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Rezensionen

Rezension Detlev Briesen: Drogenkonsum, Drogenpolitik, Deutschland, USA

HanfBlatt Nr. 114

Unklare Rauschzeichen

Die großen Publikumsverlage haben sich bislang zurückgehalten, der progressiven Fraktion unter den Cannabis-Kennern Gehör zu verschaffen. Erfreulich, dass der Kiepenheuer & Witsch Verlag jetzt Steffen Geyer und Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband die Möglichkeit bietet über das wundersame Kraut aufzuklären. Bedauerlich, dies sei vorweg gesagt, dass der Verlag nicht die Chance genutzt hat durch ein gründliches Lektorat dem Werk zu mehr Tiefe zu verhelfen. Das vorliegende Buch driftet leider ins Phantastische ab, wo es um die historischen Zusammenhänge geht, und ist dort, wo es um die politischen Alternativen zur bestehenden Kriminalisierungspolitik geht trocken, aber bereichernd.

Ein paar Beispiele sollen die Ambivalenz verdeutlichen. Ein Zitat zu Cannabis aus dem alten chinesischen Arzneibuch Pen Tsao „Nimmt man sie über eine längere Zeit hinweg, wird man befähigt, mit den Geistern zu sprechen, und der Körper wird leicht“ (S. 15) wird von Geyer/Wurth tendenziös als positive Wirkungsbeschreibung übersetzt und gedeutet. Das kann man auch anders interpretieren: Schon damals galt wahrscheinlich der übermäßige Konsum von Cannabis als gefährlich für das, was man heute wohl den mentalen Grundzustand eines Menschen nennt. Einen Absatz später heißt es: „Der zivilisatorische Vorsprung der Chinesen zu jener Zeit wäre ohne Hanf undenkbar gewesen.“ Und ohne Wasser, sollte man hinzufügen. Das ist monokausales Denken in Reinkultur.

S. 16: Es fehlt der wissenschaftliche Beweis, dass die Skythen Cannabisblüten und nicht Cannabissamen, die man tatsächlich gefunden hat, in ihren Schwitzhüttenräucherzeremonien eingesetzt haben. Klar, es klingt irgendwie wahrscheinlich, aber faktisch bewiesen ist es nach wie vor nicht.

S. 17: Es trifft auch nicht zu, dass die Römer den Hanfanbau nach Spanien exportieren und dort das Wort Kif „für minderwertiges Haschisch aus dem heutigen Marokko“ prägten. Eine Seite später schreiben die Autoren: Nach dem Ende des römischen Reiches sei „Cannabis (…) die wichtigste Feldfrucht des Menschen und nicht selten Grund für Krieg und Zerstörung.“ Die gesamte Agrarwirtschaft des Mittelalters auf Cannabis zu reduzieren scheint doch etwas übertrieben.

S. 18: „<Hennep> und <Hamp> stopfte sich so mancher nach getaner Arbeit in die Pfeife.“ Hierzu sei gesagt, dass uns dazu außer dem von Hans-Georg Behr in die Welt gesetzten Mythos, dass die Bezeichnung für eine spezielle Tabaksorte „Knaster“ eigentlich auf Hanf verweise, keine seriösen wissenschaftlichen Belege für einen weitverbreiteten Gebrauch von (Faser-)Hanf als Rauch- und/oder Rauschkraut in Mitteleuropa gibt. Erst im 19. Jahrhundert etablierte sich der medizinische und experimentelle Gebrauch von psychoaktivem Hanf auf Basis des importierten Cannabis indica-Krautes und seiner Extrakte bzw. exotischer „Haschisch“-Präparationen.

S. 19, Zitat: „Spätestens seit den Kreuzzügen richtete sich der Zorn der Kirche gegen Cannabis.“ Ein gängiges Klischee, es gibt keine Beweise für eine systematische Aufstellung des Vatikans gegen die Pflanze. Der Zorn richtete sich vielmehr gegen Andersdenkende und gesellschaftliche AußenseiterInnen. Intrigantentum spielte oft eine Rolle. Die Spekulation von Geyer/Wurth, die „Verteufelung von Cannabis“ hätte „in erster Linie der Abgrenzung der Christenheit vom an Stärke gewinnenden Islam gedient“ ist haltlos.

Auf S. 23 wird suggeriert, dass Jefferson, Lincoln und George Washington nicht nur von der berauschenden Wirkung der Pflanze gewusst haben, sondern den Rauschhanfanbau auch unterstützt haben. Denn Washington ließ die Männchen rausrupfen, bevor sie die Weibchen bestäuben konnten. Dieses Prinzip kennt zwar heute jeder moderne Indoor-Grower, es ist aber auch im traditionellen Faserhanfanbau üblich. Die Männchen wurden damals nur schneller geerntet, weil mit der vorzeitigen Blüte bei ihnen die optimale Faserproduktion abgeschlossen ist und ein Verbleiben der absterbenden Pflanzen unter den länger wachsenden Weibchen auf Grund einsetzender Verrottungsprozesse die Qualität der Gesamternte vermindert.

Die Autoren graben sich im Laufe des ersten Kapitels immer tiefer in eine Gedankenwelt ein, in der Cannabis für alles veranwortlich sein soll. Damit erweisen sie dieser durchaus besonderen, sehr nützlichen und als Genussmittel in Maßen genossen relativ harmlosen Pflanze aber keinen Dienst. Ein Höhepunkt ist sicherlich die Passage auf S. 25, in der ein direkter Zusammenhang zwischen dem Faserhanfanbau von Zar Alexander I. und der Völkerschlacht von Leipzig gezogen wird.

Im großen Rest des Buches spannen die Autoren einen teilweise gekonnten Bogen über die psychoaktiven Wirkungen des grünen Krauts und zeigen auf, wann und wie der Konsum zum Problem werden kann, beleuchten die Rolle der Medien, das unheilvolle Engagement der UNO und der wichtigen Anti-Drogen Institutionen in Europa. Von zwei so renommierten Kennern des Systems wie es Georg Wurth und Steffen Geyer sind, hätte man bei der Diskussion um die Alternativen allerdings mehr Ausführlichkeit erwartet. Ihr interessantes Modell des Cannabisfachgeschäfts (ein Coffee-Shop mit ausgebildeten Mitarbeitern) ist nur eine Variante des Umgangs.

Steffen Geyer, Georg Wurth: Rauschzeichen. Cannabis: Alles, was man wissen muss
176 Seiten, broschiert
Kiepenheuer & Witsch Verlag 2008
ISBN: 3462039997
EUR 7,95

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Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Bremer Suchtforscher Heino Stöver

Hanfblatt, Nr. 1006, März 2007

„Die Verelendungsprozesse hören nur durch die Vergabe von Methadon oder Heroin nicht auf“

AZ & AdH

Die Diskussion um den Umgang mit Genießern von psychoaktiven Substanzen wird weitestgehend vom präventiv-prohibitiven Ansatz dominiert. Aus dieser Perspektive scheint gar nichts anderes denkbar, als die irregeleiteten Jugendlichen und Erwachsenen auf den rechten Weg eines drogenfreien Lebens zurück zu führen. Oder existieren Alternativen? Ende der Achtziger Jahre hat sich die sogenannte „akzeptierende Drogenarbeit“ aus der Kritik an der nur auf Abstinenz ausgerichteten etablierten Drogenarbeit entwickelt. Diese zielte auf eine Änderung des Lebensstils und der Persönlichkeit abhängiger Drogengebraucher mit Hilfe justitiellen Zwanges ab. Die repressive Drogenpolitik, so die These der akzeptierenden Drogenarbeit, sei jedoch maßgeblich für die Lebens- und Konsumbedingungen der Drogengebraucher verantwortlich, die zu Verelendungsprozessen führen würden. Man forderte folgerichtig die Entwicklung sogenannter „niedrigschwelliger Ansätze“, wie von Sozialarbeitern geführte Szene-Cafes, Konsumräume und Übernachtungsstätten sowie die Begleitung für ihren exzessiven Drogenkonsum bekannter Techno-Parties. Zudem sollten Opiate oder Ersatzdrogen wie Methadon von Ärzten verschrieben werden können. Einiges von den Vorstellungen dieses in dieser Form neuen drogenpolitischen Ansatzes wurden bis heute realisiert.

Heino Stöver, Professor an der Universität Bremen, hat diesen Prozess maßgeblich mitgestaltet und wissenschaftlich begleitet. Im Gespräch geht es um Erfolge und Niederlagen der akzeptierende Drogenarbeit, Opiatabhängigkeit und Beikonsum sowie fehlende Zukunfts-Visionen.

Frage: Professor Stöver, was würden Sie aus heutiger Sicht als die Erfolge der akzeptierenden Drogenarbeit verbuchen?

Heino Stöver: Man hat auf der fachlich-helferischen Seite einige gute Angebote implementiert. Zum einen erreicht die Schwerpunktgruppe der Opiatkonsumenten eine Substitutionsbehandlung, die heute etwa 70.000 Menschen umfasst. Ich erinnere mich, dass die Ärzte früher, bevor sie unseren Kontaktladen betraten, nach links und rechts schauten, ob sie jemand erkennt. Heute ist das dagegen eine Standard-Behandlung, die aber hinsichtlich ihrer Qualität und auch Quantität noch weiterentwickelt werden muss. Zum anderen existieren die Konsumräume, die ein wichtiges Instrument in der HIV und Hepatitis-Prävention sind. Drittens gibt es eine flächendeckende Abgabe von Einwegspritzen. Nachgeordnet muss man die „Safer-Use“ und „Safer-Sex-Kampagnen“ nennen, die ebenfalls zu einer positiven Bilanz beitragen.

Frage: Und auf gesellschaftlicher Ebene?

Heino Stöver: Wenn man akzeptierende Drogenarbeit auch als etwas politisch-gesellschaftliches begreift und damit die Akzeptanz eines Lebensstils von Menschen anspricht, die gewisse Drogen anderen vorziehen, dann hat man bisher wenig erreicht. Schon vor dem Hintergrund einer allgemeinen Drogenfeindlichkeit ist die Akzeptanz von Drogengebrauchern gering. Beispielsweise war die Diskussion um Cannabis vor zehn Jahren viel fortgeschrittener als heute. Da gibt es Wellenbewegungen, und heute befindet man sich offensichtlich wieder einmal in einem Tal.

Frage: Derzeit befindet sich die akzeptierende Drogenarbeit offensichtlich auf dem Rückzug. Fixerstuben werden geschlossen, Heroin-Verschreibungsmodelle beendet und psychosoziale Betreuungen reduziert. Unter der Vorgabe von verstärkter Qualitätskontrolle haben Bürokratisierungs- und Hierarchisierungsprozesse in den Projekten eingesetzt. Therapeutische Ansätze und Zielorientierung mit Zwangsmaßnahmen werden in überarbeitete Konzepte aufgenommen und durchzusetzen versucht. Von Niedrigschwelligkeit und Suchtbegleitung, zwei wesentlichen Standbeinen der akzeptierenden Drogenarbeit, bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die entsprechenden Projekte möchten das positiv besetzte Etikett der akzeptierenden Drogenarbeit offiziell jedoch nicht abgeben. Welche Faktoren sind für diese Krise, wenn man sie nicht letztendlich gar als Scheitern der akzeptierenden Drogenarbeit sehen will, verantwortlich?

Heino Stöver: Sie beschreiben die Eigendynamik einer Bewegung sehr gut, die auf allgemeines gesellschaftliches Wohlwollen stieß, weil angesichts der damaligen AIDS-Krise klar war, dass etwas geschehen muss. Die angeschobenen Projekte haben dazu beigetragen die AIDS-Epidemie einzudämmen. Heute haben wir bei den HIV-Neuinfektionen nur noch neun Prozent, die sich über Spritzen anstecken. Sehr viel weniger als vor 20 Jahren befürchtet. Aber durch den Erfolg sind immer neue Organisationen gewachsen, es entstanden Institutionalisierungs- und Hierarchisierungsprozesse, die Verlockungen auf Pfründe waren groß. Der Ursprungsgeist, das ist vollkommen richtig, ist verblasst. Dazu kommt, dass nach der AIDS-Krise die bis heute andauernde Hepatitis-Welle völlig unterschätzt wurde. Etwa 60-90 Prozent aller Opitatkonsumenten sind HCV-positiv. Da hat offenbar etwas nicht geklappt.

Frage: Hepatitis ist kein öffentliches Thema.

Heino Stöver: Ich selber war ja in der Praxis bis Mitte der 90er Jahre und schon da ist mir aufgefallen, dass wir unsere HCV-Broschüren eher pflichtschuldig schreiben. HCV ist eine graue Krankheit, es fehlt das absolut tödliche, sie hat nie die Schubkraft erfahren wie HIV/AIDS. Dort waren große Stars erkrankt, die gay community nahm sich des Themas an. Rund 8000 Neuinfektionen mit Hepatitis-C jährlich und rund 2000 mit HIV jährlich zeigen aber die Relevanz des Themas. Völlig unterbelichtet blieb auch, dass sich der Knast zum unabhängigen Prädiktor für HCV-Infektionen entwickelte. In der Haft ist die Chance, sich mit HCV zu infizieren, groß. Trotzdem kam es auf politischen Druck zum Abbau der Spritzenautomaten in den wenigen Gefängnissen die solch ein Angebot überhaupt realisierten. Die Projekte stagnieren, organisationssoziologisch formuliert haben Erstarrungsprozesse eingesetzt. Und in die Politik wurde die Nachricht nicht genügend transferiert.

Heroin Werbung von Bayer USA

Frage: Wo kann frischer Wind für die akzeptierende Drogenarbeit herkommen?

Heino Stöver: Da habe ich keine Antwort. So eine Schubkraft kann man nicht alle zwanzig Jahre entwickeln. Die gesellschaftliche Aufmerksamkeit ist gesättigt. Für einzelne Bereiche gilt es sich mit aller professionellen Kraft gegen das Vergessen zu wehren. Das ist aber nichts visionäres, was als Leuchtbild vorangehen kann. Schaut man auf die Geschichte der akzeptierenden Drogenarbeit haben ja Anfang der 80er Jahre Leute aus den sozialistisch orientierten Gruppierungen ihre alten, politischen Visionen am Drogenthema abgearbeitet. So konnten gesellschaftliche Prozesse in Frage gestellt werden. Anti-Psychiatrie, Patientenschutz, Verbraucherschutz, alles Themen, die heute noch aktuell sind. Diese Generation hatte eine Vision von einem gesellschaftlichen Umbau, eine Vision, die der Generation von heute zumeist abgeht.

Frage: Eines der großen Probleme in der akzeptierenden Drogenarbeit ist der Umgang mit dem sogenannten „Beikonsum“. Wenn man von Drogenabhängigen spricht, dann meint man in der akzeptierenden Drogenarbeit Menschen, die am liebsten Heroin konsumieren und die Finger nicht davon lassen können. So wird das Heroin zum Maß aller Dinge gemacht. Alles was sonst noch konsumiert wird, wird dann zum „Beikonsum“. Die Grundthese lautet: Wenn ein aus der Bahn geratener Heroinkonsument nur genügend qualitativ hochwertiges Heroin zu einem günstigen Preis erhält und unter hygienischen Bedingungen konsumieren kann, dann steht ihm nichts mehr im Wege wieder ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden. Man kann sicherlich gelten lassen, dass für die Mehrzahl der Opiatgebraucher die leichte Verfügbarkeit von Opiaten erst einmal eine Erleichterung darstellt. Wer jedoch einen süchtigen Lebensstil geführt hat, ist oft nicht mit der Aufrechterhaltung seines Drogenpegels zufrieden. Die viel gepriesene Eröffnung von Lebensperspektiven und einer klareren Sicht wirkt gerade auf die besonders problematisch konsumierenden Drehtürklienten eher deprimierend. Hier kommt der erwähnte Beikonsum ins Spiel. Ohnehin wurde schon im Vorfeld oft alles Mögliche sonst noch konsumiert. Dauerkiffen, Saufen, Benzodiazepine einwerfen und vor allem Kokainkonsum, insbesondere in rauchbarer Form, bringen betreuende Sozialarbeiter zur Verzweiflung. Gerade der exzessive Kokainkonsum und die Schwierigkeiten im Umgang mit durchgeknallten Kokain-Basern stellen den akzeptierenden Umgang in Frage. Auf der einen Seite meint man zwar noch, man müsste sich auf das Niveau dieser Klientel herab begeben und versuchen, die schlimmsten gesundheitlichen und sozialen Auswüchse deren Verhaltens abzufedern, andererseits denkt man mittlerweile offen über Zwangsmaßnahmen nach. Welche Ansätze zum Umgang mit der Problematik des sogenannten Beikonsums erscheinen derzeit sinnvoll?

Heino Stöver: Zum ein muss man sich aus den idealtypischen Vorstellungen lösen, was Substitutionsprogramme leisten können. Selbst bei der Verschreibung von reinem Heroin hing man und auch ich lange Zeit einem mechanistischen Bild nach. Nach dem Motto: „Wenn nur genügend Methadon, dann geht es allen Betroffenen gleich besser, die Kriminalität wird reduziert und die Prostitution nicht mehr nötig.“ Die Wirklichkeit hat in den letzten zwanzig Jahren gezeigt, dass das so einfach nicht funktioniert. Auf dem Wege Betäubung herzustellen gehen die Menschen viele Wege um sich aus der Wachbewusstseins-Gesellschaft auszuklinken. Die Verelendungsprozesse hören halt nur durch die Vergabe von Methadon oder auch Heroin nicht auf. Anfang der 90er Jahre gab es die „Roche-Phase“, da schliefen die Leute im Stehen ein. Viele Ärzte und Berater sind heute auf der Gratwanderung zu entscheiden, was selbst gewählter Lebensstil und was Krankheit ist. Antworten hat da momentan keiner, wie man mit den Opiatabhängigen, die zusätzlich noch Crack oder Kokain konsumieren, umgeht. Klar ist nur allen, das man die Brücke nicht abreißen lassen will, Schadensminimierung ist das Ziel. Einerseits macht Crack enorm abhängig, andererseits scheint es doch Konsummuster und Kontrollregeln zu geben, die den Konsum unterbrechen lassen.

Frage: Selbst viele Kokainkonsumenten, gerade wenn sie über die Erfahrung des Rauchens mit ihrem geringen Belohnungs-, aber hohen Gierfaktor verfügen, können sich eine freie Verfügbarkeit von Kokain, also eine Legalisierung, nicht als positive gesellschaftliche Perspektive vorstellen. Wie soll die Gesellschaft generell mit Kokain und seinen Konsumenten umgehen?

Heino Stöver: Die Frage ist wichtig, wird aber nicht diskutiert. Bei Heroin hat sich die Gesellschaft geeinigt, dass die Substanz krank macht, bei Kokain werden hedonistische Motive unterstellt. Ich kann mir nur eine ärztliche Verschreibung von Kokain vorstellen. Mag idiotisch klingen, aber wenn es zunächst darum gehen soll den Menschen zu helfen, dann kann diese ärztlich kontrollierte Abgabe helfen. Global gesehen hat das Verbot ohnehin mehr Nachteile als Vorteile. Ewig wird man keine Flugzeuge in die Erzeugerländern schicken können um dort die Plantagen zu entlauben. Vielleicht wäre ein fairer Handel die bessere Variante. Aber niemand setzt sich wirklich mit alternativen Kontrollmodellen auseinander, dabei wird uns das Thema in den nächsten Jahren beschäftigen.

Frage: Zur nächsten Frage und dem Cannabis und seinem Konsum: Ein Grundproblem scheint zu sein, dass ein ehrlicher Dialog über Cannabis nicht möglich ist, weil praktisch alle Beteiligten vom Sozialarbeiter über die Strafverfolgungsbehörden und Politiker über Cannabishändler bis zu Buchautoren und Growshop-Besitzern kommerzielle Interessen vertreten, Selbstvermarktung betreiben müssen und Rechtfertigungszwängen unterliegen. Eltern folgen in Angesicht des vielleicht auch nur vermeintlich renitenten Verhaltens ihrer Sprösslinge den Gesetzen von Ohnmacht und Überreaktion. Ein Dilemma, dass derzeit unlösbar erscheint. Wie könnte Ihres Erachtens der Weg zu einem ehrlichen und offenen Dialog bezüglich der Umgangsformen mit Cannabis aussehen? Wäre eine Entkriminalisierung der Cannabisgebraucher ein Schritt, der auch den Konsumenten, einen ideologieärmeren und selbstkritischeren Umgang erlauben würde?

Heino Stöver: Natürlich brauchen wir einen offeneren und ehrlicheren Dialog. Das sehen wir an den Anti-Cannabis Kampagnen, die immer mal wieder angestoßen werden. Dabei zeigt die kritische Epidemiologie, dass das Einstiegsalter nicht gesunken ist und auch die gestiegene Verbreitung des Cannabiskonsums ist nicht so klar und eindeutig wie das gerne dargestellt wird. Das Bild, das IFT und BzgA gezeichnet haben, wird durch unsere Untersuchung (1) gebrochen. Plötzlich aber gab es eine Hysterie, angestoßen wohl durch das Titelblatt des Spiegels „Seuche Cannabis“, und das bei einem Thema was schon gegessen schien. Die Gesundheitsministerkonferenz der Bundesländer hat schon vor zehn Jahren weitergehende Beschlüsse gefasst und wollte einen Modellversuch in Schleswig-Holstein mit Cannabis in Apotheken durchführen. Letzter Ausfluss der neuen, aus meiner Sicht unehrlichen, Anti-Bewegung sind die Studien von Rainer Thomasius von der Universität Hamburg. So wird alle paar Jahre die Cannabis-Sau durchs Dorf getrieben, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, welche Hilfe- und vor allem Entdramatisierungs-Angebote ich den Eltern und Betroffenen gebe. Aber es wird lieber dem freien Markt überlassen, die Folgen sind klar: Es wäre der ein dummer Geschäftsführer, der jetzt keine neue Cannabis-Beratung anbietet. Ein offener Dialog wäre dagegen nur möglich, wenn zumindest erst einmal die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1994 umgesetzt würden eine einheitliche Regelung für die „geringe Menge“ zu finden. Es braucht von oberster politischer Seite eine Wertschätzung der Studie von Kleiber und anderen (2), die ja alle darauf hinweisen, dass es einerseits einen moderaten Konsum gibt, andererseits einen problematischen Konsum, bei dem zu unterscheiden ist, wer da welches Problem hat. Sind es die Eltern oder der Jugendliche Cannabis-Raucher selbst? Ehrlich ist der Dialog auch deshalb nicht, weil er nur wieder das Verhalten der Konsumenten auf das Korn nimmt. Ich würde mir Forschungsaufträge wünschen, die die Auswirkungen der repressiven Kontrollpolitik auf die Konsumenten untersuchen. Was bewirkt ein Schreiben der Staatsanwaltschaft in das Haus eines 16-Jährigen, der mit einem Joint aufgriffen wurde? Damit werden immerhin 200.000 Menschen Jahr für Jahr konfrontiert.

Frage: In der Schweiz gibt es diese Bemühungen eine klare Linie zu finden.

Heino Stöver: Die Botschaft der Entkriminalisierung birgt sicher ein Gesundheitsrisiko, aber das Risiko ist für Menschen höher, wenn sie nicht wissen, woran sie sind.

Frage: So wie bei der Frage um den angestiegenen THC-Gehalt im Cannabis.

Heino Stöver: Sicher trifft der höhere THC-Gehalt auf Nederwiet zu, hochgezüchtete Produkte, die sehr effektiv und potent sind. Wenn man die nicht gemäß der Menge runterdosiert, dann entstehen Probleme. Aber nicht bei Allem an Zuchtgras und nicht bei marokkanischem Haschisch hat sich der THC-Gehlt erhöht.

Frage: Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist und Probleme mit dem Cannabis-Konsum bestehen, was kann man raten?

Heino Stöver: Wirksam sind „von gleich zu gleich“ Modelle. Peer-Modelle, die auf die Erfahrung von anderen Konsumenten oder Ex-Konsumenten bauen. Dort hat man weniger Angst, Probleme, die man hat oder vielleicht auch nicht hat, offen zu äußern. Die Konsumenten können sich am ehesten vorstellen unter ihresgleichen zu berichten, und zwar auch über das Positive der Rauscherfahrung. Hier wird sich auch über geeignete und ungeeignete Zeitpunkte des Konsums unterhalten.

Frage: Für den Fall einer alternativen Cannabis-Kontrolle wurden zur Beruhigung kritischer Stimmen Modelle ins Gespräch gebracht, wie das Apothekenmodell oder der Drogenfachverkäufer. Man meint, dieses Personal würde seine Kundschaft im Falle gesundheitsschädigenden Verhaltens beraten und ausbremsen können. Auch in Ihrem neuen Cannabisleitfaden wird in einem Beitrag die potentielle beraterische Kompetenz von Head- und Growshop-Personal ins Gespräch gebracht. Selbst wenn man einmal einen gewissen Idealismus voraussetzt oder ein Eigeninteresse, das den dauerhaften Verlust eines Klienten als selbstschädigend realisiert, so erscheinen mir doch derartige Modelle als ähnlich naiv, wie von einem Kneipier beim Ausschank alkoholismuspräventive Arbeit zu erwarten.

Heino Stöver (lacht): Bisher gibt es halt nur zarte Versuche Ökonomie und Kunden zusammenzubringen. Gerade gibt es eine ähnliche Diskussion, weil Lottoschein-Verkäufer am Spielverhalten ihrer Kunden erkennen sollen, ob diese süchtig sind. Nun, das ist tatsächlich naiv. Wichtiger scheint mir zunächst die Qualitätskontrolle der Produkte zu sein. Wenn es überhaupt je zu einem aktiven Regeln diesen bisher illegalen Marktes kommt, dann kann das nur mit Qualitätskontrollen geschehen. Ich tendiere da eher zum Apothekermodell, denn der Apotheker ist zumindest jemand, bei dem man Rat suchen kann. Es gäbe Beipackzettel, man könnte Mischkonsum und Nebenwirkungen erfragen.

Frage: Ist der Cannabisgebraucher aber im Idealfall nicht eher mit einem Weinliebhaber zu vergleichen? Er möchte aus einer breiten Palette auswählen, es gibt bekanntlich hunderte von Kreuzungen und Sorten.

Heino Stöver: Das Apothekenmodell war schon einmal in der politischen Diskussion und daher praktikabler. Sympathisch fand ich es nie. Das niederländische Coffeeshop-Modell hat andere Vorteile: Man ist dort mit den Wirkungen vertraut, der Käufer kann vor Ort konsumieren. Aber Dunstabzugshauben unter der Decke, das Personal mit Glasscheiben von den Konsumenten getrennt? Wie oft muss ein geschulter Berater vor Ort sein? Es gibt noch viele offene Fragen, nur fehlt zurzeit der Impuls diese Fragen überhaupt anzugehen. Zudem ist ja selbst die Cannabis-Szene untereinander zerstritten. Für unsere Cannabis-Kampagne gab es einen Minimal-Konsens, aber manchen Vereinen waren 30 Gramm Eigenbedarf zu wenig. Aber irgendwo muss man ja anfangen!

Frage: Ein Appell an die verschiedenen Gruppen weniger ihr eigenes Süppchen zu kochen?

Heino Stöver: Sicher. Aber dafür bedarf es halt einer Vision, eines Modells, mit dem sich dann auch Prominente solidarisch erklären könnten, was den medialen Druck erzeugt.

Frage: Eine Kampagne: „Ich rauche, wenn ich will, und dann rauche ich gern“ beispielsweise?

Heino Stöver (lacht): Beispielsweise. Um die eingefahrene Situation zu lösen, müssen mehr Menschen an einem Strang ziehen.

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(1) Kalke, Jens; Verthein, Uwe; Stöver, Heino (2005): Seuche Cannabis? Kritische Bemerkungen zu neueren epidemiologischen Studien, in: Suchttherapie, 6. Jahrgang, S. 108-115.

(2) Kleiber, Dieter; u.a.: Cannabiskonsum. Entwicklungstendenzen, Konsummuster, Risiken. Juventa Verlag, Weinheim 1998.

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Drogenpolitik

Cannabis in Osteuropa

HanfBlatt, Juni/Juli 2004

Östliche Bewusstseins-Erweiterung

In den neuen osteuropäischen EU-Ländern herrscht bunte Vielfalt bei den Drogengesetzen. In einigen Staaten weht gar ein liberales Lüftchen. Ein Überblick über die politische Lage und den neuen Markt.

Wer die Karlsbrücke Richtung Altstadt entlang schreitet, der ist nicht mehr weit von einem der attraktivsten Viertel der tschechischen Hauptstadt Prag entfernt. Wer hier mehr oder weniger unauffällig nach „Grass“ fragt, der wird selten enttäuscht. Das gelieferte Plastik-Beutelchen trägt ein kleines Hanfblatt, ganz wie aus dem Westen bekannt. Die Touri-Rauchware riecht etwas nach Heuschober, wirkt später aber passabel.
Die Republik an der Moldau ist eine von zehn osteuropäischen Staaten, die seit 1. Mai des Jahres Mitglieder der Europäischen Union (EU) sind. Der Anschluss an den goldenen Westen soll allen Ländern wirtschaftliche Prosperität bringen – und die Probleme der neuen Nachbarn möglichst draußen lassen. Zu diesen zählt aus Sicht der Ost-Behörden die hohe Anzahl von meist jüngeren Zeitgenossen, die gern mal einen Joint durchziehen oder, schlimmer noch, dem Rausch an kräftigeren Drogen dauerhaft anheim fallen. In Tschechien, aber auch in der Slowakei, Ungarn, Polen, Slowenien, Malta, Zypern und den drei baltischen Ländern Estland, Lettland, Litauen ist man unsicher, was die neue Ära bringen wird.

Über 74 Millionen neue Mitglieder hat der europäische Skatklub nun und rund fünf Prozent davon kennen Hanf nicht nur als Kosmetikprodukt. Der logische Schluss: 3,7 Millionen Kiffer bereichern die Union und es ist zu ahnen, dass die Aktivisten unter ihnen für Dampf in den Brüsseler Gassen sorgen.
Schon vor ihrem Beitritt zur EU waren alle diese Länder bemüht, ihre Drogenpolitik mit den EU-Richtlinien zu harmonisieren. An eine Legalisierung von Hanfprodukten wagte in den Ländern daher keine der Regierungen zu denken. Was aber existiert sind durchaus unterschiedliche drogenpolitische Ansätze in den Staaten, fruchtbare Dikussionen und eine florierende Kiffer- und Grower-Szene, die auf Veränderung drängt.

Zurück nach Prag. 1999 führte das tschechische Gesundheitsministerium eine Umfrage durch. Über 16% der Tschechen zwischen 15 und 64 gaben an, schon einmal Cannabis geraucht zu haben. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen hat sich diese Anzahl kaum erhöht. Diese Zahlen steigen erheblich an, je jünger die Befragten sind. Eine Umfrage unter 16-jährigen in 2000 ergab einen Anteil von über 35% von Schülern, die zumindest schon einmal gekifft hatten. Regelmäßig rauchen rund 15% der 14-19-jährigen. Eine neuere Studie aus 2001 deutet auf einen weiteren Anstieg der Kiffer hin. Unter den 19-jährigen hat nur noch eine Minderheit von 40% noch keine Erfahrung mit Cannabis gemacht – eine für Europa bemerkenswert hohe Zahl.
Das Phänomen der Ausbreitung der Rave-Kultur und ihrer Drogen ist nicht auf Tschechien beschränkt. Eine europaweite Studie unter Ravern zeigt das Ausmaß der Angleichung. In Prag gaben 70% der Techno-Party-Gäste einen regelmäßigen, aber wohl kontrollierten Cannabis-Genuss an. Diese Anzahl deckt sich überraschend genau mit der aus Zürich, Amsterdam oder Madrid.
Haschisch ist in Tschechien teuer, mehr noch, die Preise liegen einsam an der Spitze aller osteuropäischen EU-Länder. Der durchschnittliche Preis liegt bei 17 Euro für das Gramm. In den Weiten der Pampa angebautes Gras liegt bei 6 Euro, importiertes Treibhausgras besserer Qualität bei 7 Euro. Die fallenden Gras-Preise spiegeln die Entwicklung einer wachsende Grower-Gemeinde wieder. Der Anbau von Gras für Eigenbedarf und Freundeskreis verbreitet sich immer mehr. Glaubt man den Ergebnissen der Behörden, ist die Qualität der Produkte nicht schlecht: Der durchschnittliche THC-Gehalt liegt bei 11,5% beim Haschisch, zwischen zehn und 17% bei Nederwiet und 5 und 10% beim Homegrown-Gras. Diese changierenden Werte sind nicht ungewöhnlich. In Proben aus niederländischen Coffeeshops lag der THC-Gehalt bei Haschisch bei 20%, bei Gras bei 15%.
Soweit die Zahlen. Und die Politik? Die Regierungskoalition aus Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion ist sich uneins über den goldenen Weg in der Drogenpolitik. Zurzeit diskutiert man, ob eine Trennung in harte und weiche Drogen vorgenommen werden soll, Innenminister Stanislav Gross gilt allerdings als Hardliner, der einer weiteren Liberalisierung ablehnend gegenüber steht. Tschechien gilt weithin als Land mit progressiver Drogenpolitik, wurde hier doch bereits vor vier Jahren der Besitz kleinerer Mengen Drogen straffrei gestellt.
Die Bundesstaatsanwaltschaft spezifiziert diese „kleinen Mengen“: Rund zehn Dosierungen á 30 mg THC gehen noch durch, mit anderen Worten, man darf rund 20 Joints mit jeweils rund 1,5 % THC sein eigen nennen, ohne angeklagt zu werden. Analoges gilt für andere Substanzen: Wer zehn LSD-Trips (mit 50 ng) oder zehn E´s (mit 100 mg MDMA) mit sich rumträgt, den wird die Polizei zwar nicht freundlich grüßen, der eventuell hinzugezogene Richter wird das Verfahren aber wohl einstellen.
Die öffentliche Meinung hält mit der Entwicklung nur zum Teil Schritt. Rund die Hälfte der Tschechen ist dafür, Genießer von “weichen Drogen” weiterhin zu bestrafen, wie eine Umfrage im Jahr 2001 zeigte. Politisch und gesellschaftlich ist das Land im Fluss. Zurzeit ist – zumindest in Prag – selbst das Kiffen in der Öffentlichkeit kein Problem.

In der Hauptstadt der benachbarten Slowakei kam es am 1. Mai 2003 zu einem denkwürdigen Ereignis. Rund 500 Demonstranten forderten auf den Straßen von Bratislava ihr Recht auf Rausch und die Legalisierung von Cannabis. Dies war die erste Legalize-It Demonstration seit dem Fall des Kommunismus im Jahre 1989. Einer der Organisatoren, Daniel Hromada, sagte: „Wir haben keine Lust in ständiger Angst davor zu leben, für einige Jahren im Gefängnis zu landen, und das nur, weil man eine Pflanze zum Blühen gebracht hat.”
Das kleine Land rühmt sich seiner strikten Gesetze. Schon wer mit einer kleinen Menge Gras in den Taschen erwischt wird, landet vor dem Richter und wird dann meist mit einem Aufenthalt hinter Gittern zwischen einen und fünf Jahren belohnt. Die Proteste gegen den drogenpolitischen Super-GAU im Land sind lahm, die Mitte-Rechts Koalition will ihre Politik keinesfalls überdenken. Peter Muránsky, Drogenexperte bei den Christdemokraten fliegt noch ein Tal weiter und behauptet gar, dass eine Dekriminalisierung „unsere Gesellschaft in die Hölle führen würde.” Die Vertreter der anderen Parteien formulieren sanfter, lehnen eine Reform aber ebenfalls strikt ab.
Gleicher Tag, anderer Ort. In Polens Hauptstadt Warschau kam es am 1. Mai diesen Jahres zu einer Demonstration. Wie in der Slowakei schon ein Jahr vorher, fanden sich die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis zusammen, um auf der Straße für ihre Interessen und eine veränderte Drogenpolitik einzutreten. Rund 100 Demonstranten kamen zu dem weltweit ausgetragenen “Million Marihuana March”. Artur Radosz von Kanaba, der größten polnischen Pro-Cannabis-Bewegung, sprach trotz der geringen Teilnehmerzahl gegenüber dem HanfBlatt von einem großen Erfolg der Aktion. Neben der Demonstration hätte es eine Tagung mit einigen Vorträgen gegeben, die gut besucht waren und über die in der Presse auch berichtet worden sei.
Die Grower-Szene weitet ihrer Aktivitäten nur langsam in den Indoor-Bereich aus. Noch herrscht die Guerilla-Pflanzung in der freien Natur vor. Polnischer Rasen ist denn auch nach wie vor häufiger auf dem Markt anzutreffen als Haschisch. Der Preis liegt zwischen 6 bis 8 Euro für das Gramm Gras.
In den Großstädten ist Cannabis in den Altersklassen unterschiedlich beliebt. Eine repräsentative Befragung in Warschau (2002) förderte ans Licht, dass unter den 16-24-Jährigen annähernd die Hälfte (47,9%) schon einmal Cannabis gepompft hatte. Diese Anzahl nimmt mit dem Alter ab. Unter den 35-44-Jährigen sind es nur noch 18%. In den letzten 30 Tagen vor der Befragung hatten 16% der 16-24-Jährigen gekifft. Ein Vergleich der Ergebnisse von 1997 und 2002 weist auf einen langsamen Anstieg der Kifferanzahl hin.
Die Bevölkerung sieht die Legalisierung von Cannabis eher negativ, während sie einer Dekriminalisierung offener gegenübersteht. Eine nicht repräsentative Umfrage von 2002 ergab einen Anteil von nur 6% an „Legalize-It“ Befürwortern. Dieselbe Studie zeigte aber auch, dass nur 20% der Befragten die strafrechtliche Verfolgung von Kiffern befürwortet. Umfragen unter den meist jüngeren NutzerInnen des Internet zeichnen ein anderes Bild. Das kritisch gesellschaftspolitische Magazin „Polityka“ führte im letzten Jahr eine Internet-Umfrage unter seinen Lesern durch. Hier sprachen sich 77% für die Dekriminalisierung des Konsums aus.
Das Hoffen auf eine baldige Durchsetzung dieser liberalen Interessen dürfte verfrüht sein. In Polen stoßen liberale Ansätze schnell auf das Bollwerk der konservativ geprägten Parteien und der nach wie vor sehr einflussreichen Kirche. Das drogenpolitische Konzept der bisherigen Regierungskoalition aus den (sozial-) demokratischen Parteien SLD und UP orientiert sich stark an den EU-Richtlinien, trotzdem existieren in beiden Parteien durchaus Strömungen, die einer Entkriminalisierung des Cannabiskonsums positiv gegenüberstehen – eine Tendenz, die sich aber genauso schnell wieder ins Gegenteil wenden kann. Das völlig fragmentierte Parteiensystem Polens ist immer wieder für Überraschungen gut.
Asia Goldstein von Kanaba in Lodz resümiert: „Eine Legalisierung ist heute überhaupt kein Thema, weder in der Bevölkerung noch unter den großen Parteien, die Dekriminalisierung aber wird diskutiert.“
Theoretisch droht schon für den Besitz von ein wenig Haschisch in den Taschen bis zu drei Jahren Gefängnis. Praktisch kommt es nach der Verhaftung meist direkt zu Hausdurchsuchungen. Die Gerichte aber setzen die Strafen oft zur Bewährung aus, vor allem dann, wenn es um eine kleine Menge geht und der Delinquent Ersttäter ist. Zum Teil kommt es aber gar nicht soweit: In eine Vielzahl von Fällen rettet die Korruption in der Verwaltung den polnischen Kiffer.

 

Hanf hat Tradition in Ungarn. Früher wogen sich die Hanfstängelfelder im Wind, heute sucht das Land an die erfolgreiche Vergangenheit bei der Hanfproduktion anzuknüpfen. Die Produkte des bösen Rauschhanfs sind unter der jüngeren Generation seit den 90er Jahren wieder sehr begehrt, die Preise für Marihuana halten sich zwischen 5 und zehn Euro pro Gramm, Haschisch ist schwerer zu bekommen, aber nur etwas teurer. Von allen neuen EU-Ländern ist der Preis von Kraut damit in Ungarn am niedrigsten.
Nach Angaben der Polizei ist der THC-Gehalt im Gras in den letzten zehn Jahren sukzessive angestiegen. Heute liegt er bei 8 %, wahrscheinlich eine Folge der Nederwiet-Exporte. Ungarn nähert sich aber auch in anderer Hinsicht dem West-Niveau an. Rund die Hälfte aller Verhaftungen in Zusammenhang mit Drogen gehen auf Cannabis-Kleinbesitz zurück.
Vor vier Jahren veröffentlichte Dragan Demetrovics die Ergebnisse einer Umfrage, die er unter 1500 Besuchern von Bars, Clubs und Raves in den großen Städten Ungarns durchgeführt hatte. Genau die Hälfte der im Schnitt 21 Jahre alten Befragten hatte schon die Wirkung von Cannabis erfahren, fast ein Drittel hatte im letzten Monat die Kräuter inhaliert. In Budapest war dieser Anteil noch höher. Die politischen Parteien befinden sich noch – wie im Westen auch – in einer Orientierungsphase mit dem Phänomen „Drogenkultur“. Während die konservative Regierung Mitte der 90er Jahre die Gesetze noch verschärft hatte, deutet sich unter der jetzt amtierenden Mitte-Links-Regierung unter Peter Medgyessy eine vorsichtige Liberalisierung an. Nach Aussage von Ákos Topolanszky, Staatssekretär und Koordinator für Rauschgiftangelegenheiten, gibt es einen „parteiübergreifenden Konsens“ darüber, dass die Regeln im Strafgesetzbuch zum Konsum von Cannabis und auch anderen Drogen „nur das letzte Mittel sein können und keineswegs in jedem Fall adäquat sind“. Mit anderen Worten: Dekriminalisierung ist erwünscht.
Diese scheitert aber zum einen aus Angst vor internationalen Komplikationen, zum anderen an den überkommenden Vorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Trotz der hohen Zahl von Cannabis-Genießern stehen Harz und Gras in keinen guten Ruf. Topolanszky beklagt: „Wegen einem einzigen Joint darf man niemanden gleich als Drogensüchtigen abstempeln. Aber in den Köpfen von zehn Millionen Menschen eine Änderung zu erreichen, ist fast unmöglich.“

 

Das zwischen Österreich und Kroatien gelegene Slowenien sieht sich offiziellen Angaben nach als Puffer zwischen der instabilen Balkanregion und Westeuropa. Das Land liegt auf der legendären Balkanroute, selten aber fallen größere Brocken vom Laster in die Hände von Zoll oder Volk. Im Straßenverkauf liegt Haschisch bei 8 Euro das Gramm, minderwertiges Gras bei 2,50 Euro, gute Ware bei 4 Euro. Ein Grund für den niedrigen Preis: Albanien beliefert das Land mit Rauchhanf, aber dessen Ruf ist nicht der beste. Bessere Sorten, die von Liebhabern in ihren Ställen gezüchtet werden kosten das Doppelte.
Der Besitz kleiner Mengen von Cannabis gilt als Ordnungswidrigkeit und wird meist nur mit einer Geldstrafe belegt. Der Handel wird dagegen hart bestraft.
Schon unter Schülern ist kiffen recht beliebt. Rund ein Drittel aller 15-Jährigen hat schon mindestens einmal gekifft, unter einem Viertel tat es im vergangenen Jahr und im letzten Monat rauchte nur noch ein Zehntel.
Ältere und regelmäßige Besucher von Clubs und Partys sind erheblich genussfreudiger eingestellt. In der Studie von Metej Sande (2000) gaben über 90 % der (im Schnitt 20-jährigen) Besucher an, schon einmal Harzqualm inhaliert zu haben.

Nordlichter

Die drei Nordlichter unter den EU-Beitrittsländern, Estland, Lettland und Litauen, sind in ihrer kulturellen Ausrichtung sehr auf ihre Nachbarn an der Ostsee ausgerichtet. Estlands Hauptstadt Tallin beispielsweise liegt nur 80 Kilometer von Helsinki entfernt. Das dortige Gemeinwesen folgt in der Drogenpolitik aber eher den dänisch-liberalen Weg. Konkret heißt das: Zurzeit gilt der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis nicht als Straftat, es erfolgt keine Anklage. Diese Dekriminalisierung ist nicht nur gesetzlich festgelegt, sie gilt auch für andere Substanzen. Damit sind die Drogengesetze Estlands die liberalsten auf dem europäischen Kontinent. Wie lange dieser Zustand anhält, ist angesichts des EU-Beitritts fraglich.
Im Süden von Estland sind die Bedingungen für Outdoor-Growing gut. Hier sind es vor allem – so wird erzählt – ältere Ehepaare, die sich ein Zubrot verdienen. Die Ergebnisse sind nicht immer berauschend, wirklich gutes Gras kostet demnach relativ viel in Estland, nämlich um die 12 Euro pro Gramm, Haschisch ist noch teurer und liegt bei 15 Euro. Die Größenordnungen des Anbaus sind harmlos: Im Jahr 2001 hob die Polizei nach eigenen Angaben genau 13 Hanf-Plantagen aus, was gegenüber dem Vorjahr schon eine Verdoppelung war.
Über die Verbreitung des Hanfs in der Bevölkerung ist wenig bekannt. Eine Umfrage unter 15-16-jährigen Schülern aus dem Jahre 1999 ergab einen Anteil von 13%, der angab, schon mindestens einmal Cannabis probiert zu haben. Eine andere Erhebung (1998) zeigt, dass rund nur 7% der 18-24-Jährigen Cannabis im letzten Jahr geraucht hatten und nur 2% im vergangenen Monat. In Estland verfolgen die Medien nun gespannt die Auswirkungen der liberalen Drogenpolitik auf das bisher moderate Konsumverhalten.
Lettland bestraft den Besitz kleinerer Mengen Cannabis (und anderen Drogen) nicht. Trotzdem ist in Lettland und dessen Hauptstadt Riga der Genuss von Marihuana nicht weit verbreitet. Aber auch hier steigt die Erfahrung mit dem auflockernden Kraut langsam. Waren es 1995 nur 5% der 16-Jährigen mit einer Präferenz, hatten in 1999 schon 17% schon mal am Joint gezogen. Nur nebenbei: Im gleichen Zeitraum stieg die Menge der Menschen, die im letzten Monat Tabak genossen hatten von 30% auf 40% an.
Die Preise für Haschisch sind unmoderat, 1 Gramm Marok kostet rund 11 Euro. Interessanterweise gibt die Polizei in ihrem Jahresberichten noch den Schwarzmarktpreis für einzelne Joints an, der bei rund einem Euro liegen soll. Was und wie viel davon sich in den Tüten befindet, sagen die Ordnungshüter nicht. Ganz klug wollte es eine Umfrage angehen, die Bürger in Riga fragte, ob ihnen schon einmal jemand auf offener Straße Drogen angeboten hätte. Nur 7% wollten das bejahen. Die Chance in der Hauptstadt in einen günstigen Deal zu stolpern ist also gering.
Litauen sieht den Umgang mit Haschisch und Marihuana nicht so locker wie die baltischen Nachbarstaaten. Schon der Besitz kleinerer Mengen von Cannabis kann theoretisch mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Trotz der repressiven Politik ist das Genussverhalten unter Schülern nicht signifikant niedriger als bei den liberalen Nachbarn. 12% der 15-16-Jährigen gaben 1999 an, schon mal inhaliert zu haben. In der Hauptstadt Wilna ist harziger Qualm beliebter: Dort gaben 32% den Genuss zu. Die Umfragen deuten auch in Litauen auf einen langsamen Anstieg der Kif-Liebhaber hin.
Die Preise bleiben dabei auf einem hohen Niveau. Schon für mildes Muffelgras müssen sechs Euro berappt werden, gutes Homegrown oder Haschisch liegen bei 15 Euro.

 

Zur guter Letzt: Malta. Die Ferieninsel gilt nicht gerade als Drogenhochburg, analog dazu glauben über 80% der Studenten dort noch an die unbefleckte Empfängnis. Der Besitz von Cannabis zum Eigengebrauch führt nur zu einer Geldstrafe, die allerdings liegt dann zwischen 500 und 2500 Euro.

 

Fazit

Es darf vermutet werden, dass sich in Osteuropa der Hanfkonsum weiterhin den Tendenzen im Westen anpassen wird. Drei Faktoren verdienen dabei Beachtung: Um diesen Fortschritt zu beurteilen, dürfte es weitaus sinnvoller sein von einer Konsumkultur auszugehen, die Cannabis und auch andere Drogen als „Rekreations-Substanzen“ einnimmt. Dieser „Wellness-Drogen-Konsum“ zieht sich durch unterschiedliche soziale Schichten, findet meist nur am Wochenende statt, betrifft nur eine demografisch gesehen kleine Menge von Bürgern, ist sozial integriert und damit eben kein Problem deprimierter Randgruppen. Selbst die zentrale Institution für die Harmonisierung der EU-Drogenpolitik, die „Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht“ in Lissabon, sieht ein, dass die meisten Drogennutzer eben keine ernsthaften Probleme mit ihrem Freizeitverhalten haben. In einer ihrer Veröffentlichung (Drugnet 44) heißt es: „Jugendliche, die mit Drogen experimentieren oder diese in ihrer Freizeit, z.B. auf Partys, konsumieren, entwickeln keine ernsthaften Drogenprobleme.“ Und weiter: „Dennoch gibt es eine kleine aber signifikante Minderheit von Jugendlichen, die mit Drogen experimentieren und anschließend intensiv Drogen konsumieren und erste drogenbedingte Gesundheitsprobleme bekommen.“
Das ist der entscheidende Unterschied: Bei gewissen Risikofaktoren kann jemand ein Problem mit seinem Genuss bekommen, er oder sie muss es aber eben nicht. In den Befragungen, die unter Schülern und Erwachsenen in den neuen EU-Ländern durchgeführt wurden, zeigt sich die Wirkungslosigkeit der einseitigen Drogenpolitik, die zur Abstinenz erziehen will.
Im Schnitt hat die Hälfte aller Jugendlichen im neuen Osteuropa im Alter um die 20 schon einmal gekifft. Cannabis wird von den meisten als ungefährlich angesehen, denn sie haben es trotz aller Warnungen probiert – und siehe da, es hat sie weder am nächsten Tag zum Aufkochen von Heroin geführt, noch zu unwilligen Lappen gemacht. Aus Sicht dieser EU-Bürger ist das Abstempeln von Cannabis als Horror-Droge unsinnig und damit die gesamte “Drogenaufklärung” verlogen, ein “Krieg gegen Drogen” verliert in ihren Augen jeden Realitätsbezug. Befragt man die Schüler, warum sie am Joint gezogen hatten, so waren die beiden Top-Antworten: “I was curios” und “I wanted to feel high”.

 

Für alle osteuropäischen Länder wäre zudem wichtig zu erfahren, ob Cannabiskonsum eine vorübergehende Erscheinung bleibt. Die Studie von Kleiber/Söllner hatte für deutsche Mitmenschen gezeigt, dass diese in der Jugend gerne kiffen und im Alter diese Atemfrequenz langsam nach unten schrauben. Könnte diese These auch im europäischen Ausland bestätigt werden, würde dies vernünftigere Wege in der Drogenpolitik vereinfachen.
Als dritter Faktor ist zu beobachten, dass auch die neuen EU-Länder sich schwer tun, die so genannten „geringen Mengen“ genauer zu definieren. Wie in den alten Ländern spielt die Menge an Cannabis, die ein Verhafteter oder später gar Angeklagter mit sich führte, eine entscheidende Rolle für das Strafmaß. Die Mehrheit aller europäischen Länder überlässt es dem Ermessenspielraum der Richter, ob und wie hart jemand bestraft wird, nur weil es die jeweiligen Gesetzgeber unterlassen, verbindliche Normen festzulegen.
Mittlerweile werden neue Wege beschritten: Immerhin neun der 15 alt-europäische Staaten haben die Strafen für den Genuss und Besitz kleiner Mengen Cannabis für den Eigengebrauch per Gesetz, Verordnung oder de facto erheblich entschärft. Dies sind neben Spanien, Italien, Portugal und den Benelux-Ländern auch Irland, Österreich und Dänemark. Hier drohen “nur” noch Geldstrafen oder der Führerscheinentzug für den Liebhaber. Deutschland, mit seinem Nord-Süd-Gefälle, stellt ein drogenpolitisches Kuriosum da. “Reformunfähigkeit”, ist wohl das neue Wort dafür. In den zehn jungen osteuropäischen EU-Staaten sind es fünf Länder, nämlich Tschechien, Estland, Lettland, Slowenien und Malta, deren Politik zur Zeit der Freiheit des Kiffers nachgiebige Grenzen setzt.