Kategorien
Elektronische Kultur

Interview R.U. Sirius über sein Buch Countercultures trough the Ages

Interview mit Ken Goffman aka R.U. Sirius über sein Buch Countercultures trough the Ages /

telepolis v. 5.12.2005

Spuren des Protests

Interview mit dem Veteranen des Cyberspaces, R. U. Sirius, über Gegenkulturen, die 60er Jahre und den “Do It Yourself”-Anspruch

Der Acid-Papst Timothy Leary hatte ihn einst auf die Idee gebracht eine Historie der Gegenkulturen zu schreiben. Ken Goffman, besser bekannt unter seinem Künstlernamen R. U. Sirius, nahm das ernst. In seinem Buch „Countercultures Through the Ages“ (http://www.counterculturethroughtheages.com/) erzählt Goffman nun die Geschichte des stillen und lauten Protests gegen den herrschenden Geist. Schon der Untertitel „From Abraham to Acid House“ zeigt: das zu beackernde Feld ist weit. Sokrates, die Sufis, die Troubadoure, die Pariser Bohemians, Zen-Mönche, die Hippies, die Cyberpunks. Spätestens seit Diogenes zu Alexander dem Großen sein „Geh mir aus der Sonne“ sprach, so stellt Goffman fest, stehen alle Autoritäten im Verdacht den Menschen das Licht der Kreativität und des Individualismus zu nehmen. Im Interview spricht Goffman über Strukturen und Bedingungen der Nicht-Konformität.

Telepolis
Was macht der Mainstream falsch, dass sich in allen Zeiten der Geschichte Gegenkulturen herausbilden?

Ken Goffman
Es gibt selbstverständlich keinen konsistenten Mainstream. Es gibt Überzeugungen, Verhaltensweisen und Rituale, die Menschen während bestimmten Zeiten und Orten miteinander teilen. Es existiert ein Impuls bei der Mehrheit der Menschen, die aktuell herrschenden Denkmuster und die des allgemein geltenden Daseins zu akzeptieren. Und es gibt die Interessen derjenigen mit Gestaltungsmacht, sei diese nun religiös, politisch oder wirtschaftlich, die im Erfolg damit haben die Menschen an ihre Ideen glauben zu lassen. Schließlich dient das der Machterhaltung. Auf der anderen Seite gibt es meist eine Minderheit von ruhelosen Personen, die die Dinge einfach anders sehen und den Mut haben dies auch auszudrücken. Durch Abweichung entsteht Fortschritt, kulturelle und ökonomische Dynamik, Kunst, politischer Wechsel. Oft wird die ehemalige Abweichung dann zum neuen Dogma.

Telepolis
Was einmal befreite, wirkt auf die nächste Generation immer schal?

Ken Goffman
Um das vorherrschende Paradigma herauszufordern, braucht es dann eine weitere, ruhelose Gruppierung oder Person. Ich denke, dies ist ein ewiger Kreislauf. Selbst Utopisten haben die Gegenkultur nötig.

Telepolis
In ihrem Buch haben sie das die “Tradition mit Traditionen zu brechen“ genannt. Was verbindet alle Gegenkulturen? Gibt es gemeinsame Werte?

Ken Goffman
Grundsätzlich wichtig ist erst einmal ein Infragestellen von Autoritäten. Der eigenen Autorität und Autonomie zu trauen, das ist das Nächste. Diese Selbstständigkeit führt zur einer Dezentralisation von dem, was Menschen Denken und Glauben. Diese Art neuer Individualismus muss sich von bloßem Egoismus unterscheiden. Die gemeinsamen Werte umfassen zudem Innovation in Kunst und Philosophie, das Fördern von Diversität, Großzügigkeit, vor allem im Teilen von Resourcen und Werkzeugen.

R.U. Sirius (Foto aus Wikipedia)
R.U. Sirius (Foto aus Wikipedia)

Telepolis
Wenn die Gegenkultur gezwungen ist die Regeln der Gesellschaft zu brechen, wie unterscheidet sie zwischen kulturell-politischer Evolution und einem blinden Aufstand, zwischen nötiger Veränderung und leichtfertigem Renitenz?

Ken Goffman
Es ist nicht immer ganz klar, wann man gegen die Zivilisation revoltieren und wann man sie zur vollsten Blüte bringen muss. Gegenkulturen zeichnen sich generell durch Kreativität und Ideenreichtum aus, selbst wenn sie in den Farben der wilden Revolte auftreten, wie beispielsweise die Dadaisten oder die Punks. Sie können kulturell barbarisch wirken und so aussehen, als ob sie der gutbürgerlichen Kultiviertheit im Wege stehen. Meist sind sie aber eher ein sehr fortgeschrittener Ausdruck von Kultur. Aber ohne Zweifel, ja, es gibt eine feine Linie zwischen dem Aufbrechen rigider Strukturen sowie dem Glauben daran, eine Kultur freier zu machen und dem Heraufbeschwören eines neuen, dunklen Zeitalters.

Telepolis
Traf es Bob Dylan, als er sang: “Um außerhalb des Gesetzes zu leben, musst du aufrichtig sein“?

Ken Goffman
Nun, das ist der Mythos vom hehren Outlaw, ein wunderbarer Mythos. Aber auch totale Drecksäcke kommen damit durch außerhalb der Gesetze zu stehen. Für alle von uns, die außerhalb der Regeln leben müssen, ist es gleichwohl wichtig ehrlich und voller guter Intentionen zu sein. Dennoch höre ich Dylan den Text ) lieber so singen, wie er ihn gemeint hat.

Telepolis
Dylan war Teil der Bewegung der 60er Jahre. War diese aus ihrer Sicht die wichtigste Gegenkultur des vergangenen Jahrhunderts?

Ken Goffman
Letztendlich wird der Geist des DIY (Do It Yourself), der als Teil der Punk-Bewegung in den 70er entstand, sich für einige Zeit als die wichtigste Transformationskraft erweisen. Dieser Geist pflanzte sich in der Cyberpunk-Bewegung der 80er und 90er fort und drückt sich heute in der Netzkultur aus, in der jede Person oder jede Gruppe ein multimedialer Sender ist. Er zeigt sich auch im Burning Man Festival (http://www.burningman.com/) und ähnlichen Zusammenkünften, bei denen jeder Mitwirkender und Künstler sein kann, und wir sehen ihn nicht zuletzt in der Kultur der “Open Source”, in der sich die Menschen weigern ihre Ressourcen auf monetäre oder proprietäre Interessen zu beschränken, wenn sie stattdessen etwas nützliches oder interessantes gestalten können. Sicher, dies alles greift auch auf den Geist der 60er zurück, aber diese wollten zu viel, nämlich eine komplett neue Gesellschaft, ohne vorher ihre DIY-Qualifikation zu entwickeln.

Telepolis
Die Lust auf psychoaktive Substanzen zieht sich als roter Faden durch die Gegenkulturen der Gegenwart. Wie wichtig sind diese für deren Entstehung und Entwicklung?

Ken Goffman
Die faszinierende Historie geistbewegender Pflanzen ist Thema für ein weiteres Buch. Es mag überraschen, aber der Gebrauch von Drogen spielte für die Gegenkulturen bis ins 20. Jahrhundert hinein nur selten eine Rolle. In früheren Zeiten ist es am ehesten noch der Sufismus, der auf psychedelische Drogen wie Haschisch und die damit zusammenhängenden Bewusstseinszustände referenziert. Der radikale Sufismus fordert dazu auf, die ausgefahrenen Gleise des alltäglichen Bewusstseins zu verlassen und wollte damit eine tiefere, geklärte Erfahrung der Welt ermöglichen. Bestimmte Drogen können bei diesen Bestrebungen helfen. Im Gegensatz dazu wollen Taoismus und Zen den Suchenden dazu anleiten, den beeindruckenden Frieden zu finden, der innerhalb (!) des alltäglichen Bewusstseins liegt, von daher sind sie weniger empfänglich für Psychedelika. Meine liebste Metapher für Drogen ist der “Filterwechsel vor der Wahrnehmungs-Kamera”. So erhält man ein anderes Bild der Realität. Jeder Veränderung des Bewusstseins, selbst diejenige mit Hilfe von Alkohol und Kokain, kann dich von deinem Standpunkt abbringen und zu neuen Einsichten führen. Deshalb nutzen sie Schriftsteller und Kreative manchmal, wenn sie denken, sie stecken gerade fest.

Telepolis
Sollten jemand den Kreationisten in den USA die Einnahme psychedelischer Drogen empfehlen?

Ken Goffman
Ich bin sicher, einige von ihnen haben sie genommen. Aber es gibt halt keine Erfolgsgarantie. Einige werden Fundamentalisten oder ultra-religiös. Mit Chaos, Komplexität und der Möglichkeit anderer Realitäten konfrontiert flippen sie aus und ergeben sich einem “Gott”, der ihnen das Seelenheil bringen soll.

Telepolis
Vorausgesetzt man will es wissen: Wie lernt man aus diesen Erfahrungen?

Ken Goffman
Ich zögere persönliche oder soziale Lektionen aus den Trips anderer Leute zu ziehen. Aber gut: Im weitesten Sinne wohnt diesen Erfahrungen das Potenzial inne, ein alternatives Belohnungssystem zu etablieren. Wenn wir uns für Abstumpfung mit Konsum belohnen, wenn unsere Suche nach intensiven Gefühlen zu sozialem Sadismus, Masochismus oder Krieg führt, wenn der größte Rausch für einige darin besteht Wettkämpfe zu gewinnen oder einen sexuellen Partner zu erobern; dann kann die psychedelische Erfahrung eine andere, eine bessere Entlohnung bieten. Manche Drogen schalten zeitweise das ewige Begehren ab und geben uns stattdessen einfache, aber gehaltvolle Freude. Diese Freude sitzt vielleicht in den neuralen Strukturen, der Epiphyse oder auch in Kräften außerhalb unseres Körpers, mehr oder weniger eng verknüpft mit unserem Bewusstsein. Oder wie mein Freund Zarkov, der psychedelische Investment-Banker, so gerne sagt: “Hey, es ist besser als Bowling”.

Telepolis
Wie sieht die europäische Gegenkultur zurzeit aus ihrer Sicht aus?

Ken Goffman
Ehrlich gesagt kenne ich mich da nicht aus. Ich nehme mal an es ist eine anhaltend große Minderheit, wahrscheinlich zu bequem, um aufzufallen.

Telepolis
Sehen Sie sonst irgendwo eine Gegenkultur im Geburtsstadium?

Ken Goffman
Sicher. Schauen sie nach Brasilien unter Lula, dort ist der Held des 60er – Tropicalismo, Gilberto Gil, Kulturminister. Dort wird “Open Source” adoptiert, im Sinne von Software und der Einstellung. In Mexiko herrscht ebenfalls eine starke Gegenkultur. Die Zapatisten gehören dazu, aber auch eher urbane Kulturen. Innerhalb der iranischen und chinesischen Jugend gärt es ebenfalls. Diese weltweiten Bewegungen haben vielleicht nicht die mediale Aufmerksamkeit wie die USA in den 60ern, aber sie sind da.

 


Unter dem Namen R. U. Sirius rührte Ken Goffman Ende der 80er Jahre mit am heißen Brei der entstehenden Cyberkultur. Er war einer der Herausgeber des Magazins Mondo 2000 www.mondo2000.com, einem subversiven Blatt, das über zehn Jahre lang Themen zwischen Hackertum, virtueller Realität und Techno-Utopien abdeckte. Autoren wie Bruce Sterling, William Gibson und Robert Anton Wilson schrieben für Mondo 2000, das als anarchischer Vorläufer des später erfolgreichen Magazins Wired (http://www.wired.com/wired/) gilt. Goffman ist zur Zeit Host von zwei Podcasts, „NeoFiles“ ) und die „R. U. Sirius Show“ (http://rusiriusradio.com).

Siehe zu dem Thema auch , eine Rezension zu dem Buch: „Nation of Rebels: Why Counterculture Became Consumer Culture“ von Joseph Heath and Andrew Potter.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.