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Cannabis Gesundheitssystem

Cannabis und die Lunge

HanfBlatt, Nr. 98, November/Dezember 2005

Ergänzt im Juli 2007

Die Rauchzeichen sind deutlich: Cannabisrauch schadet der Lunge

In den letzten Jahren wurden eine Reihe von neuen, ernst zu nehmenden Studien zur Auswirkung des Kiffens auf die Lunge veröffentlicht. Schon in früheren Untersuchungen wurde darauf hingewiesen, dass regelmäßige Cannabis-Raucher, egal ob sie Cannabisprodukte nun mit oder ohne Tabak verbrennen und einatmen, statistisch gesehen eher an Husten und verschleimten Atemwegen leiden.

Genauer wollten es eine Forschergruppe um Michael Roth wissen. Sie untersuchten die Lunge von 40 Freiwilligen mit verschiedenen Konsummustern: (1) Nichtraucher, (2) Pur-Kiffer ohne Zigarettenkonsum, die rund fünf Spliffs in der Woche durchzogen, (3) Raucher, die eine halbe Schachtel Zigaretten täglich konsumierten und (4) Kombi-Kiffer, die sowohl kifften als auch Tabak rauchten. Jedes Mal wurden die Atemwege der Probanden per Endoskop videografiert und Lungenschleim untersucht (s. Foto). Das Ergebnis: Alle drei Rauchergruppen wiesen eine höhere Reizung der Bronchien auf als die Nichtraucher, wobei sich die Lungen der Pur-Kiffer und die der Tabak-Raucher kaum unterschieden. Am schlechtesten sah es bei den Kombi-Kiffern aus.

In Neuseeland untersuchten Robin Taylor und seine Kollegen über einen langen Zeitraum wiederholt den Atemtrakt von annähernd 1000 freiwilligen Kiffern, jeweils in deren 18ten, 21ten und 26ten Lebensjahr. Das Ergebnis: Sie litten im Vergleich zu Nichtrauchern eher an Husten, Schnupfen und Kurzatmigkeit. Dies galt unabhängig davon, so die Autoren, ob die Probanden zusätzlich auch noch Zigaretten rauchten. Wichtig: Es herrscht ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Menge des in dem Zeiträumen gerauchten Cannabis und der Schwere der Schädigung der Lunge. Gerade die Dauerkiffer, so die Autoren, leiden eher an Husten, vermehrtem Auswurf und Atemnot bei Belastung.

Das über allen professionellen Rauchern hängende Damoklesschwert hört auf den Namen „Krebs“. Auch hier gab es in den letzten Jahren wichtige Erhebungen. Grundsätzlich wohnt auch dem reinen Cannabisrauch das Potenzial inne nsere Zellen mutieren zu lassen und zu Krebs zu führen. Die meisten Studien nutzen aber enorm hohe Dosen, um diesen Effekt an den Zellen nachzuweisen. Am saubersten ist daher formuliert: Cannabisrauch kann, muss aber nicht Krebs auslösen. Selbst ohne Tabak birgt der dauerhafte und über einen langen Zeitraum betriebene Konsum von Cannabis die Gefahr der Krebserkrankung.

1999 untersuchte Zuo-Feng Zhang und eine Gruppe von Forschern an der Universität von Kalifornien 173 Lungenkrebspatienten und Nichtraucher-Kontrollgruppe. Das Ergebnis: Ein Krebsrisiko erhöht sich mit Dauer und Dosis des Marihuana-Konsums. Langzeit-Kiffer, so die Autoren, erkranken 2,6 Mal häufiger an Krebs als Nichtraucher. Und das Risiko auf Krebs steigt um das 10-36-fache, wenn man zudem noch regelmäßig Fluppen raucht.

Für Krebs wie für andere Krankheiten gilt: Oft ist es sehr problematisch einen Kausalzusammenhang zum Cannabis-Konsum nachzuweisen. Die meisten Kiffer rauchen parallel Tabak, viele kennen die Wirkung von Hanf nur aus Tabak-Joints. Es besteht zwar der starke Verdacht, noch ist aber nicht nachgewiesen, dass der pure Genuss von Cannabis zu Krebs führt.

Neuseeländische Forscher haben 2007 die Auswirkung von Cannabis- und Tabakrauch auf die Lunge erneut verglichen (Thorax, Juli 2007). Sie untersuchten vier Testgruppen: Erwachsene, die nur Cannabis rauchen, solche, die nur Tabak genossen, eine Gruppe, die beides konsumierte, und Nichtraucher. Die Cannabis-Pur-Raucher mussten mindestens 5 Jahre lang einen Joint pro Tag geraucht haben, die Raucher ein Jahr lang mindestens eine Schachtel Zigaretten pro Tag. Nach dem Durchlauf der Statistik brachten die Forscher die Durchschnittswerte auf eine prägnante Formel: ein Pur-Joint ist für die Lunge das Äquivalent von 2,5 bis fünf hintereinander gerauchten Zigaretten. Nach Ansicht der Wissenschaftler liegt das zum einen an der Tatsache, dass die Inhalation bei Pur-Rauchern viel tiefer und länger erfolgt.

Die schlimmsten Lungenschäden haben die Experten um Richard Beasley allerdings bei den Tabakrauchern und THC-Tabak-Kombinierern festgestellt. Sie litten öfter am sogenannten Lungenemphysem, einer Lungenkrankheit, die durch die Zerstörung der Lungenbläschen entsteht. Bei den Pur-Kiffern stellten die Forscher zwar kein Lungenemphysem fest, dafür aber leichtere Symptome wie pfeifenden Atem, Husten und „Schleimabsonderungen“, wie es in dem Bericht hieß.

Wohlgemerkt: Seit tausenden von Jahren verschafft Cannabis Asthmatikern Erleichterung, denn das Inhalieren des Rauches führt zu einer Erweiterung der Bronchien, die bis zu einer Stunde anhält. Und während so mancher Dauerkiffer fröhlich 85 Jahre alt wird, erwischt manchen sportlichen Veganer bereits mit 52 der Sensenmann. Wie so oft kommt es wohl auch auf die richtige Einstellung an. Und wer schon meint viel Gras und Hasch rauchen zu wollen, der sollte zumindest darauf achten seine kuschelige Körper-Geist-Einheit in Form zu halten. Das Motto „Viel hilft viel“ ist, egal, um was es nun geht, meist Raubbau am Körper, der sich früher oder später auf seine Weise rächen wird. Die junge Lunge kann sich erholen, ist sie aber erst einmal gründlich geteert wird es schwieriger mit dem Genuss der Riester-Rente.

Fazit: Die schädlichen Effekte von Tabak und Cannabis addieren sich, raucht man die beiden Kräuter zusammen, ist das weder aus Gründen eines kräftigen Highs noch aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll. Das klingt zwar puristisch, ist aber leider mittlerweile eine nachgewiesene Tatsache.

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Specials

Alkohol Special: Der Geist aus der Flasche

hanfblatt nr.108, Juli 2007

Vom Geist aus der Flasche

Am Alkohol zeigt sich, wie eine Gesellschaft mit einer Droge lebt, mit der sie eigentlich nicht umgehen kann

Obwohl Alkohol eine stark psychoaktive Substanz ist, hat sich die flüssige Droge nicht nur weltweit verbreitet, sie ist auch in vielen Ländern legal zu erwerben. Der Reiz des Rausches ist hoch, die Lust auf Wein, Bier, Schnaps oder Alcopops ungebrochen. Der Alkohol nimmt eine zentrale Stellung unter der Rauschmitteln ein. Warum bloß?

Fusel besitzt einen enormen Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, 73 Prozent der Bundesbürger halten es für akzeptabel, wenn jemand „mal einen über den Durst trinkt“. Angesichts der jährlich rund 40.000 Toten und den volkswirtschaftlichen Schäden mutet es seltsam an, dass ausgerechnet diese Substanz einen so hohen Stellenwert in der Gesellschaft besitzt. Rund 1,7 Millionen Deutsche trinken mehr als Leber, Herz oder Hirn vertragen, weitere 1,7 Millionen gelten als klassische Alkoholiker.

Die Lösung für dieses Phänomen liegt auf mehreren Ebenen:
(1) Weingeist und seine Derivate sind über Jahrhunderte ins kollektive Bewusstsein gebrannt worden, die Droge ist voll etabliert. Ganze Institutionen und markante Zeitsteine im Jahresverlauf drehen sich um den Alkoholrausch. Das Oktoberfest, der Fasching, aber auch die „besinnliche Weihnachtszeit“ sind ohne die Unmengen an ausgeschenktem Bier, entkorkten Flaschen und gestürzten Kurzen nicht denkbar. Und: Alkohol ist ein wichtiger Schmierstoff persönlicher und geschäftlicher Beziehungen.
(2) Umsatz und Gewinn der Hersteller stimmen. Alkoholherstellung kann lukrativ sein, die deutschen Weinregionen sind dazu Touristenmagneten. Die Lobby besitzt politischen Einfluss.
(3) Der Droge selbst wohnt wenig revolutionäres Potential inne. Ihre bewusstseinsverändernde, transformatorische Spannkraft ist im Vergleich zu entheogenen Substanzen gering. Simpel gesprochen: Den Mächtigen droht vom Alkohol wenig Umstürzlerisches, auch deshalb wird er nicht verboten.
(4) Alkohol ist gut zu dosieren und für verschiedene Zwecke nutzbar. Niedrig dosiert wirkt er meist kommunikativ, in mittleren Dosen enthemmend, in hohen Dosen lässt er alles vergessen. Zudem ist er gut mit anderen psychoaktiven Substanzen wie Kaffee und Cannabis – um mal nur die harmlosesten zu nennen – mischbar.

Angesichts dieser Vorteile werden die erheblichen Nachteile als Kollateralschäden in Kauf genommen. Nicht nur, aber auch aus diesem Zynismus heraus lässt sich der Schluss erklären, den die Befürworter eines Verbots von Cannabis in die Diskussion führen: Man hat einfach Angst in dieser zur Sucht neigenden Gesellschaft ein weiteres Fass aufzumachen.

Zwei Problemgruppen hat man im Auge. Das sind zum einen die Jugendlichen, die, glaubt man den Zahlen, immer früher mit dem Alkoholkonsum anfangen und auch immer früher den Vollsuff praktizieren. Einige Zeit herrschte Aufregung um die sogenannten Alcopops, im Grunde recht biedere Zucker-Mischgetränke mit viel Alkohol, eine Art hässliche Nachgeburt der Techno-Generation. In Folge eines Alcopopgesetzes reduzierte sich der Konsum bei den unter 18-Jährigen auf 16 Prozent von vormals 28 Prozent im Jahr 2003.

Die Alkoholdealer halten seither dagegen: Kneipen bieten im herrlichsten Neusprech eine Alkohol-“Flatrate“ an, von 20-2 Uhr kann gesoffen werden was geht. „Binge Drinking“ ist Komasaufen, Ziel ist der möglichst schnelle Rausch inklusive Bewusstlosigkeit. Beliebt ist dieser Sport zurzeit in Großbritannien und einigen Ländern Skandinaviens, dort wird der Alkohol nicht nur unter Jüngeren ohnehin gerne zügig konsumiert. Ich erinnere mich an den Besuch einer Feier in Schweden, bei der alle Anwesenden binnen kürzester Zeit extrem betrunken waren, ohne Hemmung torkelten und auf die Straße kotzten.

Nur nebenbei: Seit Jahrzehnten dringt aus den teutonischen Schmieden keine Information über das Saufverhalten der Soldaten nach draußen. Aus guten Grund, denn jeder, der die Ehre hatte in dem Haufen zu dienen, weiß, dass hier der Grundstein für manche Alkoholikerkarriere gelegt wird. Die Anfälligsten bleiben gleich da.

Die andere Problemgruppe sind die stark trinkenden fast-schon oder tatsächlichen Alkoholiker. Alles in allem dümpelt der Pro-Kopf Verbrauch von reinem Alkohol in Deutschland seit über zehn Jahren bei rund 10 Litern jährlich, nur die Verhältnisse zwischen den Sorten verschieben sich. Wichtig bei der ganzen Zahlenspielerei um steigenden oder sinkenden Verbrauch von Bier und Wein ist: Ein Anteil von ungefähr acht Prozent der Bevölkerung konsumiert rund 40 Prozent des verkauften Alkohols.

Suchtvermeidend kann die alte Regel sein, nicht alleine zu trinken. Aber die Umgehungschancen sind groß, man braucht sich nur in den Dorf-und Großstadt-Kneipen umzusehen, in denen Abend für Abend die selben Kapeiken am Tresen hocken, sich gegenseitig die Welt erklären und Freundschaft fürs Leben schließen. Die deutsche Schlagerkultur („Sieben Fässer Wein“, „Einer geht noch“, ) und zahlreiche Alltagsweisheiten („Auf einem Bein kann man nicht stehen“) feuern den Alkoholkonsum noch an.

Es kann als weiterer Hinweis auf die Komplexität der Drogenwirkung im Spannungsfeld von Set und Setting interpretiert werden, dass trotz einem Jahrhundert intensiver Erforschung der Alkoholabhängigkeit die Therapie derselben weiter schwierig bleibt (s. Interview mit dem Suchtforscher Andreas Heinz).

Laaaaangweilig: Geschichtsstunde

Zurück in der Zeit. Der Alkohol schaffte es als Wein und damit „Blut Jesu“ in die christliche Mythologie, in den griechischen Mythen galt Dionysos nicht nur als Gott des Weines, sondern auch der der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Der Alkoholrausch galt als kleine Vorwegnahme der Unsterblichkeit, eine Vorahnung des ewigen Lebens. Vom Mittelalter bis in die Neuzeit wurden dem Wein magische Kräfte zugesprochen, er wurde als Heilmittel gegen jedwede Wehwechen und ernsthafte Krankheiten eingesetzt. Die therapeutische Breite schien unerschöpflich. Bis in die 80er Jahre des letzten 20. Jahrhunderts hinein erhielt jeder Matrose in der englischen Marine täglich eine Portion Rum (rund 100 ml).

Im Mittelalter gehörte das maßlose Trinken zum Bürgeralltag, wer es sich leisten konnte, der soff. Mit der Rationalisierung des Lebens änderte sich ab dem 16. Jahrhundert auch die Einstellung zum Alkohol, die Obrigkeit setzte vermehrt auf Alkoholverbote, die immer auch im Zusammenhang mit den Luxusverboten standen, wie Kleiderordnungen, Verboten von bestimmtem Schmuck, teuren Kutschen und vergoldeten Möbeln. Religiöse Strenge und Abstinenz bedingen sich bei den christlich geprägten Religionen. Gleichwohl galten gerade die Mönche als Vorreiter des Suffs und der Völlerei.

Die Zwanghaftigkeit, die vom Alkoholismus ausgeht, wurde lange Zeit nicht gesehen, bis ins 18. Jahrhundert hinein galt es als freie Entscheidung des Trunkenboldes sich tagtäglich die Birne dichtzuknallen. In Amerika und Europa wurde der Alkohol im 19. und 20. Jahrhundert zum Sündenbock für alle möglichen schlechten Verhaltensweisen des Menschen. Die Mäßigkeitsbewegung radikalisierte zur Prohibition. In den USA gab es erste Verbote in einigen Bundestaaten bereits in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Nahezu alle wurden nach ein paar Jahren widerrufen. 1869 gründete sich dann die „Prohibition Party“ (die bis heute existiert!), es kam zu (heute noch üblichen) seltsamen Bibelauslegungen und schließlich zur berühmten Prohibition von 1919-1933.

Der Alkoholkonsum der Arbeiterklasse ging daraufhin tatsächlich zurück: sie konnten sich den teuren Schwarzmarktschnaps nicht leisten, zugleich tranken der Mittelstand und die Jugendlichen soviel wie nie zuvor; die Mafia entstand. Es war weniger der Aufstand der Massen, als vielmehr ökonomische und juristische Zwänge, die zur Aufhebung der Prohibition im Jahre 1933 führten. Viele Großunternehmen wie Cadillac, General Electric, Boeing und die Southern Pacific Eisenbahngesellschaft glaubten, dass durch die Wiedereinführung der Getränkesteuer ihre Einkommensteuer gesenkt werden könnte. Dazu kam eine um sich greifende Missachtung der Pohibitions-Gesetze, die langsam auf andere Bereiche übergriff. Der Respekt vor dem Recht sank.

Initiation

Will man den Wert einer Droge an den Initiationsriten festmachen zeigt sich in der westlichen Welt ein Phänomen: Die Einführung in den Alkoholrausch besteht meist aus einem dreiphasigen Lall-, Taumel- und Kotzereignis.

Wer dagegen von den guten Seiten des Alkohols sprechen will, der spricht vom Wein. Noch heute trinken in Frankreich die Menschen durchschnittlich sechs Gläser am Tag und leben trotzdem lang; diese Geschichte durchstreift die Weinstuben der deutschen Republik genauso häufig wie die von der niedrigen Herzinfarktquote unter den Franzosen. baccus

Wein, das bedeutet heute eine enorm diversifizierte Kultur, die sich zwischen den beiden Enden Genuss und Sucht entfaltet. Sie variiert vom Tetrapack bis zum Luxusgut. Weinkeller, Dekantierflaschen, Degustation, Weinführer, Weinzeitschriften: Das Brimborium rund um den gegärten Traubensaft könnte als gute Matrize für die Eingliederung des Rauschhanfs und seiner Produkte dienen. Es ist die eingehende Beschäftigung mit der psychoaktiven Substanz, die Liebe zum Objekt, die Kenntnis von Wirkung und Nebenwirkung, das liebevolle Stapeln von Flaschen im Weinregal oder später Weinkeller, die einem Missbrauch der Droge vorbeugt, besser gesagt: vorbeugen kann.

Neben den wichtigen sozialen und individuellen Faktoren steigt die Gefahr in ein Abgleiten in die Abhängigkeit mit der Radikalität der Dareichungsformen und Einnahmetechniken. Sicher, die Dosis macht das Gift und auch gebrannte Schnäpse können ebenso wohldosiert wie Wein werden, dies setzt aber mehr Erfahrung voraus. Die meisten älter werdenden Jugendlichen verstauen das 80 Zentimeter Bong aus gutem Grund irgendwann im Schrank und setzen auf mildere Formen der THC-Aufnahme.

Der Deutsche Brauer Bund weist in einem Gutachten auf die vielen positiven Eigenschaften hin, die der Alkohol hat. Für den Chef des Brauerbundes, Richard Weber, ist Bier ohnehin kein Sucht-, sondern ein Genussmittel. Er sagt: „Wir sind Bierbrauer, keine Drogendealer“. Genau in diesem Punkt irrt er.

Die Bayern pochen seit Jahrhunderten auf ihren Suff, für sie ist der niedliche Gerstensaft in erster Linie ein „Lebens-“ besser noch „Grundnahrungsmittel“. Sie haben es geschafft. Dazu argumentieren die Hersteller mit Zahlen: Man gebe im Jahr rund 562 Millionen Euro an Werbegeldern in Deutschland aus, von den 200.000 Arbeitsplätze mal ganz abgesehen. Es ist dem Druck dieser Lobby zu verdanken, dass bisher keine weitreichenden Verbotsmaßnahmen umgesetzt werden. Aber der Fall des Rauchverbots zeigt: der Alkoholindustrie könnten schwere Zeiten bevorstehen. Eine potentielle Fremdgefährdung in Folge von Alkoholkonsum, gegenüber der die Gefahren des Passivrauchens vergleichsweise harmlos erscheinen, ließe sich hier ob im Straßenverkehr oder durch alkoholbedingte Straftaten problemlos an Hand von Statistiken belegen.

Die vielen Varianten des Alkohols werden derzeit jedoch überwiegend als Nahrungs- und Genussmittel akzeptiert, die heil- oder unheilvolle Wirkungen im Kräftespiel von Dosis, Individuum und sozialem Umfeld entfalten. Dahin sollten es eigentlich auch mehr der anderen und viel diskutierten Drogenzubereitungen schaffen. Denn die Zunahme an Verboten führt immer tiefer in eine repressive Gesellschaftsform hinein; vielleicht werden die Tabaknutzer tatsächlich bald zu den „neuen Junkies“, wie Günther Amendt vermutet. Eine freiere Gesellschaft bräuchte für die vielen Verlockungen die Bereitschaft zur Entwicklung vernünftiger regelmäßig an die aktuellen Umstände angepasster Konsumregeln, die nicht pauschal in Ignoranz gesellschaftlicher Realitäten mit staatlicher Autorität durchgeprügelt werden, sondern ein breites Spektrum im Feld von spirituellen Ritualen wie bei Ayahuasca, über Weindegustationen an der Mosel, schicken Whiskyverkostungen in den Städten bis zu rammelnden Techno-Festen abdecken.

 

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Bruno Martin

Hanfblatt, Nr. 109

Langsame und plötzliche Evolution

Jörg Auf dem Hövel & AZ

Interview mit dem Buchautoren und 68er-Veteranen Bruno Martin

Der Zeitgeist ist sich uneinig über die positiven und negativen Anschübe der 68er-Ära. Der Autor und Gurdjieff-Experte Bruno Martin erzählt im Interview über den suchenden Elan der damaligen Zeit, die psychoaktiven Türöffner und die göttliche Evolution.

Geboren 1946 in Karlsruhe wuchs Bruno Martin in einem linksliberalen Elternhaus auf. Nach einer kaufmännischen Ausbildung zog er nach München, wo er 1966-68 Politikwissenschaft studierte und aktiv an der linken Studentenbewegung beteiligt war. Es folgte eine lange Reise nach Indien, später verschlug es ihn nach England, wo er in der „Akademie für lebenslanges Lernen“ des britischen Mathematikers John G. Bennett studierte. Zurück in Deutschland gründete er Mitte der 70er Jahre einen Buchverlag und gab viele Jahre das New-Age-Magazin „Hologramm“ heraus. Obwohl ihn seine Familie mit vier Kindern viel in Anspruch nahm, begann er neben seiner Verlags- und Übersetzertätigkeit eigene Bücher zu schreiben, das bekannteste wurde das „Handbuch der spirituellen Wege“, das er 2005 zu einem „Lexikon der Spiritualität“ weiterentwickelte. Im Herbst erscheint nun im wiederbelebten Sphinx-Verlag sein neuestes Werk „Intelligente Evolution“, in dem er auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zeigt, wie eine schöpferische Kraft die Evolution vorantreibt und das Leben kreativ weiterentwickelt. Er versucht mit vielen spannenden Fakten zu belegen, dass der materialistische Darwinismus als überholt gelten kann.

Frage: Es ist viel über die Zeit der 1960er Jahre, ihre persönliche und gesellschaftliche Wirkung geschrieben worden. Neben den positiven Prozessen bedeutete es für viele eine geistige Transformation, aber auch ein Verheddern, entweder in ideologische oder aber in esoterische Gefilde. Marxismus oder Leary, waren das wirklich Alternativen? Wenn Du den Blick zurück wendest: Welche Strukturen förderten einen konstruktiven Umgang mit den Dynamiken?

Bruno Martin: Es war kein sensitives Feld dafür vorhanden, es war Neuland. Will man die Geschichte von vorne beginnen zu schreiben, muss der theoretische Marxismus erwähnt werden, denn damit fing es bei den meisten an.

Frage: Bitte.

Bruno Martin: Ich war in der Studentenbewegung in München aktiv. Asta-Besetzung, Anti-Springer-Demonstrationen, Druck und Verteilung von Flugblättern. Eine sehr politische Zeit, im Kern anti-religiös, auch ich war aus der Kirche ausgetreten. Von diesem Standpunkt aus informierte ich mich über den Anarchismus und lebte in einer Wohngemeinschaft. Zu dieser Zeit, es war 1969, schneite eine Hippie-Kommune in unsere Wohngemeinschaft rein, der habe ich mich dann angeschlossen, denn das politische Engagement war mir vom Lebensgefühl her ohnehin nicht mehr radikal genug. Der Kommunismus war mir suspekt geworden, die autoritären Strukturen wurden schon sichtbar.

Frage: Das war auch die Zeit, in der du mit psychoaktiven Substanzen in Berührung kamst?

Bruno Martin: Zunächst wurde gekifft. Zu Marcuse, Freud und Wilhelm Reich gesellte sich Carlos Castaneda. So kam es zum langsamen Abwenden vom Allgemeinpolitischen und zum Aufbrechen der persönlichen Strukturen. Es war klar, dass man erst einmal bei sich selber anfangen muss, bevor man die Welt verändert. 1969, in Köln, nahmen wir dann in der Gruppe die ersten LSD-Trips, die verliefen eher anstrengend. LSD war kaum bekannt, erst ab 1969 gingen mehr Menschen auf den Trip. Die Yellow-Sunshine-Trips kamen auf den Markt, sehr rein, 250 Mikrogramm. Nach zwei, drei Trips habe ich die kosmische Dimension entdeckt – oder sie mich. So kam zur politischen und psychologischen Ebene eine spirituelle hinzu.

Frage: Die Suche begann?

Bruno Martin: Sie führte Richtung Indien, ich suchte eine fundierte spirituelle Ausbildung. Von Delhi aus reiste ich sofort auf die Vorgebirge des Himalaja und habe mir dort auf zweieinhalbtausend Metern eine Hütte gemietet. Fünf Mark im Monat hat die gekostet. Dort habe ich meditiert. Ein paar Kilometer entfernt hatte Lama Govinda sein Zentrum, bei mir in der Nähe wohnte im Wald ein alter Einsiedler. Ein Däne, 80 Jahre alt vielleicht, er nannte sich Sunyata. Bei ihm erfuhr ich die Lehre der Advaita-Vedanta – die letztlich sagt, dass die Welt weder existiert noch nicht existiert… Dann las ich „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ von Pjotr D. Ouspensky, das bot eine Art von wissenschaftlicher Spiritualität. Das führte direkt zum Interesse an einer Gurdjieff-Schule.

Frage: Warum kehrtest du nach Deutschland zurück?

Bruno Martin: Wahrscheinlich, weil meine wissenschaftliche Prägung doch zu stark war, die indische Lebensweise wirkte auf Dauer zu schwammig auf mich. In den Lehren von John Bennett, einem Mathematiker und Physiker, der ein Schüler von Gurdjieff war, fand ich eine neue Orientierung. Er hat den Begriff des „lebenslangen Lernens“ in unser Bewusstseinsfeld gebracht.

Frage: Bis dahin war die spontane Erleuchtung verlockender gewesen?

Bruno Martin: Sein Training spielte mit Spontaneität und Struktur. Ein Jahr lang ging ich in England in diese „Schule des Augenblicks“, danach gründete ich eigene Gruppen, um noch mehr zu lernen.

 

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Frage: Welchen Inhalt würdest du dem Begriff der „Naivität“ in diesem Zusammenhang einräumen?

Bruno Martin: Wir waren nicht naiv. Die politische Bewegung hat uns eher intellektualisiert, später kam die Neugierde dazu. Man musste Mut haben, um beispielsweise LSD zu nehmen. Wie Nietzsche sagte: „Man muss Künstler genug sein, um der Wahrheit ins Auge zu sehen.“ Jugendliche heute, die können schon auf einen gewissen Erfahrungsschatz zugreifen. Zugleich ist der Umgang mit der Droge in gewisser Hinsicht heute viel naiver. Da sind wenige, die ein kosmisches Bewusstsein anstreben. Das Empfinden wirkt oberflächlicher.

Frage: Schwer zu sagen. Die junge Generation ist extrem gesättigt von den visuellen und akustischen Arbeiten und Phantasien anderer Menschen. Ego-Shooter, Matrix, MTV. War die Zeit damals nüchterner, vielleicht sogar grauer, so dass der Bruch durch das LSD-Erlebnis viel intensiver war?

Bruno Martin: Sicher. Der Weg nach Innen ist heute viel schwerer. So dienen LSD oder andere Substanzen oft nur als Verstärker der künstlichen Welten.

Frage: Dazu Pappmachezwerge und Schwarzlicht-Konstrukte, der „Film“ ist eigentlich schon fertig.

Bruno Martin: Das zeigt, dass unser Bewusstsein diesen „Film“ selber erschafft und gestaltet. LSD ist nur ein Türöffner, ein Auslöser. Die Absicht ist dann das Entscheidende. Als Beispiel: Walking kann als reine Fitness-Variante oder eben als meditativer Vorgang verstanden und ausgeführt werden. In einem guten Trip verlässt man die Subjektivität und geht in die Objektivität. Dann trennt man nicht mehr zwischen sich und den Dingen, die Ganzheitlichkeit kommt. Aber diese Mystik ist nur schwer in Worte zu fassen.

Frage: Erlebnisse von Einheit mit Allem sind immer wieder beschrieben worden, meist in Zusammenhang mit Meditation.

Bruno Martin: Als die spirituellen Wege entstanden, waren und blieben sie auch die Ausnahmen. Die Leute sind in die Einsamkeit, später ins Kloster gegangen. Askese, Fasten, Singen, Beten, Arbeiten. Es war ist ein langer, fruchtbarer Weg bis zur Schau der Ganzheit. Damit dieser Weg nicht austrocknet, kann es aus meiner Sicht durchaus gut sein, ihn ab und zu aufzufrischen.

Frage: Wie?

Bruno Martin: Eben auch mit psychoaktiven Substanzen. Wer beispielsweise zehn Jahre lang einen buddhistischen Weg gegangen ist, dem kann ein LSD-Trip eine neue Perspektive geben, die natürlich eine alte ist. Es können dann Dinge geschehen, die man bis dahin nur kurz erheischt hat. Danach weiß man wieder, wohin es geht und warum man überhaupt an sich arbeitet. Klar, wer sich in diesem Zusammenhang nur auf Drogen verlässt, dem geht die Stabilität des Wesens ab, denn die ist nur durch Jahre währende Praxis erreichbar. Ich würde schon unterscheiden wollen zwischen dem Aufwachen und der momentanen Erleuchtung und dem dauerhaften Seinszustand. Ich habe nach den einschneidenden 68er Erfahrungen lange keine Entheogene mehr genommen und Energiearbeit, Bewegungsübungen und Meditation praktiziert. Als ich dann Mitte der 90er wieder auf einen Pilz-Trip ging war die Erfahrung eine andere: Viel stabiler, es hatte eine zusätzliche Qualität und Tiefe, die ich früher nur ahnte. Ich sah die Welt wie sie ist, im Sinne von William Blake.

Frage: Als Gefahr für die Psyche hast du das nie empfunden.

Bruno Martin: Nein. Sicher gibt es die, es fehlt an der Kultur und dem Wissen. Die Leute müssen verrückt sein, bei einer Party zehn Ecstasy-Pillen zu schlucken oder literweise Alkohol zu trinken. Davon wird man nicht schlauer, nur krank. Im Grunde müsste man Kurse anbieten, in denen man lernt, wie man mit psychoaktiven Substanzen umgehen kann. Die müssten von Leuten gegeben werden, die Erfahrungen damit haben – und die gibt es ja. Das wäre sinnvoller als das momentane Verbot und der Verlust der spirituellen Dimension. Aber die ist vielleicht gar nicht gewünscht.

Frage: Ein Hauch von Magie muss meist ausreichen, eine sanfte Überwältigung.

Bruno Martin: Ich meinte eher politisch nicht erwünscht. Die Integration der 68er Zeit ist ja weitgehend vollzogen, nur die drogenpolitischen und spirituellen Dimensionen will man nicht angehen.

Frage: Ein Fahrplan für die psychedelische Erfahrung war ab den 60er Jahren das „Tibetanische Totenbuch“, eine von Timothy Leary und anderen herausgegebene Neuformulierung eines ursprünglich aus dem 8. Jahrhundert stammenden Werkes. Darin wird der Prozess des Sterbens und der Wiedergeburt sowie die Möglichkeit, aus diesem Kreislauf auszubrechen, auf den LSD-Trip angewandt. Ist das in der Rückschau nicht eine enorm suggestive Beeinflussung, die so manchen Trip in seltsame Bahnen geleitet hat?

Bruno Martin: Ich habe das Buch damals übersetzt und das nie so empfunden. Die Bardos, diese Zwischenzustände zwischen zwei Leben, habe ich nie als Todeserfahrungen interpretiert, sondern als Stufen der inneren Erfahrung auf dem Weg zum Licht. Starke Bilder von Türwächtern, wie dem Gott der Weisheit, der seine Zähne fletscht und dich zunächst abschreckt. Diese Illusionen können abgelegt werden, dann kommt man in die interessanten Dimensionen der Erleuchtungserlebnisse.

Frage: Das ist für jemanden, der bereits eine psychedelische Erfahrung gemacht hat, vielleicht ein probates Mittel. Für jemanden ohne Ahnung ist dieser fremde Film doch eher einschränkend, vielleicht sogar anstrengend.

Bruno Martin: Es geht um die grundsätzliche Erfahrung auf einem Trip, die oft mit verschiedenen Geistwesen beziehungsweise psychischen Zuständen einhergeht. Wenn ich nun durch ein Buch weiß, weshalb diese erscheinen, dann ist mir schon geholfen. Man tastet sich von einer Illusion zur nächsten, wenn man Glück hat, bis alle Täuschungen aufgelöst sind. Nebenbei bemerkt koche ich mein Essen auch nicht nach Rezept. Aber in einer Zeit, in der noch kaum ein Bewusstseinsfeld existierte, war das „Bardo Thödol“ in der Fassung von Leary eine der wenigen Möglichkeiten, geleitet durch einen Trip zu gehen. Nach den Lehren der tibetischen Lamas löst sich der Körper schrittweise auf, so dass mit dem Zerfall der äußeren Wirklichkeit im Augenblick des Todes der wahre, leuchtende Geist erfahren wird.

Frage: Wie muss man sich ein Bewusstseinsfeld vorstellen?

Bruno Martin: Wir leben in verschiedenen Feldern. Auf der kleinsten Ebene existieren Quantenfelder, also schwingende Einheiten, die Materie und Energie zugleich sind, zudem unbestimmt in ihrem Ort. Aus ihnen bilden sich Atome und das, was wir als feste Materie wahrnehmen. Auf der nächsten Ebene existiert die Biosphäre, mit allen Pflanzen und Tieren. Auch die Atmosphäre kann als Feld bezeichnet werden. Über die Luft sind wir mit allen anderen Lebewesen verbunden. Es wird uns erst langsam klar, wie eng wir mit diesen ganzen Feldern verwoben und wie abhängig wir von ihnen sind. Wenn ich ein paar Minuten nicht atme, bin ich tot. Das Bewusstseinsfeld ist nun das Feld, in dem die sensitiven und bewussten Informationen, die von uns erlebt werden, existieren und gespeichert werden. Es gibt den Begriff der Meme, also die Vorstellung von der Übertragung von Ideen nach einem Prinzip ähnlich wie bei den Genen. Die Meme nutzen das Bewusstseinsfeld, um sich zu verbreiten. Momentan haben die ideologischen Meme wohl die Oberhand gewonnen.

Frage: Das Bewusstseinsfeld ist immateriell?

Bruno Martin: Da kommen wir auf den Punkt. Das elektromagnetische Feld der Quantenphysik ist auch kein materielles Feld und gleichwohl real. Dieses Energiefeld wird zusammengehalten und verknüpft durch Information, also Geist. Das Bewusstseinsfeld liegt nicht außerhalb der Naturgesetze, sondern ist – wie alles – eng mit den anderen Feldern verwoben. Die wenigsten können sich vorstellen, dass es so etwas wie feste Materie im Grunde gar nicht gibt. Nun, mit etwas Trip-Erfahrung kann man sich das vorstellen.

Frage: Und Spiritualität ist die Praxis der Modifikation des Bewusstseinsfelds?

Bruno Martin: Ja, spirituelle Arbeit besteht darin, das eigene, schwingende Energiefeld homogen zu machen. Dies ist ein individueller Vorgang, denn jeder arbeitet spezifische Qualitäten in seinem Leben aus. Es ist durchaus möglich, dass dieses Energiefeld vom eigenen Bewusstsein zusammengehalten wird und mit dem größeren Bewusstseinsfeld zusammenwirkt, so wie die Luft auch immer wieder ausgetauscht wird. Vielleicht wird auch die Information ausgetauscht, so dass Leute Reinkarnationserlebnisse haben. Man darf das nicht zu persönlich sehen.

Frage: Welche Rolle spielt die Evolution in diesem Kontext?

Bruno Martin: Die Natur ist enorm komplex aufgebaut und jedes kleinste Insekt spielt eine Rolle in der Biosphäre. Das Ganze muss sich irgendwie selbst organisieren. Da kommt die Intelligenz ins Spiel: denn Selbstorganisation geht nicht automatisch. Es sind einfach zu viele Variablen im Spiel. Diese Intelligenz ist aber nicht von Anfang an allwissend, sondern ist mit der Evolution gewachsen, genauso wie wir dazu lernen, wenn wir älter werden. Schon in den ersten Quantenfeldern existierte eine kreative Triebkraft voller Experimentierlust, die sich in Richtung der Erschaffung von Leben entwickelt hat. Der Begriff der „intelligenten Evolution“ drückt das gut aus. Wenn wir genauer hinschauen sehen wir, dass komplexe Dinge nicht rein mechanistisch aus einfachen Bauteilen entstehen können. Es ist mir nicht weiß zu machen, dass beispielsweise einfache Bakterien sich irgendwann zufällig zu neuen Zellen mit Zellkernen entwickeln, in denen ein ausgeklügelter genetischer Code mit 3 Milliarden Buchstaben auf Nano-Ebene enthalten ist, und dieser Prozess dann nach Milliarden von Jahren bei Säugetier-Zellverbänden und den 50-100 Billionen Zellen des Menschen endet. Da wurde viel kreativer Schweiß vergossen.

Frage: Das Zusammenspiel ist aus deiner Sicht zu komplex, um nur auf Zufall, Anpassung, Mutation und Notwendigkeit zu basieren?

Bruno Martin: Der Darwinismus ist heute schon wieder zur Religion geworden. Keiner traut sich, auszutreten. Die meisten Ergebnisse aus den verschiedenen wissenschaftlichen Fachgebieten werden nur selten interdisziplinär zusammengetragen. Jede Fachrichtung produziert nur winzige Bausteine. Doch keiner der Wissenschaftler spielt mehr Lego damit. Ich habe in meinem Buch versucht, die Legosteine zu einem Hundertwasser-Haus zusammenzusetzen.

Frage: Und das Ergebnis?

Bruno Martin: Das Ergebnis ist: Die Dinge sind so eng miteinander verknüpft, dass mechanistisch-materialistische Erklärungsmuster zu eindimensional sind, wenn man verstehen will, wie Evolution funktioniert. Das Ausmaß des Zusammenspiels ist so groß, dass diese Ordnung ohne eine systemimmanente Intelligenz nicht vorstellbar ist. Das geben inzwischen auch Genforscher zu, die sagen, dass unser Genom ein hochkomplexes, verwobenes Netzwerk ist, das nicht mechanistisch erklärt werden kann. Die genauen Informationsübertragungswege dieser Intelligenz sind noch nicht bekannt. Aber so viel steht aus meiner Sicht fest: Da sitzt kein alter Herr mit einem weißen Bart und einem Kamm in der Jackentasche und steuert das Ganze; der Verlauf ist nicht determiniert.

Frage: Wie hängen nun Evolution und Bewusstseinsfeld zusammen?

Bruno Martin: Evolution ist meiner Meinung nach ein großes Experiment. Alle späteren Lebensformen haben von den vorherigen etwas Neues gelernt. Nun sind wir an einem Punkt angelangt, in dem wir Menschen unsere eigene innere Entwicklung in die Hand nehmen müssen und auch können. Die Intelligenz in der Evolution hat sich vielleicht deshalb im Menschen verkörpert, um ihre wunderbare Schöpfung selbst sehen zu können. Das ist auch eine der Lehren aus den 60er Jahren: Das menschliche Bewusstsein kann sich weiter entwickeln. Es reicht nicht aus, sich bequeme äußerliche Umstände zu schaffen, in der die Maschinen alle Arbeit übernehmen und immer mehr Müll produzieren. Aber diese Bewusstseinsentwicklung ist kein automatischer Vorgang, sondern es existieren nur Anlagen und Möglichkeiten. Wenn wir mit diesen Potenzialen nichts Vernünftiges anstellen und nur Unterhaltungselektronik produzieren, dann geht die Menschheit unter. Vielleicht hilft der Klimaschock ja.

Frage: Was ist der nächste Schritt?

Bruno Martin: Die Bildung von intelligenten Netzwerken auf Bewusstseinsebene. Das Internet ist ein Vorläufer davon und ein gutes Beispiel für die positive Kraft, die ein Netzwerk entfalten kann. Man muss andererseits aber auch in der Lage sein, sich zurück zu ziehen und sich der ständigen Verdrahtung zu verschließen. Der Mensch darf nicht zum Zwischenstück zwischen elektronischen Maschinen und Spielzeugen werden. Ich will keinen Chip im Gehirn.

Frage: Bleibt die Frage nach dem Sinn.

Bruno Martin: Ich sehe wenig Sinn in der Jenseits-Dimension, keiner weiß, was nach dem Tod kommt. Ich bin mir jedoch sicher, dass meine individuelle Entfaltung, meine eigene Melodie, die ich während des Lebens komponiert habe, im Bewusstseinsfeld erhalten bleibt, und ich so möglicherweise auch allen anderen Lebewesen nützen kann, weil die so auf Informationen der vorherigen Generationen zurückgreifen können. Und zugleich wird das persönliche Leben auch intensiver und tiefer. Ich möchte schlauer gehen, als ich gekommen bin. Es ist einfach auch eine spannende Forschungsreise, wenn wir selbst nach dem Sinn suchen. Und der entfaltet sich mit der Suche. Vielleicht entdecken wir, dass wir selbst der Sinn sind.

Literatur:
Bruno Martin
Intelligente Evolution
München 2007
Hugendubel/Spinx
Erscheinungsdatum: 9/2007
Hardcover 384 Seiten
ISBN: 3-7205-9003-8
Preis: 22,00 EUR

 

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Mixed

Chinas Gegner – Robert Enke und der Hundefellhandel

dogs 6/2007

In China hergestellter Hundepelz landet auch an deutschen Anoraks. Die Tierschutzorganisation PETA und der Bundesligatorhüter Robert Enke kämpfen dagegen.

Jörg Auf dem Hövel
Es gibt durchaus Leute, die verstehen die Aufregung nicht. „Wir fragen uns schon, warum Zeit und Ressourcen für einen Gesetzgebungsprozess zur Einführung eines Handelsverbotes verschwendet werden, wenn es diesen Handel gar nicht gibt.“ Die Dame, die so spricht, ist Susanne Kolb-Wachtel, Vorsitzende vom „Deutschen Pelz Institut“ in Bonn. Ihr Stein des Anstoßes: Das nun schon Jahre währende Bemühen des EU-Parlaments, die Einfuhr von Hunde- und Katzenfell in die Europäische Union zu verbieten. Denn in Asien, vor allem aber in China, existieren nachweislich offene Märkte, auf denen das Fell frisch getöteter Hunde und Katzen angeboten wird. Wie viele davon in die EU und nach Deutschland gelangen ist unklar, fest steht, dass in den letzten Jahren in Einzelfällen schon Pelzbesatz aus Hundefell auch in deutschen Kaufhäusern entdeckt wurde.

Kolb-Wachtel sieht gleichwohl kein Grund für ein Importverbot. Die internationale Pelzbranche hat ein System zur Kennzeichnung aller Pelzwaren ins Leben gerufen, die Etiketten weisen die handelsübliche Bezeichnung des verwendeten Pelzes sowie die wissenschaftliche Bezeichnung in lateinischer Sprache auf. Nur leider ist der globale Handel von den Maßnahmen der deutschen Kürschner beeindruckt, Hundefell wird weiterhin aus China in die Welt und über Umwege auch nach Deutschland exportiert. So gelangt es unbemerkt als Taschen-Innenfutter, Handschuh oder sogar Möbelbezug in deutschen Haushalten.

Einer, der die Aufregung daher durchaus versteht, sitzt in seinem Bauerngarten in der Nähe von Hannover und streichelt die langen Stehohren seines Podencos „Pincho“. Robert Enke, Torhüter von Hannover 96 und einer der besten Torhüter der Fußball-Bundesliga, hat die TV-Bilder und Berichte aus China noch in schlechter Erinnerung. Die Tierschutzorganisation PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) und der Filmemacher Manfred Karremann hatten erstmals 2005 einen Tiermarkt in Guangzhou im Süden Chinas aufgesucht und Aufnahmen mit nach Hause gebracht, deren drastische Brutalität bei ihm bleibenden Eindruck hinterließ.

Die Tiere wurden in winzigen Drahtkäfigen zum Markt transportiert. Schon beim Abladen der Käfige nahm man Knochenbrüche in Kauf. Nach der tierschutzwidrigen Haltung wurden die Tiere meist qualvoll getötet, eine vorherige Betäubung fand nicht statt. Es gab Aufnahmen, die zeigten, wie Hunde wie Katzen bei lebendigem Leibe enthäutet wurden. „Mir tut das körperlich weh, solche Bilder zu sehen“, sagt Enke.

Schnell fiel der Entschluss bei Enke und seiner Frau Teresa sich für ein Ende dieser Quälerei einzusetzen. Enke stellt sich seither immer wieder für Kampagnen von PETA zur Verfügung. Das dies keine Lippenbekenntnis eines Promis mit Geltungsdrang ist, zeigt das Leben des Ehepaars mehr als deutlich. Man hält acht Hunde, zwei Katzen und ein Pferd auf dem kleinen Hof im Dörfchen Empede. „Wie alle diese Hunde zu uns kamen, das ist eine Geschichte für sich“, schmunzelt Enke. Eine Geschichte die zeigt, wie eng das Schicksal der Enkes an ihre Vierbeiner geknüpft ist.Zeitsprung in das Jahr 1996. Robert Enke, damals gerade 19 Jahre alt, hat einen Angebot vom Bundesliga-Erstligisten Borussia Mönchengladbach erhalten. Eine enorme Chance. Für ihn und seine seine Freundin Teresa bedeutet das den Umzug aus der vertrauten Umgebung in Jena nach Gladbach. „Als Kind war in unserer Familie an einen Hund nicht zu denken“, erinnert sich Enke, „das war zum einen im Plattenbau schwer zu realisieren, zum anderen in der DDR ohnehin eher unüblich.“ Teresa dagegen ist mit Tieren aufgewachsen, bringt als Kind oft Tiere mit nach Hause, rettet Vögel und einmal sogar ein krankes Rehkitz.

Trotz der kleinen Wohnung in Gladbacher Neuwerk-Viertel keimt der Hundewunsch in beiden auf. Das städtische Tierheim zeigt sich kompliziert, ein Züchter kann mit einem Mischling helfen, sein Name: Bo.
Die Saat war gelegt. Ein zweiter Kanide sollte dem ersten Gesellschaft leisten, zugleich wollte man dieses Mal einem herrenlosen Hund eine neue Heimat geben. Es wurde Kontakt zu einem lokalen Tierheim aufgenommen, so kam Alamo ins Haus. Ein Hund, der trotz eines Auftrittes bei „Tiere suchen ein Zuhause“ unvermittelbar erschien. „Ein behinderter Jagdhund mit dreieinhalb Beinen“, wie Enke bitter bemerkt. „Wahrscheinlich ein Verkehrsunfall.“ Die Erziehung des Hundes war ungewohnt, die Enkes waren unerfahren. „Da haben wir Fehler gemacht“, gibt er zu. In der Mietwohnung wurde es gemütlich, man könnte auch sagen eng.

Lissabon

Drei Jahre später. Enke ist mit 22 Jahren noch immer der jüngste Torwart der Liga, die Fachwelt ist von der Mischung aus schnellen Reflexen und der für sein Alter außergewöhnlichen Souveränität begeistert. Aber Gladbach steigt ab, Enke möchte nicht mit in die zweite Liga und wechselt gemeinsam mit Trainer Jupp Heynckes nach Lissabon. Ein Traumjob, Benfica ist einer der europäischen Spitzenclubs, Robert Enke muss zugreifen. Er sorgt für neuen Rückhalt in der Mannschaft, wird Kapitän, ist Publikumsliebling.

Aber das Leben in Lissabon zeigt den Enkes, welchen niedrigen Stellenwert Hunde in einer Gesellschaft haben können. Die Haushälterin hält sich einen Hund, der verdreckt und ausgemergelt an einer zwei Meter langen Kette die Umgebung rund um seine Hütte erkunden darf. „Kein schöne Anblick“, erinnert sich Enke. Man holt die Mischlingsdame „Leao“ (span: Leão) regelmäßig ins Haus, um sie von Zecken zu befreien und zu säubern. „Aber nach einer Woche sah der Hund wieder genauso aus.“ Die Entscheidung fiel nach ein paar Monaten, man kauft die Hündin. „Die ist bis heute die Chefin hier.“

So kommen nach und nach immer mehr Hunde in den Haushalt. Zunächst „Hexe“, ein Straßenhund, später Oscar und Branca. In einer städtischen Hunde-Auffangstation entdeckt man einen Mischling, der sich kaum auf den Beinen halten kann. Wieder schlägt die Hundeliebe zu, man tauft ihn „Balu“. Ursprünglich ist eine Vermittlung nach Deutschland geplant. Ein unmögliches Unterfangen, der Hund hat die Staupe. Das Fieber steigt bis auf 41 Grad Celsius an, Balu hat keinen Appetit und bleibt apathisch. Den Enkes steht ein Problemfall ins Haus, es ist klar, das das erkrankte Tiere nur mit strikter Hygiene zu retten ist. Zudem muss die Ansteckung der anderen Hunde vermieden werden. Die virale Infektion wird aufwendig mit Serumantikörpern behandelt, gegen die Begleiterkrankungen werden Infusionen und Antibiotika eingesetzt. Balu erholt sich.

Damit ist die Hundefamilie der Enkes aber noch nicht komplett. Die Sprachlehrerin der Familie stößt eines Tages auf einen gerade angefahrenen Welpen. So kommt „Vincent“ zu den Enkes. Mindestens zehn Knochenbrüche in dem kleinen Körper, der Tierarzt rät dazu nicht einzugreifen. Tatsächlich verheilten die Brüche von alleine und Vincent entwickelt sich zum quirligen Mittelpunkt des Rudels.

Familiäre Idylle und sportliche Leistung beeinflussen sich positiv, Enke gilt im Jahr 2001 als einer der besten Torhüter Europas. Nur in Deutschland erhält die Leistung des Torwarts wenig Aufmerksamkeit. Fußball-Deutschland horcht erst auf, als Enke ein Angebot des FC Barcelona erhielt. Nach 77 Spielen für Benfica wechselte Enke 2002 zum spanischen Verein. Er ist damit der ersten deutschen Spieler seit Bernd Schuster, dem dieses Privileg zuteil wird.

Umzug mit sieben Hunden, die private Aktivität wird für Teresa Enke zur Berufung und sogar zum Beruf: Sie beginnt im Tierheim „Manresa“ zu arbeiten. Dort fällt ihr „Pincho“ auf, der Potenco, der krank ist und ständiger Betreuung bedarf. Das ist im Tierheim nicht zu schaffen, Teresa nimmt ihn mit nach Hause. Bis heute ist der Hund sehr ängstlich, die Enkes vermuten, dass er stark misshandelt wurde.
Sportlich läuft es nicht gut. Enke ist nur die Nummer drei und spielt in zwei Jahren nur in einer Partie. Er wird nach Istanbul und Teneriffa ausgeliehen, die Zukunft ist unsicher. Ein Angebot von Hannover 96 passt in die Familienplanung. 2004 ziehen Familie und Hunde zurück nach Deutschland.

Vor der Fußball-WM 2002 in Japan und Korea fällt bei Robert Enke der Entschluss, sich im Rahmen einer Kampagne von PETA einzusetzen. Unter dem Motto „Kick the ball, not the dog!“ protestiert er auf einem Foto gegen die erschreckenden Haltungs- und Tötungsmethoden für Hunde in Korea. Dort gilt Hundefleisch als Delikatesse. Es sind für Enke aber weniger die Essgewohnheiten, als der grausamen Weg in den Tod, der ihn aktiv werden lässt.

Für eine neue PETA-Kampagne im letzten Jahr stellten sich Enke und seine sieben Hunde ins Tor auf dem Sportplatz in Empede. Der Slogan: „Wir haben nur einen Angstgegner: Pelzträger!“ Seine Worte sind deutlich: „Wer einmal das Leid gesehen hat, wird sich sofort meinem Boykott anschließen. Ich lehne jeden Pelz grundsätzlich ab, und hoffe, dass mir viele Menschen folgen.“

Es dauerte Jahre, aber nun scheinen die Proteste zu fruchten. Beim Verbraucherschutzkommissar der EU, Markos Kyprianou, sind 200.000 Briefe und über 10.000 E-Mails eingegangen, die auf die Zustände in China hinwiesen. Aller Voraussicht nach wird das Verbot für ein europaweites Handelsverbot für Hunde- und Katzenfell am 1. Januar 2008 in Kraft treten.


So können Sie helfen

Die Tierschutzorganisation PETA setzt sich für einen artgerechten Umgang mit Hunden ein. Auf ihrer Webseite kann man auch Aktionen gegen den Hundefellhandel in China unterstützen. Informationen unter www.peta.de oder unter Telefon: 07156 – 178 28 – 0. PETA ist auf Spenden angewiesen, um dem Elend der Tiere ein Ende zu bereiten.

Während der Torwart-Zeit von Robert Enke in Barcelona hat Teresa Enke im Tierheim „Manresa“ gearbeitet. Dieses organisiert den Transport von Hunden von Spanien nach Deutschland. Auf der Webseite werden verschiedene Hunde ausführlich vorgestellt. Informationen unter www.tierheim-manresa.de

Hundefellhandel in China

Hunde aller Arten haben in China einen schweren Stand, ihr Wesen gilt als minderwertig, ihr Fleisch dagegen in einigen Regionen als sehr gesund. Allerdings hat Chinas wirtschaftlicher Aufschwung dazu geführt, dass sich immer mehr Städter Hunde als Haustiere halten. 2006 war nach dem chinesischen Horoskop das „Jahr des Hundes“, es löste eine Hundehalterboom aus. Viele der Hunde wurden später wieder ausgesetzt, in einigen Städten gelten Hunde mittlerweile als Plage. Hundefell gelangt in China auf drei Weisen auf den Markt: Entweder über große Zuchtfarmen oder über das Einsammeln von Straßenhunden. Ein Tierschutzgesetz existiert nicht, die Hunde werden unter erbärmlichen Bedingungen gehalten und meist qualvoll getötet, zum Teil werden sie lebendig gehäutet, bevor das Fell verwertet wird. Nach einer Schätzung der EU lassen alleine in China jährlich nahezu zwei Millionen Hunde und Katzen so ihr Leben.

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Rezensionen

Rezension Max Goldt: Quite Quality

HanfBlatt Nr. 108

Max Goldt: Quite Quality

Als Journalist über ein Buch von Max Goldt eine Rezension zu schreiben, das ist so, als wenn ein Christ über das bisherige Schaffen Gottes urteilen sollte: Vermessen. Oder sehe nur ich das so? Nein, das ist gold(t)ene Wahrheit und vielleicht sollte man tatsächlich ein staatlichen Verbot der Rezension seiner Bücher verordnen, zugleich aber seine Texte zur Pflichtlektüre an deutschen Schulen machen.
Was soll man also überhaupt noch sagen über Max Goldt? Vielleicht: Schande über uns, das Hanfblatt, dem Mann erst in der 108 Ausgabe zu huldigen. Er ist der Herrscher über die deutsche Sprache, viel eindrücklicher, bestimmter und zugleich intelligenter, als es meinetwegen die Sprachpolizisten Wolf Schneider oder Bastian Sick sind. Er ist der Gott der Titanic, ein Meister der Lesung, der Grand Signeur der Groteske. Kein Lob ist zu viel für ihn. Zitate sind nicht erlaubt. Er ist der unfreiwillige Apostel des Kifferhumors. Onkel Max ist der Bewahrer des In-die-Küche-laufens-und-seiner-Freundin-zurufend-“hör-mal-was-er-hier-schreibt“. Alle Bücher lohnen sich, es fing an mit „Ungeduscht, geduzt und ausgebuht“, großartig auch „Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau“.
Nun also „Quite Quality“, das ist laut Max Goldt alles das, was nicht schreit und spritzt, die ruhige Art des Genießens der stillen Güte, vielleicht. Sein neuestes Buch versammelt wieder einmal Texte aus der Frankfurter Monatszeitschrift „Titanic“. Es besteht kein vernünftiger Grund, den Inhalt seiner Beobachtungen hier auszubreiten, lieber seien einige Lesetipps gegeben: 1. Nie mehr als zwei Texte hintereinander lesen. 2. Einen ruhigen Ort wählen, Musik oder TV ausnahmsweise ausschalten. 3. Langsam, aber Sätze nicht zweimal lesen: Flow.
Fazit: Goldt ist der hosentragende Beweis, dass absurder Kifferhumor völlig nüchtern rüberkommen kann. Er schafft die stete Verdoppelung, das Gemotze über das Gemotze, krass ausgefeilt, rein sprachlich gesehen. Und am Ende kommt raus: Das Aufheben des allgemeinen Realitätszorn und dessen Überführung in die bessere Welt sauberer Speisewagen. Es gibt kaum ein wirksameres legales Mittel gegen schlechte Laune. Ach ja, schön ist auch das Lesezeichenbändchen im Buch. Das nenne ich Quite Quality!
Am Ende doch ein Zitat – aus einem seiner seltenen Interviews: „Meine Absicht ist aber überhaupt nicht, die Menschen zum Lachen zu bringen, sondern schöne und elegante Texte anzufertigen, in dem sich die gesamte emotionale Bandbreite menschlichen Lebens darstellt.“ O.k., noch ein Zitat, dieses Mal aber vom Vermesser der Welt, Daniel Kehlmann, der Unrecht hat, wenn er sagt, „Max Goldt gehört gelesen, gerühmt und ausgezeichnet“. Nein, wir wollen ihn nicht der Masse der brüllenden Fanmeilenbesucher ausgesetzt sehen. Er ist doch glücklich, wir auch, was sollte also der Rummel? Und wer ihn bis jetzt nicht bemerkt hat, ist ohnehin doof, dem ist mit einem Fingerzeig wenig geholfen, ein blinder Nachmacher ist der, jawohl. Von daher darf auch diese Rezension ignoriert werden.

Jörg Auf dem Hövel

Max Goldt: QQ
Rowohlt, Berlin, 2007
Gebundene Ausgabe: 155 Seiten
ISBN-10: 3871345814
EUR: 17,90

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Rezensionen

Rezension Arno Adelaars, Christian Rätsch, Claudia Müller-Ebeling: „Ayahuasca.Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.“

HanfBlatt Nr. 103

Ayahuasca

„Mutter Erde ist krank…Jeder Einzelne von uns wird sich der Pflicht stellen müssen, zu versuchen, das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen und Mutter Erde zu respektieren.“
Shuar-Schamane Hilario Chirip (S.228)

Seit sehr langer Zeit bereiten die Schamanen vieler indigener Kulturen und mittlerweile auch sogenannte Mestizo-Schamanen insbesondere im oberen Amazonasgebiet in den heutigen Ländern Kolumbien, Ecuador, Peru und Brasilien ein psychedelisches Gebräu zu. Dieses, bekannt unter dem Namen Ayahuasca, findet seit Ende der Achtziger Jahre zunehmendes Interesse unter westlichen Sinn- und Heilssuchern mit einer Affinität zu Grenzerfahrungen mit stark wirksamen psychoaktiven Substanzen. Iquitos in Peru ist Zentrum eines regelrechten Ayahuasca-Tourismus. Mit Ayahuasca praktizierende Schamanen werden auch in westliche Länder eingeladen, um dort Rituale abzuhalten. In Brasilien existieren mehrere synkretistische Religionen, in denen christliche, afrobrasilianische und indianische Elemente über die Visionen und den messianischen Anspruch ihrer Gründer zusammenfließen. In deren verbindenden Ritualen spielt Ayahuasca eine entscheidende Rolle. Die Bereitschaft zumindest von Teilen dieser Kirchen, sich neugierigen und erfahrungshungrigen Westlern zu öffnen, stieß besonders in Kreisen bekanntermaßen psychedelika-freundlicher Osho-Anhänger auf Begeisterung. Diese soll allerdings ob der hierarchischen Strukturen und des Dogmatismus, die nun einmal jeder organisierten Religion inhärent sind, schon wieder abbröckeln. Ayahuasca genießt derzeit aber immer noch den Ruf einer Art Wunderdroge. Es ist deshalb sehr zu begrüssen, dass drei kompetente Leute vom Fach mit dem vorliegenden Werk einen ausgezeichneten dreiteiligen Einstieg in die Welt des Ayahuascas bieten.

Christian Rätsch erläutert aus ethnobotanischer Sicht die im Ayahuasca, sowie die im schamanischen Ayahuasca-Ritual bedeutenden Pflanzen. Ayahuasca ist in der Praxis ein stark von der Intention des Zubereitenden abhängiges Gebräu, das so ungefähr das Gegenteil einer standarddosierten Pille aus dem Chemielabor darstellt, auch wenn sich die wichtigsten Ingredienzien chemisch als Harm(al)in und DMT subsumieren lassen. Die Ayahuasca-Erfahrung wird vom Schamanen durch den Einsatz einer ganzen Reihe von psychoaktiven Pflanzen, Räucher-, Duftstoffen etc. manipuliert und variiert. Was Rätsch hier gekonnt und wie ein Rap lesbar erläutert und dabei auch noch nachschlagetauglich ist, ist Grundlagenwissen. Lediglich zwei besserwisserische Anmerkungen seien mir gestattet: Die Opuntien enthalten nach Trout den bisherigen Analysen zufolge allenfalls Spuren von Meskalin (S.59), sind also für den ambitionierten Psychonauten nach derzeitigem Wissensstand wenig fruchtbar. Bei dem Hauptwirkstoff von Yopo (Anadenanthera peregrina-Samen) scheint es sich nach der Mehrzahl der von Trout und Ott gesammelten Analysen wie bei Cebil (Anadenanthera colubrina-Samen) um Bufotenin (nicht DMT) zu handeln (u.a. S.53ff). Dafür sprechen auch Selbstversuche. Bufotenin ist stark psychoaktiv, der Rausch aber anscheinend oft vom Körpergefühl her recht anstrengend.

Claudia-Müller Ebeling nähert sich der kaum in Worte zu fassenden Ayahuasca-Erfahrung über deren künstlerischen Ausdruck, den sie in den Objekten der sie nutzenden Kulturen ebenso wie in den Werken zeitgenössischer Künstler findet. Genial filmisch umgesetzt wurde sie übrigens von Jan Kounen in „Blueberry“. Hier nur eine Anmerkung: Albert Hofmann nahm einst nicht heroische 100 g, sondern ledigllich 2,4 g getrockneter Psilocybe mexicana im Selbstversuch ein (S.95), nicht dass das Einer nachmacht… Christian Rätsch streicht in einem eigenen Abschnitt aus seinem enormen Kenntnisfundus die Bedeutung der Musik im Ayahuasca-Ritual heraus und plaudert Einiges über den Einfluss auf populäre Musik aus.
Einen einzigartigen Einblick und einen hervorragenden Überblick über die real existierende Ayahuasca-Scene bietet der lange Beitrag von Arno Adelaars. Er war bei vielen Ritualen dabei und hat über Jahre ausführlichst recherchiert. Ob mit Ayahuasca praktizierende Schamanen in den oben erwähnten Ländern, die brasilianischen Ayahuasca-Kirchen oder Do it yourself-Rituale im Westen, seine sachlichen Berichte und persönlichen Interviews öffnen den Horizont. Wichtig auch Claudia Müller-Ebelings kritische Bemerkungen zum Schamanismus-Kulturtransfer. Schamanen beherrschen uralte Techniken des Heilens. Ayahuasca kann hierbei ein hochwirksames Hilfsmittel sein. Schamanen sind und bleiben Menschen und taugen nicht als exotische Ersatz-Erlöser. Man sollte sich hüten, sie mit all seinen westlichen Projektionen zu überfrachten und aufs Podest zu stossen, nur um sie bei Zeiten dann womöglich gar berechtigter Weise wieder hinunterstürzen zu können.
Ein Glossar, eine sehr gute Bibliographie und eine kleine Discographie schließen dieses sehr empfehlenswerte Werk ab.

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Arno Adelaars/ Christian Rätsch/ Claudia Müller-Ebeling
Ayahuasca.
Rituale, Zaubertränke und visionäre Kunst aus Amazonien.
AT Verlag, Baden und München 2006
Geb., 312 S., 8 Tafeln mit 35 Farbabb., zahlreiche SW-Abb.
ISBN 3-03800-270-4
23,90 Euro

 

 

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Rezensionen

Rezension Detlev Briesen: Drogenkonsum, Drogenpolitik, Deutschland, USA

HanfBlatt Nr. 114

Unklare Rauschzeichen

Die großen Publikumsverlage haben sich bislang zurückgehalten, der progressiven Fraktion unter den Cannabis-Kennern Gehör zu verschaffen. Erfreulich, dass der Kiepenheuer & Witsch Verlag jetzt Steffen Geyer und Georg Wurth vom Deutschen Hanfverband die Möglichkeit bietet über das wundersame Kraut aufzuklären. Bedauerlich, dies sei vorweg gesagt, dass der Verlag nicht die Chance genutzt hat durch ein gründliches Lektorat dem Werk zu mehr Tiefe zu verhelfen. Das vorliegende Buch driftet leider ins Phantastische ab, wo es um die historischen Zusammenhänge geht, und ist dort, wo es um die politischen Alternativen zur bestehenden Kriminalisierungspolitik geht trocken, aber bereichernd.

Ein paar Beispiele sollen die Ambivalenz verdeutlichen. Ein Zitat zu Cannabis aus dem alten chinesischen Arzneibuch Pen Tsao „Nimmt man sie über eine längere Zeit hinweg, wird man befähigt, mit den Geistern zu sprechen, und der Körper wird leicht“ (S. 15) wird von Geyer/Wurth tendenziös als positive Wirkungsbeschreibung übersetzt und gedeutet. Das kann man auch anders interpretieren: Schon damals galt wahrscheinlich der übermäßige Konsum von Cannabis als gefährlich für das, was man heute wohl den mentalen Grundzustand eines Menschen nennt. Einen Absatz später heißt es: „Der zivilisatorische Vorsprung der Chinesen zu jener Zeit wäre ohne Hanf undenkbar gewesen.“ Und ohne Wasser, sollte man hinzufügen. Das ist monokausales Denken in Reinkultur.

S. 16: Es fehlt der wissenschaftliche Beweis, dass die Skythen Cannabisblüten und nicht Cannabissamen, die man tatsächlich gefunden hat, in ihren Schwitzhüttenräucherzeremonien eingesetzt haben. Klar, es klingt irgendwie wahrscheinlich, aber faktisch bewiesen ist es nach wie vor nicht.

S. 17: Es trifft auch nicht zu, dass die Römer den Hanfanbau nach Spanien exportieren und dort das Wort Kif „für minderwertiges Haschisch aus dem heutigen Marokko“ prägten. Eine Seite später schreiben die Autoren: Nach dem Ende des römischen Reiches sei „Cannabis (…) die wichtigste Feldfrucht des Menschen und nicht selten Grund für Krieg und Zerstörung.“ Die gesamte Agrarwirtschaft des Mittelalters auf Cannabis zu reduzieren scheint doch etwas übertrieben.

S. 18: „<Hennep> und <Hamp> stopfte sich so mancher nach getaner Arbeit in die Pfeife.“ Hierzu sei gesagt, dass uns dazu außer dem von Hans-Georg Behr in die Welt gesetzten Mythos, dass die Bezeichnung für eine spezielle Tabaksorte „Knaster“ eigentlich auf Hanf verweise, keine seriösen wissenschaftlichen Belege für einen weitverbreiteten Gebrauch von (Faser-)Hanf als Rauch- und/oder Rauschkraut in Mitteleuropa gibt. Erst im 19. Jahrhundert etablierte sich der medizinische und experimentelle Gebrauch von psychoaktivem Hanf auf Basis des importierten Cannabis indica-Krautes und seiner Extrakte bzw. exotischer „Haschisch“-Präparationen.

S. 19, Zitat: „Spätestens seit den Kreuzzügen richtete sich der Zorn der Kirche gegen Cannabis.“ Ein gängiges Klischee, es gibt keine Beweise für eine systematische Aufstellung des Vatikans gegen die Pflanze. Der Zorn richtete sich vielmehr gegen Andersdenkende und gesellschaftliche AußenseiterInnen. Intrigantentum spielte oft eine Rolle. Die Spekulation von Geyer/Wurth, die „Verteufelung von Cannabis“ hätte „in erster Linie der Abgrenzung der Christenheit vom an Stärke gewinnenden Islam gedient“ ist haltlos.

Auf S. 23 wird suggeriert, dass Jefferson, Lincoln und George Washington nicht nur von der berauschenden Wirkung der Pflanze gewusst haben, sondern den Rauschhanfanbau auch unterstützt haben. Denn Washington ließ die Männchen rausrupfen, bevor sie die Weibchen bestäuben konnten. Dieses Prinzip kennt zwar heute jeder moderne Indoor-Grower, es ist aber auch im traditionellen Faserhanfanbau üblich. Die Männchen wurden damals nur schneller geerntet, weil mit der vorzeitigen Blüte bei ihnen die optimale Faserproduktion abgeschlossen ist und ein Verbleiben der absterbenden Pflanzen unter den länger wachsenden Weibchen auf Grund einsetzender Verrottungsprozesse die Qualität der Gesamternte vermindert.

Die Autoren graben sich im Laufe des ersten Kapitels immer tiefer in eine Gedankenwelt ein, in der Cannabis für alles veranwortlich sein soll. Damit erweisen sie dieser durchaus besonderen, sehr nützlichen und als Genussmittel in Maßen genossen relativ harmlosen Pflanze aber keinen Dienst. Ein Höhepunkt ist sicherlich die Passage auf S. 25, in der ein direkter Zusammenhang zwischen dem Faserhanfanbau von Zar Alexander I. und der Völkerschlacht von Leipzig gezogen wird.

Im großen Rest des Buches spannen die Autoren einen teilweise gekonnten Bogen über die psychoaktiven Wirkungen des grünen Krauts und zeigen auf, wann und wie der Konsum zum Problem werden kann, beleuchten die Rolle der Medien, das unheilvolle Engagement der UNO und der wichtigen Anti-Drogen Institutionen in Europa. Von zwei so renommierten Kennern des Systems wie es Georg Wurth und Steffen Geyer sind, hätte man bei der Diskussion um die Alternativen allerdings mehr Ausführlichkeit erwartet. Ihr interessantes Modell des Cannabisfachgeschäfts (ein Coffee-Shop mit ausgebildeten Mitarbeitern) ist nur eine Variante des Umgangs.

Steffen Geyer, Georg Wurth: Rauschzeichen. Cannabis: Alles, was man wissen muss
176 Seiten, broschiert
Kiepenheuer & Witsch Verlag 2008
ISBN: 3462039997
EUR 7,95

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Drogenklassifikationsversuche

Hanfblatt Nr 107, Mai 2007

Die Einteilung des Unverstandenen

Sinn und Unsinn der Klassifikation von Drogen

Ein Bericht eines britischen Wissenschaftlerteams sorgt für Aufsehen. Die Forscher ordnen die Gefährlichkeit von Drogen neu ein und fordern eine gänzlich reformierte Einteilung der Drogenklassen. Hilft das weiter?

Es ist bei vielen Drogen unklar, weshalb sie als besonders gefährlich gelten. Manche sind eher durch Zufall in die Kontrolllisten geraten, wie beispielsweise Cannabis, manche sind legal, obwohl sie schädlich sein können, wie beispielsweise Alkohol. Im Rahmen ihrer Studie fragten David Nutt von der Universität Bristol und seine Kollegen rund 80 britische Suchtexperten nach ihrer Einschätzung des Gefahrenpotentials von legalen und illegalen Drogen und Medikamenten, die sie selbst auswählen konnten. Im angesehenen medizinischen Fachblatt Lancet (2007, Nr. 369, S.1047-1053) publizierten sie eine Rangliste, die sie als Grundlage neuer Betäubungsmittelgesetze sehen wollen.

Dazu benannten sie drei Kriterien, welche das Gefährdungspotenzial durch Drogen umschreiben. Dies sind: körperliche Schädlichkeit, die Verursachung einer Abhängigkeit und drittens die soziale Wirkunge, die der Drogenkonsum auf Familie, Bekanntenkreis und Gesellschaft hat.

Herausgekommen ist ein Verzeichnis (s. Abbildung), das in deutlichen Gegensatz zu den weltweiten Anti-Drogen Gesetzen steht. Noch gewohnt sind die Spitzenplätze von Heroin und Kokain. Dann aber folgen schon die Barbiturate, auf Rang 5 steht bereits Alkohol, es folgen Ketamin und Benzodiazapine, fast gleich auf mit den im allgemeinen als gefährlicher eingestuften Amphetaminen. Cannabis steht auf Platz 11. Die Liste soll der britischen Regierung vorgelegt werden und sorgt schon jetzt für Gesprächsstoff. Die Autoren hoffen auf eine Neueinordnung der auf der Insel bekannten Drogenklassen.

In Großbritannien werden psychoaktive Substanzen in drei Klassen eingeteilt, die den Grad ihrer Gefährlichkeit entsprechen sollen. In der Klasse A stehen Drogen wie Heroin, sie gelten als die gefährlichsten Substanzen, in der Klasse C stehen Drogen wie Cannabis und Benzodiazepine (Beruhigungsmittel), sie gelten als die ungefährlichsten Drogen. Dazwischen tummeln sich Substanzen wie Speed, das in Großbritannien eine Klasse B Droge ist. Auch das deutsche Betäubungsmittelgesetz kennt die dreiteilige Einordnung, hier ist von „nicht verkehrsfähigen“, „verkehrsfähigen, aber nicht verschreibbaren“ und „verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen“ Betäubungsmitteln die Rede. Die USA arbeiten mit der Klassifikation von Schedule I bis Schedule V.

Die Einteilung in „harte“ und „weiche“ Drogen hat nicht weit geführt. Sie ist heute unter Experten und Usern umstritten, denn weder ist Alkohol eine „weiche“, noch LSD zwangsläufig eine „harte Droge“.

Welchen Sinn könnte nun eine neue Klassifikation ergeben, wie sie Nutt und seine Kollegen vorschlagen?
Zwei Extreme bestimmen die Diskussion um die Schädlichkeit von Drogen. Da ist zum einen die Ansicht, es existiere gar nicht so etwas wie eine schädliche Drogen an sich, es seien Konsummuster und Dosierung, die aus einem Medikament eine Droge machen. Eine Einteilung von psychoaktiven Substanzen nach Gefahrenklassen ist aus dieser Sicht unsinnig, weil es immer das (sozial eingebettete) Individuum ist, dass die Wirkung einer Droge bestimmt. Als Beispiel wird der Wein angeführt, der eine muntere Abendbegleitung mit sogar gesundheitlich fördernder Wirkung sein kann – oder aber eben das Gift ewiger Trunkenheit.

Wahrscheinlich spricht tatsächlich wenig dagegen, sich einmal im Jahr in einer Kurklinik in den Schweizer Alpen reines Heroin spritzen zu lassen. Aber: Praktisch dürfte eine solche Politik nur zu verantworten sein, wenn eine Jahrzehnte vorher angelaufene Aufklärung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen die Signalwirkung in vernünftige Bahnen lenkt. Bislang verwurstet das Zusammenspiel menschlicher Triebe und sozialer Konsumkultur noch jeden Wunsch in eine Gier. Es kann vermutet werden, dass erst diese Prozesse geändert werden müssen, aber das würde eine völlig umgekrempelte Gesellschaft erfordern.
Am anderen Ende der Extreme steht die Ansicht, dass die medizinische Erforschung der Wirkung und Auswirkung von Drogen immer weiter Fortschritte macht. Die Neurowissenschaften zeigen, dass Substanzen unterschiedliche Wirkstärken im menschlichen Körper haben, die durchaus übergreifende Geltung beanspruchen können (s. das Interview mit Andreas Heinz auf dieser Webseite). Zugleich zeigen sie aber auch die Mächtigkeit der sozialen Einflüsse auf physiologischer Ebene.

Es ist die „objektive Wissenschaft“, die aus Zahlen Fakten schafft und die individuelle und intersubjektive Perspektive dabei vernachlässigt. So hat sich die Wissenschaft immer weiter vom Menschen entfernt, die Folgen sind Hinwendung zu Alternativ-Medizin oder gar Esoterik. Man beginnt erst langsam wieder einzusehen, dass schon bei der einfachen Aspirinvergabe eine Passung von Substanz und Patient vorhanden sein muss.

Es war und ist diese reduktionistische Wissenschaft, die in jedem Drogenkonsumenten primär einen armen Wicht und potentiellen Süchtigen sieht. Es war zunächst nur die Gegenkultur der 60er Jahre und später das Aufkommen der massenhaften Verbreitung von „Tripberichten“ im Internet, die dieser starren Pathologisierung Einhalt geboten haben.

Eine neue und „realistischere“ Klassifizierung von Drogen, wie sie Nutt und andere nun vorschlagen, ist nur dann ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch diese Liste wieder nur als die halbe Wahrheit angesehen wird, weil auch sie mit den Konstitutionen verschiedener Menschen schwer abzugleichen ist. Sicher, der Mensch braucht Kategorie um die Dinge für sich einzuordnen. Aber er braucht auch den Freiraum die Gültigkeit dieser Kategorien für sich und seine geistigen Verwandten zu erforschen. Anders herum: Es gibt Menschen, für die dürfte selbst der Konsum des von Nutts Experten als relativ ungefährlich eingestufte Khat schnell zum Problem werden.

Der Kenntnisstand über eine Droge ist zudem immer zeitabhängig. Die heute aktuellen Therorien und „Beweise“ über cannabisinduzierte Schizophrenien könnten schon morgen über Bord geworfen werden, weil irgendwelche bis dahin unberücksichtigten Variablen auftauchen. Es besteht nur eine vage Hoffnung, das mit Hilfe von Verfahren wie Cochrane und Meta-Studien wirklich die industrie- und interessengeleitete Spreu vom Weizen der reinen Erkenntnis getrennt wird. Ob die sagenumwobene „evidenzbasierte Medizin“ zur Klärung strittiger Fragen beiträgt, das ist zu hoffen.

Noch einmal anders gesehen gebiert auch eine „Neuklassifikation der Schädlichkeit“ nur eine weiteres Schreckgespenst, das sich von Angst und Unwissenheit nährt. Zukünftig kann es nicht nur darum gehen, einen risikoarmen Umgang zu fördern, sondern den Augenmerk auf die vielen positiven Eigenschaften zu lenken, die den vielen pflanzlichen und chemischen Wirkstoffen inne wohnt. Von den verborgenen Potentialen der Wiedererkennung des unauflösbaren Zusammenhang zwischen Mensch und Natur mal ganz abgesehen.

Man braucht gar nicht so weit reiten, um zu ahnen, dass der Vorschlag von Nutt & Co. in politischen Kreisen ohnehin auf taube Ohren stoßen wird. Nicht zuletzt ist das britische Betäubungsmittelgesetz, der „Misuse of Drugs Act“, ein Versuch den Anforderungen des UN-Abkommens von 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs) stromlinienförmig gerecht zu werden. Ein Ausscheren aus den Reihen der internationalen Gemeinschaft wird Großbritannien nicht wagen; ein Argument, das auch in Deutschland immer wieder angeführt wird, wenn es um die mögliche und nötige Reform der Drogengesetze geht. Der Weg zu einer realistischen Drogenpolitik führt über kurz oder lang über UN, deren drogenpolitischen Ansichten sind allerdings so verschroben und von diversen Kräften getrieben, dass eine Besserung zur Zeit nicht in Sicht ist.

 

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Interview mit Baba Rampuri

HanfBlatt Nr. 107, Mai 2007 Ein Interview mit Baba Rampuri

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Im Jahre 1969 machte sich ein in Chikago geborener und in Beverly Hills aufgewachsener junger Mann mit wenigen Dollar in der Tasche dem Hippie-Trail folgend auf den Weg nach Indien. Er war einer jener Suchenden, die von spiritueller Entwicklung und Erleuchtung träumten und sich mit Dope-Rauchern und Abenteuer-Begeisterten, oft alles in ein und der selben Person vereinigt, auf die Reise begaben. Zufällig begegnete er einem Typen, der ihm Hinweise gab, wohin er sich auf seiner persönlichen Suche in Indien wenden könne. Er landete zu Füssen von Hari Puri Baba, der in Rajasthan residierte. Dieser war ein wichtiger Naga Yogi, einer jener bärtigen von Dreadlocks überwucherten Chillam-rauchenden mit Asche bedeckten heiligen Männer, die ein Leben führen, das dem, was Westler gewöhnlich für eine nützliche Existenz halten, komplett entgegengesetzt zu sein scheint. Von einem Augenblick auf den nächsten entschied er in einem Versuch, seine westlichen Vorurteile und Prägungen über Bord zu werfen, dies ist die Chance, selbst ein Yogi zu werden. Hari Puri Baba begrüßte ihn als Schüler und wurde sein Guru. Der junge Amerikaner wurde rasiert und zu Rampuri. Er ging auf einen sehr langen erschütternden und transformierenden Trip, der ihn zum ersten Fremden werden ließ, der in „Juna Akhara“ initiiert wurde, einen uralten Orden, der auch „Die Entsagenden der zehn Namen“ genannt wird. Später gründete er selbst einen Ashram in Hardwar. Er blieb bis zum heutigen Tag in Indien. Vor Kurzem ist er wieder in den Westen gereist und hat ein sehr aufschlussreiches Buch über seinen Prozess der Initiation in die spirituelle Welt der Yogis mitgebracht. Im Namen des „Ordens der Völlerei“ früher bekannt als „hanfblatt“ stelle ich Baba Rampuri einige typische westliche Fragen zur Erbauung der weniger erleuchteten Dope-Raucher. Aber Spaß beiseite, hier kommt das Interview:

 

Hanfblatt: Was war dein Motiv, nach all diesen Jahren gerade jetzt mit einem Buch heraus zu kommen?

Baba Rampuri: Es gab mehrere Motive. Das Persönlichste davon war die Notwendigkeit den Geist meiner 37 Jahre in Indien auszutreiben und mich, indem ich dieser sehr seltsamen Erfahrung etwas Bedeutung gab, weiter zu entwickeln. Spiritualität ist so sehr Mainstream geworden – und ich möchte bemerken und anfügen, dass in den 70ern sogar die wilden Freaks, Anarchisten und Psychedeliker oft, indem sie eine Art von Spiritualität in die Arme schlossen, so wurden, wie die angepassten Christen oder Juden, gegen die sie scheinbar rebellierten, außer, dass sie es anders bezeichneten, mit einem indischen Namen für gewöhnlich, und ihr Vokabular dann mit indischen Wörtern würzten. Ich habe es nie gemocht, Händchen zu halten und „OM“ zu brummen, „Saving Grace“ zu singen, „Hanuman Chalisas“ auf Country und Western-Musik zu propfen, in Flughäfen zu predigen oder mir selbst auf die Schulter klopfend zu gratulieren, dass ich gerettet wurde. Im Gegenteil – meine Erfahrung ließ den Anarchisten in mir wachsen, vergöttlichte das psychedelische Mittel, dehnte meine kleine Politik in die Metapolitik der Kultur aus und verband mich fest mit einem Universum, das im Widerspruch zu dem Weltbild meiner Erziehung stand. Ich schätze, du könntest das meine Spiritualität nennen.

Nun, während mich dies im Westen „widerspenstig“ oder sogar subversiv erscheinen lässt, werde ich merkwürdigerweise innerhalb der ältesten Tradition Indiens, den Naga Sannyasis als ein wenig konservativ angesehen. Ich wusste, dass es keinen Weg gab, die Leute verstehen und fühlen zu lassen, was meine Erfahrung war; aber Geschichten erzählen muss das nicht leisten. Es gibt wichtigere Aufgaben. Analogie hat einigen Nutzen oder Bedeutung jenseits der Spezifitäten der Geschichte. So war ich nicht wirklich interessiert am Schreiben einer „Autobiographie“. Das Wort im Titel meines Buches wurde von meinem Verleger hinzugefügt nachdem ich BABA geschrieben und editiert hatte. Aber eine Geschichte, wie alle Geschichten, muss unterhalten, muss die Aufmerksamkeit der Menschen erhalten. Dann muss sie die Leserschaft auf eine Reise nehmen. Und, wenn sie einmal auf dem Trip ist, dann gibt es da einen Pfad, ein Paradigma, das in all unserer Literatur und unseren Märchen tausende von Malen wiedergespiegelt worden ist, das man die „Reise des Helden“ nennen kann. Dann mag ein Individuum selbst auf diesem Pfad wandeln, ohne Jahre lang nackt in einer Höhle in Indien verbringen zu müssen. Ein Vater kann das Ergebnis seiner Lebensarbeit seinem Sohn vererben, doch dem Nachlass eines Geistesmenschen fehlt die Materialität, und er muss einen anderen Weg finden, ihn zu hinterlassen für wen auch immer er von Interesse sein mag.

Hanfblatt: Während ich das Buch las, wunderte ich mich erfreut, dass ich in der Lage war, deine spannende Geschichte einfach als etwas Authentisches und Mögliches zu akzeptieren, obwohl es leicht gewesen wäre, sie durch Rationalisierung als reine Phantasien eines desorientierten oder sogar härter eines verwirrten Geistes abzutun, in westlich-psychiatrischem Stil sozusagen. Wurdest du mit solchen Einschätzungen konfrontiert?

Baba Rampuri: Ich lache. Tatsächlich, nein, wurde ich nicht. Niemand hat mich je damit konfrontiert, aber, wenn es jemand tun würde, müsste ich ihm zustimmen. Ich bin kein Wissenschaftler oder Akademiker. Ein durchschnittlicher Psychiater würde sicherlich kommentieren, dass ich keinen Kontakt mit der Realität habe, dass ich mit „imaginären Freunden“ kommuniziere. Das ist nicht die Welt, in der ich lebe. Die Beschreibungen und Ereignisse in meinem Buch wurden zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit abgemildert. Es ist eine geradezu nüchterne Welt, die ich porträtiere, im Vergleich zu dem rationalitätsopfernden – mordenden? – Lebenstheater, in welchem ich sowohl Schauspieler wie auch Publikum war.

Hanfblatt: Wir fragen uns alle, zumindest manchmal in Zeiten eines langweiligen Fernsehprogramms: Was ist der Grund für dies Alles, warum bin ich hier, was ist der Sinn des Lebens? Hast du irgendwelche in Worte transformierbaren Antworten gefunden?

Baba Rampuri: Ein junger Mann aus der Ukraine, ein enttäuschter Katholik, kam eines Tages in Riga zu mir, um überzeugt oder konvertiert oder sowas in der Art zu werden. Er fragte mich, an was ich glaube. Ich sagte ihm, es sei nicht zu verkaufen.

Ich bin kein Prediger. Ich versuche nicht, irgend jemandem zu erzählen, was es damit auf sich hat, was dies alles bedeutet. Ich bin ein Zeuge seltsamer Dinge, und als Geschichtenerzähler berichte ich von dem, was ich gesehen habe. Eine Sache, von der ich Zeuge bin, ist, dass ständig Veränderung stattfindet. Sie hört niemals auf. Also solltest du jeden, der dir den Sinn des Lebens erklärt, am folgenden Tag anklingeln, ob der Sinn immer noch der Gleiche ist.

Hanfblatt: Was kann jemand erwarten, der dich in deinem Ashram besucht?

Baba Rampuri: Mein Ashram ist traditionell und nicht davon beeinflusst, wie man sich einen Ashram vorstellt. Es mag ruhig sein, oder es mag dort eine wilde Bande nackter Schamanen und Yogis sein, die bis spät in die Nacht Chillams rauchen. Leute kommen um dort ihr heiliges Bad im Ganga-Fluss zu machen und still an seinem Ufer zu meditieren. Wenn ich da bin, haben wir meist lebhafte Diskussionen, machen ein paar Rituale und manchmal einen großen Festschmaus. Meinen engen Schülern gebe ich einige traditionelle esoterische Instruktionen.

Hanfblatt: Die Entwicklung der Menschheit, offensichtlich angetrieben von Gier, geht parallel mit einer rapiden Zerstörung unserer einstmals wunderschönen Welt. Es gibt Einiges an ökologischem Bewusststein, aber nicht selten auf seine Art neurotisch, auch Enthusiasmus für Tiere und Pflanzen, manchmal geradezu fetischistisch; aber Alles in Allem werden der Respekt gegenüber der Natur und die Faszination für die Schöpfung in den westlichen Medien wie im praktischen Verhalten der Menschen eher der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Geschenke, die Niemandem gehören, werden ausgebeutet. Sie werden in Statussymbole verwandelt und schüren die Illusion von Wohlstand, dienen als Treibstoff für die süchtig machende Erfahrung von Macht. Wo siehst du noch das Potential dafür, dass sich etwas zu etwas Wunderbarem auswächst? Oder haben wir uns dem Unausweichlichen zu fügen, die Welt den Amok-Läufern zu überlassen, den Pseudo-Krupps oder wem auch immer?

Baba Rampuri: Ja, wir konsumieren alles in Sichtweite, und ich kann kein Ende davon sehen. Können wir es umkehren? Ich bezweifle es. Sitzen wir tief in der Scheisse? Das glaube ich. Was können wir tun? Es bezeugen.

Hanfblatt: In Europa hat die Psytrance- oder Goa-Szene einen spirituellen Kern, von dem aus sie durch psychedelische Tanzveranstaltungen spirituelles und Umwelt-Bewusstsein zu pushen versucht, und dabei Elemente, zumindest Deko-Elemente, traditioneller Kulturen inkorporiert. Der D.J. Goa Gil und andere der alten Garde westlicher Reisender und Suchender, die seit den Sechzigern in Indien geblieben sind, zählen zu deinen Freunden. Was ist los mit dieser Szene?

Baba Rampuri: Ich würde den Ausdruck Psytrance bevorzugen, weil, offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Goa-Szene wirklich bedeutet. OK, es ist eine Referenz an die Mythologie von Goa, die in unterschiedlichen Köpfen unterschiedliche Formen annimmt. Es gab eine Zeit, in der eine Goa-Szene existierte, die aus Outlaws, Anarchisten, Poeten, Musikern, Künstlern, Schamanen, Junkies und Träumern bestand. Jetzt haben wir eine „Möchtegern“-Replik, eine Art „virtuelles“ Goa, das hauptsächlich aus Händlern und Touristen besteht. Ich denke „Psytrance“ kann eine moderne Reflektion dessen sein, was ein zeitloses transkulturelles Ritual der Freiheit durch Tanz zu sein scheint. Tanz ist eine Art Widerspruch zur Produktionsgesellschaft; du bewegst deine Arme und Beine, aber gehst nirgendwo hin, und du machst nichts. Im antiken Griechenland bestanden die Rituale des Dionysos hauptsächlich aus Vollmondtänzen, irgendwo im Wald, weit weg von missgünstigen Blicken. Ich denke, die Gesellschaft war nie mit diesem Verhalten einverstanden, was tatsächlich eine gute Sache ist, nicht weil es nicht passieren sollte, sondern weil auf diese Weise der Tanz nicht durch die Gesellschaft oder deren Gesetze kontrolliert werden und so unbegrenzte Möglichkeiten entfalten kann. Schließlich ist das Psytrance-Ereignis nicht eine soziale Versammlung oder eine Cocktail-Party, sondern mehr eine spirituelle Übung, die zu einer gemeinschaftlichen befreienden Erfahrung führt.

Hanfblatt: Was ist der Unterschied zwischen Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Baba kann „Vater“, „Großvater“ oder „Baby“ bedeuten, genauso wie „Schamane“, „Yogi“ oder „Entsagender“. Baba ist also ein sowohl mehr liebevolles als auch vertrautes Wort. Ein Sadhu ist ein Entsagender. Ein Yogi ist jemand, der in seiner oder ihrer spirituellen Praxis fortgeschritten ist.

Hanfblatt: Was bedeutet Cannabis den Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Vorab, es gibt viele Arten von Babas in vielen verschiedenen Traditionen. Viele Babas in meiner Tradition und Andere halten Cannabis unter allen Rauschmitteln für „ausgeglichen“, geeignet und sogar hilfreich für die spirituelle Praxis. In der Sanskrit-Sprache ist das Wort für Cannabis „Vijaya“, was „allbesiegend“ bedeutet; und außerdem wird Cannabis in vielen medizinischen Rezepturen verwendet um die diversen anderen Kräuter auszugleichen. Cannabis war einer der 14 Schätze, die aus dem Ozean der Milch kamen, als er von den Göttern und Dämonen auf der Suche nach dem Nektar der Unsterblichkeit aufgewühlt wurde. Der Gott Shiva ergriff Besitz vom Cannabis als es erschien, und seitdem ist es immer mit Shiva und dem Bewusstsein verbunden geblieben. Vor dem Rauchen rufen wir häufig Shiva an.

Hanfblatt: Wie wird ein Chillam auf Sadhu-Art geraucht?

Baba Rampuri: Das Chillam ist die Erde. Die Mixtur ist der Mond. Das Feuer, welches sie anzündet, ist die Sonne. Der feuchte „Safi“-Lappen am unteren Ende des Chillams ist Jupiter. Wenn also das Feuer der Weisheit (die Sonne) sich durch die Veränderungen des Geistes (den Mond) im Gefäß des Menschen (der Erde) brennt, gefiltert durch den Guru (Jupiter), dann ist das Ergebnis eine Berauschung mit Freude. Das Chillam wird mit beiden Händen geraucht und gen Himmel gerichtet. Die Lippen des Rauchers berühren nur seine Hände, niemals das Chillam oder den „Safi“-Lappen.

Hanfblatt: Warum wird Tabak zusammen mit Cannabis geraucht?

Baba Rampuri: Schwierige Frage. Ich spekuliere, wahrscheinlich, weil es das Cannabis abkühlt, es weniger stark auf den Hals und die Lunge wirken lässt und dadurch angenehmer macht.

Hanfblatt: Was sind die Unterschiede zwischen Bhang, Haschisch und Ganja?

Baba Rampuri: Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich Bhang auf die Pflanze, und Haschisch und Ganja bezeichnen deren Produkte. Aber es gibt drei grundsätzlich verschiedene Pflanzen unter der Kategorie Cannabis, die alle ein unterschiedliches Produkt liefern. Wenn Menschen Bhang konsumieren, dann handelt es sich um die Pflanze, die den geringsten Anteil von dem aufweist, was man als THC, Harz und ätherische Öle bezeichnet. Bhang zu rauchen, macht einen nicht high. Man muss es essen oder trinken nachdem man es zu einer Paste verarbeitet hat. Sein High ist dann das Ausgewogenste aller drei Produkte, am ähnlichsten dem eines psychedelischen Highs und oft genutzt von Intellektuellen und Ringkämpfern. Es scheint die Gedanken und die Artikulationsfähigkeit zu stimulieren. Ganja ist die harzige Blütenspitze, die im Ganzen geerntet und dann getrocknet wird und von einer Pflanze stammt, die große Blütenstände bildet. Wenn es getrocknet ist, werden dem Ganja ein paar Tropfen Wasser hinzugefügt, um es von Hand zu pressen, bevor man es mit Tabak mischt und dann in einem Ton-Chillam raucht. Haschisch ist das Harz, das entweder mit der Hand von den harzigen Blütenspitzen gerieben oder auf andere Weise extrahiert wird, wie durch Ernte der Pflanzen und Abschütteln des Harzpulvers. Erst vor Kurzem ist eine neue Technologie der Harzabtrennung aufgetaucht, die Eis verwendet. Dieses „neue“ Produkt wird in Manali liebevoll „Ice-cream“ genannt.

Hanfblatt: Hat sich die Rolle von Cannabis über die 37 Jahre, die du jetzt in Indien lebst, verändert?

Baba Rampuri: Für die Babas war die größte Veränderung der Preis, der um hundert mal gestiegen ist, seitdem ich nach Indien gekommen bin. Im Rest der indischen Gesellschaft hat sein Gebrauch unter den Armen und der Arbeiterklasse kontinuierlich nachgelassen, aber unter den jungen Leuten der oberen Mittelschicht zugenommen. Während der Regierungszeit von Premierminister Rajiv Gandhi 1984 bis 1989 wurden offensichtlich die Produktion von Alkohol und dessen Konsum gefördert, und von der Regierung lizensierte Cannabisgeschäfte wurden geschlossen.

Hanfblatt: Ein Freund von mir war der Ansicht, dass die Sadhus heute mehr Tabak als obendrein noch schlechtes Cannabis rauchen würden, nachdem er im Rahmen einer Kumbha Mela zu ihnen stieß. Möglicherweise war es in früheren Zeiten besser, stärker, inspirierender. Kannst du das kommentieren?

Baba Rampuri: Nein, da würde ich nicht zustimmen. Man darf nicht alle Babas in einen Topf werfen. Es gibt Babas der verschiedensten Klassen und Richtungen. Man darf keine Schlüsse über alle Babas ziehen, wenn man nur Wenige getroffen hat. Und die andere Sache ist, dass wir immer über „die gute alte Zeit“ sprechen können, als „Alles“ besser war, aber das bringt uns tatsächlich nirgendwo hin. Aber ich möchte hinzufügen, dass reiche Leute heutzutage für gewöhnlich besseres Cannabis rauchen als arme Menschen.

Hanfblatt: Gibt es noch legales Cannabis in Indien?

Baba Rampuri: In Madhya Pradesh werden immer noch einige Formen medizinischen Hanfes legal in Markenpräparate eingearbeitet.

Hanfblatt: Was für eine Rolle spielt Datura?

Baba Rampuri: Datura ist beträchtlich schamanischer. Es transportiert seinen Gebraucher in eine Welt von Geistern und ist deshalb gefährlich für jeden außer den Erfahrenen und Initiierten. Es wird niemals zum Vergnügen oder für das Bewusstsein benutzt, vielmehr für die Kommunikation mit Geistern, was in der Tat sehr heikel ist.

Hanfblatt: Es hat einige Verwirrung um das Rauchen von Skorpion-Gift gegeben. Kannst du uns darüber etwas berichten?

Baba Rampuri: Skorpion-Schwänze sind sehr giftig, und sie zu rauchen ist sehr gefährlich. Nichtsdestotrotz rauchen einige Babas in großen Höhen im Himalaya Skorpion-Gift. Es erhitzt den Körper durch Fieber, was einige Babas nützlich finden um nackt im Schnee zu leben.

Hanfblatt: Das am meisten diskutierte unbekannte psychoaktive Sakrament ist „Soma“. Es wurde in antiken vedischen Texten erwähnt. Der Pilzforscher Gordon Wasson dachte, er hätte es im Fliegenpilz gefunden. Andere glaub(t)en, es handelte sich dabei um Somlata (Ephedra ssp.), Peganum harmala oder Zubereitungen daraus, Psiloc(yb)in-haltige Pilze oder sogar den guten alten Hanf. Was denkst du oder weißt du darüber?

Baba Rampuri: Ich liebe einfach psychoaktive Sakramente! Und ich denke, es wäre extrem cool, wenn Soma ein psychoaktives Sakrament wäre. Ich bin Einhundert Prozent dafür. Also, ich denke, dass Gordon Wasson, den ich einmal getroffen habe, ein extrem interessanter und wichtiger Mann war. Aber offen gesagt glaube ich, dass wir unser gegenwärtiges Denken über eine alte Tradition stülpen, die ein ganz anderes Denken, eine andere „Sprache“ und eine kulturell sehr verfeinerte Art die Welt wahrzunehmen hatte. Wir setzen voraus, dass Soma psychoaktiv war, und obwohl ich sogar selbst psychoaktiv bin, kann ich es einfach nicht erkennen, selbst nachdem ich hunderte von vedischen Ritualen beobachtet und all diese Jahre mit Babas zusammengelebt habe. Ich würde nach psychoaktiven Substanzen eher in den schamanischen und den Stammeskulturen als unter den kultivierten Brahmanen-Priestern suchen. Und man vergesse nicht, die vedische Kultur ist nur ein winziger Teil der riesigen indischen Tradition. Das vorausgesetzt, verstehen wir in meiner Tradition das Soma der Veden als Somlata, das Gestrüpp, das im Punjab wächst. Es gab und gibt sehr spezifische Bedingungen für die Auswahl und die Ernte von Somlata, an die man sich halten muss, wenn man das Somlata in der vorgeschriebenen Weise verwenden möchte.

Hanfblatt: Ich danke dir.

Baba Rampuri: Liebe, Licht und Freude!


Das Buch:

Baba Rampuri
„Baba.
Autobiography of a Blue-Eyed Yogi“
Bell Tower, New York 2005
Englisch, Geb. mit Su., 244 S.
ISBN 1-400-8038-X
23 US-Dollar

Homepage: www.rampuri.com

Dieses Buch bei Amazon neu oder gebraucht bestellen:

 

 

 


 

 

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Rezensionen

Highpriest – CD und psychedelisches Booklet

HanfBlatt Nr. 120

Highpriest

„Highpriest“ stellt eine eigenartige Verbindung zwischen drei gleichermaßen bemerkenswerten Künstlern dar. Da ist zum Einen der Komponist und Musiker Peter Frohmader, dessen elektronischer mystisch-psychedelischer Sound an krautrockige Zeiten erinnert und dabei frisch und ungewöhnlich daherkommt. Eine gewisse Düsternis knüpft die Verbindung zur magisch-schwarzromantischen Welt tiefsinniger Grufties. Zu dieser Musik kann man gut in traumartige Sphären driften, wenn man keine Angst vor Überraschungen und gelegentlichen wohltuenden Gruftbesuchen hat. Selbst ist Frohmader auch ein faszinierender Maler und Zeichner des Phantastischen, hat sich aber getraut, Cover und ein reizvolles optisch ergänzendes den Geist zusätzlich inspirierendes flashiges Booklet von dem Hanfblatt-Lesern bereits bekannten psychedelischen Künstler Mathias Erbe gestalten zu lassen. Zusätzlich kommt noch als kleines Bonmot der atmosphärisch in nicht unähnlichen Gefilden des Bewusstseins gründelnde Dichter Manfred Ach zu Wort ohne gleich das musikalische Werk zu vereinnahmen. So ist das Gesamtkunstwerk eine Perle für Freunde gegenwärtiger Psychedelik geworden.

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„Highpriest“
CD und psychedelisches Booklet
www.nekropolisrecords.de

Die Künstler:
www.peterfrohmader.de
www.mathias-erbe.de
www.m-ach.de