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Rezension Harry G. Frankfurt – Bullshit

HanfBlatt Nr. 101

Darf man dieses Buch verschenken? Leicht könnte sich der Beschenkte der Laberei beschuldigt fühlen, aber schon Design und Haptik des kleinen Bändchens aus dem Suhrkamp-Verlag lassen den guten Willen des Schenkers erkennen. Der amerikanische Philosoph und Professor an der Universität Princeton Harry G. Frankfurt weiß, was Bullshit ist. In einem kurzen Essay klärt er die folgenden Fragen: Sind Bullshit und Humbug das gleiche? Wie unterscheidet sich der Bullshit von der offenen Lüge? Man greift den Worten des Professors nicht zuweit vor, wenn man sagt: Die Lüge unterscheidet sich vom Bullshit durch das unterschiedliche Verhältnis zur Wahrheit. Während die Lüge das Gegenteil der Wahrheit ist, bleibt sie dem Bullshitter schlicht gleichgültig. „Der Bullshitter“, so schreibt Frankfurt, „weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht.“
Zusätzlich klärt der Mann auch noch die Frage, warum es heute soviel Bullshit gibt. Bullshit sei immer dann unvermeidbar, „wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen“. Und wie sollte das bei der Komplexität der Welt auch anders ein, könnte man hinzufügen.
Leider streift Frankfurt den Zusammenhang von Bullshit und Humor nicht, gleichwohl: Insgesamt ein erhellendes, gewitztes, anspruchsvolles und damit rundum empfehlenswertes Werk. Kein Scheiß.

Harry G. Frankfurt: Bullshit
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006
73 Seiten, gebunden
ISBN: 3518584502
8,– EUR

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Rezensionen

Rezension Andreas Rosenfelder- Digitale Paradiese

HanfBlatt Nr. 113, März 2008

Computerfreak

Computerspiele waren über Jahrzehnte der Inbegriff purer Zeitverschwendung: Wer sich in digitalen Labyrinthen und Katakomben herumtrieb, verabscheute Frischluft, hatte keine Freunde und verdarb sich mit Monsterjagd und Punktesammeln das Gehirn. Diese Sicht hat sich geändert.
Andreas Rosenfelder gräbt sich in die Matrix und nimmt den Leser mit auf seine Tunnelfahrt durch die junge Kulturgeschichte der Games und die wichtigsten Spieletitel der letzten 30 Jahre. Der belesene Autor besucht einige Spieleschmieden und Games-Conventions auf der Welt, führt in die Zusammenhänge von normaler und virtueller Welt ein und knüpft immer wieder an literarische Vorbilder an, zitiert die Griechen und Montesquieu. Entwicklerstudios in der Ukraine, E-Sport-Olympiaden auf italienischen Formel-1-Strecken und Gamer-Expeditionen an die historischen Strände der Normandie: Die Orte wechseln, der Gamer bleibt.

Rosenfelders Unterfangen wird schon nach ein paar Seiten deutlich: Er möchte die PC- und Konsolenspiele auf die gleiche Stufe wie die literarische und cineastische Hochkultur heben – und überspannt dabei teilweise den Bogen. Denn anstatt systemstabilisierenden Effekten den Grund zu gehen oder in der Tiefe zu erläutern, warum Gamer zocken, plaudert Rosenfelder über Spielszenen, Polygone und Texturen und feiert die teilweisen dünnen Storys als „vollkommenen Zusammenfall von Ästhetik und Politik“.

Der Buchtitel „Digitale Paradiese“ spielt natürlich auf Baudelaires „Künstliche Paradiese“ an. Aus Rosenfelders Sicht sind diese Paradiese „rauschhafte Inselwelten, Gegenwelten zum durchorganisierten Alltagsleben“, anders gesagt: Fluchtorte. Aber alles wovor man flieht, das arbeitet Rosenfelder schön heraus, ist in den Spielen in veränderter Form wieder da: Arbeit, Leistung, Druck, Konkurrenz. Nur halt in verzauberter Form, was die bekannten Alltagseigenschaften wieder spannend macht. In den Phasen, wo Rosenfelder diesen Phänomenen nachspürt, ist das Buch besonders stark. Schön wäre gewesen, wenn er Baudelaires Titelvorgabe noch ein Stück weiter gefolgt wäre. Denn der französische Dichter sah in den künstlichen Paradiesen ja eben nicht nur Fluchtorte, sondern eine geheimnisvolle, aufblitzende Gegenwart der Ewigkeit. Diesen rauschhaften Aspekt der Games vernachlässigt Rosenfelder. Trotzdem ist das Buch ein ansprechendes Protokoll einer einsichtsvollen Entdeckungsreise. Wer sich von der hochtrabenden Sprache, die das einfach oft kompliziert ausdrückt, nicht abschrecken lässt, der erhält einen farbgewaltigen Einblick in eine der wichtigsten Kulturindustrien des 20. und 21. Jahrhunderts.

Andreas Rosenfelder: Digitale Paradiese. Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele.
Broschiert: 192 Seiten
Kiepenheuer & Witsch Verlag 2008
ISBN-10: 3462039555
8,95 EUR

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Cannabis

Cannabis und Straßenverkehr

Hanfblatt, März 2008

Knüppelschaltung oder Fahrrad

Welche Fehler fahrende Kiffer in Polizeikontrollen und danach machen

Eines der größten Probleme für Menschen, die ab und zu Cannabisprodukte genießen, ist das unfreiwillige Zusammentreffen mit der Polizei. Dies ist vor allem dann unangenehm, wenn neben den möglichen Problemen mit Eltern oder Arbeitgeber plötzlich der Führerschein in Gefahr ist. Aber wer sich einige Regeln und Tipps rund um Rauschhanf und die kraftfahrzeuggestützte Lebensweise zu Herzen nimmt, der lebt weiterhin glücklich und mobil.

schutzmann

Die Landstraße rollt unter einem hinweg, die Sonne lugt zwischen den Wolken hervor, ein geschenkter Tag geht seinen freundlichen Gang. In der nahen Ferne kündigt eine rot-weiße Pilonenreihe Ungemach an. Eine Kelle winkt, man bremst, „Verkehrskontrolle“ steht auf einem dreieckigen Schild. Schon in diesen ersten Sekunden entscheidet sich sehr viel. Erster Tipp: Ruhe bewahren, einmal tief einatmen, langsam ausatmen. Man wird kontrolliert, das heisst zunächst einmal, dass man die Kontrolle behalten soll.

Die Maxime heißt: Den Gegenüber einschätzen, genau so, wie dieser das ja auch tut. Beamte spulen ein Routineprogramm ab, das mit Schubladen arbeitet. 1. Schublade: Das Automobil. Stichworte: Freakiger VW-Bus mit langhaarigen Bombenlegern als Insassen. Alter Mercedes mit Peace-Zeichen. Tiefer gelegter Golf mit wummernden Techno-Bässen. Die Musikwahl kann entscheidend sein, leise Klassik lässt Pflanzen blühen und beruhigt vielleicht Beamtenhirne. Der erste Eindruck zählt. Einige Polizisten sehen es nicht so gerne, wenn man ihnen bei der Kontrolle entgegenkommt und aus dem Wagen steigt. Die USA lassen grüßen, dort muss man sitzen bleiben. Auf der anderen Seite ist Aussteigen proaktives Verhalten und kann damit Teil der angesprochenen Souveränität sein.

2. Schublade: Der Kontrollreigen beginnt fast immer mit der Aufforderung, Fahrzeug- und Führerschein vorzuzeigen. Diese Papiere sollten ohne viel Gefummel zugänglich sein. Oft kommt parallel die Frage, ob man etwas getrunken oder sonstige Rauschdrogen zu sich genommen hätte. Nun muss der Fahrer zwei Dinge gleichzeitig tun, Stresshormone fluten an. Da heisst es wiederum Ruhe bewahren, ruhig antworten, alles vorzeigen. Sind die Papiere in Ordnung, der Beamte aber gelangweilt oder hat er aus irgendeinem Grund Verdacht geschöpft, geht die Aktion in die nächste Runde. Der Verbandskasten dient als Enterhaken, um den Fahrer aus dem Auto zu ziehen. Ein aufgeräumtes Mobil, vor allem aber ein leicht zugänglicher (nicht durch Gepäck verbauter) und vollständiger Verbandskasten sind jetzt wichtig. Letztlich prüft der Beamte damit nicht nur den technischen Zustand des Autos, sondern auch den motorischen Zustand des Chauffeurs. Fast unnötig zu erwähnen: Gerötete Augen sind eine schlechte Sache, unsicheres Verhalten sowieso.

Ist bis hierhin alles gut gelaufen, sollte der Beamte nun eine gute Weiterfahrt wünschen. Fordert der Schutzmann allerdings zum Tanz auf oder lädt gar in den Dienstwagen ein ist die 3. Schublade erreicht. Ab hier weiß man, dass dem Beamten irgend etwas spanisch vorkommt. Schwierig, aber umso wichtiger ist es nun weiterhin die Ruhe zu bewahren. Manches Mal wird dem Proband vorgeschlagen einen motorischen Test zu absolvieren. Beliebt ist beispielsweise das Zusammenführen der Finger auf Nasenhöhe mit gestrecktem Arm. Gerne wird auch der so genannte Romberg-Test angewandt. Dabei soll der Betroffene nach einem Startzeichen der inneren Uhr folgend 30 Sekunden abzählen. Wichtig ist: Kein Menschen muss diese Tests über sich ergehen zu lassen. Die meisten Anwälte raten dazu, diese Tests zu verweigern, vor allem dann, wenn man in der letzten Zeit tatsächlich Cannabis konsumiert hat. Denn fällt man durch wird die Angelegenheit vor Gericht meist noch arger. In manchen Bundesländern ist es durchaus üblich, den Delinquenten bei Verdachtsmomenten gleich vor Ort in ein Röhrchen pinkeln zu lassen oder dessen Haut mit der Drugwipe abzustreichen. Gerne werden auch Feuerzeug, Schlüssel oder Portemonnaie mit den sensiblen Drogen-Detektoren kontrolliert. Wer Stunden vorher wild gebröselt und sich nicht gründlich die Hände gewaschen hat, der wird den Ausschlag auf den Streifen gut erkennen können. Dann ist das Kind in den Brunnen gefallen. In die 4. Schublade sollte man möglichst nicht fallen, denn auf deren Etikett steht „Eindeutiger Kiffer“.

Um vom Kiffer-Verdacht abzulenken geben einige Fahrer an, Alkohol getrunken zu haben, selbst wenn dies gar nicht der Fall ist. Denn: Erwähnt man den Konsum auch nur einer kleinen Menge Bier, Wein oder Wodka Red-Bull sind die Beamten verpflichtet zum Pusten zu laden. Dies kann ein gewitztes Manöver sein, auf der anderen Seite wird die Zeit, die man mit den netten Damen und Herren in Uniform verbringen darf, dadurch erheblich verlängert. Stellt man dabei im Umgang ungeschickt an, wächst die Gefahr auf andere Substanzen überprüft zu werden. Das Zauberwort heißt Souveränität. Und damit ist nicht Selbstüberschätzung gemeint. Dazu neigen viele Kiffer eh nicht, aber seien wir ehrlich: Viele Menschen der heutige Zeit leben polytoxisch, haben also zumeist zum Joint eh ein Bier genossen. Souveränität bedeutet, einen offenen, selbstbewussten Umgang mit den Ordnungshütern zu pflegen. Verhuschtes in die Ecke drücken, verblödetes Gekichere oder fahriges Rumnesteln an Jacke und Portemonnaie sind zu vermeiden. Großkotziges Alki-Gelaber natürlich ebenso. Wer eh zu nervösen Handlungssträngen neigt, sollte sich des schlechten Eindrucks auf Staatsdiener bewusst sein. Gerade jüngeren Polizeibeamten braucht man mit kessen Sprüchen meist nicht kommen.

An dieser Stelle sei der Schauplatz des automobilen Straßenverkehrs kurz verlassen. Denn auch, wenn man als Radfahrer oder Fußgänger mit Gras oder Haschisch von der Polizei aufgegriffen wird, ist der Lappen in Gefahr. Oft gibt die Polizei ihre Erkenntnis über den Spaziergänger an die zuständige Führerscheinstelle (oft das Landratsamt) weiter. Die Damen und Herren dort werden sich nun fragen, ob eine Kraftfahreignung überhaupt gegeben ist und dies gegebenenfalls überprüfen.

Aber zurück zu unserem Auto- oder Motorradfahrer. Der nächste Schritt auf der Eskalationsstufe ist die Blutabnahme durch einen Arzt. Hier hilft kein Zetern, die muss man über sich ergehen lassen. Gemotze und Gejammer hilft sowieso nicht weiter, denn das Blut wird dadurch nicht sauberer. Nachdem man um eine Spritzenfüllung Lebenssaft erleichtert wurde wird man wahrscheinlich mit Bus oder Bahn nach Hause fahren müssen. Es folgen Tage, Wochen und Monate der Unsicherheit, denn die Behörden lassen sich meist Zeit.

Was für Folgen drohen, sollte die Analyse tatsächlich THC im Blut aufgespürt haben? Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. Nach rund 2-3 Wochen liegt der Polizei das Ergebnis der Blutuntersuchung vor. Dieses gilt es möglichst schnell in Erfahrung zu bringen, denn davon hängt das weitere Vorgehen ab. Zwei Werte sind entscheidend: Zum einen der Wert der THC-Carbonsäure (THC-COOH). Dieses Abbauprodukt ist im Urin bei starkem Konsum bis zu drei Monate, im Blutplasma bis zu vier Wochen nachweisbar. Zum anderen ist dies der Wert des THC-OH. Dieses Abbauprodukt ist nur wenige Stunden nach dem Konsum nachweisbar, es wird gerne auch „aktives THC“ genannt. Mal ganz abgesehen von den Maßnahmen, die die Polizei vollziehen möchte, weil aus ihrer Sicht eventuell eine Straftat vorliegt – sie wird den Vorgang auf jeden Fall an die Führerscheinstelle weiter leiten. Diese kann drei verschiedene Instrumente einsetzen – und diese sind abhängig von den oben genannten Werten.

  1. Die MPU. Die „Medizinisch Psychologische Untersuchung“ wird durchgeführt, wenn die Damen und Herren vor Ort davon ausgehen, dass der Führerscheininhaber aufgrund seines nachgewiesenen THC-Konsums nicht geeignet ist ein Fahrzeug zu führen. Die MPU besteht aus einem medizinischen Test, einem Reaktionstest, einem Gespräch mit einem Psychologen und einem Drogenscreening. Wichtig ist: In der MPU muss man durch einen sogenannten Abstinenznachweis zeigen, dass man in den letzten Monaten sauber gelebt hat.
  2. Das ärztliche Gutachten. Dieses wird angeordnet, wenn die Führerscheinstelle erst einmal prüfen will, ob eine MPU durchgeführt werden soll. Das ist oft der Fall, wenn nur eine geringe Menge von THC im Blut gefunden wurde. Das Gutachten ist also eine Art Vorstufe zur krasseren MPU. Bei einem ärztlichen Gutachten überprüft ein Arzt über einen längeren Zeitraum, ob man Cannabis oder andere Drogen konsumiert.
  3. Screening. Bei den sogenannten Screenings wird man einmal oder auch mehrmals sehr kurzfristig zu einem Drogenscreening eingeladen.

Einige Fallbeispiele verdeutlichen, was nun folgen kann. Fangen wir mal bei dem kleinstmöglichen Schaden an, nennen wir ihn Fall 1: Die Blutuntersuchung ergab kein aktives THC, wohl aber eine THC-COOH von 3 ng/ml. Damit weiß man, es ist lange her, dass dieser Fahrer gekifft hat. In den meisten Fällen drohen hier keine weiteren Konsequenzen, man darf weiterhin die Gegend mit dem fahrbaren Untersatz unsicher machen. Schon anders sieht es im zweiten der Beispielfälle aus: Findet die Polizei nämlich wiederum kein aktives THC, wohl aber THC-COOH in einer Konzentration zwischen ungefähr fünf und 75 ng/ml ist aus Sicht der Behörden deutlich, dass dieser Fahrer im letzten Monat mindestens einmal, wahrscheinlich aber öfter gekifft hat. Man wird also die Fahreignung anzweifeln und ein ärztliches Gutachten, mit etwas Glück aber keine MPU einfordern. Fall 3: Wiederum kein aktives THC, aber eine Menge von mehr als 75 ng/ml THC-COOH. Konsequenz: Der Lappen wird eingezogen. Die Behörde denkt, dass regelmäßig konsumiert wird, daher wird eine MPU angeordnet. Der vierte und häufigste Fall: Im Blut findet sich sowohl aktives THC wie auch ein Wert von mehr als fünf ng/ml Blut THC-COOH. Damit ist aus Sicht der Beamten klar, dass der Fahrer in den letzten Stunden vor Fahrtantritt einen Joint geraucht hat. Wenn keine erschwerenden Ausfallerscheinungen dazu gekommen sind (Schlangenlinie oder gar ein Unfall) ist dies eine so genannte Verkehrsordnungswidrigkeit. Das bedeutet zunächst: Ein Monat Fahrverbot, vier Punkte in Flensburg, Bußgeld, Auslagen der Polizei bezahlen. Kosten: Rund 600 Euronen. Den Führerschein gibt es erst wieder, ja, man ahnt es, nachdem man die MPU bestanden hat.

Über das geschmeidige Durchgleiten durch diesen legendären Test wurden schon ganze Bücher verfasst, im Internet kursieren Tipps. Das wichtigste ist zunächst einmal: Wer Lust auf mobilen CO-2 Ausstoß hat sollte sofort jeglichen Cannabiskonsum einstellen. Es wäre fatal während einem – auf welche Zeit auch immer befristeten – Fahrverbot munter weiter zu rauchen. Denn im Rahmen der MPU verlangt die Behörde später den Nachweis, dass man mindestens sechs Monate clean gewesen ist.

Die oben genannten Fälle decken nicht das gesamte Spektrum der Möglichkeiten ab, denn die Länderbehörden agieren unterschiedlich. Erschwerend kommt hinzu, wie oben bereits erwähnt, wenn während der Kontrolle Cannabis im Wagen oder am Körper gefunden wurde. Dann ist die Wurst warm, denn die Verwaltungsgerichte berechnen Konsumeinheiten und sind recht erfolgreich darin vor Gericht zu beweisen, dass man viel mehr rauchen würde als man selbst angibt.

Die Fünf „Nie“ im Straßenverkehr

  • Nie unter Cannabiseinfluss ein Auto, Motorrad oder Fahrrad steuern. Verwaltungsrechtlich auf der sicheren Seite ist man erst, wenn zwischen Konsum und Fahrtantritt 48 Stunden liegen.
  • Nie Cannabis im Auto mitführen. Denn das zeigt den Beamten, dass hier anscheinend ein Kiffer fährt und später dem Richter, dass jemand nicht in der Lage war, Konsum und Kraftfahren auseinander zu halten.
  • Nie besonders witzig, besonders eloquent oder besonders sonderlich rüberkommen. Denn: Du-bist-normal.
  • Nie den Konsum von Cannabis oder anderen Rauschmitteln zugeben. Auch nicht, wenn dies ein Monat oder Jahr her ist.
  • Nie vergessen: Das Fahrrad ist nicht nur das Fortbewegungsmittel mit der höchsten Energieeffizienz, seine Aktivierung führt auch zu Fitness und einem Wahnsinns-CO2-Karma.

 

 

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen Übermensch

Interview mit Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber und die Zukunft der Drogenkultur

Hanfblatt Nr. 112, März 2008 „

Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt!“

Interview mit dem Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber, dessen Anwendung in der Suchttherapie und die Zukunft der Drogenkultur.

Der US-Forscher Ken Wilber hat ein Erklärungsmodell für das Bewusstsein entwickelt, das verschiedenste philosophische und psychologische Ansätze integriert. Dadurch kommt er zu einem räumlichen Modell, dass im wesentlichen aus drei Elementen besteht: Quadranten, Ebenen und Zuständen. Quadranten sind die unterschiedlichen Bereiche, die jedes Ding ausmachen. Danach besitzt alles (ja, alles) eine Außenseite, nämlich den Körper, und eine Innenseite – das individuelle Bewusstsein. Zugleich steht dieses „Objekt/Subjekt“ in einem kollektiven Verbund, nämlich einem kulturellen und einem systemischen. Klingt kompliziert, ist aber ein einem Beispiel ganz einfach zu begreifen: Ein Mensch hat immer ein ganz persönliches Bewusstsein, zu dem nur er Zugang hat. Dieses ist mit seinem Gehirn als körperlichem Ausdruck verbunden. Zugleich ist kein Mensch allein auf der Welt, sondern er ist in das kollektive Bewusstsein seiner Kultur eingebunden. Der äußere Ausdruck seiner Gesellschaft findet sich in ihren Systemen und Institutionen wieder, wie beispielsweise der Wirtschaft und dem Verkehrswesen.

Und nun kommts: Keiner dieser Bereiche lässt sich auf einen anderen reduzieren, es gibt von allen Dingen also immer vier Aspekte, „vier edle Wahrheiten“, wie es im China-Restaurant heißen würde. Die Auswirkungen dieser Sichtweise sind phänomenal, denn nun es ist möglich, die seit Jahrhunderten propagierte Trennung zwischen Körper und Geist beizulegen: Das sind nach Wilber nur zwei Seiten der gleichen Medaille.

Quadranten nach Wilber
Quadranten und Ebenen nach Ken Wilber

Nun kann man einwenden: „Ja aber ein Stein, hat der auch ein persönliches und gar kollektives Bewusstsein? Die Anwort lautet „Ja“, wenn auch auf einer sehr niedrigen Ebene. Damit kommt man schon zur nächsten Annahme (nicht nur) Wilbers, daß die Evolution nämlich eine Richtung hat, hin zu mehr Bewusstheit. Ein Stein hat, so weit wir wissen, sehr sehr wenig Bewusstsein, eine Pflanze schon etwas mehr, weil sie auf ihre Umwelt reagieren kann, und dass ein höheres Tier recht viel Bewusstsein hat, wird wohl niemand bestreiten wollen. Aus diesem Beispiel wird aber auch ersichtlich, dass die Quadranten in Wechselwirkung zueinander stehen: je komplexer der Körper, desto komplexer ist auch das Bewusstsein. Und weil sich Atome, Moleküle, Zellen, höhere Lebewesen und Menschen zeitlich nacheinander entwickelt haben, spricht Wilber von Entwicklungsebenen, wobei jede folgende die vorherige integriert: Eine Zelle kann ohne Atome und Moleküle nicht sein.

Auch das menschliche Bewusstsein im Speziellen hat sich bis heute über mehrere deutlich unterscheidbare Ebenen entwickelt. Das Bewusstsein der Urhorden war archaisch, die Stämme hatten ein magisches, die frühen Hochkulturen ein mythisches Bewusstsein. In unserer Gesellschaft dominiert die rationale Ebene, die vom wissenschaftlichen Weltbild geprägt ist. Sie wird jedoch immer mehr von der pluralistischen Postmoderne („alles geht“) abgelöst. Wilber hofft für die Zukunft auf eine neue, integrale Bewusstseinsebene.

Jeder Mensch durchläuft die oben genannten Ebenen während seines Lebens. O.k., manche werden nie erwachsen, wie es so schön heißt, sie bleiben auf einer vorrationalen Ebene stehen. Die Mehrheit aber schwingt sich im Laufe des Lebens bis zu der Stufe auf, auf der der Großteil der Gesellschaft steht und die Wilber daher das „Durchschnittsbewusstsein“ nennt. Wer weiter will, wird durch den Magneten der sozialen Kontrolle zurück gehalten, wer hinterherhinkt, wird durch den Magneten der gesellschaftlichen Anforderungen nach oben gezogen.

Das dritte wichtige Element in Wilbers Bewusstseinsmodell sind die Bewusstseinszustände. Diese leitet er ganz einfach von den drei natürlichen Bewusstseinszuständen Wachen, Träumen und Tiefschlaf ab. An die letzen beiden können wir uns normalerweise nach dem Aufwachen nicht erinnern. Doch sind Wilber zufolge außergewöhnliche Bewusstseinszustände nichts anderes als ein wacher Zugang zu den Welten, die wir im Traum oder Tiefschlaf erleben. Auslöser für außergewöhnliche Bewusstseinszustände können extreme Lebenserfahrungen, spirituelle Techniken, aber auch psychoaktive Substanzen sein.

Zustände nach Wilber
Zustände nach Ken Wilber
Und nun kommts: Diese psychoaktiven Substanzen lassen sich recht elegant im Wilberschen Modell von Ebenen, Quadranten und Zuständen beschreiben. Nehmen wir nur einmal die Wirkung von Cannabis in den vier Quadranten: Zum einen haben wir den Konsumenten, der sein Wohlbefinden steigert und einen bestimmten, inneren, allein ihm zugänglichen Zustand erreicht. Zum anderen verändern sich dadurch seine Körper- und Hirnaktivität. Cannabis wirkt aber zugleich im kulturellen Quadranten, intersubjektiv, sozusagen. Hier wird ausdiskutiert, welche Bedeutung die Substanz für die Gesellschaft hat. Wohlgemerkt sprechen wir hier von der Innenseite, da durch Kommunikation gegenseitiges Verständnis erzeugt wird. Von außen betrachtet schafft Cannabis aber auch eine gesellschaftliche Infrastruktur (Headshops, Firmen, Polizeieinheiten, usw.): Das ist der untere rechte Quadrant.

Was nun Cannabis und andere psychoaktive Substanzen sonst noch mit dem Menschen aus der Sicht dieses Modells anstellen, darüber handelt das folgende Gespräch mit dem Psychologen und Suchttherapeuten Wulf Mirko Weinreich. In seinem Buch „Integrale Psychotherapie“ hat er das Wilbersche Modell für die psychotherapeutische Praxis umgesetzt, im März diesen Jahres wird er auf dem „Welt Psychedelik Forum“ in einem Vortrag die psychedelische Erfahrung im Kontext dieses Modells erläutern.

Frage:
Legt man das Modell Ken Wilbers zu Grunde, wirken psychoaktive Substanzen zum einen in den Quadranten, zum anderen auch im Bewusstsein des Menschen auf besondere Weise. Wie würden Sie die Wirkung von „Drogen“ zunächst einmal auf der subjektiven Ebene erklären?

Antwort:
Das hängt natürlich ganz von der Art der Substanz ab. Die lassen sich ja grob in drei Wirkungsrichtungen einteilen: die anregenden „Upper“, die beruhigenden „Downer“ und die Psychedelika. Es gibt auch noch ein paar Zwitter, wie MDMA und Cannabis.

Drogenwikrungen

Alle Substanzen, die auf dem Upper-Downer-Pfeil liegen, scheinen vor allem unser normales Tagesbewusstsein zu verändern, wobei die Upper bei den meisten Menschen deutlich Ich-stärkend wirken, die Downer eher Ich-auflösend. Um es extrem zu illustrieren: Man vergleiche dafür nur mal den typischen Kokainbenutzer mit dem typischen Heroinkonsumenten. Ganz anders dagegen wirken die Psychedelika, die es ermöglichen, das normale Tagesbewusstsein einschließlich des Ichs weitgehend zu transzendieren und in außergewöhnliche Bewusstseinszustände einzutauchen. Das Ich verstehe ich hier als individuelle psychische Struktur, also den Teil des Bewusstseins, der dafür sorgt, daß wir morgens beim Aufwachen immer noch wissen, das wir die gleiche Person sind wie gestern.

Frage:
Und wovon ist abhängig, ob die verschiedenen Substanzen einen positiven Aspekt in das Leben des Konsumenten einbringen?

Antwort:
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es nichts Negatives in unserem Universum gibt. Positiv und negativ sind menschliche Bewertungen, die einfach davon abhängen, ob etwas intelligent oder unintelligent eingesetzt wird: „Das Messer in der Hand eines Mörders ist etwas anderes als das Messer in der Hand eines Arztes.“ Selbst Heroin als die verrufenste Droge entfaltet als Morphium bei Schmerzpatienten ihr positives Potential.

Frage:
Intelligenter Einsatz ist also abhängig von der Kompetenz, der Motivation und vom Kontext?

Antwort:
Richtig. Psychoaktive Substanzen können uns die Möglichkeiten unseres eigenen Bewusstseins zeigen, oder auch, was uns fehlt. Sie können also Wegweiser sein – für dauerhafte Veränderung braucht man andere Methoden, wenn man nicht im Kreislauf der Sucht landen will. Ich benutze bei meinen Patienten gerne ein Bild: „Stell Dir vor, Du sitzt in einer dunklen Einzelzelle. Und dann nimmst Du eine Droge, die Fensterläden gehen auf, Du siehst die Sonne, den Himmel, eine Landschaft ohne Grenzen et cetera. Die Droge lässt nach – die Fensterläden schließen sich und Du sitzt wieder im Dunkeln. Um dauerhaft nach draußen zu kommen, hilft nur eines: Du musst Deinen Hintern bewegen!“ Und „Hintern bewegen“ ist für mich nur ein anderes Wort für Selbst-Entwicklung.

Frage:
Das zielt auf den transformatorischen Aspekt, der ja nicht immer erwünscht ist. Die meisten der Konsumenten wollen ja eher eine kurzzeitige Entspannung oder Erregung ihrer Lebenslage.

Antwort:
Die meisten Menschen benutzen psychoaktive Substanzen für Dinge, für die sie eigentlich nicht da sind: zur Gefühlsregulation, zur Problembewältigung, für Kontakt und Abgrenzung und so weiter. Das geht am wahren Potential der Substanzen vorbei. Sich nur entspannen zu wollen, das ist psychologisch gesehen, wie mit dem LKW Brötchen holen fahren – ein Fahrrad hätte es auch getan – beispielsweise Sex oder eine Phantasiereise. Aus integraler Sicht ist der transformatorische Aspekt natürlich der interessantere, wobei Transformation durchaus auch Spaß machen darf.

Frage:
Aber wie benutzt man psychoaktive Substanzen korrekt?

Antwort:
Der Hauptunterschied zwischen der hedonistischen und der transformatorischen Verwendung ist das Setting und vor allem die Aufmerksamkeitsausrichtung. Im ersten Falle agiert der Konsument in der Außenwelt und nimmt sich selbst nur am Rande wahr. Im zweiten Falle liegt die Aufmerksamkeit ganz auf der Selbstbeobachtung: Was verändert sich wie in Körper und Bewusstsein während der Wirkzeit? Erst dadurch können die Substanzen ihr volles Potential entfalten – und der Anwender kann lernen, in diese Zustände ohne chemische Hilfe zu kommen. MDMA kann das Wesen der Liebe zeigen, LSD ermöglicht spirituelle Erfahrungen. Aber natürlich ist in MDMA keine Liebe und in LSD keine Transzendenz enthalten – das ist alles im Bewusstsein des Anwenders. Ob jemand nun fähig ist, eine Substanz als Wegweiser zu benutzen, oder hedonistisch oder sich sogar nur zudröhnt, hängt natürlich von seiner persönlichen Reife ab – was integral gesehen nichts anderes als seine individuelle Bewusstseinsebene ist. .
Um mal ein Beispiel zu bringen: 1985 habe ich einen Beutel Marihuana geschenkt bekommen. Das war natürlich ein Schatz in der DDR, den man nicht so einfach wegpaffen konnte. Also habe ich mir immer wieder Settings überlegt, wie ich das meiste da rausholen konnte. Z.B. mehrere Runden den gleichen Weg durch ein Stück Straße und Park gehen, jedes Mal mit einem anderen Musikstück im Walkman und dabei beobachten, wie sich die eigenen Gefühle und der visuelle Eindruck je nach Musikstück änderten. Jedes Mal habe ich mir irgendetwas einfallen lassen, was ich erforschen wollte. Die einzelnen Experimente fanden immer im Abstand von mehreren Wochen statt. Nach 10-12 Malen hatte ich das Gefühl, alles gelernt zu haben und Marihuana wurde uninteressant. Nach der Wende habe ich noch ein paar andere Substanzen kennengelernt, mit denen es mir genauso erging: Ein paar Mal ausprobieren, lernen, wie ich den Zustand willentlich ohne Substanz herbeiführen kann – und Tschüß.

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Frage:
Und die Gefahr der rein entspannenden Herangehensweise liegt worin?

Antwort:
Die hedonistische Haltung verführt sehr zur eigenen Passivität und dazu, immer öfter immer mehr zu nehmen. Das verändert den Konsumenten auch – aber eher in regressiver Weise. Es ist für mich zum Beispiel erstaunlich, dass die meisten Patienten in meiner Klinik schon zig „Pappen“ eingeworfen, aber noch nie das volle Potential von LSD erlebt haben. Sie sagen, es sei schön bunt gewesen –von der wahren Natur des Bewusstseins keine Spur. Bei anderen Substanzen genau das gleiche. Und sie sind immer ganz platt, wenn ich ihnen zeige, dass sie mit bestimmten Trance-Techniken die gleichen Zustände wie mit ihren Drogen erreichen können.

Frage:
Denkt man dieses Argument bis zum Ende, könnte es zur Legitimation der momentanen Drogenpolitik dienen, da die hedonistischen Nutzer den Zusammenhalt des sozialen Systems gefährden.

Antwort:
Drogen sind meines Erachtens gerade in der hedonistischen Anwendung grundsätzlich systemstabilisierend, da die hedonistische Anwendung nicht zu kritischen Einsichten führt. Anregende Drogen wirken leistungssteigernd, beruhigende Drogen stellen die Leute ruhig – was will der Staat mehr? Das es Gesetze gegen viele psychoaktive Substanzen gibt, hat meines Erachtens weniger mit deren Gefahrenpotential, sondern eher was mit Traditionen und rivalisierenden Lobbies zu tun. Wissenschaftlich lässt sich der derzeitige Zustand jedenfalls nicht begründen.

Frage:
Müssen, um zu einer besseren Anwendung von Drogen zu kommen, zugleich immer auch Veränderungen in allen Quadranten angestoßen werden?

Antwort:
Grundsätzlich käme der notwendige Veränderungsimpuls aus dem kollektiv-inneren Quadranten, nämlich dann, wenn genügend Individuen die derzeit herrschenden Auffassungen in Frage stellen. Das Problem ist, dass diese Diskussion kaum von den reinen Hedonisten ausgeht, obwohl sie in der Überzahl sind. Eigentlich müsste beispielsweise der „Verein für Drogenpolitik“ mehrere Millionen Mitglieder haben – tatsächlich sind es nur einige hundert. Dagegen schafft es die Gruppe von Menschen, die sich für eine transformatorische Anwendung dieser Substanzen einsetzt, allein in diesem Jahr im deutschsprachigen Raum zwei Großkongresse auf die Beine zu stellen – dabei sind das weltweit vielleicht nur tausend Menschen.

Frage:
Der kollektive-innere Quadrant, also das „Wir“, unterliegt in seiner Bewertung von psychoaktiven Substanzen den Zwängen der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaftsform. Wie kann es angesichts der Konsummechanismen zum Umdenken kommen?

Antwort:
Die Frage verleitet ja fast zu einer allgemeinen Kapitalismuskritik – das spare ich mir hier mal. Integral betrachtet gehe ich davon aus, dass die Evolution einfach weiter geht – also auch die Evolution des individuellen und kollektiven menschlichen Bewusstseins. Daraus folgt, dass sich das Durchschnittsbewusstsein unserer Gesellschaft langsam aber sicher nach oben verschiebt. Damit wird irgendwann sowohl genügend Wissen vorhanden sein, um psychoaktive Substanzen differenziert zu bewerten, als auch genügend Kraft im Sinne von gesellschaftlichem Druck, um aus diesem Wissen konkrete Gesetze entstehen zu lassen. Man braucht also nur etwas Geduld.

Frage:
Wie könnte denn eine integrale Drogenpolitik aussehen?

Antwort:
Lassen Sie mich mal ein bisschen in die Zukunft spinnen: Eine solche Drogenpolitik müsste sowohl die Quadranten als auch die Ebenen beachten. Das heißt beispielsweise, dass restriktive Gesetze für Menschen, die sich mit relativ einfachen Bewusstseinsstufen identifizieren, weiterhin angebracht sein können – in diese Richtung geht ja der Jugendschutz. Dummerweise hört die Differenzierung der Gesetze mit 18 Jahren auf. Nur weil der Körper dann ausgewachsen ist, sind noch längst nicht alle Menschen „erwachsen“. Auch nach dem 18. Lebensjahr gibt es noch Entwicklung, allerdings verlagert sie sich immer stärker vom Körper auf das Bewusstsein in Form von Persönlichkeitsreifung. Es gibt zwar eine Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen auch reifer sind, das ist aber kein linearer Zusammenhang. Das heißt, dass Erwachsene gleichen Alters nicht alle auf derselben Bewusstseinsebene stehen. Ich nenne die Bewusstseinsebene gerne „inneres Alter“ – im Gegensatz zum „äußeren Alter“ des Körpers. Anders ausgedrückt: Menschen über 18 unterscheiden sich nicht nur quantitativ voneinander, indem der eine vielleicht etwas schlauer ist, als der andere, sondern auch qualitativ. Konsequent zu Ende gedacht müssten für jede Ebene eigene Gesetze gemacht werden…

Frage:
… was unter falscher Anwendung leicht zu einem totalitären Staat führen kann.

Antwort:
Als Suchttherapeut würde ich mir Liberalität lieber auf anderen Gebieten denn dem der Drogen wünschen. Psychoaktive Substanzen können zwar durchaus intelligent eingesetzt werden, sind aber nicht wirklich lebensnotwendig. Da ich als junger Mensch auch etwas zur Übertreibung neigte, bin ich ganz froh, als ehemaliger DDR-Bürger erst mit 30 richtig mit dem Thema Drogen konfrontiert worden zu sein. Doch zurück zu einer integralen Drogenpolitik:
Da sich Bewusstseinsebenen derzeit nur relativ aufwendig bestimmen lassen, wäre die einzige praktikable Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten Substanzen auch über das 18. Lebensjahr hinaus nach dem körperlichen Alter zu regeln, also Gesetze für 30-, 40- oder 50-jährige zu erlassen. Vielleicht gibt es irgendwann ja mal die Möglichkeit, die Bewusstseinsebene relativ schnell und sicher neurologisch zu bestimmen.

Frage:
Die neurologische Bestimmung wäre ja eine reine Messung im rechten Quadranten.

Antwort:
Wenn Wilber Recht hat, dass alle Phänomene in den inneren Quadranten Korrelate in den äußeren haben, müsste sich die Bewusstseinsebene des Einzelnen auch neurologisch nachweisen lassen. Zielorientierte Bewusstseinstests sind leider sehr anfällig, wie z.B. Assessment-Center zeigen: Nur um die begehrte Stelle zu bekommen, werden die richtigen Antworten von den Anwärtern auswendig gelernt, egal, ob man für den Job geeignet ist, oder nicht. Da bietet der rechte Quadrant einfach die objektiveren Daten, weshalb ja auch das körperliche Alter oft als Kriterium genommen wird. In meiner Zukunftsspekulation wäre ein neurologischer Status nichts anderes, als ein körperliches Kriterium – nur viel differenzierter. Genau genommen wäre es eher eine Form von Leistungsdiagnostik, so wie Schulzeugnisse. Nur dass hier nicht Intelligenz, sondern das allgemeine Bewusstseinsniveau gemessen würde. Leider sind Intelligenz und Persönlichkeitsreife ja nicht identisch, sonst würden es die Schulzeugnisse auch tun. Aber wie gesagt, dass ist nur eine Idee auf der Suche nach einem einfachen, objektiven und akzeptablen Kriterium.

Frage:
Und was hätte man von so einem so differenzierten Kriterium?

Antwort:
So, wie Schulzeugnisse einem Menschen unterschiedliche Rechte verleihen – z.B. die Möglichkeit zu studieren oder eine bestimmte Stellung in der Gesellschaft einzunehmen – so könnte das gleiche für die Bewusstseinsebene in Bezug auf einen differenzierten Zugang zu psychoaktiven Substanzen gelten. Auch wenn es im Moment ungewöhnlich klingt, so gäbe es dann die Möglichkeit, dass Menschen gleichen äußeren Alters aufgrund ihres unterschiedlichen inneren Alters unterschiedliche Rechte hätten. Das könnte z.B. heißen, dass ein Mensch Alkohol trinken darf. Einem anderen – gleichaltrigen – wäre es dagegen verboten, weil man sich aufgrund seiner Bewusstseinsebene nicht sicher sein kann, ob er anderen Leuten unter Alkoholeinfluß nicht den Schädel einschlägt. Aus der Anwendung der Persönlichkeitsreife als Kriterium, ergäbe sich ein ironisches Paradoxon: Derzeit sind Drogen vorrangig ein Jugendthema. Nach dem integralen Modell käme es zu einer Umkehrung: Je älter – besser: je reifer – ein Mensch ist, desto eher würde ihm legaler Zugang zu bestimmten Substanzen gewährt.

Frage:
Ich wüsste aber immer noch gerne etwas mehr über die Auswirkung einer integralen Drogenpolitik auf die kollektiven Quadranten?

Antwort:
Eines hatte ich schon genannt: Eine differenziertere Betrachtung dieser Substanzen in der öffentlichen Meinung und daraus abgeleitete Gesetze. Außerdem müßte eine wirkliche Kultur im Umgang mit psychoaktiven Substanzen entwickelt werden, wie sie viele Naturvölker noch haben. Das heißt, die Menschen müssen lernen, mit diesen hochpotenten Mitteln sinnvoll umzugehen, nicht nur im Party-Setting. Thomas Metzingers Vorschlag für einen LSD-Führerschein geht z.B. in diese Richtung. Im kollektiv-äußeren Quadranten ginge es z.B. darum, außer dem Repressionsapparat eine Infrastruktur zu schaffen, die einen konstruktiven Gebrauch überhaupt erst ermöglicht. Das würde mit einer staatlich kontrollierter Produktion und dem Vertrieb beginnen, um Missbrauch weitestgehend auszuschließen, und vielleicht mit speziellen Forschungslaboratorien enden.
Um hier keine falschen Hoffnungen zu wecken und es ganz deutlich zu sagen: Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt! Statt dessen ginge es um einen mit dem integralen Modell begründbaren differenzierten und rationalen Umgang mit diesen Substanzen. Der derzeitige Umgang in der westlichen Welt ist völlig irrational – was einer der Gründe für die Drogenkriminalität ist: Gesetze, die keiner versteht, werden ignoriert. Lediglich Holland versucht da andere Wege zu gehen.
Viele der jungen Leute, die sich heute die Freiheit nehmen, Drogen nach eigenem Gutdünken zu konsumieren, wären auch nach dem integralen Modell von bestimmten Substanzen ausgeschlossen. Verschiedene Drogen, deren Gefahrenpotential nachgewiesenermaßen geringer ist als die des Alkohols und die jetzt noch verboten sind, wären dann aber sicher auch in jungen Jahren schon erlaubt. Das 21. Lebensjahr sollte aber nach meiner Auffassung die absolut untere Grenze sein – Bewusstseinsebene hin oder her. Vorher haben Körper und Geist noch mit der Pubertät zu tun, so dass der Drogenkonsum in 99% aller Fälle nur dazu dient, die damit verbundenen Unannehmlichkeiten zu kompensieren. Vielleicht würde das Konsumalter für Alkohol sogar auf 25 oder 30 Jahre heraufgesetzt. Weitere Substanzen wiederum, deren Sucht und Gefahrenpotential absolut nicht beherrschbar ist, würden sicher für den Normalbürger generell verboten bleiben und wären nur bestimmten, z.B. medizinischen, Anwendungsbereichen vorbehalten. Wenn Evolution nach Wilber eine ständige Zunahme an Differenzierung und Komplexität ist, kann eine zukünftige Drogenpolitik auch nur eine differenzierte und komplexe sein. Im Moment ist das ja oft sehr grob: Die Befürworter sagen „Ja“ und die Gegner „Nein“ – und das wars.

Frage:
Wie sieht es aus mit der integralen Drogenpolitik im rechten oberen Quadranten, die sich mit den objektiven, beobachtbaren Tatsachen beschäftigt? Was können die herkömmlichen Naturwissenschaften leisten?

Antwort:
In diesem Bereich sind natürlich vor allem die Biochemie, die Psychologie, die Medizin und die Neurowissenschaften gefragt, um die Auswirkungen psychoaktiver Substanzen sowohl auf den Körper als auch auf das Bewusstsein des Individuums zu untersuchen. Verrückterweise werden diese Wissenschaften am stärksten von der allgemeinen Drogenprohibition getroffen: Während der Jugendliche auf dem Parkplatz vor seiner Disko das – illegale – Drogenparadies vorfindet, quält sich der interessierte Wissenschaftler von Sondergenehmigung zu Sondergenehmigung. In Wissenschaftskreisen ist allgemein bekannt, dass das Gefahren- und Suchtpotential der Substanzen sehr unterschiedlich ist. Das zeigen auch meine eigenen Ratings bei Konsumenten. Drogenklassifikation

Zu ähnlichen Ergebnissen ist 2007 eine englische Befragung gekommen, die an Ärzten, Polizei- und Justizbeamten durchgeführt wurde, die im Drogenbereich arbeiten. Aus diesen und auch vielen medizinischen Erkenntnissen müsste die Politik nur mal die entsprechenden Schlüsse ziehen.
Was Sie in der oberen Tabelle sehen, sind bloß die negativen Aspekte. Viel spannender wären natürlich die positiven, nämlich das einmalige Potential der einzelnen Substanzen. Der weitaus größte Teil der Untersuchungen, die es dazu gibt, stammt leider aus den 60er Jahren, also aus der Zeit, bevor der „war on drugs“ ausgerufen wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es wieder eine nennenswerte Forschung. Diese ist vor allem neurologisch orientiert, versucht also mit bildgebenden Verfahren die Wirkung auf das Gehirn zu untersuchen. Die wirklich spannende Frage ist natürlich, wie eine Substanz zum Wohl der Menschen genutzt werden kann – und da reicht es nicht, die chemischen und biologischen Veränderungen im Gehirn zu untersuchen, sondern auch die Auswirkungen auf Denken, Fühlen und Verhalten.

Frage:
Sie sind ja nun Psychologe und Suchttherapeut, beschäftigen sich also überwiegend mit dem individuell-inneren Quadranten. Wo sehen Sie da Anwendungsmöglichkeiten?

Antwort:
Da ich selbst über 20 Jahre Meditationserfahrung habe, interessieren mich persönlich besonders außergewöhnliche Bewusstseinszustände – also das, was man u.a. auch mit bewusstseinserweiternden Drogen erreichen kann. Unsere Gesellschaft leidet unter anderem ja an einer Sinnkrise. Weder der rationale Materialismus – „Money makes, that the world goes round“ – noch das mythische Christentum sind in der Lage, dieses Loch in den Seelen zu füllen. Erforschung des Innenraumes über Meditation wäre eine Möglichkeit – doch hat nicht jeder die Zeit dazu, sich 20 Jahre lang hinzusetzen. Ein entsprechendes Setting vorausgesetzt, bräuchte es eigentlich nur 45 Minuten, damit einem Menschen deutlich wird, dass Atheismus ein Irrtum ist und auch der christliche Vater-Gott ein bißchen an der Wahrheit vorbei geht – nämlich so lange, wie die meisten oral eingenommenen Halluzinogene brauchen, um zu wirken. Wer jemals die entsprechende Erfahrung gemacht hat, weiß, dass es sich dabei nicht um „Halluzinationen“ handelt, wie uns der Name Halluzinogene weismachen möchte, sondern dass es so ist, als ob einem eine Augenbinde abgenommen wird – und man die Welt zum ersten Mal sieht, wie sie wirklich ist.

Frage:
Wenn man das so hört, wundere ich mich, dass halluzinogene Drogen keinen größeren Einfluß auf das religiöse Leben haben?

Antwort:
Ich finde ihn ziemlich stark. Das ganze vielgeschmähte New Age ist letztlich nichts anderes als ein Nachhall der ersten psychedelischen Revolution in den 60ern: Ein Teil der Jugend machte unter Drogen spirituelle Erfahrungen pantheistischer und panentheistischer Natur. Da unsere Gesellschaft dafür keine Erklärungsmodelle hatte, wandten sie sich in den Osten. Sie suchten nach Erklärungen und nach Wegen, um diese Zustände permanent zur Verfügung zu haben. Das beste Beispiel sind die Beatles, die zu Maharishi Mahesh Yogi gingen, nachdem sie LSD genommen hatten. Das hat letztendlich den Buddhismus-, Zen- und Hinduismus-Boom ausgelöst. Auch die Beschäftigung mit dem Schamanismus gehört dazu. Im Westen bieten die Unitarier bzw. Freireligiösen zwar Erklärungsmodelle im Geiste der Aufklärung, aber keine Erfahrungswege, wie man solche Zustände dauerhaft verwirklichen kann. Letztendlich geht es aber darum, beides zusammenzubringen: Die Wege, um unmittelbare spirituelle Erfahrungen zu machen, sowie Erklärungsmodelle, die möglichst moderne und postmoderne Erkenntnisse mit einschließen sollten, die also einer rationalen oder pluralistischen Bewusstseinsebene entsprechen. Das könnte ein zeitgemäßer Ausweg aus der heutigen Sinnkrise sein. Dank des deutschen Papstes geht es im Moment ja eher wieder zurück in Richtung Mittelalter.

Frage:
Gibt es direkte therapeutische Anwendungen?

Antwort:
Die meisten Therapeuten beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Tagesbewusstsein, also dem manifesten ICH. Aus integraler Sicht könnte man es so beschreiben, dass sie psychisch Kranken helfen, eine Bewusstseinsstufe zu erreichen, die die umgebende Gesellschaft für das äußere Alter des Betroffenen für angemessen hält. Dabei wird sehr viel mit Verhaltenstraining, Aufarbeitung der Vergangenheit, Einsicht, etc. gearbeitet, wenig jedoch mit intensiven korrigierenden Erfahrungen. Und gerade da könnten solche Substanzen hilfreich sein, als Wegweiser oder als Katalysator für psychische Prozesse. Z.B. erhielten in den 60ern Alkoholabhängige in Kanada eine einmalige Dosis LSD in einem klinisch-therapeutischen Setting – mit einer bis heute anhaltenden umwerfenden Effektivität. Ich persönlich halte zwar LSD aufgrund von Wirkungsdauer und Intensität gerade bei wenig strukturierten Patienten für ein extrem heftiges Medikament. In letzter Zeit wird der Einsatz von MDMA und verwandten Stoffen bei verschiedenen psychischen und psychosomatischen Krankheiten untersucht, z.B. bei Posttraumatischen Belastungsstörungen. Diese Substanz scheint das größte therapeutische Potential zu haben, bei einem relativ geringen Gefahren- und Suchtpotential. In meinen Gruppen hatte ich z.B. noch nie einen Ecstasy-Abhängigen. Die meisten, die diese Droge hedonistisch einnehmen, kennen sie ja nur im Party-Setting, meist überdosiert, damit sie länger tanzen können und mehr Alkohol vertragen. 95% meiner Patienten haben noch nie den Zustand erlebt, den man vielleicht am besten als „Herzöffnung“ bezeichnen kann, obwohl sie schon hunderte Pillen „geklinkt“ haben. Wenn ich „95%“ sage, ist mir schon bewusst, dass das nicht repräsentativ ist, da Menschen, die eine Therapie nötig haben, diesbezüglich eine Negativ-Auswahl darstellen. Dieser Zustand der „Herzöffnung“ zeichnet sich durch absolute Angstfreiheit, Urvertrauen und Kontaktfähigkeit aus. Dadurch ist es recht leicht möglich, sich mit Traumata auseinanderzusetzen, deren Konfrontation man normalerweise vermeiden würde. Das ist das, was man als Katalysatorfunktion bezeichnen könnte.

Frage:
Kritiker wenden ein, dass es absurd sei, in der Suchttherapie Drogen einzusetzen.

Antwort:
Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine einmalige Erfahrung im therapeutischen Setting Süchtigen klar machen könnte, was sie eigentlich in den Drogen suchen, nämlich Nähe, Kontakt, Sicherheit. Viele von ihnen sind ja genau das Gegenteil: Sie sind voller Spannungen, misstrauisch und absolut nicht kontaktfähig. Gerade wenn jemand durch traumatische Erfahrungen oder eine lange Haftzeit emotional total blockiert ist, könnte die Erfahrung dessen, was möglich ist, eine Neuorientierung anstoßen.
Eine andere Möglichkeit ergäbe sich bei der Therapie von Menschen, die eine drogeninduzierte Psychose haben, die nach einem „Horrortrip“ „auf LSD hängengeblieben“ sind, wie man so schön sagt. In der normalen Psychiatrie versucht man das manifeste ICH zu stabilisieren. Als Gegengewicht zur Unordnung, die der Horrortrip im subtilen Selbst dieser Menschen verursacht hat, mag das ganz hilfreich sein – die Unordnung selbst wird dadurch aber nicht beseitigt. Eine wirkliche Heilung von Horrortrips kann meines Erachtens nur erfolgen, wenn man mit therapeutischer Hilfe noch einmal an diesen Platz geht, das heißt, indem man den ursächlichen Bewusstseinszustand jenseits des Tagesbewusstseins noch einmal induziert. Da die meisten dieser Menschen das nicht willentlich hinbekommen, wäre eine Möglichkeit die therapeutisch gesteuerte Anwendung eines Halluzinogens um dann den Schrecken bewusst zu integrieren. Allerdings wären solche Anwendungen sicher Einzelentscheidungen, da nicht alle Patienten fähig sind, aus derartigen Sitzungen die entsprechenden Einsichten zu ziehen. Und es kann ja nicht darum gehen, bestehende Psychosen oder Suchtstrukturen zu verfestigen. Das vorhin erwähnte Beispiel mit den Alkoholikern oder die erfolgreiche Therapie von Heroin-Abhängigen mit Ibogain zeigen, dass die therapeutische Anwendung psychoaktiver Substanzen nicht zu mehr, sondern zu weniger Sucht führt.

Frage:
Das therapeutische-transformatorische Setting, das Sie immer wieder betonen, was ist das besondere daran?

Antwort:
Die Beschreibungen ähneln sich da ziemlich: Statt „Risiko-Mischkonsum“ in großen Mengen werden die Substanzen dort in sehr geringer Dosis und pur verabreicht, dann niemals häufig, sondern nur einmal oder wenige Male in großen Abständen und nach sorgfältiger vorheriger Vorbereitung, statt Lärm ist dort Stille, statt Bewegung ist dort Ruhe, statt um den Kontakt mit anderen Menschen geht es um den Kontakt mit sich selbst. Dazu kommt dann noch eine entsprechende Lenkung durch Fragen, die der Therapeut stellt. Das ist natürlich das genaue Gegenteil vom Party-Setting.

Frage:
Wenn der therapeutische Nutzen so offensichtlich ist, warum wird das aus ihrer Sicht nicht schon längst praktiziert?

Antwort:
Da gibt es mehrere Gründe. Die politischen hatten wir schon. Dann gibt es natürlich wirtschaftliche: MDMA wurde schon 1913 entdeckt. Doch damals gab es noch keine richtige Psychotherapie. Heute, wo man wüsste, was man damit anfangen kann, sind die Patente abgelaufen. Das heißt, dass MDMA für die Pharmakonzerne völlig uninteressant ist, da sich damit kein Geld mehr verdienen läßt. Für andere Substanzen wie LSD und Psilocybin gilt ungefähr das gleiche. Außerdem müssen Vorteile und Nachteile natürlich erst einmal genau erforscht werden – wobei die Risiken der meisten klassischen psychoaktiven Substanzen natürlich bekannter sind als die Nebenwirkungen vieler Medikamente, die die Pharmakonzerne aktuell auf den Markt bringen. Hinzu kommt der alte Streit zwischen Medizin und Psychotherapie: Nur Ärzte dürfen Medikamente geben, auch psychoaktive. Aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Auftrages sind die meisten Mediziner allerdings nicht an Medikamenten interessiert, die zu außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen führen – im Gegenteil: Der Mensch soll doch wieder „normal“ werden. Morphium ist okay, das nimmt die Schmerzen und der Patient ist wieder normal. Und Polamidon nimmt den Heroinabhängigen den Suchtdruck, ohne einen Rausch zu erzeugen. Aber MDMA, Ibogain oder LSD? Dabei haben diese 3 Substanzen wenig oder kein eigenes Suchtpotential. Wenn ich all die abhängig machenden Medikamente sehe, habe ich manchmal das Gefühl, dass die meisten Ärzte mehr Angst vor dem Rausch als vor der Sucht haben.

Weinreich

Frage:
Was haben Sie für ein Klientel? Können Sie das genauer beschreiben?

Antwort:
Altersmäßig natürlich eher junge Leute, die meisten aus dem Prekariat. Und wenn ich es nach den Hauptdrogen trennen sollte, könnte ich sagen, ca. 30% Heroin, 30% Kokain, 30% Methamphetamin und 10% THC. Von diesen 100% sind 98% aber auch Raucher und 80% haben ein Alkoholproblem. Oft steht letzteres sogar im Vordergrund.

Frage:
Und das Wilbersche Modell findet Verwendung bei Ihrer Arbeit?

Antwort:
Klar! Daran wird doch eines deutlich: dass Sucht in erster Linie keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsstörung ist. Das zeigt sich an den Symptomen in allen Quadranten, z.B. emotionale und kognitive Unreife im individuell-inneren und süchtiges Verhalten und die körperlichen Auswirkungen im individuell-äußeren. An den Grenzen zu den kollektiven Quadranten kommen dann Störungen der Beziehungsfähigkeit und eine radikale Weltsicht im inneren und dissoziales Verhalten wie Beschaffungskriminalität etc. im äußeren hinzu. Normalerweise bekommen wir einfach nicht mit, das das alles zusammengehört, weil wir unsere Aufmerksamkeit aus dem Kontext heraus immer nur auf einen Quadranten richten. Und dann sehen wir entweder den Kriminellen, oder den Süchtigen, oder den Radikalen oder den emotional instabilen Menschen. Das sind einfach alles Symptome, die für eine bestimmte Entwicklungsebene typisch sind, mit der sich die meisten der oben beschriebenen Klienten identifizieren. In der klassischen Psychologie läuft sie unter dem Terminus „Persönlichkeitsstörung“. Der Blick durch die Quadrantenbrille hilft mir, das ganze Paket von Symptomen als ein Ganzes zu sehen und mich nicht an einzelnen festzubeißen. Das heißt, ich versuche nicht nur, den Patienten von seiner Sucht wegzukriegen, sondern ihm auch zu helfen, einen Entwicklungsschritt als ganzer Mensch, also in allen Quadranten zu machen.

Frage:
Ist das Modell für Ihre Patienten denn nicht etwas zu kompliziert?

Antwort:
Ich arbeite da schon mit Vereinfachungen, doch versuche ich ihnen grundsätzlich die Bewusstseinsebenen klar zu machen, vor allem, was es für Vorteile hat, sich da weiterzuentwickeln. Manchmal geht es auch ganz handfest zu. Z.B. lasse ich mich nicht auf rechtsradikale Diskussionen ein, da es dabei meines Erachtens nicht um eine wirkliche politische Meinung geht. Ich mache ihnen einfach deutlich, dass Rechtsradikalität eine Kinderkrankheit des Geistes ist, wie Mumps oder Masern für den Körper. Und dagegen hilft nur eines: Schnell erwachsen werden.

Frage:
Wo sehen Sie denn als nächstes Veränderungen im öffentlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen?

Antwort:
Ich bin mir sicher, dass die psychotherapeutische Anwendung über kurz oder lang kommen wird. Die Forschung in anderen Ländern ist sehr verheißungsvoll. Und spätestens wenn die Krankenkassen mitbekommen, dass sie damit viel Geld und Therapiezeit sparen können, werden sie Druck auf die Pharmakonzerne und die Politiker ausüben, damit die ihre Blockadehaltung aufgeben. Das könnte noch vor einer Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes kommen.


Personeninfo:
Wulf Mirko Weinreich

geb. 1959, Dipl.-Psych., außerdem Studium der Ethnologie, Sinologie und Religionswissenschaft, schon viele Jahre mit Unterstützung vieler Lehrer und Methoden auf Entdeckungsreise im eigenen Innenraum, seit 1985 therapeutische Arbeit mit Methoden der Humanistischen, Systemischen und Transpersonalen Psychologie im Einzel- und Gruppensetting, mehrere Jahre ehrenamtliche Mitarbeit in einer Drogenberatungsstelle, z. Zt. Gruppentherapeut in einer Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen, Autor des Buches „Integrale Psychotherapie“
Website: http://www.integrale-psychotherapie.de

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Cannabis Drogenpolitik

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

This will get you medicated!

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt. Das verändert auch die Kifferkultur.

Über die vergangenen Jahre hat sich immer deutlicher herausgestellt: Cannabis hilft bei schweren Krankheiten. In den USA ist daher in 12 Bundesstaaten Patienten die Anwendung von Marihuana oder Haschisch erlaubt, es soll an die 300.000 autorisierte Cannabis-Nutzer geben. Die Regierung in Washington kämpft gegen die Verschreibungswelle.

Es ist eine groteske Situation, die sich da in den USA entwickelt hat. Die Bundesregierung unter George W. Bush wehrt sich strikt gegen die Zulassung von Hanfprodukten als Medizin. Mehr noch, sie bekämpft die Anstrengungen einzelner Bundesstaaten Cannabis für Schwerkranke zugänglich zu halten. Dabei haben mittlerweile 12 der 50 Bundesstaaten Gesetze erlassen, welche die Abgabe von Cannabis an Patienten regeln. Mittlerweile soll es in den USA 250.000 bis 300.000 autorisierte Medizinalhanf-Nutzer geben.

So ist auf regionaler Ebene legal, was auf Bundesebene illegal ist. In Staaten wie Montana und Colorado kam es im vergangenen Jahr zu seltsamen Szenen: Der örtliche Polizei hatte sich in einigen Städten damit arrangiert, dass Ärzte Marihuana verschreiben, Patienten, die mit einem Beutel angetroffen wurden, blieben unbehelligt. Am nächsten Tag aber verhafteten Beamte der Strafverfolgungsbehörde DEA die Personen und räumten die Läden aus, in denen die Patienten ihr Cannabis erhalten hatten.

Der Vertrieb des heilkräftigen Cannabis‘ ist ohnehin die Crux: Zwar dürfen Ärzte Hanf verschreiben, nur gibt es aufgrund der Bundesgesetze keine offiziell legalen Möglichkeiten für die Kranken, an ihr Medikament zu kommen. So entstanden Cannabis-Clubs, die unterschiedlichen funktionieren. In einigen erhält man nur Cannabis, wenn man ein ordentliches Clubmitglied ist. Bei anderen reicht es aus, wenn man am Eingang seine Rezept vom Arzt vorzeigt. In beiden Fällen öffnet sich dahinter meist eine breite Auswahl an Therapeutika. Verschiedenen Sorten, meist grob nach Sativa und Indica und ihres Wirkungsgrades getrennt, Öle, Butter und Kekse sind in unterschiedlichen Mengeneinheiten zu kaufen. Ein typischer Beutel mit einer 1/8 Ounce (3,5 Gramm) kostet 50 Dollar. In einigen Clubs zahlen arme Kranke nichts für ihr Gras, die anderen Klienten tragen dieses Modell. Sogar Haschisch gibt es auf Rezept.

Die Hochburg dieser Entwicklung ist Kalifornien. Alleine hier sind zur Zeit über 10.000 Patienten registriert. Die Genehmigungen für Rauschhanf gelten ein Jahr lang. Die Clubs agieren halblegal, aber nicht im Untergrund. Ihre Namen klingen wie aus einem Hippie-Streifen: Das „Purple Heart Center“ in Oakland, das „Love Shack“ und die „Bernal Heights Arzneiausgabe“ in San Francisco.

Der dortige „Medical Cannabis Act“ wurde 2005 erlassen, damit wurde ein Entwicklung angestoßen, von der selbst die Cannabis-Befürworter nicht immer genau wissen, ob sie gut verläuft: Innerhalb kurzer Zeit entstanden fast 100 Clubs, manche von Aktivisten der ersten Stunde, manche aus reinen Profitgründen gegründet. Nicht immer war klar, wer unter welchen Umständen Cannabis erhielt. Der Druck aus Washington wurde größer. Seit Sommer 2007 müssen sich die Clubs nun einer strengen Sicherheitsüberprüfung stellen, die Bürokratiemühle kam in Gang. Gesundheitsamt, Arbeitsschutz, Feuerwehr: jeder brachte seine Richtlinien vor. 6.600 Dollar Anmeldegebühr sind seither pro Club fällig.

Clubs wie die „HopeNet Co-Op“ und der „Good Fellows Smoke Shop“ haben die Zulassung erhalten, auch, weil sie eng mit den Behörden zusammenarbeiten. Matt Kumin, ein Anwalt aus San Francisco, berät Cannabis-Clubs und ist überzeugt: „Nur die Kooperationen werden überleben, die Allianzen mit Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden eingehen und auch Forscher ihre Projekt überprüfen lassen.“

Martin Olive vom „Vapor Room“ stimmt dem zu, er und sein Kompagnon arbeiten mit „Americans for Safe Access“ zusammen, einer Vereinigung von Bürgerrechtlern, Wissenschaftler und Patienten mit über 40.000 Mitgliedern (sic!), die sich für den ordentlichen Zugang zu Cannabis einsetzen. Olive berichtet von 75 Todkranken, die sein Club kostenlos mit Cannabis versorgt. Im „Vapor Room“ wird ein großer Teil des Medizinalhanfs gleich vor Ort konsumiert, „das schließt den Wiederverkauf aus“.

Abseits der Cannabis-Clubs haben sich Lieferservices und Head-Shops mit Hinterzimmer etabliert, die Autoren Patrick McCartney and Martin A. Lee („Acid Dreams“) sprechen gar von 400 Stück, 200 davon alleine in der Region in und um Los Angeles. Die Zeiten der „Social Clubs“ sind vorbei, neuerdings wird von „Dispensaries“ gesprochen, ein medizinischer Fachausdruck für Arzneiabgabestellen. Gras aus Mittel- und Südamerika wird in diesen modernen Apotheken kaum noch verkauft, die örtlichen Grower in Orange County und dem Rest der USA liefern seit Jahren gute Qualität. Man spricht in Anlehnung an goldene Zeiten bereits vom „Großen kalifornischen Grasrausch“.

Es mehren sich die Zeichen, dass die gute Idee der Abgabe eines naturnahen Medikaments an schwerkranke Menschen aus dem Ruder gelaufen ist. Darunter leiden vor allem die tatsächlich Kranken: Die Genehmigungen führen immer wieder zu Problemen, sei es, weil ein Patient von einem Bundesrichter angeklagt wird oder er mehr als die genehmigten Pflanzen in seinem Garten groß gezogen hat. Die Zahl der Anklagen gegen Patienten ist enorm angestiegen, immer wieder schließt die DEA auch sauber arbeitende Clubs und vernichtet das Cannabis vor Ort. Ärzte werden verdächtigt, ohne vernünftige Diagnose Rezepte auszustellen. Journalisten proben die Praxis und erhalten tatsächlich ohne Probleme eine Verschreibung. Es ist ein absurdes Durcheinander entstanden.

Der Wunsch nach Normalisierung des Cannabiskonsum für jedermann droht die zarte Wurzel des Medizinalhanfs anzufressen.
Mit großen Problemen sind diejenigen konfrontiert, die Cannabis für medizinische Zwecke anbauen. 1996 rief der Bürgermeister des kalifornischen Santa Cruz den 15. November zum Tag des “medizinischen Cannabis” aus und ehrte Valerie Corral in seiner Rede. Damals gediehen unter ihrer Obhut Hanfpflanzen für 125 schwerkranke Menschen, denen sie die harzhaltigen Blütenstände lieferte. Zwei Jahre später wurde ihre hoch gelobte Plantage von der DEA hoch genommen.

Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten (Stand: Januar 2008)
Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis
Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung
Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten
(Stand: Januar 2008)

In anderen Bundesstaaten ist die Medizinalhanf-Bewegung ebenfalls weit fortgeschritten. Zur Zeit haben neben Kalifornien noch elf weitere Bundesstaaten Cannabis als Medizin (meist über Volksentscheide) legalisiert: Alaska, Colorado, Hawaii, Maine, Maryland, Montana, Nevada, New Mexico, Oregon, Rhode Island, Vermont und Washington.

Meist ist nur relativ genau geregelt, wer wievielt Cannabis sein Eigen nennen darf. Beispiel Rhode Island. Hier darf „ein Patient zwölf Pflanzen besitzen“ und 2,5 Ounces (rund 70 Gramm) Gras besitzen. Beispiel Oregon: Dort hat die Konkretisierung des Cannabis-Gesetzes im Jahr 2006 fest geschrieben: Jeder Patient darf bis zu sechs reife Pflanzen und 18 Setzlinge beherbergen, zudem 24 Ounces (680 Gramm) Cannabiskraut für den persönlichen Gebrauch horten. Auch in Oregon ist der Erhalt von Cannabis kein Einzelfall mehr: Das medizinische Programm umfasst rund 15.000 Patienten.
Auch die Indikationen sind von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Meist umfassten sie AIDS, Krebs und Multiple Sklerose, nicht immer auch Glaukom, Epilepsie und chronische Schmerzen.

Angesichts solcher Zahlen ist es kein Wunder, dass die Gegner der Verschreibung vermuten, dass jeder mit Lust auf Rausch sich zu einem Arzt bewegt. Und tatsächlich: Besonders verschreibungswillige Mediziner werden auf Listen im Internet geführt. Auf der anderen Seite stehen eine große Anzahl von Menschen mit ernsthaften Leiden, wie Multipler Sklerose oder AIDS, die enorm von der Wirkung des natürlichen Cannabis profitieren. Die Entkriminalisierung-Bewegung, vor allem aber die Kiffer, die Cannabis nur aus verständlichen Kreativitäts- und Entspannungsgründen konsumieren, werden sich überlegen müssen, ob ihr Aufsatteln auf das Pferd mit Namen „Cannabis als Medizin“ dieses nicht allzu schnell zum erlahmen bringen wird. Damit wäre dann niemanden mehr geholfen.

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Rezensionen

Rezension Ingo Niermann Adriano Sack: Breites Wissen

HanfBlatt Nr. 107

Registerfreaks

In den Zeiten der Unübersichtlichkeit sollen Listen und Lexika für Ordnung sorgen. Seit Ben Schotts Sammelsurium ist der Listenwahnsinn ausgebrochen, das Buch von Ingo Niermann und Adriano Sack setzt noch einen drauf. Sie führen uns in den Kosmos des „Breiten Wissens“, der „seltsame Welt der Drogen und ihrer Nutzer“. Auf knapp 200 Seiten folgt eine Liste nach der anderen: wer was mit welcher psychoaktiven Substanz mal angestellt hat und was sich mit den anderen noch anstellen lässt.

Auf der einen Seite ist es sicherlich Effekthascherei, eine Art „Gala“ der prominenten Kokser und User aufzuführen. Auf der anderen Seite: Bei dieser Menge an Informationen über Drogen ist es eine gewichtige Leistung der Autoren, wenig Fehler zugelassen zu haben. Von Harnsperre nach Engelstrompetenkonsum ist zwar in der Praxis wenig bekannt, auch von rektalen Kokain-Heroin-Cocktails bei Pferden träumte wohl nur Harry Anslinger. Die kürzeste Liste ist die der drogenfreien Musiker, hier steht nur der Name „Frank Zappa“ und auch das ist nicht ganz richtig, denn Zappa war zum einen die Wirkung von Marihuana wohlbekannt, er hat nur später nicht mehr gekifft, zum anderen war er starker Zigaretten-Raucher.

Das Buch durchzieht der Tonfall eines Johannes B. Kerner: „Es gibt ja Berichte, die besagen, dass sie ihre Frau schlagen. Ich sage das ja nicht, nur die Berichte. Was sagen sie dazu?“ Im vorliegenden Werk ist diese Art der anbiedernden Distanz ironisch überspitzt, dass macht den Listenirrsinn erträglicher. Die Autoren tragen viel Wissenswertes und noch mehr Anekdoten zusammen, eine Sammlung, die in dieser Form bisher nicht existiert. Hut ab!

So erfährt man viel über die Drogenaffinität der Helden des modernen Zeitalters: Filmstars, Politiker, Modemacher, Fußballspieler und deren Trainer, irgendwie scheint jeder schon mal eine Pille geworfen oder den Rüssel ins Pulver gesteckt zu haben. Aufgelistet werden die „Dämlichsten Drogenfilme“, „Wichtige Drogenhändler“, „Großartige Drogenszenen der Filmgeschichte“ (eine interessante List, nur fehlt hier aus meiner Sicht „Blueberry“ von Jan Kounen), es gibt eine Liste mit „Woran man gutes Haschisch erkennt“, eine über „Literarische Drogenklassiker“, mehrere über das Verhalten von Tieren auf Droge und eine über „Deutschsprachige Kokainlieder“. Dazu kommen Tipps wie „So faltet man ein Kokainbriefchen” oder Bauanleitungen für ein Erdloch. Das alles ist kurzweilig, da kann jedermann in der Mitte anfangen und erwischt trotzdem den Faden, denn es gibt ja keinen. Höchstens den weiteren Beweis, dass die „bösen Drogen“ inmitten der Gesellschaft angekommen sind.

Wenn man denn mäkeln will liegt das eigentliche Problem des Buches in seiner Kurzatmigkeit. Das lässt sich bei Listen zwar kaum vermeiden, wird aber hier erwähnt, damit das Buch nicht in den Ruf gerät, eine Art amüsantes Nachschlagewerk, gar ein Lexikon zu sein. Denn es ist oft nur die halbe Wahrheit, die dem Leser präsentiert wird. Wer dieses Buch liest sollte sich auf eine Reise gefasst machen, einen (Über-) Flug über ein Meeresregion – wer tauchen will, sollte eine andere Karte zur Hand nehmen.

Ein „toxikologisches Manifest“ der Autoren schließt das Buch ab. Die dort aufgeführten 10 Punkte fassen den Irrweg des „Krieges gegen die Drogen“ noch einmal hervorragend zusammen. Fazit: In Zeiten der Lexika- und Listenmanie ist das Werk ein weiteres schönes Sammelsurium, das einige Mythen aufklärt und andere erst schafft. Endlich dürfen Anekdoten und Wissenschaft miteinander spielen.

 

Ingo Niermann, Adriano Sack: Breites Wissen.
Die seltsamen Wege der Drogen und ihrer Nutzer
Eichborn Berlin Verlag 2007
180 Seiten
14,90 Euro
ISBN: 978-3-8218-5669-8

 

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Cognitive Enhancement Übermensch

Einleitung zum Telepolis Übermensch Blog – Projekt Übermensch: Upgrade ins Nirvana

Einleitung zu einem neuen Telepolis-Blog am 21.11.2007

Projekt Übermensch: Upgrade ins Nirvana

Jörg Auf dem Hövel

Robotik, Neuro-Implantate, Hirn-Enhancement, Gentechnik: Wohin führt das?

Zwang und Lust an Vervollkommnung der eigenen Person sind uralt, evolutionär zunächst dem Überleben dienend wurde Erkenntnis zum Kulturgut. Schon die frühen Werkzeuge erweiterten den allgemeinen Handlungsraum des Menschen. Interessant wurde es immer dann, wenn die Werkzeuge inkorporiert wurden, denn dann stand Integrität und Wesensnatur auf dem Spiel.

Krücke, Holzbein und Brille sind frühe Prothesen, ihre Linie verlängert sich bis zu den chipgesteuerten Hochleistungsprothesen bei den heutigen Paralympics. Früher waren Prothesen und Implantate schlechter Ersatz, nun ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis eine Prothese oder ein Implantat zum Ausschluss eines Sportlers bei einem Wettbewerb führen wird (Wann ist ein Mann ein Mann?). Der rasante technische Fortschritt, Rechenkapazität gepaart mit Miniaturisierung, ermöglichen den Einzug der Technik in den Körper. Ein wunderbares Beispiel dafür, vor welchen Aufgaben die Sportethik zukünftig stehen wird.

baumkroneCochlea-Implantate übernehmen das Ohr, andere zentrale Funktionen des Körpers werden folgen. Teile der KI-Gemeinde träumen schon jetzt von der Übernahme höherer kognitiver Funktionen. Aber der Künstlichen Intelligenz sind über die Jahre die Grenzen ihres Ansatzes vor Augen geführt worden. Das hält die Apologeten des vollständigen Nachbaus des Menschen nicht davon ab, in unregelmäßigen Abständen den Durchbruch zu verkünden. In den letzten Jahren ist es still geworden um Minsky, Moravec und Kurzweil, dafür durfte Aubrey de Grey ran und die Heilung des Alterns voraussagen. Man kann sich über die Propheten lustig machen, sie sind allerdings nur die Randerscheinung einer umfassenden Geistesströmung, welche die Fähigkeiten des Menschen technisch erweitern will.

Die Rolle der in menschenähnlichen Maschinen verkörperten Künstlichen Intelligenz dürfte dabei klein bleiben. In eng umrissenen Welten wie beispielsweise Schachbrettern ist die KI stark, sobald sie in reale Unwägbarkeiten geworfen wird, zeigt sich die Schwäche der reinen Berechnung. Die Siliziumknechte tummeln sich zur Zeit auf Miniatur-Fußballplätzen oder auf vier Rädern in der Wüste und haben frappante Probleme, sich autonom zu orientieren, anzukommen, geschweige denn auch noch sinnig zu handeln.

Dort wo KI zum Posthumanismus wird, ist die Schwelle zum Erlösungsversprechen übertreten. Ob Reinraum des Cyberspace oder Upgrade eines Androiden mit kompletthumaner Software: Im Kern geht es um den Übergang des menschlichen Wesens in eine neue Seinsform. Logischerweise fließt in diesem Siliziumparadies nur klares Wasser die Flüsse hinunter und alle Frauen haben Körbchengröße G.

Neuro-Enhancement

Weitere Techniken weisen über den Menschen hinaus: Magnetisches und medikamentöses Enhancement der Denkvorgänge und natürlich die Gentechnik. Die Doping-Diskussion ist momentan noch primär an körperlich leistungssteigernden Substanzen wie EPO festgemacht, dabei leben Teile der Gesellschaft in einem dauergedopten Zustand. Morgens Koffein, Abends das Entspannungsbierchen, am Wochenende ein Näschen. Für die Verzweifelten Prozac, für die Willigen Viagra, für die Gestressten Diazepam.

Das spirituelle Doping des Geistes fristet ein Schattendasein in der Ecke der Drogenpolitik. Diese wird mittlerweile ohnehin von den Pharma-Konzernen effektiver betrieben. Indikationen lassen sich immer finden, das Geld kommt mit dem Off-Label-Use rein. Die Diskussion um Neuro-Enhancement mittels neuer, legaler Wirkstoffe ist bereits in Gang, aber in den Pipelines der pharmazeutischen Firmen ist kein Wundermittel mit Namen „Nürnberger Trichter“ in Sicht.

Allerdings werden die Grundlagen des Lernens immer besser ergründet, die Erforschung der Alzheimer Demenz zeigt die neuronalen Bedingungen des Denkens auf, hier lastet Leistungsdruck auf den Arzneimittelforschern. Weil zudem hohe Gewinne locken, ist damit zu rechnen, dass bessere Wirkstoffe entwickelt werden, die zumindest die Degeneration aufhalten. Ob dies in gesunden Menschen zu einer Leistungssteigerung des Denkorgans führt, steht auf einem anderen Blatt.

Genbasierte Designer-Medikamente

Rund zehn Prozent aller Medikamente auf dem Markt sind mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt worden – Tendenz steigend. Im Gegensatz zur grünen Gentechnik ist dieser Bereich der roten Gentechnik weithin akzeptiert. Das Einbringen eines fremden Gens in einen Organismus, um diesen zur Expression eines bestimmten Wirkstoffs zu bringen, ist die eine Sache, das Einbringen von fremden Genen in den menschlichen Organismus eine andere.

Aus Sicht einiger Mediziner ist diese „Gentherapie“ nur die logische Fortsetzung der Produktion von gentechnischen Arzneimitteln. Hierbei würde beispielsweise ein Patient mit einer Enzym-Mangelkrankheit keine Medikamente mehr einnehmen, sondern einige seiner Körperzellen würden gentechnisch so verändert werden, dass er das fehlende Enzym selbst bildet.

Bei der erblichen Immunschwäche SCID-X wurde das schon versucht, doch es trat als Nebenwirkung Leukämie auf. Die Mediziner hatten das Enzym-Gen an einer falschen Stelle ins Erbgut der schwerkranken Probanden eingefügt. Gentherapeutisch behandeln tat man auch zwei Männer in Frankfurt am Main. Dort wurde 2005 den zwei schwerkranken Patienten blutbildende, gentechnisch veränderte Stammzellen injiziert. Der Erfolg ist bis heute umstritten, die Langzeitwirkung auf die körpereigenen Zellen unklar.

Wissenschaftler wie der Humangenom-Pionier Francis Collins, der das „Human Genome Project“ zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms leitete, sehen gleichwohl optimistisch in die Zukunft. Er sagt voraus, dass bis 2020 genbasierte Designer-Medikamente für Bluthochdruck, Diabetes und andere der sogenannten „Volkskrankheiten“ verfügbar sein werden.

An dieser Stelle kann der Raum betreten werden, in dem die Zukunftsmusik spielt. Vorstellbar sind zukünftig beispielsweise Gentherapien, die auf die Nachkommen des Patienten vererbt werden. Noch verwehren sich die Mediziner gegen solche Ideen. Und noch geht es nur um ein Stück vom Leben für schwerkranke Menschen.

Der Übermensch des 21. Jahrhunderts

Schon immer gab es Bemühungen, sich mit Hilfe der Errungenschaften der Medizin nicht nur zu therapieren, sondern auch über den normalen Zustand hinaus zu optimieren. An dieser Stelle setzt Enhancement an, die Erweiterung der Basisfunktion.

Dieses Über-sich-Hinauswachsen, der Versuch der Vervollkommnung, die Lust, schier Übermenschliches zu leisten, ist Triebkraft der Menschheit bis heute; mit allen kreativen wie zerstörerischen Konsequenzen. Mit ironischer Konnotation kann man von einer sozialen Bewegung der „Übermenschen“ sprechen.

Aber der Übermensch ist nicht nur einer, der über sich hinaus wachsen will. Nach Friedrich Nietzsche will der Übermensch die Kräfte des heiligen Chaos in das Diesseits bringen. Alle Gefühlsspitzen und Erweckungen, aber auch die bis dato ins Jenseits gerichteten Ekstasen und Hoffnungen auf Erlösung sollen zurück auf die Erde gebracht werden.

Während Nietzsches Übermensch die Religion in sich wieder finden will, hat der Übermensch des 21. Jahrhunderts sie in den Raum technischer Potentiale zurück verfrachtet. Gründe dafür gibt es genug: Der Fortschritt wurschtelt sich in die letzten Fasern des molekularen Daseins hinein, alles scheint erklärbar, wenn nicht heute, so doch morgen. In diesem Sinne ist Wissenschaft zur Quasi-Religion geworden. Das über sich hinaus wachsen ist heute technisch banalisiert, die Aufgehobenheit im heiligen Chaos, dem geistigen Urgrund aller Religionen vor ihrer unheilvollen Institutionalisierung, ist heute eher durch den Cyberspace erwünscht als durch religiöse Praktiken.

Nietzsches Übermensch war ein entscheidendes Stück weiter gegangen. Erst in der Transzendierung des arbeitsorientierten, technisierten Welt findet der Mensch seine wahre Bestimmung: Ein hingebungsvolles Leben als Kunstwerk. Nicht nur am Rande sei hier erwähnt, dass der Übermensch eben auch Gefahr läuft sich einzubilden, über die aus seiner Sicht Zurückgebliebenen zu richten. Wo der Übermensch herrscht müssen die Untermenschen leiden.

Selbstvervollkommnung trägt immer auch die Gefahr der Egozentrik und des Größenwahns in sich. Durch das über sich hinauswachsen entfremdet der Mensch sich dann von sich selbst. Man merkt, hier schwingt im Hintergrund schon die Idee von der Raupe, die noch zum Schmetterling werden muss. Getrieben wird diese nur heute wohl weniger vom naturgegebenen Programm, als von den Anforderungen der Leistungs-, manche würden sagen kapitalistischen Gesellschaft.

Angesichts der ökologischen Lage kann der Übermensch heute nur noch bescheiden von seinem Gipfel aus hinab blicken. Zu lange hat er vergessen, auf welchem Grund und Boden er da eigentlich steht. Nun müssen Aufstreben und Genügsamkeit neu ausbalanciert werden.

Es gibt also viel zu tun, um die Chancen, Gefahren und Absurditäten des Projekts „Übermensch“ zu erläutern. In einem neuen Telepolis-Blog wird davon zukünftig die Rede sein.

 

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Psychoaktive Substanzen

Ätherisches Hanföl

Hanfblatt, Nr. 110, November 2007

Gewidmet dem unbekannten Aromaten

Welchen Anteil kann ätherisches Hanfblütenöl an der psychoaktiven Wirkung von Rauschhanf-Präparaten haben?

Dauerkiffer wie „Mister Nice“ (Howard Marks) geben unumwunden zu, dass sie in erster Linie in der Lage sind, zu unterscheiden, wie stark ein Cannabispräparat törnt, nicht aber Variationen der Wirkungsform unterscheiden zu können. Gelegentliche Konsumenten vom Feinschmeckertypus geben dagegen an, ähnlich wie Alkoholgenießer, unabhängig von Set und Setting, Einnahmeform und Potenz, Unterschiede in der Art der Wirkung erkennen zu können. Die Art des von diversen Rauschhanf-Züchtungslinien und Haschischsorten zu erwartenden „Highs“ wird in Foren und Samenkatalogen oft blumig ausgemahlt, von „in die Couch drückend“ bis „cerebral“ ist alles dabei. Von Indicas erwartet man in der Regel ein anderes High als von Sativas, von Indischem Haschisch eine andere Wirkung als von Maroc. Solche Unterschiede kennt man auch von alkoholischen Produkten und coffeinhaltigen Genußmitteln. Deren spezifische Wirkung lässt sich anscheinend nicht allein auf die isolierten und identifizierten psychoaktiven Wirkstoffe zurückführen.

Für die psychoaktive Wirkung von Hanfpräparaten wird gemeinhin eine Substanz, das Delta-9-Tetrahydrocannabinol, kurz THC genannt, verantwortlich gemacht. Andere Substanzen aus der chemischen Gruppe der Cannabinoide, von denen mehr als 60 verschiedene im Hanf entdeckt wurden, könnten dessen Wirkungen beeinflussen. Besonders das in vielen exotischen Haschischsorten zu einem hohen Anteil vertretene und in Faserhanf den Hauptbestandteil bildende Cannabidiol (CBD) steht in dem Ruf dem THC dämpfend bis einschläfernd und beruhigend bis angstlösend entgegen wirken zu können. Leider ist das Zusammenspiel der verschiedenen Cannabinoide und ihrer Isomere noch immer unzureichend erforscht.

Rätselhaft erscheint, dass die chemische Analyse qualitativ hochwertiger Präparate hochgezüchter Sorten in den letzten Jahren lediglich einen hohen Gehalt an THC ergeben hat. Der Anteil anderer Cannabinoide war demnach praktisch zu vernachlässigen. Wie kommt es aber, dass Konsumenten auch bei diesen Produkten Unterschiede in der Wirkung wahrnehmen wollen? Lässt man einmal subjektive Beeinflussung durch Herkunftsmythen, optisches Erscheinungsbild, Geruch und Raucheigenschaften außer Acht, dann kommen noch Hunderte anderer Cannabis-Inhaltsstoffe als Beeinflusser der THC-Wirkung in Frage. Von der Mehrzahl dieser Substanzen ist aber einerseits nichts über eine mögliche Psychoaktivität bekannt oder ihr Gehalt ist so gering, dass eine irgendwie geartete psychoaktive Wirkung nicht zu erwarten ist. Hier scheint also derzeit keine Klärung dieser Frage in Sicht.

Nun hat der bekannte amerikanische Hanf-Autor Ed Rosenthal die Bestandteile des ätherischen Öls der Hanfpflanze, das für deren charakteristischen Geruch verantwortlich ist, als mögliche psychoaktive Wirkstoffe ins Spiel gebracht. Im dritten Band des „Big Book of Buds“, einer Sammlung interessanter aber nicht kritisch hinterfragter Sortenporträts, wie sie von diversen Samenhändlern herausgebracht werden, erwähnt er mehrere Bestandteile ätherischer Öle. Diese könnnen nach den vorliegenden Analysedaten tatsächlich allenfalls in Spuren im ätherischen Hanföl vorhanden sein, wenn überhaupt. Zumindest legt er keinerlei Analysedaten vor, die ihr Vorkommen belegen. Wenn man an ihnen riecht, erkennt man unmittelbar, dass es sich bei ihnen nicht um Hauptbestandteile des ätherischen Hanföls handeln kann (Linalool, Terpineol, Borneol, Cineol, Pulegon). Ihre hypothetischen psychoaktiven Wirkungen, wie sie Rosenthal analog zur Aromatherapie, allerdings maßlos überzeichnet, postuliert, kann man deshalb an dieser Stelle außen vor lassen. Es ist interessanter sich auf die tatsächlich nachgewiesenen Bestandteile zu konzentrieren, von denen er immerhin Myrcen, Pinen, Limonen und Caryophyllen erwähnt.

Hochwertiges ätherisches Hanföl wird in der Schweiz als wohlriechender Parfüm- und Kosmetikabestandteil, Lebensmittelaroma und für die Aromatherapie professionell durch Wasserdampfdestillation der frischen ausgereiften möglichst wenig bestäubten Blütenstände im Freiland gewachsener weiblicher Pflanzen für den internationalen Markt gewonnen (siehe z.B. www.olison.ch). Der Ertrag ist gering. Ein Kilo frischer Blüten THC-haltiger Sorten liefert nur etwa 1,5 Milliliter ätherisches Öl. Faserhanfsorten liefern in der Regel weniger. Würde man die Blüten vorher trocknen, müsste man mit etwa einem Drittel Verlust durch vorzeitige Verdampfung rechnen. Auch würde sich die Zusammensetzung verändern.

Tatsächlich variiert die Zusammensetzung des ätherischen Hanföls erheblich, abhängig von der Sorte und deren Wachstumsbedingungen. Zu bedenken ist, dass sich das Spektrum der Bestandteile des ätherischen Öls im Laufe des Wachstums und der Blütenentwicklung verändert. Selbst von Tageszeiten scheint es abhängig zu sein. Durch Hitze verdampft das ätherische Öl in Teilen. Vom Zeitpunkt der Blütenernte und damit dem Tod der Hanfpflanze an beginnen Verflüchtigungs- und Umwandlungsprozesse. Licht, Sauerstoff, Wärme und Luftzug tragen zu Verlusten und Veränderungen bei. Der Gehalt an ätherischem Öl verringert sich. Der Duft verändert sich. Selbst bei kühler Lagerung des reinen ätherischen Öls in Dunkelheit und unter Luftabschluß treten Prozesse auf, die im Sinne einer Reifung des Geruchsbildes bis zu einem gewissen Grade mitunter sogar erwünscht sein können.

Der mit Abstand charakteristischste Bestandteil des ätherischen Hanföls sowohl von Faserhanf- als auch Drogensorten ist nach den vorliegenden Analysedaten (insbesondere Mediavilla und Steinemann) mit an die 50% das Myrcen. Dieses allein riecht schon angenehm aromatisch und typisch nach Hanfblüten. Auch geschmacklich erinnert es an Hanfblüten.

Alpha-Pinen mit seiner an Zedern und Pinien erinnernden Kopfnote und Hauptbestandteil des gereinigten Terpentinöls und des Wacholderbeerenöls ist ein wichtiger Bestandteil besonders von Rauschhanfsorten. Sein Anteil kann im Einzelfall sehr hoch ausfallen. Bei manchen Indicas (z.B. Northern Lights) ist diese Note besonders deutlich zu riechen. In Kombination mit Alpha-Pinen, diesem aber immer untergeordnet, tritt Beta-Pinen auf. Es hat einen kampferartigen Geruch.

Limonen, Hauptbestandtteil von Zitronen- und Pomeranzenschalenöl, sowie des Bergamottöls, ist ein weiterer charakteristischer Bestandteil des Hanföls, verantwortlich für eine frische citrusartige Note, die bei manchen Hanfsorten vom Sativa-Typus (wie z.B. aus Swaziland) besonders ausgeprägt ist. Allerdings riechen auch einige andere Bestandteile, die in geringen Mengen im Hanföl gefunden wurden, nach Citrusfrüchten und vermögen damit womöglich diese Note im Einzelfall noch zu unterstreichen oder zu variieren.

 

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Phellandren, wichtiger Bestandteil im Latschenkiefernöl, im ätherischen Hanföl aber nur ein untergeordneter Bestandteil, hat eine frische Note, die an Kampfer und Eukalyptus denken lässt. Es mag vielleicht zu dem angenehm erfrischenden Duft beitragen, wie sie manchen Hanfsorten (z.B. vom Haze-Typus) bisweilen zu eigen ist.

Hanfblüten haben typischerweise auch eine mehr oder weniger ausgeprägte widersprüchlich, oft als eher abweisend empfundene Geruchsnote. Ein regelmäßig in recht hohen Mengen auftretender charakteristsicher Bestandteil dieser Richtung ist das Trans-Caryophyllen. Auf das dieses begleitende aber in erheblich niedrigerem Anteil vorhandene ähnlich, aber etwas wuchtiger riechende Caryophyllen-oxid, das auch in diversen anderen ätherischen Ölen, wie z.B. dem Gewürznelkenöl enthalten ist, sollen Drogenspürhunde dressiert sein.

Zahlreiche weitere in geringen Mengen oder Spuren im ätherischen Öl enthaltene sogenannte Mono- und Sesquiterpene leisten ihren Beitrag zum Gesamtgeruchsbild. Die genaue Zusammensetzung und das Zusammenspiel der Einzelbestandteile im Gesamtgeruchsbild gerade bei den diversen Rauschhanfsorten des Schwarzmarktes sind ein noch offenes Forschungsfeld.

Nicht nur botanisch, sondern auch in der Zusammensetzung des ätherischen Öles mit dem Hanf am Nächsten verwandt ist übrigens der Hopfen.

Wie sieht es nun aber mit den von Rosenthal ins Gespräch gebrachten angeblich möglichen psychoaktiven Wirkungen der Bestandteile des ätherischen Hanföls aus? Wenn man von einem realistischen Anteil von 0,8% ätherischem Öl in getrockneten Hanfblütenständen ausgeht, dann müssten, wenn man bei den gegenwärtigen hochpotenten Sorten pur geraucht von einer für einen veritablen Rauschzustand ausreichenden Dosis von 0,1 bis 0,2 Gramm ausgeht und eine Bioverfügbarkeit des verdampften ätherischen Öles von extrem großzügig gerechnet 50% postuliert, bereits insgesamt 0,4 bis 0,8 Milligramm ätherischer Öle für eine psychoaktive Wirkung verantwortlich sein. Im Falle des Hauptbestandteils Myrcen würde das heißen 0,2 Milligramm inhaliert (also die Dosis eines kräftigen LSD-Trips) wären bereits psychoaktiv. Davon ist wissenschaftlich nichts bekannt. Man kann sich denken, dass, wenn dies der Fall wäre, ätherisches Hanföl nicht frei verfügbar wäre.

Um zu überprüfen, ob ein direkter psychoaktiver Effekt durch die Einnahme oder Inhalation der wichtigsten Bestandteile des ätherischen Hanföls möglich ist, wurden heroische nicht zur Nachahmung empfohlene Selbstversuche gemacht. Sie zeigten: 11 mg Myrcen oral eingenommen (also die 55-fache Menge!), und es war nichts zu spüren. Normale Zigaretten, die reichlich mit einem künstlich zusammengestellten ätherischen Öl getränkt wurden, das analog natürlichem Hanföl aus Myrcen, Alpha- und Beta-Pinen, Limonen, Phellandren, sowie Caryophyllen und Caryophyllen-oxid zusammengestellt wurde, wurden mehrmals ohne Effekt geraucht. Zur Warnung sei angemerkt: Die ätherischen Öle sind leicht entflammbar, können evtl. hautirritierend und in zu hoher Dosis eingenommen toxisch wirken.

Eine eigene direkte physiologische psychoaktive Wirkung ist demnach bei den in den Hanfblüten vorgefundenen Mengen ätherischen Öls nach gegenwärtigem Kenntnisstand nicht wahrscheinlich. Es ist nicht angebracht, hier voreilig einen neuen Mythos, den von einer variablen Psychoaktivität der verschiedenen Bestandteile des ätherischen Hanföls zu kreieren.

Nichts desto trotz ist der spezifische Duft, das Aroma des Rauschhanfes, Teil seines individuellen Genusses und kann somit eventuell wie auch von anderen Genussmitteln bekannt indirekt das subjektive Rauscherleben beeinflussen. Hier gibt es auf jeden Fall noch viel zu erforschen.

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Cognitive Enhancement Übermensch

Modafinil, die Firma Cephalon und ein Selbstversuch

telepolis, 23.10.2007

Gehirn-Doping: Augen geradeaus

Wie die Pharmafirma Cephalon die vermeintliche Gehirndoping-Substanz Modafinil im psychoaktiven Markt etabliert. Dazu ein Selbstversuch

Im Jahre 1992 wunderte sich Frank Baldino. Die eigentlich nachtaktiven Mäuse in dem Versuchslabor der Pariser Firma Lafon blieben den ganzen Tag wach. Die Tiere standen unter dem Einfluss einer neu entwickelten Substanz, die gegen Depressionen helfen sollte. Die chemisch korrekte Bezeichnung für den Wachmacher lautete kryptisch 2-Diphenylmethyl-Sulfinyl-Acetamid, kurz „Modafinil“ genannt.

Baldino hatte 1987 in den USA die Pharma-Firma „Cephalon“ gegründet und war in Paris auf der Suche nach einem neuen, aufputschenden und vor allem verkaufsträchtigen Medikament mit wenig Nebenwirkungen. Er entschloss sich Modafinil zu lizensieren. 2006, genau 13 Jahre nach der Lizenzierung, nahm Baldinos Firma bereits jährlich 727 Millionen Dollar alleine mit Modafinil ein. Generika-Hersteller sind in ihre Schranken gewiesen worden, Cephalon kann Modafinil, das in den USA unter dem Namen Provigil (Deutschland: Vigil) über den Tresen geht, bis 2011 ungestört verkaufen.

Der Erfolg von Cephalon und Modafinil gilt als Blaupause für die Etablierung eines so genannten „cognitive enhancers“ im Markt, einer Hirnpille, die nicht nur aufmerksam, sondern auch schlauer machen soll. Ursprünglich gegen die plötzlichen Schlafattacken von Narkoleptikern zugelassen, mausert sich das Medikament seit einigen Jahren zum Alleskönner. Aber was kann die Substanz wirklich?

Erster Anlauf
27.7.2007, 16.00 Uhr
 Das Wochenende naht, aber es liegt Arbeit auf dem Schreibtisch. Schrecklich schwere Artikel für die Telepolis? Nein, wildes Geschreibsel für einen Newsletter. Ich nehme die erste 200mg Dosis Modafinil meines Lebens. Set und Setting sind hervorragend: Gut ernährt, drei Wochen Urlaub in Griechenland hinter mir, eine gesunde Frau, Familie und Freunde gut in Futter. Nun will ich leisten und dabei auch noch schlauer werden. Ich bemühe mich möglichst nicht auf die Wirkung zu achten, die muss schon von alleine kommen.
17.30 Uhr
 Leichte, subjektiv empfundene Temperaturerhöhung. Ich arbeite normal weiter. Zügig und gekonnt, wie immer. Weder bin ich schneller an der Tastatur, noch sprudeln besonders brillanten Sätze aus mir in den PC.
19.00 Uhr
 Nun ja, zwei Tassen Kaffee würden mich aufgeweckter, aber auch nervöser machen. Ein ganz subtile Wachheit ist da, gänzlich ohne Euphorie, ohne Schub, nichts, was sich nicht sofort wieder abschalten ließe.
20:30 Uhr
 Feierabend. Das Kino auf der Leinwand erlebt sich nicht anders. Und das bei dem Simpsons-Film. Behalte ich mehr als sonst? Vielleicht ist es auch das eine Duff-ähnliche Bier, das mich etwas träge macht. Alkohol scheint kontraproduktiv. Danach jedenfalls ist mir in der Helligkeit wohler.
22.00 Uhr
 Sozial voll verträglich. Ich plaudere ohne besonders eloquent zu sein. Aber manchmal schaue ich mich um und merke: irgendwas ist anders.
22.15 Uhr
 Plötzlich leichtes ziehen im Unterkiefer, eine Erinnerung an das MDMA der späten 80er Jahre. Allerdings ohne dessen aufwallende, schwitzende Gefühlsschübe. Wahrscheinlich jubeln jetzt die Vertreter der Flashback-Theorien auf. Tja, jede wirklich gute Erinnerung setzt sich halt fest und wird eventuell mal wieder rausgekitzelt.
22:45
 Ich beobachte schon etwas schärfer, oder bilde ich mir das nur ein? Ein Grundproblem von Modafinil. Vielleicht hätte ich keinen grünen Tee beim Asiaten trinken sollten. Aus dem Essen kommen keine Würmer, „Langweilig“, wie Homer Simpson sagen würde. Ich gähne zu dritten Mal. Ist es das Gefühl, bevor aus gleich richtig abgeht? Nein.
23 Uhr
 Ich schaue Ottis Schlachthof auf Bayern 3. Ein sicheres Zeichen, dass ich nicht normal bin. Oder lockt mich der intellektuelle Humor? Unklar.
23.30 Uhr
 Ich lese.
1:45 Uhr
 Immer noch wach. Wahrscheinlich könnte ich gut schlafen, aber warum? Ich dümpel zwischen GTR2-Online Racing und einem Buch über die Lebensgeschichte eines toskanischen Kaufmanns aus dem 15. Jahrhundert.. Leichtes Hangovergefühl im Gesicht macht sich breit. Kein guter Atemrhythmus.
2.30 Uhr
 Immer noch nicht richtig müde gehe ich trotzdem ins Bett und schlafe sofort ein. Kleiner Kater am nächsten Tag, eine gewisse Schwere im Körper.

Off-Label Erweiterung

Nach den klinischen Test genehmigte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA 1998 den Einsatz von Provigil bei Narkolepsie. Bei Narkoleptiker verringert Modafinil die Zahl der plötzlichen Schlafepisoden um ungefähr eine Attacke am Tag. Eine höhere Dosierung als 400 mg hilft nicht besser. Die Hälfte der Konsumenten leiden unter Kopfschmerzen, andere Störwirkungen können Übelkeit, Schwindel und Durchfall sein.

Schon vorher hatte Cephalon aber nicht nur Kontakt zu Neurologen aufgenommen, die das unbekannte Medikament zukünftig verschreiben sollten. Mit einer Marketingkampagne sorgte man für die Verbreitung auch bei Ärzten anderer Fachrichtungen. In einer Broschüre wurde auf die hervorragende Wirkung von Modafinil auch bei anderen Krankheiten hingewiesen. Lange Zeit hielt die FDA die Füße still, auch, weil die Substanz als relativ ungefährlich gilt und in dem Ruf steht, auch bei lang anhaltender Anwendung nicht abhängig zu machen.

2002 wurde es der Behörde zu bunt, man rügte die aggressiven Werbemethoden von Cephalon, Ende 2004 ermittelte sogar der Bundesstaatsanwalt. Das Problem: Die Gesetze verbieten Unternehmen die Anpreisung ihrer Mittelchen für andere Indikationen als die von der FDA genehmigten; man kann aber nicht verhindern, dass Ärzte auf eigene Faust experimentieren.

Zwar weiß bis heute keiner ganz genau wie die Droge im Körper funktioniert, das hindert aber gerade in den USA wenig Ärzte Provigil bei allerlei Wehwehchen zu verschreiben: Chronische Müdigkeit, Schläfrigkeit, Herzfehler, Jet-Lag.


Baldino weiß: Inzwischen erzielt Cephalon die Hälfte aller Provigil-Einnahmen aus diesem legalen, aber argwöhnisch beobachteten „Off-Label Use“. Und dieser ist nicht nur bei Modafinil das Einfallstor für den Einbruch in neue Märkte.

Zugeben darf das niemand. In der Cephalon-Niederlassung in Martinsried bei München zeigt man sich daher zugeknöpft, wenn es um Auskünfte rund um Modafinil geht. „Kein Kommentar“, heißt es.

Noch wandelt Baldino sicher durch das Minenfeld des amerikanischen Kontrollsystems. Einerseits will er die FDA dazu bringen die Liste der Indikationen für Provigil zu erweitern, andererseits will er deren Ängste zerstreuen, die Substanz könne sich zur Lifestyle-Droge mausern. Dass dies längst geschehen sei, suggerieren Medienberichte, aber solide Studien über die Verbreitung der Substanz zur reinen Optimierung der Lebensleistung liegen nicht vor.

Aufmerksamkeitsstörung

Bis heute ist Modafinil als Mittel gegen Schlafapnoe- und Schichtarbeit-Syndrom in den USA zugelassen, aber Baldino, der seine pharmakologische Karriere bei DuPont begann, hatte schon früh ein nächstes Marktsegment ausgeschaut. In den USA boomt bei Kindern seit den 90er Jahren die Zappelphilip-Diagnose, als Mittel der Wahl bei ADHS gilt trotz aller Diskussionen noch immer Ritalin (Methylphenidat). Novartis setzte 2006 über 330 Millionen Dollar allein mit diesem Medikament um. Studien hatten ergeben, dass auch Modafinil beim Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Syndrom helfen kann. Die Analysten freuten sich schon, als sich die Gerüchte verdichteten, die FDA würde Cephalon die Vermarktung als Anti-ADHS-Mittel unter dem Namen „Sparlon“ genehmigen. Im September 2006 kam die Ernüchterung: Die FDA erteilte den Plänen eine Abfuhr, es war zu einem Fall von arzneimittelallergisch bedingten Hauterkrankung gekommen bei einem Probanden gekommen.

Für Provigil gilt: Die Substanzgruppe ist wirklich neu und kein sonst wie geartetes Derivat der Amphetamine, Alkaloide oder gar serotoninverwandten Halluzinogene. Dieser Umstand schiebt es zunächst einmal aus den Fokus der Drogenkontrollinstitutionen. Und Langzeitwirkungen konnten noch nicht erforscht werden. So ist die Aufregung unter Experten und Off-Label-Usern groß, selbst nüchterne Wissenschaftler wie Danielle Turner von der Universität Cambridge sprechen von einer „vielversprechenden Substanz“.

Friendly Fire

Die Euphorie der ersten Modafinil-Studien zog schon früh das Interesse der Streitkräfte an. Aus militärischer Sicht ist der Mensch eines der schwächsten Instrumente der Kriegsführung. Er braucht Essen, Wundversorgung und den Glauben, dass sein möglicher Tod der guten Sache dient. Und er braucht Schlaf, zufiel Schlaf, denn ohne Schlaf macht er Fehler.

Die Untersuchung eines Zwischenfalls in Afghanistan im Jahre 2002 zeigte das deutlich. Zwei Amerikanische Piloten hatten damals vier kanadische Soldaten unbeabsichtigt getötet. Vor dem Kriegsgericht gaben die Anwälte der Piloten an, dass ihre Mandanten zur Zeit des Unfalls unter dem Einfluss von Dexedrin standen. Anders formuliert: Sie waren auf Speed, dem klassischen Amphetamin, ein beliebter Stoff seit den Schlachten des 2. Weltkriegs.

Für Normalbürger verboten, ist Speed für das Funktionieren der US-Streitkräfte elementar. Dr. Pete Demitry, Arzt bei der Luftwaffe und selber Pilot, sagte während einer Pressekonferenz zu dem Kriegsgerichtsverfahren: „Die Air Force nutzt Dexedrin seit 60 Jahren. Und wir wissen, dass es sicher ist, weil wir nie einen Zwischenfall hatten, der nachweislich in kausaler Beziehung zu dem Anregungsmittel stand.“

Speed

Es ist eine weitere Ironie der Drogenpolitik, dass 60 Jahre militärische Anwendung anscheinend nur fröhlich-konzentriert aufgeputschte Soldaten erlebt haben soll. Und das wo doch Amphetamin in den USA immer wieder als Horrordroge bezeichnet wird („Speed kills“).

Tatsächlich ist die häufige Einnahme von Amphetamin gesundheitsschädlich, das Militär sucht nach Alternativen – und Modafinil ist eine davon. Die DARPA (http://www.darpa.mil/) hat 100 Millionen Dollar für ein Forschungsprojekt bereit gestellt, das im Ergebnis die kognitiven Leistungsfähigkeit der Soldaten während lang andauernden Schlafentzug erhalten soll.

Air Force und Cephalon sponsorten eine Studie der Harvard Universität, in der 16 gesunde Probanden 28 Stunden ohne Schlaf auskommen mussten. Die Personen mit Modafinilbeigabe schnitten in den kognitiven Tests besser ab als die mit Zucker-Placebo. Weltweit waren die Generäle begeistert. 2004 gab das britische Verteidigungsministerium zu, seit 1998 über 24.000 Tabletten Modafinil eingekauft zu haben. Die Verwendung blieb im Dunklen, auffällig war allerdings laut Guardian die jeweilige Bestellung größerer Mengen vor dem britischen Engagement in Afghanistan und Irak.

Zweiter Anlauf
4.8.2007, 18.00 Uhr
 Eine Open Air Party in Norddeutschland, der Techno-Beat wummert seit 18 Stunden, es ist aber erst Samstag. Der Blister knackt, 200 mg rein damit. Heute geht es weniger um das Steigern von Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis, sondern um gute Unterhaltung im doppelten Sinne: Entertainment und Kommunikation. Zudem lässt sich das Wirkspektrum einer Substanz in der fiebrigen Atmosphäre einer vollelektronischen Goa-Party besser abtasten.
18.30 Uhr
 Wenn es denn was abzutasten gibt. Obwohl gut ernährt rumort der Magen und entleert sich in einem chemisch angehauchten Schiss im nahe gelegenen Maisfeld. Ist es die Pille oder die Aufregung?
19.45 Uhr
 Ich fuhrwerke auf der Tanzfläche rum, Musik und Erleben sind großartig, aber im Normalbereich. Nur mit sensiblen Antennen lässt sich ein Verschieben optischer Frequenzen ausmachen. Oder sind das die Haschischschwaden, die über das Feld wabern? Auch beim zweiten Versuch erweist sich die Mischung mit Alkohol in den ersten Stunden als unklug. In der polytoxomanen Gesellschaft hier vor Ort bin ich wahrscheinlich einer der nüchternsten Kandidaten.
21.00 Uhr
 Erst nur eine Andeutung wird klar: Modafinil fördert bei mir eine zackige Roboterhaftigkeit. Die Motorik ist kontrolliert, sehr kontrolliert. So aufmerksam will ich gar nicht sein, zumindest nicht heute. Das Körpergefühl ist nicht unangenehm, aber der Fluss der Bewegung wirkt abgehackt. Wie immer bei Modafinil aber nichts, was sich nicht durch Aufmerksamkeit, in diesem Fall das Besinnen auf Geschmeidigkeit, wieder in den Griff kriegen lässt.
23.30 Uhr
 Könnte „cognitive enhancement“ die Bewusstseinserweiterung des zweiten Jahrzehnts werden? Eine Art 60er- und 90er Revival? Nein. Dafür sind die Substanzen nicht einschneidend genug, ihnen geht die Kraft zur psychischen Ausgrabung völlig ab. Eher wirken Modafinil & Co. wie aus Silikon entsprungene Banalitäten. Droht die Menschheit zur einer Horde vigilant arbeitswütiger Spacken zu verkommen?
2.50 Uhr
 Gesteigerte Kommunikationsfähigkeit oder Zufall? Auf jeden Fall bleibe ich an jedem Getränke- und Essensstand auf einen Schnack hängen. Zurück auf der Tanzfläche brettert der Sound durch die Menschenmassen. Lichtblitze, feuerspeiende Schönheiten, Mutanten auf Stelzen, Laser-Shiva Animationen, der Rest ein wild gewordener Schweinekoben. Ein Raver wälzt sich horizontal im Gras, Konvulsionen, „break on trough to the other side“, nach Spaß sieht das nicht mehr aus. Vielleicht wäre eine Encounter-Gruppe in Freiburg der sicherer Ort für solch' eine Abfahrt gewesen.
4.30 Uhr
 Ich bin weder hellwach noch getrieben, sondern einfach nur nicht müde. Na dann, gute Nacht. Nach fünf Minuten bin ich tatsächlich schon eingeschlafen. Kaum Hangover am nächsten Morgen.

Schubvergleich

Greg Belenky vom „Walter Reed Army Institute of Research“ in Silver Spring, Maryland, wollte es genauer wissen. Er verglich die Wirkung von Modafinil, Speed und Koffein an Soldaten, die bis zu 85 Stunden wach gehalten wurden. Sein Fazit: „Kurz gesagt wirken sie alle ähnlich: Gibt man sie jemanden, der müde ist, dann fühlt er sich besser. Allerdings wirkt Modafinil länger als Amphetamin und beide wiederum länger als Koffein.“

Sicher, Modafinil wirkt bis zu 12 Stunden, aber sollte das der einzige Unterschied gegenüber Speed und Koffein sein? Die Schreiber in den weltweiten Drogenforen dürften widersprechen und auf die verschiedenen und dosisabhängigen Effekte auf die Psyche hinweisen. Und natürlich hat auch Modafinil seine Nebenwirkungen. Je nach Dosierung können Nervosität, Übelkeit, Reizbarkeit, Zittern, Schwindel, Mundtrockenheit und Kopfschmerzen auftreten.

Höhere Weihen

Soldaten, Studenten und nun sogar die Professoren. Philipp Harvey, Professor für Psychiatrie an der Emory Universität in Atlanta, erzählte der Times vor kurzem freimütig von seiner Modafinil-Affinität zum Überwinden des Jet-Lags. Seine Kollegin Barbara Sahakian, Professorin für Neuropsychologie in Cambridge, berichtet von mehreren ihr bekannten Wissenschaftlern, die die Droge verschrieben bekommen haben, weil sie öfters Zeitzonen überqueren.

Sahakians Mitarbeiterin, Danielle Turner, testete die Substanz 2003 an 60 gesunden Probanden. Gegenüber Placebo schnitten sie in einem Test des Kurzzeitgedächtnis signifikant besser ab.
Die genauere Analyse des Turner-Tests relativiert die Ergebnisse: So verbesserte sich beispielsweise die Werte bei der Mustererkennung und dem Zahlenerinnerungstest Digit-Span (hier online), nicht aber beim schnellen Erfassen visueller Informationen und dem CANTAB-SWM, einer klassischen Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung. Die Testpersonen waren auf Modafinil in der Bearbeitungsgeschwindigkeit beim Zahlen-Verbindungs-Test (ZVT) nicht besser als andere. Man vermutet daher, dass die Leistungssteigerungen auf einer verlangsamten Reaktion beruhen: „Es sieht so aus“, sagt Turner, „als ob die Probanden durch das Modafinil etwas länger nachdenken, bevor sie antworten.“

Ist das alles die Aufregung wert? Es existieren pharmakologische Studien mit vergleichbaren Design, die andere Substanzen nutzten. Das Arbeitsgedächtnis wird ebenfalls durch Noradrenalin- und Dopamin-Agonisten (link) positiv beeinflusst. Selbiges gilt für die bekannten Stimulanzien wie Methylphenidat, bekannt als Ritalin, und sogar Amphetamin (link).
In Leipzig erforschten die Universität Leipzig und das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaft die Substanz (link). Auch hier fand man in einer doppelblinden und randomisierten Studie eine leicht verbesserte Leistungsfähigkeit in Tests des Kurzzeit- bzw. Arbeitsgedächtnis.

Wie das?

Der weltweite Wissenschafts-Hype um die Substanz steht auf schwachen Beinen, denn der Mechanismus, nach dem Modafinil im Körper funktioniert ist noch immer weitgehend ungeklärt. Obwohl millionenfach verschrieben bleibt der pharmakologische Grund für den stimulierenden Effekt der Droge im Dunklen. Während Forscher wie Luca Ferraro die steigernde auf den Glutamathaushalt und verringerte GABA-Ausschüttung verantwortlich sehen (link), wollen andere die Veränderung des Hypocretin-Levels als Ursache ausgemacht haben. Es gibt Hinweise, dass der Hypocretinhaushalt bei Narkolepsie gestört ist. Wieder andere Wissenschaftler weisen auf die indirekte Stimulation von Noradrenalin und anderen Neurotransmittern am Alpha-1 Rezeptor hin (link). Dafür spricht, dass bestimmte Alpha-1 Blocker wie Prazosin die Wirksamkeit von Modafinil beeinträchtigen.

Fest steht: In Internet-Foren (und link) äußern sich User nicht nur euphorisch über die Substanz. Narkoleptiker sprechen von erheblichen Nebenwirkungen, Off-Label- und illegale Tester von einer Beeinträchtigung des Sprachvermögens oder der Kreativität (link). Anderen gefiel das „medikamentöse Dauerhoch“ (link) nicht.

Dritter Anlauf
Dienstag, 21. April 2007, 11.00 Uhr
 Sollte denn die innere Einstellung zu einem Medikament eine Rolle bei dessen Wirkung spielen, dann hat Modafinil bei mir wenig Chancen. Die bisherigen Versuche zeigten mich zwar als vigilen, aber genauso töffeligen Menschen. Schachgroßmeister werde ich nicht mehr.
11.30 Uhr
 Gute Idee, ich spiele eine Runde Schach gegen den PC, der mich aber wie immer gekonnt abfiedelt.
13.35 Uhr
 Leicht fickerig, wie der Experte sagt. Dazu das inzwischen bekannte flaue Gefühl im Magen. Alles nur subtile Erscheinungen. Das Basteln an html- und css-code geht leicht von der Hand.
16.00 Uhr
 Mir schwant, dass Modafinil seinen Platz vor allem dort finden wird, wo wenig Kreativität und viel Arbeitsleistung gefragt ist.
19.00 Uhr
 Ein normaler Arbeitstag geht dem Ende zu. Wäre da nicht dieses zarte Ziehen in der Gesichtsmuskulatur, das eine Richtung hat: Nach vorne. Das physische Resultat der beharrlichen Fokussierung auf den Monitor, bilde ich mir ein.
23.00 Uhr
 Die Substanz fordert schon Aufgrund ihrer Schlichtheit zur simplen Kosten-Nutzen-Abwägung auf. Zunächst ein individueller Prozess: Modafinil ist stärker als Koffein und andere milde Pusher, die Fokussierung enger. Sieht man vom durchaus beeinträchtigten Körpergefühl ab, bleibt die Substanz in ihrer psychischen, vor allem aber emotionalen Wirkung subtil. Merkfähiger oder gar kreativer macht sie nicht, eher breitet sich Fließbandatmosphäre im geistigen Raum aus. Gut, wenn Narkoleptiker von einer Substanz mit wenig Nebenwirkungen profitieren können. Als gesunder Mensch werde ich mich weiterhin eher auf die seit Jahrhunderten erprobten, naturnahen Wirkstoffe verlassen.

Spiegelkabinett

Um weiterhin kräftige Gewinne zu garantieren griff Cephalon vor kurzem in die pharmakologische Trickkiste. Man spiegelte und drehte ein wenig am Modafinil-Molekül und schuf ein Isomer mit gleicher Struktur und Summenformel, aber unterschiedlicher Konfiguration der Atome. Fertig war Armodafinil, das unter dem Namen „Nuvigil“ im Juni diesen Jahres den Segen durch die FDA erhielt. Das Patent läuft bis 2023. CEO Frank Baldino ist zufrieden: „Die Zulassung von Nuvigil erlaubt es uns, die Spitzenposition im Bereich der Wachsamkeit zu halten.“ Die Substanz wirkt länger, Wissenschaftler testen schon den Einsatz bei weitere Krankheiten. Nun sollen sogar Menschen, die an Depression oder Schizophrenie leiden, von dem Mittel profitieren.

 

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Cannabis

Kotzende Kiffer, durchgeknallte Diebe, pöbelnde Polizisten

20 Jahre als Head-Shop-Besitzer

„Die Jungs vom Zoll standen mit fünf Mann um den Karton mit den Schwarzen Witwen. So was hatten die noch nie gesehen, dass gab einen mittelschweren Aufstand in dem Laden.“ Michael vom Head-Shop „Ganesh Baba“, mit riesen Abstand Hamburgs ältester Headshop, schlägt sich seit zwanzig Jahren mit der Drogenpolitik herum. Ob Zoll, Polizei oder unehrliche Kiffer – als Besitzer eines Head-Shops erlebt man viel. Wir besuchen ihn an einem regnerischen Nachmittag in seinem Laden in Hamburg, um ein paar Anekdoten aus dem Leben eines Hanf-Pioniers zu genießen.

Die Zeiten, in denen der Zoll Pfeifen misstrauisch beäugte oder gar die Herausgabe verweigerte, sind heute vorbei. Michael lächelt: „Damals konnte ich die uniformierten Herren nur schwer davon überzeugen, dass die Schwarzen Witwen in Wahrheit Blumenvasen sind.“ Trotzdem bekam er den Karton. Auf die Idee ein Geschäft für Rauchgeräte und fernöstliche Waren zu eröffnen, kam er nach ausgiebigen Trips durch Asien („ein paar Mal Overland nach Bali“) in Varanasi.

Ab Mitte der 70er Jahre hatte es ihn auf dem Weg über Nepal („dort habe ich einmal vier Wochen nicht geraucht…“) wieder in die heilige Stadt im Norden Indiens verschlagen. Mit einem Koffer voller Pfeifen, Stirnpunkten (Bindis), Statuen, Waage, Tücher und anderem Kunsthandwerk kam er zurück nach Deutschland. „Die Bindis habe ich heute noch, der Kleber ist bloß leider nach 20 Jahren eingetrocknet. Wer konnte schon ahnen, dass die Dinger mal hier doch noch modern werden“, amüsiert sich Michael. Das Glück war ihm nicht holt: Bei der Einweihungsfeier seines Geschäfts klaute ein weiblicher Gast Ware im Wert von 800 Mark. Wir wollen es kaum glauben, aber Diebstahl blieb und ist noch heute nach Michaels Worten eine gängige Methode unter einigen Kiffern, das nötigen Zubehör für den Alltag zu besorgen. Über die Jahre zählte Michael über 100 Straftaten: Ob Einbruch, Scheckbetrug, Nötigung, Ladendiebstahl oder ein Brandanschlag 1995 mit drei Mollis- die Klientel gab sich auch ruppig. Die Scheiben des Ladens sind vergittert. „Nur Schutzgelderpressung kam nicht vor“, erinnert er sich. Das mag auch an der Lage des Geschäfts im biederen Uhlenhorst, einem Stadtteil im Osten Hamburgs liegen.

Während wir uns unterhalten, betritt Kundschaft den Laden und ordert drei Packen lange Blättchen. „Nimm doch fünf, dann wird´s billiger“ meint Michael, wünscht „Frohes Drehen“ und der Kunde tappst ins Wochenende.

Zunächst reiste er immer selbst nach Asien, um neue Waren nach Deutschland zu bringen, später liess er sich die Produkte über Exporteure zu senden. Der Verkauf von Kleidung und Kunsthandwerk lief allerdings schleppend. „Ausserdem haben mich Pfeifen schon immer mehr interessiert.“ Mitte der achtziger Jahre verkaufte Michael seine Paraphenalia nebenbei in Amsterdam, auf der Strasse, Coffee-Shops und im Grosshandel. „Da war an einem Wochenende mehr zu verdienen als in einer Woche in Hamburg im Laden“, erinnert er sich. „Die Leute denken ja, dass in Amsterdam alles billiger ist.“

Die größten Probleme für Michael schufen aber nicht der mangelnde Umsatz der ersten Jahre oder die klauenden Kiffer, sondern die Vollzieher der Drogengesetze: Die Polizei. Die Kundschaft wurde mit Ausweiskontrollen vor dem Geschäft schikaniert und als Head-Shop-Besitzer war man lange Zeit Freiwild für frustrierte Beamte vom Typ Norbert bei den Freak Brothers. Hausdurchsuchungen standen dabei ebenso auf dem Programm wie zivile Überwachungen. Dazu kam, dass gelegentlich dümmere unter den Kunden Michael verdächtigte, mit der Polizei zusammen zu arbeiten, weil sie nicht glauben konnten, dass jeder so einen Laden eröffnen könnte. „Die nahmen tatsächlich an, dass man so ein Geschäft nur mit einer speziellen Lizenz betreiben durfte“, wundert sich der 46-Jährige. Heute habe sich die Lage allerdings in dieser Hinsicht beruhigt.

Wieder geht die Tür vom Laden auf – Kundschaft! Der Mann hat eine einfache Frage: „Was brauche ich zum Pflanzen anbauen und hast du das alles?“ Michael zeigt sich ungerührt, offenbar kommt es nicht das erste Mal vor, dass ein Kunde ohne einen blassen Schimmer vor ihm steht. „Töpfe, Erde, Dünger und ein Buch“, antwortet er knapp. „Kaufe ich“, sagt der Mann. Fünf Minuten später hat er alles und verlässt den Laden.

Die alten Zeiten, in denen die Kiffer noch bewusstseinverändernde Ansprüche an ihren Haschisch-Konsum stellten, trauert Michael nach, das gibt er ehrlich zu. „Heute ist Kiffen nur noch eine Modeerscheinung, ohne jeglichen bewussten Hintergrund.“ Seine Augen glänzen als er erzählt: „Früher hielt man sich das Chillum an die Stirn und sagte: ´Bum Shanka´ oder ähnliches. Das war die Bitte an die göttlichen Wesen, den gleich kommenden Trip zu begleiten und eine Richtung zu geben. Heute wird einfach nur gekifft bis der Notarzt kommt.“ Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1994 waren die Leute erleichtert, erinnert sich Michael weiter. Für viele war dies ein Signal, offener mit ihren Cannabis-Vorlieben um zu gehen. Seit dem ist das Publikum jünger geworden und die Kaufgewohnheiten haben sich auch geändert. „Die Jungen kaufen Acryl, die Alten Glas“, bringt Michael den Unterschied auf den Punkt. Er zeigt uns einen Glas-Bong, der gerade repariert wurde. Für ihn selbst sind die Rasotherm-Geräte aus Jenaer Glas die ultimativen Rauchgerät. Festlegen will er sich aber nicht lassen: „Es kommt immer auf die Verwendung an. Für Feten und Chaos-Haushalte ist der Acryl-Bong natürlich ideal.“

Während Michael im Hinterzimmer gerade den Kaffee aufsetzt, geht wieder die Tür vom Laden auf. Der Mann sieht uns und meine vorm Bauch pendelnde Kamera, dreht auf den Hacken um und verlässt den Laden. „Samstags kommen immer die schrägsten Typen“, lacht Michael, „vor ein paar Jahren kotzte mir ein Typ in die Yuka-Palme; die Pflanze ging eine Woche später ein“. Ein anderes Mal war einem Kunden so übel, dass er sich vor die Tür erbrach – zum Glück war im letzten Moment die klemmende Tür doch noch auf gegangen.

Als wir auf die Drogenpolitik zu sprechen kommen, gerät Michael das erste Mal in Fahrt: „Das Samenverbot hat doch nur der Versorgnunsmafia in die Hände gespielt, der Konsum hat damit kein Stück nach gelassen. Dazu kommt, dass so ein Gesetz im Zeitalter offener Grenzen in Europa völlig blödsinnig ist.“ Durch die verfehlte Drogenpolitik und die Kommerzialisierung käme es zudem, so Michael, zu einer „Verhärtung der Szene“. Mittlerweile habe sich auch die Produktionsweise von Gras so professionalisiert, dass das in den Coffee-Shops angebotene Marihuana meist steril und automatisiert herangezogen wird. „Nach der naturfernen Aufzucht auf Steinwolle werden die Cannabisblüten abschließend mit Haarspray behandelt, damit sie schön harzig aussehen. Zur Krönung wird das Kraut dann auch noch nicht richtig getrocknet, weil es feucht mehr wiegt und das erzielt natürlich höhere Preise.“ Kein Wunder, so der Veteran, dass sich immer mehr Privatleute „für ihren Eigenbedarf von der Coffee-Shops abkoppeln wollen“.

Inzwischen sitzen wir seit drei Stunden bei Michael. Eine Goldgrube war der Shop nie, trotzdem ist er Michael ans Herz gewachsen. Auf die Frage, wie er sich seine Zukunft vorstellt, überlegt er kurz. „Hier bin ich und hier bleibe ich noch einige Zeit“, sagt er dann.