Kategorien
Rezensionen

Rezension Korf: Cannabis in Europe

Rezension, Korf, Cannabis in Europe

HanfBlatt Nr. 118

Cannabis in Europa

Die vorliegende vom niederländischen Kriminologie-Professor Dirk Korf zusammengestellte Sammlung wissenschaftlicher Studien zum Thema Cannabis ist der erste Band einer geplanten Reihe der „European Society for Social Drug Research“. Diese wurde 1990 gegründet und trifft sich jährlich zu Kongressen. Im Oktober 2007 beschäftigte man sich in Warschau mit Cannabis-Fragen. „Cannabis in Europe“ versammelt interessante Arbeiten der Teilnehmer.
Korf und Vuillaume bieten einen Einstieg in die Geschichte und Schwerpunkte der Cannabis-Forschung. Demnach sind immer noch sehr viele Fragen offen.

Eine Autorengruppe berichtet vom Umgang mit Cannabiskonsumenten in dänischen Gefängnissen. In Dänemark hat man in den letzten Jahren eine Kehrtwende weg von einer eher liberalen Drogenpolitik zu einer repressiven Gangart gemacht. In den Gefängnissen versucht man im Rahmen einer „Null Toleranz“-Politik die Insassen durch Drogentests zu kontrollieren. Cannabiskonsumenten haben wie Drogenabhängige Anspruch auf eine therapeutische Behandlung. Sie selbst zeigen sich meist wenig einsichtig bezüglich ihres Konsumverhaltens. Bei chronischen Langzeitkonsumenten, die bereits jung angefangen haben täglich zu konsumieren, meint man Reifungsverzögerungen, Schwarz-Weiss-Denken und paranoide Züge erkennen zu können. Allerdings scheint es den reinen Kiffer kaum zu geben. Fast alle regelmäßigen Cannabis-Konsumenten konsumieren demnach auch andere Drogen, mit denen sie meist mehr Schwierigkeiten haben. Man bietet im Knast Verhaltenstherapie an und setzt auf Psychopharmaka zur Linderung der vermeintlichen Symptome eines Cannabisentzugs.

Auch in den Niederlanden hat man sich für eine härtere Gangart in Sachen Hanf entschieden, was Marije Wouters dokumentiert. In den Jahren 2005 und 2006 wurden jeweils 6000 Cannabis-Zuchtanlagen ausgehoben und 2,7 bzw. 2,8 Millionen Hanfplanzen vernichtet. Der Kilopreis von Gras mittlerer Qualität stieg von etwa 2800 Euro auf 3500 Euro. Der Abbau von Pflanzanlagen, für den sich die Polizei zu Schade ist, ist für einige Privatunternehmen zu einem lukrativen Geschäft geworden. Auch die Elektrizitätsunternehmen arbeiten an der Lokalisierung von Zuchtanlagen mit, weil in vielen Fällen illegal Strom abgezweigt wird. Den Überführten flattern dann zusätzlich zu den durch Beschlagnahmungen, Geldstrafen und Steuerforderungen entstehenden Kosten auch noch hohe Stromnachforderungen ins Haus bzw. in den Knast. Eine kostenlose anonyme Denunzianten-Hotline wurde von staatlicher Seite aus eingerichtet. Hier haben Nachbarn Gelegenheit ihre Streitigkeiten auszutragen. Konkurrenten auf dem Cannabis-Markt erhalten die Möglichkeit ihre Gegner ganz legal auszuschalten. Immerhin wurden 2006 infolge der eingegangen Tips 753 Menschen verhaftet und 210.000 Pflanzen beschlagnahmt. Die Hotline mit der massenhaften Denunziation von Prohibitionisten zu beschäftigen, auf die Idee scheint dort noch niemand gekommen zu sein.

Diese Politik spielt natürlich skrupellosen Geschäftemachern, wie den Vertreibern von am Menschen ungetesteten Chemikalien als Cannabisersatz, und insbesondere dem organisierten Verbrechen in die Hände. Nur dieses verfügt über das entsprechende Kapital und die Logistik auf den Verfolgungsdruck zu reagieren, indem es die von Strohmänern betriebenen aufgeflogenen Anlagen abschreibt oder die Produktion ins benachbarte Ausland verlagert.

Über den Cannabisanbau-Boom in Belgien berichtet Decorte. Dort produzieren Selbstversorger ihr eigenes Gras, weil sie nur so sicher sein können, welche Qualität das von ihnen und ihrem Umfeld konsumierte Produkt hat. Auf der anderen Seite stehen die Zulieferer für den holländischen Coffeeshop-Markt. So manch eine Blüte wird auf diesem Umweg wieder zurück nach Belgien transportiert.

Auch in Großbritannien, wo man in Sachen Cannabis ebenfalls vor Kurzem eine Kehrtwende in Richtung Repression gemacht hat, boomt der Anbau unter Lampen, worüber Potter schreibt („Garry“ wohlgemerkt). Das heimische Produkt beginnt die klassische Importware sukzessive zu ersetzen. Gemessen an der Zahl der beschlagnahmten Pflanzen (für 2005 etwa 208.000) hinkt der Anbau noch weit hinter den holländischen Unternehmungen hinterher.

Werse hat in Frankfurt am Main Untersuchungen zum Cannabismarkt angestellt. Demnach läuft die Versorgung größtenteils im privaten Bereich über Freunde oder vornehmlich ihren eigenen Konsum finanzierende Wohnungsdealer. Über den mit qualitativ minderwertigerer und teurer Ware sowie mit Abziehrisiken assoziierten Strassenhandel durch türkischstämmige oder nordafrikanische Dealer versorgen sich dagegen eher Ortsfremde oder Kunden ähnlicher Herkunft.

Stevenson hat sich den Cannabishandel in Nordirland aus Konsumentenperspektive angeschaut. Dort sind Dealer und Konsumenten neben dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung auch noch der Willkür katholischer und protestantischer Paramilitärs ausgesetzt, die zwar selbst in alle möglichen Arten krimineller Aktivitäten involviert sind, sich aber in ihren Wohnvierteln gegenüber sozialen Abweichlern als Richter und Vollstrecker mittels Knieschüssen und Morddrohungen aufspielen.

Freya Vander Laenen und Eveline De Wree haben analysiert, warum die Drogenprävention in Sachen Cannabis bei gefährdeten Jugendlichen so uneffektiv ist. Besonders auf Angst vor der Sucht basierende Anti-Drogen-Botschaften gehen bei den Betroffenen nach hinten los. Drogenprävention ist bekanntlich bei Politikern beliebt, weil sie sich damit den Mantel scheinbarer Aktivität überwerfen können. Die bereitgestellten Pfründe locken wiederum akademische Theoretiker, die sich immer neue Konzepte von fragwürdigem Nutzen ausdenken können, sowie SozialarbeiterInnen, die von der frustrierenden Frontarbeit mit Suchtkranken unter den realen Bedingungen der Prohibition genug haben und sich lieber auf dem Abenteuerspielplatz der Drogenprävention tummeln.

Sarosi und Demetrovics erzählen von der Situation in Ungarn, einem traditionellen Anbauland für Faserhanf und Mohn, das in den 90er Jahren einen gewissen Rauschhanfboom erlebte, drogenpolitisch aber zur Jahrtausendwende unter die Hardliner geriet. Man versuchte sogar Konsumenten, die sich blauäugig gegenüber den Behörden zu ihrem Konsum bekannt hatten, wegen eines hochgerechneten Lebensverbrauchs an Cannabis zu bestrafen. Es gibt zwar eine mutige aktive Opposition von Bürgerrechtlern (die HCLU), die mit einer Reihe von Aktionen (z.B. Urinprobe an den Premierminister) auf das drogenpolitische Elend aufmerksam machte, doch Großrazzien auf Tanzclubs mit zwangsweisen Drogentests in den vergangenen Jahren sprechen nach wie vor die Sprache der Repression. Die protestierenden Stimmen nicht nur von Bürgerrechtlern, sondern auch von mit den Folgen der Prohibition unmittelbar konfrontierten Gesundheitsarbeitern wären dort wie hier dringend gefragt.

az

Dirk J. Korf (ed.)
„Cannabis in Europe:
Dynamics in Perception, Policy and Markets.“
Lengerich 2008
www.pabst-publishers.com
174 S., in Englisch
ISBN 978-3-89967-512-2

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.