Irrweg Suchtprävention
Zwei Dinge hat sich der Drogen-Wissenschaftler Wolfgang Schneider in seinem neuesten Buch vorgenommen. Zum einen will er beweisen, dass die sogenannte „Suchtprävention“, also das frühe Verhindern von Abhängigkeit, ein Irrweg der Drogenpolitik ist. Zum anderen will er die Rolle der „akzeptierenden Drogenarbeit“ in diesem Konzept der „Suchtprävention“ aufzeigen und sie aus ihren Verstrickungen damit lösen.
Teils provokant-amüsant, teil verklausuliert beschreibt Schneider die Rahmenbedingungen moderner Präventionsarbeit: Aus seiner Sicht ist der potentielle Drogenkonsument zum Objekt der Begierde fürsorglicher Kontrollstrategien degeneriert – ob er nun will oder nicht. Damit das funktioniere, so Schneider, würden häufig Gefahren und Dramen medial konstruiert, groß angelegte Kampagnen (wie „Quit the Shit“) sorgen danach für die Beruhigung der Öffentlichkeit.
Die wissenschaftlich-praktische Bewegung der „akzeptierenden Drogenarbeit“, zu dessen Vertretern Schneider gehört, setzt seit den 80er Jahren das Augenmerk nicht auf „Prävention durch Verbot“, sondern auf die Verbesserung der Lebenssituation von Drogenabhängigen bei gleichzeitiger allgemeiner Akzeptanz des Drogenkonsums. Schneider nutzt das Buch zu einem Fazit der Erfolge dieser Bewegung und weist die Nachteile deren Institutionalisierung nach.
Mittlerweile, so Schneider, sei die ausufernde Drogenhilfeindustrie zu einem Teil des irrationalen Drogen-Moralsystems geworden, in dem primär pathologisiert, kriminalisiert und dramatisiert würde. Am Anfang stehe meist die Angst der betroffenen Eltern, jeder dann jugendschützerische Immunisierungsversuch würde begierig aufgenommen, bei den Jugendlichen allerdings führe diese negative Propaganda zu keiner Änderung am Konsumverhalten. Aus Schneiders Sicht leidet herkömmliche Suchtprävention unter ihrer Fixierung auf Gefährdungen und Risiken, ohne auch nur die positiven Momenten des Konsums zu erwähnen.
Credo seiner Überlegungen ist daher die völlige Aufgabe des Begriffs der (Sucht-) Prävention, denn dieser sei durch den „stets negativ-moralischen Beigeschmack“ diskreditiert. Er möchte zukünftig von lieber (und etwas holprig) von einer „akzeptanzorientierten, moderierenden Drogenverbraucherbegleitung zur Stützung genussfähiger Gebrauchskompetenz“ sprechen. Schneider hofft auf eine Umorientierung dahin gehend, dass die Genüsse nicht als Belohnung für irgendwelche Anstrengungen und Kämpfe, sondern als, und hier zitiert er Heiko Ernst, „der eigentliche Sinn des Lebens“ zu betrachten sind. Dieser Satz ist mutig und geht weit über den vorher im Buch erarbeiteten Wissensstand hinaus.
Insgesamt betreibt Schneider eine Entblößung der aktuellen Drogenpolitik und entwirft ein Gegenmodell genussorientierter, selbst bemächtigender Regeln für jedermann. Das alles ist nicht immer einfach zu lesen, gleichwohl einer wichtiger Beitrag zur Entwirrung des festgezurrten Pakets herkömmlicher Drogenpolitik, die aus jedem Konsumenten noch immer eine arme Wurst zu machen sucht.
Wolfgang Schneider: Die „sanfte“ Kontrolle
Suchtprävention als Drogenpolitik
VWB Verlag
Berlin 2006
96 Seiten
EUR 15,00
ISBN 3-86135-256-7