Mal wieder schafft eine Drogenstudie mehr Verwirrung als Aufklärung
Die Zeiten des weit verbreiteten Ecstasykonsums sind vorbei. Gleichwohl eignet sich die psychoaktive Substanz noch immer für Überschriften, um auf die Gefahren des Drogenkonsums hinzuweisen. Unlängst berichtete Der Spiegel (15/2012) unter der Headline „Ecstasy schädigt Babys“ über eine Studie, die erstmals die Auswirkungen der Droge auf den Fötus und die spätere Entwicklung des Babys untersucht hat. Man will „gehäuft motorische Entwicklungsdefizite“ durch der Studie bewiesen sehen. Eine genauere Analyse der erhobenen Daten wirft ein differenzierteres Bild.
Für die Studie (Neurotoxicology and Teratology, Volume 34, Issue 3) wurden 96 britische Frauen nach ihrem Drogenkonsum vor und während der Schwangerschaft befragt und in diejenigen unterteilt, die dabei auf Ecstasy (in der Studie als MDMA bezeichnet) verzichtet hatten und solche, die trotz Schwangerschaft weiterhin die Droge konsumiert hatten. In Großbritannien, so schätzen Experten, werden jedes Wochenende rund eine halbe Millionen Pillen geschluckt, die unter dem Label „Ecstasy“ verkauft werden.
Schon hier fällt die erste Besonderheit auf: Alle diese Frauen waren extrem drogenaffin, sie genossen meist mehrere, legale wie illegale Substanzen während des Austragens ihres Kindes. Unter den Ecstasy-Userinnen rauchten 86%, fast alle hatten mehr oder minder viel Alkohol getrunken, satte 82% gekifft und sogar 71% mindestens einmal Kokain geschnupft. Diese imposanten Werte wurden von den 68 Ecstasy-Verweigerinnen zwar unterboten, aber auch diese Damen waren wahrlich keine Abstinenzlerinnen. 62% hatten Tabak geraucht, 91% Alkohol getrunken, 54% gekifft, 16% Kokain geschnupft.
Die Erkenntnisse beziehen sich also auf eine kleine, polytoxisch agierende Untersuchungseinheit. Die kleine Gruppe der Ecstasy-Nutzerinnen (N=28) war zum Zeitpunkt der Geburt durchschnittlich 30 Jahre alt, hatte 171 Mal in ihrem Leben die Partydroge zu sich genommen, wobei sie bei einer solchen Gelegenheit meist um die drei Pillen eingeworfen hatte.
Dies Vorweg geschickt kann man sich vorstellen, dass die Autoren der Studie sich bemüht haben, die Störvariablen herauszufiltern, was allerdings bei dem Umfang des Drogenkonsums beider Gruppen schwer gewesen sein dürfte.
Die Babys der Studienteilnehmer wurden mehreren Tests unterzogen. Ein erstes, von den Medien nicht genannten Ergebnis, sei genannt: Die untersuchten Kinder der beiden Konsumentengruppen unterschieden sich nicht in Frühgeburtsrate, Geburtsgewicht, Kopfumfang und Größe. Ebenfalls ungenannt blieb das Ergebnis des NICU Network Neurobehavioral Scale (NNNS), eines Tests, der die Babys im Alter von rund 30 Tagen auf ihre motorischen Fähigkeiten, ihre Aufmerksamkeit und Reflexe untersuchte. Denn im Durchschnitt unterschieden sich die Kinder auch hier nicht. Erst bei der Analyse der Ergebnisse ergab sich eine Trend bei den Kindern der Ecstasy-Konsumentinnen zu lethargischem Verhalten. Dieser Trend war allerdings nicht signifikant, wie die Autoren selber schreiben.
Erst bei den 4 Monate alten Kindern wurden die Autoren fündig. Hier fand man zwar bei den einigen Tests weiterhin keine Unterschiede, wohl aber beim „BRS Motor Quality Scale“. Hier will man in der Gruppe der Ecstasy-Konsumentinnen signifikant schlechter agierende Babys gefunden haben.
Selbst wenn sich die Ergebnisse in neuen Studien erhärten sollten, sagt dies wenig über die Schädlichkeit von Ecstasy aus. Denn weder ist klar, ob die Konsumentinnen tatsächlich MDMA zu sich genommen haben oder nicht eine der vielen Derivate, die seit Jahren des Markt fluten. Noch sind die aufgenommen Dosierungen klar. Auf diese Umstand angesprochen, gibt die federführende Autorin der Studie, Lynn Singer, an, dass die Spätschäden durchaus auch auf andere toxische Substanzen zurück zu führen sein könnten. „It could be that the sequelae are the result of some other toxic substance.“ Ein anderer Studienautor, Andrew Parrot von der Universität von Wales Swansea, verweist gegenüber der Telepolis auf seine Tablettenanalyse aus den späten 90er Jahren, in der ein hoher Anteil von MDMA vorherrschend war. Die Europäische Drogenbeobachtungsstelle kommt in ihrem Jahresbericht von 2010 für Gesamteuropa allerdings zu einer anderen Aussage: „There are no clear trends in the MDMA content of ecstasy tablets.“ Mehr noch:
„Over the last few years, there has been a change in the content of illicit drug tablets in Europe, from a situation where most tablets analysed contained MDMA or another ecstasy-like substance (MDEA, MDA) as the only psychoactive substance, to one where the contents are more diverse, and MDMA-like substances less present. This shift has accelerated in 2009, to the extent that the only countries where MDMA-like substances continue to account for a large proportion of the tablets analysed are Italy (58%), the Netherlands (63%) and Malta (100%).“
In vielen anderen Ländern werden MDMA-Tabletten seit einigen Jahren verschiedene Piperazinderivate beigemischt, wobei zur Zeit mCPP besonders beliebt ist. Auch in Großbritannien fand der Forensic Science Service im Jahr 2010 Piperazine in Tabletten, die als Ecstasy verkauft wurden.
Was bleibt? Zum einen die altbekannte Tatsache, dass die mit dem Schwarzmarkt verbundene Reinheits- und Dosierungs-Unsicherheiten validen Aussagen über die Schädlichkeit von MDMA und anderen Drogen behindern. Wenn dann noch extrem drogenaffine Konsumentengruppen für die Untersuchung rekrutiert werden, dürfte der ursächliche Zusammenhang immer schwerer zu finden sein. Auf einem wieder anderem Blatt steht, dass bei unsicherer Faktenlage der umsichtige Umgang mit psychoaktiven Substanzen vor allem während der Schwangerschaft geboten ist.
Ein Bericht eines britischen Wissenschaftlerteams sorgt für Aufsehen. Die Forscher ordnen die Gefährlichkeit von Drogen neu ein und fordern eine gänzlich reformierte Einteilung der Drogenklassen. Hilft das weiter?
Es ist bei vielen Drogen unklar, weshalb sie als besonders gefährlich gelten. Manche sind eher durch Zufall in die Kontrolllisten geraten, wie beispielsweise Cannabis, manche sind legal, obwohl sie schädlich sein können, wie beispielsweise Alkohol. Im Rahmen ihrer Studie fragten David Nutt von der Universität Bristol und seine Kollegen rund 80 britische Suchtexperten nach ihrer Einschätzung des Gefahrenpotentials von legalen und illegalen Drogen und Medikamenten, die sie selbst auswählen konnten. Im angesehenen medizinischen Fachblatt Lancet (2007, Nr. 369, S.1047-1053) publizierten sie eine Rangliste, die sie als Grundlage neuer Betäubungsmittelgesetze sehen wollen.
Dazu benannten sie drei Kriterien, welche das Gefährdungspotenzial durch Drogen umschreiben. Dies sind: körperliche Schädlichkeit, die Verursachung einer Abhängigkeit und drittens die soziale Wirkunge, die der Drogenkonsum auf Familie, Bekanntenkreis und Gesellschaft hat.
Herausgekommen ist ein Verzeichnis (s. Abbildung), das in deutlichen Gegensatz zu den weltweiten Anti-Drogen Gesetzen steht. Noch gewohnt sind die Spitzenplätze von Heroin und Kokain. Dann aber folgen schon die Barbiturate, auf Rang 5 steht bereits Alkohol, es folgen Ketamin und Benzodiazapine, fast gleich auf mit den im allgemeinen als gefährlicher eingestuften Amphetaminen. Cannabis steht auf Platz 11. Die Liste soll der britischen Regierung vorgelegt werden und sorgt schon jetzt für Gesprächsstoff. Die Autoren hoffen auf eine Neueinordnung der auf der Insel bekannten Drogenklassen.
In Großbritannien werden psychoaktive Substanzen in drei Klassen eingeteilt, die den Grad ihrer Gefährlichkeit entsprechen sollen. In der Klasse A stehen Drogen wie Heroin, sie gelten als die gefährlichsten Substanzen, in der Klasse C stehen Drogen wie Cannabis und Benzodiazepine (Beruhigungsmittel), sie gelten als die ungefährlichsten Drogen. Dazwischen tummeln sich Substanzen wie Speed, das in Großbritannien eine Klasse B Droge ist. Auch das deutsche Betäubungsmittelgesetz kennt die dreiteilige Einordnung, hier ist von „nicht verkehrsfähigen“, „verkehrsfähigen, aber nicht verschreibbaren“ und „verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen“ Betäubungsmitteln die Rede. Die USA arbeiten mit der Klassifikation von Schedule I bis Schedule V.
Die Einteilung in „harte“ und „weiche“ Drogen hat nicht weit geführt. Sie ist heute unter Experten und Usern umstritten, denn weder ist Alkohol eine „weiche“, noch LSD zwangsläufig eine „harte Droge“.
Welchen Sinn könnte nun eine neue Klassifikation ergeben, wie sie Nutt und seine Kollegen vorschlagen?
Zwei Extreme bestimmen die Diskussion um die Schädlichkeit von Drogen. Da ist zum einen die Ansicht, es existiere gar nicht so etwas wie eine schädliche Drogen an sich, es seien Konsummuster und Dosierung, die aus einem Medikament eine Droge machen. Eine Einteilung von psychoaktiven Substanzen nach Gefahrenklassen ist aus dieser Sicht unsinnig, weil es immer das (sozial eingebettete) Individuum ist, dass die Wirkung einer Droge bestimmt. Als Beispiel wird der Wein angeführt, der eine muntere Abendbegleitung mit sogar gesundheitlich fördernder Wirkung sein kann – oder aber eben das Gift ewiger Trunkenheit.
Wahrscheinlich spricht tatsächlich wenig dagegen, sich einmal im Jahr in einer Kurklinik in den Schweizer Alpen reines Heroin spritzen zu lassen. Aber: Praktisch dürfte eine solche Politik nur zu verantworten sein, wenn eine Jahrzehnte vorher angelaufene Aufklärung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen die Signalwirkung in vernünftige Bahnen lenkt. Bislang verwurstet das Zusammenspiel menschlicher Triebe und sozialer Konsumkultur noch jeden Wunsch in eine Gier. Es kann vermutet werden, dass erst diese Prozesse geändert werden müssen, aber das würde eine völlig umgekrempelte Gesellschaft erfordern.
Am anderen Ende der Extreme steht die Ansicht, dass die medizinische Erforschung der Wirkung und Auswirkung von Drogen immer weiter Fortschritte macht. Die Neurowissenschaften zeigen, dass Substanzen unterschiedliche Wirkstärken im menschlichen Körper haben, die durchaus übergreifende Geltung beanspruchen können (s. das Interview mit Andreas Heinz auf dieser Webseite). Zugleich zeigen sie aber auch die Mächtigkeit der sozialen Einflüsse auf physiologischer Ebene.
Es ist die „objektive Wissenschaft“, die aus Zahlen Fakten schafft und die individuelle und intersubjektive Perspektive dabei vernachlässigt. So hat sich die Wissenschaft immer weiter vom Menschen entfernt, die Folgen sind Hinwendung zu Alternativ-Medizin oder gar Esoterik. Man beginnt erst langsam wieder einzusehen, dass schon bei der einfachen Aspirinvergabe eine Passung von Substanz und Patient vorhanden sein muss.
Es war und ist diese reduktionistische Wissenschaft, die in jedem Drogenkonsumenten primär einen armen Wicht und potentiellen Süchtigen sieht. Es war zunächst nur die Gegenkultur der 60er Jahre und später das Aufkommen der massenhaften Verbreitung von „Tripberichten“ im Internet, die dieser starren Pathologisierung Einhalt geboten haben.
Eine neue und „realistischere“ Klassifizierung von Drogen, wie sie Nutt und andere nun vorschlagen, ist nur dann ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch diese Liste wieder nur als die halbe Wahrheit angesehen wird, weil auch sie mit den Konstitutionen verschiedener Menschen schwer abzugleichen ist. Sicher, der Mensch braucht Kategorie um die Dinge für sich einzuordnen. Aber er braucht auch den Freiraum die Gültigkeit dieser Kategorien für sich und seine geistigen Verwandten zu erforschen. Anders herum: Es gibt Menschen, für die dürfte selbst der Konsum des von Nutts Experten als relativ ungefährlich eingestufte Khat schnell zum Problem werden.
Der Kenntnisstand über eine Droge ist zudem immer zeitabhängig. Die heute aktuellen Therorien und „Beweise“ über cannabisinduzierte Schizophrenien könnten schon morgen über Bord geworfen werden, weil irgendwelche bis dahin unberücksichtigten Variablen auftauchen. Es besteht nur eine vage Hoffnung, das mit Hilfe von Verfahren wie Cochrane und Meta-Studien wirklich die industrie- und interessengeleitete Spreu vom Weizen der reinen Erkenntnis getrennt wird. Ob die sagenumwobene „evidenzbasierte Medizin“ zur Klärung strittiger Fragen beiträgt, das ist zu hoffen.
Noch einmal anders gesehen gebiert auch eine „Neuklassifikation der Schädlichkeit“ nur eine weiteres Schreckgespenst, das sich von Angst und Unwissenheit nährt. Zukünftig kann es nicht nur darum gehen, einen risikoarmen Umgang zu fördern, sondern den Augenmerk auf die vielen positiven Eigenschaften zu lenken, die den vielen pflanzlichen und chemischen Wirkstoffen inne wohnt. Von den verborgenen Potentialen der Wiedererkennung des unauflösbaren Zusammenhang zwischen Mensch und Natur mal ganz abgesehen.
Man braucht gar nicht so weit reiten, um zu ahnen, dass der Vorschlag von Nutt & Co. in politischen Kreisen ohnehin auf taube Ohren stoßen wird. Nicht zuletzt ist das britische Betäubungsmittelgesetz, der „Misuse of Drugs Act“, ein Versuch den Anforderungen des UN-Abkommens von 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs) stromlinienförmig gerecht zu werden. Ein Ausscheren aus den Reihen der internationalen Gemeinschaft wird Großbritannien nicht wagen; ein Argument, das auch in Deutschland immer wieder angeführt wird, wenn es um die mögliche und nötige Reform der Drogengesetze geht. Der Weg zu einer realistischen Drogenpolitik führt über kurz oder lang über UN, deren drogenpolitischen Ansichten sind allerdings so verschroben und von diversen Kräften getrieben, dass eine Besserung zur Zeit nicht in Sicht ist.
„Die Verelendungsprozesse hören nur durch die Vergabe von Methadon oder Heroin nicht auf“
AZ & AdH
Die Diskussion um den Umgang mit Genießern von psychoaktiven Substanzen wird weitestgehend vom präventiv-prohibitiven Ansatz dominiert. Aus dieser Perspektive scheint gar nichts anderes denkbar, als die irregeleiteten Jugendlichen und Erwachsenen auf den rechten Weg eines drogenfreien Lebens zurück zu führen. Oder existieren Alternativen? Ende der Achtziger Jahre hat sich die sogenannte „akzeptierende Drogenarbeit“ aus der Kritik an der nur auf Abstinenz ausgerichteten etablierten Drogenarbeit entwickelt. Diese zielte auf eine Änderung des Lebensstils und der Persönlichkeit abhängiger Drogengebraucher mit Hilfe justitiellen Zwanges ab. Die repressive Drogenpolitik, so die These der akzeptierenden Drogenarbeit, sei jedoch maßgeblich für die Lebens- und Konsumbedingungen der Drogengebraucher verantwortlich, die zu Verelendungsprozessen führen würden. Man forderte folgerichtig die Entwicklung sogenannter „niedrigschwelliger Ansätze“, wie von Sozialarbeitern geführte Szene-Cafes, Konsumräume und Übernachtungsstätten sowie die Begleitung für ihren exzessiven Drogenkonsum bekannter Techno-Parties. Zudem sollten Opiate oder Ersatzdrogen wie Methadon von Ärzten verschrieben werden können. Einiges von den Vorstellungen dieses in dieser Form neuen drogenpolitischen Ansatzes wurden bis heute realisiert.
Heino Stöver, Professor an der Universität Bremen, hat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet. Im Gespräch geht es um Erfolge und Niederlagen der akzeptierende Drogenarbeit, Opiatabhängigkeit und Beikonsum sowie fehlende Zukunfts-Visionen.
Frage: Professor Stöver, was würden Sie aus heutiger Sicht als die Erfolge der akzeptierenden Drogenarbeit verbuchen?
Heino Stöver: Man hat auf der fachlich-helferischen Seite einige gute Angebote implementiert. Zum einen erreicht die Schwerpunktgruppe der Opiatkonsumenten eine Substitutionsbehandlung, die heute etwa 70.000 Menschen umfasst. Ich erinnere mich, dass die Ärzte früher, bevor sie unseren Kontaktladen betraten, nach links und rechts schauten, ob sie jemand erkennt. Heute ist das dagegen eine Standard-Behandlung, die aber hinsichtlich ihrer Qualität und auch Quantität noch weiterentwickelt werden muss. Zum anderen existieren die Konsumräume, die ein wichtiges Instrument in der HIV und Hepatitis-Prävention sind. Drittens gibt es eine flächendeckende Abgabe von Einwegspritzen. Nachgeordnet muss man die „Safer-Use“ und „Safer-Sex-Kampagnen“ nennen, die ebenfalls zu einer positiven Bilanz beitragen.
Frage: Und auf gesellschaftlicher Ebene?
Heino Stöver: Wenn man akzeptierende Drogenarbeit auch als etwas politisch-gesellschaftliches begreift und damit die Akzeptanz eines Lebensstils von Menschen anspricht, die gewisse Drogen anderen vorziehen, dann hat man bisher wenig erreicht. Schon vor dem Hintergrund einer allgemeinen Drogenfeindlichkeit ist die Akzeptanz von Drogengebrauchern gering. Beispielsweise war die Diskussion um Cannabis vor zehn Jahren viel fortgeschrittener als heute. Da gibt es Wellenbewegungen, und heute befindet man sich offensichtlich wieder einmal in einem Tal.
Frage: Derzeit befindet sich die akzeptierende Drogenarbeit offensichtlich auf dem Rückzug. Fixerstuben werden geschlossen, Heroin-Verschreibungsmodelle beendet und psychosoziale Betreuungen reduziert. Unter der Vorgabe von verstärkter Qualitätskontrolle haben Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse in den Projekten eingesetzt. Therapeutische Ansätze und Zielorientierung mit Zwangsmaßnahmen werden in überarbeitete Konzepte aufgenommen und durchzusetzen versucht. Von Niedrigschwelligkeit und Suchtbegleitung, zwei wesentlichen Standbeinen der akzeptierenden Drogenarbeit, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die entsprechenden Projekte möchten das positiv besetzte Etikett der akzeptierenden Drogenarbeit offiziell jedoch nicht abgeben. Welche Faktoren sind für diese Krise, wenn man sie nicht letztendlich gar als Scheitern der akzeptierenden Drogenarbeit sehen will, verantwortlich?
Heino Stöver: Sie beschreiben die Eigendynamik einer Bewegung sehr gut, die auf allgemeines gesellschaftliches Wohlwollen stieß, weil angesichts der damaligen AIDS-Krise klar war, dass etwas geschehen muss. Die angeschobenen Projekte haben dazu beigetragen die AIDS-Epidemie einzudämmen. Heute haben wir bei den HIV-Neuinfektionen nur noch neun Prozent, die sich über Spritzen anstecken. Sehr viel weniger als vor 20 Jahren befürchtet. Aber durch den Erfolg sind immer neue Organisationen gewachsen, es entstanden Institutionalisierungs- und Hierarchisierungsprozesse, die Verlockungen auf Pfründe waren groß. Der Ursprungsgeist, das ist vollkommen richtig, ist verblasst. Dazu kommt, dass nach der AIDS-Krise die bis heute andauernde Hepatitis-Welle völlig unterschätzt wurde. Etwa 60-90 Prozent aller Opitatkonsumenten sind HCV-positiv. Da hat offenbar etwas nicht geklappt.
Frage: Hepatitis ist kein öffentliches Thema.
Heino Stöver: Ich selber war ja in der Praxis bis Mitte der 90er Jahre und schon da ist mir aufgefallen, dass wir unsere HCV-Broschüren eher pflichtschuldig schreiben. HCV ist eine graue Krankheit, es fehlt das absolut tödliche, sie hat nie die Schubkraft erfahren wie HIV/AIDS. Dort waren große Stars erkrankt, die gay community nahm sich des Themas an. Rund 8000 Neuinfektionen mit Hepatitis-C jährlich und rund 2000 mit HIV jährlich zeigen aber die Relevanz des Themas. Völlig unterbelichtet blieb auch, dass sich der Knast zum unabhängigen Prädiktor für HCV-Infektionen entwickelte. In der Haft ist die Chance, sich mit HCV zu infizieren, groß. Trotzdem kam es auf politischen Druck zum Abbau der Spritzenautomaten in den wenigen Gefängnissen die solch ein Angebot überhaupt realisierten. Die Projekte stagnieren, organisationssoziologisch formuliert haben Erstarrungsprozesse eingesetzt. Und in die Politik wurde die Nachricht nicht genügend transferiert.
Frage: Wo kann frischer Wind für die akzeptierende Drogenarbeit herkommen?
Heino Stöver: Da habe ich keine Antwort. So eine Schubkraft kann man nicht alle zwanzig Jahre entwickeln. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist gesättigt. Für einzelne Bereiche gilt es sich mit aller professionellen Kraft gegen das Vergessen zu wehren. Das ist aber nichts visionäres, was als Leuchtbild vorangehen kann. Schaut man auf die Geschichte der akzeptierenden Drogenarbeit haben ja Anfang der 80er Jahre Leute aus den sozialistisch orientierten Gruppierungen ihre alten, politischen Visionen am Drogenthema abgearbeitet. So konnten gesellschaftliche Prozesse in Frage gestellt werden. Anti-Psychiatrie, Patientenschutz, Verbraucherschutz, alles Themen, die heute noch aktuell sind. Diese Generation hatte eine Vision von einem gesellschaftlichen Umbau, eine Vision, die der Generation von heute zumeist abgeht.
Frage: Eines der großen Probleme in der akzeptierenden Drogenarbeit ist der Umgang mit dem sogenannten „Beikonsum“. Wenn man von Drogenabhängigen spricht, dann meint man in der akzeptierenden Drogenarbeit Menschen, die am liebsten Heroin konsumieren und die Finger nicht davon lassen können. So wird das Heroin zum Maß aller Dinge gemacht. Alles was sonst noch konsumiert wird, wird dann zum „Beikonsum“. Die Grundthese lautet: Wenn ein aus der Bahn geratener Heroinkonsument nur genügend qualitativ hochwertiges Heroin zu einem günstigen Preis erhält und unter hygienischen Bedingungen konsumieren kann, dann steht ihm nichts mehr im Wege wieder ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Man kann sicherlich gelten lassen, dass für die Mehrzahl der Opiatgebraucher die leichte Verfügbarkeit von Opiaten erst einmal eine Erleichterung darstellt. Wer jedoch einen süchtigen Lebensstil geführt hat, ist oft nicht mit der Aufrechterhaltung seines Drogenpegels zufrieden. Die viel gepriesene Eröffnung von Lebensperspektiven und einer klareren Sicht wirkt gerade auf die besonders problematisch konsumierenden Drehtürklienten eher deprimierend. Hier kommt der erwähnte Beikonsum ins Spiel. Ohnehin wurde schon im Vorfeld oft alles Mögliche sonst noch konsumiert. Dauerkiffen, Saufen, Benzodiazepine einwerfen und vor allem Kokainkonsum, insbesondere in rauchbarer Form, bringen betreuende Sozialarbeiter zur Verzweiflung. Gerade der exzessive Kokainkonsum und die Schwierigkeiten im Umgang mit durchgeknallten Kokain-Basern stellen den akzeptierenden Umgang in Frage. Auf der einen Seite meint man zwar noch, man müsste sich auf das Niveau dieser Klientel herab begeben und versuchen, die schlimmsten gesundheitlichen und sozialen Auswüchse deren Verhaltens abzufedern, andererseits denkt man mittlerweile offen über Zwangsmaßnahmen nach. Welche Ansätze zum Umgang mit der Problematik des sogenannten Beikonsums erscheinen derzeit sinnvoll?
Heino Stöver: Zum ein muss man sich aus den idealtypischen Vorstellungen lösen, was Substitutionsprogramme leisten können. Selbst bei der Verschreibung von reinem Heroin hing man und auch ich lange Zeit einem mechanistischen Bild nach. Nach dem Motto: „Wenn nur genügend Methadon, dann geht es allen Betroffenen gleich besser, die Kriminalität wird reduziert und die Prostitution nicht mehr nötig.“ Die Wirklichkeit hat in den letzten zwanzig Jahren gezeigt, dass das so einfach nicht funktioniert. Auf dem Wege Betäubung herzustellen gehen die Menschen viele Wege um sich aus der Wachbewusstseins-Gesellschaft auszuklinken. Die Verelendungsprozesse hören halt nur durch die Vergabe von Methadon oder auch Heroin nicht auf. Anfang der 90er Jahre gab es die „Roche-Phase“, da schliefen die Leute im Stehen ein. Viele Ärzte und Berater sind heute auf der Gratwanderung zu entscheiden, was selbst gewählter Lebensstil und was Krankheit ist. Antworten hat da momentan keiner, wie man mit den Opiatabhängigen, die zusätzlich noch Crack oder Kokain konsumieren, umgeht. Klar ist nur allen, das man die Brücke nicht abreißen lassen will, Schadensminimierung ist das Ziel. Einerseits macht Crack enorm abhängig, andererseits scheint es doch Konsummuster und Kontrollregeln zu geben, die den Konsum unterbrechen lassen.
Frage: Selbst viele Kokainkonsumenten, gerade wenn sie über die Erfahrung des Rauchens mit ihrem geringen Belohnungs-, aber hohen Gierfaktor verfügen, können sich eine freie Verfügbarkeit von Kokain, also eine Legalisierung, nicht als positive gesellschaftliche Perspektive vorstellen. Wie soll die Gesellschaft generell mit Kokain und seinen Konsumenten umgehen?
Heino Stöver: Die Frage ist wichtig, wird aber nicht diskutiert. Bei Heroin hat sich die Gesellschaft geeinigt, dass die Substanz krank macht, bei Kokain werden hedonistische Motive unterstellt. Ich kann mir nur eine ärztliche Verschreibung von Kokain vorstellen. Mag idiotisch klingen, aber wenn es zunächst darum gehen soll den Menschen zu helfen, dann kann diese ärztlich kontrollierte Abgabe helfen. Global gesehen hat das Verbot ohnehin mehr Nachteile als Vorteile. Ewig wird man keine Flugzeuge in die Erzeugerländern schicken können um dort die Plantagen zu entlauben. Vielleicht wäre ein fairer Handel die bessere Variante. Aber niemand setzt sich wirklich mit alternativen Kontrollmodellen auseinander, dabei wird uns das Thema in den nächsten Jahren beschäftigen.
Frage: Zur nächsten Frage und dem Cannabis und seinem Konsum: Ein Grundproblem scheint zu sein, dass ein ehrlicher Dialog über Cannabis nicht möglich ist, weil praktisch alle Beteiligten vom Sozialarbeiter über die Strafverfolgungsbehörden und Politiker über Cannabishändler bis zu Buchautoren und Growshop-Besitzern kommerzielle Interessen vertreten, Selbstvermarktung betreiben müssen und Rechtfertigungszwängen unterliegen. Eltern folgen in Angesicht des vielleicht auch nur vermeintlich renitenten Verhaltens ihrer Sprösslinge den Gesetzen von Ohnmacht und Überreaktion. Ein Dilemma, dass derzeit unlösbar erscheint. Wie könnte Ihres Erachtens der Weg zu einem ehrlichen und offenen Dialog bezüglich der Umgangsformen mit Cannabis aussehen? Wäre eine Entkriminalisierung der Cannabisgebraucher ein Schritt, der auch den Konsumenten, einen ideologieärmeren und selbstkritischeren Umgang erlauben würde?
Heino Stöver: Natürlich brauchen wir einen offeneren und ehrlicheren Dialog. Das sehen wir an den Anti-Cannabis Kampagnen, die immer mal wieder angestoßen werden. Dabei zeigt die kritische Epidemiologie, dass das Einstiegsalter nicht gesunken ist und auch die gestiegene Verbreitung des Cannabiskonsums ist nicht so klar und eindeutig wie das gerne dargestellt wird. Das Bild, das IFT und BzgA gezeichnet haben, wird durch unsere Untersuchung (1) gebrochen. Plötzlich aber gab es eine Hysterie, angestoßen wohl durch das Titelblatt des Spiegels „Seuche Cannabis“, und das bei einem Thema was schon gegessen schien. Die Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer hat schon vor zehn Jahren weitergehende Beschlüsse gefasst und wollte einen Modellversuch in Schleswig-Holstein mit Cannabis in Apotheken durchführen. Letzter Ausfluss der neuen, aus meiner Sicht unehrlichen, Anti-Bewegung sind die Studien von Rainer Thomasius von der Universität Hamburg. So wird alle paar Jahre die Cannabis-Sau durchs Dorf getrieben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, welche Hilfe- und vor allem Entdramatisierungs-Angebote ich den Eltern und Betroffenen gebe. Aber es wird lieber dem freien Markt überlassen, die Folgen sind klar: Es wäre der ein dummer Geschäftsführer, der jetzt keine neue Cannabis-Beratung anbietet. Ein offener Dialog wäre dagegen nur möglich, wenn zumindest erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 umgesetzt würden eine einheitliche Regelung für die „geringe Menge“ zu finden. Es braucht von oberster politischer Seite eine Wertschätzung der Studie von Kleiber und anderen (2), die ja alle darauf hinweisen, dass es einerseits einen moderaten Konsum gibt, andererseits einen problematischen Konsum, bei dem zu unterscheiden ist, wer da welches Problem hat. Sind es die Eltern oder der Jugendliche Cannabis-Raucher selbst? Ehrlich ist der Dialog auch deshalb nicht, weil er nur wieder das Verhalten der Konsumenten auf das Korn nimmt. Ich würde mir Forschungsaufträge wünschen, die die Auswirkungen der repressiven Kontrollpolitik auf die Konsumenten untersuchen. Was bewirkt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft in das Haus eines 16-Jährigen, der mit einem Joint aufgriffen wurde? Damit werden immerhin 200.000 Menschen Jahr für Jahr konfrontiert.
Frage: In der Schweiz gibt es diese Bemühungen eine klare Linie zu finden.
Heino Stöver: Die Botschaft der Entkriminalisierung birgt sicher ein Gesundheitsrisiko, aber das Risiko ist für Menschen höher, wenn sie nicht wissen, woran sie sind.
Frage: So wie bei der Frage um den angestiegenen THC-Gehalt im Cannabis.
Heino Stöver: Sicher trifft der höhere THC-Gehalt auf Nederwiet zu, hochgezüchtete Produkte, die sehr effektiv und potent sind. Wenn man die nicht gemäß der Menge runterdosiert, dann entstehen Probleme. Aber nicht bei Allem an Zuchtgras und nicht bei marokkanischem Haschisch hat sich der THC-Gehlt erhöht.
Frage: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und Probleme mit dem Cannabis-Konsum bestehen, was kann man raten?
Heino Stöver: Wirksam sind „von gleich zu gleich“ Modelle. Peer-Modelle, die auf die Erfahrung von anderen Konsumenten oder Ex-Konsumenten bauen. Dort hat man weniger Angst, Probleme, die man hat oder vielleicht auch nicht hat, offen zu äußern. Die Konsumenten können sich am ehesten vorstellen unter ihresgleichen zu berichten, und zwar auch über das Positive der Rauscherfahrung. Hier wird sich auch über geeignete und ungeeignete Zeitpunkte des Konsums unterhalten.
Frage: Für den Fall einer alternativen Cannabis-Kontrolle wurden zur Beruhigung kritischer Stimmen Modelle ins Gespräch gebracht, wie das Apothekenmodell oder der Drogenfachverkäufer. Man meint, dieses Personal würde seine Kundschaft im Falle gesundheitsschädigenden Verhaltens beraten und ausbremsen können. Auch in Ihrem neuen Cannabisleitfaden wird in einem Beitrag die potentielle beraterische Kompetenz von Head- und Growshop-Personal ins Gespräch gebracht. Selbst wenn man einmal einen gewissen Idealismus voraussetzt oder ein Eigeninteresse, das den dauerhaften Verlust eines Klienten als selbstschädigend realisiert, so erscheinen mir doch derartige Modelle als ähnlich naiv, wie von einem Kneipier beim Ausschank alkoholismuspräventive Arbeit zu erwarten.
Heino Stöver (lacht): Bisher gibt es halt nur zarte Versuche Ökonomie und Kunden zusammenzubringen. Gerade gibt es eine ähnliche Diskussion, weil Lottoschein-Verkäufer am Spielverhalten ihrer Kunden erkennen sollen, ob diese süchtig sind. Nun, das ist tatsächlich naiv. Wichtiger scheint mir zunächst die Qualitätskontrolle der Produkte zu sein. Wenn es überhaupt je zu einem aktiven Regeln diesen bisher illegalen Marktes kommt, dann kann das nur mit Qualitätskontrollen geschehen. Ich tendiere da eher zum Apothekermodell, denn der Apotheker ist zumindest jemand, bei dem man Rat suchen kann. Es gäbe Beipackzettel, man könnte Mischkonsum und Nebenwirkungen erfragen.
Frage: Ist der Cannabisgebraucher aber im Idealfall nicht eher mit einem Weinliebhaber zu vergleichen? Er möchte aus einer breiten Palette auswählen, es gibt bekanntlich hunderte von Kreuzungen und Sorten.
Heino Stöver: Das Apothekenmodell war schon einmal in der politischen Diskussion und daher praktikabler. Sympathisch fand ich es nie. Das niederländische Coffeeshop-Modell hat andere Vorteile: Man ist dort mit den Wirkungen vertraut, der Käufer kann vor Ort konsumieren. Aber Dunstabzugshauben unter der Decke, das Personal mit Glasscheiben von den Konsumenten getrennt? Wie oft muss ein geschulter Berater vor Ort sein? Es gibt noch viele offene Fragen, nur fehlt zurzeit der Impuls diese Fragen überhaupt anzugehen. Zudem ist ja selbst die Cannabis-Szene untereinander zerstritten. Für unsere Cannabis-Kampagne gab es einen Minimal-Konsens, aber manchen Vereinen waren 30 Gramm Eigenbedarf zu wenig. Aber irgendwo muss man ja anfangen!
Frage: Ein Appell an die verschiedenen Gruppen weniger ihr eigenes Süppchen zu kochen?
Heino Stöver: Sicher. Aber dafür bedarf es halt einer Vision, eines Modells, mit dem sich dann auch Prominente solidarisch erklären könnten, was den medialen Druck erzeugt.
Frage: Eine Kampagne: „Ich rauche, wenn ich will, und dann rauche ich gern“ beispielsweise?
Heino Stöver (lacht): Beispielsweise. Um die eingefahrene Situation zu lösen, müssen mehr Menschen an einem Strang ziehen.
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(1) Kalke, Jens; Verthein, Uwe; Stöver, Heino (2005): Seuche Cannabis? Kritische Bemerkungen zu neueren epidemiologischen Studien, in: Suchttherapie, 6. Jahrgang, S. 108-115.
Interview mit Henning Voscherau über synthetische Opiate vom Staat und die erreichbaren Ziele der Drogenpolitik
Sieben deutsche Großstädten wagen seit fünf Jahren ein drogenpolitisches Experiment. Sie vergeben reines Heroin an Abhängige, bei denen zuvor alle Therapieversuche gescheitert sind. Begleitet wird das Modellprojekt vom Hamburger Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung. Dieses legte nun einen Studienbericht mit einem positiven Fazit vor. Die Teilnehmer seien nicht nur gesünder als andere Süchtige, die mit Methadon behandelt wurden. Sie würden auch seltener straffällig, fänden häufiger eine Wohnung und einen Arbeitsplatz und würden weniger illegale Drogen nebenbei konsumieren.
Das Experiment scheint geglückt, die beteiligten Städte Hamburg, Hannover, Frankfurt, Bonn, Karlsruhe, Köln und München wollen aus dem Projekt eine Regelversorgung werden lassen. Doch dagegen sperrt sich die Fraktion der Union im Bundestag. Bisher dürfen Heroinabhängige nur mit Ersatzstoffen wie Methadon versorgt werden. Der Unions-Obmann im Gesundheitsausschuss, Jens Spahn (CDU), bezweifelt, dass die Ergebnisse so viel besser sind, „dass sie es rechtfertigen, eine harte Droge teilweise zu legalisieren“. Die Diskussion wird anhalten.
Zeitsprung in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. In Hamburg hat sich quasi eine offene Drogenszene etabliert, die die Gegend rund um den Hautpbahnhof zum handeln und konsumieren nutzt. Man versucht die Abhängigen und zum Teil stark verelendeten Junkies zu vertreiben, löst damit aber das Problem nicht. Der Bürgermeister der Stadt, Henning Voscherau (SPD), schiebt die ersten Drogenhilfeprojekten im Bereich der sogenannten „Akzeptierenden Drogenarbeit“ an, die vielen der süchtigen Opiatgebrauchern durch niedrigschwellige Hilfen neue Lebensperspektiven bieten soll. Spritzenvergabe, auch in Gefängnissen, Gesundheitsräume, betreute Übernachtungsmöglichkeiten und Wohnformen, Beratungscafes sowie weitreichende psychosoziale Betreuung. Die Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger konnte gesetzlich verankert werden, ein Heroinvergabeversuch wurde in die Wege geleitet. Andere deutsche Städte und Gemeinden folgten. Heute hat sich Voscherau aus der aktiven Politik zurückgezogen, engagiert sich aber weiterhin in der Drogenpolitik.
Frage:
Mittlerweile wurden eine Reihe der damals entwickelten Hilfsmöglichkeiten für Opiatabhängige wieder eingestellt. Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse haben unter den Prämissen von Qualitätskontrolle und -sicherung eingesetzt und stellen die Niedrigschwelligkeit in Frage. Wie beurteilen Sie die derzeitige Entwicklung was die Projekte der Akzeptierenden Drogenarbeit betrifft?
Henning Voscherau:
Ein einschneidender Rückschritt, der die Menschenwürde vieler Betroffener antasten wird. Aus meiner Sicht ein Grundrechtsverstoß, denn stärker als in den letzten zehn Jahren wird diesen Menschen Hilfe verweigert, die sie zum Überleben brauchen und die sie brauchen, um sich aus der Opiatabhängigkeit zu befreien. Das können nicht alle, das weiß ich wohl, aber denjenigen, die es vielleicht schaffen könnten, wird nun die Möglichkeit genommen.
Frage:
Sie haben bereits 1990 auf das Scheitern des rein repressiven Ansatzes bei der Bekämpfung der negativen Auswirkungen des Konsums illegaler Drogen hingewiesen. Ist bei objektiver Betrachtung heute nicht immer noch das Hauptproblem der Drogenpolitik, dass man sich scheut, diese beängstigende Sackgasse zu verlassen, um sich endlich einmal neuen pragmatischen und optimistischen Ansätzen zu öffnen?
Henning Voscherau:
Prohibition scheitert immer dann, wenn zum einen eine dr ängende Nachfrage in der Bevölkerung existiert, ob nun nach Alkohol, wie in den 20er Jahren in den USA, ob nach einer Droge wie Heroin, und wenn zum anderen die Durchbrechung der Prohibition riesige Gewinne verspricht. Das führt immer zu einem Prozess der Illegalisierung der Abhängigen und der Gewinnmaximierung für die Kriminellen. Das ist der dümmste und kurzsichtigste Weg, den man einschlagen kann. Es ist traurig, dass solche Dummheit jetzt wieder stärker fröhliche Urständ feiert.
Frage:
Die Ergebnisse der Heroinstudie liegen vor. Sie decken sich mit den Erfahrungen im Ausland: Der Gesundheitszustand der Betroffenen bessert sich, die Sterberate sinkt. Gleichwohl gibt es Bedenken, das Modell zur Regelversorgung für Abhängige zu machen. Das Argument der Gegner: “Es drohe die Enttabuisierung von Heroin.“ Besteht tatsächlich die Gefahr, dass Heroinkonsum dadurch bei Nichtkonsumenten an Reiz gewinnt?
Henning Voscherau:
Wenn man es richtig macht, besteht diese Gefahr nicht. Ich schlage nicht vor und glaube nicht, dass sonst jemand Ernstzunehmender das täte, analog zur Aufgabe der Alkoholprohibition künftig Heroin in der Kneipe oder Drogerie frei zum Kauf zugänglich zu machen. Im Gegenteil, man muss versuchen, die Heroinverabreichung zu medizinalisieren. Es kann nicht um Verabreichung an jedermann gehen. Man hat einen Patienten, einen schwer Abhängigen, man hat einen Arzt, er ist der verantwortliche Therapeut. Dieser muss das Recht haben zu verschreiben, was medizinisch indiziert ist. Wer als Politiker dem Gesundheitsmarkt der niedergelassenen Ärzte und Apotheker insoweit nicht vertraut, hat die Möglichkeit, Drogenbehandlungs-Ambulanzen vorzuschreiben, in denen streng auf Zuverlässigkeit geprüfte Therapeuten verhindern, dass diese Verabreichungsform und damit die Droge sich quer über die Gesellschaft verteilt.
Frage:
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass nach der Besetzung Afghanistans, des größten Opium- und Heroinproduzenten der Welt, durch westliche Truppen und die verbündeter Opiumwarlords die Opium-Ernten de facto auch unter Aufsicht der Bundeswehr Rekordhöhen erreicht haben, erscheint die Zaghaftigkeit bei der Realisierung einer kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige und das Beharren auf der Strafverfolgung von Konsumenten illegaler Drogen hierzulande geradezu absurd. Nach allem was wir wissen, kann man die Ergebnisse des Heroinvergabe-Modellprojektes positiv bewerten. Warum gestaltet es sich so schwierig, schwerstabhängigen Opiatgebrauchern einen legalen ärztlich kontrollierten Zugang zu dem für sie bestverträglichen Opiat, im Einzelfall also auch zu pharmazeutisch reinem Heroin, zu gewähren?
Henning Voscherau:
Man muss den Verhinderern in den Gesetzgebungsorganen zubilligen, dass sie wirklich Ängste haben, es könne sich allgemeine Zugänglichkeit zu Heroin entwickeln. Oder aber sie sind weltanschaulich so fixiert, dass sie es nicht über sich bringen können, eine pragmatische und vernünftige Lösung mitzutragen.
Frage:
So recht scheint die Domestizierung des Rausches nicht zu funktionieren…
Henning Voscherau:
Wohl wahr…
Frage:
… ist der Abstinenzansatz in der Drogenpolitik überhaupt noch zukunftsträchtig?
Henning Voscherau:
Für die Gesundheit von Menschen, für die Kosten des Gesundheitssystems und für die Gesellschaft insgesamt wäre es zweifelsfrei besser, wenn Menschen möglichst abstinent leben. Das gilt für Alkohol und Nikotin ebenso wie für illegale Drogen. Das ist zwar nicht die Realität, aber auch wenn das Ziel der abstinenten Gesellschaft niemals erreichbar sein wird – nebenbei bemerkt: durchsetzen von oben kann man es sowieso nicht – so ist es doch richtig zu sagen: So wäre es am besten, ein Ideal. Die praktische Vernunft in der Politik gebietet es aber, sich nicht auf ideale Ziele zu beschränken, sondern Wege zu gehen, die sich an Realitäten orientieren.
Frage:
Könnte es sinnvoller sein statt Abstinenz eine Drogenmündigkeit zu fordern, die weniger auf Enhaltsamkeit als auf den früh erlernten Umgang mit Suchtmitteln setzt?
Henning Voscherau:
Mündigkeit ist für einige Suchtstoffe eine Illusion, sagen mir die Naturwissenschaftler. Ich glaube nicht, dass man jemanden zum mündigen Umgang mit gelegentlichem Heroinkonsum erziehen kann. Insofern bin ich kein Anhänger einer gesellschaftlichen Salondiskussion über das Recht auf Rausch oder Drogenmündigkeit. Das mag individuell und in der Privatsphäre eine Fragestellung sein, zu der jeder einzelne Mensch das Recht hat, zur Direktive einer Drogenpolitik würde ich das nicht machen wollen. Ein kollektives Recht auf Mündigkeit im Umgang mit Heroin existiert nicht und indviduell sollte es das Recht auch weiterhin nicht geben, weil das Risiko unkalkulierbar ist.
Frage:
Was immer gerne vergessen wird, Millionen von Menschen konsumieren gelegentlich illegale Drogen, ohne damit schwerwiegende Probleme zu haben. Verbote halten sie nicht ab, sondern erhöhen Reiz und Risiko und verhindern eine sachliche entemotionalisierte Auseinandersetzung, die meines Erachtens für eigenverantwortliches Handeln notwendig wäre. Warum scheut man sich, diese Realität zur Kenntnis zu nehmen und hier offiziell gefördert risikominimierende Umgangsformen zu entwickeln?
Henning Voscherau:
Natürlich gibt es den individualistischen Ansatz, der sagt: Das Grundgesetz gewährt mir ein Selbstbestimmungsrecht, solange ich mit meinem Konsum Andere nicht in ihren Rechten beeinträchtige, muss ich selbst entscheiden dürfen, was mir gefällt. Ein weites Feld. Es ist schwer, Jemandem Vorschriften zu machen, wie er sein Leben führen soll. Gleichwohl muss man einräumen, dass die unterschiedlichen Suchtmittel individuell und gesamtgesellschaftlich ein unterschiedlich ausgeprägtes Gefahrenpotential tragen. Das will ich nicht als Jurist beurteilen, das sollen Mediziner und Biochemiker tun. In dem Moment, in dem jemand nicht mehr aus freiem Willen aus seinem Konsum aussteigen kann, wird eine Grenze überschritten und wird es gefährlich. Er oder sie ist dann Opfer dieser Drogen. Umso mehr muss dann medizinische Hilfe einsetzen und nicht, wie wir jetzt beim Heroinvergabeprojekt befürchten müssen, generell verweigert werden.
Frage:
Auch Sie benutzen den Terminus von Opfern und T ätern. Wenn Sie von Opfern sprechen, dann meinen sie, so verstehe ich Sie, Suchtkranke, wenn sie von Tätern sprechen, dann vermute ich, dass Sie damit Drogenhändler meinen, die vom Handel mit der verbotenen Ware profitieren.
Henning Voscherau:
Nicht nur. Täter sind zum einen die Menschen in der Produktions- und Vertriebskette, zum anderen macht die Illegalität aus Abhängigen Täter, weil sie sich zur Finanzierung ihrer Sucht als Dealer betätigen. Auch dies würde durch die Medizinalisierung gelöst.
Frage:
Handeln nicht auch die Opfer eigenverantwortlich, so dass man sich in Phasen, in denen sie nicht willens sind, ihren Lebensentwurf zu ändern, mit ihren Konsumgewohnheiten einfach arrangieren muss?Henning Voscherau:
Ein in die Abhängigkeit abgerutschter Mensch, der nicht aus freiem Willen aussteigen kann, handelt eben nicht eigenverantwortlich. Der Beginn mag Neugier oder Vernügungssucht sein, hat der Suchtmechanismus aber erst eingesetzt, überschreitet der User die Opferschwelle.
Frage:
Und muss man den sogenannten Tätern nicht zubilligen, dass sie letztlich auch nur unternehmerischen Prinzipien folgen und nur Produkte hoher Nachfrage und auf Grund der Kriminalisierung mit entsprechenden Profitmargen verkaufen?
Henning Voscherau:
Das ist eine treffende Beschreibung der Realität, zubilligen kann ich den Personen das aber nicht. Sonst müsste man dies den osteuropäischen Zuhältern und ihrem Handel mit Frauen auch zubilligen.
Frage:
Ein Problem, das in der Öffentlichkeit kaum thematisiert wird, allenfalls wenn mal wieder Prominente dabei ertappt werden, ist der Kokainkonsum. Auch hier gibt es ein breites Spektrum an Konsumenten. Eine Minderheit hat erhebliche Probleme damit, insbesondere mit dem Rauchen und dem Injizieren von Kokainprodukten. Diese Konsumenten zählen zu den Elendsten der Strassenszene. Eine spezielle Kokain-Substitutionsbehandlung ist derzeit nicht möglich. Wie soll die Gesellschaft Ihres Erachtens mit diesen Konsumenten umgehen?
Henning Voscherau:
Als ich mich vor vielen Jahren mit Experten der New Yorker Drogenszene dar über unterhielt, hatten die auch kein Rezept. Ein Problem ist, dass Kokainderivate eine extreme Neigung zu Gewalt bewirken können. Ein weiteres ist die fehlende Möglichkeit der Substitution. Es gibt zurzeit kein Patentrezept, jedenfalls ist mir keines bekannt, auch ein akzeptierender Ansatz ist hier schwer vorstellbar.
Frage:
Was hat sie dazu gebracht, sich mit einer politischen Karriere nicht sehr zuträglichen Themen wie Heroinvergabe und Drogenpolitik wiederholt zu beschäftigen?
Henning Voscherau:
Ich habe in den letzten 17 Jahren keine pers önlichen Nackenschläge oder unsachliche persönliche Angriffe erlebt, nur weil ich eine Außenseiterposition in der Drogenpolitik eingenommen habe. Auch Widersacher – unter teilweise katholischem Einfluss – aus dem südlichen und südwestlichen Deutschland gewährten mir stets Respekt für meine Überzeugung und Argumente. Zwei Faktoren führten damals zu meinem Engagement: Zu Beginn der 90er Jahre nahm die Zahl der Heroinsüchtigen zu, in Hamburg sprachen manche Quellen von 10.000 Abhängigen. Es bildeten sich halboffene Drogenszenen. Ich bekam einen Brief von einem Schweizer, der die Zustände am Hamburger Hauptbahnhof beklagte, kurzum: das Thema war einfach virulent. Der zweite Punkt war, dass mit mir befreundete Menschen ihren Adoptivsohn an Heroin verloren hatten. Sie berichteten mir von den familiären Folgen. Beides hat mich veranlasst, vorurteilsfrei über die Drogenpolitik nachzudenken. Ich bin dann relativ schnell zu der Überzeugung gelangt, dass ein Angebots- und Betreuungssystem unter genau definierten gesetzlichen Rahmenbedinungen helfen könnte. Der Vater dieses Kindes ist interessanterweise bis heute nicht dieser Meinung.
„Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln“
Eine Unterhaltung zwischen Professor Sebastian Scheerer (S.), dem netten Kriminologen an der Universität Hamburg und den zwei unverdrossenen Mitarbeitern des HanfBlatt, AZ (A.) und Jörg Auf dem Hövel (J.).
J.
Sie weilten eine Zeit in Brasilien?
S.
Richtig. Bei einem Treffen mit einem Landtagsabgeordneten der Grünen Partei, Tota Agra, der aus einer Region im Nordosten Brasiliens kommt, in welcher traditionell Cannabis angebaut wird, ging es auch um den Faserhanf. Ich zeigte ihm Hanfprodukte aus Europa, die hier ja keine so große Besonderheit mehr, dort aber nahezu unbekannt sind. Hanfjacken, Mützen, Hemden, Hanföl und so weiter. Während einer Drogenkonferenz in Sao Paulo stellte er diese Produkte im Foyer aus – das kam riesengroß. Von großen Interesse wäre für ihn garantiert die holländische Grower-Szene. Ich hätte schon Lust mich in dieser Hinsicht einzumischen, aber nach meinem Forschungssemester ist die Zeit knapp. Jetzt steht die Lehre hier in Hamburg im Vordergrund. Ich bin also gar nicht „up to date“ was die Vorgänge in Deutschland angeht. Ist die Kriminalisierung der Cannabis-Samen eigentlich schon durch?
A.
Die ist seit dem ersten Februar Gesetz. Viele Händler haben ihre Samen schon aus dem Angebot genommen, andere verkaufen offen weiter, manche verkaufen Vogelfutter. Contact your local Bird-Shop.
S.
Am Spritzenplatz in Hamburg-Altona gab es einen Grow-Shop, ich weiß nicht, ob Sie den kennen?
J.
Doch, doch, ich wohne da um die Ecke.
S.
Hat der wegen des Samenverbots dicht gemacht?
A.
Ich glaube, der hat sich nicht etablieren können oder ist umgezogen. Es sprießen weiterhin Grow-Shops aus dem Boden.
S.
Und Coffie-Shops? Vor zwei Jahren gab es ja etwa 15 Stück in Hamburg.
A.
Heute eher mehr.
J.
Ich würde schon auf dreißig Stück im Hamburger Stadtgebiet tippen.
S.
Und was ist mit Rigo Maaß passiert?
A.
Nichts mehr gehört. Wenn man sich in diese rechtliche Grauzone begibt, hat man es ja nicht nur mit der Polizei zu tun, sondern auch mit Konkurrenz, mit Leuten die denken, daß hier viel Geld verdient wird. Die kommen dann eventuell auch mal vorbei und wollen was abhaben von dem Kuchen. Zum Teil gibt es ja auch Versuche, das Ganze zu monopolisieren.
J.
Die Coffie-Shop-Szene in Hamburg ist weitgehend in türkischer Hand. Zweieinhalb bis drei Gramm Gras für fünfzig Mark.
S.
Die werden aber mit fünf Gramm ausgezeichnet?
J.
He, he, he.
A.
Teilweise ist es auch mehr. Das geht bis vier Gramm hoch. Die Qualität ist auch unterschiedlich. Bei einigen ist es oft ein dröhniger Skunk, bei manchem anderen hat man schon eine richtige Auswahl, bis hin zu einer Tafel, die mehrere Sorten Hasch oder Gras anbietet.
J:
Es ist ja sehr einfach geworden, Gras anzupflanzen. Mit vier Lampen hat man schnell eine Überschußproduktion, die sich gut über den Laden eines Bekannten vertreiben läßt. Das Geschäft floriert.
A.
Überhaupt haben ja alle Drogen in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Cannabis im Rahmen von Grunge, Hip-Hop, Jungle, Dub, Schlager, House und Techno. Fast alle Jugendkulturen haben Cannabis integriert, in manchen kommen dann andere Drogen dazu. Bei den einen Speed, bei den anderen Koks, bei den nächsten LSD oder Ecstasy. Cannabis scheint überall die Basis.
S.
Auch eine ideologische Basis.
A.
Das Wissen um den Hanf ist ebenfalls schnell gewachsen. Saatgut, Lampen, Erde, Anbau, Wirkung der Droge, darüber wußten die Leute früher nicht so gut Bescheid.
J.
Wäre interessant bei Philips oder Osram nachzufragen. Die müssen unglaubliche Absatzsteigerungen verbuchen.
A.
Letztendlich profitieren ganz seriöse Unternehmen davon. Lampenhersteller,
J.
Düngemittelindustrie,
S.
Steinwollehersteller
A.
Pumpenhersteller. Oder die Firma Steimel, die einen Heißluftfön produziert, der ideal zum verdampfen von Gras ist. Die wollen sicher nicht damit in Verbindung gebracht werden, werden sich aber trotzdem die Hände reiben, daß Tausende Kiffer ihren Fön im Baumarkt kaufen.
S.
Jetzt habe ich Sie ja hauptsächlich befragt. Worüber wollen wir denn sprechen?
J.
Ach, daß kann ruhig so weitergehen. Aber ich habe mich gut vorbereitet und einige Fragen notiert. Kann ich Sie nach einem Resümee der Kohl-Ära in Bezug auf die Drogenpolitik fragen?
S.
Warum nicht. Die Kohl-Ära begann 1982 mit der sogenannten „Wende“.
A.
Steinlange her.
S.
Zwei gegensätzliche Strömungen konnten in der Kohl-Ära beobachtet werden. Auf der Ebene der internationalen Konventionen und der Regierungspolitik ist alles schlimmer geworden. Man hat 1988 die Konvention von Wien beschlossen, die zu einer weiteren Verschärfung der Drogengesetze geführt hat. In der Bundesrepublik wurden Anti-Drogen Kampagnen ins Leben gerufen, wie „Keine Macht den Drogen“. Es kam zu einer Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs, wie die Juristen sagen: Immer mehr Substanzen wurden kriminalisiert. Auf der anderen Seite gab es aber eine reale Entwicklung, in die entgegengesetzte Richtung. Es wurde alles viel besser! Die Verfügbarkeit von Drogen ist sehr viel größer geworden. 1982 gab es noch nicht dieses differenzierte Angebot.
A.
Kokain war exklusiven Kreisen vorbehalten. Heute kostet es ein Viertel soviel wie damals.
S.
In der Jugend hat Cannabis einen Aufschwung genommen. Anfang der 80er Jahre war das die Droge der 68er, der alt werdenden Hippies. Inzwischen hat es wieder ein junges Image bekommen. Meine Neffen und Nichten, 15 Jahre alt, nehmen das und sind alle begeistert. Auch über die Symbolik, über die Blätter, darüber, Zuhause so eine Pflanze zu haben. Die Sichtbarkeit der Zubehörindustrie war in den 80ern natürlich auch nicht so ausgeprägt wie heute. Insgesamt kann man sagen, daß Drogen wieder „in“ sind, vor allem bei der jungen Generation. Man kann also in der Zukunft Gutes erwarten. Und das alles unter der Herrschaft eines konservativen Kanzlers und einer Gesetzgebung, die immer mehr an der Realität vorbeiläuft.
J.
Die SPD stand 1982 ebenfalls noch auf einem ganz restriktiven Standpunkt.
S.
Da gab es einen Konsens zwischen Union und SPD. Es gab nur eine Drogenpolitik und die hieß „draufhauen“. Erst später haben sich anläßlich der Methadonfrage und des Besitzes kleiner Mengen von Drogen zwei Richtungen in der Drogenpolitik entwickelt. Auch die Spaltung zwischen Bundespolitik und einer immer selbständiger agierenden Landespolitik fällt in diese Zeit. Die Vorstellung, daß Kommunen eine eigenständige Drogenpolitik machen, gab es Anfang der 80er Jahre noch nicht.
J.
Was ist von einer Regierung mit einem Kanzler Gerhard Schröder zu erwarten?
S.
Tja, ich erwarte da nicht soviel. Die Jusos hatten eine Zeitlang einen sehr rührigen drogenpolitischen Sprecher, Jürgen Neumeyer. Sehr kompetent. Die SPD selbst aber ist komplett puritanisch: anti-alkoholisch und ohne andere Drogen soll es durchs Leben gehen. Die Arbeiterbewegung war noch nie besonders hedonistisch oder post-materialistisch. Die Arbeiter sollen ja fleißig arbeiten und abends noch zum Ortsverein und Protokoll schreiben!
J.
Der aktuelle drogenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag ist Johannes Singer. Und der meint, daß es in einer Gesellschaft keinen vernünftigen Umgang mit Drogen geben kann.
S.
Geschäftsgrundlage des Regierungswechsels ist ja, daß sich nichts grundlegend ändern wird. Es heißt, daß wenn Wahlen was bewirken würden, sie schon lange verboten wären. Dieses Jahr habe ich den Eindruck ganz besonders.
J.
Auf die Grünen/Bündnis 90 kann man auch nicht setzen.
S.
Sehe ich genau so. Da gibt es ja auch sehr schlimme Frustanbeter. Zum Teil herrscht die Einstellung: Naturdrogen gut, Chemiedrogen schlecht. So ein Blödsinn!
A.
Manche Chemiedrogen entpuppen sich als Naturdrogen. Jüngst wies man Amphetamin in einer Akazienart nach. Damit ist auch das Amphetamin, welches als die klassische Chemiedroge galt, im Grunde eine natürliche Substanz. Unser Körper produziert auch Benzodiazepine, damit ist Valium praktisch körpereigen.
S.
Wie man sieht also eine sehr oberflächliche Theorie. Ich schreibe auch lieber mit künstlichen Kulis als mit natürlichem Blut.
A.
Wenn chemische Drogen was bewirken, sind sie ja den körpereigenen Drogen meist sehr ähnlich. Und letztendlich ist die Natur unteilbar, auch was wir in den Chemielabors herstellen gehört zur Natur, nicht nur der Nationalpark Wattenmeer.
S.
Zudem herrscht bei den Grünen noch eine Tradition, die sich gegen eine von außen herbeigeführte Bewußtseinsveränderung stellt. Bewußtseinsveränderung ist danach nur Vernebelung oder Flucht. Die größten Greueltaten der Geschichte werden aber von nüchternen Leuten begangen, nicht von Kiffern.
J.
Krista Sager von der GAL, zweite Bürgermeisterin in Hamburg, wäre ja ein Gegenbeispiel. Sie äußerte, daß die meisten Techniken zur Bewußtseinsveränderung der staatlichen Kontrolle entzogen sind. Sie macht Yoga…
S.
Na ja, sind ja nicht alle blind und blöd, und vielleicht stellen die Grünen in den Koalitionsverhandlungen einige Forderungen in Richtung auf eine vernünftige Drogenpolitik.
A.
Auch die SPD-regierten Länder stimmten dem Gesetz vom 1. Februar zu, das zwar die Verschreibung von Methadon erleichterte, zugleich aber Cannabis-Samen und andere Pflanzen, wie Pilze und Stechapfel illegalisierte, wenn sie denn der Berauschung dienen. Eine weitere Kriminalisierung des Natürlichen.
J.
Ein Schummel-Paket.
A.
Eine heuchlerische Einstellung, die auch für die Zukunft nichts Gutes erwarten läßt.
S.
Meine Hoffnung liegt für die Zukunft weniger in einer wie immer gefärbten Bundesregierung, sondern in einer autonomen Drogenpolitik der Bundesländer. Vor Ort geht es doch darum, die Probleme zu lösen und nicht durch weitere Repressionen weitere Probleme zu schaffen. Eine Fortsetzung der Spaltung zwischen Regierungsrethorik und Gesetzgebung einerseits und tatsächlichen Lebensverhältnissen andererseits wäre nicht das Schlechteste. Die soziale Realität muß die Normen durch Lächerlichkeit aushebeln.
J.
Wie sind die Gerichte in diesem Zusammenhang einzuordnen?
S.
Die spielen eine enorme Rolle. Es gibt ja Gesetze, die einfach nicht durchgeführt werden. Im Falle des Abtreibungsparagraphen 218 hat man jahrelang keine Prozesse gegen Frauen geführt, die abgetrieben haben. Es kam dann zum Skandal, als in Memmingen das erste Mal das Gesetz durchgeführt wurde. Wenn die Gesellschaft es immer lächerlicher findet, mit der Polizei hinter Graskonsumenten hinterherzulaufen, werden auch die Gerichte und die Staatsanwaltschaft das tiefer hängen. Jeder der in Hamburg oder anderen liberaleren Bundesländern in eine Polizei-Kontrolle geraten ist, kann ja davon berichten, daß die Beamten nicht mit aller Schärfe des Gesetzes gegen Kiffer vorgehen.
J.
Wenn man Zeitungen aus Süddeutschland verfolgt, sieht das ganz anders aus.
A.
Und in Sachsen geht die Polizei sehr streng vor. Dort hat sich vor allem Cannabis schnell verbreitet. Theo Baumgärtner befragte in einer Studie Dresdener und Leipziger Studenten. Die sind mittlerweile auf dem selben Genuß-Niveau wie die deutschen Kommilitonen. Und immerhin hat das Landeskriminalamt Sachsen vor kurzem ein Abonnement des HanfBlatt geordert.
S.
Ha, ha, ha.
J.
Sehr schön. Ein kleiner Themensprung: Die große Zeit des Coming-Out von Schwulen ist ja vorbei, wohl auch, weil es unspektakulär geworden ist. Folgt irgendwann das Coming-Out der Wissenschaftler und Drogenforscher, ob und welche Substanzen sie selber genießen?
S.
Ein schwuler Kollege, auch Kriminologe, veröffentlichte gerade einen Artikel, in welchem er darauf hinweist, daß er im Jahre 1984 auf Seite soundso eines Buches geschrieben hatte, daß er schwul ist. Die Drogenforscher in der Kriminologie haben das noch nicht geschafft zu sagen, was sie wann nehmen. Das Coming-Out läßt hier noch auf sich warten. Nun muß man aber sagen, daß 1984 die Homosexualität schon Jahre lang entkriminalisiert war und wir wohl erst die Zeit nach der Freigabe mit einem wunderschönen Sammelband rechnen dürfen, mit dem Titel „Drogenforschende Rauschgiftesser erzählen“ – oder „Rauschgiftessende Drogenforscher“ !?! Da gibt es doch lustige Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal mit einigen weltberühmten Legalisierern in einer eleganten Hotelsuite saß und die Utensilien für einen Joint immer weiter gereicht wurden, weil keiner in der Lage war einen Joint zu drehen. Extrem peinliche Sache.
A.
Ich bevorzuge als Nichtraucher auch die Pfeife. Grundsätzlich wünsche ich mir, daß man offen über die positiven und negativen Seiten -die ja alles hat- diskutiert. Und jeder ist ja unterschiedlich, dem einen gefällt die Droge nicht, dem anderen gefällt sie halt. Ein Abend mit Bier kann auch in einer Katastrophe enden. Wenn man es wissenschaftlich betrachtet, sind die meisten Substanzen nicht so gefährlich, wie sie in den Medien und der Anti-Drogen Propaganda dargestellt werden. Mit einem ehrlicheren Dialog ist auch den Gefährdeten besser geholfen.
S.
Es gibt ja selbst unter Wissenschaftlern die Unsitte, den Verteufelungsdiskurs einen Schönwetterdiskurs entgegenzusetzen. Nach dem Motto: Cannabis ist völlig ungefährlich. Das eine ist so unhaltbar wie das andere.
J.
Was dem Coming-Out von Forschern ja entgegensteht ist ein Problem, welches schon in der wissenschaftlichen Diskussion um LSD in den sechziger Jahren virulent war. Da konnte man als Forscher irgendwann nicht mehr zugeben, daß man selber Kontakt zu der Droge hat, weil die Fachkollegen die Objektivität in Frage gestellt haben.
A.
Die Erfahrung sollte -so der Vorwurf- die Rationalität für den Rest des Lebens in Frage gestellt haben. Schubladen sind halt sehr hilfreich. Ich habe Sie vor einigen Jahren bei einer Diskussion mit Sozialarbeitern erlebt, in welcher es um Kokain ging. Da haben Sie die relative Harmlosigkeit von Kokain herausgestellt.
S.
Das kam nicht so gut an.
A.
Stimmt. Die Sozialarbeiter haben ja ihre Klientel, ehemals Heroinabhängige, substituierte Methadonkonsumenten. Deren Sucht ist ja nicht mit einer Substanz zu heilen. Viele Leute haben ihre Schwierigkeiten auf Kokain verlagert, das sie nehmen, um ihren Kick zu kriegen und sie klauen und prostituieren sich nun, um Kokain zu kaufen. Für die Sozialarbeiter ist da jetzt Kokain der Dämon. Die sehen nicht die zahllosen von Freizeitkonsumenten, die mit der Droge umgehen können.
S.
Wenn ich mit stationär behandelten Alkoholikern zu tun habe, dann habe ich auch ein anderes Bild von Alkohol, als wenn ich und mein Freundeskreis ab und zu am Abend Wein genieße. Man müßte die Ambivalenz dieser Drogen und die Bedeutung des richtigen Umgangs mit ihnen klar machen und einüben. Und das muß bei den Kindern beginnen. Es kann ja nicht sein, daß einem ausgerechnet vom Staat ein bestimmter Lebensstil vorgeschrieben wird. Es gibt ein wunderbares philosophisches Buch dazu. Es handelt sich um „Drugs and Rights“ von Douglas N. Husak.
J.
Zurück zur Forschung. Die Diskussion hakt ja auch an dem Umstand, wie Wissenschaft heute immer noch betrieben wird. Da steht auf der einen Seite der Forscher und auf der anderen Seite das Objekt seiner Betrachtung. Den Rausch nur anhand objektiv feststellbarer Veränderungen der Transmitterausschüttungen im Gehirn zu analysieren ist eine Sache. Der interpretative Weg, was das für das einzelne Individuum bedeutet, ist doch was ganz anderes, sollte aber meiner Meinung nach als gleichberechtigter Forschungsbereich neben der objektiven Betrachtung stehen.
S.
Der Nachfolger von Professor Schmale im Institut für Psychologie an der Uni Hamburg, hat vor kurzem eine Tagung veranstaltet mit dem Titel: „Introspektion als Forschungsmethode“. Man katapultiert sich ja nicht automatisch aus der Wissenschaft heraus, wenn man über sich selber nachdenkt und versucht, sich selber zu erkennen. Im Gegenteil, daß ist eine legitime Quelle des Wissens und ich muß halt auch hier sehen, welche Methoden ich dazu anwende. Die Betroffenenperspektive hat ein Potential, mit der man in Ecken von Realität kommt, die anderen verborgen bleiben.
A.
Es kursiert ja der Verdacht, daß Drogengegner und Prohibitionisten nicht bereit sind, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Dieser These nach unterdrücken sie etwas in sich, was sie dann in die Außenwelt projizieren um dann dort andere Menschen für ihr abweichendes Verhalten bestrafen zu wollen.
S.
Plausibel.
J.
Die Systemtheorie glaubte ja schon, die Subjekt-Objekt Trennung überwunden zu haben, indem sie alles als ein großes Gewebe betrachtet, was miteinander verbunden ist. Gleichwohl betrachtet sie die Welt als Objekt und fragt nach Funktionen. Als Beispiel fragen sie nach der Funktion des Drogenkonsums bei Indianern im Regenwald. Sie entdecken dann, daß dies die Gemeinschaft zusammenhält, soziale Spannungen löst und so weiter. Wenn man sich dagegen als teilnehmender Beobachter in die Stammesgemeinschaft begibt, wird man gänzlich anderes entdecken, beispielsweise, daß hier die Verbindung zur Natur, Verstorbenen Mitgliedern oder höheren Wesen gesucht wird.
S.
Da sagt dann die Perspektive von draußen mehr über den Beobachter als über das Beobachtete.
A.
Deutlich wird das ebenfalls bei Reiseliteratur. Die sagt oft mehr über die psychische Verfassung des Reisenden aus, als über die Menschen, denen er begegnet. Der Forscher schützt sich durch seine Methoden vor dem Chaos, dem Tumult, in den er sich begibt. Er notiert Namen, sortiert Beziehungen, katalogisiert alles, was ihm in die Quere kommt.
S.
Angst. Unter Wissenschaftlern gibt es mehr Angst als auf der Achterbahn. Es gibt ein viel zitiertes und heute immer weniger gelesenes Buch von George Devereux, „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“, der diesen Zusammenhang gut aufbereitet.
A.
Wenn man es auf die Spitze treibt, kann man fast sagen, daß Wissenschaft in dieser Form was Zwanghaftes hat. Der zwanghafte Wunsch, die Welt zu kontrollieren, in Systeme zu zwängen und dort zu halten.
J.
Cannabis als Medizin. Da wird jetzt viel geforscht und so kommt Bewegung ins Spiel.
S.
Eine gute Entwicklung. Und nur ein Beispiel dafür, daß die Betäubungsmittelgesetzgebung in vielfacher Hinsicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat. Selbst wenn man zugestehen würde, daß Drogen nicht zu hedonistischen Zwecken gebraucht werden sollten, sagen doch die internationalen Konventionen, daß sie selbstverständlich die Befriedigung des medizinischen Bedarfs garantieren sollen.
A.
Da steckt eine verrückte Ideologie hinter. Die Natur bietet ein Konglomerat von Substanzen und im Cannabis tummeln sich über 500 verschiedene Inhaltsstoffe. Warum man nun nur das reine THC anwenden darf, ist doch völlig unklar. Gerade die anderen Inhaltsstoffe nehmen dem THC einen Teil der möglicherweise unangenehmen Nebenwirkungen. Es gibt Jahrtausende alte Erfahrungen mit der Pflanze Cannabis.
S.
Das ist dieses auf die Spitze getriebene analytische Denken.
A.
Da hat man Milligramm, rechts-oder linksdrehend und dann ab in die Kapsel.
J.
Und dahinter stecken auch finanzielle Interessen der Pharma-Industrie.
S.
Eine absurde Idee, Dinge, die seit Jahrtausenden zu medizinischen, sakralen oder hedonistischen Zwecken genutzt werden, einfach zu verbieten und allen Ernstes zu erwarten, daß alle Menschen auf der Erde sich daran halten.
Da werden Gesetze geschaffen und später muß man sehen, wie man die Folgen dieser Gesetze durch neue Gesetze in den Griff kriegt. Eine Flut von Verordnungen ist die Folge. Und irgendwann hat man sogenannte Drogengelder, die durch den Verkauf von Drogen eingenommen wurden. Wenn ich bei ALDI meinen Wein kaufe sind das ja auch keine Weingelder, bei Käse kein Käsegeld. Zu sagen, alles Geld was mit dem Drogenhandel in Beziehung steht, ist kriminell erwirtschaftet, ist Hexenverfolgung pur. Und wie wahnsinnig es ist, begreift man nur deshalb nicht mehr, weil es herrschende Ideologie ist. Doch die Realität bewegt sich von den Normen weg. In Richtung, Autonomie, Differenz, Pflege des Selbst und der Solidarität unter Drogennutzern. Das schafft viel positive Energie.
J.
Ein gutes Schlußwort. Danke sehr für das Gespräch.
In den neuen osteuropäischen EU-Ländern herrscht bunte Vielfalt bei den Drogengesetzen. In einigen Staaten weht gar ein liberales Lüftchen. Ein Überblick über die politische Lage und den neuen Markt.
Wer die Karlsbrücke Richtung Altstadt entlang schreitet, der ist nicht mehr weit von einem der attraktivsten Viertel der tschechischen Hauptstadt Prag entfernt. Wer hier mehr oder weniger unauffällig nach „Grass“ fragt, der wird selten enttäuscht. Das gelieferte Plastik-Beutelchen trägt ein kleines Hanfblatt, ganz wie aus dem Westen bekannt. Die Touri-Rauchware riecht etwas nach Heuschober, wirkt später aber passabel.
Die Republik an der Moldau ist eine von zehn osteuropäischen Staaten, die seit 1. Mai des Jahres Mitglieder der Europäischen Union (EU) sind. Der Anschluss an den goldenen Westen soll allen Ländern wirtschaftliche Prosperität bringen und die Probleme der neuen Nachbarn möglichst draußen lassen. Zu diesen zählt aus Sicht der Ost-Behörden die hohe Anzahl von meist jüngeren Zeitgenossen, die gern mal einen Joint durchziehen oder, schlimmer noch, dem Rausch an kräftigeren Drogen dauerhaft anheim fallen. In Tschechien, aber auch in der Slowakei, Ungarn, Polen, Slowenien, Malta, Zypern und den drei baltischen Ländern Estland, Lettland, Litauen ist man unsicher, was die neue Ära bringen wird.
Über 74 Millionen neue Mitglieder hat der europäische Skatklub nun und rund fünf Prozent davon kennen Hanf nicht nur als Kosmetikprodukt. Der logische Schluss: 3,7 Millionen Kiffer bereichern die Union und es ist zu ahnen, dass die Aktivisten unter ihnen für Dampf in den Brüsseler Gassen sorgen.
Schon vor ihrem Beitritt zur EU waren alle diese Länder bemüht, ihre Drogenpolitik mit den EU-Richtlinien zu harmonisieren. An eine Legalisierung von Hanfprodukten wagte in den Ländern daher keine der Regierungen zu denken. Was aber existiert sind durchaus unterschiedliche drogenpolitische Ansätze in den Staaten, fruchtbare Dikussionen und eine florierende Kiffer- und Grower-Szene, die auf Veränderung drängt.
Zurück nach Prag. 1999 führte das tschechische Gesundheitsministerium eine Umfrage durch. Über 16% der Tschechen zwischen 15 und 64 gaben an, schon einmal Cannabis geraucht zu haben. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen hat sich diese Anzahl kaum erhöht. Diese Zahlen steigen erheblich an, je jünger die Befragten sind. Eine Umfrage unter 16-jährigen in 2000 ergab einen Anteil von über 35% von Schülern, die zumindest schon einmal gekifft hatten. Regelmäßig rauchen rund 15% der 14-19-jährigen. Eine neuere Studie aus 2001 deutet auf einen weiteren Anstieg der Kiffer hin. Unter den 19-jährigen hat nur noch eine Minderheit von 40% noch keine Erfahrung mit Cannabis gemacht – eine für Europa bemerkenswert hohe Zahl.
Das Phänomen der Ausbreitung der Rave-Kultur und ihrer Drogen ist nicht auf Tschechien beschränkt. Eine europaweite Studie unter Ravern zeigt das Ausmaß der Angleichung. In Prag gaben 70% der Techno-Party-Gäste einen regelmäßigen, aber wohl kontrollierten Cannabis-Genuss an. Diese Anzahl deckt sich überraschend genau mit der aus Zürich, Amsterdam oder Madrid.
Haschisch ist in Tschechien teuer, mehr noch, die Preise liegen einsam an der Spitze aller osteuropäischen EU-Länder. Der durchschnittliche Preis liegt bei 17 Euro für das Gramm. In den Weiten der Pampa angebautes Gras liegt bei 6 Euro, importiertes Treibhausgras besserer Qualität bei 7 Euro. Die fallenden Gras-Preise spiegeln die Entwicklung einer wachsende Grower-Gemeinde wieder. Der Anbau von Gras für Eigenbedarf und Freundeskreis verbreitet sich immer mehr. Glaubt man den Ergebnissen der Behörden, ist die Qualität der Produkte nicht schlecht: Der durchschnittliche THC-Gehalt liegt bei 11,5% beim Haschisch, zwischen zehn und 17% bei Nederwiet und 5 und 10% beim Homegrown-Gras. Diese changierenden Werte sind nicht ungewöhnlich. In Proben aus niederländischen Coffeeshops lag der THC-Gehalt bei Haschisch bei 20%, bei Gras bei 15%.
Soweit die Zahlen. Und die Politik? Die Regierungskoalition aus Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion ist sich uneins über den goldenen Weg in der Drogenpolitik. Zurzeit diskutiert man, ob eine Trennung in harte und weiche Drogen vorgenommen werden soll, Innenminister Stanislav Gross gilt allerdings als Hardliner, der einer weiteren Liberalisierung ablehnend gegenüber steht. Tschechien gilt weithin als Land mit progressiver Drogenpolitik, wurde hier doch bereits vor vier Jahren der Besitz kleinerer Mengen Drogen straffrei gestellt.
Die Bundesstaatsanwaltschaft spezifiziert diese kleinen Mengen: Rund zehn Dosierungen á 30 mg THC gehen noch durch, mit anderen Worten, man darf rund 20 Joints mit jeweils rund 1,5 % THC sein eigen nennen, ohne angeklagt zu werden. Analoges gilt für andere Substanzen: Wer zehn LSD-Trips (mit 50 ng) oder zehn E´s (mit 100 mg MDMA) mit sich rumträgt, den wird die Polizei zwar nicht freundlich grüßen, der eventuell hinzugezogene Richter wird das Verfahren aber wohl einstellen.
Die öffentliche Meinung hält mit der Entwicklung nur zum Teil Schritt. Rund die Hälfte der Tschechen ist dafür, Genießer von weichen Drogen weiterhin zu bestrafen, wie eine Umfrage im Jahr 2001 zeigte. Politisch und gesellschaftlich ist das Land im Fluss. Zurzeit ist – zumindest in Prag – selbst das Kiffen in der Öffentlichkeit kein Problem.
In der Hauptstadt der benachbarten Slowakei kam es am 1. Mai 2003 zu einem denkwürdigen Ereignis. Rund 500 Demonstranten forderten auf den Straßen von Bratislava ihr Recht auf Rausch und die Legalisierung von Cannabis. Dies war die erste Legalize-It Demonstration seit dem Fall des Kommunismus im Jahre 1989. Einer der Organisatoren, Daniel Hromada, sagte: Wir haben keine Lust in ständiger Angst davor zu leben, für einige Jahren im Gefängnis zu landen, und das nur, weil man eine Pflanze zum Blühen gebracht hat.
Das kleine Land rühmt sich seiner strikten Gesetze. Schon wer mit einer kleinen Menge Gras in den Taschen erwischt wird, landet vor dem Richter und wird dann meist mit einem Aufenthalt hinter Gittern zwischen einen und fünf Jahren belohnt. Die Proteste gegen den drogenpolitischen Super-GAU im Land sind lahm, die Mitte-Rechts Koalition will ihre Politik keinesfalls überdenken. Peter Muránsky, Drogenexperte bei den Christdemokraten fliegt noch ein Tal weiter und behauptet gar, dass eine Dekriminalisierung unsere Gesellschaft in die Hölle führen würde. Die Vertreter der anderen Parteien formulieren sanfter, lehnen eine Reform aber ebenfalls strikt ab.
Gleicher Tag, anderer Ort. In Polens Hauptstadt Warschau kam es am 1. Mai diesen Jahres zu einer Demonstration. Wie in der Slowakei schon ein Jahr vorher, fanden sich die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis zusammen, um auf der Straße für ihre Interessen und eine veränderte Drogenpolitik einzutreten. Rund 100 Demonstranten kamen zu dem weltweit ausgetragenen Million Marihuana March. Artur Radosz von Kanaba, der größten polnischen Pro-Cannabis-Bewegung, sprach trotz der geringen Teilnehmerzahl gegenüber dem HanfBlatt von einem großen Erfolg der Aktion. Neben der Demonstration hätte es eine Tagung mit einigen Vorträgen gegeben, die gut besucht waren und über die in der Presse auch berichtet worden sei.
Die Grower-Szene weitet ihrer Aktivitäten nur langsam in den Indoor-Bereich aus. Noch herrscht die Guerilla-Pflanzung in der freien Natur vor. Polnischer Rasen ist denn auch nach wie vor häufiger auf dem Markt anzutreffen als Haschisch. Der Preis liegt zwischen 6 bis 8 Euro für das Gramm Gras.
In den Großstädten ist Cannabis in den Altersklassen unterschiedlich beliebt. Eine repräsentative Befragung in Warschau (2002) förderte ans Licht, dass unter den 16-24-Jährigen annähernd die Hälfte (47,9%) schon einmal Cannabis gepompft hatte. Diese Anzahl nimmt mit dem Alter ab. Unter den 35-44-Jährigen sind es nur noch 18%. In den letzten 30 Tagen vor der Befragung hatten 16% der 16-24-Jährigen gekifft. Ein Vergleich der Ergebnisse von 1997 und 2002 weist auf einen langsamen Anstieg der Kifferanzahl hin.
Die Bevölkerung sieht die Legalisierung von Cannabis eher negativ, während sie einer Dekriminalisierung offener gegenübersteht. Eine nicht repräsentative Umfrage von 2002 ergab einen Anteil von nur 6% an „Legalize-It“ Befürwortern. Dieselbe Studie zeigte aber auch, dass nur 20% der Befragten die strafrechtliche Verfolgung von Kiffern befürwortet. Umfragen unter den meist jüngeren NutzerInnen des Internet zeichnen ein anderes Bild. Das kritisch gesellschaftspolitische Magazin „Polityka“ führte im letzten Jahr eine Internet-Umfrage unter seinen Lesern durch. Hier sprachen sich 77% für die Dekriminalisierung des Konsums aus.
Das Hoffen auf eine baldige Durchsetzung dieser liberalen Interessen dürfte verfrüht sein. In Polen stoßen liberale Ansätze schnell auf das Bollwerk der konservativ geprägten Parteien und der nach wie vor sehr einflussreichen Kirche. Das drogenpolitische Konzept der bisherigen Regierungskoalition aus den (sozial-) demokratischen Parteien SLD und UP orientiert sich stark an den EU-Richtlinien, trotzdem existieren in beiden Parteien durchaus Strömungen, die einer Entkriminalisierung des Cannabiskonsums positiv gegenüberstehen – eine Tendenz, die sich aber genauso schnell wieder ins Gegenteil wenden kann. Das völlig fragmentierte Parteiensystem Polens ist immer wieder für Überraschungen gut.
Asia Goldstein von Kanaba in Lodz resümiert: „Eine Legalisierung ist heute überhaupt kein Thema, weder in der Bevölkerung noch unter den großen Parteien, die Dekriminalisierung aber wird diskutiert.“
Theoretisch droht schon für den Besitz von ein wenig Haschisch in den Taschen bis zu drei Jahren Gefängnis. Praktisch kommt es nach der Verhaftung meist direkt zu Hausdurchsuchungen. Die Gerichte aber setzen die Strafen oft zur Bewährung aus, vor allem dann, wenn es um eine kleine Menge geht und der Delinquent Ersttäter ist. Zum Teil kommt es aber gar nicht soweit: In eine Vielzahl von Fällen rettet die Korruption in der Verwaltung den polnischen Kiffer.
Hanf hat Tradition in Ungarn. Früher wogen sich die Hanfstängelfelder im Wind, heute sucht das Land an die erfolgreiche Vergangenheit bei der Hanfproduktion anzuknüpfen. Die Produkte des bösen Rauschhanfs sind unter der jüngeren Generation seit den 90er Jahren wieder sehr begehrt, die Preise für Marihuana halten sich zwischen 5 und zehn Euro pro Gramm, Haschisch ist schwerer zu bekommen, aber nur etwas teurer. Von allen neuen EU-Ländern ist der Preis von Kraut damit in Ungarn am niedrigsten.
Nach Angaben der Polizei ist der THC-Gehalt im Gras in den letzten zehn Jahren sukzessive angestiegen. Heute liegt er bei 8 %, wahrscheinlich eine Folge der Nederwiet-Exporte. Ungarn nähert sich aber auch in anderer Hinsicht dem West-Niveau an. Rund die Hälfte aller Verhaftungen in Zusammenhang mit Drogen gehen auf Cannabis-Kleinbesitz zurück.
Vor vier Jahren veröffentlichte Dragan Demetrovics die Ergebnisse einer Umfrage, die er unter 1500 Besuchern von Bars, Clubs und Raves in den großen Städten Ungarns durchgeführt hatte. Genau die Hälfte der im Schnitt 21 Jahre alten Befragten hatte schon die Wirkung von Cannabis erfahren, fast ein Drittel hatte im letzten Monat die Kräuter inhaliert. In Budapest war dieser Anteil noch höher. Die politischen Parteien befinden sich noch wie im Westen auch in einer Orientierungsphase mit dem Phänomen „Drogenkultur“. Während die konservative Regierung Mitte der 90er Jahre die Gesetze noch verschärft hatte, deutet sich unter der jetzt amtierenden Mitte-Links-Regierung unter Peter Medgyessy eine vorsichtige Liberalisierung an. Nach Aussage von Ákos Topolanszky, Staatssekretär und Koordinator für Rauschgiftangelegenheiten, gibt es einen parteiübergreifenden Konsens“ darüber, dass die Regeln im Strafgesetzbuch zum Konsum von Cannabis und auch anderen Drogen nur das letzte Mittel sein können und keineswegs in jedem Fall adäquat sind“. Mit anderen Worten: Dekriminalisierung ist erwünscht.
Diese scheitert aber zum einen aus Angst vor internationalen Komplikationen, zum anderen an den überkommenden Vorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Trotz der hohen Zahl von Cannabis-Genießern stehen Harz und Gras in keinen guten Ruf. Topolanszky beklagt: Wegen einem einzigen Joint darf man niemanden gleich als Drogensüchtigen abstempeln. Aber in den Köpfen von zehn Millionen Menschen eine Änderung zu erreichen, ist fast unmöglich.
Das zwischen Österreich und Kroatien gelegene Slowenien sieht sich offiziellen Angaben nach als Puffer zwischen der instabilen Balkanregion und Westeuropa. Das Land liegt auf der legendären Balkanroute, selten aber fallen größere Brocken vom Laster in die Hände von Zoll oder Volk. Im Straßenverkauf liegt Haschisch bei 8 Euro das Gramm, minderwertiges Gras bei 2,50 Euro, gute Ware bei 4 Euro. Ein Grund für den niedrigen Preis: Albanien beliefert das Land mit Rauchhanf, aber dessen Ruf ist nicht der beste. Bessere Sorten, die von Liebhabern in ihren Ställen gezüchtet werden kosten das Doppelte.
Der Besitz kleiner Mengen von Cannabis gilt als Ordnungswidrigkeit und wird meist nur mit einer Geldstrafe belegt. Der Handel wird dagegen hart bestraft.
Schon unter Schülern ist kiffen recht beliebt. Rund ein Drittel aller 15-Jährigen hat schon mindestens einmal gekifft, unter einem Viertel tat es im vergangenen Jahr und im letzten Monat rauchte nur noch ein Zehntel.
Ältere und regelmäßige Besucher von Clubs und Partys sind erheblich genussfreudiger eingestellt. In der Studie von Metej Sande (2000) gaben über 90 % der (im Schnitt 20-jährigen) Besucher an, schon einmal Harzqualm inhaliert zu haben.
Nordlichter
Die drei Nordlichter unter den EU-Beitrittsländern, Estland, Lettland und Litauen, sind in ihrer kulturellen Ausrichtung sehr auf ihre Nachbarn an der Ostsee ausgerichtet. Estlands Hauptstadt Tallin beispielsweise liegt nur 80 Kilometer von Helsinki entfernt. Das dortige Gemeinwesen folgt in der Drogenpolitik aber eher den dänisch-liberalen Weg. Konkret heißt das: Zurzeit gilt der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis nicht als Straftat, es erfolgt keine Anklage. Diese Dekriminalisierung ist nicht nur gesetzlich festgelegt, sie gilt auch für andere Substanzen. Damit sind die Drogengesetze Estlands die liberalsten auf dem europäischen Kontinent. Wie lange dieser Zustand anhält, ist angesichts des EU-Beitritts fraglich.
Im Süden von Estland sind die Bedingungen für Outdoor-Growing gut. Hier sind es vor allem so wird erzählt – ältere Ehepaare, die sich ein Zubrot verdienen. Die Ergebnisse sind nicht immer berauschend, wirklich gutes Gras kostet demnach relativ viel in Estland, nämlich um die 12 Euro pro Gramm, Haschisch ist noch teurer und liegt bei 15 Euro. Die Größenordnungen des Anbaus sind harmlos: Im Jahr 2001 hob die Polizei nach eigenen Angaben genau 13 Hanf-Plantagen aus, was gegenüber dem Vorjahr schon eine Verdoppelung war.
Über die Verbreitung des Hanfs in der Bevölkerung ist wenig bekannt. Eine Umfrage unter 15-16-jährigen Schülern aus dem Jahre 1999 ergab einen Anteil von 13%, der angab, schon mindestens einmal Cannabis probiert zu haben. Eine andere Erhebung (1998) zeigt, dass rund nur 7% der 18-24-Jährigen Cannabis im letzten Jahr geraucht hatten und nur 2% im vergangenen Monat. In Estland verfolgen die Medien nun gespannt die Auswirkungen der liberalen Drogenpolitik auf das bisher moderate Konsumverhalten. Lettland bestraft den Besitz kleinerer Mengen Cannabis (und anderen Drogen) nicht. Trotzdem ist in Lettland und dessen Hauptstadt Riga der Genuss von Marihuana nicht weit verbreitet. Aber auch hier steigt die Erfahrung mit dem auflockernden Kraut langsam. Waren es 1995 nur 5% der 16-Jährigen mit einer Präferenz, hatten in 1999 schon 17% schon mal am Joint gezogen. Nur nebenbei: Im gleichen Zeitraum stieg die Menge der Menschen, die im letzten Monat Tabak genossen hatten von 30% auf 40% an.
Die Preise für Haschisch sind unmoderat, 1 Gramm Marok kostet rund 11 Euro. Interessanterweise gibt die Polizei in ihrem Jahresberichten noch den Schwarzmarktpreis für einzelne Joints an, der bei rund einem Euro liegen soll. Was und wie viel davon sich in den Tüten befindet, sagen die Ordnungshüter nicht. Ganz klug wollte es eine Umfrage angehen, die Bürger in Riga fragte, ob ihnen schon einmal jemand auf offener Straße Drogen angeboten hätte. Nur 7% wollten das bejahen. Die Chance in der Hauptstadt in einen günstigen Deal zu stolpern ist also gering. Litauen sieht den Umgang mit Haschisch und Marihuana nicht so locker wie die baltischen Nachbarstaaten. Schon der Besitz kleinerer Mengen von Cannabis kann theoretisch mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Trotz der repressiven Politik ist das Genussverhalten unter Schülern nicht signifikant niedriger als bei den liberalen Nachbarn. 12% der 15-16-Jährigen gaben 1999 an, schon mal inhaliert zu haben. In der Hauptstadt Wilna ist harziger Qualm beliebter: Dort gaben 32% den Genuss zu. Die Umfragen deuten auch in Litauen auf einen langsamen Anstieg der Kif-Liebhaber hin.
Die Preise bleiben dabei auf einem hohen Niveau. Schon für mildes Muffelgras müssen sechs Euro berappt werden, gutes Homegrown oder Haschisch liegen bei 15 Euro.
Zur guter Letzt: Malta. Die Ferieninsel gilt nicht gerade als Drogenhochburg, analog dazu glauben über 80% der Studenten dort noch an die unbefleckte Empfängnis. Der Besitz von Cannabis zum Eigengebrauch führt nur zu einer Geldstrafe, die allerdings liegt dann zwischen 500 und 2500 Euro.
Fazit
Es darf vermutet werden, dass sich in Osteuropa der Hanfkonsum weiterhin den Tendenzen im Westen anpassen wird. Drei Faktoren verdienen dabei Beachtung: Um diesen Fortschritt zu beurteilen, dürfte es weitaus sinnvoller sein von einer Konsumkultur auszugehen, die Cannabis und auch andere Drogen als „Rekreations-Substanzen“ einnimmt. Dieser „Wellness-Drogen-Konsum“ zieht sich durch unterschiedliche soziale Schichten, findet meist nur am Wochenende statt, betrifft nur eine demografisch gesehen kleine Menge von Bürgern, ist sozial integriert und damit eben kein Problem deprimierter Randgruppen. Selbst die zentrale Institution für die Harmonisierung der EU-Drogenpolitik, die „Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht“ in Lissabon, sieht ein, dass die meisten Drogennutzer eben keine ernsthaften Probleme mit ihrem Freizeitverhalten haben. In einer ihrer Veröffentlichung (Drugnet 44) heißt es: „Jugendliche, die mit Drogen experimentieren oder diese in ihrer Freizeit, z.B. auf Partys, konsumieren, entwickeln keine ernsthaften Drogenprobleme.“ Und weiter: „Dennoch gibt es eine kleine aber signifikante Minderheit von Jugendlichen, die mit Drogen experimentieren und anschließend intensiv Drogen konsumieren und erste drogenbedingte Gesundheitsprobleme bekommen.“
Das ist der entscheidende Unterschied: Bei gewissen Risikofaktoren kann jemand ein Problem mit seinem Genuss bekommen, er oder sie muss es aber eben nicht. In den Befragungen, die unter Schülern und Erwachsenen in den neuen EU-Ländern durchgeführt wurden, zeigt sich die Wirkungslosigkeit der einseitigen Drogenpolitik, die zur Abstinenz erziehen will.
Im Schnitt hat die Hälfte aller Jugendlichen im neuen Osteuropa im Alter um die 20 schon einmal gekifft. Cannabis wird von den meisten als ungefährlich angesehen, denn sie haben es trotz aller Warnungen probiert und siehe da, es hat sie weder am nächsten Tag zum Aufkochen von Heroin geführt, noch zu unwilligen Lappen gemacht. Aus Sicht dieser EU-Bürger ist das Abstempeln von Cannabis als Horror-Droge unsinnig und damit die gesamte Drogenaufklärung verlogen, ein Krieg gegen Drogen verliert in ihren Augen jeden Realitätsbezug. Befragt man die Schüler, warum sie am Joint gezogen hatten, so waren die beiden Top-Antworten: I was curios und I wanted to feel high.
Für alle osteuropäischen Länder wäre zudem wichtig zu erfahren, ob Cannabiskonsum eine vorübergehende Erscheinung bleibt. Die Studie von Kleiber/Söllner hatte für deutsche Mitmenschen gezeigt, dass diese in der Jugend gerne kiffen und im Alter diese Atemfrequenz langsam nach unten schrauben. Könnte diese These auch im europäischen Ausland bestätigt werden, würde dies vernünftigere Wege in der Drogenpolitik vereinfachen.
Als dritter Faktor ist zu beobachten, dass auch die neuen EU-Länder sich schwer tun, die so genannten „geringen Mengen“ genauer zu definieren. Wie in den alten Ländern spielt die Menge an Cannabis, die ein Verhafteter oder später gar Angeklagter mit sich führte, eine entscheidende Rolle für das Strafmaß. Die Mehrheit aller europäischen Länder überlässt es dem Ermessenspielraum der Richter, ob und wie hart jemand bestraft wird, nur weil es die jeweiligen Gesetzgeber unterlassen, verbindliche Normen festzulegen.
Mittlerweile werden neue Wege beschritten: Immerhin neun der 15 alt-europäische Staaten haben die Strafen für den Genuss und Besitz kleiner Mengen Cannabis für den Eigengebrauch per Gesetz, Verordnung oder de facto erheblich entschärft. Dies sind neben Spanien, Italien, Portugal und den Benelux-Ländern auch Irland, Österreich und Dänemark. Hier drohen nur noch Geldstrafen oder der Führerscheinentzug für den Liebhaber. Deutschland, mit seinem Nord-Süd-Gefälle, stellt ein drogenpolitisches Kuriosum da. Reformunfähigkeit, ist wohl das neue Wort dafür. In den zehn jungen osteuropäischen EU-Staaten sind es fünf Länder, nämlich Tschechien, Estland, Lettland, Slowenien und Malta, deren Politik zur Zeit der Freiheit des Kiffers nachgiebige Grenzen setzt.
Ein umfassendes Werk beschreibt, wie sich CIA und prohibitive Drogenpolitik ergänzen
Alfred McCoy, Professor für Geschichte an der Universität Wisconsin, stellt in seinem Buch Die CIA und das Heroin die unheilvolle Rolle der CIA bei der Verbreitung von Heroin und Kokain auf dem Globus dar. Aus der historischen Aufarbeitung ist eine scharfe Abrechnung mit der prohibitiven Drogenpolitik geworden.
Seit nunmehr 30 Jahren erforscht McCoy die Bemühungen der CIA, in den strategisch wichtigen Regionen der Welt mithilfe unterschiedlicher Machthaber den Einfluss der USA aufrecht zu erhalten. 1971 reiste er erstmals nach Südostasien, um den Bündnissen zwischen Drogenbaronen und Geheimdiensten auf die Spur zu kommen. Heraus kam The Politics of Heroin in Southeast Asia, ein Buch, in dem er den Heroinhandel eher enthüllte als erklärte, wie McCoy heute sagt. In seinem neuen Buch geht er den Schritt weiter und stellt auf über 800 Seiten ausführlich die Gründe für die historischen und aktuellen Verstrickungen des Geheimdienstes CIA in den internationalen Heroin- und Kokainhandel dar.
Sein Credo: Das Vorgehen der CIA war in Burma, Laos, Afghanistan gleich und ist heute in Südamerika ähnlich: Die lokalen Stammesgesellschaften oder Clans wurden von der CIA im Kampf gegen den Kommunismus mobilisiert. Um Kräfte für geheime Operationen und Kriege freimachen zu können, mussten die Menschen Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft abziehen. Um die fehlenden Lebensmittel nun kaufen zu können, setzten sie auf den weniger arbeitsintensiven, aber lukrativen Mohnanbau. Aus Sicht der CIA ersparten die guten Erlöse aus dem Mohnanbau ihnen die Kosten, die geheimen Verbündeten versorgen zu müssen. Soweit, so gut, nur waren die längerfristigen Auswirkungen dieser Politik fatal.
Denn egal ob in Burma, Laos oder Afghanistan: Aus Warlords wurden mithilfe der CIA unabhängige Drogenproduzenten, die ihr Gewerbe nach dem Ende des Geheimkriegs nicht aufgaben. In den 50er Jahren, als die CIA die irregulär in Burma einmarschierten nationalchinesischen Truppen unterstützte und so maßgeblich zur Entstehung des Goldenen Dreiecks“ beitrug, in den 60er Jahren, als im Dschungel von Laos mit Wissen der CIA die ersten Labore für Heroin entstanden; die genau das hochwertige Heroin herstellten, welches zunächst von den GIs in Südvietnam konsumiert wurde und später den US-Markt fluten sollte, und in den 80er Jahren, als die afghanischen Freischärler die von der CIA erhaltenen Privilegien für den Aufbau eines riesigen Mohnanbaugebiets im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan nutzen: Die kurzsichtige Politik des amerikanischen Geheimdienstes vor Ort führte nicht nur zu einer global stetig wachsenden Heroinproduktion, sondern hinterlässt destabilisierte Regionen. So klein und entlegen sie sind, erweisen sich diese Hochlandgesellschaften in der Folge der CIA-Geheimkriege doch als Horte gravierender internationaler Instabilität – als schwarze Löcher der neuen Weltordnung. In jedem Drogenkrieg der USA – ob in der Türkei in den 70er Jahren oder in den Anden in den 90er Jahren – hat die Verbotspolitik nach Meinung von McCoy zu unbeabsichtigten Resultaten geführt, weil die lokale Bekämpfung globale Auswirkungen zeigte. Der Logik McCoys ist gut zu folgen: Wie bei den Märkten mit legalen landwirtschaftlichen Erzeugnissen führt eine Verknappung des Angebots ohne gesunkene Nachfrage a) zu höheren Preisen und b) zu einer Verlagerung der Produktion in andere Weltteile. So stieg der weltweite Opiumpreis, nachdem die USA die Türkei 1972-73 zur Bekämpfung des Mohnanbaus im Land gedrängt hatten, deutlich an; und um die weiterhin konstante Nachfrage zu befriedigen bauten nun einige asiatische Länder vermehrt den nötigen Mohn an.
Aber nicht für Asien, auch für Südamerika zeigt McCoy aktuelle Beweise auf. Der Plan Columbia“ beispielsweise, der vom us-amerikanischen Kongress im letzten Amtsjahr von Bill Clinton verabschiedet wurde, bewilligte ein Antidrogen-Programm in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar. Mit diesen Mitteln wurden Militärs vor Ort ausgebildet, Hubschrauber frei gestellt und vor allem die Kokafelder in Kolumbien entlaubt. In kurzer Zeit zerstörten das Militär Ende 2000 30.000 Hektar Kokaplantagen in der Provinz Putumayo, nach Ansicht McCoys mit dem vorhersagbaren Effekt, dass sich der Anbau in die benachbarte Narino-Provinz verlagerte“. Ein Spiel, das sich noch mehrmals wiederholen sollte. Nach zwei Jahren Kolumbienplan“ gab das Außenministerium zu, dass sich die Plantagenflächen zwischen 1999 und 2001 trotz aller Bemühungen von 122.000 Hektar auf 170.000 Hektar vergrößert hatten.
Ein Krieg zielt immer auch auf das personifizierte Böse beim Gegner. In Panama stellte dieses Böse General Manuel Noriega dar, in Kolumbien Pablo Escobar, in Burma ein Mann mit Namen Khun Sa. Der Sturz dieser Drogenbarone führte aber nie zu dem gewünschten Effekt der Verringerung, sondern immer nur zur Verlagerung des Angebots.
Vorsichtigen Schätzungen zufolge ist der weltweite Drogenmarkt heute ein voll etablierter Wirtschaftszweig, der nach UN-Angaben rund 400 Milliarden Dollar jährlich umsetzt. Dies sind rund acht Prozent des Welthandels – mehr als mit dem weltweiten Verkauf von Automobilen umgesetzt wird.
Die Schuld der CIA, so McCoy, bestehe nicht in der aktiven Mittäterschaft bei Drogengeschäften, dies käme äußerst selten vor, sondern in der stillen Duldung des Handels und der Komplizenschaft mit ihren geheimdienstlichen Handlangern – der ungewollten Aufzucht der Drogenbarone.
Die Drogenprohibition ist aus Sicht von McCoy aus zweierlei Gründen nicht durchsetzbar. Zum einen scheitert sie an der wirtschaftlichen Dynamik einer begehrten Ware. Weil die Zwangsmaßnahmen nicht global durchsetzbar wären, seien die Konsequenzen kontraproduktiv. Nach 30 Jahren gescheiterter Ausrottungsversuche zeigt eine Fülle von Belegen, dass der illegale Drogenmarkt ein komplexes globales System ist, das gleichermaßen empfindlich und widerstandsfähig reagiert und Repression rasch in einen Stimulus verwandelt. Im Rückblick auf dieses über 100 Jahre währende Experiment müsse man einräumen, so McCoy, dass die Prohibition aber nicht nur im Hinblick auf die internationale, sondern auch die individuelle Kontrolle gescheitert ist. Mehr noch, der Preis des Scheiterns ist hoch: in den Quellenländern militärische Konflikte und erzwungene Migration, in den Konsumländern Masseninhaftierungen, steigende HIV-Infektionen und soziale Polarisierung.
Das immer offensichtlichere Scheitern eines Krieges gegen Drogen“ hält den Direktor des Office of National Drug Control Policy, John Walters, nicht davon ab, an der orthodoxen Prohibitionspolitik festzuhalten. Sein Bekenntnis zur Amtseinführung: Nur wenn wir zurück schlagen, wird das Drogenproblem kleiner.“
Was ist gewachsen und was blüht uns? Vier Jahre rot-grüne Politik zeigen vor allem die Angst vor Veränderung.
Erinnern wir uns: Damals, 1998, versprach die SPD Innovation und Gerechtigkeit und das sollte auch für die Drogenpolitik gelten. Daraus ist wenig geworden. Es sollte ein Aufbruch in eine Ära nach Kohl werden, schließlich saßen nun die 68er in den Ledersesseln des Kanzleramts. Was kam war nur ein weiterer Rückfall. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Zwar setzte die Koalition Fixerräume und die lange aufgeschobenen Abgabe von Opiaten an Schwerstabhängige durch, ansonsten stagnierte die Politik. Denn gerecht ist es auf keinen Fall, dass Menschen aufgrund des Besitzes von ein paar Krümeln Haschisch den Führerschein oder Arbeitsplatz verloren. Es musste erst wieder richterliche Rauchzeichen aus Karlsruhe geben, um diesen gebührlichen Zustand zu beenden.
Eine gewisse Kontinuität lässt sich in der Drogenpolitik der SPD durchaus erkennen: Unter ihrer Ägide kam es bereits 1982 zu einschneidenden Verschärfungen im Betäubungsmittelgesetz und nun zu Samenverbot und der Praxis, Kifferinnen den Führerschein zu entziehen, obwohl diese gar nicht akut berauscht gefahren waren. Die Grünen haben sich, wenn überhaupt, nur zaghaft gegen diese eiskalte Repressionspolitik gewehrt. Ist es tatsächlich so, dass, wie Hans-Georg Behr es einmal so schön ausdrückte, die Bundesregierung, egal welche gerade herrscht, fest entschlossen ist, den nun einmal eingeschlagenen Holzweg bis zum bitteren Ende weiterzugehen?
Innenminister Schily laviert seit geraumer Zeit, mal will er die Legalisierung prüfen lassen, im nächsten Moment dementiert er dies. Würde er tatsächlich eine Kommission einberufen, dann würde er wohl sein grünes Wunder erleben. Selbst den verbohrtesten Sachverständigen ist nämlich mittlerweile klar, dass es in Deutschland eine Hanfkultur gibt, welche eben nicht aus rumhängenden, verelendeten Luschen besteht, sondern die wirtschaftlich und kulturell zu Tragen beginnt. Die vernebelten Video-Strips von Stefan Raab und Kiffer-Scherze von Harald Schmidt sind mediales Zeichen dieser Entwicklung. Nur ist es leider halt immer noch so: Wer seinen Kopf zu weit raus streckt, der kriegt was zwischen die Hörner; das musste nicht nur Xavier Naidoo erfahren. Die Boulevard-Medien sind Teil der Verlogenheit in der Drogenkultur des Landes.
Es ist ein Wunder, wie sehr sich die Grünen von ihren Wurzeln aus den 68er gelöst haben. Es kann doch kein Mensch, der die damalige Zeit mitgelebt hat glaubhaft versichern, dass die Kifferei in seinem Umfeld nur süchtige und sozial abgewrackte Typen hervorgebracht hat. Ist nicht vielleicht sogar das Gegenteil richtig? War diese böse Droge nicht vielleicht sogar Bestandteil des Antriebsstoffs, der den Motor der ideologischen Innovation antrieb, blumiges Versprechen auf eine bessere Welt? War die Revolte von 1968, die radikale Infragestellung der deutschen Nachkriegsgeschichte, nicht auch durch die gelebten Utopien der Blumenkinder getragen? Wo sind sie denn, die Verweise auf die stilleren Vertreter einer Generation, die nicht nur im proklamativen Weg nach außen, sondern auch in der Introspektion den Weg zur Verbesserung der Lebensumstände einer Gesellschaft suchten?
Es scheint fast so, als ob diese Menschen heute nur noch aus dem esoterischen Untergrund heraus wirken, dabei haben sie das Lebensgefühl einer Generation mitbestimmt. Dies mag heute kaum einer der wortgewaltigen Weisenräte zugeben. Hier liegt vielleicht eine Ursache für die konstante Abschiebung von Nutzern psychoaktiver Pflanzen und Substanzen in den pathologischen Bereich. Drogenkonsumenten, dass sind aus dieser Sicht immer Menschen, die der Hilfe von außen bedürfen. Was für ein Blödsinn! Es ist oft genug formuliert worden, sei aber hier noch einmal zu mitsingen formuliert: Der Mehrheit aller Genießer von psychoaktiven Spurenelementen nimmt sozial integriert und autonom am sozialen Leben teil und ist auf keines der Hilfesysteme angewiesen. Die neuen Untersuchungen zeigen darum eben auch, dass für die meisten Frauen und Männern der Cannabiskonsum eine Phänomen der Jugendzeit ist.
Merkwürdig ist daher, dass Rot-Grün es tatsächlich für einen Verdienst hält, dass der Sektor Drogenpolitik vom Innen- zum Gesundheitsministerium verlagert wurde. Abgesehen davon, dass damit nur der Zustand vor der Schreckensherrschaft von Kohl wieder hergestellt wurde, kann man nur sagen: Ja, Wahnsinn, Danke, Kifferinnen sind jetzt nicht mehr kriminell, nur noch krank! Das durften die Schwulen und Lesben auch lange Zeit von sich behaupten. Wann wird eingesehen, dass der geregelte Genuss von Hanfprodukten ein Stück Lebensart ist, nicht mehr, nicht weniger? Das große Tabu ist nach wie vor, dass der Genuss von Cannabis, LSD und Kokain seine Gefahren birgt, aber eben auch mächtig Spaß bringt.
Seltsamerweise kommen die Grünen erst mit dem näher rückenden Wahltermin wieder in Fahrt: Ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck, Mitglied im Fraktionsvorstand des Bundestages, will die Diskussion mit der SPD nach einer Wiederwahl neu aufnehmen: Der Krankheitsdiskurs führt bei Cannabis nicht weiter. Hier geht es um das Verhältnis von Bürger und Staat beim Drogengebrauch, sagt er und fährt fort, diesmal muss die Entkriminalisierung von Haschisch in der Koalitionsvereinbarung stehen. Wie sagte meine Oma in solchen Fällen gerne: Wer es glaubt, wird selig. Die glattgebügelten Ökologen versprachen schon vor vier Jahren die Legalisierung des Hanfs dass sie an diesem Punkt so sang- und klanglos kapitulierten hat ihnen gerade unter ihren jungen Wählern eine Menge Sympathie gekostet. Fest steht und das weiß auch Volker Beck: Der drogenpolitische Neubeginn wäre nicht nur an die Legalisierung des Konsums geknüpft, innerhalb staatlich kontrollierter Rahmenbedingungen müssten auch Anbau und Handel freigegeben werden. Angesichts solcher Schritte kneifen SPD und Grüne. Schröder will die Legalisierung von Cannabis partout verhindern, das war schon vor vier Jahren so und wird so bleiben.
Es ist kein Zufall, dass nach Christa Nickels nun wieder eine SPD-Dame den Posten der Drogenbeauftragten der Bundesregierung einnimmt. Die SPD-Rechte Marion Caspers-Merk antwortete im Kölner-Stadt-Anzeiger auf die Frage, was sie denn für das neue Amt qualifiziere: Die neue Gesundheitsminsterin hat mich gefragt und mich reizte das neue Tätigkeitsfeld. Danke, Frau Casper-Merk, dass reicht uns schon. Dabei gab es durchaus Ansätze zu kollektiven Erleuchtung der Sozialdemokraten: Die SPD-Bundestagsfraktion setzte sich 1992 für eine Straflosstellung aller Drogenkonsumenten ein und warb auf zwei Parteitagen (1993 und 1996) für den legalen Zugang zu Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch. Auch Bedingungen eines kontrollierten Verkaufs sollten geschaffen werden. Aber auch diese Blase zerplatzte, übrig geblieben ist eine Politik, welche die ewige Leier der Prävention spielt und nicht einsieht, dass es die Illegalität ist, welche die meisten Probleme erst schafft.
Und der kreidefressende Stoiber? Die Verwandlung von Hardcore-Ede zum milden Mann der Mitte darf man getrost als taktischen Manöver abtun. Von ihm und seinen Mannen ist im Falle eines Wahlsiegs ein Rückfall in dunkelste Zeiten zu erwarten. Die CDU/CSU präsentiert sich in der Drogenpolitik seit Jahrzehnten genauso kompetenz- wie innovationslos. Kurzum: Stoiber & Co. gehen gar nicht.
Schon ohne einen Kanzler Stoiber ist die Republik von Visionen weit entfernt. Schröders Pragmatismus lässt in der Regierungspolitik keinen Platz für Ideen um aus den geistig-moralischen Schrebergärten (Gerd Koenen) auszubrechen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Dieser Satz Erich Kästners wird nur allzu gerne von unserem Brioni-Kanzler zitiert mittlerweile klingt dies wie die endgültige Verabschiedung des ideellen Untergrunds, auf welchem jedwede Handlung ja nun mal beruht. Aber für was macht Rot-Grün heute noch den Rücken gerade?
Die Schröder-Chor schmettert im Tenor einer Republik, in der schnöde Pop-Literaten wie Christian Kracht und Florian Illies (Generation Golf) deutlich herausstellen, dass die richtigen CDs im Schrank wichtiger sind als soziale Schieflagen. Stichwort: Spaßgesellschaft. Deren Ende ist auch nach dem 11. September nicht in Sicht. Noch nie war die Halbwertszeit von medial aufbereiteten und konstruierten Hypes so kurz. Vorgestern Essig-Diät, gestern Rinderwahnsinn, heute 80er Revival, morgen klaut Strunz Effe die Frau zurück. Alles begleitet von einer Talkshow-Tyrannei, deren Intimität von der eigenen Gefühlsunfähigkeit ablenken soll. Statt Visionen zu leben werden halbschlaffe Erektionen von platten Oberflächen gesogen. Von daher ist der Stillstand der von Schröder beschwörten Neuen Mitte nur Teil einer Gesellschaft, die sich stets auf der Suche nach dem nächsten Event in narzisstischer Anmut vor dem Spiegel dreht.
Noch steht der Beweis aus, dass ein nennenswerter Anteil von Anwendern psychoaktiven Substanzen deren Potential zur vielbeschworenen Bewusstseinserweiterung dazu nutzt aus diesem egozentrischen Reigen auszubrechen. Die Leute, die abseits der legalen Mainstream-Drogen Lust auf better living through chemistry haben, sind zudem zu einem großen Teil völlig desinteressiert an der politischen Durchsetzung ihrer Vorlieben. Sie kiffen sowieso, und wenn es passt fliegt auch mal ´ne Pillen in den Rachen. Legal illegal scheißegal.
Niemand müsste die Ideale von der Selbstbestimmung des Individuums bemühen, um zu einem Wandel in der Drogenpolitik zu kommen. Nein, es würde vollkommen reichen einen analytisch sauberen Blick auf die Realität zu werfen, um die Auswüchse einer fehlgeleiteten Politik gegenüber Substanzbenutzern aller Art einzusehen. Am augenfälligsten ist das seit jeher bei Cannabis, einer Pflanze, deren Wirkstoffe vergleichsweise harmlos auf den Menschen wirken.
Zukünftig kann es also nur darum gehen, dass die gesellschaftlichen Institutionen wie Schule und Elternhaus tabulos über Drogengebrauch aufklären und auch dazu anleiten. Dazu sind sie bislang nicht in der Lage, zum einen, weil Unwissen herrscht, zum anderen, weil ihnen Gesetze im Wege stehen, zum dritten, weil die eigene Abhängigkeiten und Süchte (Alkohol, Zigaretten, Fernsehen) selten thematisiert werden. Hier liegt ein weiteres markantes Problem der Diskussion: Drogenkonsumenten, dass sind immer die anderen. Damit wird der Komplex aus dem eigenen Verantwortungsbereich geschoben und als abhandelbares Objekt interpretiert. Nicht umsonst gab es größere Anschübe zu Reformen immer dann, wenn Familienmitglieder oder Menschen im Bekanntenkreis von Politikern Drogen konsumierten. Das Apothekenmodell von Heide Moser und der nachhaltige Einsatz von Henning Voscherau für die Heroinvergabe sind Beispiele hierfür.
Also alles wie gehabt? Nein, wohl nicht. Trotz Samenverbot und anderen verschärfenden Maßnahmen, die wohlgemerkt alle während der Legislaturperiode von Rot-Grün durchgesetzt wurden, floriert die Hanfszene. Hanf ist heute mehr denn je Mode, Ernährung, Droge, Kult, Musik, Schmuck, Weltanschauung. Kiffen und alles rund ums Kiffen ist normaler denn je, das Geseier von der kulturfremden Droge schon lange widerlegt. In den Bars und Clubs des Landes wird munter eingerollt und der eine zieht an der Sportzigarette, der andere halt nicht. Früher wurde die Tüte noch mit verschwörerischen Blick weitergereicht, dass tut heute nicht mehr Not. Eine wenig erwähnte Tatsache ist zudem, dass Kiffen nach wie vor eine Kultur des Teilens ist. Der Eine besorgt oder baut an, die Nächste baut, geraucht wird zusammen. Und auch die ideologischen Fehden innerhalb der ökonomisch orientierten Hanf-Szene nehmen ab. Mittelfristig wird die Null-Bock-80er Generation in die Institutionen tanzen und es bleibt abzuwarten, ob sie ihre rauchgeschwängerten Wurzeln nicht verleugnet. Die vielen Cannabis-Connaisseure werden bis dahin weiterhin vor allem eines haben (müssen): Ausdauer.
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