Kategorien
Mixed

Das Pokerfieber grassiert – Warum Pokern zum Volkssport aufsteigt

Pokern als Volkssport? Poker, Hype, Welle, Geld, Anbieter, gewinnen/

telepolis, 18.01.2007

Warum Pokern zum Volkssport aufsteigt

Unangenehmes Gefühl, sich einem Anbieter von Online-Poker anzuvertrauen. Egal. Alles geht sehr schnell. Warum verlassen jetzt alle den Tisch? Ich hatte gerade zweimal hintereinander 30 Cent gewonnen. Und das mit relativ schwachen Blättern. Ein neuer Tisch muss her. Kein Problem, es sind knapp 15 Tausend Spieler online. Und das nachmittags um drei Uhr. Am nächsten Tisch sitzen zehn Spieler, da kommen schnell mal sechs Dollar im Pott zusammen. Pedrofino46 verlässt den Tisch, nachdem er zwei Dollar gegen mein 10er Pärchen verloren hat. Die Karten sind mir hold, ich setzte nur bei guten Blättern und gewinne innerhalb von einer halbe Stunde 14 Dollar. Große Sache.

Pokern ist beliebt. Bei Stefan Raab zocken die Promis, James Bond spielt in „Casino Royale“ nicht mehr Baccarat, wie in der ursprünglichen Geschichte von Ian Fleming, sondern pokert den Bösewicht in Grund und Boden, DSF überträgt ganze Turniere. Jetzt ist die Sportwettenfirma bwin (1) mit einer Casinolizenz aus Gibraltar ins Geschäft eingestiegen und Anbieter aus den USA drängen auf den europäischen Markt. In Deutschland grassiert das Poker-Fieber.

Am besten nachweisen lässt sich der Hype bei den Zubehör-Händlern, Vereinen und Online-Casinos. „Wir haben 2006 unseren Absatz im Segment Pokern mehr als verfünffacht“, bestätigt der Geschäftsführer der Altenburger Spielkartenfabrik, Peter Warns. Im Weihnachtsgeschäft waren Poker-Koffer mit Kartenspiel und Chips einer der Verkaufsschlager im Einzelhandel.

Lizenz zum Gelddrucken

Die German Poker Player Association (2) veranstaltet Turniere in ganz Deutschland, monatlich nehmen hier mittlerweile über 5.000 Spieler und Spielerinnen teil. Auch die staatlich lizenzierten Casinos veranstalten regelmäßig Pokerevents. Wo früher ein Turnier die Woche ausreichte, gehen heute an vier Abenden in der Woche Chips über den Tisch. Am 15. Januar 2007 startet die offene deutsche Pokerliga (3) mit einem Qualifikationsturnier in die erste Saison. Gewonnen werden können hier nur Sachpreise.Pokercards

Beim großen Online-Pokeranbieter Partygaming (4) geht es um mehr. Hier sind zeitweise über 70.000 Spieler auf den Servern eingeloggt, die um teilweise hohe Summe pokern. Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen alleine in der Pokersparte über 800 Millionen Dollar um, das meiste davon in den USA. Die Firma Pokerstars (5), über den Ableger PartyPoker einer der Hauptsponsoren vieler deutscher Pokerevents, gilt als eine der weltweit größten Glücksspielfirmen in privater Hand. Aufgrund der heiklen Rechtslage ist das Geschäftsmodell verzweigt: Pokerstars ist in Besitz einer Holding aus Costa Rica, Rational Enterprises, der Hauptsitz ist allerdings auf der Isle of Man in der irischen See. Das sichert Steuervorteile. Um auch in Übersee agieren zu können hat man sich eine Online-Glückspiel-Lizenz aus dem Kahnawake-Indianerreservat in der Nähe von Québec, Kanada, beschafft. Das dortige Rechenzentrum hostet diverse Gambling-Provider. Die Indianer pochen auf ihr Recht auf Autonomie, die kanadischen Behörden beäugen die Aktivitäten kritisch, zudem wächst der Druck aus den USA.

Dort sind die goldenen Zocker-Zeiten seit Oktober 2006 vorbei. Im Rahmen des SAFE Port Act (6) (H.R.4954) wurde der UIGEA (Unlawful Internet Gambling Enforcement Act) verabschiedet, danach sind keine finanziellen Transaktionen von US-Konten zu Online-Casinos mehr erlaubt. Die Folge: Spieler und Anbieter zieht es in die alte Welt.

In Deutschland lässt bwin keine US-Bürger an den Tisch. Gleichwohl wird in Dollar abgerechnet. Der Umsatz innerhalb eines Quartals stieg 2006 von 1,9 auf 2,7 Millionen Euro. Alles in allem soll die Poker-Branche in Deutschland im Jahre 2006 über 23 Millionen Euro umgesetzt haben, das Wachstum wird auf 50 Prozent geschätzt. Die virtuellen Pokerräume verdienen ihr Geld, indem sie von jedem gespielten Pot einen kleinen Betrag einbehalten, in der Regel fünf Prozent.

Poker in Brüssel

Das Treiben spielt sich vor dem Hintergrund einer unsicherer Rechtslage ab. Glücksspiel ist in Deutschland nur in lizenzierten Casinos erlaubt, das Onlinepokern ist demnach illegal. Jeder, der ein Glücksspiel mit Geldgewinnmöglichkeit ohne Lizenz öffentlich anbietet, macht sich strafbar. Doch die virtuellen Spielstätten haben ihren Geschäftssitz im Ausland. Noch hat keiner versucht sie zu zwingen, keine Spieler aus Deutschland mehr anzunehmen.

In den Poker-Foren wird nun diskutiert, wie es mit Pokern und dem staatlichen Glücksspielmonopol weitergehen soll: Ist Poker überhaupt ein Glücksspiel? Trotz der möglichen Minimierung des Faktors Glück durch Erfahrung, Finesse und Taktik obliegt die Verteilung der Karten naturgemäß Fortuna. Gleichwohl stellt sich ein Phänomen ein, das von Skat und Backgammon bekannt ist: Auf lange Sicht gewinnt der bessere Spieler. Nur will natürlich niemand zugeben, dass er kein guter Spieler ist.

Schon melden sich daher die auf den homo ludens spezialisierten Suchtforscher zu Wort. Mit dem Hype, so die wohl folgerichtige Annahme, wird auch die Zahl derer steigen, die mit der Droge Poker Probleme kriegen. Nur Laien wundern sich darüber, dass der Staat sich in Doppelmoral verstrickt, indem er einerseits vor Glücksspiel warnt, andererseits daran verdient. Dies ist bei Tabak- und Alkohol nicht anders.

Die Branche hilft sich derweil mit Sachpreis-Turnieren, für ein Full House gibt es vorerst nur Kassler und Handkreissägen. Man hofft auf Brüssel, denn dort wird entschieden, ob das deutsche Glücksspielmonopol mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. „Es wäre nicht der erste Fall, bei dem Europa seine Befugnisse klar und deutlich demonstriert“, sagt Markus Maul vom Verband Europäischer Wettunternehmer (VEWU).

Privatsache

Ehrlicher als bei anderen TV-Ereignissen zeigt Pokern, worum es den Beteiligten geht: Geld. Und offener als bei anderen „Sportarten“ ist der finanzielle Aspekt deutlich zu sehen. Neben dem Bluff ist es vor allem das stets sichtbare und greifbare (Spiel-) Geld, das den Reiz von Poker ausmacht. Zudem umweht die Beteiligten ein Hauch von „Jedermann“. Es scheint, als ob wirklich jeder die Spielregeln begreifen kann. Der Rest ist dann Chuzpe. Dass die Sendungen im TV so gut ankommen, liegt auch an der Einführung der Unterglastisch-Kameras und der Einblendung der Wahrscheinlichkeiten für die vorliegenden Blätter. Der Zuschauer weiß mehr als alle am Tisch.

Die populärste Pokervariante ist Texas Hold’em. Dabei werden fünf Karten vom Kartengeber offen aufgedeckt. Vorher erhält jeder Spieler zwei verdeckte Karten, die er mit Karten aus den fünf offenen zu einer Hand aus fünf Karten kombinieren kann – die beste Kombination gewinnt.

In kleinen Privatrunden zeigt Pokern schnell die Grenze der Freundschaft auf. Wirklich spannend empfinden viele das nämlich Spiel erst, wenn die Chips reale Euros repräsentieren. So gehen am Abend schnell 20 Euro, gerne aber auch mal 100 Euro verloren. Und während die Skatkasse am Ende des Jahres gemeinsam versoffen wird, sind Pokerschulden sofort zu begleichen. Nach der Pokerweisheit, dass man nicht die Karten, sondern den Gegner spielt, herrscht gespannte Beobachtungs-Atmosphäre. Bunte Abende, an denen am Tisch munter gelacht wird, sind unter diesen Bedingungen selten. Spinnt man diesen Gedanken weiter, ist Pokern Private-Equity im Kleinformat, der Einsatz kurzweilig angelegtes Risikokapital, die Beteiligten spielen für einen Abend Heuschrecke. Das kann man mögen, besonders lustig ist es auf Dauer nicht.

Das Fernsehen versucht derweil, aus den professionellen Kartenhaltern echte Stars zu machen. Der pöbelnde Australier Toni G, der stets Wert auf die Feststellung legt, sein Land zu vertreten, der coole Libanese Sam Farha, der aufgrund des Rauchverbots immer mit trockener Zigarette auftritt. Und natürlich der Moneymaker, dessen Traumsieg bei der World Series of Poker 2003 vielen als Vorbild gilt. Er qualifizierte sich über das Internet und gewann nach einem Turnier-Marathon gegen mehr als 800 Gegner 2,5 Millionen Dollar. Heute verdient er als Werbträger mehr. Vielleicht ist das die Nachricht, die für alle so verlockend ist: Mit Pokern kann jeder reich werden.
Links
(1) http://www,bwin.de/
(2) http://www.gppa.de/
(3)
(4) http://www.partygaming.com/
(5) http://www.pokerstars.com/
(6) :

Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24412/1.html

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.