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Mixed Rezensionen

Gastronomie Tip Restaurant Cuore Mio

Prinz Top Guide 2004

Restaurant „Cuore Mio“ CUORE MIO
Rothestraße 38
22765 Hamburg
Telefon 040 – 39 90 60 29

Dienstags bis Sonntags 18:00-24:00
Hauptgerichte 12-20 Euro
Karten: Keine
Bus 187, 250, Grosse Brunnenstraße

Der Weidenkorb mit den gesammelten Korken steht am kleinen Tresen, die Buntstiftzeichnungen der Enkelkinder hängen an der Wand, dazwischen wieselt Manuela de Bilio durch ihr Weltenreich. Von ihr wird jeder Gast konsequent geduzt, dazu wandert die Schiefer-Speisekarte ständig durch die pastellfarbigen Räume. „Gut gewählt“, sagt sie mit milder Strenge lächelnd, kurz darauf bestätigen das Kaninchenragout auf Fusilli ihr Lob. Die Miesmuscheln duften nach Meer, die Entenbrust meiner Begleiterin ist feurig scharf aufs Gratin gebettet, der Mangold knackig frisch. Manuela reibt derweil parlierend den Parmesan persönlich über die Pasta am Nachbartisch, ein Sänger erscheint und summt italienische Weisen. Wir sind glücklich, denn so muss ein Kurztrip ins Land der Freude sein.
FAZIT: Alles wie bei Mama: Temperamentvolles Ambiente, redliche Speisen. An diesem fairgepreisten Busen darf man labend sich ergehen.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Cannabis Historische Texte Psychoaktive Substanzen

Mimi und der Kifferwahn – Anti Marihuana Krimis der 50er Jahre

HanfBlatt Nr.81, Jan/Feb 2004

Anti-„Marihuana“-Krimis der 50er Jahre

Ohne Krimi ging die Mimi bekanntlich nie ins Bett. Zu einer spannenden Bettlektüre gehörte ein Cocktail aus Sex and Crime, gerne mal gewürzt mit einer kräftigen Prise Rauschgift. Populäre Unterhaltungsromane spielten schon immer eine wegen ihrer hohen Reichweite nicht zu unterschätzende Rolle bei der Verbreitung rassistischen, sexistischen und drogenfeindlichen Gedankenguts. In ihnen ging es nicht um von unterschiedlichen Menschen bevorzugte Genußmittel, sondern um das dämonische „Rauschgift“ (in den Zwanziger Jahren in erster Linie Opium, Morphium und Kokain). Nach dem Zweiten Weltkrieg betrat aus dem Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten kommend ein neuer Kandidat das Parkett: „Marihuana“. Den in der Nazi-Zeit gleichgeschalteten und von „Volksschädlingen“ bereinigten Deutschen, war der Übergang in den demokratischen Kapitalismus von US-Gnaden sehr entgegengekommen. Die Anslinger´sche Anti-Marihuana-Propaganda wurde ungeprüft in Fachliteratur, Zeitschriften und Romane übernommen. Im Wirtschaftswunderländle ließ es sich beim Schmökern ob der fremden Rauschgiftseuche angenehm schaudern.

Bereits 1951 erschien in der Westernkrimi-Reihe „Conny Cöll der Wunderschütze“ von K. Kölbl ein Heft unter dem Titel „Marihuana“. Im Vorspann heißt es: „Was ist Marihuana? Schätzungsweise zwanzig Millionen Menschen in aller Welt sind in den letzten Jahren Sklaven des mexikanischen Rauschgiftes „Marihuana“ geworden. Dieses sogenannte „Blonde Gift“ lähmt nach seiner ersten anregenden Wirkung sehr bald jeden moralischen Widerstand seiner Opfer und in grauenhaft kurzer Zeit werden die Süchtigen zu Verbrechern und Dirnen, zu Amokläufern des Verkehrs und zu ständigen Insassen der zahlreichen Irrenhäuser.- So harmlos das Rauschgift in seiner pflanzlichen Form auch ist, so zerstörend und so furchtbar sind seine Folgen. In seiner Wirkung ähnelt Marihuana dem orientalischen Haschisch, ist aber weit gefährlicher und nervenzerrüttender als dieses.“ In diesem Tonfall geht es weiter: „Nach Ansicht der amerikanischen Polizei ist ein großer Prozentsatz aller Verkehrsunfälle, Gewalttaten und Sittlichkeitsverbrechen auf das Schuldkonto dieser Giftpflanze aus Mexiko zu setzen.-“ Und. „Die Süchtigen können ohne dieses Gift nicht mehr leben. Der Körper verlangt immer mehr davon. Die Folgen aber sind verheerend. Das Gift zersetzt den Organismus, lähmt verschiedene Nervenbahnen. Und der Endeffekt: Verbrechen – Dahinsiechen – Wahnsinn – Selbstmord!- -Unsere Folge Nummer 12 schildert, wie der Wunderschütze Conny Cöll den ersten Großverbrecher, Duff Garson, der die damals unbekannte Giftpflanze Marihuana in die Staaten schmuggelte, zur Strecke brachte.“

Dass der gegen Minderheiten gerichtete Nazi-Jargon in der Verteufelung der Drogen und derer, die mit ihnen umgehen, eine akzeptierte Fortsetzung fand, belegt folgende Passage (S. 29f): „Dem G-Man fiel sofort der feine, süßliche Geruch auf, der ihm entgegenströmte. Ein plötzlicher Gedanke durchfuhr ihn. Sollte er vielleicht jener vielgenannten Lasterhöhle auf der Spur sein, von der auch Oberst Sinclair sprach, als er ihm den Auftrag übermittelte, dieses Rauschgiftzentrum mit Stumpf und Stiel auszurotten. Wenn Oberst Sinclair von „Ausrotten“ sprach, dann mußte es etwas außerordentlich Gefährliches und Verbrecherisches sein, denn der Chef der G-Abteilung der Geheimen Nordamerikanischen Bundespolizei war sparsam mit solchen Ausdrücken.- Ausrotten! – Dieses Wort gefiel ihm, dieses Wort war Balsam für die Seele Conny Cölls. Bei diesem Gedanken mußte er unwillkürlich lächeln. Ausrotten! Dieses Wort gefiel ihm sogar außerordentlich.“ und wenig später: „im dritten Raum sah er nichts als schlafende Menschen. – Süchtige, mit diesem Teufelszeug aus Mexiko vergiftete Menschen. Ein maßloser Ekel stieg in Conny Cöll hoch und eine plötzliche Wut gegen den Urheber dieses menschlichen Viehstalls, Duff Garson, überkam ihn. Er wußte, daß diese Menschen für das normale Leben verloren waren, daß sie einem langen, furchtbaren Siechtum entgegengingen und in diesem Moment verstand er die Worte des Obersten Sinclair: Ausrotten mit Stumpf und Stiel!“ Natürlich muß Duff Garson sterben. Dem Rest der „Marihuana“-Schmugglerbande ergeht es nicht besser (S.32): „Alle Angeklagten wurden zum Tode durch den Strang verurteilt! – Dann erfuhr man auch die Tragödie der schönen Dorothe. Als sie verhaftet wurde, weil man sie im Halbdämmerzustand und noch ganz unter dem Eindruck des Rauschgiftes vorfand, brach sie in ein hysterisches, kreischendes Gelächter aus, das auch nicht verstummte, als das Polizeiauto mit ihr davonfuhr. Die erste Nacht in der Zelle war für sie die Hölle auf Erden. Sie bot dem grauhaarigen Wächter alles an, was sie besaß, für eine einzige Zigarette von der Sorte, die man ihr bei der Einlieferung abgenommen hatte. Sie bot ihr ganzes Geld, dann ihre kostbare Armbanduhr, ihren prachtvollen Saphirring, ihre wundervolle Perlenkette und dann sich selbst! – Vergeblich. – Am nächsten Morgen, als sie zum Verhör vor den Polizeirichter geholt werden sollte, fand man sie an ihrem schmalen Gürtel erhängt in der Zelle. – Ende.“

„Marihuana“ heißt auch der Mitte der Fünfziger Jahre aus dem Amerikanischen übersetzte Kriminal-Roman von Kenneth Stuart. Er wird im Vortext folgendermaßen angepriesen:
„Rauschgift! Ein neuer erregender Kriminalroman. Gewissenlose Verbrecher werden unbarmherzig und ohne Gnade gejagt.- Rauschgift! Eines der schrecklichsten Laster, von dem die Menschheit unserer Erde befallen ist. Tausende siechen unter qualvollen Leiden dahin. Doch immer wieder finden sich Verbrecher zusammen, die die Drogen mit hohem Gewinn an den Mann bringen. Die Gewinnsucht läßt sie vor nichts halt machen, ihnen gilt der Mensch nichts, der Profit alles…Dieser spannende Roman läßt einen tiefen Blick hinter das Netz eines internationalen Rauschgiftringes tun, und der Leser wird hinter der harten Sprache viel Wahrheit wiederfinden.“

 

Wie diese Wahrheit aussieht, sollen ein paar Zitate veranschaulichen. So erzählt eine „Marihuana“-Händlerin wie ihr Geschäft von statten geht (S. 126f): „Meine Gäste sind größtenteils Highschool- oder Collegeboys und -girls“. (Also quasi die Unschuldslämmer in Person.) „Die Schlepper bieten dem Jungen oder dem Mädel eine „Annemarie“ an, und die merken es ja beim Rauchen fast nie. Dann kommt der Rausch…Was glauben Sie, was wir hier schon für Ekstasen erlebt haben,…Ja und dann…dann kommen sie immer wieder. Die meisten von ihnen haben ein sehr reichliches Taschengeld. Manchmal bringen sie auch Schmuck oder andere Wertgegenstände. Haben sie das Zeug erst einmal ein paar Wochen geraucht, kommen sie nie wieder davon los!“ Und auf die Frage, was sei wenn die Süchtigen kein Geld hätten und mit einem Skandal drohten, antwortet die Frau: „“Die machen schon keinen Skandal. Die wollen Zigaretten haben und wissen, daß sie bei einer Anzeige in eine Entwöhnungsanstalt kommen und ihnen kein Händler in den ganzen Vereinigten Staaten mehr auch nur ein Gramm verkauft. Wir sind sehr gut organisiert, und wer kann mir etwas beweisen? Meistens aber gebe ich in solch einem Fall ein paar Zigaretten umsonst und verspreche für jeden neuen Kunden, den sie mir zuführen, 10 Stück. Was meinen Sie, wie die dann werben?“ Jimmy nickte nachdenklich mit dem Kopf. Das war das Verhängnisvolle bei den Rauschgiften, wen es einmal gepackt hatte, den ließ es nicht wieder los, und das Ende war meistens das Irrenhaus.“

Und hier noch ein Klischee, das ein Politiker aus der Alkoholikerfraktion einer christlichen Partei nicht besser verzapfen könnte (S.170): „Die Sängerin legte sich mit ihren quälenden Gedanken auf die Couch und kämpfte minutenlang mit der Versuchung, durch eine Marihuana-Zigarette sich für eine Stunde einen schönen Traum zu erkaufen. Dann siegte aber die Vernunft. Im Liegen goß sie sich ein Glas voll Whisky und leerte es mit einem Zuge.“Dass die „Marihuana“-Süchtigen ein erbärmliches Bild abgeben ist klar (S. 248):

„Deutlich war der junge Bert Warring zu erkennen, der in einem Büro auf einem Sessel saß und schluchzte: „So geben Sie schon eine Zigarette, ich will auch alles sagen.“ Die Stimme des Antwortenden…fragte: „Wann haben Sie zum ersten Mal Marihuana geraucht?“ Das Gesicht des dem Rauschgift Verfallenen war jetzt groß und deutlich auf der Leinwand zu sehen. die eingefallenen Wangen, der schmale Mund und die entzündeten, tränenden, beinahe irr blickenden Augen…“
Schliesslich wird der „Rauschgifthändler“ überführt (S. 250):
„Sie Bestie in Menschengestalt haben Tausende der Armen auf dem Gewissen, die in unzähligen Irrenanstalten langsam dahinsiechen.“

 

Die Angst vor der Gefahr des Überschwappens der neuen Rauschgiftseuche aus den fernen USA wird auch noch geschürt, in dem der Autor in der Handlung zehntausende „Annemarie“-Zigaretten nach Berlin schmuggeln läßt.

 

Von Paul Altheer erschien 1956 der Kriminal-Roman „Marijuana das neue Gift“. Im Klappentext heißt es: „Wieder einmal ein Roman von Paul Altheer, sagt sich der Leser und freut sich im voraus auf ein paar Stunden angenehmer Unterhaltung, geistreich, einfallsreich, anregend und erfüllt mit jener angenehmen Spannung, die den Leser in eine andere Welt zu entführen vermag.- Diesmal ist es der Kampf gegen eine weltumspannende Organisation von Rauschgifthändlern, die mit dem neuen Gift „Marijuana“ Millionengeschäfte macht und jene armen Menschen verseucht, die ihm verfallen.“

In einem eigenen Kapitel „Marijuana“ wird kräftig vom Leder gezogen. Hier einige Ausschnitte (S. 137ff) „aus einem Vortrag über dieses neue Gift, dessen Auftauchen in Berlin man vor einigen Wochen mit Entsetzen festgestellt hatte“: „Die harmlos aussehende Pflanze zeigt die gleichen vernichtenden Eigenschaften wie das Opium, ja, sie ist in gewisser Hinsicht noch viel gefährlicher und zerstörender…Verheerend ist die Wirkung von Marijuana. Nach dem Genuß der ersten Zigarette kommt ein ungewöhnliches Glücksgefühl über den Raucher. Er wird fröhlich und möchte am liebsten die ganze Welt umarmen. Nach der zweiten Zigarette aber wird er melancholisch. Eine tiefe Depression erfaßt ihn; Selbstmordgedanken und tiefe Traurigkeit durchströmen ihn. Nach der dritten Zigarette aber verliert der Raucher jeden Sinn und jedes Verständnis für Raum und Zeit…Die Katastrophe aber folgt nach der vierten Zigarette. Bei neun von zehn Rauchern stellen sich Mordgelüste ein. Ein Zustand ähnlich dem des Amokläufers überfällt ihn. Der friedlichste Mensch wird zum Raufbold und zeigt einen absoluten Vernichtungswillen, der sich nun aber nicht mehr gegen sich selber, sondern gegen seine Mitmenschen wendet.-
Das Furchtbare aber ist, daß ein Mensch, der einmal Marijuana geraucht hat, von dem unstillbaren Verlangen nach diesem Gift erfaßt wird. Noch weit mehr als bei Haschisch, Heroin, Morphium und ähnlichen Giften, drängt es den ihm Verfallenen, den wirklich Süchtigen, alles aufzuwenden, um in den Besitz des unentbehrlich gewordenen Giftes zu kommen…Es hat übrigens sehr viel Ähnlichkeit mit einem andern Gift, das unter dem Namen Zombi auf Haiti bekannt ist. Ja, im Grunde genommen ist es dasselbe…Sie wissen, daß Zombi, wenn es im Uebermaß genossen wird, jede Erinnerung auslöscht und den Willen tötet…“

Später wird in der „Geschichte des Studenten Fernand“ noch einer draufgesetzt (S.153):
„Wir dürfen ohne weiteres sagen: Wer einmal Marijuana genossen hat, kommt von ihm nicht mehr los. Tausendmal stärker als Morphium, Heroin, Opium und alles Aehnliche, was wir kennen, ist dieses Marijuana in seiner Kraft, mit der es sich an denjenigen klammert, der ein einziges Mal von ihm genossen hat. Der Student Fernand hat alle Stadien des Marijuana-Süchtigen durchgemacht. Er war froh und ausgelassen wie nie zuvor – nach der ersten Zigarette. Er wurde melancholisch und schwermutsvoll wie ein russischer Emigrant – nach der zweiten Zigarette. Er verlor sich in unendliche Träumereien, in uferloses Sinnen und Denken – nach der dritten Zigarette. Als er es aber einmal bis zu vier Zigaretten kommen ließ, war die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten. Wie ein Verfolgter begann er um sich zu schlagen. Seine Fäuste bluteten, der Schaum stand ihm vor den Lippen. Und als seine Freunde ihn zu beruhigen versuchten, griff er sie an, einen nach dem andern und alle zugleich, bis er durch einen Zufall den Dolch eines jungen Mädchens, das er über alles liebte, in die Hand bekam und sich damit auf seine Kameraden stürzte. Grace, das Mädchen, dem der Dolch gehörte, warf sich zwischen die Kameraden, mehr um ihn vor einer unbesonnenen Tat zu bewahren, als ihre Kameraden zu schützen. Sie sank, unter den Stichen ihres eigenen Dolches, bewußtlos zusammen. Fernand tobte wie ein Amokläufer, stach blindlings um sich, verletzte drei seiner besten Feunde und Kameraden, von denen einer heute noch zwischen Leben und Sterben schwebt…Bis er sich endlich müde getobt hatte und zusammensank, wie von einem Sandsack auf den Kopf getroffen…Nun liegt er, neben zweien seiner Freunde, im Krankenhaus und weiß von allem nichts. Er sinnt vor sich hin wie ein böses Tier, das nur ein Ziel kennt: Blut. Sein Ziel allerdings – wir wissen es leider nur zu gut – heißt Marijuana. Wenn es ihm gelingt, uns zu entwischen, auszureißen, dann wird sich die Katastrophe wiederholen, so oft wiederholen, bis sein Körper von dem Gifte mitleidlos zerfressen und der endgültigen Zerstörung anheimgegeben ist…Wir haben kein Mittel gegen dieses neue Gift. Noch nicht. Wir stehen ihm machtlos gegenüber. Es gibt nur eins: Die Quellen verstopfen, die dieses Verderben, genannt Marijuana, ausspeien.“
Das ist Kifferwahn in Reinkultur.

Geradezu herzlich nimmt sich dagegen der Kriminal-Roman „Marihuana für Yukatan“ von Hanns Hart aus, der ebenfalls Mitte der Fünfziger Jahre erschien. Eingangs heißt es: „Mord und Angst rufen das Inferno der Hölle…..!! Unheimliche Aktionen im Dschungel der Nacht nehmen jedem den Atem…..!!…ein echter Hanns Hart spannungsgeladen…atemraubend.“ Immerhin bringt der Ich-Erzähler nichtsahnend „Marihuanazigaretten“ unters Volk (S. 212f): „“Du Hund willst mich wohl auch süchtig machen?“ sagte er rauh. „Behalte deine Glimmstengel für dich, du Idiot. Damit kannst du Weiber reinlegen, aber nicht mich. Wieviel Marihuana brauchst du denn, bis du in Stimmung bist, Hurt?“ – Ich starrte ihn an und begriff es nicht. Ich sollte…? Und dann wußte ich es plötzlich. Es brauchte mir niemand zu sagen. – Die Chesterfield! Die Packung Chesterfield in meiner Tasche…! – Das war es. Es waren Marihuanazigaretten. Vier oder fünf Millionen rauschgiftverseuchte Zigaretten. Mit ´ner Spezialmischung aus Tabak und Marihuana. Ich lachte los. Es war ein giftiges Lachen, das ihn mich anstarren ließ. Ich lachte immer weiter. Immer weiter, weil ich wußte, was ich für ein Idiot gewesen war. Ein Riesennarr, der irgendwem auf den Leim gekrochen war…Chesterfield geimpft! Es war zum Totlachen!“ Schliesslich werden die wahren Übeltäter aber von ihm gestellt und er zwingt sie „unter dem Druck der MP-Mündung“ ihr „eigenes Kraut“ zu „probieren“ (S.234f). „Ich zwang sie, auf Lunge zu rauchen. Es war ein feines Schauspiel, und ich ließ ihnen keine Ruhe. Sie mußten auch noch zwei andere Chesterfield zwischen ihre Lippen klemmen. Sie waren grün vor Wut. Aber dann stellte sich die Wirkung ein. Ihre Augen glänzten seltsam.- Jetzt hatte ich sie soweit. Sie hatten keine Hemmungen mehr…gar keine.“ „Und ich kannte den Zustand, der nach dem Genuß von Marihuana erzeugt wird. Sie fühlten sich jetzt wie Helden…wie Riesen, die Bäume ausreißen konnten.“ Was ihnen bei der anschliessenden Keilerei allerdings nichts nützt, denn (S. 241) der Angreifer „sah alles in krankhaft verzerrten Farben“. Natürlich werden die Übeltäter überwältigt. Ende gut alles gut…

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Tief in den Darmverschlingungen des Dr. Frankenstein

hanfblatt, Januar 2004

Die anatomische Ausstellung „Körperwelten“ wandert durch die Republik. Die Diskussion um Sinn und Unsinn der Fleischbeschau bricht nicht ab. Wir beenden sie.

Ein etwa 12-jährige Mädchen steht am Schaukasten, in dem eine sauber präparierte Hüfte einer alten Frau liegt. Der Oberschenkelknochen ist bis zur Hälfte seines inneren Marks ausgefräst, mittig in dem zylindrischen Loch steckt eine massive Schraube, die allein einen Golf III-Motorblock am Chassis halten würde. Auf der Schraube steckt eine strahlend verchromte Kugel. Sie schmiegt sich perfekt in das rosig-glänzende Hüftgelenk der Verstorbenen ein. Das Mädchen ruft: „Schau mal, Mutti, sowas hat Omi doch auch.“ Mutti kommt geeilt, sagt, „oh, ja, recht hast du“.

Es ist Montag Morgen und hunderte von Menschen wandern durch die Ausstellung „Körperwelten“. Der Plastinator himself, Gunther von Hagens, stellt hier seine Exponate aus. Es sind menschliche und tierische Leichen, die der Mann mittels eines speziellen Verfahrens haltbar gemacht hat. Einfach gesagt: Das Wasser im Gewebe wird durch Kunststoff ersetzt. Die biologischen Präparate werden durch diese Plastination geruchsfrei und behalten ihre natürliche Oberflächenstruktur, mehr noch, sie sind bis in den mikroskopischen Bereich hinein identisch mit ihrem Zustand vor der Konservierung. Damit aber nicht genug: Die Biomasse wird durch die Plastination nahezu beliebig formbar.

Wahrscheinlich fangen hier die Probleme an, denn von der Flexibilität seiner Objekte macht von Hagens mächtig Gebrauch. Er dehnt und zieht die Sehnen, faltet und staucht die Muskeln, lässt sie fliegen, hängen und baumeln, er versetzt die Organe, öffnet das Rückgrat und arrangiert die Aterien und Venen. Das könnte Kunst sein, aber von Hagens versichert, dass seine Arbeiten „weder Kunst sind, noch Wissenschaft vermitteln, sondern aufklären“ wollen. Das ist, gelinde gesagt, Schwachsinn. Spätestens nach der Inhalation von ein paar getrockneten portugiesischen Seetangblättern sieht man in den Ausstellungsstücken den Gestaltungswillen von Hagens durchschimmern. Der Mann verwirklicht hier offen sichtlich mit Fetischen seinen Kindheitstraum. Er veranstaltet, da hat DIE ZEIT schon Recht, eine „Olympiade der Leichen“, mit welcher von Hagens gerne den Sieg über den Tod davon tragen möchte.

Immer neue Leichen müssen herhalten, immer grandioser müssen die Objekte werden. Mit dieser Unmäßigkeit will auch das Publikum nicht mithalten. Während die ersten Räume der Ausstellung das Interesse an Körperbau, Adernverlauf und Organbeschaffenheit so groß ist, dass manche Betrachter sich bis auf wenige Millimeter Milz und Leber nähern, stirbt die Lust an dieser Erfahrung von Raum zu Raum. Spätestens wenn der Kenner dem plastinierten Kamel und dem riesigen Pferd mit Reiter oben drauf gegenüber steht, fragt er sich: „Was will der Künstler uns damit sagen?“ So kippt das zunächst didaktisch aufgebauete Körper-Museum in eine Kadaver-Sammlung, eine monströse Fleischbeschau um. Hauptsächlich wegen dieser Monstranzen wird von Hagens seit Beginn vorgeworfen, er spiele mit der Würde der Toten, er wolle „Todes-Touristen“ anlocken wollen, er würde, so gab beispielsweise die Ärtzekammer Hamburg kurz vor der Ausstellungseröffnung zu Protokoll, „unter dem Deckmantel der Wissenschaft Tabubruch, Voyeurismus, Gruseleffekt und unwürdige Objektmachung“ in Kauf nehmen.

Seltsamerweise zeigen die Besucher nicht die Phänomene einer sensationslüsternden Menge. Sie sind sichtlich fasziniert vom Aufbau des menschlichen und damit ihres eigenen Körpers. Vor den Schaukästen mit dem Athroseknie versammeln sich die über 50-Jährigen in stiller Trauer und vor der tiefgrauen Raucherlunge die leise hustenden Männer. So ergab denn auch eine unabhängige Umfrage unter über 2000 Besuchern, dass 46% den Rundgang „sehr gut“, 45% als „gut“ bewerten. Fast 30 % der Befragten waren zudem Mediziner oder Biologen. Wie sie den Geisteszustand des präparierenden Professors einschätzen, danach wurde zwar niemand befragt, es ist aber anzunehmen, dass sie ob seiner Passion ahnen: Er seziert und kassiert halt gerne.

Das ist so neu nicht. Schon in den deutschen und europäischen Universitätsstädten des 17. Jahrhunderts werkelten die Mediziner bei öffentlichen Sektionen an (oft illegal beschafften) Leichen herum. Nur nebenbei: Auch Gunther von Hagens sieht sich Vorwürfen der unlauteren Objektbeschaffung gegenüber. Die russische Staatsanwaltschaft in Novosibirsk ermittelt und ein 2,40 Meter großer Basketballriese aus St. Petersburg wedelt mit einem Wisch auf dem „G.v.H.“ prangt. Der Professor soll ihm laut MDR viel Geld für die postmortale Verwendung seines Hühnenkörpers geboten haben. Schon damals waren solche Veranstaltungen eine Mischung aus Lehre, Theaterschauspiel, Sensationslust und eben auch Selbstdarstellung des Anatomen. Die Schelte von der Kanzel folgte postwendend, sah man doch den Menschen auf seine natürliche Leiblichkeit reduziert. Nach christlicher Lehre aber sind wir Gottes Ebenbilder. Aber viel geistig enthoben Göttliches war in den Gedärmen nicht mehr zu entdecken.

Die Kritik der Kirche klingt heute noch genauso abstrus wie damals, spürt sie doch, dass es das weitere Absterben ihrer Institution bedeuten könnte, wenn die Menschen erkennen, dass zwischen ihnen und dem faszinierenden Werk der Natur keine Würdenträger zur Vermittlung nötig sein müssen. Dieser Vorteil des Spektakels ist zugleich der größte Nachteil. Die Erfahrung der eigenen Leiblichkeit, der Umstand, dass man „nur“ eine süßduftende Note der Natur ist, diese Erfahrung ist für viele Besucher noch immer neu. Soweit, so gut, von Hagens bleibt hier aber nicht stehen, ihm ist der aufklärerische Auftrag nicht genug. Natürlichkeit, das heißt immer auch Endlichkeit und diese wird durch die Plastination überwunden.

Nicht zufällig haben sich schon über 6000 Menschen beim Plastinator gemeldet, um später einmal Epoxidharz oder Polyester in den Körper gespritzt zu bekommen. Sie haben die Botschaft verstanden: „Werdet unsterblich!“ Damit ist auch die Frage beantwortet, wie diese Ausstellung sich in das Gefüge des seit Jahren medial omnipräsenten Körperkults einfügt. Die Antwort: Sie ist sie ein weiteres Exempel der Perfektionierung des Menschen, eine weitere Bildpropaganda des gestylten Körpers und des Jugendwahns, da sie auf die Überwindung des Altern und schließlich des Todes hindeutet. Während die Gesellschaft immer älter wird, will die Menge in das Paradies des ewig-jugendlichen Körpers einziehen. Geht es nach den Machern von „Körperwelten“ ist der Körper nicht mehr nur durch Fitness-Studio, Schönheits-Chirurgie und Reproduktionsmedizin formbar, sondern es besteht auch nach dem Tod die Chance auf eine idealisierte Präsenz im Raum.


 

Körperwelten

Die Wanderung der Leichen ist die weltweit erfolgreichste Ausstellung aller Zeiten. Über 12 Millionen Besucher sahen die Präparate von Gunther von Hagens, 58, unter anderem in Japan, London, Brüssel, München und Hamburg. Vom 16. Januar bis 18. April 2004 sind die Körper nun in Frankfurt zu sehen. Die Kritik an der Ausstellung reißt nicht ab, dabei ist der Besuch nach wie vor freiwillig. Von Hagens ist begeistert, Kritiker werfen ihm vor, für den Erfolg über Leichen zu gehen.

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Franjo Grotenhermen

hanfblatt, 2003

Zwei Schritte vor, einer zurück

Interview mit Dr. med. Franjo Grotenhermen

Dr. med. Franjo Grotenhermen ist Mitarbeiter des nova-Instituts für ökologische Innovation in Hürth (Rheinland) und Vorsitzender der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) mit Sitz in Köln. Er führt zudem die Geschäftsführung der deutschen Sektion, der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ACM). Grotenhermen ist Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher, darunter den Standardwerken „Cannabis und Cannabinoide: Pharmakologie, Toxikologie und therapeutisches Potenzial“ (Huber-Verlag) und „Cannabis, Straßenverkehr und Arbeitswelt (Springer-Verlag).

Hanfblatt: Jahrtausendelang wurde Hanf weltweit in traditionellen Kontexten medizinisch genutzt. Im 19. Jahrhundert wurde schließlich auch in Europa mit alkoholischen Extrakten aus getrockneten Hanfblüten experimentiert, wurden zahlreiche Indikationen postuliert und überprüft. Doch es gelang nicht, einen eindeutigen Wirkstoff zu isolieren und zuverlässig wirksame standardisierte Extrakte zu entwickeln. Auch empfand man die psychoaktive Wirkung bei vielen Anwendungen als störend. Man konzentrierte sich von Seiten der Pharmaindustrie auf andere Pharmazeutika, bevorzugt synthetische oder teilsynthetische Reinsubstanzen. Cannabis indica galt schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts als medizinisch obsolet. Die weltweite Verteufelung des Konsums von Hanf als psychoaktives Genussmittel durch die in den Zwanziger Jahren beginnende Prohibitionspolitik und die ab den Dreissiger Jahren ausgehend von den USA inszenierte Anti-Marihuana-Hysterie schien der Erforschung medizinischer Nutzungsmöglichkeiten den Gnadenstoß zu versetzen. Wann genau begann nun das Interesse hieran wieder aufzuflammen, und wie erklärt sich dieses Phänomen?

Grotenhermen: Die fehlende Standardisierung medizinischer Cannabiszubereitungen war tatsächlich einer der wesentlichen Gründe, möglicherweise der wichtigste Grund für das Verschwinden dieser Medikamente aus den Apotheken Europas und Nordamerikas. Erst Mitte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gelang es einer israelischen Arbeitsgruppe die genaue Struktur des Delta-9-Tetrahydrocannbinol (kurz: Delta-9-THC oder THC) zu entschlüsseln. Dies war ein wichtiger Impuls für die moderne Cannabinoid-Forschung. Neben diesem laborchemischen Grund für eine starke Zunahme der Forschungsvorhaben zu Beginn der siebziger Jahre förderte die Zunahme des Cannabiskonsums unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen der westlichen Industriestaaten auch das wissenschaftliche Interesse an den Wirkungen der Droge und ihrer Inhaltsstoffe auf den Menschen. Mitte der siebziger Jahre gab es die ersten klinischen Studien mit THC, in denen man mögliche therapeutische Wirkungen untersuchte, wie seine Wirksamkeit bei Erbrechen und Übelkeit im Rahmen einer Krebschemotherapie, den appetitanregenden Effekt oder die Senkung des Augeninnendrucks beim Glaukom (grüner Star).Dieser ersten Welle der modernen Cannabisforschung folgte etwa zwanzig Jahre später die zweite, noch größere Welle, die erneut durch eine grundlegende Entdeckung ausgelöst worden war. Ende der achtziger Jahre und Anfang der neunziger Jahre wurde das körpereigene Cannabinoidsystem entdeckt, das aus spezifischen Bindungsstellen für Cannabinoide und körpereigenen Bindungsstoffen besteht. Die spezifischen Bindungsstellen heißen Cannabinoid-Rezeptoren und die körpereigenenen Bindungsstoffe heißen endogene Cannabinoide oder Endocannabinoide, von denen Anandamid, 2-Arachidonylglyzerol und Noladinäther die drei wichtigsten sind. Dieses körpereigene Cannabinoidsystem, das wurde bald klar, spielt eine Rolle bei vielen Körperprozessen, wie etwa bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken, bei der Verarbeitung von Schmerzen, bei der Regulierung des Appetits. Das Verständnis der natürlichen Funktionen des Cannabinoidsystems beinhaltet das Verständnis der Wirkmechanismen bei therapeutisch gewünschten Wirkungen, wie etwa der Schmerzlinderung, und bei möglicherweise unerwünschten Wirkungen, wie etwa der Störung des Gedächtnisses.

Hanfblatt: Welche medizinischen Indikationen haben sich in den letzen Jahren für die Anwendung von Cannabis und Cannabinoiden als erfolgversprechend erwiesen?

Grotenhermen: Am besten erforscht sind die therapeutischen Cannabis- bzw. THC-Wirkungen bei Übelkeit und Erbrechen, wie sie bei der Krebschemotherapie auftreten können, sowie bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust im Zusammenhang mit der Aids-Erkrankung. Als am wichtigsten scheinen sich jedoch heute die Behandlung chronischer Schmerzen unterschiedlichster Ursache und der Einsatz bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen, wie etwa multiple Sklerose und Querschnittserkrankungen nach Verletzung der Wirbelsäule, herauszukristallisieren. Bei einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin in Zusammenarbeit mit dem Institut für onkologische und immunologische Forschung in Berlin aus dem Jahre 2001 zur medizinischen Verwendung von Dronabinol (THC) und natürlichen Cannabisprodukten (Marihuana, Cannabistinktur, Haschisch) nahmen etwa ein Viertel der teilnehmenden Patienten diese Substanzen wegen chronischer Schmerzen, wie Migräne, Phantomschmerzen, Menstruationsbeschwerden, Arthritis, Colitis ulzerosa, Fibromyalgie etc, ein weiteres Viertel wegen neurologischer Symptome. Die verbleibende Hälfte verteilte sich auf eine Vielzahl weiterer Erkrankungen wie Aids, Krebs, Hepatitis C, Juckreiz, Asthma, Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen, Alkoholismus, Opiatabhängigkeit, Glaukom, Epilepsie, etc. Cannabisprodukte werden also bei vielen Krankheiten und Symptomen erfolgreich verwendet. Man muss aber wissen, dass sie nicht immer das Mittel der ersten Wahl darstellen. So wird man beispielsweise bei Asthma, Glaukom und vielen anderen Erkrankungen zunächst andere Medikamente versuchen oder zunächst nicht-medikamentöse Verfahren ausprobieren, im Falle von Schlafstörungen zum Beispiel Entspannsungsübungen. Zudem wirken Cannabisprodukte nicht immer oder nicht immer im gewünschten Umfang. Viele Indikationen sind kaum erforscht, so dass sich nicht sagen lässt, wie hoch der Prozentsatz der Patienten mit einer der oben genannten Erkrankungen ist, der von einer Behandlung profitieren würde. Ich kenne aber Patienten aus allen oben genannten Indikationsbereichen, die von einer Behandlung mit Cannabisprodukten profitieren.

Hanfblatt: Wo liegen gegenwärtig die Forschungsschwerpunkte?

Grotenhermen: Die Themen der Cannabinoid- und Cannabisforschung sind heute breit gestreut. Während Mitte der achtziger Jahre in der medizinischen Datenbank Medline jährlich etwa 250 neue Artikel mit aktuellen Forschungsergebnissen zu den Bereichen Cannabinoide, Cannabis und Marihuana aufgeführt wurden, waren es im vergangenen Jahr etwa 800 mit weiter steigender Tendenz. Man kann vielleicht folgende wichtige Bereiche ausmachen: (1) Grundlagenforschung zum besseren Verständnis der Bedeutung und Funktionsweise des menschlichen Cannabinoidsystems, (2) Forschung zur besseren Abschätzung möglicher schädlicher Langzeitwirkungen und anderer Wirkungen des Cannabiskonsums, (3) Forschung zur Überprüfung der Wirksamkeit von Cannabinoiden bei verschiedenen Erkrankungen und zur Entwicklung neuer Medikamente, die das Cannabinoidsystem beeinflussen. Solche neuen Medikamente können wie das THC, die Cannabinoid-Rezeptoren stimulieren, eventuell aber auch die Konzentration der Endocannabinoide beeinflussen oder die Cannabinoid-Rezeptoren blockieren. Hier werden heute viele Ansätze erprobt, und ich gehe davon aus, dass in den nächsten 10 Jahren eine Anzahl von Medikamenten auf den Markt kommen wird, die auf unterschiedliche Art und Weise das Cannabinoidsystem modulieren.

Hanfblatt: Was muss noch geschehen, damit jeder Mensch, dem Cannabis, bei der Heilung seiner Krankheit oder bei der Linderung von Beschwerden helfen könnte, auch problemlos Zugang zum richtigen Medikament erhalten kann?

Grotenhermen: Das Thema ist stark ideologisiert, in dem Sinne, dass Prinzipien oft über Vernunft und gesunden Menschenverstand gesetzt werden. Eines dieser Prinzipien, das zunächst einmal sehr vernünftig ist, lautet: In Deutschland dürfen nur qualitätsgeprüfte Medikamente verwendet werden. Dabei scheut man sich jedoch vor der Beantwortung der Frage, ob denn umgekehrt ein Schwerkranker, der keinen Zugang zu einem qualitätsgeprüften Medikament auf Cannabisbasis hat, beispielsweise weil die Krankenkasse die Finanzierung einer Behandlung mit Dronabinol (THC) ablehnt, und der sich Hanfpflanzen auf seinem Balkon zieht, vor ein Gericht gestellt und eventuell ins Gefängnis gesteckt werden sollte. Möglicherweise werden erst die Gerichte der Politik klar machen müssen, dass die Gesetzgebung in diesem Bereich überholungsbedürftig ist. Es gibt hier erste Anzeichen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen die öffentliche Diskussion schon länger geführt wird als hierzulande, wie beispielsweise in Kanada und Großbritannien, zeigen, dass solche Entwicklungen viele Jaher dauern. Einen Zugang zur direkten medizinischen Verwendung von Cannabisprodukten im Sinne einer tolerierten oder wie auch immer erlaubten Selbstmedikation wird es vermutlich nur geben, wenn aus politischer oder höchstrichterlicher Sicht die Verfügbarkeit von Cannabisprodukten aus den Apotheken nicht zu einer ausreichenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung führt. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die Krankenkassen sich auch in Zukunft in vielen Fällen weigern, die Kosten zu erstatten und die Medikamente weiterhin im Vergleich zu illegalem Cannabis sehr teuer sind.

Hanfblatt: Wer sollte auf keinen Fall Cannabisprodukte zu sich nehmen, weder als Medikament, noch zu Genusszwecken? Was sind sozusagen die Kontraindikationen?

Grotenhermen: Ganz allgemein kann man sagen, dass jemand der Cannabis nicht verträgt, es auch nicht nehmen sollte. Das ist eine einfache Regel, die aber oft nicht befolgt wird. So werde ich gelegentlich von Cannabiskonsumenten kontaktiert, die mir berichten, dass sie seit einiger Zeit unangenehme psychische Erlebnisse, wie etwa Angstzustände, beim Konsum erleben, jedoch weiterhin konsumieren möchten. Der Abschied von der Droge fällt oft auch bei schlechter Verträglichkeit nicht leicht. Darüber hinaus gibt es einige Personengruppen, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ihnen der Konsum schaden kann. Dazu zählen Personen, die an einer schizophrenen Psychose leiden, weil der Krankheitsverlauf ungünstig beeinflusst werden kann. Auch bei anderen schweren psychiatrischen Störungen ist die Wahrscheinlichkeit einer schlechten Verträglichkeit bzw. eines gesundheitlichen Schadens größer als bei psychisch Gesunden. Eine Schwangerschaft stellt eine relative Kontraindiaktion dar. Zwar sind die Schäden für den Embryo bzw. Fetus vermutlich auch bei starkem Konsum im Vergleich mit anderen Drogen gering, aber man sollte den Fetus nicht unnötig fremden Substanzen, die über den mütterlichen Kreislauf in seinen Kreislauf gelangen, aussetzen. Wer an Schwangerschaftserbrechen leidet oder anderen schwangerschaftsbedingten Beschwerden, die durch Cannabis gelindert werden können, dem würde ich allerdings durchaus zuraten, es einmal mit Hanf zu versuchen, und wenn er wirkt, ihn auch zu verwenden.

Hanfblatt: Was kann man aus medizinischer Sicht denjenigen empfehlen, die Cannabis als Genussmittel konsumieren, um eventuelle Risiken möglichst gering zu halten?

Grotenhermen: Beim Cannabiskonsum gibt es zwei Hauptthemen, wenn von möglichen Schäden die Rede ist. Das eine sind mögliche Schäden durch das Rauchen, die vermutlich weitgehend denen des Tabakrauchens ähneln, da beide Pflanzen und auch ihr Rauch bis auf das Nikotin und die Cannabinoide weitgehend ähnlich zusammengesetzt sind. Durch das Verbrennen von getrocknetem Pflanzenmaterial entsteht eine Anzahl von Substanzen, die die Schleimhäute schädigen und krebserregend wirken können, wie zum Biespiel Benzpyren oder Nitrosamine. Die Empfehlung lautet also: Weniger rauchen. Dies kann beispielsweise durch oralen Konsum (Kekse, Tee) oder durch das Rauchen THC-reicher Sorten erzielt werden. Das zweite Thema bezieht sich auf mögliche psychische und soziale Folgen des Konsums. Es besteht die Gefahr, dass mögliche positive Auswirkungen des Cannabiskonsums auf das seelische Befinden und das soziale Leben sich in ihr Gegenteil verkehren. Wie beim Umgang mit anderen potenziell suchtauslösenden, schönen und Freude bereitenden Aktivitäten sollte man darauf achten, dass man mit diesen Aktivitäten gestaltend und schöpferisch umgeht, dass man also nicht mit der Zeit psychisch von dieser Aktivität abhängig und sozial gelähmt wird. Man sollte als Konsument in dieser Frage selbstkritisch sein. Dabei kann bei gewohnheitsmäßigem Konsum von Drogen auch eine gelegentliche Konsumpause von einigen Wochen sinnvoll sein. Nach meiner Auffassung ist die Diskussion um die Frage, ob Cannabiskonsum körperlich abhängig machen kann oder nicht, eine wenig hilfreiche Diskussion, da auch eine psychische Abhängigkeit sehr stark sein kann und es letztlich unwichtig ist, ob vermehrtes Schwitzen und Schlafstörungen, die beim Absetzen auftreten können, psychische oder körperliche Symptome darstellen. Nach meinen Erfahrungen, die sich mit der wissenschaftlichen Erkenntnis decken, treten bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen schädliche psychische und soziale Folgen häufiger auf als bei Erwachsenen. Ein gewohnheitsmäßiger Konsum bei Jugendlichen ist vergleichsweise häufiger als bei älteren Erwachsenen ein problematischer und abhängiger Konsum.

Hanfblatt: Immer wieder wird darum gestritten, warum man nicht gleich zur medizinischen Anwendung die als Genussmittel bereits bewährten getrockneten Hanfblüten oder das daraus gewonnene Harz oder einen Extrakt verschreibt, anstatt sehr teure industriell gewonnene Reinsubstanzen. Wo liegen hier kurzgesagt die Vor- und Nachteile? Oder anders gefragt, braucht man die Hanfpflanze dann eigentlich überhaupt noch, wenn man alle sinnvollen Präparate auf chemischem Wege synthetisieren kann?

Grotenhermen: Synthetisches THC bietet keine relevanten Vorteile gegenüber natürlichem Cannabis. Alles, was gegen eine Verwendung sonst illegaler Cannabisprodukte vorgebracht wird, wie etwa fehlende Reinheit oder mangelnde Standardisierung, sind in Wahrheit Argumente gegen ihre Illegalität, da sie bei einem legalen Zugang gut kontrolliert werden könnten. Die Frage, ob man Hanf noch braucht, wenn man synthetisches THC hat, stellt sich eigentlich umgekehrt: Synthetisches THC wird eigentlich nicht gebraucht, weil es Hanf gibt. Die Vorlieben der Ärzte und Patienten hinsichtlich definierter Einzelstoffe und natürlicher Kombinationspräparaten variieren allerdings, so dass ich dafür plädiere, beides anzubieten: Einzelsubstanzen und Ganzpflanzenzubereitungen. Zudem gibt es Hinweise auf Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit bei zumindest einigen Patienten, ein Thema, das allerdings bisher nicht durch kontrollierte Untersuchungen geklärt wurde. Vorteile gegenüber Cannabinoiden wie THC, die psychische Effekte ausüben, weisen einige nicht-psychotrope Cannabinoide auf, die sich heute in klinischen Studien befinden, darunter Dexanabinol und CT-3 (ajulämische Säure). Diese synthetischen Cannabinoide decken allerdings nur einen Teil des therapeutischen Potenzials von THC bzw. Cannabis ab, da eine Anzahl von Wirkungen über Cannabinoidrezeptoren vermittelt wird, die auch psychische Wirkungen hervorrufen. CT-3 wird gegen entzündlich bedingte Schmerzen, wie beispielsweise chronische Gelenkentzündungen getestet. Es wirkt etwa so wie Aspirin, ohne allerdings mit den Aspirin-typischen Nebenwirkungen auf Magen und Nieren verbunden zu sein. Zum Thema THC, synthetische Cannabinoide und pflanzliches Cannabis vertrete ich die Auffassung, dass alles verfügbar gemacht werden sollte, wenn es mit einem echten Nutzen für die Behandlung von Kranken verbunden ist.

Hanfblatt: Cannabisfreunde versprechen sich von der Debatte um die medizinischen Nutzungsmöglichkeiten der Hanfpflanze nicht nur eine Versorgung teilweise schwer Kranker mit einer gut verträglichen Medizin, sondern auch eine Entspannung im Umgang der Gesellschaft und der Strafverfolgungsbehörden mit denjenigen, die Hanf einfach nur als Genussmittel konsumieren. Manche gehen da sogar soweit, sich vorzustellen, man könne dann in Ruhe sein Pfeifchen schmauchen, das wäre dann ja Medizin, gut gegen Alles sozusagen. Wie schätzen Sie da die gesellschaftlichen Perspektiven ein, wenn es zu einer erleichterten und häufigeren Verschreibung von Cannabispräparaten kommen sollte?

Grotenhermen: Die Diskussion um die medizinische Verwendung von Cannabisprodukten hat erheblich dazu beigetragen, die Diskussion um den Genuss- oder Freizeitkonsum zu versachlichen, denn im Zusammenhang mit der therapeutischen Verwendung taucht automatisch die Frage möglicher Nebenwirkungen und ihres Ausmaßes auf, beispielsweise die Frage: Schadet langzeitiger Cannabiskonsum der geistigen Leistungsfähigkeit? Zudem führt die medizinische Cannabisverwendung dazu, dass viele Menschen – Patienten, ihre Verwandten und Ärzte – einen legalen Kontakt mit der Droge bekommen. Meistens stellen sie dabei fest, dass die Warnungen vor den Nebenwirkungen in den vergangenen Jahren übertrieben waren, dass Cannabis bzw. THC sogar überwiegend sehr gut verträglich sind. Die medizinische Verwendung von Cannabis ist in der Lage, das Image der Pflanze auch bei solchen Personen positiv zu verändern, die bisher ein übertrieben negatives Bild von ihr hatten. Andererseits muss man natürlich sagen, dass Medikamente im Allgemeinen nicht gesund sind, sondern der Behandlung von Krankheiten dienen. Aus dem gelegentlich zur Rechtfertigung für den eigenen Konsum vorgetragenen Argument, Cannabis sei schließlich eine Medizin, kann daher im Umkehrschluss nicht gefolgert werden, Cannabiskonsum sei gesund für Gesunde. Die Frage, ob Cannabis auch für Gesunde positive Auswirkungen auf Leben und Befinden haben kann, entscheidet sich an der Frage des verantwortlichen Umgangs mit der Droge. Die Droge selbst ist dafür kein Garant.

Hanfblatt: Immer wieder lösen sich aus Medizinerkreisen die großen Warner, die den konservativen Kräften im Staatsapparat genehm, mit dem erhobenen Zeigefinger vor den schrecklichen Gefahren einer Verharmlosung und Entkriminalisierung eines schrecklichen Rauschgiftes warnen, um möglichst viele Forschungsgelder zum Beweis, dessen, was man insgeheim bereits bewiesen glaubt, abzuzweigen und sich als Gesundheitsapostel und selbsternannte Drogenexperten auf dem Medizinerolymp zu etablieren. Wie soll man diesen aus meiner Sicht an einer dogmatischen auf Gängelung basierenden Gesellschaft klebenden Feinden der freien persönlichen Lebensentfaltung gegenübertreten? Oder anders gefragt: Wird es jemals einen rationalen Umgang mit Cannabis und Cannabinoiden geben?

Grotenhermen: Nach meinem Eindruck haben sich die öffentliche Wahrnehmung und das Diskussionsniveau bereits merklich im Sinne eines rationalen Umgangs verändert. Dies ist ein Prozess, der sich wie alle Veränderungen, die Einstellungsänderungen voraussetzen, nur langsam vollzieht. Ich erfahre auch heute noch regelmäßig von Patienten, die ihren Arzt auf die Verschreibung von THC (Dronabinol) angesprochen haben, dass er dies mit dem Hinweis, er würde keine Drogensucht fördern, oder mit ähnlich ignoranten Bemerkungen grundsätzlich ausgeschlossen hat. Aber dennoch sind viele gesellschaftlich relevante Gruppen wie Journalisten, Mediziner, Juristen und auch Politiker heute insgesamt besser informiert als vor 10 Jahren. Aber es ist auch richtig, dass das Thema Cannabis auch heute noch vielen Eltern, Politikern und anderen Personengruppen Angst macht, was rationales Handeln manchmal erschwert. Die Ängste muss man übrigens ernst nehmen. Mit dem Thema Konservativismus wird zusätzlich ein Aspekt angesprochen, der über den Bereich des rationalen Umgangs mit Drogen hinausgeht. Konservativismus beinhaltet Haltungen, die nicht nur im Drogenbereich moralisierend und normierend massive Eingriffe in das Privatleben rechtfertigen oder als notwendig erachten, beispielsweise auch wenn es um den so genannten Kampf gegen den Terrorismus geht. Der rationale Umgang mit Cannabis oder anderen Drogen führt also nicht automatisch dazu, dass gängelnde Einschränkungen der individuellen Freiheiten verschwinden werden. In den letzten Jahren hat sich auch die Argumentation zur Rechtfertigung des Cannabisverbotes verschoben bzw. verändert. Wurde früher vor allem die Gefährlichkeit der Droge, auch im Vergleich zu Tabak und Alkohol, betont, so heißt es heute oft, Tabak und Alkohol würden bereits große gesundheitliche und soziale Schäden anrichten, die nicht durch die Legalisierung einer weiteren Droge vergrößert werden sollten. Solche Argumentationsverschiebungen stellen nicht nur ein Eingeständnis dar, dass die frühere Propaganda oder Überzeugung falsch war, sondern auch dass Prohibitionsbefürworter durchaus flexibel reagieren, beim Versuch, den gegenwärtigen Zustand zu erhalten. Ich bin kein Hellseher und kann nicht sagen, wohin die Entwicklung letztlich führt. Nach meinem Eindruck funktioniert die Bewegung im Cannabisbereich seit vielen Jahren wie bei der Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einer zurück. Da bleibt ja als positive Differenz immerhin ein Schritt nach vorn.

 

 

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Cannabis Mixed Reisen

Golfplatz-Einweihung mit Manni Kaltz

HanfBlatt, November 2003

Im Buschbrand der gegenseitigen Abhängigkeiten von Freizeit-Fabriken, Promis und Journalisten.

Der dunkle Anzug ist zu warm, schwitzend wanke ich in den Fahrstuhl. Abfahrt zum Bussi-Bussi. Ich weiß nicht, was mich auf der Terrasse des verbrauchten Strandhotels erwartet. Nun gut, den offiziellen Anlass habe ich erfahren: es geht um das Stopfen von nahe gelegenen 18 Löcher im Rasen – ein Golfplatz wird eröffnet. Dafür müsste man sich nur eine halbe Stunde nehmen, hier aber haben sich für die nächsten drei Tage A- und B-Promis aus der gesamten Republik angekündigt. Dazu sind Vertreter aus den Hochglanzmedien und PR-Berater angerauscht. Sie alle wollen in einem norddeutschen Seebad den Knospen ihrer Zunge folgen, Sonne anzapfen und ihren Hüftschwung justieren, kurz, sich auf Nass verlustieren, vulgo: die Eier schaukeln lassen.

Um der Situation gewachsen zu sein, habe ich meinen Kahn mächtig mit marokkanischen Pfefferminzblüten vollgeladen und meine liebliche Begleiterin sitzt im gleichen Boot. Gleißend brennt daher die Abendsonne auf die Kieselsteinplatten, auf denen 50 Paar schwarze Schuhe scharren. Eine Sonnenbrille wäre kommod, wohl aber ein zu deutliches Zeichen gewollt-cooler Distanz. Die PR-Dame kommt auf uns zugewieselt, „ahh, die Hamburger, hier rüber, kommen sie hier rüber, zur Hamburger Gruppe“. Flugs haben wir einen Sekt in der Hand, perlendes Gold, das Fraktale auf das Kleid meiner Muse wirft, und werden zu sechs Stehgeigern bugsiert, die in Plauderhaltung im Kreise stehen. Dieser öffnet sich den Fremdlingen, aber aus dem Auge des Zyklons weht kalter Wind uns entgegen. Man gibt sich vornehm, eine probates Mittel die eigene Unsicherheit zu tarnen. Von Hochlandgemüse innerlich aufgewühlt auf unbekannte Mitbürger zu treffen, birgt immer die Gefahr unfunky drauf zu kommen. Mund und Magen wollen rülpsend tief empfundenen Dünnsinn von sich geben, während der innere, rationale Obermufti und Bedenkenträger Befehle der sozialen Normen brüllt. Rechnen kann man nicht mehr, aber zurechnungsfähig will man sein. Anders ausgedrückt: Kiffen kann unsicher machen. Objektiv betrachtet eine drollige Zwickmühle, in der konkreten Situation ein Abenteuer, was schon für manchen Horrortrip sorgte.

Erfahrung tut hier Not, so weiß ich, dass ich mich zwar wie Fidel Castro fühle, aber nicht so aussehe. Mein Sektglas wirkt dabei wie eine rettende Rehling im Sturm. Smalltalk. Ein Blick in die Runde und plötzlich nimmt eine innere, alte Kraft von mir Besitz. Entgegen aller ungeschriebenen Gesellschaftsverträge spüre ich Begeisterung aufwallen, ein Gefühl von Jugend, eine Erinnerung an sportliche Ekstase, an Männerschweiß, an den von meiner Oma gestrickten Fanschal; dazu jucken ausnahmsweise nur meine Füße. Zusätzlich bin ich erleichtert über den alsbald folgenden, hoffentlich entkrampfenden Integrationsakt in die illustre Runde. Viel zu laut platzt es feucht aus mit heraus: „Das ist doch Manni Kaltz!“ Köpfe drehen sich, Aufmerksamkeit ist gesichert. Ich merke das nicht, überbrücke mit einem Ausfallschritt das Auge des Zyklons und stoße mein Glas an das meines überraschten Gegenübers. Ein klicken, ein sprudeln, ich fahre fort: „Wie geil, Manni Kaltz, ich glaub´ das nicht.“ Der Mann mit dem sauber gekürzten Vokuhila bleibt ruhig, denn „der Manni redet nicht so gerne“, wie ich später erfahre.

Schweigen, leichtes Entsetzen sogar, aber mein Verzücken kommt weiter in Rage. Ich stoße meiner schönen Begleiterin mit dem Ellbogen in die Seite, zeige mit dem Glas auf den Fußball-Heroen und fahre fort: „Ahh, das waren noch Zeiten, sie auf Rechtsaußen, dann Banane, und dann das Fußballungeheuer, hach, so wird heute gar nicht mehr gespielt. Unvergesslich, das 5:1 gegen Real Madrid. Zwei Dinger haben sie da reingesemmelt, oh Mann, wie geil.“ Doch der Flankengott, der 69fache Nationalbuffer, die Legende vom HSV, dieser Manfred Kaltz, brummelt nur einige undeutliche Worte und so langsam komme ich von meiner Wolke runter. Die Menschen um mich sind verstört, peinlich berührt. Sollte man einen dieser Fußball-Proleten im Nest hocken haben?

Ehrliche Begeisterung, so steht nach zehn Minuten fest, ist hier nicht gern gesehen. Und was noch wichtiger ist: Promis – und solche, die es sein wollen – spricht man nicht an. Sie sind froh sich mit Ihresgleichen zu sonnen, im Saft ihrer Erfolge zu schmoren. Wohlgemerkt gilt dies nicht für Manni, der Mann will einfach nur seine Ruhe haben, ihm ist Radau um seine Bananenflanken lästig.

Der Ausbruch war kurze Raserei, ich trete einen Schritt zurück. Die Augen meiner Begleitung liegen verträumt-ironisch auf mir, der Halbkreis aus Frührentner schließt sich wieder und wir stehen außen vor. O.k., das war´s erst einmal. Nebenbei hat der Direktor seine Rede an die golfende Nation begonnen, er preist die knöcherne Eichenkultur der Hotelkette. Die verdiente Vor- und Mitten-im-Kriegsgeneration ist in den Häusern hängen geblieben, dazu passt eigentlich nicht der Porno-Kanal, der auf unserem Zimmer nach jedem dritten Schaltvorgang erscheint. Wahrscheinlich wichst Opi sich den Wicht, während Omi bei der Pediküre weilt.

Wie gerufen wackelt plötzlich Elke S. ins Bild, blonder Star der 70er. Die spielt auch Golf? Nein, sie ist Schmuck, soll der prüden Rasenweihe Glamour und damit Nennung in den bundesweiten Magazinen garantieren. So ergibt sich der Sinn der Geselligkeit: Die Freizeit-Fabrik schiebt sich ins Bewusstsein der Kunden und die Prominenten bleiben im Gespräch, denn davon leben sie. Die anwesenden Journalisten salbadern Gutes über die Melange und übermitteln im Nebensatz die Koordinaten des Geschehens. Die Public-Relation-Dompteure behalten die Käfigtür im Auge. Und der Clou: Alle zusammen verbringen ein weiteres preiswertes Wochenende.

An diesem Kuchen will auch ich nagen, aber mein fußballhistorischer Ausfall hat uns schon nach zehn Minuten zu Parias werden lassen. Egal, gleich gibt es Diner. Der freundliche Direx lädt ein. Die Stimmung ist gut, man kennt sich von vielen anderen Jubelfeiern. Es ist die gemeinsame Leidenschaft aller derer, denen beim Tennis zu viele Rohlinge rumlaufen. „Haben sie noch Sex oder golfen sie schon?“ Wir sitzen am selben Tisch wie Manni, der aber lässt mir, seinem getreuen Fan, keinen Blick zukommen. In mir spielen die beiden Mannschaften von FC Bekifft-Ergötzlich und der Spielvereinigung Peinigend-Stoned einen harten Ball gegeneinander. Noch steht es 1:1, aber Peinigend-Stoned übt enormen Druck auf die Verteidigung von Bekifft-Ergötzlich aus.

Das Essen beruhigt unsere Gemüter, auch meine Begleitung erlangt so langsam ihre Fassung wieder. Meine Tischnachbarin, die Redakteurin einer TV-Zeitschrift, parliert zutraulich, schon fühle ich mich besser. Aber ich bin getäuscht worden, übel sogar. Denn der Mann der Dame, irgendeine Schauspielgröße, dessen Name ich vergaß, fragt sie, was denn das Thema unser noblen Unterredung sei. Nicht wissend, dass ich der Szenerie lausche, winkt sie mit der Gabel ab, zieht die schmalen Brauen hoch und sagt: „Ach nix, völlig uninteressant“. Nun will ich nicht eitel erscheinen, aber das scheint mir doch ein äußerst dünkelhafter und ungebührlicher Reflex auf meine wohl nicht klugen, doch aber warmen Worte zu sein. O.k., das war´s endgültig.

Schade, gerne hätte ich noch weitere Skizzen aus den nun folgenden Tagen gezeichnet. Ich hätte noch berichten können, von nicht geouteten Eiskunstläufern, die beleidigt sind, wenn man sie an den falschen Ecktisch des Festzelts setzt, vom Streit um kühle Austern und von Menschen, die nur (!) über Golf reden können. Aber diese Worte wären dunkel vor Häme, ohne das Licht des freudig-neugierigen Umgangs untereinander. Was also tun? Den Versuch beenden, und vorher noch erwähnen, dass wir lieber am Strand den Wellen folgten, als dort zu sein, wo man sich gegenseitig nur als Spiegel der eigenen Großartigkeit dient.

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Mixed

Öffentlicher Raum und Shopping-Malls

telepolis, 28.11.2003

Auf dem Weg in die privat organisierte Öffentlichkeit?

Shopping-Malls werden zu neuen Mittelpunkten des sozialen Lebens. Über die Auswirkungen auf den öffentlichen Raum wird gestritten.

Klagen über die Entwicklung des für jedermann öffentliches Raumes, vor allem aber Kritik an der Expansion der Shopping-Malls sind unter Stadtplanern, Soziologen und Sozialpolitikern weit verbreitet. Zwei Vorwürfe werden formuliert: Der öffentliche Raum würde zunehmend für kurzzeitige Inszenierungen genutzt. Diese „Events“ wären ein Zeichen einer alles durchdringenden Kommerzialisierung, die nur noch Zeichen statt Inhalte setzt. Damit einhergehend würde der frei zugängliche Raum durch die Expansion der Shopping Malls verkleinert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt. Über Beobachtungen des Einzelfalls kamen diese Analysen aber nie hinaus. Eine vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ( BBR [1]) in Auftrag gegebene Studie suchte nun genauer zu ermitteln, ob und wie der öffentliche Raum Tendenzen der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung unterliegt. 

Der Verkauf von öffentlichem Grund an private Unternehmen stellt nach wie vor eine Ausnahme dar. „Privatisierung“ meint vielmehr, dass private Räume wie Malls und Passagen zunehmend Funktionen des öffentlichen Raumes übernehmen. Diese Tendenz ist unter den vom BBR befragten Experten in den Städten und Gemeinden unstrittig. Strittig hingegen sind die Folgen. Während auf der einen Seite behauptet wird, dass privat geplante Räume Qualitätsstandards setzen und Denkanstöße geben können, sieht die andere Seite mehr Nachteile: Das Kernstück des öffentlichen Raumes, seine freie Zugänglichkeit für jeden zu jederzeit, sei in diesen Passagen und Malls nicht gegeben.

Mit 74 innerstädtischen Shopping-Centern ist die Firma ECE [2] Marktführer in Europa. Insgesamt verwaltet die ECE zwei Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche. In Wolfsburg beispielsweise bietet die „City-Gallerie“ auf 25.000 qm etwa 90 Läden, die täglich von 80.000, am Wochenende sogar von bis zu 150.000 Menschen frequentiert wird. Rechnet man dies auf die gesamten Liegenschaften von ECE hoch, wandeln täglich Millionen Menschen unter dem Hausrecht der ECE – die meisten Besucher mit dem Gefühl, sich im öffentlichen Raum zu bewegen.

Beliebtes Beispiel der Kritiker der Durchmengung von öffentlichem und privatem Raum ist das Sony-Center [3] am Potsdamer Platz in Berlin. Das Hausrecht des Centers verbietet das Verteilen von politischen oder Werbematerial. Sogar das Sammeln von Spenden ist karikativen Organisationen nur nach schriftlicher Genehmigung gestattet. Statt einem Markenzeichen für die Stadt sei „eher eine Corporate Identity für die Investoren“ entstanden, wie der Publizist Uwe Rada annimmt [4].

In den Hauptbahnhöfen der großen Städte übernehmen ebenfalls Center-Manager die Regie. Mit durchaus gravierenden Folgen. In Hannover dürfen die Anbieter der Zeitung „Asphalt“, einem Obdachlosenprojekt, ihre Zeitungen nicht mehr im Bahnhof verkaufen. Von den Passanten unbemerkt findet hier nach Aussage von Walter Lampe, Leiter des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Hannover, eine „Selektion der Nutzer zuungunsten der Schwachen“ statt.

Aus den Website Nutzungsbedingungen des SONY-Center:
HYPERTEXT-LINKS ZU UND VON DIESER WEBSITE
Sie sind verpflichtet, die schriftliche Genehmigung des Betreibers dieser Website zu beantragen und einzuholen, bevor Sie ein Link zu ihr herstellen können. Sog. „Deep Linking“ ist streng untersagt. Alle Links zu dieser Website müssen zur Startseite der Website führen, sie müssen verdeutlichen, dass diese Website und der Website-Content von der Website, welchen den Link enthält, getrennt zu betrachten sind, und sie müssen weiterhin verdeutlichen, dass Sony der Eigentümer und/oder Betreiber dieser Website ist.
Auch was die Öffentlichkeit des virtuellen Raums betrifft, ist man beim Sony-Center streng

Die Malls treten in Deutschland und Europa immer offensichtlicher in Konkurrenz zu den in die Jahre gekommenen Fußgängerzonen. Dies wird in Hamburg-Altona exemplarisch deutlich. Während westlich des Bahnhofs die Shopping-Mall Mercado [5] seit Jahren mit Besucherrekorden glänzt, versinkt die Fußgängerzone östlich des Bahnhofs trotz diverser Reanimierungsversuche in der Tristesse. Hier die saubere, kontrollierte Atmosphäre des urbanen Entertainment, dort ein Sammelpunkt für Mitmenschen, die ihr erstes Bier gerne vor 10 Uhr morgens trinken. Die Diskussion ist alt: Von vielen werden Obdachlose und Bettler als mindestens störend, wenn nicht gar bedrohlich empfunden. Andere sind sich dagegen sicher, dass diese Gruppen unabdingbar zum Bild des öffentlichen Raumes gehören, wenn er denn weiter „öffentlich“ genannt werden soll.

In den Carées und Centern herrschen dagegen nahezu paradiesische Zustände. Keine Punks, keine Prospektverteiler, kein Schmutz, kein Regen. Aber eben auch keine politische Meinungsäußerung. So verbot das Management in einem Erfurter Einkaufszentrum Gewerkschaftsmitgliedern das Verteilen von Handzetteln. Es kam zu Handgreiflichkeiten mit dem Sicherheitspersonal, ein Verfahren ist anhängig.

Aus Sicht des Managements deutscher Center sind, das wurde aus der Studie des BBR deutlich, politische oder persönliche Meinungsäußerungen nur bedingt möglich, um die „reibungslose Abwicklung der Geschäftsprozesse“ zu gewährleisten. Mit Randgruppen gäbe es kein Problem, weil diese sich durch das gehobene Niveau der Center ohnehin abgeschreckt fühlten. Die vom BBR befragten Betreiber von Shopping-Centern sehen ihre Malls ganz selbstverständlich als Teil des öffentlichen Raumes an.

In den USA wollen Bürgerrechtsgruppen und Politiker in einer Reihe Gerichtsverfahren ein Recht auf politische Betätigung in den Shopping-Centern einklagen. Ihr Argument: Die Malls wären Zentren des sozialen Lebens und wichtige Orte, um andere Bürger zu erreichen. In sechs Bundesstaaten folgten die Gerichte bisher dieser Argumentation.

In Deutschland richtet sich die Aufmerksamkeit erst langsam auf das Problemfeld. Die entpolitisierte Gesellschaft will sich nicht so recht an dem Problem reiben, hat der öffentliche Raum seine politische Funktion doch weitgehend verloren. Versammlungen finden heute eher im Zusammenhang mit Beachvolleyball-Turnieren und Konzerten statt. Die politische Meinungsbildung hat sich in die (virtuellen) Medien zurück gezogen, der Wochenmarkt in die geschlossenen Gebäude. Vordergründig hat das öffentliche Leben durch Mega-Malls keinen Schaden genommen. Es gibt genügend Trubel und Entertainment im urbanen Leben, die Städte werden durch Skateboarder genutzt, Innenstädte für Rollerskater-Aufläufe gesperrt. Für Essayisten wie Hanno Rauterberg steht sogar fest, dass „keine Demonstration wegen der neuen Einkaufszentren nicht hätte organisiert werden können“. Dies ist vielleicht wahr, von Demonstrationen in einem der neuen Einkaufszentren ist indes ebenfalls nichts bekannt.

 Markenbashing

Die Kritik reibt sich aber nicht nur an den modernen Konsumstätten, denen Uniformität und Monostruktur vorgeworfen werden, oder an der Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern sie zielt auf die gänzliche Durchdringung der Gesellschaft mit Werbung und deren Botschaften, an der aus dieser Sicht totalen Ausrichtung der öffentlichen Sphären nach wirtschaftlichen Bedürfnissen.

Nach der Lektüre von Naomi Kleins No Logo [6] scheint klar, dass auch in Deutschland die großen Marken das Bild der Welt prägen. Tatsächlich ist es heute kaum noch möglich durch die Straßen einer Stadt zu wandeln, ohne den omnipräsenten Werbebotschaften zu begegnen. Das Problem: Für die einen sind das die vielleicht nicht immer adretten, sicher aber notwendigen Partikel der „Marktwirtschaft“, für die anderen ist es die längste Manipulationspraline der „kapitalistischen“ oder „neoliberalen Welt“.

Widerstand regt sich. Bewegungen wie die lose organisierte Gruppe der Adbuster [7] karikierten die Symbole der Marken, andere suchen die Straße zurück zu erobern. Aber Reclaim the Streets [8] schaffte als primär britische Initiative den Sprung über den Kanal kaum [9]. Auf dem Kontinent wurde der Faden zur anarchischen Wiederaneignung öffentlicher Räume am ehesten noch von der Techno-Bewegung aufgenommen, die die industriellen „Nicht-Orte“ (Marc Augé) für ihre Tanzkultur entdeckten.

Soziales Durcheinander anstatt Ausgrenzung

Aber selbst wer sich nicht in die Diskussion um Wirtschaftssysteme verstricken will, dem fällt auf, dass aus dem früher eher als mühsames Tütengeschleppe verachteten Einkaufsvorgang ein weiteres „Event“ geworden ist. Ob das Shopping die „letzte verbliebende Form öffentlicher Betätigung“ sein könnte, wie Rem Koolhaas [10] überspitzt formulierte, sei dahingestellt, fest steht bislang, dass die Verbannung so genannter „Randgruppen“ nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“ vor allem dort praktiziert wird, wo das Einkaufen weniger am Gebrauchswert als vielmehr am Erlebniswert orientiert ist. Diese Ausgrenzung, so stellte nun auch das BBR fest, wird aber nicht nur von privaten Geschäftsleuten betrieben, auch die Kommunen sind darum bemüht, die zentralen (Einkaufs-) Bereiche von Punks, Bettlern und Obdachlosen frei zu halten.

Was soll also, was kann der öffentliche Raum heute leisten? Schon die von Le Corbusier maßgeblich beeinflusste Charta von Athen [11] aus den 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts legte die Trennung der verschiedenen Funktionsbereiche Arbeit, Wohnen, Freizeit und Verkehr fest. Diese Maxime galt lange als weltweites Dogma der Städteplanung. Der öffentliche Raum wurde zum Verkehrsraum degradiert, der primär der Verbindung der verstreuten Funktionsbereiche dient. Glaubt man den Apologeten der Stadterneuerung, leiden die urbanen Räume noch heute darunter.

Boris Podrecca, Professor für Raumgestaltung [12] an der Universität Stuttgart, nimmt an, dass die Gegebenheiten der modernen Gesellschaft mit ihrem Singletum, der steigenden Lebenserwartung, der Anpassung beider Geschlechter an den Arbeitsmarkt und dem inhaltslosen Medienschauspiel das Vagabundieren im städtischen Raum beeinflussen und zur Orientierungslosigkeit beitragen. Doch:

„Wir als Architekten können Gesellschaft kaum ändern, man kann ihr nur gute Passepartouts, in denen sich ihre Schicksalshaftigkeit und Dramaturgie abspielen, bieten. Man kann lediglich Hintergrund- und Rahmenhandlungen gestalten, wenn nötig auch in einer subversiven Einstellung dem Ist-Zustand gegenüber. Dem Architekten muss es genügen, dass Menschen in seinem Stadtraum die Zusammenhänge wahrnehmen und verstehen, auch wenn sie auf Widersprüchen beruhen.“

Einig sind sich die Experten über die Notwendigkeit der Durchmischung der Lebensstile. Je mehr soziales Durcheinander in den Straßen und auf den Plätzen herrscht, umso sicherer fühlten sich die Bürger und umso eher würde Akzeptanz trainiert. Ohne das idealisierte Bild der griechischen Agora herauf zu beschwören, dem Platz, auf dem alle friedlich diskutierten (außer Frauen und Sklaven), muss es ihrer Ansicht nach möglich sein, Räume zu schaffen, wo sich Menschen unterschiedlichster Prägung an einem lokalen Ort aufhalten. Sollten die „Urban Entertainment Center“ und Malls weiterhin und immer deutlicher zu sozialen Lebensmittelpunkten werden, würde allerdings nicht das öffentliche Recht, sondern deren Hausrecht und Hausdesign zu einem Teil der verbindlichen Umgangsnormen der Gesellschaft werden.

Links

[1] http://www.bbr.bund.de/
[2] http://www.ece.de/
[3] http://www.sonycenter.de/
[4] http://www.uwe-rada.de/
[5] http://www.mercado-hh.de/
[6]
[7] http://www.adbusters.org/
[8] http://rts.gn.apc.org/
[9] http://rts.squat.net/
[10] http://www.oma.nl
[11]
[12]

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Gesundheitssystem

Militante Mittel für Medaillenspiegel

telepolis, 11. November 2003

Militante Mittel für Medaillenspiegel

Nun werden die Doping-Fabrikanten kreativ

Im Hochleistungssport und Fitnessbereich ist die Leistungssteigerung durch Drogen weit fortgeschritten, die Optimierung des Körpers wird nachdrücklich zelebriert. Nun schwappen die „Designer-Drogen“ wie THG in die Labors der Doping-Kontrolleure.

Die US-amerikanische Leichtathletik befindet sich im größten Doping-Skandal ihrer Geschichte. Hunderte von Sportlern haben eine Mittel eingesetzt, das auf den Namen Tetrahydrogestrinone, kurz THG, hört. Nun gab es das Doping mit muskelaufbauenden Präparaten schon immer, neu ist, dass THG ganz offensichtlich allein und nur für das gezielte Doping entwickelt wurde.
flasche
Die kalifornischen Firma Balco, die sich auf Nahrungszusatzmittel spezialisiert hat, bastelte in ihren Labors eine Modifikation des Steroidhormons Gestrinon, in das vier Wasserstoff-Atome eingeführt wurden; fertig war das neue Mittel für eine erneute Erweiterung der Höchstleistungs-Grenze. Die Substanz stand bis vor kurzem nicht auf den Doping-Listen, gleichwohl verbieten diese Listen auch „verwandte Stoffe“, und das traf wohl auch auf THG zu. Darüber werden die Juristen streiten, fest steht nur, dass eine Entwicklung sichtbar wird, die man bislang nur aus dem Bereich der Rauschmittel kannte: Um Gesetze zu umgehen werden immer neue Substanzen kreiert. Dabei wird deutlich, dass in einer auf Hochleistung getrimmten Gesellschaft die Grenzen zwischen Nahrung, Medikament und Droge fließend geworden sind.

„Citius, altius, fortius.“ Das olympische Motto ist zum Imperativ für alle Sportler geworden, gerufen von Publikum, Medien und Sponsoren. Der Erfolgsdruck ist hoch, darüber hinaus lässt die moderne Chemie das erwünschte Gleichgewicht von Chancengleichheit und Leistungsmaximierung obsolet werden. Das olympische Komitee spielt eine Doppelrolle in diesem Spiel: Es will einerseits dem öffentlichen Verlangen nach immer krasseren Rekorden nachgeben, andererseits will es einen Sport bieten, der ohne leistungssteigernde Mittel auskommt. In Artikel 2 des Anti-Doping Codes des IOC von 1999 wurde definiert:
„Doping ist die Verwendung von Substanzen aus den verbotenen Wirkstoffgruppen und die Anwendung verbotener Methoden.“
Schön formuliert, aber ab wann wird ein Mittel verboten? Ist das nicht eine Frage der Dosierung? Und ist nicht jeder Sportler erpicht auf eine Ernährung, die seiner Leistung zuträglich ist?

Für die klassischen Dopingmittel wurden diese Fragen schnell beantwortet. Die sogenannten „anabolen Wirkstoffe“ sind nach wie vor der Renner unter den Athleten, führen sie doch zuverlässig zu Muskelwachstum. In der IOC-Statistik der positiven Proben von 1999 dominieren die Anabolika mit 50 Prozent. Marktführer ist hier Nandrolon. Neben den Muskeln wächst leider auch die psychische Wettkampfbereitschaft, und zwar bei regelmäßiger Einnahme soweit, dass die Sportler mit Aggressionen zu kämpfen haben. In den USA sind anabole Steroide trotzdem legal im Handel erhältlich. Fritz Sörgel, Leiter des Institut für Biomedizinische Forschung in Nürnberg-Heroldsberg, weist darauf hin, dass jeder fünfte US-College Student Steroide nimmt.

Zum Ärger der Wettkämpfer sind Anabolika leicht nachweisbar. Erfreut wechselten vor allem die Ausdauersportler daher seit Anfang der 90er Jahre zu EPO, dem Erythropoietin. EPO ist ein körpereigenes Hormon, wird in der Niere gebildet und regt das Knochenmark an, rote Blutkörperchen zu bilden. EPO ist die konsequente Weiterentwicklung des „Blutdoping“, das heißt einer Bluttransfusion mit dem eigenen Blut, mit der sich der finnischen Langstreckler Lasse Viren wohl zu seinen Olympiasiegen von 1972 brachte. Erst bei der Tour de France 1998 wurde der massenhafte Einsatz von EPO nachgewiesen. Damit waren auch die goldenen Zeiten von EPO vorbei, etwas neues musste her.

Das die USA im Fokus der neuesten Doping-Affaire stehen ist kein Zufall: Im Jahr 2000 hatte der ehemalige Olympia-Arzt Wade Exum behauptet, dass es zwischen 1988 und 2000 mehr als hundert positiv getestete US-Athleten gab, die (ungestraft) 19 olympische Medaillen gewonnen hätten. Das Anti-Doping-Programm des Olympischen Komitee der USA sei „weitestgehend PR“, so Exum. Aber schon vorher waren die amerikanischen Athleten und Funktionäre ins Gerede gekommen: Das IOC hatte den US-Verband aufgefordert, die Identität von 13 Muskelprotzen zu lüften, die kurz vor der Olympiade in Sydney (2000) positiv getestet worden waren. Die Amerikaner, größter Geldgeber des Weltsports, weigerten sich, und der Internationale Sportgerichtshof (CAS) segnete dies ab.

Grauzone

Dass die Anti-Doping-Agentur der USA (USADA) den THG-Skandal schnell an die Öffentlichkeit gebracht hat, wird als Zeichen gedeutet, dass es ernst wird mit der Dopingbekämpfung in den USA. Ein weiterhin bestehenden Problem ist allerdings, dass in den USA viele der Aufputsch- und Muskelmittel als Nahrungsergänzung („Supplements“) und nicht als Arznei klassifiziert sind. Eben diesen Umstand nutzt der Supplements-Hersteller Balco aus. Die Firma unterstützt eine ganze Reihe von Athleten, ihr Eigentümer Victor Conte ist Ernährungsberater verschiedener Spitzensportler, wie der Sprinterin Kelli White oder dem jüngst positiv auf THG getesteten Europameister im 100-Meter Lauf, Dwain Chambers. Alle bisherigen Dopingstoffe waren Arzneimittel, die – früher oder aktuell – legitim in der Medizin angewendet wurden. In THG-Fall ist erstmals ein Stoff nur für die missbräuchliche Anwendung entwickelt worden.

Die Unterscheidung zwischen zulässiger Nahrungsergänzung und unzulässigem Doping müssen die Sportverbände nun vermehrt an Grenzwerten festmachen. Keine einfache Aufgabe, wie das Beispiel der „Prohormone“ zeigt.
Pillen
Im Jahr 2000 beschlagnahmte allein der deutsche Zoll 1.126.000 Tabletten mit dem Hauptbestandteil Androstendion, einem hormonellen Wirkstoff, der erst nach der oralen Einnahme zu Testosteron metabolisiert, müde Männer munter und vor allem kräftig macht. Ebenso stärkend wirkt ein anderes Prohormon mit dem Namen Norandrostendion. Dieser kleine Teufel schlüpfte auf wundersame Weise in die Zahnpastatube von Dieter Baumann, dem Olympiasieger über 5000 Meter. Die Prohormone sind verboten, das Problem ist: Die Metaboliten dieser Substanzen kommen auch in natürlicher Form im Körper vor. Während Menstruation und der Schwangerschaft erhöht sich der Spiegel, aber auch bei Männer kann es in Folge von einer angeborenen Enzymumwandlungs-Hemmung zu einer erhöhten Existenz des Hormons kommen.

Noch diffuser wird die Erkennung von „Doping-Sündern“ aufgrund der jüngst festgestellten Kontamination von an sich dopingfreien Kraftfutter. Die Deutsche Sporthochschule in Köln (DHS) kaufte in Wellness-Tempeln, Body-Building-Studios, Fachgeschäften für Sporternährung und dem Internet über 630 Nahrungsergänzungsprodukte und analysierte sie. Das Ergebnis: Knapp 15% der Starkmacher waren mit Anteilen von Prohormen durchsetzt. Unsaubere Bedingungen bei der Herstellung sind die Ursache für das Phänomen, rund die Hälfte aller Fabrikanten von Kraftfutter vertreiben nämlich auch Prohormone.

Noch gar nicht von den Doping-Listen erfasst ist das Kraftmittel Kreatin, der meistverkauften legalen Hilfsquelle für Kraftsportler. Wissenschaftler streiten noch über dessen Wirkung und Nebenwirkung, Body-Builder und Hochleistungsportler sind unbeeindruckt davon begeistert und schwärmen von einem Kraftanstieg von bis zu 20% in nur zwei Monaten. Ähnlich wie in der Szene für bewußtseinsverändernde Substanzen hat sich hier eine meist über das Internet kommunizierende Counter-Culture gebildet, die Erfahrungsberichte austauscht, Vorteile preist und vor Gefahren warnt.

Mittlerweile steht THG zwar auf der Doping-Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), es wird aber vermutet, dass zukünftig öfter zu „Designer-Doping“ kommen wird. Klaus Müller Bundesbeauftragter für Dopinganalytik und Leiter des Doping-Analyse-Labors in Kreischa befürchtet, das THG nur die Spitze des Eisbergs ist.

Im aktuellen Katalog der von der WADA gebannten Substanzen gibt es aber noch eine andere interessante Änderung: Koffein wurde vorläufig von der Liste gestrichen. Einen der Hauptsponsoren der Olympischen Spiele, die Coca-Cola Company, dürfte es freuen, denn bislang durften die Sportler nicht mit mehr als 12 Mikrogramm Koffein pro Milliliter Urin an den Start gehen.

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Das Wunder von Lengede

Berliner Zeitung v. 8. November 2003

Geschichtsträchtiges Klaustrophobie-Drama

Vor 40 Jahren ereignete sich „Das Wunder von Lengede“. SAT 1 erinnert mit einem technisch aufwendigen Zweiteiler an das Bergwerkunglück, bei dem elf Kumpel nach zwei Wochen doch noch gerettet wurden.

Ein schmuckes Messingschild musste sein, schließlich ist man stolz auf das Geschaffene. „Water Studios“ ist eingraviert, es hängt an einer schmuddeligen Halle im niedersächsischen Goslar. Nicht weit von hier kam es in den feucht-nebligen Wochen des November 1963 zu einer Rettungsaktion, welche später als das „Wunder von Lengede“ in die deutsche Geschichte einging: Durch einen neu gebohrten Schacht wurden elf Arbeiter aus der Erzgrube „Mathilde“ gerettet, nachdem sie fast zwei Wochen vom Wasser eingesperrt in völliger Dunkelheit ausgeharrt hatten. Mit einem Zweiteiler will SAT 1 am 9. und 10. November zur Prime Time an das Bergwerkunglück erinnern – und zugleich an den Erfolg des ähnlich gestrickten Klaustrophobie-Dramas „Der Tunnel“ anknüpfen.
Stollen
Für die Dreharbeiten musste nicht nur die beklemmende Situation in 60 Meter Tiefe, sondern auch die einstürzenden Wassermassen simuliert werden – ein Leckerbissen für Filmarchitekten. So auch für eine der Größen der Branche, Götz Weidner („Das Boot“). Das Team um den Münchener Filmarchitekten und der Produktions-Firma „Zeitsprung“ schuf in dreimonatiger Arbeit für rund eine Million Euro in der Haupthalle der ehemaligen Erzwäscherei Goslar ein Studio mit deutschlandweit einmaligen Möglichkeiten. Das Set-Design ist so ausgefeilt, dass die Film-Branche bereits Interesse an einem Erhalt angemeldet hat, stehen hier doch gut erprobte Fazilitäten zur Verfügung, um Über- und Unterwasseraufnahmen im Studio abzudrehen. So entstand auf der unteren Ebene der Halle ein Becken, aus dem 280.000 Liter Wasser innerhalb von einer halben Stunde in den zweiten Stock des Gebäudes hochgepumpt werden können. Hier formten die Designer den stillgelegten Stollen nach, in welchen sich die Kumpel 1963 vor Wassermassen und einstürzenden Wänden in trügerische Sicherheit gebracht hatten. In dem bergmännisch so genannten „Alten Mann“ steht den Schauspielern wie Heino Ferch, Axel Prahl, Jürgen Schornagel und Jan Josef Liefers das Wasser bis zum Hals. Ihnen steht die diffizile Aufgabe zu, den halluzinativen Irrsinn eines Gruben-Gefängnis zu mimen – mit milder Strenge geführt von Regisseur Kaspar Heidelbach, der nie „Action“, sondern immer „Bitte“ ruft.
Stollen
Dieser erlebte das Unglück – wie viele andere auch – als eine der ersten Live-Übertragungen der deutschen Fernseh-Geschichte mit. Der NDR dirigierte damals nicht nur 460 Radio- und TV-Mitarbeiter auf den Rübenacker über der Grube, er stellte sogar die Mikrofone, die in das Bohrloch geführt wurde, um den Kontakt mit den Eingeschlossenen zu ermöglichen. Es entstand die moderne Krisen- und Katastrophenberichterstattung. Heidelbach saß währenddessen bei „Sinalco und Salzstangen in der Kneipe, in die mein Vater mich mitgenommen hatte“. Regisseur wie Schauspieler sind begeistert von dem detailgetreuen Nachbau des Bergwerks in der Hallen. Von der zweiten Etage aus können die Wassermassen durch zwei dicke Fallrohre innerhalb von nur 60 Sekunden in die darunter liegende Halle strömen, um hier mit enormen Schub ein weiteres nachgeformtes Stollensystem zu fluten. Um die Sicherheit des Teams zu gewährleisten wurde der 100 Meter umfassende, aus Metall geschweißte Unter-Tage-Irrgarten zunächst von der Münchener Firma Magic FX als Holz-Modell gebaut und einer Strömungsanalyse unterzogen. Gleichwohl rissen die ungestümen Fluten gleich bei der Premiere im Studio einen der handgeschälten Kiefern-Stützen im Stollen mit. Schotten wurden eingebaut, um die Gewalt des Wassers zu bändigen. Heidelbach selbst steig in die Fluten, zum einen aus Interesse an der Kraft des Mediums, zum anderen „um den Schauspielern von vornherein das Argument zu nehmen, dass die Szene zu gefährlich sei“, wie er lächelnd sagt. Im Film spült das Wasser nun effektvoll einen Bergmann aus dem Bild – ohne ihn wirklich zu gefährden.
Drehpause
Die „Schullandheimatmosphäre“ (Heidelbach) am Set wurde durch die ausgefeilte Technik und die verschworene Männergemeinschaft der Schauspieler verstärkt. Einmal aber, da wurde es still bei den Dreharbeiten zu dem Eventfilm. Da betraten die realen Überlebenden des Unglücks zusammen mit ihren Ehefrauen das Gebäude. Schweigend sahen sie die Simulation ihrer Tragödie. Manche wollten den Ort, an dem ihre Kollegen und Freunde gestorben waren nicht näher betrachten, andere weinten. Kein Wunder, das Trauma ist verständlich: Während über Tage die Rettungsarbeiten bereits abgeschlossen und der Trauergottesdienst abgehalten war, tranken die Männer im „Alten Mann“ das faule Wasser aus den Pfützen. Mergelplatten stürzen immer wieder in den alten Stollen. Neben ihnen erkalteten die erschlagenen Kollegen, Bernhard Wolter, gespielt von Heino Ferch, schläft aufgrund der Enge sogar auf den Toten. Wahn griff um sich. Einige Ehefrauen wollen nicht an den Tod der Männer glauben und veranlassten eine letzte Bohrung. Diese trifft tatsächlich auf die Gefangenen. Zunächst wird Karottenbrei herab gelassen, später können die Überlebenden durch ein dünnes Bohrloch gerettet werden. Wolter erblickt als erster der Männer wieder das Licht der Welt. Zum 40. Jahrestag des Wunders hofft SAT 1 auf hohe Quoten und Anerkennung. Den Sendetermin hat man so nah wie möglich an den Tag Tag der Bergung (7. November) gelegt. Trotz der Rettung blieben die Fahnen in Lengede damals auf Halbmast, denn 29 Bergleute kehrten nicht aus der Grube zurück.

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Buch: Abenteuer Künstliche Intelligenz Bücher

De:Bug Rezension Joerg Auf dem Hoevel Abenteuer Kuenstliche Intelligenz

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BUCH

Jörg Auf dem Hövel will so etwas sein wie der Peter Lustig der Künstlichen Intelligenz, kurz KI. Jemand, der sich ein bischen dumm stellt, um damit dem Geist der Maschinen auf die Spur zu kommen, jemand, der nicht am Schreibtisch vor sich hinwerkelt, sondern die Wohnwagentür auf und sich auf den Weg macht, um mehr zu entdecken. Seine Entdeckungsreise bringt ihn zu einem Stammtisch des Mensa-Intelligenzadels, zum Erfinder des Schachprogramms Fritz, in eine schalldichte, dunkle Wanne voller Salzwasser, die Kenner auch Isolationstank nennen, zu Schweizer KI-Forschern, in Kontakt mit Legos Mindstorms-Robotern und ins Gespräch mit Joseph Weizenbaum, dem er ein paar Überlegungen zu Star Trek entlockt. Manchmal wünscht man sich fast, Auf dem Hövel wär ein bischen strukturierter an die Sache herangegangen und hätte ein bischen weniger frei in der Gegend herumassoziert. Dann aber zitiert er Bügeleisen-Gebrauchsanleitungen („Die Kleidung nicht während des Tragens bügeln“), um unser Bild humaner Intelligenz mal wieder auf den Teppich zu bringen und es wird klar: Dies ist zwar kein Kompendium, aber dafür eben ein netter, interessanter Streifzug durch die Welt der KI.

+ + + +
Janko Röttgers

+ = NEIN / + + + + + = JA

De-Bug Nr.76, November 2003

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem Suchttherapeuten Helmut Kuntz

hanfblatt, Nov. 2003

Dem Kiffer (mit Problemen) kann geholfen werden

Fragen an den Suchttherapeuten Helmut Kuntz

Legalisierungsbefürworter fordern frei nach dem Motto „Kein Knast für Hanf“ eine Beendigung der Strafverfolgung von Cannabisgebrauchern. Über Cannabisfreunden schwebt nämlich immer noch das Damoklesschwert der staatlichen Bestrafung und der sozialen Ausgrenzung durch beispielsweise Arbeitsplatz- oder Führerscheinverlust. In vielen Berufen und gesellschaftlichen Kreisen kann ein Outing als Cannabiskonsument unangenehme Folgen haben. Die Gefahr der Diskriminierung trägt sicherlich nicht zu einer freien und offenen Auseinandersetzung als Grundlage einer Prävention und Behandlung selbstschädigenden Konsumverhaltens bei. Denn, dass es auch eine Minderheit von Konsumenten gibt, die Cannabis nehmen, obwohl es ihnen offensichtlich nicht gut tut, oder so, dass es sie in unerwünschter Weise in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt, die also einen problematischen Konsum betreiben, dafür sprechen Umfrageergebnisse und die Berichte von Therapeuten, an die sich Kiffer mit Problemen wenden. Einer dieser Helfer in der Not ist der Familientherapeut Helmut Kuntz. Er hat seine Erfahrungen in dem interessanten Ratgeber „Cannabis ist immer anders“ (siehe unten) zusammengefasst.

az: Mag für die große Mehrheit der Gebraucher der Cannabiskonsum eine Bereicherung in ihrem Leben darstellen, so gibt es doch auch vereinzelt Konsumenten, bei denen sich alles nur ums Kiffen dreht, und die darüber das, was eigentlich in ihrer aktuellen Lebenssituation notwendigerweise zu tun wäre, nicht auf die Reihe kriegen. Wann beginnt Ihrer Einschätzung nach der Konsum von Cannabis problematisch zu werden, und wie äußert sich das?

Kuntz: Es ist vielleicht „hanfpolitisch“ wenig genehm und kratzt am Mythos von Cannabis als relativ harmloser Droge, doch ich kann auf Grund meiner Erfahrungen leider nicht mehr bestätigen, dass es nur vereinzelte Konsumenten sind, welche durch ihren Cannabiskonsum in Schwierigkeiten geraten. Teilweise bestehen die Schwierigkeiten in ihrem Leben schon vor dem Konsum, und der Gebrauch speziell von Cannabis findet in der trügerischen Hoffnung auf Erleichterung statt. Grundsätzlich ist der Konsum von Cannabis problematisch, wenn er zur Besänftigung bedrückender Gefühle dienen soll. Kritisch ist in jedem Falle der gewohnheitsmäßige, tägliche oder mehrfach tägliche Einsatz der Droge zu werten. Auch der „nicht bestimmungsgemäße“ Gebrauch von „Gras“ oder „Shit“ in der Schule oder am Arbeitsplatz spricht nicht für kompetente Konsumenten. Der chronische Gebrauch von Cannabis birgt in hohem Maße die Gefahr, die tragenden sozialen Beziehungen zu belasten oder sogar zu zerstören. Entwertende Äußerungen wie „Das ist mir doch egal“ oder „Du hast mir gar nichts zu sagen“ können verräterische Alarmzeichen sein. Das Risiko steigt mit den „harten“ Gebrauchsmustern wie „Bhong-“ oder „Eimer-Rauchen“. Es steht außer Frage, dass sie ein weitaus höheres Abhängigkeitspotential bergen, als das Genießen von Joints. Absolut „verpeilte“ Konsumenten mit solchen Gebrauchsmustern, z.T. sogar mit psychiatrischen Auffälligkeiten in Form psychotisch anmutender Symptome sind keine Seltenheit im Beratungsbereich. Das größte Risiko der Konsumenten ist aber weniger die Droge an sich, sondern die eigene Überheblichkeit im Umgang mit ihr, die Illusion, jederzeit alles im Griff zu haben und jede persönliche Gefährdung zu verleugnen.

az: Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für die Entwicklung selbstschädigender Konsummuster?

Kuntz: Selbstschädigende Konsummuster entwickeln sich auf Grund schädigender sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen. Die Konsumgesellschaft, die nach dem Motto „Immer mehr, immer weiter, immer schneller, immer höher“ lebt, ist bereits in ihrem Wesen eine süchtig kranke Gesellschaft. Wo sie als gnadenlose Ellenbogengesellschaft Menschen zunehmend ausgrenzt, ohne Schulabschluss, Lehrstelle, Arbeitsplatz oder Wohnung zurücklässt, nimmt sie den Menschen vielfach ihren Selbstwert. Fehlendes Selbstwertgefühl ist der ideale Nährboden für Suchtmittelmissbrauch. Wie soll jemand gut und fürsorglich mit sich umgehen, der kaum die Erfahrung gemacht hat, respektvoll behandelt zu werden?

az: Wer ist besonders gefährdet, in destruktiver Weise zu konsumieren? In welchen Lebensabschnitten besteht eine besondere Gefahr der Entwicklung problematischen Konsumverhaltens?

Kuntz: Ganz normale Suchtkranke kommen aus ganz normalen Familien. Wer den Platz im Leben nicht findet, wo er sich aufgehoben fühlt und wo er etwas Sinnvolles bewirken kann, entwickelt eher destruktive Verhaltensweisen als jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlt. Aber selbstverständlich ist der steinige mühevolle Weg der Pubertät und des Erwachsenwerdens eine besonders anfällige Zeit für Drogengebrauch. Da stellen sich eine Lebensaufgabe und ein Reifungsschritt nach dem anderen: Schulabschluss, Berufsorientierung, Ablösung vom Elternhaus, den Platz in der Gruppe finden, Umgang mit Liebesbeziehungen und Trennungen usw.. Menschen können daran reifen und im besten Sinne „erwachsen“ werden oder scheitern. In diesem Zusammenhang gesehen, muss uns die Tendenz sorgen, dass Jugendliche heute immer früher den Einstieg in den Suchtmittelgebrauch riskieren. Weder körperlich noch seelisch sind 11-, 12-, 13- oder 14-jährige Jungen und Mädchen darauf eingestellt, in diesem frühen Alter mit den Wirkungen potenter eigenmächtiger Rauschmittel zu tun zu bekommen. Dabei spielt es keine große Rolle, ob das Zigaretten, Alkohol oder andere psychoaktive Drogen sind.

az: Was können Kiffer selbst tun, wenn sie mit ihrem Konsumverhalten unglücklich sind und dies verändern wollen? Wohin können sie sich wenden, falls sie das Gefühl haben, Hilfe zu brauchen, und wie wird dann geholfen?

Kuntz: Die Frage enthält bereits den entscheidenden Punkt. Nur derjenige kann und wird etwas verändern, der dies auch will, und zwar ernsthaft und nicht nur halbherzig. Innerlich motivierte Kiffer haben gute Chancen auf positive Veränderungen, selbst wenn sie ganz tief im Schlamassel stecken. Sie können sich an jede örtliche Sucht- und Drogenberatungsstelle wenden, wenn sie erst die Hemmschwelle überwunden haben. Berater haben Schweigepflicht. Niemand muss also befürchten, sich in zusätzliche Schwierigkeiten zu bringen, wenn er Hilfe sucht. Wie die Hilfe aussehen kann, wird im Einzelfall zusammen entschieden. Da es allerdings eine Arbeit zwischen Menschen aus Fleisch und Blut ist, muss die „Beziehungschemie“ stimmen. Wer sich als Hilfesuchender bei einem Berater menschlich oder fachlich nicht gut aufgehoben fühlt, sollte weiter suchen.

az: Wie können Freunde und Angehörige jemandem helfen, der anscheinend über das Kiffen Beziehungen, Schule oder Beruf vernachlässigt?

Kuntz: In ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinträchtigte Kiffer unterschätzen häufig, was ihre Kifferei mit Freunden oder Angehörigen macht. Für Hilfsmöglichkeiten gibt es keine Patentantwort. Angehörige wie Freunde können allerdings nur dann helfen, wenn sie selbst mit ihren heftig widerstreitenden Gefühlen dem Kiffer gegenüber umzugehen wissen. Um die typischen Beziehungsfallen und Fehler im Verhalten zu vermeiden, müssen Angehörige zudem wisssen, was das Wesen der süchtigen Dynamik ausmacht. Wichtig ist klares konsequentes Verhalten. Unter Umständen müssen sich Angehörige darauf einstellen, Kiffer monate- oder sogar jahrelang durch viele Schwierigkeiten hindurch zu begleiten. Das ist ein überaus belastendes „Geduldsspiel“. Wo die Kifferei ein Ausmaß annimmt, dass sie in Diebstahl und tätliche Gewalt ausartet, können Angehörige die Grenze ziehen und dem Kiffer die Tür weisen, durch die er dann zu gehen hat. Andere entscheiden sich, ihr Kind niemals fallen zu lassen und unter allen Umständen die Beziehung zu halten. Für Eltern sind in solch schwierigen Situationen die Elterngruppen in Beratungsstellen sehr hilfreich zur eigenen Unterstützung. Freunde können einem Kiffer eigentlich nur sein Verhalten und seine Persönlichkeitsveränderung spiegeln. Aber weder Freunde noch Angehörige können jemandem helfen, der sich nicht helfen lassen möchte. Irgendwann muss man ihm dann die alleinige Verantwortung für sein Tun überlassen.

az: Es ist zu vermuten, dass auch im Falle einer Entkriminalisierung von Cannabisgebrauchern ein kleiner Teil der Konsumenten zumindest phasenweise in für sie problematischer Weise kiffen würde. Es wäre aber vermutlich ein weniger angstbesetzter, ideologisch verbrämter und damit offenerer Umgang möglich. Deshalb meine Frage: Beeinträchtigt die aktuelle Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht die Möglichkeiten therapeutischer Hilfe und ehrlicher präventiver Aufklärungsarbeit?

Kuntz: In meiner persönlichen präventiven, beratenden oder therapeutsichen Arbeit fühle ich mich durch die Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht wirklich beeinträchtigt. Ich brauche kein Blatt vor den Mund zu nehmen und kann offen über alle Aspekte des Cannabsikonsums sprechen. Als Berater habe ich einerseits Schweigepflicht und andererseits bin ich in keinem Zusammenhang zu Aussagen über Klienten gegenüber Dritten verpflichtet. Beratungsstellen sind insofern ein geschützter Raum.

az: Und zum Schluß dann noch die Gretchenfrage: Sie haben beruflich wohl in erster Linie mit Problemkiffern zu tun. Ihrem Buch kann man aber auch entnehmen, dass sie das weite Feld der integrierten Konsumenten kennen und durchaus respektieren. Obendrein verfügen Sie über eigene Konsumerfahrungen. Wie stehen Sie zur Frage einer Entkriminalisierung? Was muss gewährleistet sein oder noch erreicht werden, um eventuelle negative Konsequenzen des Cannabiskonsums möglichst gering zu halten?

Kuntz: Die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten nutzt in der Tat niemandem. Jeder Kiffer muss ein Eigeninteresse haben, das „11. Gebot“ zu beachten: „Du sollst dich nicht erwischen lassen.“ Erstaunlicherweise gibt es bei den Konsumenten noch verbreitete Missverständnisse in Bezug auf Tolerierung und Legalisierung des Cannabiskonsums. Eine Tolerierung haben wir in Grenzen erreicht. Für eine völlige Legalisierung wird es keine politische Mehrheit geben. Vor allem wird Legalisierung niemals bedeuten, Cannabis ebenso frei zu verkaufen, wie derzeit Zigaretten und Alkohol. Wir haben mit diesen beiden Suchtmitteln bereits Probleme genug. Angestrebt werden können pragmatischere Lösungen im Umgang mit Cannabis, wobei die Diskussion um mögliche „Coffeeshop“-Modelle mehr ideologisch als alltagstauglich geführt wird. Bei der praktischen Umsetzung solcher Denkmodelle stecken die Probleme im Detail: Wo soll Cannabis verkauft werden? Welche Qualifikation muss ein Verkäufer aufweisen? Wer darf ab welchem Alter wieviel erwerben? Selbst ein „Coffeshop“ kann wohl kaum an 11-, 12- oder 13-jährige Kiffer offiziell Cannabis verkaufen. Wo wenden die sich dann hin? Für den problematischen Umgang unserer gesamten Gesellschaft mit Suchtmitteln aller Art gibt es keine wirkliche Lösung. Es sei denn, wir könnten so zufrieden oder gar glücklich leben, dass wir es nicht nötig hätten, unser Leben durch die Wirkungen von Rauschmitteln zu „bereichern“. Aber dann hätten wir eine andere Gesellschaft.

Lesetip:

Helmut Kuntz
„Cannabis ist immer anders.
Haschisch und Marihuana: Konsum-Wirkung-Abhängigkeit.
Ein Ratgeber.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel 2002
278 Seiten
ISBN 3-407-22832-5
14.90 Euro

Helmut Kuntz
„Ecstasy-auf der Suche nach dem verlorenen Glück.
Vorbeugung und Wege aus Sucht und Abhängigkeit.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel, 2. erweiterte Neuausgabe 2001 (1. Aufl. 1998)
245 Seiten
ISBN 3-407-22830-9
10,90 Euro