Technik, Wünsche und Probleme bei IPTV
Warum die Aufregung um den Start von IPTV bei den unterschiedlichen Anbietern? Das neue DSL bringt keine völlig neue Netzinfrastruktur, zumindest auf den letzten hundert Metern bleiben die alten Kupferadern in Betrieb. Aber: IPTV ist ein wichtiges Puzzlestück im sogenannten Triple-play, die Netzbetreiber würden es nur zu gerne sehen, wenn nicht nur Internet, sondern eben auch Telefon und TV über sie als Anbieter laufen und sie damit die gesamte Kommunikation im Privathaushalt übernehmen könnten.
Für die Telekom ist das fast überlebenswichtig. Ihr laufen seit Jahren die Kunden davon, um sich bei Mitbewerbern anzumelden. Mit viel Druck wird deshalb VDSL mit „T-Home“ beworben, die Kunden mit einem HDTV-fähigen Receiver mit 80 GB Festplatte und einem WLAN-Router beschenkt – und das bei einer vergleichsweise geringen Mindestvertragszeit von einem Jahr. Das Senderbouquet umfasst an die hundert Programme, es finden sich neben den üblichen Verdächtigen interessante Kanäle wie BBC-Prime und eine Al-Dschasira-Variante, zudem Exoten wie „Bibel TV“ und „Wine TV“ sowie eine Vielzahl an Shopping-Kanälen.
IPTV, also die Übertragung von Fernsehsignalen über geschlossene Netze unter Einsatz des Internet-Protokolls, bietet mindestens 100 Sender, die Telekom hofft auf neue Kundenbindung, auch Anbieter wie Kabel Deutschland, Hansenet, 1und1 und Arcor setzen auf die neue Übertragungsform. In der Schweiz will die Swisscom ebenfalls noch in diesem Jahr mit „Bluewin-TV“ den Markt beglücken. In Hamburg und Lübeck sind zurzeit die ersten 4000 Teilnehmer am „Alice homeTV“ der Firma Hansenet angeschlossen. VDSL ist hier nicht zwingend notwendig, um IPTV zu übertragen, das Programmbouquet wird bei Alice über die bestehenden ADSL-Leitungen geliefert.
Testbetrieb
Die Installation des von Hansenet mitgelieferten DSL-Modems von Siemens (CL-040-I) ist denkbar einfach. Die Verkabelung dahinter bringt schon eher logistische Probleme mit sich: Das Modem beherbergt vier Ethernet-Anschlüsse, einer davon geht zum Router oder eben direkt an den PC. Der für IPTV vorgesehene Slot ist markiert. Von hier aus muss ein Ethernet-Kabel zur mitgelieferten Set-Top-Box laufen, die über SCART an den Fernseher angeschlossen wird. Bei den meisten Anwendern dürften Modem und PC im Arbeitszimmer stehen, es ist also ein stabiles CAT-5 Kabel bis zum Standort des TVs im Wohnzimmer zu verlegen. Es sei denn, man schickt die bewegten Bilder über das Stromnetz mit Powerline-Adaptern in die gute Stube.
Nach Einführung der Identifizierungs-Smart-Card scannt der Receiver die Kanäle. Was nun folgt ist recht unbeschwerter Fernsehgenuss, an die langsamen Umschaltzeiten ist man seit DVB-T eh gewöhnt. Sollte das IP-Signal einmal abreißen ist ein Umschalten auf den integrierten DVB-T Receiver möglich. Die Benutzerführung durch die TV- und Programm Einstellungen ist eingängig, das EPG (elektronischer Programmführer, früher Teletext) läuft etwas hakelig, der Abruf eines Video-On-Demand Dienstes gelingt sofort. Wer hier schon jubelt: Die Box besitzt keine Festplatte.
Die Video-Abteilung ist bei Hansenet zurzeit noch mit wenigen Highlights beseelt, für einen Film werden zwischen 1,90 und 3,90 EUR berechnet, einige Filme und GEO-Reportagen lassen sich unentgeltlich anschauen. Am weitesten ist natürlich die Erotik-Sparte ausgebaut, hier werden diverse Filmchen des Immergleichen angeboten. Ein Hinweis auf die hauptsächlich anvisierte Zielgruppe?
An den Schnittstellen der Settop-Box der Firma ADB zeichnet sich schon die Zukunft ab. Hier ist neben dem herkömmlichen SCART-Ausgang und Cinch-Buchsen zusätzlich ein HDMI-Ausgang implementiert. Noch ist dieser nicht geschaltet, über ihn könnten zukünftig aber die hochauflösenden HDTV-Signale an den Bildschirm geliefert werden. Für die ruckelfreie Übertragung von HDTV genügt ADSL nicht mehr, gerade dann, wenn in einem Haushalt verschiedene Programme laufen oder eine Sendung aufgezeichnet, parallel aber eine anderen Sendung angeschaut wird.
Egal ob bei Hansenet, Telekom oder einem der anderen in den Startlöchern stehenden Anbieter: Damit über die herkömmliche Kupferleitung neben Internet und der Telefonie nun auch noch Fernsehsender übertragen werden können waren einige technische Hürden zu nehmen. Zum einen weist die herkömmliche, paketorientierte Übertragung von Datenströmen über das Internet Protocol (IP) Schwächen auf: Das TV-Programm der Sender wie ARD, SAT1 und anderen muss für den Videostream in IP-Pakete aufgesplittet werden. Im Netz wären diese Pakete dann grundsätzlich anderen Paketen, wie beispielsweise den Auslieferungen von Webseiteninhalten, gleichgestellt. Um einen für den flüssigen Empfang unbedingt notwendigen Durchsatz zu gewährleisten, müssen die TV-Pakete vorrangig behandelt werden. Dieser „Quality of Service“ (QoS) genannte Vorgang ist natürlich einfacher, wenn man Kontrolle über das gesamte Netz hat, von der Einspeisung bis zum Enduser also keine Verzögerungen auftauchen (end to end control).
Hinten anstellen
Trotz ADSL und VDSL kann selbst ein voll kontrolliertes Netz keine 100 TV-Sender parallel in 1000 oder gar Millionen von Haushalten übertragen. Die Signale stehen daher nicht wie beim Empfang über die Satelliten-Schüssel alle frei verfügbar in der Luft, sondern werden erst dann angefordert, wenn der Kunde an der Settop-Box den betreffenden Kanal aufruft. Die Box nutzt dazu das IP Group Membership Protocol (IGMP v2) und sendet in dem Moment einem Aufnahmeantrag für eine neue Multicast-Gruppe an den Provider. Dieser überprüft die Berechtigung des Nutzers und weist erst dann seine Router an, ihn auf die Liste der gewünschten Multicast-Gruppe des TV-Kanals zu setzen. Bis zum DSLAM läuft das Signal dann durch Glasfaser, wird dort demoduliert und in die Kupferader bis zum Kunden eingespeist. Nur IP-Multicast ermöglicht es also, dass in TCP/IP-Netzwerken effizient Daten an viele Empfänger zur gleichen Zeit gesendet werden können.
Alice empfängt auf dem Hansenet-Gelände im Nordosten Hamburgs mit fünf Satelliten-Schüsseln die Mpeg2-Signale der verschiedenen TV-Sender. Pro Fernseh-Kanal ist nun ein Encoder notwendig, um die Signale auf das Mpeg4 AVC Format zu codieren. Eine IPTV-Middleware von Alcatel (5950 Open Media Platform) ist die Steuerzentrale für die gesamte IPTV-Plattform. Die Datenbank verteilt die IP-Ströme an die verschiedenen Kunden. Alcatel hat auch die Schnittstellen zur Einbindung der Abrechnungs- und Verwaltungssysteme entwickelt. Diese Systeme kommunizieren mit der Settop-Box, die der Kunde auf seinem Fernsehgerät zu Hause stehen hat.
Im Gebiet der Hansestadt Hamburg sind Bandbreiten bis 16 Mbit/s möglich. An den Kunden werden mindestens 2,5 Mbit/s in guter Qualität bei PAL-Auflösung ausgeliefert. Dafür ist kein VDSL nötig, ein ADSL-Anschluss mit 4 Mbit/s im Downstream reicht aus.
Graue Eminenzen
Seit rund einem Jahr baut die T-Com ihre Verteilereinheiten in zehn Großstädten Deutschlands durch beeindruckend große DSLAMs (DSL Access Multiplier) aus. Die neuen grauen Kästen am Straßenrand fallen ins Auge. Über Glasfaser sind diese mit den Ortsvermittlungsstellen verbunden. Damit wird es möglich, Teilnehmer mit VDSL2-Anschlüssen zu versorgen, die eine Datenübertragungsrate von 100 Mbit/s und mehr haben können. Zunächst sind 25 Mbit/s geplant, das ist mehr als ausreichend, um das Schlüsselprojekt „Fernsehen über das Internet“ voranzutreiben.
ADSL (auch mit seinen schnelleren Varianten ADSL2 und ADSL2+) ist zwar eng verwandt mit VDSL und VDSL2. Allerdings darf bei VDSL die Entfernung zwischen dem DSLAM auf der Straße und dem DSL-Modem in der Wohnung 1500 Meter nicht überschreiten, danach sinkt das Niveau auf ADSL2+ Niveau herab. Mit anderen Worten: HDTV funktioniert unter Vollast nur dann wirklich störungsfrei, wenn die Kupferaderleitung nicht zu lang ist. So begründet sich die breit angelegte Aufstellung der Outdoor-DSLAMs in den Kerngebieten der Großstädte. Nicht umsonst haben diese Kästen umlaufenden Lüftungsschlitze: Voll ausgebaut beliefern sie mehrere hundert xDSL-Kunden und verbrauchen dabei bis zu 1 kW.
ADSL und VDSL2 nutzen unterschiedliche Transportprotokolle. Bei den herkömmlichen ADSL packt das Modem am PC die Ethernet-Pakete in PPP-Pakete (PPPoE), diese werden wiederum in kleinere ATM-Zellen gekapselt und über die DSL-Strecke verschickt. VDSL verzichtet auf ATM und versendet reine Ethernet-Pakete. Der Vorteil: Die DSLAMs müssen nicht mit einem teurem ATM-IP-Gateway bestückt werden und können mit vergleichsweise preiswerten Gigabit-Ethernet-Glasfaser angebunden werden.
Ausnahmeregulierung
Die IPTV-Signale von Hansenet laufen allerdings nicht über die grauen DSLAMs der T-Com am Bürgersteig, ein Umstand, den der ehemalige Staatskonzern auch so lange wie möglich aufrecht erhalten will. Schließlich hat man viel Geld in den Ausbau der VDSL-Infrastruktur gesteckt, man fordert von der Bundesregierung die vorläufige Ausnahme von der Regulierungspolitik, die es den Mitbewerbern normalerweise erlaubt, die Leitungen der Telekom zu nutzen. Hansenet schickt daher IPTV über sogenannte Kollokationsräume, von denen die Firma rund 120 im Stadtgebiet verteilt hat. Die DSLAMs von Hansenet stehen in diesen Räumen, von dortaus läuft das Signal über die normale Kupferleitung bis zum Kunden.
Das Unternehmen wie Hansenet das Produkt IPTV bisher noch gar nicht bewerben liegt an der Komplexität der erweiterten DSL-Technik: Immer mehr Leitungen im selben Kabelbündel übertragen DSL-Signale, sogenannte „Übersprechungen“ nehmen zu. Dazu kommen Störungen durch Einschaltimpulse elektrischer Verbraucher und durch Funkwellen. Die technischen Maßnahmen gegen Crosstalk und andere Störungen sind zwar ausgereift, müssen ihre Wirksamkeit aber unter Alltagsvollast noch beweisen. Noch kam es im Testbetrieb des Autors an wenigen Fernsehabenden zwei bis drei mal zu halbsekündlichen Aussetzern, die sich in Klötzchenbildern niederschlugen. Hansenet will das Produkt optimieren, bevor das Unternehmen ab Anfang 2007 Home TV in weiteren deutschen Städten anbietet. Alcatel gab an, ab sofort ein Tool bereitzustellen, mit dem gemessen werden kann, ob die Leitung zum Kunden IPTV störungsfrei liefert. Bewusst langsam erweitert man den Kundenkreis, die Versuche der Konkurrenz werden beobachtet. Auch Testversuche mit dem T-Home Angebot der Telekom verliefen zum Teil holprig (‚ct 25/2006, S.182).
Faszinierend bleibt, wie im Zeitalter der optischen Hochleistungs-Übertragungswege die über ein Jahrhundert alte Telefonleitung mit ihrem doppeladrigen Kupferkabel weiterhin als Trägermedium dient. Durch sie werden nicht nur Sprachtelefonie und DSL-Signale parallel versandt. Im Testbetrieb des Autors kam es trotz gleichzeitiger Nutzung von Telefon, FTP-Download, Webseitenaufruf, Tauschbörsennutzung und IPTV zu keinen oberflächlich sichtbaren Beeinträchtigungen einer der Übertragungswege. Und das wohlgemerkt ohne VDSL.
Telepolis Artikel-URL: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/24/24244/1.html