Erklärungsmuster zu eindimensional sind, wenn man verstehen will, wie Evolution funktioniert. Das Ausmaß des Zusammenspiels ist so groß, dass diese Ordnung ohne eine systemimmanente Intelligenz nicht vorstellbar ist. Das geben inzwischen auch Genforscher zu, die sagen, dass unser Genom ein hochkomplexes, verwobenes Netzwerk ist, das nicht mechanistisch erklärt werden kann. Die genauen Informationsübertragungswege dieser Intelligenz sind noch nicht bekannt. Aber so viel steht aus meiner Sicht fest: Da sitzt kein alter Herr mit einem weißen Bart und einem Kamm in der Jackentasche und steuert das Ganze; der Verlauf ist nicht determiniert.

Frage: Wie hängen nun Evolution und Bewusstseinsfeld zusammen?

Bruno Martin: Evolution ist meiner Meinung nach ein großes Experiment. Alle späteren Lebensformen haben von den vorherigen etwas Neues gelernt. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, in dem wir Menschen unsere eigene innere Entwicklung in die Hand nehmen müssen und auch können. Die Intelligenz in der Evolution hat sich vielleicht deshalb im Menschen verkörpert, um ihre wunderbare Schöpfung selbst sehen zu können. Das ist auch eine der Lehren aus den 60er Jahren: Das menschliche Bewusstsein kann sich weiter entwickeln. Es reicht nicht aus, sich bequeme äußerliche Umstände zu schaffen, in der die Maschinen alle Arbeit übernehmen und immer mehr Müll produzieren. Aber diese Bewusstseinsentwicklung ist kein automatischer Vorgang, sondern es existieren nur Anlagen und Möglichkeiten. Wenn wir mit diesen Potenzialen nichts Vernünftiges anstellen und nur Unterhaltungselektronik produzieren, dann geht die Menschheit unter. Vielleicht hilft der Klimaschock ja.

Frage: Was ist der nächste Schritt?

Bruno Martin: Die Bildung von intelligenten Netzwerken auf Bewusstseinsebene. Das Internet ist ein Vorläufer davon und ein gutes Beispiel für die positive Kraft, die ein Netzwerk entfalten kann. Man muss andererseits aber auch in der Lage sein, sich zurück zu ziehen und sich der ständigen Verdrahtung zu verschließen. Der Mensch darf nicht zum Zwischenstück zwischen elektronischen Maschinen und Spielzeugen werden. Ich will keinen Chip im Gehirn.

Frage: Bleibt die Frage nach dem Sinn.

Bruno Martin: Ich sehe wenig Sinn in der Jenseits-Dimension, keiner weiß, was nach dem Tod kommt. Ich bin mir jedoch sicher, dass meine individuelle Entfaltung, meine eigene Melodie, die ich während des Lebens komponiert habe, im Bewusstseinsfeld erhalten bleibt, und ich so möglicherweise auch allen anderen Lebewesen nützen kann, weil die so auf Informationen der vorherigen Generationen zurückgreifen können. Und zugleich wird das persönliche Leben auch intensiver und tiefer. Ich möchte schlauer gehen, als ich gekommen bin. Es ist einfach auch eine spannende Forschungsreise, wenn wir selbst nach dem Sinn suchen. Und der entfaltet sich mit der Suche. Vielleicht entdecken wir, dass wir selbst der Sinn sind.

Literatur:
Bruno Martin
Intelligente Evolution
München 2007
Hugendubel/Spinx
Erscheinungsdatum: 9/2007
Hardcover 384 Seiten
ISBN: 3-7205-9003-8
Preis: 22,00 EUR

 

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Mixed

Chinas Gegner – Robert Enke und der Hundefellhandel

dogs 6/2007

In China hergestellter Hundepelz landet auch an deutschen Anoraks. Die Tierschutzorganisation PETA und der Bundesligatorhüter Robert Enke kämpfen dagegen.

Jörg Auf dem Hövel
Es gibt durchaus Leute, die verstehen die Aufregung nicht. „Wir fragen uns schon, warum Zeit und Ressourcen für einen Gesetzgebungsprozess zur Einführung eines Handelsverbotes verschwendet werden, wenn es diesen Handel gar nicht gibt.“ Die Dame, die so spricht, ist Susanne Kolb-Wachtel, Vorsitzende vom „Deutschen Pelz Institut“ in Bonn. Ihr Stein des Anstoßes: Das nun schon Jahre währende Bemühen des EU-Parlaments, die Einfuhr von Hunde- und Katzenfell in die Europäische Union zu verbieten. Denn in Asien, vor allem aber in China, existieren nachweislich offene Märkte, auf denen das Fell frisch getöteter Hunde und Katzen angeboten wird. Wie viele davon in die EU und nach Deutschland gelangen ist unklar, fest steht, dass in den letzten Jahren in Einzelfällen schon Pelzbesatz aus Hundefell auch in deutschen Kaufhäusern entdeckt wurde.

Kolb-Wachtel sieht gleichwohl kein Grund für ein Importverbot. Die internationale Pelzbranche hat ein System zur Kennzeichnung aller Pelzwaren ins Leben gerufen, die Etiketten weisen die handelsübliche Bezeichnung des verwendeten Pelzes sowie die wissenschaftliche Bezeichnung in lateinischer Sprache auf. Nur leider ist der globale Handel von den Maßnahmen der deutschen Kürschner beeindruckt, Hundefell wird weiterhin aus China in die Welt und über Umwege auch nach Deutschland exportiert. So gelangt es unbemerkt als Taschen-Innenfutter, Handschuh oder sogar Möbelbezug in deutschen Haushalten.

Einer, der die Aufregung daher durchaus versteht, sitzt in seinem Bauerngarten in der Nähe von Hannover und streichelt die langen Stehohren seines Podencos „Pincho“. Robert Enke, Torhüter von Hannover 96 und einer der besten Torhüter der Fußball-Bundesliga, hat die TV-Bilder und Berichte aus China noch in schlechter Erinnerung. Die Tierschutzorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) und der Filmemacher Manfred Karremann hatten erstmals 2005 einen Tiermarkt in Guangzhou im Süden Chinas aufgesucht und Aufnahmen mit nach Hause gebracht, deren drastische Brutalität bei ihm bleibenden Eindruck hinterließ.

Die Tiere wurden in winzigen Drahtkäfigen zum Markt transportiert. Schon beim Abladen der Käfige nahm man Knochenbrüche in Kauf. Nach der tierschutzwidrigen Haltung wurden die Tiere meist qualvoll getötet, eine vorherige Betäubung fand nicht statt. Es gab Aufnahmen, die zeigten, wie Hunde wie Katzen bei lebendigem Leibe enthäutet wurden. „Mir tut das körperlich weh, solche Bilder zu sehen“, sagt Enke.

Schnell fiel der Entschluss bei Enke und seiner Frau Teresa sich für ein Ende dieser Quälerei einzusetzen. Enke stellt sich seither immer wieder für Kampagnen von PETA zur Verfügung. Das dies keine Lippenbekenntnis eines Promis mit Geltungsdrang ist, zeigt das Leben des Ehepaars mehr als deutlich. Man hält acht Hunde, zwei Katzen und ein Pferd auf dem kleinen Hof im Dörfchen Empede. „Wie alle diese Hunde zu uns kamen, das ist eine Geschichte für sich“, schmunzelt Enke. Eine Geschichte die zeigt, wie eng das Schicksal der Enkes an ihre Vierbeiner geknüpft ist.Zeitsprung in das Jahr 1996. Robert Enke, damals gerade 19 Jahre alt, hat einen Angebot vom Bundesliga-Erstligisten Borussia Mönchengladbach erhalten. Eine enorme Chance. Für ihn und seine seine Freundin Teresa bedeutet das den Umzug aus der vertrauten Umgebung in Jena nach Gladbach. „Als Kind war in unserer Familie an einen Hund nicht zu denken“, erinnert sich Enke, „das war zum einen im Plattenbau schwer zu realisieren, zum anderen in der DDR ohnehin eher unüblich.“ Teresa dagegen ist mit Tieren aufgewachsen, bringt als Kind oft Tiere mit nach Hause, rettet Vögel und einmal sogar ein krankes Rehkitz.

Trotz der kleinen Wohnung in Gladbacher Neuwerk-Viertel keimt der Hundewunsch in beiden auf. Das städtische Tierheim zeigt sich kompliziert, ein Züchter kann mit einem Mischling helfen, sein Name: Bo.
Die Saat war gelegt. Ein zweiter Kanide sollte dem ersten Gesellschaft leisten, zugleich wollte man dieses Mal einem herrenlosen Hund eine neue Heimat geben. Es wurde Kontakt zu einem lokalen Tierheim aufgenommen, so kam Alamo ins Haus. Ein Hund, der trotz eines Auftrittes bei „Tiere suchen ein Zuhause“ unvermittelbar erschien. „Ein behinderter Jagdhund mit dreieinhalb Beinen“, wie Enke bitter bemerkt. „Wahrscheinlich ein Verkehrsunfall.“ Die Erziehung des Hundes war ungewohnt, die Enkes waren unerfahren. „Da haben wir Fehler gemacht“, gibt er zu. In der Mietwohnung wurde es gemütlich, man könnte auch sagen eng.

Lissabon

Drei Jahre später. Enke ist mit 22 Jahren noch immer der jüngste Torwart der Liga, die Fachwelt ist von der Mischung aus schnellen Reflexen und der für sein Alter außergewöhnlichen Souveränität begeistert. Aber Gladbach steigt ab, Enke möchte nicht mit in die zweite Liga und wechselt gemeinsam mit Trainer Jupp Heynckes nach Lissabon. Ein Traumjob, Benfica ist einer der europäischen Spitzenclubs, Robert Enke muss zugreifen. Er sorgt für neuen Rückhalt in der Mannschaft, wird Kapitän, ist Publikumsliebling.

Aber das Leben in Lissabon zeigt den Enkes, welchen niedrigen Stellenwert Hunde in einer Gesellschaft haben können. Die Haushälterin hält sich einen Hund, der verdreckt und ausgemergelt an einer zwei Meter langen Kette die Umgebung rund um seine Hütte erkunden darf. „Kein schöne Anblick“, erinnert sich Enke. Man holt die Mischlingsdame „Leao“ (span: Leão) regelmäßig ins Haus, um sie von Zecken zu befreien und zu säubern. „Aber nach einer Woche sah der Hund wieder genauso aus.“ Die Entscheidung fiel nach ein paar Monaten, man kauft die Hündin. „Die ist bis heute die Chefin hier.“

So kommen nach und nach immer mehr Hunde in den Haushalt. Zunächst „Hexe“, ein Straßenhund, später Oscar und Branca. In einer städtischen Hunde-Auffangstation entdeckt man einen Mischling, der sich kaum auf den Beinen halten kann. Wieder schlägt die Hundeliebe zu, man tauft ihn „Balu“. Ursprünglich ist eine Vermittlung nach Deutschland geplant. Ein unmögliches Unterfangen, der Hund hat die Staupe. Das Fieber steigt bis auf 41 Grad Celsius an, Balu hat keinen Appetit und bleibt apathisch. Den Enkes steht ein Problemfall ins Haus, es ist klar, das das erkrankte Tiere nur mit strikter Hygiene zu retten ist. Zudem muss die Ansteckung der anderen Hunde vermieden werden. Die virale Infektion wird aufwendig mit Serumantikörpern behandelt, gegen die Begleiterkrankungen werden Infusionen und Antibiotika eingesetzt. Balu erholt sich.

Damit ist die Hundefamilie der Enkes aber noch nicht komplett. Die Sprachlehrerin der Familie stößt eines Tages auf einen gerade angefahrenen Welpen. So kommt „Vincent“ zu den Enkes. Mindestens zehn Knochenbrüche in dem kleinen Körper, der Tierarzt rät dazu nicht einzugreifen. Tatsächlich verheilten die Brüche von alleine und Vincent entwickelt sich zum quirligen Mittelpunkt des Rudels.

Familiäre Idylle und sportliche Leistung beeinflussen sich positiv, Enke gilt im Jahr 2001 als einer der besten Torhüter Europas. Nur in Deutschland erhält die Leistung des Torwarts wenig Aufmerksamkeit. Fußball-Deutschland horcht erst auf, als Enke ein Angebot des FC Barcelona erhielt. Nach 77 Spielen für Benfica wechselte Enke 2002 zum spanischen Verein. Er ist damit der ersten deutschen Spieler seit Bernd Schuster, dem dieses Privileg zuteil wird.

Umzug mit sieben Hunden, die private Aktivität wird für Teresa Enke zur Berufung und sogar zum Beruf: Sie beginnt im Tierheim „Manresa“ zu arbeiten. Dort fällt ihr „Pincho“ auf, der Potenco, der krank ist und ständiger Betreuung bedarf. Das ist im Tierheim nicht zu schaffen, Teresa nimmt ihn mit nach Hause. Bis heute ist der Hund sehr ängstlich, die Enkes vermuten, dass er stark misshandelt wurde.
Sportlich läuft es nicht gut. Enke ist nur die Nummer drei und spielt in zwei Jahren nur in einer Partie. Er wird nach Istanbul und Teneriffa ausgeliehen, die Zukunft ist unsicher. Ein Angebot von Hannover 96 passt in die Familienplanung. 2004 ziehen Familie und Hunde zurück nach Deutschland.

Vor der Fußball-WM 2002 in Japan und Korea fällt bei Robert Enke der Entschluss, sich im Rahmen einer Kampagne von PETA einzusetzen. Unter dem Motto „Kick the ball, not the dog!“ protestiert er auf einem Foto gegen die erschreckenden Haltungs- und Tötungsmethoden für Hunde in Korea. Dort gilt Hundefleisch als Delikatesse. Es sind für Enke aber weniger die Essgewohnheiten, als der grausamen Weg in den Tod, der ihn aktiv werden lässt.

Für eine neue PETA-Kampagne im letzten Jahr stellten sich Enke und seine sieben Hunde ins Tor auf dem Sportplatz in Empede. Der Slogan: „Wir haben nur einen Angstgegner: Pelzträger!“ Seine Worte sind deutlich: „Wer einmal das Leid gesehen hat, wird sich sofort meinem Boykott anschließen. Ich lehne jeden Pelz grundsätzlich ab, und hoffe, dass mir viele Menschen folgen.“

Es dauerte Jahre, aber nun scheinen die Proteste zu fruchten. Beim Verbraucherschutzkommissar der EU, Markos Kyprianou, sind 200.000 Briefe und über 10.000 E-Mails eingegangen, die auf die Zustände in China hinwiesen. Aller Voraussicht nach wird das Verbot für ein europaweites Handelsverbot für Hunde- und Katzenfell am 1. Januar 2008 in Kraft treten.


So können Sie helfen

Die Tierschutzorganisation PETA setzt sich für einen artgerechten Umgang mit Hunden ein. Auf ihrer Webseite kann man auch Aktionen gegen den Hundefellhandel in China unterstützen. Informationen unter www.peta.de oder unter Telefon: 07156 – 178 28 – 0. PETA ist auf Spenden angewiesen, um dem Elend der Tiere ein Ende zu bereiten.

Während der Torwart-Zeit von Robert Enke in Barcelona hat Teresa Enke im Tierheim „Manresa“ gearbeitet. Dieses organisiert den Transport von Hunden von Spanien nach Deutschland. Auf der Webseite werden verschiedene Hunde ausführlich vorgestellt. Informationen unter www.tierheim-manresa.de

Hundefellhandel in China

Hunde aller Arten haben in China einen schweren Stand, ihr Wesen gilt als minderwertig, ihr Fleisch dagegen in einigen Regionen als sehr gesund. Allerdings hat Chinas wirtschaftlicher Aufschwung dazu geführt, dass sich immer mehr Städter Hunde als Haustiere halten. 2006 war nach dem chinesischen Horoskop das „Jahr des Hundes“, es löste eine Hundehalterboom aus. Viele der Hunde wurden später wieder ausgesetzt, in einigen Städten gelten Hunde mittlerweile als Plage. Hundefell gelangt in China auf drei Weisen auf den Markt: Entweder über große Zuchtfarmen oder über das Einsammeln von Straßenhunden. Ein Tierschutzgesetz existiert nicht, die Hunde werden unter erbärmlichen Bedingungen gehalten und meist qualvoll getötet, zum Teil werden sie lebendig gehäutet, bevor das Fell verwertet wird. Nach einer Schätzung der EU lassen alleine in China jährlich nahezu zwei Millionen Hunde und Katzen so ihr Leben.

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Rezensionen

Rezension Max Goldt: Quite Quality

HanfBlatt Nr. 108

Max Goldt: Quite Quality

Als Journalist über ein Buch von Max Goldt eine Rezension zu schreiben, das ist so, als wenn ein Christ über das bisherige Schaffen Gottes urteilen sollte: Vermessen. Oder sehe nur ich das so? Nein, das ist gold(t)ene Wahrheit und vielleicht sollte man tatsächlich ein staatlichen Verbot der Rezension seiner Bücher verordnen, zugleich aber seine Texte zur Pflichtlektüre an deutschen Schulen machen.
Was soll man also überhaupt noch sagen über Max Goldt? Vielleicht: Schande über uns, das Hanfblatt, dem Mann erst in der 108 Ausgabe zu huldigen. Er ist der Herrscher über die deutsche Sprache, viel eindrücklicher, bestimmter und zugleich intelligenter, als es meinetwegen die Sprachpolizisten Wolf Schneider oder Bastian Sick sind. Er ist der Gott der Titanic, ein Meister der Lesung, der Grand Signeur der Groteske. Kein Lob ist zu viel für ihn. Zitate sind nicht erlaubt. Er ist der unfreiwillige Apostel des Kifferhumors. Onkel Max ist der Bewahrer des In-die-Küche-laufens-und-seiner-Freundin-zurufend-“hör-mal-was-er-hier-schreibt“. Alle Bücher lohnen sich, es fing an mit „Ungeduscht, geduzt und ausgebuht“, großartig auch „Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau“.
Nun also „Quite Quality“, das ist laut Max Goldt alles das, was nicht schreit und spritzt, die ruhige Art des Genießens der stillen Güte, vielleicht. Sein neuestes Buch versammelt wieder einmal Texte aus der Frankfurter Monatszeitschrift „Titanic“. Es besteht kein vernünftiger Grund, den Inhalt seiner Beobachtungen hier auszubreiten, lieber seien einige Lesetipps gegeben: 1. Nie mehr als zwei Texte hintereinander lesen. 2. Einen ruhigen Ort wählen, Musik oder TV ausnahmsweise ausschalten. 3. Langsam, aber Sätze nicht zweimal lesen: Flow.
Fazit: Goldt ist der hosentragende Beweis, dass absurder Kifferhumor völlig nüchtern rüberkommen kann. Er schafft die stete Verdoppelung, das Gemotze über das Gemotze, krass ausgefeilt, rein sprachlich gesehen. Und am Ende kommt raus: Das Aufheben des allgemeinen Realitätszorn und dessen Überführung in die bessere Welt sauberer Speisewagen. Es gibt kaum ein wirksameres legales Mittel gegen schlechte Laune. Ach ja, schön ist auch das Lesezeichenbändchen im Buch. Das nenne ich Quite Quality!
Am Ende doch ein Zitat – aus einem seiner seltenen Interviews: „Meine Absicht ist aber überhaupt nicht, die Menschen zum Lachen zu bringen, sondern schöne und elegante Texte anzufertigen, in dem sich die gesamte emotionale Bandbreite menschlichen Lebens darstellt.“ O.k., noch ein Zitat, dieses Mal aber vom Vermesser der Welt, Daniel Kehlmann, der Unrecht hat, wenn er sagt, „Max Goldt gehört gelesen, gerühmt und ausgezeichnet“. Nein, wir wollen ihn nicht der Masse der brüllenden Fanmeilenbesucher ausgesetzt sehen. Er ist doch glücklich, wir auch, was sollte also der Rummel? Und wer ihn bis jetzt nicht bemerkt hat, ist ohnehin doof, dem ist mit einem Fingerzeig wenig geholfen, ein blinder Nachmacher ist der, jawohl. Von daher darf auch diese Rezension ignoriert werden.

Jörg Auf dem Hövel

Max Goldt: QQ
Rowohlt, Berlin, 2007
Gebundene Ausgabe: 155 Seiten
ISBN-10: 3871345814
EUR: 17,90

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Rezensionen

Rezension Arno Adelaars, Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling: „Ayahuasca.Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.“

HanfBlatt Nr. 103

Ayahuasca

„Mutter Erde ist krank…Jeder Einzelne von uns wird sich der Pflicht stellen müssen, zu versuchen, das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen und Mutter Erde zu respektieren.“
Shuar-Schamane Hilario Chirip (S.228)

Seit sehr langer Zeit bereiten die Schamanen vieler indigener Kulturen und mittlerweile auch sogenannte Mestizo-Schamanen insbesondere im oberen Amazonasgebiet in den heutigen Ländern Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien ein psychedelisches Gebräu zu. Dieses, bekannt unter dem Namen Ayahuasca, findet seit Ende der Achtziger Jahre zunehmendes Interesse unter westlichen Sinn- und Heilssuchern mit einer Affinität zu Grenzerfahrungen mit stark wirksamen psychoaktiven Substanzen. Iquitos in Peru ist Zentrum eines regelrechten Ayahuasca-Tourismus. Mit Ayahuasca praktizierende Schamanen werden auch in westliche Länder eingeladen, um dort Rituale abzuhalten. In Brasilien existieren mehrere synkretistische Religionen, in denen christliche, afrobrasilianische und indianische Elemente über die Visionen und den messianischen Anspruch ihrer Gründer zusammenfließen. In deren verbindenden Ritualen spielt Ayahuasca eine entscheidende Rolle. Die Bereitschaft zumindest von Teilen dieser Kirchen, sich neugierigen und erfahrungshungrigen Westlern zu öffnen, stieß besonders in Kreisen bekanntermaßen psychedelika-freundlicher Osho-Anhänger auf Begeisterung. Diese soll allerdings ob der hierarchischen Strukturen und des Dogmatismus, die nun einmal jeder organisierten Religion inhärent sind, schon wieder abbröckeln. Ayahuasca genießt derzeit aber immer noch den Ruf einer Art Wunderdroge. Es ist deshalb sehr zu begrüssen, dass drei kompetente Leute vom Fach mit dem vorliegenden Werk einen ausgezeichneten dreiteiligen Einstieg in die Welt des Ayahuascas bieten.

Christian Rätsch erläutert aus ethnobotanischer Sicht die im Ayahuasca, sowie die im schamanischen Ayahuasca-Ritual bedeutenden Pflanzen. Ayahuasca ist in der Praxis ein stark von der Intention des Zubereitenden abhängiges Gebräu, das so ungefähr das Gegenteil einer standarddosierten Pille aus dem Chemielabor darstellt, auch wenn sich die wichtigsten Ingredienzien chemisch als Harm(al)in und DMT subsumieren lassen. Die Ayahuasca-Erfahrung wird vom Schamanen durch den Einsatz einer ganzen Reihe von psychoaktiven Pflanzen, Räucher-, Duftstoffen etc. manipuliert und variiert. Was Rätsch hier gekonnt und wie ein Rap lesbar erläutert und dabei auch noch nachschlagetauglich ist, ist Grundlagenwissen. Lediglich zwei besserwisserische Anmerkungen seien mir gestattet: Die Opuntien enthalten nach Trout den bisherigen Analysen zufolge allenfalls Spuren von Meskalin (S.59), sind also für den ambitionierten Psychonauten nach derzeitigem Wissensstand wenig fruchtbar. Bei dem Hauptwirkstoff von Yopo (Anadenanthera peregrina-Samen) scheint es sich nach der Mehrzahl der von Trout und Ott gesammelten Analysen wie bei Cebil (Anadenanthera colubrina-Samen) um Bufotenin (nicht DMT) zu handeln (u.a. S.53ff). Dafür sprechen auch Selbstversuche. Bufotenin ist stark psychoaktiv, der Rausch aber anscheinend oft vom Körpergefühl her recht anstrengend.

Claudia-Müller Ebeling nähert sich der kaum in Worte zu fassenden Ayahuasca-Erfahrung über deren künstlerischen Ausdruck, den sie in den Objekten der sie nutzenden Kulturen ebenso wie in den Werken zeitgenössischer Künstler findet. Genial filmisch umgesetzt wurde sie übrigens von Jan Kounen in „Blueberry“. Hier nur eine Anmerkung: Albert Hofmann nahm einst nicht heroische 100 g, sondern ledigllich 2,4 g getrockneter Psilocybe mexicana im Selbstversuch ein (S.95), nicht dass das Einer nachmacht… Christian Rätsch streicht in einem eigenen Abschnitt aus seinem enormen Kenntnisfundus die Bedeutung der Musik im Ayahuasca-Ritual heraus und plaudert Einiges über den Einfluss auf populäre Musik aus.
Einen einzigartigen Einblick und einen hervorragenden Überblick über die real existierende Ayahuasca-Scene bietet der lange Beitrag von Arno Adelaars. Er war bei vielen Ritualen dabei und hat über Jahre ausführlichst recherchiert. Ob mit Ayahuasca praktizierende Schamanen in den oben erwähnten Ländern, die brasilianischen Ayahuasca-Kirchen oder Do it yourself-Rituale im Westen, seine sachlichen Berichte und persönlichen Interviews öffnen den Horizont. Wichtig auch Claudia Müller-Ebelings kritische Bemerkungen zum Schamanismus-Kulturtransfer. Schamanen beherrschen uralte Techniken des Heilens. Ayahuasca kann hierbei ein hochwirksames Hilfsmittel sein. Schamanen sind und bleiben Menschen und taugen nicht als exotische Ersatz-Erlöser. Man sollte sich hüten, sie mit all seinen westlichen Projektionen zu überfrachten und aufs Podest zu stossen, nur um sie bei Zeiten dann womöglich gar berechtigter Weise wieder hinunterstürzen zu können.
Ein Glossar, eine sehr gute Bibliographie und eine kleine Discographie schließen dieses sehr empfehlenswerte Werk ab.

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Arno Adelaars/ Christian Rätsch/ Claudia Müller-Ebeling
Ayahuasca.
Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.
AT Verlag, Baden und München 2006
Geb., 312 S., 8 Tafeln mit 35 Farbabb., zahlreiche SW-Abb.
ISBN 3-03800-270-4
23,90 Euro