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Buch: Abenteuer Künstliche Intelligenz

Soldaten mit Hirnschrittmacher

Erschienen in der Telepolis
Von Jörg Auf dem Hövel

Warum das Pentagon die Entwicklung von Gedächtnis-Chips finanziert

Vergangenen Dienstag hat das US-Verteidigungsministerium eine Finanzspritze für zwei universitäre Forschungsabteilungen genehmigt, die Hirnimplantate gegen Gedächtnisstörungen entwickeln sollen. Offizielles Ziel ist die Behandlung von verletzten Soldaten aus den Kriegen im Irak und Afghanistan. Viele haben sich dort ein leichtes oder schweres Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Die Langzeitfolgen sind Apathie, Leistungsminderung, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Gedächtnislücken.

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Kopf an Kopf beim Hirndoping

Die Methoden des cognitive enhancement müssen endlich verglichen werden

Von Jörg Auf dem Hövel

Seit einigen Jahren wird über Hirndoping diskutiert. Dahinter steht die Hoffnung auf Mittel und Wege, dem menschlichen Geist auf die Sprünge zu helfen. Zugleich steht dahinter die Angst vor einer Anpassung an die nie enden wollenden Anforderungen der Leistungs- und Beschleunigungsgesellschaft und vor einer darauf aufbauenden Gesundheitsdiktatur.

In erster Linie wird über Medikamente und Arzneimittel gesprochen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht irgendeine Studie zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer psychoaktiven Hirndoping-Substanz den Weg in die Medien findet. Wie schon im Falle psychotherapeutischer Interventionen ist die Fixierung auf die Pharmakologie frappant. Dort lässt sie sich teilweise noch aus der Abkehr von der psychoanalytischen Tradition erklären, hier aber verwundert sie. Denn zum einen weisen alle vernünftigen Studien darauf hin, dass Konzentrations- oder gar Lerneffekte durch Arzneimittel wie Ritalin oder Modafinil marginal sind – wenn denn überhaupt vorhanden. Zum anderen existieren diverse alternative, nicht-pharmakologische Methoden des „cognitive enhancement“, wie die Forschung zu Hirnschrittmachern genannt wird. Um diese Methoden und ihre Einordnung in den Kontext der Diskussion soll es im folgenden gehen.

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Cognitive Enhancement Gesundheitssystem Psychopharmakologie

Hirndoping-Affinität von jungen Ärzten

telepolis, 19.05.2013

Chirurgen am Limit

Wie steht es um die Hirndoping-Affinität bei jungen Ärzten?

Der Arbeitsalltag vieler Chirurgen ist stressig, die Anforderungen hoch, Fehler können fatale Folgen haben. Eine umfangreiche Befragung der Universität Mainz unter über 1.100 Operateuren ging nun der Frage nach, ob diese Arbeitsbelastung dazu führt, dass die Ärzte zu sogenannten „cognitive enhancern“ greifen, um länger konzentriert arbeiten zu können. Die Ergebnisse zeigen neben der kaum wundersamen Tatsache, dass auch Ärzte Drogen nehmen, vor allem, dass die nötige Trennschärfe zwischen Aufputsch- und Hirndoping-Mitteln schwierig ist.

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Cognitive Enhancement Drogenpolitik

„Hirndopende“, „Soft-Enhancende“ und „Nicht-Anwender“

Deutsche Studenten sind reserviert gegenüber dem Hirndoping – die erste vernünftige Studie zum Thema zeigt die geringe Verbreitung des Phänomens

Begriffe formen die Welt, aber so richtig wollte sich nie jemand mit dem Begriff des „cognitive enhancement“ anfreunden. Also Hirndoping. Das impliziert zwar Illegalität, aber egal, dachten sich die universitären und medialen Wortschöpfer. Die Welle der Studenten und Angestellten, die sich mit allerlei Mittelchen in den hyperkognitiven Orbit schießen, wollte allerdings nie richtig anlaufen. Aus anekdotischen Berichten (Nature-Befragung), kruden Selbsterfahrungsartikeln ((;-))) und Studien (DAK-Erhebung unter Arbeitsnehmern) konnte wenig Konkretes gezogen werden – es rappelte gleichwohl in der Pressekiste (z.B. hier).

Gut, dass es den HISBUS gibt. In diesem Online-Panel finden regelmäßig Befragung von Studenten statt und, wichtig, die Ergebnisse sind repräsentativ für alle Studierenden in Deutschland. Zwischen Dezember 2010 bis Januar 2011 nahmen knapp 8.000 Studenten an einer Befragung teil, die den Dopingleidenschaften der kommenden wirtschaftlichen und kulturellen Intelligencia auf dem Grund gehen wollte. In den Ergebnissen (in ihre Gesamtheit hier als pdf) und ihrer Interpretation finden sich gleich mehrere erhellende Elemente.

Um den freizeitorientierten Gebrauch auszuschließen, wurde in der Untersuchung die entscheidende Frage gestellt: „Welche Substanz(en) haben Sie zur eigenen geistigen Leistungssteigerung und/oder zur Beruhigung (nicht aus Genussgründen oder im Rahmen ärztlicher Verordnung) eingenommen?“

Glaubt man den Antworten, dann haben nur 5% der Befragten jemals eine psychoaktive Substanz eingenommen, um gezielt leistungsfähiger oder entspannter zu werden. Ist das viel? Ist das wenig? Angesichts der verschiedenen Mittel, die hier angegeben wurden, wohl eher wenig. Denn nicht nur die klassischen „cognitive enhancer“ wie Ritalin und Modafinil fallen unter die Autoren-Definition des Hirndoping, sondern auch Drogen wie Cannabis, MDMA, Speed und Kokain sowie Arzneimittel wie Betablocker, Schmerzmittel, Schlafmittel und Antidepressiva. Zudem beruft sich knapp die Hälfte derjenigen, die eine derartige Substanz eingenommen haben, auf den „ganz seltenen“ Gebrauch der Mittel. Am häufigsten werden leistungssteigernde Mittel zur direkten Prüfungsvorbereitung eingesetzt.

In einem mutigen Schritt entschlossen sich die Autoren der Studie, die Studenten in drei Gruppen einzuteilen: „Hirndopende“, „Soft-Enhancende“ und „Nicht-Anwender“. Die Hirndoper sind die oben genannten 5%, die Soft-Enhancenden weitere 5%, die ihre Leistungen versuchen zu optimieren, indem sie Vitaminpräparate, homöopathische und pflanzliche Substanzen sowie Koffein einnehmen.

Erhellend sind ja immer die absoluten Zahlen. Von den 7.989 Studenten, die diese Frage beantwortet haben, gaben 100 (1,3%) Personen Medikamente, 97 (1,2%) Cannabis, 77 (1,0%) Ritalin, 49 (0,6%) Betablocker und 38 (0,5%) Amphetamin an. Die größte Gruppe ist allerdings die der nachkodierten Soft-Enhancer und damit Anwender von pflanzlichen bzw. homöopathischen Mitteln: 344 Personen (4,3%) fügten ein, dass sie mit solchen Mitteln nachhelfen würden. Der eine Zeit lang als der „cognitive enhancer“ schlechthin gefeierte Wirkstoff Modafinil wurde von 17 Personen (0,2%), darunter nur eine Frau, genannt.

Schränkt man die Auswertung auf die sogenannten Hirndopenden ein, nehmen mehr als ein Drittel (35 %) von diesen Medikamente verschiedener Art ein, um sich zu fördern. Cannabis wird von fast jedem vierten Hirndopenden (23 %) zur Bewältigung studienbezogener Leistungsanforderungen konsumiert, Ritalin von 18 % .

Interessant sind die Bezugsquellen dieser substanzaffinen Gruppe. Der Großteil (43%) erhält ihr Mentaldoping nämlich vom Arzt verschrieben oder kauft es sich in der Apotheke (42%). Gewusst wie: Die ärztliche Verschreibung wird von Medizinstudenten mit 62 % signifikant häufiger als von Studierenden anderer Fachrichtungen angegeben. Nur ein Zehntel der Hirndoper bestellt eine Substanz im Internet. Der Hirndoping-Markt, wenn man ihn denn so nennen will, organisiert sich also weitgehend auf legalen oder Off-Label-Wegen über das deutsche Gesundheitssystem. Die Autoren der Studie jedenfalls gehen davon aus, dass die Studierenden beispielsweise auf Rezept Schmerzmittel oder Betablocker erhalten, diese jedoch während der Krankheit nicht vollständig verbrauchen und sie später außerhalb der Indikation für Hirndoping-Zwecke einnehmen.

Als Randbemerkung wird der relativ hohe Anteil der Hirndopenden unter den Studierenden der Veterinärmedizin und des Studienbereichs Sport und Sportwissenschaften (18% bzw. 14%) erwähnt. Es dürfte interessant zu eruieren sein, was genau die Veterinärmediziner hier so gerne einnehmen. Vielleicht sollte man die Ketaminbestände in den Institutskellern mal genauer überprüfen.

Nicht um geistige Leistungssteigerung, sondern um die Linderung von Nervosität und Lampenfieber geht es den Meisten

Nun versucht man wie üblich, den Dopern besondere Persönlichkeitseigenschaften nachzuweisen. Wenn man es genau nimmt, unterscheiden sich die Doper von ihren Komilitonen nur wenig. Obwohl sich die Autoren dazu hinreißen lassen, Hirndopern mangelnde Gewissenhaftigkeit im Studium nachweisen zu wollen. Zitat: „Viele Hirndopende haben offenbar geringer entwickelte Fähigkeiten zu planvollem und organisiertem Vorgehen, was sich auch auf das Lernverhalten im Studium auswirken dürfte. Durch die Einnahme von leistungssteigernden Mitteln versuchen sie möglicherweise, unzureichende Organisationsfähigkeit und einen eventuellen Hang zu Prokrastination zu kompensieren.“ Das ist schön formuliert, anders gesagt nehmen diese sympathischen Mitbürger das Studium einfach etwas lockerer. Im entscheidenden Moment, kurz vor der Prüfung, wird dann durchgebüffelt, wobei es einen kleinen Anteil gibt, denen Kaffee dann nicht mehr ausreicht.

Wohlgemerkt geht es den Hirndopern überwiegend ohnehin nicht um geistige Leistungssteigerung, sondern um die Linderung von Nervosität und Lampenfieber. Daher die „hohen“ Werte für Betablocker und Medikamente. Nach ihrem Grund der Einnahme befragt waren Mehrfachnennungen möglich. Fast 50% der Doper wollen sich beruhigen, nochmal ein Drittel bekämpft Schmerzen. Selbst unter den als „Hirndopern“ definierten Studenten gaben nur 35% an, das Mittel eingenommen zu haben um schlauer zu werden.

Vieles spricht also dafür, das Phänomen „Hirndoping“ in die Mottenkiste der unscharfen Begriffe einzulagern. Hier wird nicht gedopt, sondern sediert, gefeiert und optimiert. Die Übergänge zwischen studentischer Vergnügungslust, Stressabbau, Gesundheitserhaltung über Ernährung und Nahrungsergänzung sowie lernorientierenden Konsumverhalten sind fließend. Und einer Stigmatisierung von Gesellschaftsgruppen zu „Hirndopern“ will ja wohl hoffentlich niemand Vorschub leisten. Ein Trend zu „leistungssteigernden Psycho-Pillen“, wie er gerne behauptet wird, so viel hat die Untersuchung klar gemacht, ist jedenfalls für deutsche Studenten nicht zu erkennen.

Erschienen in der Telepolis unter http://www.heise.de/tp/blogs/3/151391