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Interview mit Svenja Flaßpöhler über Leistungsdruck und Selbstverwirklichung in der postindustriellen Arbeitsgesellschaft

telepolis, 25.02.2011

„Wir kommen um die Systemfrage nicht herum“

Interview mit Svenja Flaßpöhler über Leistungsdruck und Selbstverwirklichung in der postindustriellen Arbeitsgesellschaft

Arbeit und Genuss sind für eine Vielzahl von Menschen in der westlichen Hemisphäre nah zusammengerückt. Gerade die durch die Informationsarchitekturen beschleunigte Mittelschicht der Gesellschaft neigt zu exzessivem Arbeitsverhalten, es herrscht zwanghaftes Tun. Aktivität und Leistung sind selbst in der Freizeit die bestimmenden Antriebskräfte. Der Geist des Kapitalismus, der sich aus Sicht von Max Weber noch aus der protestantischen Ethik speiste, erfährt dabei eine neue Ausformung: Heute arbeitet man nicht mehr für Gott, sondern zur Erhöhung des Selbstwerts. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler analysiert die Ursachen und Symptome dieses Phänomen unter dem Stichwort „Genussarbeit“.

Als ich Sie per Email um das Interview bat, haben Sie erst nach knapp vier Wochen geantwortet. Genussarbeit oder falsches Zeitmanagement?

Svenja Flaßpöhler: Das war ausnahmsweise einmal richtiges Zeitmanagement. Ich hatte nämlich schlichtweg keine Zeit, aufgrund meiner neuen Arbeit als stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Auf diese Arbeit wollte – und musste – ich mich konzentrieren. Genussarbeit in einem positiven Sinne heißt für mich genau das: Muße, Raum und Ruhe haben, um sich der Arbeit lustvoll zu widmen und trotzdem noch die anderen Dimensionen des Lebens zu leben. Genussarbeit in einem schlechten Sinne besteht aus exzessiver, zwanghafter, ausschließlicher Beschäftigung. Der exzessive Genussarbeiter kann nicht loslassen, nicht ablassen, nicht auslassen, nicht seinlassen. Hätte ich Ihre Mail also gestresst und womöglich nachts beantwortet, wäre genau das der Fall gewesen. Insofern schließen sich Genussarbeit und falsches Zeitmanagement übrigens nicht aus.

Ihr Genussarbeiter definiert seinen Selbstwert vor allem über die Arbeit und macht sich dadurch abhängig von der Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzten. Brauchen wir die Bestätigung unseres Tuns aber nicht alle? Und wie stellt man fest, ab wann die Grenze zum Krankhaften überschritten ist?

Svenja Flaßpöhler: Davon bin ich tatsächlich fest überzeugt: Niemand tut etwas einfach nur aus sich selbst heraus, sondern immer auch für einen Anderen. Das lässt sich an Kindern wunderbar beobachten. So selbstvergessen sie beispielsweise ein Bild malen: Es ist wichtig, dass Mama oder Papa das Bild würdigen. Wenn die Eltern vollkommen gleichgültig und gefühlskalt wären, würde das Kind möglicherweise überhaupt nicht malen. Dieses Angewiesensein auf die Anerkennung Anderer ist die Grundstruktur des menschlichen Schaffens, ja Existierens schlechthin. Schlimm wird es allerdings, wenn der Blick ausschließlich auf die Anderen und deren unter Umständen gnadenloses Urteil gerichtet wird. Dann stellt sich schnell das Gefühl ein, nie genügen zu können, und der individuelle Antrieb des Arbeitens geht verloren. Was zählt, ist nur noch der Erfolg, eine sinnentleerte, abstrakte Anerkennung, die schal ist. Der Kampf in Anerkennung schlägt in Sucht nach Anerkennung um.

Wir halten Passivität kaum mehr aus

Ein Problem dabei scheint zu sein, dass egal, was der Einzelne leistet, er durch viele äußere und innere Faktoren zu immer mehr angespornt wird.

Svenja Flaßpöhler: Ansporn ist zunächst einmal etwas Positives: Was wäre das Leben ohne diesen leichten Schmerz, diese Grundspannung, die uns auf Trab hält? Wem der Ansporn voll und ganz verloren geht, ist depressiv. Das Problem ist aber, dass das Angesporntsein heute absolut gesetzt wird: Das Ideal ist der ständig angespornte Mensch, der unablässig neue Ideen produziert, in seinem Beruf „aufgeht“, wie es so schön heißt und auch im Urlaub das Smartphone ganz nah am Herzen trägt. Aber Aktivität braucht Passivität als entgegengesetzten Pol. Keine Motivation ohne Langeweile, keine Inspiration ohne Phasen des Nichtstuns. Mein Eindruck ist, dass wir Passivität kaum noch aushalten.

Kann man sagen, dass das System diejenigen nach unten durchreicht, die dieses hyperaktive Spiel nicht mitmachen können – oder wollen?

Svenja Flaßpöhler: Einerseits ja. Wer sonntags prinzipiell nicht arbeitet und wochentags nach Feierabend keine Emails mehr checkt, gilt schnell als unbrauchbar. Allerdings, und insofern stimmt Ihre Annahme nur eingeschränkt, landen in der Regel ja auch die „unten“, die das Spiel mitmachen. Hyperaktivität schützt vor sozialem Abstieg keineswegs. Irrtümlicherweise glauben wir, uns durch ständige Präsenz unentbehrlich zu machen. Aber Präsenz ist keine individuelle, das heißt unaustauschbare Eigenschaft. Es gibt immer jemanden, der noch präsenter ist. Insofern sollten wir, da das Spiel nicht gewonnen werden kann und auch nicht glücklich macht, den Mut haben zu sagen: I would prefer not to.

Und wo liegt die Grenze zur Faulheit, die ohne soziale Verantwortung agiert?

Svenja Flaßpöhler: Ich würde den Spieß gern umdrehen. Ein hyperaktiver Mensch, der immer nur nach vorne, nie aber nach links und rechts, geschweige denn nach hinten schaut, weil er dafür gar keine Zeit hat, agiert ohne soziale Verantwortung. Ihn interessiert nur das Vorwärtskommen. Jede Ablenkung verursacht Stress.

Der faule Mensch, der Sonntags nachmittags auf dem Sofa liegt, schläft, ein bisschen Zeitung liest, zwischendurch auf der Gitarre klimpert, agiert hingegen sozial. Durch seine Passivität, die ja nie reine Passivität ist; die gibt es nur im Tod, wird er wieder offen für die Welt. Hyperaktivität verhärtet den Menschen. Passivität lässt ihn weich werden, empfindsam für Eindrücke, Verlockungen, Kinderfragen.

Wobei neue Eindrücke doch wiederum ständig um die Aufmerksamkeit buhlen. Heutzutage scheint mir selbst die Passivität von Disziplin begleitet sein zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, zwischen Gitarre, Zeitung, Kind und iPad hin und her zu pendeln. Die moderne Unterhaltungsindustrie setzt ja mittlerweile den Second Screen voraus, möchte also, dass wir die im Fernsehen laufenden Ereignisse und Nichtigkeiten parallel mit dem Smart Phone kommentieren.

Svenja Flaßpöhler: Das ist richtig. Und die Frage, die sich da aufdrängt, lautet: Wer beherrscht wen? Ich die Maschine oder die Maschine mich? Ich habe mir gerade ein Smartphone angeschafft und laufe ständig Gefahr, dem Gerät erlegen zu sein. Die Faszination, die davon ausgeht, mit dem Zeigefinger die Welt zu bewegen, ist enorm. Das Fatale ist doch, dass wir uns im Grunde gern den Maschinen unterwerfen. Lust dabei empfinden. Wir müssen heute nicht mehr Pferdekarren über Äcker schieben, sondern sitzen auf ergodynamischen Stühlen vor schicken Macs und geben uns dem Rausch der Arbeit hin. Der moderne, technisch hochgerüstete Leistungsträger genießt sein Tätigsein, fühlt sich wichtig mit dem iPhone in der Hose. Warum also soll er nach Feierabend aufhören, das Display zu liebkosen? Um der Aktivitätsfalle zu entkommen, müssen wir das Begehren identifizieren, das uns in sie hineintreibt.

Das flüssige Selbst des modernen Menschen westlicher Industrie- und Informationsgesellschaften hat enorme Probleme der Grenzziehung, ständig wird sich neu erfunden, außer dem Therapeuten sagt uns keiner mehr, wann genug ist. Wie könnten, abseits der bewussten Passivität auf individueller Ebene, Anfänge vom Ende der Beschleunigung aussehen?

Svenja Flaßpöhler: Ich bin mir sicher: Wir kommen um die Systemfrage nicht herum. Wer nur empfiehlt, ab und zu mal das iPhone auszuschalten, betreibt Symptombehandlung, und die geht bekanntermaßen nicht sehr tief. Selbstverwirklichung, für mich immer noch eine lohnenswerte Utopie, setzt die Anerkennung der eigenen Grenzen, das Wissen um die eigenen Neigungen voraus: Ohne Selbst keine Selbstverwirklichung. In Zeiten neoliberaler Flexibilisierung sind wir davon weit entfernt. Marx war der Ansicht, dass Selbstverwirklichung im Kapitalismus nicht realisiert werden kann, weil das Arbeitsprodukt nie dem Arbeiter, sondern einem Anderen gehört. Dieser Andere treibt uns an mit dem Versprechen, dass die Mühe sich lohne. Aber lohnt sie sich wirklich? Möglich, dass wir gerade dabei sind, uns auf grandiose Weise selbst zu verfehlen.

Dieses System ist nicht die beste aller möglichen Welten

Zumal auch die neuen Medien, unter der Preisgabe der Privatsphäre, die Handlungs- und Beziehungsmuster der Nutzer mittlerweile im Sinne der Logik der globalen Verwertungsmaschinerie verändern. Welche Rolle spielt die Genusskultur aus ihrer Sicht in dieser Hinsicht? Für was steht das exzessive Genießen?

Svenja Flaßpöhler: Wer exzessiv genießt, überschreitet zwanghaft Grenzen. Körpergrenzen, Schmerzgrenzen, Grenzen der Privatsphäre, moralische Grenzen. Diese Form des Genießens wird uns durch unsere heutige Kultur nachgerade aufgedrängt, indem sie die Überschreitung einerseits untersagt und gleichzeitig anpreist. Auf der einen Seite sollen wir moralisch integer, fürsorglich uns selbst und anderen gegenüber, leistungsstark, schlank und vieles anderes sein; auf der anderen Seite aber leben wir in einer Kultur der All-you-can-eat-Angebote, der Flatrates, des Internetshoppings, der ständigen Erreichbarkeit und frei verfügbarer Internetpornographie.

Unsere Konsumgesellschaft fördert zwanghaftes Genießen, weil sie einerseits auf strengstem Verzicht beruht, gleichzeitig aber durch ihre Reize die Lust an der Überschreitung provoziert. Wenn ich beim Gehen Emails checke, meinem Gesprächspartner kaum zuhöre, weil es wieder einmal piept in der Tasche, dann fühle ich durchaus – ganz subtil, als leisen Kitzel – in meinem Inneren, dass ich eine Grenze, die Grenze des Anstands, die Grenze meines Aufnahmevermögens überschreite; aber gerade in der Überschreitung liegt ja die Lust.

Das klingt so, als ob durch korrekt angewandte Passivität zugleich der systemimmanente Leistungsdruck ausgehebelt und der Konsumterror abgemildert werden könnte. Das löst noch nicht das oben aufgeworfene Problem, dass die Produkte unserer Tätigkeit selten uns selbst, sondern einem Anderen gehören.

Svenja Flaßpöhler: Der Kapitalismus funktioniert doch nur so lange, wie der oder die Einzelne mitmacht bei dem Dreischritt: Produzieren – Konsumieren – Sterben. Würde er oder sie mehr seinlassen, auslassen und weglassen, bliebe die Shoppingmall am Samstag möglicherweise leer und das Büro auch.

Ich möchte mein Plädoyer für das Lassen tatsächlich nicht nur als ein Aufruf zum Nickerchen am Sonntagnachmittag verstanden wissen, sondern durchaus auch im Sinne des Streiks: Dieses System, in dem wir vor allem damit beschäftigt sind, Geld zu verdienen und Geld auszugeben, ist nicht die beste aller möglichen Welten. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass der Andere früher oder später sein Köfferchen packen muss, wenn sich die 99 Prozent zu korrekt angewandter Passivität entscheiden.

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Elektronische Kultur

Computerspiele und Suchtgefahr

Hanfblatt Nr. 104

Shoot me!

Warum Computerspiele eine gute Sache sind – obwohl sie auch abhängig machen können

Computer und Konsole sind allgegenwärtig geworden, kein Haushalt ohne Spielmaschine. Die Wissenschaft streitet: Fördern Prozessorkraft und Joystick den jungen Geist oder führen sie schon früh zu süchtigem Verhalten? Ein Streifzug durch die Seele des homo ludens.

Letztlich kam der neunjährige Sohn eines Freundes zu diesem und sagte: „Papa, das bringt soviel Spaß, ich kann gar nicht mehr aufhören.“ Die Rede war von einem Computerspiel, dass er seit zwei Stunden mit seinem Joystick malträtiert hatte. Zwei Umstände sind an seiner Aussage aufschlussreich: Zum einen bemerkt er seine veränderte Geisteshaltung, zum anderen spricht er mit seinem Vater darüber. Wie, so wird die Frage seiner Zukunft lauten, nutze ich das Potential der Prozessoren ohne mich in ihnen zu verlieren? Die Parallelen zum Gefährdungspotential von Cannabis und anderen Drogen sind deutlich.

Auch dieser Sohn wird erwachsen werden und man muss davon ausgehen, dass Computer und die dazugehörigen Spiele ihn weiter durch sein Leben begleiten werden. Wird er dann bemerken, wenn ein Spiel ihn eventuell über Stunden, Tage und Wochen so sehr packt, dass er andere Interessen total vernachlässigt? Das nennt sich Kontrollverlust. Kommen nun noch Entzugserscheinungen und Toleranzsteigerung hinzu sind schon die klassischen Merkmale einer „Sucht“ vorhanden.

Ralf Thalemann arbeitet im Suchtforschungszentrum der Berliner Charité und hat eine Studie über exzessives Computerspielen durchgeführt. „Die Hirnreaktionen von exzessiven Computerspielern ähneln denen von Alkohol- und Drogensüchtigen“, sagt er. Allerdings schlägt nur ein kleiner Anteil der Spieler diesen Weg ein, glaubt man den Untersuchungen, sind maximal 10 Prozent der Jugendlichen, die gerne mal einen ausdaddeln, süchtig danach. Fazit: Daddeln kann abhängig machen, muss es aber nicht. Stellt sich die Frage, wer besonders gefährdet ist.

Auch hier decken sich die Ergebnisse mit den Erfahrungen aus dem Drogenbereich: Die Ursachen für eine Sucht sind genauso komplex wie der einzelne Mensch. Thalemann behauptet: „Menschen, die nicht gut mit Stress umgehen können, sind eher gefährdet exzessives Computerspielverhalten zu entwickeln. Menschen, die dazu tendieren ihre Probleme nicht lösungsorientiert anzugehen, die versuchen, sie zu verdrängen. Besonders bei Jungen hat das Computerspielen dann einen Stress reduzierenden Effekt – man vergisst seine Sorgen, es macht Spaß, man kann in Welten abtauchen, die einem gut gefallen.“

Liegt dazu noch das Verhältnis zu den Eltern völlig brach und sind auch die Freunde nicht in der Lage ein Korrektiv zu bilden, dann sieht es schlecht aus für den High-Score in zeitnaher Zukunft. Es gibt tatsächlich Typen (und es sind nunmal hautsächlich Männer), die fünf Mal die Woche bis spät in die Nacht zocken und sich wundern, dass sie am nächsten Tag nichts gebacken bekommen.

Über die Diskussion der möglichen negativen Folgen des Spielens am Rechner sind die positiven Seiten lange Zeit aus der Sicht geraten. Das ändert sich gerade, in Köln trafen sich vor kurzem Spieler und Spieltheoretiker, um auf der Konferenz „Clash of Realities“ zu erörtern wie Spiele Gesellschaft und Kultur prägen.

Erstes Ergebnis: Es bestehen riesige Unterschiede in der Sicht auf virtuelle Spiele. Eltern und viele andere Erwachsene sehen nur die Oberfläche des Spiels, beobachten entsetzt, wie jemand Autos zu Schrott fährt oder feindliche Soldaten erschießt. Gerade bei den schnellen Actionspielen tritt aber die Optik nach einiger Zeit in den Hintergrund, es geht dann nur noch um den Wettkampf und vor allem um »Flow«, das fast trancehafte Agieren und Reagieren in der durch die Technik vorgegebenen Umwelt. Die Spiele bedienen nicht nur pubertäre Allmachtsfantasien, sondern können schnelles Denken unter Druck, kollektives Vorgehen und Kreativität fördern. Wer einmal „Crazy Machines“ gespielt hat, kann das bestätigen.

Leider sind die Produktionskosten für ein Spiel mittlerweile so hoch, dass sich nur wenige Firmen Experimente abseits der klassischen Spielgenres leisten können. Das dies in Zukunft anders werden könnte, führt zum zweiten Punkt: Die Spielebranche versucht neuerdings auch Frauen und die ältere Generation an den Bildschirm zu locken. Diese haben weniger actionorientierte Vorlieben beim Spielen.

Drittens: Die Zeiten des reinen Geballers sind vorbei. Seit seinem Start im Jahr 2004 hat das Online- Rollenspiel „World of Warcraft“ weltweit 6,5 Millionen Spieler registriert. Zehntausende verhandeln, kaufen, tauschen und, ja, kämpfen hier täglich. Einer der Entwickler des Spiels, Frank Pearce, bemerkte in einem Interview: „Computerspiele sind wie jede andere Art von Medien und Unterhaltung – man muss sich in Mäßigung üben.“

In den konventionellen Computerspielen gibt es nur Täter oder Opfer. Neue Varianten haben von der Literatur gelernt, dass es auch den hilflosen oder duldenden Zuschauer gibt. Obwohl ein typischer First-Person-Shooter, zeigt beispielsweise „Half Half 2“, wohin die Reise geht. Lange Erzählstrukturen durchwirken das Spiels, reines Betrachten und Interaktivität wechseln sich ab. Aber: Nach einem Wochenende „Half Life 2“ reagieren sensibleren Menschen auf scharrende Geräusche im Treppenhaus schon mal nervös. Selbst wenn man dem Genre gewogen ist, fällt doch die Vorrangstellung der militärischen Ego-Shooter auf dem Markt auf. Da liegt der bedauerliche Schluss nahe, dass die männliche Natur enormen Spaß am Verstecken, Zielen, Ballern und Eleminieren zu haben scheint.

Kill Bill

Alle paar Jahre taucht die Diskussion wieder auf, ob diese „Killerspiele“ die Gewalt fördern. Dave Grossmann, ein amerikanischer Psychologe, ist überzeugt, dass Jugendliche durch Videospielen das Töten lernen. Als Beweis führt er immer wieder Michael Carneal an, einen 14-jährigen Jungen aus Kentucky. Dieser stahl eine Waffe und schoss auf Klassenkameraden. Fünfen davon in den Kopf, die anderen drei traf er in den oberen Körperbereich. Der Junge hatte nie zuvor eine Waffe in der Hand gehabt, aber er hatte Videospiele gespielt, in denen genau diese Art zu schießen geübt wird.

So einfach ist es aber nicht mit dem Ursache-Wirkung-Prinzip. Studien weisen darauf hin, dass sich aggressivere Kinder von vornherein häufiger die brutaleren Games aussuchen. Mittlerweile gilt als bewiesen, dass Spieler, die heftig Ballern, auch kurze Zeit nach dem Spiel noch aggressive Tendenzen haben. Die Effekte sind aber deutlich geringer als nach dem Anschauen von Kinofilmen mit Gewaltszenen. Das Feuilleton feiert Filme wie „Kill Bill“ und die Ästhetisierung von Gewalt, will aber unter PC-Spielern nur Dumpfbacken ausmachen. Spielen gilt halt, ob nun elektronisch oder nicht, als Domäne der Kinder, Erwachsene haben sich dem Ernst des Lebens zu widmen.

Ob Spiele mit viel Gewalt auch längerfristige Wirkungen zeigen, ist unklar. Es ist aber unsinnig anzunehmen, dass alleine Computerspiele aggressive Ausbrüche bedingen. Man muss immer sehen, was sonst noch im Leben der jeweiligen Personen passiert und welchen Medienzugang sie außerdem haben.

Die Lust der Menschen aufs Geballer hat auch die US-Armee erkannt. Sie gibt ein grafisch anspruchsvolles Spiel heraus: America’s Army. Im Spiel ist man Soldat – und kann man sich direkt von der echten Armee rekrutieren lassen. Über vier Millionen registrierte Spieler gibt es bereits, einige davon spielen über 40 Stunden in der Woche. Die Armee organisiert Hunderte von Turnieren im Jahr, nach den LAN-Schlachten zeigen Sergeants der Army den Spielern echte Waffen, den besten Spielern werden Jobs angeboten.

Aus gesellschaftlicher Perspektive ergibt sich ein seltsamen Phänomen: Nutzt ein Mensch die Rechenmaschine konstruktiv-kreativ, dann darf er durchaus Tage und Nächte vor der Kiste verbringen: Er ist dann ein „Computerfreak“, ein „Geek“ oder „Nerd“, aber kein „Süchtiger“. Dreht man an dieser Gedankenschraube weiter, dringt einem die ohnehin ausgeprägte Begeisterungsfähigkeit der Computer-Fans in den Geist. Die gesamte Programmierer- und vor allem Open Source-Szene, die Entwickler des frühen Internet und auch die Millionen Hobby-Hardcore-User kommen ohne einen gewissen Hang zum Enthusiasmus gar nicht aus. Für Männer ist der Rechner eben das perfekte Objekt: Jedem Reiz folgt eine Reaktion, die Maschine gehorcht und reagiert stets logisch. Das aus jeder Inbrunst auch Übereifer werden kann ist hinlänglich bekannt. Interessanter zu erforschen als das abgekaute Suchtpotential dürfte zukünftig sein, in wie weit die Maschine rein technisches Denken fördert. Aber bisher beschränkt man sich darauf, wie bei den Drogen auch, ein Phänomen, weil man es nicht versteht, primär als Gefahr zu deuten.

 

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Historische Texte

Haschisch und Unsterblichkeit: Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. F.R. Pfaff (1864)

Haschisch und Unsterblichkeit

Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. Emil Richard Pfaff (1864)

Im Grunde ist für den Menschen nur eine einzige Frage wirklich von Belang: Gibt es eine menschliche Seele, die in irgendeiner Form in einem Jenseits den körperlichen Tod überdauert? Der wissenschaftliche Erkenntnisweg macht da keine Hoffnung: Die individuelle Existenz verlischt demnach mit den Gehirnfunktionen. Das ist eine schockierende und betrübende Vorstellung für unsere Zentralinstanz das Ego, die es stets zu verdrängen sucht. Es möchte gern unsterblich sein. Lassen sich nicht doch Beweise für ein Jenseits finden, die selbst wissenschaftlichen Kriterien standhalten? Dann wäre man auf der sicheren Seite. Mit derartigen Fragen hat sich auch der Arzt Emil Richard Pfaff beschäftigt und seine Überlegungen 1864 in einem kleinen Büchlein, den „Ideen eines Arztes über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele“, veröffentlicht. Darin beschäftigt er sich am Ende mit den Wirkungen des Haschisch:

„Die eigenthümliche Wirkung narcotischer Gifte, wie Opium und namentlich Haschisch auf die Gehirnfunction bringt eine so merkwürdige Alienation der Aeußerungen des Seelenlebens hervor, daß man daraus wichtige Schlüsse und Offenbarungen über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele hat ableiten wollen, allein so interessant für das Studium der Seele und zum Theil unerklärlich und daher geheimnisvoll diese Wirkungen auch sind, so gehört es doch in das Gebiet der menschlichen Schwärmerei, denselben eine Deutung unterzulegen, wie mehrere französische Aerzte, z.B. Cahagnet, sowie die Swedenborgianer gethan haben. Daß der Gebrauch des Opiums und Haschisch schon in den ältesten Zeiten bekannt war, geht aus den Mittheilungen arabischer Aerzte ganz unzweifelhaft hervor und es ist darnach anzunehmen, daß diese Mittel in den Orakeln und den Geheimlehren der Alten eine Hauptrolle gespielt haben. Es lag ziemlich nahe, die Wirkungen jener Mittel in dieser Richtung zu benutzen, da dieselben hauptsächlich in Hervorbringung einer merkwürdigen Ekstase, verbunden mit einer Art von Clairvoyance, bestehen, in welcher die in der Narcose befindlichen Personen die an sie gerichteten Fragen beantworten und die Bilder zu beschreiben im Stande sind, die ihnen die erregte Phantasie so lebendig vormalt, daß sie selbst an ihre Wirklichkeit glauben. Die Haschisch-Ekstase ist außerdem noch dadurch charakteristisch, daß die in derselben erzeugten Bilder und Phantasien sich tief in das Gedächtnis der Träumer einprägen und die Seele des Verzückten in eine unbeschreibliche Glückseligkeit versetzen. Und diesem Gefühle einer unendlichen, alle irdischen Genüsse weit übertreffenden Wonne ist es zuzuschreiben, daß aus dem ekstatischen Zustande Enthüllungen über das Jenseits erwartet und abgeleitet worden sind. Wie die Somnambüle Dinge sieht und beschreibt, die ihr fern sind, so giebt der durch Haschisch in Ekstase Versetzte Auskunft über Dinge, die den Bereich der menschlichen Fassungskraft weit übersteigen und die Mittheilungen, welche in diesem Zustande über das Jenseits und über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele gemacht worden sind, tragen insgesammt ein übereinstimmendes Gepräge, indem sie die Zukunft unserer Seele als eine überaus glückliche bezeichnen.

Nach den Schriften des Arabers Takiyy-eddin Makrizi ist Haschisch unter dem Namen „Keff“ (Haschischat alfokara, l`herbe des Fakirs) schon den ersten Muhammedanern bekannt gewesen. Die Pflanze, von deren Blättern das Mittel bereitet wird, wächst häufig in Egypten und heißt dort Konnab hindi (chanvre, Cannabis indica, Indischer Hanf). Die Zubereitung, welche einfach im Zerstoßen der Blätter und Vermischen des Breies mit Honig und einigen Gewürzen besteht, soll der Scheik Biraztan aus Indien erfahren haben, wo der Genuß des Haschisch seit dem grauesten Alterthume Mode war. In der arabischen Literatur existiren viele Lobpreisungen und Gedichte über dieses Mittel, sowie zahlreiche Vorschriften zu dessen Bereitung. In zu großer Dosis bewirkt es gefährliche Zufälle, sogar Convulsionen und Tod. Der arabische Arzt Ebn-Djezla empfiehlt als Gegenmittel gegen Haschisch den Genuß saurer Milch, Andere empfehlen Essig als Gegenmittel. In einem Punkte stimmen aber alle arabischen Aerzte überein, nämlich darin, daß der öftere Genuß des Haschisch noch weit nachtheiliger für die Gesundheit ist, als der des Opiums und daß unheilbare Geisteszerrüttung als die unausweichliche Folge der täglichen Gewöhnung an dieses berauschende Mittel bezeichnet wird. Es ist dies Grund genug, vor dem Gebrauche dieses Mittels zu warnen, wenngleich französische Aerzte behaupten, daß die jährlich dreimalige Anwendung desselben in nicht stärkerer Dosis, als zu 2-3 Grammes unschädlich sein soll. Nach einer solchen Dosis tritt die Wirkung innerhalb 1-2 Stunden ein und beginnt gewöhnlich mit einem krampfhaften Lachen, worauf die Visionen ihren Anfang nehmen. Daß aber von der durch Haschisch hervorgerufenen Ekstase keine wichtigeren Enthüllungen über unser Seelenleben zu erwarten sind, als von dem Somnambulismus, dem fieberhaften Delirium, dem magnetischen Schlafe, dem Traume und dergl., das geht aus den sehr detaillirten Beschreibungen der Seelenthätigkeit während der Haschisch-Narcose hervor, welche arabische und französische Aerzte und Schriftsteller mitgetheilt haben und denen zufolge die Haschisch-Wirkung weiter Nichts ist, als eine durch Vergiftung hervorgerufene Geisteszerrüttung.

Es bedarf übrigens für den Dichter, Schriftsteller und Künstler , dafern er mit genügendem Talente ausgestattet ist, eines derartigen gefährlichen Erregungsmittels nicht, um seine Seele in eine Exaltation zu versetzen, in welcher er etwas Hervorragendes schaffen kann. Durch tiefes Eindringen in den Gegenstand der Betrachtung, durch Concentration aller Seelenkräfte gleichsam auf einen Punkt tritt bei dem Denker von selbst der an Ekstase grenzende Zustand ein, in welchem ihm Dinge begreiflich und klar werden, die an sich über die menschliche Fassung zu gehen scheinen, und nur in einer solchen Lage sind wir im Stande, den trostreichen Gedanken in seiner ganzen Tiefe und überzeugenden Wahrheit zu erfassen, von dem wir ausgingen:

In dem ganzen Weltall giebt es keinen Tod, sondern nur ein Hinübergehen aus einem Leben, oder einem Zustande des Seins in den anderen.“

 

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Cognitive Enhancement

Hirndoping im Schach

telepolis, 09.02.2011

Jenseits des Schwarz-Weiß Denkens

Jörg Auf dem Hövel

Ist Hirndoping im Schach möglich? Eine praxisnahe Studie sucht Aufklärung

Der legendäre Schachgroßmeister und TV-Kommentator Helmut Pfleger unternahm 1979 einen heroischen Selbstversuch. Vor einer Partie gegen den Ex-Weltmeister Boris Spasski nahm Pfleger einen sogenannten Beta-Blocker ein – wohlgemerkt mit dem Wissen Spasskis. Beta-Blocker galten damals wie heute als probates Mittel gegen Nervosität vor öffentlichen Auftritten. Sie senken in erster Linie den Blutdruck. Pfleger verlor, wie er selber sagte, „sang- und klanglos“, weil sein Puls im Keller und die Gleichmut groß war. Er testete die Substanz noch bei einigen Sportkameraden, die Ergebnisse waren seiner Aussage nach „widersprüchlich, einmal sogar eindeutig schlecht“.

Schach gilt als eine der letzten dopingfreien Domänen. Die Verantwortlichen sind sich seit Jahrzehnten der Sauberkeit ihres Denksports sicher. Umso größer war die Aufregung, als das deutsche Innenministerium den Schachverbänden vor einigen Jahren nahe legte, die Anti-Doping-Statuten zu unterzeichnen. Man drohte mit dem Streichen der Fördermittel. Seit 2009 hat sich der Deutsche Schachbund dem Code der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) unterworfen. Bei den deutschen Einzelmeisterschaften der Frauen, der Männer sowie der Juniorinnen und Junioren gibt es seither je drei Kontrollen.

Über die potentiellen Möglichkeiten von Hirndoping wird viel spekuliert, aber wenig ist bewiesen. Die oft genannten Kandidaten sind, neben Koffein, das als „Ritalin“ bekannte Methylphenidat und das bei Narkolepsie eingesetzte Modafinil. Keine der Substanzen konnte aber bislang ihren Ruf als Hirndopingmittel gerecht werden. Sie helfen, wenn überhaupt, nur übermüdeten Menschen, länger wach zu bleiben. Intelligenteres Handeln wurde noch nicht beobachtet.

Zusammen mit dem Internisten Harald Balló, der zudem Präsident des Hessischen Schachverbandes ist, führt die Universität Mainz nun eine interessante, weil praxisbezogene Studie durch. 40 Schachspieler werden ihrer ELO- Stärke entsprechend gegen das Schachprogramm „Fritz“ antreten. Sie spielen 40 Partien Schnellschach, wobei sie doppelblind entweder Koffein, Methylphenidat, Modafinil oder einen Placebo erhalten. Jeder Spieler erhält dabei jede Substanz genau einmal. Die Dosierungen werden sich im üblichen Rahmen bewegen: 200 mg (das entspricht zwei Tassen Kaffee) bei Koffein, wahrscheinlich 200 mg bei Modafinil. Beginn der Studie ist im März, Teilnehmer werden noch gesucht. Mit den Ergebnissen ist nicht vor dem Herbst 2011 zu rechnen.

Die Untersuchung dürfte einen Einblick in das reale Potential von Doping im Denksport geben. Bislang gelten Schachpartien als zu diffizil, um mit Aufputschmitteln wie Amphetaminen positiv gelenkt werden zu können, überhastetes Handeln ist unerwünscht. Koffein ist zwar beliebt unter Schachspielern, bei hohen Dosierungen können aber die negativen Kreislaufwirkungen überwiegen, zudem kann das klaren Denken gestört werden. Eine kurze Zeit lang stand Koffein auf der Dopingliste, heute ist das Verbot aufgehoben. Das intellektuelle Ethos der Spieler ist zudem hoch, man ist Stolz auf die reine Denkleistung im traditionellen „Spiel der Könige“.

Dies und wohl auch die fehlenden Kontrollen sind der Grund dafür, dass bislang auf großen Schachturnieren keine Dopingfälle bekannt geworden sind. Es wurde immer wieder vermutet, dass einige Spieler in langen Partien mit Amphetaminen nachhelfen, nachgewiesen werden konnte bislang nichts. Sollte die Mainzer Studie allerdings einen positiven Effekt von Hirndoping nachweisen, dürfte die psychoaktiven Helferlein von einigen Schachspielern sicherlich genauer in Augenschein genommen werden.

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Historische Texte

Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien – E. Koller (1899)

Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien

Ein Sittenbild von E. Koller aus dem Jahre 1899

„Seit Jahrhunderten und auch heutzutage noch ist der Haschischgenuß im Orient sehr verbreitet, und zwar frönt man ihm mit Vorliebe in den hierzu besonders eingerichteten, mit seltsamen Wandmalereien versehenen Kaffeehäusern, wo die Haschischpfeife die Runde macht und unter eintöniger Gesang- und Musikbegleitung die Raucher in träumerische Glückseligkeit wiegt. Es ist leicht begreiflich, daß solche Genüsse verlockend auf die Masse des Volkes wirken, und das sogar die in hohem Grade gesundheitsschädlichen Folgen dieses Lasters die denselben Verfallenen nicht mehr davon abzuhalten vermögen.

Schon wiederholt wurde versucht, dem Haschischgenuß durch gesetzliche Verbote zu steuern; so erließ zum Beispiel schon im 13. Jahrhundert der ägyptische Sultan Bebars ein diesbezügliches Verbot, und auch in unserer Zeit bestehen in Aegypten Gesetze, welche nicht nur den Genuß, sondern auch die Herstellung und die Einfuhr dieses verderblichen Giftes verbieten. Trotzdem wird dasselbe in beträchtlichen Mengen heimlich eingeführt, und zwar vorzugsweise durch griechische Schmuggler, die mit ihren leichten Segelschiffen an entlegenen Stellen landen, wo verwegene Beduinen auf sie warten und den beliebten und einträglichen Handelsartikel übernehmen, um ihn auf ihren Kamelen in das Innere des Landes zu befördern, falls es ihnen gelingt, den Späherblicken der Küstenwächter zu entgehen, denen sie nicht selten hartnäckigen Widerstand leisten.

Auch auf weniger gefährliche Weise wird ziemlich viel Haschisch in Aegypten eingeschmuggelt, indem man ihn unter anderen zur Einfuhr bestimmten Waren und Gegenständen versteckt und so die Zollbeamten zu täuschen sucht. Letztere haben jedoch auf diesem Gebiete schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß sie auch die heimlichsten Verstecke ausfindig machen und dadurch den Schmuggel immer mehr erschweren. Aus den verschiedenartigen Gegenständen, in welchen auf dem Zollamt in Alexandrien verborgene Haschischsendungen entdeckt wurden, ist daselbst eine reichhaltige Sammlung angelegt worden, die dem Besucher einen interessanten Einblick in die von den Schmugglern angewandten Schliche gewährt und die man als ein Haschischschmuggel-Museum bezeichnen kann.

Beim Eintritt in dasselbe glauben wir uns in eine große Rumpelkammer versetzt, denn ringsum an den Wänden erblicken wir ein buntes Durcheinander von Haushaltungs- und sonstigen Gegenständen, die sich teilweise in einem sehr schadhaften Zustande befinden.

In der Mitte des Zimmers steht ein schönes Piano, dessen Klänge uns nicht ahnen lassen, daß es außer musikalischen auch noch anderen Zwecken zu dienen bestimmt war. Als es bei der Einfuhr zollamtlich untersucht wurde, entdeckte man mit Hilfe eines langen Bohrers, daß es im Innern Haschischpulver enthielt, und nach Entfernung der Rückwand zeigte es sich, daß alle Hohlräume, sogar der unter der Klaviatur, mit Haschischsäckchen angefüllt waren, worauf das Klavier samt Inhalt beschlagnahmt wurde.

Ein anderes Mal wurden etwa zwanzig Dutzend Tischbeine eingeführt, die alle ausgehöhlt waren und Haschisch enthielten; einige derselben sind dem Museum einverleibt worden, wo sie neben einer großen, gar nicht verdächtig aussehenden Korbflasche liegen. Dreht man letztere aber um, so erblickt man in ihrem Innern einen Blechcylinder. Die Flasche war, der Zollerklärung entsprechend, mit Oel gefüllt; bei der Untersuchung entdeckte jedoch der Beamte mit Hilfe seines Hebers das Vorhandensein des Cylinders, worauf die Flasche auf einer Seite eingeschlagen wurde, und ihr aus Haschisch bestehender Hauptinhalt zum Vorschein kam. Aehnlichen Zwecken diente die daneben stehende Cognakflasche; dieselbe war, vielleicht mit einem glühenden Draht, mitten entzwei geschniten und nach Einsetzung einer mit Haschisch gefüllten Blechbüchse wieder zusammengekittet und mit einem großen, alles verdeckenden Etikett versehen worden. Der Betrug wurde indessen auf dem Zollamt entdeckt, was die Beschlagnahme von etwa 150 solcher Flaschen zur Folge hatte.

Mit Vorliebe werden auch ausgehöhlte und sorgfältig wieder verschlossene Quadersteine und Säulen, deren das Museum auch welche enthält, zum Haschischschmuggel verwendet, ebenso Packpapierballen und Tapetenrollen.

Sogar Seifenstücke, die eine kleine Blechbüchse umschlossen, und denen man äußerlich nichts ansehen konnte, mußten demselben Zwecke dienen, ferner ausgehöhlte Bücher, Schemel, Feldstühle, Pferdekummete, Laternenpfähle, Feuerherde und Schubkarren.

Wie viel Schlauheit und Mühe auf den Schmuggel verwendet wird, zeigen die in dem Glase enthaltenen Oliven, welche teils echt, teils aus Wachstuch künstlich hergestellt und mit Haschisch angefüllt sind. Natürlich fehlen in dem Museum auch nicht die mit doppelten Böden und Wänden versehenen Kisten, Koffer und Fässer, welch letztere behufs Erschwerung der zollamtlichen Untersuchung oft mit spitzigen Nägeln angefüllt werden.

Eine häufige Verwendung zu Schmuggelzwecken finden Biskuitbüchsen mit geheimen Abteilungen; auch in Eiskästen wurden zwischen den doppelten Wänden schon bedeutende Mengen von Haschisch entdeckt.
Während des letzten griechisch-türkischen Krieges wurden auffallend viele schön eingerahmte Kriegsbilder in Aegypten eingeführt; bei näherer Untersuchung stellte es sich heraus, daß deren Hauptwert nicht in der künstlerischen Ausführung, sondern in den mit Haschisch gefüllten Rahmen bestand.

Trotz der großen Erfahrung und Wachsamkeit der Zollbeamten gelingt der Haschischschmuggel doch in manchen Fällen und wirft alsdann so hohen Gewinn ab, daß die Schmuggler für ihre häufigen Verluste reichlich entschädigt sind. Ein Pfund dieses Genußmittels, das im Ursprungslande etwa zwei Franken kostet, wird in Aegypten mit fünfzehn bis zwanzig Franken bezahlt, und es ist somit alle Aussicht vorhanden, daß die Schleichhändler auch fernerhin ihren Scharfsinn und ihre Schlauheit aufbieten werden, um die Zollbeamten zu täuschen, und daß sich das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien noch um manches interessante Stück bereichern wird.

Denn es ist eine alte Erfahrung, die im Abendland wie im Morgenland sich stets aufs neue bestätigt, daß Gesetze, die nicht im moralischen Bewußtsein des Volkes wurzeln, sondern rein fiskalischer Natur sind, selbst von sonst ganz ehrenhaften Menschen umgangen werden, und der Schlauheit des Gewinnsüchtigen ein um so weiteres Feld der Unternehmungslust bieten, als es sich hier gleichsam um einen Kriegszustand handelt, der mit den Waffen der List geführt wird, und der neben dem Reiz des Gewinnes auch noch den des Abenteuerlichen hat.“

 

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Outlet-Center als künstliche Shopping-Dörfer

telepolis, 05.02.2011

Bei Neumünster will ein britischer Investor ein Shopping-Dorf mit 100 Läden bauen, bei Soltau ist eine solche Freiluft-Mall schon genehmigt. Die umliegenden Kleinstädte fürchten die Verödung ihrer Ortskerne.

Einkaufen ist heutzutage ein Event, Shopping wird zelebriert. In den modernen Shopping-Malls wird der Einkaufsbummel zum halbtäglichen Familienausflug. Unweit der norddeutschen Stadt Neumünster will nun ein britischer Investor die Menschen aus den umliegenden Dörfern, vor allem aber aus Hamburg, in ein potemkinsches Shopping-Dorf locken und damit den nächsten Schritt bei der Virtualisierung der Einkaufswelten gehen. Auf einem 80.000 Quadratmeter großen Grundstück sollen 100 Markenartikel-Läden entstehen. Während in den Innenbereichen eine Stahlträgerkonstruktion den modularen Aufbau mit Gipskarton erlaubt, sind die Fassaden zweistöckig-norddeutschen Fachwerkhäuschen nachempfunden. Die oberen Etagen existieren allerdings nur als kernlose Hülle, sie sind nicht begehbar. Die mutierte Modellbauwelt will über das bekannte Modell der sogenannten Factory Outlet Center (FOC) hinaus gehen und in erster Linie Mode-Luxusmarken anbieten. Das benachbarte Rendsburg sucht den Bau vor Gericht zu verhindern.

Der sperrige Begriff des „Hersteller-Direktverkaufszentrum“ konnte sich nie so recht etablieren, um sich von den Fabrikverkaufsodor zu befreien wurde schon vor einigen Jahren ein neuer Begriff für diese Art des Vertriebs kreiert: Designer Outlet Center (DOC). In Deutschland existieren zur Zeit elf DOC beziehungsweise FOC (darunter bei Wertheim, Ingolstadt, Wolfsburg, Zweibrücken und Wustermark bei Berlin, dazu die gewachsenen Geschäftsansammlungen in Metzingen, Herzogenaurach und Ochtum bei Bremen).

Weitere Projekte haben bereits eine Baugenehmigung erhalten: Nach Jahre währenden Rechtsstreit setzte sich die Stadt Soltau gegen die Mitbewerber aus Bispingen und Bad Fallingbostel und gegen die Klagen der benachbarten Gemeinden wie Lüneburg durch. Die Eröffnung soll im Frühjahr 2012 erfolgen. Auch dieses Center wäre mit dem Auto innerhalb einer Stunde von Hamburg aus erreichbar.

Im rheinland-pfälzischen Montabaur kann ebenfalls bald billig geshoppt werden, die Stadt wird in der Nähe der A3 ein FOC ansiedeln. Hier hatten die Nachbarstädte ebenfalls geklagt. Das Oberverwaltungsgericht sah die zu erwartende Umsatzverteilung für die jeweiligen Städte unterhalb der sogenannten „Erheblichkeitsschwelle“ von 10 % liegen. Dies ist der gesetzlich festgelegte Rahmen, innerhalb dess umliegende Städte Umsatzeinbußen akzeptieren müssen. Der Grenzwert ist schwer zu berechnen, denn wie viele Einwohner kaufen ihre neue Jeans aufgrund eines nahe gelegenen Outlets nicht mehr beim Einzelhändler im Ort?

Lange Zeit wurden viele der geplanten Outlets verhindert. In Bayern, wo man stolz auf seine kleinteiligen Infrastrukturen ist, konnten sich lange keine Freiluft-Malls etablieren. Das Ingolstadt Village wurde in der Presse als „Dammbruch“ bezeichnet. Die Betreiber des Berliner Centers sprechen in einem Interview in der Bauwelt generös von einem „Lernprozess“, in dem sich Deutschland gerade befände.

Die befürchtete, und in vielen Kleinstädten Deutschlands schon lange Realität gewordene Verödung der Fußgängerzonen ist ursächlich nicht mit der Ansiedlung von Outlets im Umland verbunden. Vielmehr sind verfehlte Standort- und Verkehrspolitik, mangelnde Kaufkraft, Abwanderung in die Großstädte und weitere Faktoren Schuld daran, dass viele Einkaufsstraßen den Charme einer leeren Schuhschachtel ausstrahlen.

Nicht die Outlets waren die ersten auf der Grünen Wiese vor der Stadt, sondern die Groß-Supermärkte. Diese sorgten früh dafür, dass die Kunden beim Kaufmann im Ort fehlten. So schließt Laden auf Laden, unter solchen Umständen ist der Bürgermeister froh, wenn sich wenigstens ein Textil-Discount ansiedelt, was die Attraktivität des Standortes weiter nach unten schraubt.

Egal ob Einzelhändler oder Kette: Wer im Ortskern neu eröffnen will, der muss sich meist mit Bestandsimmobilien rumschlagen, deren Grundriss oft überhaupt nicht zum Vorhaben passt. Dem Angebot eines Outlet-Center-Betreibers, auf das nahe Brachland ein virtuelles Dorf zu stellen, kann dann schon allein aus fiskalischen Gründen kaum jemand widerstehen. Zudem entstehen neue Arbeitsplätze. Die kontinuierliche Verbreitung der Center wird nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch die Landschaften mitsamt ihrer Infrastruktur noch einmal neu verändern. Aus Einkaufszentren werden Freizeiteinrichtungen.

Das erste DOC Deutschlands entstand 2001 in Zweibrücken. Seitdem befindet es sich im kontinuierlichen Ausbau. Nach der ersten Erweiterung im Jahr 2006 war Zweibrücken mit 75 Geschäften auf rund 15.000 Quadratmetern Verkaufsfläche schon das größte Designer-Outlet Deutschlands. Im Sommer 2008 wurde die dritte Erweiterung auf genau 101 Shops abgeschlossen. 2007 besuchten rund 1,6 Millionen Kunden das Dorf.

Das Outlet im niederländischen Roermond sollte ursprünglich unweit der Grenze in Deutschland entstehen, scheiterte aber am Widerstand der Region. Der Centerbetreiber, die amerikanisch-britische McArthur Glen-Gruppe, hat es sich zum Prinzip gemacht, seine Projekte im Stil der jeweiligen Region zu gestalten. „Village Style“ wird das genannt. Es dient als Vorbild für die Planungen in Neumünster. In Roermond simuliert man die alten Stadthäuser und Gutshäuser der Provinz Limburg in der Architektur. Ziegelfassaden, Torwege, Stufengiebel, kleine Plätze. Das konstruktive Gerüst der Gebäude besteht vollständig aus von außen nicht sichtbaren Stahlprofilen im Grundraster 7,5 auf 7,5 Metern. 100 Geschäfte teilten sich 28.000 Quadratmeter. Die Ladenstadt wird jährlich von knapp 3 Millionen Menschen besucht. Rund zwei Drittel von ihnen kommen aus dem Ballungsraum Köln-Düsseldorf und dem Ruhrgebiet hinüber gefahren.

In Berlin hat der Investor McArthur Glen, der auch die Freiluft-Mall bei Neumünster bauen will, gerade eine Verdoppelung seines Outlet Centers an der B5 bei Elstal auf 90 Läden abgeschlossen. Hier sucht man in märkischen Baustil zu überzeugen. Die Kundschaft besteht tatsächlich hauptsächlich aus Berlinern, in der Ferienzeit, so die Betreiber in einem Interview im Fachmagazin Bauwelt, käme eine „große Anzahl Kunden aus den anderen Bundesländern“ hinzu.

In allen Outlets geht es vornehmlich um den Vertrieb von Bekleidung. Vom Gesetzgeber sind die Outlets verpflichtet worden, nur Vorsaisonware und Überhänge zu verkaufen, damit keine direkte Konkurrenz zu den Einzelhändlern in der Innenstadt besteht. Die klagen aber darüber, dass neue Modell teilweise nach zu kurzer Zeit in die Desigern-Schnäppchenmärkte gelangten. Und darüber, dass es sich bei manchen Waren um Extra-Anfertigungen für die Outlets handele.

Die Outlets zielen auf den „Smart-Shopper“, der inkonsistent, markenbewusst und zugleich preiswert einkauft. Britischen Erhebungen zu Folge wandelt der Normalshopper zweieinhalb Stunden im Outlet umher, ist das Angebot an Restaurants und Entertainment größer, werden schnell auch vier Stunden daraus. Die Hälfte der Befragten besucht das Center als Teil eines Tagesausflugs, in Großbritannien waren sogar 75% mit Freunden und Bekannten unterwegs. Der Architekt Rem Koolhaas nennt Einkaufen die „letzte verbliebene Form der öffentlichen Tätigkeit“, die den Raum wie nichts anderes prägt.

Neben den Einheimischen locken die Outlets zunehmend auch ausländische Shopper. Ihnen wird in allen ihren Geschäften die Möglichkeit zum Tax Free Shopping geboten. Wer den Europa-Urlaub plant, kann den Besuch im Outlet gleich mitbuchen – Transport vom und zum Flughafen eingeschlossen. Von München aus verkehren beispielsweise regelmäßig Busse in das Outlet Center nach Ingolstadt.

Die meisten Besucher kommen aber mit dem eigenen Auto, ein weiterer Trend im modernen Konsumverhalten. Man geht nicht mehr einkaufen, man fährt, selbst wenn der Markt in der Nähe ist. In Städten legen einige Supermärkte nur noch Zufahrten für Autos an, Fußgänger müssen auf der Straße in den Markt gelangen.

Die Outlets sind nun ganz auf den Autofahrer konzentriert, riesige Parkplätze sorgen für das gute Gefühl, die aus der Innenstadt bekannte, lästige Parkplatzsuche entfällt. Wie weggewischt sind auch die sozialen Problemgruppen, die in den Innenstädten den geschmeidigen Einkaufsfluss durch Bettelei stören. Aus dieser Perspektive sind Designer Outlet Center ein Versuch, die hochglänzenden, guten Seiten des urbanen Lebens in einen Reinraum zu extrahieren und sie sogar quasi-demokratisch zu legitimieren, weil nun jeder Zugang zur Luxusartikeln erhält.

In den USA ist der Outlet-Trend vorbei, man spricht durch die 350 Center von einer Sättigung. In Großbritannien sieht das ähnlich aus, hier existieren über 50 FOC, von jeder großen Stadt lässt sich mittlerweile ein Center innerhalb von einer Stunde mit dem Autor erreichen.

Luft nach oben herrscht noch in Spanien, Italien und Deutschland. Der in Neumünster aktive Betreiber McArthur Glen ist seit Beginn der neunziger Jahre der Vorreiter für diese Art von Shopping-Tempeln. Die Firma betreibt 17 Outlet Center in ganz Europa. Am nun geplanten Outlet Center wird das Dilemma der aktuellen Raumentwicklung deutlich.

Nicht die örtliche Politik gestaltet ihre Gemeinde, sondern internationale und anonymisierte Finanziers. Die haben wenig Interesse an den kommunalen Belangen, für sie sind Areale und Wiesen austauschbar. Was tatsächlich von den örtlichen Besonderheiten berücksichtigt wird, ist die Architektur, die wiederum nur mit dem Lokalkolorit spielt und leere Hüllen schafft.

 

 

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Mixed

Zwischen Mode und Tierschutz

Zwischen Mode und Tierschutz

Pelz und Tierhaltung stehen nach wie vor im Zwielicht

Unterliegt der Pelz den gleichen Gesetzen wie die breiten und schmalen Krawatten? Der erfahrene Mann gibt seine unmodern gewordenen Binder schon längst nicht mehr zur Altkleidersammlung, weil er ahnt, daß sie in ein paar Jahren wieder total hip sind. Und die bewußte Frau? Holt sie ihr Schmuckstück aus Fell trotz eines schlechten Gewissens ebenfalls erneut aus dem Keller, weil es der Trend vorgibt? Das pelzverarbeitende Gewerbe jedenfalls meldet für 1996 Umsatzsteigerungen von über 15 Prozent. Die Tierschützer sind alarmiert und rufen mit immer ausgefalleneren Aktionen zum Boykott von Naturpelzen auf, die Politik verschärft die Auflagen für Tierhaltungen. Der Streit ist neu entbrannt, es geht nicht nur um die Frage, ob der Pelz in den modischen Kreislauf zurückkehrt.

Lange, kalte Winter erwärmen seit je her das Herz der Pelztierbranche. Der strenge Winter der letzten beiden Jahre bescherte den über Tausend deutschen Kürschnern einen deutlichen Anstieg ihrer Umsätze, auf ihren Auktionen verkauften sie innerhalb kürzester Zeit das gesamte Fellangebot. Das Deutsche Pelz Institut (DPI) feierte die „Rückkehr des Pelzes ins Modebild“. Eine Entwicklung, die nicht an den Grenzen Deutschlands halt macht, denn vor allem in den osteuropäischen Ländern steigt der Wunsch des Verbrauchers, sich mit einem Fell zu wärmen, rapide an. War Rußland bis vor kurzem eines der Hauptlieferländer für Nerz- und Fuchsfelle, stellt sich die jüngste Situation verändert dar: Rußland importiert heute Mengen von fertig verarbeiteter Pelzmode, daneben aber auch Felle zur Verarbeitung im Land selbst. Lange Zeit litt die europäische Pelzbranche unter den massiven Protesten der Tierschützer, aber mit den Zeiten ändert sich auch die Mode, und die Designer wagen sich wieder vermehrt an die Gestaltung von wertvollen und wärmenden Mänteln und Jacken. Stolz behauptet das DPI, daß heute so viele Modemacher wie nie zuvor mit Pelz arbeiten. Die französische Elle kommentiert: „Es ist kein Tabu mehr, einen echten Pelz zu tragen.“

Organisierten Tierschützer halten den Jubel der Pelzindustrie für Schwanengesang. Zwar sei nicht zu verhehlen, daß die Branche seit 1991 einen leichten Aufstieg zu verzeichnen hätte, dieser müsse aber in den Zusammenhang mit den letzten 12 Jahren gesehen werden. Bis Anfang der 80er Jahre war die Bundesrepublik führend im Pelz-Business, bis Tier- und Artenschützer mit Protesten auf die qualvolle Lage der Tiere auf den skandinavischen Pelztierfarmen hinwiesen. Filmbeiträge folgten, einige Firmen aus der Branche wurden als wirtschaftskriminell entlarvt, wissenschaftliche Arbeiten dokumentierten die Mißstände auf bundesdeutschen Nerz-, Iltis- und Nutriafarmen. Die Folge: Zwischen 1987 und 1991 verlor die Pelzwirtschaft zwei Drittel ihres Produktionswertes, die Geschäfte mit dem Tierfell konnten kaum schlechter gehen. Nur noch selten erhielt der Pelz Auslauf, nur noch selten trug man das kostbare Stück öffentlich zur Schau. Der tierische Flaum war als Schmuckstück von den Prachtstraßen der europäischen Metropolen nahezu verschwunden, tauchte er dann und wann doch noch mal auf, fristete er als dezente Applikation an Ärmel oder Kragen ein betont unauffälliges Dasein. Trotz des 1991 zu verzeichnenden Anstiegs lagen die Umsätze des Kürschnerhandwerks, des Bekleidungseinzelhandels und der Waren- und Versandhäuser 1991 mit rund 2 Milliarden DM ca. 50 % unter denen des Jahres 1980. Von den Anfang der 80er Jahre noch bestehenden 170 Nerz-, Iltis-, Fuchs- und Sumpfbiberfarmen bestehen heute noch höchstens die Hälfte, ein dramatischer Rückgang war auch hier zu verzeichnen. Edmund Haferbeck vom Bundesverband der Tierversuchsgegner nennt die Erfolgsmeldungen der Pelzbranche aus diesem Grunde eine „irreführende und burschikose Trotzreaktion“.

Mittlerweile kämpft eine breite Front von Tierschützern weltweit gegen die Jagd und Haltung von Pelztieren. Mit aufsehenerregenden Aktionen wendet man sich an die Öffentlichkeit und bedient sich dabei gekonnt der Massenmedien. Zu Trägern der tierfreundlichen Botschaft werden immer wieder Stars und Sternchen, die ihre Popularität für die „gute Sache“ einsetzen. Die amerikanische PeTA („People for the Ethical Treatment of Animals“) läßt Prominente unter dem Motto „Lieber nackt als Pelz“ unbekleidet vor der Kamera posieren. Topmodels wie Nadja Auermann, Cindy Crawford und Christy Turlington ließen bereits die Hüllen fallen, Frauenschwarm Markus Schenkenberg ebenso. Die internationale Agentur „BOSS Models“ erklärte kürzlich, daß sie ihre Modelle ab sofort nicht mehr in Produktionen schickt, in denen Pelze eine Rolle spielen. Kim Basinger setzt ihre Schönheit ebenso für PeTa ein wie Schauspielkollege Hugh Grant seinen Charme. Und Magiergattin Claudia Schiffer erzürnte im letzten Jahr ihren Arbeitgeber Karl Lagerfeld mit der Ankündigung, nicht mehr in seinen Fellkreationen über den Laufsteg wandeln zu wollen.

In Deutschland fungierte die Interpretin des Chaos´, Nina Hagen, lange Zeit als Aushängeschild der Tierrechtler. Gespeist aus einem Trivial-Buddhismus, propagiert die Sängerin die universelle Liebe zwischen Mensch und Tier. Angeschlossen hat sich nun die „Lukas Familie“ um Komiker Dirk Bach, die seit dem Januar durch das Abendprogramm des ZDF geistern. Auch sie demonstrieren mit der PeTA gegen den Mißbrauch von Pelzen.

PeTA-Chef Dan Mathews weiß ob der Wirkungskraft seiner prominenten Flagschiffe, er bezeichnet seine Organisation als „Marketingagentur“. Protest gegen das Establishment liegt ihm fern: „Wir leben nicht mehr in den Sechzigern“, sagt der Mann, der als Telefonist bei der PeTa begann, „heute gilt es, die Botschaft raffiniert zu verpacken“. Mathews bemerkte schon früh seine Bestimmung: Als kleiner Junge in den USA rettete er zusammen mit seinem Bruder junge Katzen, die von den Nachbarkindern gequält wurden. Die Peiniger bezogen dabei ein kräftige Tracht Prügel. Schnell bemerkte er, daß Tierschutz eine Sache der Konsumenten, weniger der Politiker ist und entwickelte die Prämisse seiner Arbeit: „Tierrecht heißt, daß zu respektieren, was lebt und fühlt. Und was man respektiert, daß rührt man nicht an.“

Seit ihrer Gründung im Jahre 1980 unterstützen vor allem jüngere Leute die gemeinnützige Organisation, freiwillige Helfer arbeiten zumeist unentgeldlich zum Schutz der bedrohten Kreaturen. Die Mitarbeiter verweisen auf diverse Erfolge: Auf Druck von PeTA stellten die Unternehmen Revlon, Avon und Estèe Lauder Tierversuche für ihre Produkte ein und der Autogigant General Motors stoppte die Verwendung von Schweinen und Frettchen für Crash-Tests.

Die Anti-Pelz Kampagne ist aber nach wie vor die Populärste der professionellen Tierfreunde, denn den meisten Menschen fällt der Verzicht auf den Pelz ebenso leicht, wie die Boykottierung eines bestimmten Tankstellentyps. Pelzindustrie und Tierschützer streiten sich indes um jeden einzelnen Modedesigner und veröffentlichen in kurzen Abständen Listen, auf welchen die Namen derjenigen Schneider-Künstler vermerkt sind, die den Pelz nutzen oder eben nicht verwenden.

Auch der Hamburger Modezar Wolfgang Joop meint, auf Pelz verzichten zu können, gibt aber zugelich zu bedenken, daß Tatsache bleiben wird, daß „Tiere gezüchtet werden, um sie zu verwenden – ob als Speise oder Kleidung“. Damit spricht Joop ein Grundproblem des Tierschutzes an. Denkt man die Forderungen der Organisationen nämlich bis an ihr Ende, dürfte sich der Mensch grundsätzlich nicht mehr am Tier vergreifen. Ob im Zoo, als Pelz oder im Tierversuch – überall zwingt der Homo sapiens einer anderen Spezies seinen Willen auf. Vorerst begnügen sich die viele Tierschützer allerdings damit, auf die Situation der Nutztiere hinzuweisen. Annähernd fünf Millionen Pelztiere -Waschbären, Luchse, Biber, Nutri Otter und andere Tiere- werden jährlich von Fallenstellern in den USA getötet. Dies geschieht meist mithilfe des Tellereisens, dessen beiden Zahnreihen bei Berührung am Bein des Tieres zusammenklappen. Oft versucht das Geschöpf dann freizukommen – manche beißen oder drehen sich dabei das gefangene Glied ab und verenden später. In Deutschland sind Tellereisen mittlerweile verboten, nicht aber der Import von Pelzen, die mit dieser Methode gefangen wurden. Silke Berenthal von der PeTA in Hamburg sieht darin eine „nicht zu übersehende Doppelmoral“. Weitere dreieinhalb Millionen Pelztiere leben in den USA auf Farmen. Ungeachtet ihrer Größe oder ihres Standortes ist die Art, wie Nerze und andere Pelztiere gezüchtet werden, auf der ganzen Welt relativ einheitlich: Füchse hält man in bis zu 250 Quadratzentimeter kleinen Käfigen, Nerze und ihre nahen Verwandten warten auf 30 x 100 Zentimeter auf ihre Verarbeitung.

Erbitterter Streit herrscht darüber, inwieweit die Tiere unter diesen Umständer ihrer Gefangenschaft leiden. Quält das animalische Wesen der Entzug seiner Freiheit ebenso wie den Menschen? Tierschutzorganisationen halten es für selbstverständlich, daß die Gefangenschaft jedweder Kreatur nicht nur gegen dessen „Recht auf Wohlbefinden“ verstößt, sondern zudem Ursache von Krankheiten und Verhaltensstörungen bishin zum Kannibalismus sei. Nach Ansicht der Befürworter der intensiven Tierhaltung ist dagegen schon der Begriff des „Wohlbefindens“ eine unzulässige Übertragung menschlicher Kategorien auf das Tier. Im Laufe seiner Domestizierung hätte sich nicht nur das Haus-, sondern auch das Pelztier an seine Lebensbedingungen in der Nähe des Menschens gewöhnt. Demnach dürfe, so die Meinung, das Verhalten von Tieren in Gefangenschaft, welche seit Generationen mit dem Menschen leben, nicht mit dem Verhalten ihrer Artgenossen in der freien Wildbahn verglichen werden. Der dänische Wissenschaftler Knud Erik Heller behauptet, daß „Domestizierung und Selektion von Nutztieren zu derart tiefgreifenden Änderungen geführt haben, daß ein Vergleich mit Wildformen unsinnig ist.“ Der Forscher von der Universität Kopenhagen will herausgefunden haben, daß Pelztiere unter normalen Zuchtbedigungen keinerlei Langzeitstreß ausgesetzt sind. Heller: „Es deutet nichts darauf hin, daß Wildtiere ein höheres Wohlbefinden haben als entsprechende Zahmformen.“

Auch diese Ergebnisse der nordischen Forscher werden in ihrer Substanz von den aktiven Tierschutzengeln angezweifelt. Sie beharren darauf, daß trotz generationsübergreifendender Gewöhnung an Gefangenschaft in jedem Tier ein Trieb nach Bewegung und Aktivität vorhanden sei. Die moralische Verpflichtung der Menschheit bestehe darin, Mitmenschen und andere Kreaturen so zu behandeln, daß ihnen unnötiges Leid erspart wird. Und so bezieht die Moral der Tierschützer die „niederen“ Kreaturen bewußt mitein. Ihr Hauptargument: Nichts, weder wissenschaftlichen Untersuchungen, noch philosophischen Überlegungen rechtfertigen die Annahme, das ein Unterschied im moralischen Status von Mensch und Tier existiert. Im Kern streiten die Befürworter der Tiernutzung und ihre Gegner um die Frage, welche Gemeinsamkeit die auf christlichen Vorstellungen beruhende „Krone der Schöpfung“ (noch) mit den anderen lebenden Geschöpfen hat. Weisen Tierschützer in der Auseinandersetzung immer wieder auf die Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier hin, heben Tiernutzer deren Unterschiede hervor.

Die neuere Verhaltensforschung zeigt zunehmend, daß Tiere ein ebenso bewegtes Innenleben haben wie Menschen: Sie wissen genau, was sie wollen und was sie nicht wollen und besitzen vielfach Fähigkeiten des Bewußtseins und sind damit durchaus „Subjekte eigener Lebensführung“. Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz (Der „Gänsevater“) nannte Tiere „Gefühlsmenschen mit sehr wenig Verstand“.

Abseits solch tiefgreifender Erörterungen hängt das Mäntelchen der öffentlichen Meinung in der steifen Brise der weitgehenden Ablehnung der Pelztierzucht. Glaubt man den neuesten Auslegungen der Auguren von Emnid, so behaupten 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland, daß es heutzutage unschicklich sei, ein Kleidungstück aus Tierfell zu tragen. Diese eindeutige Tendenz ist unter jüngeren Menschen noch weit ausgeprägter, denn über 80 Prozent der bis 29jährigen meinten „Niemand sollte mehr Pelzmäntel kaufen“, während dieser Anteil bei den über 60jährigen auf nur 57 Prozent schrumpfte. Die Pelzbranche dürfte ihr größtes Käuferpotential also noch immer in der reiferen Generation finden, schwierig dürfte es indes sein, Stola, Cape, oder Muff an den wertegewandelten Großstadtbewohner unter 30 zu vertreiben.

Nach Volkes Wille richten sich mittlerweile vermehrt Parteien und Politiker: Der Bundesrat verschärfte bereits 1992 die Vorschriften für die Haltungsbedingungen von Pelztieren, die Pelzgegner hoffen seit dieser Zeit darauf, daß die Gefangenschaft von Felltieren so unrentabel wird, daß bald keine Farmen mehr auf deutschem Boden stehen. Auch das Europäische Parlament bemüht sich um einen Schutz von Nutz- und Pelztieren – jüngst forderte das Gremium seine Mitgliedsländer auf, effektive Gesetze zu erlassen, die mithilfe von Überwachungsmaßnahmen durchgesetzt werden. Diese Forderung erfüllt das deutsche Tierschutzgesetz zum Teil schon heute, wichtige Vorschriften des Gesetzes werden aber, so Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper, vom Grundgesetz ausgehebelt. Dieses entziehe dem Einzeltier die „Anerkennung seiner Schutzwürdigkeit“, im Konflikt mit in der Verfassung fest verankerten Rechten, wie beispielsweise der Freiheit der Wissenschaft, sei somit „der Tierschutz für Behörden und Gerichte notwendig unbeachtlich, so daß eine rechtsstaatliche Kontrolle nicht mehr stattfinden kann“, interpretiert der Jurist und Tierschützer. Die Folge: Forscher pochen mit Recht auf ihre Tierversuche, Pelztierzüchter stehen auf dem sicheren Fundament der Verfassung.

Andere Wege zeichnen sich in der Schweiz und den neuen Bundesländern ab. Die Konföderation der Helvetier verankerte die „Würde der Kreatur“ bereits in der Verfassung, den Verfassungsrang des Tierschutzes anerkennen ebenfall die vier Bundesländer Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Berlin. Setzt sich die Idee einer weiter durch, daß das jedes höher entwickelte Tier Träger eigener Rechte ist, dürften die Zeiten für die Pelztierbranche wieder schwerer werden.

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Mixed Reisen

Mit dem Sachverständigen Harry Käding in die Pilze

Sturmumtost – Mit dem Pilzsachverständigen Harry Käding in die Pilze

24. Oktober 2010

So aber begab es sich, dass es donnerte und der Wind in den Bäumen rauschte und der kalte Regen gegen die Scheiben peitschte im Morgengrauen jenes Sonntages, den man da nannte den 24.Oktober 2010; und man hätte sich doch gerne wieder zum Schlafe gebettet, wäre man da nicht verabredet gewesen im finstren Tann – mit Harry – Harry Käding um genau zu sein, dem bekannten Speise- und deshalb logischerweise auch Giftpilzsachverständigen, der Interessierte via Internetz und Emil zur Exkursion in ihm noch unbekanntem Terrain geladen hatte, den Wäldchen rund um das Schnaakenmoor bei Rissen.

September und Anfang Oktober dieses Jahres waren von Pilzfreunden als sensationell und ergiebig gefeiert worden, nun aber war die Explosion der Pilze und damit auch der leckersten Speisepilze wohl endgültig vorbei, so beklagten es seit zwei Wochen sentimentale Gemüter. Doch das sollte uns nicht schrecken. Pünktlich wie die Eieruhr trafen wir am Rissener S-Bahnhof mit dem Automobile ein, wo Harry die pünktlicheren Pilzfraggles bereits mit Döhntjes und der Vortagsernte bei Laune hielt. Nach Entlohnung eines Obolus in Höhe von fünf Euronen pro Person wollten wir gemeinsam in den Wald an potentiell pilzhöffige Stellen fahren. Als wir noch dabei waren, unseren Wagen zu holen, fuhr Harry schon mal mit dem Wagen vor und ward verschwunden und zwar nicht nur für Sekunden, sondern von der Bildfläche. Dafür hatten wir zwar als Beifahrerin eine hübsche Werbetexterin mit Roots im Herzen der Republik bei Weimar im Auto, aber keinen Hinweis mehr auf Harry und den Rest der Truppe. Dann doch gut, dass es das Handy, diese sich endemisch ausbreitende Hirnfritteuse gibt, natürlich nicht nur zum Klingeltöne „Da ist ein Blödi am Handy!“ downloaden, sondern auch zur Kontaktherstellung, in diesem Falle mit Harry. Dieser sympathische Spaßvogel lungerte denn bereits schon im Walde herum und fing wohl gerade langsam an, die verlorenen Seelen zu vermissen. Wir schlossen auf und es konnte losgehen.

Neben uns spätpubertären Mittvierzigern, unserer pilzenthusiastischen Herzdame und einer netten Mutter mit erwachsener Tochter, stapften auch noch zwei Herren etwas fortgeschritteneren Alters, ein ob der zu befürchtenden dürftigen Ausbeute bereits klagender Spezi und ein bescheiden vor sich hin schmunzelnder Fotofreak bei Nieselregen durch den feuchten Wald. Vorneweg mit Trillerpfeife natürlich Harry.

Schon bald wurden die ersten Pilze gesichtet, die wohl allseits bekannten Nebelkappen (Lepista nebularis), deren Nichtkenntnis einen Pilzexperten schon mal an den Rande der Weißglut treiben kann, zumal wenn bei jeder Nebelkappe wieder nachgefragt wird. Dies blieb Harry an jenem Tage aber erspart. Die recht großen grauen Burschen wachsen in dieser Zeit nun mal vielerorts am Wegesrand. Sie sind nicht mehr giftig und eßbar, wenn man sie vorher lange genug abkocht, aber nicht jederfraus Sache und stießen dem zur Folge nur auf mäßige Begeisterung.

Der Violette Rötelritterling (Lepista nuda) ist ein weiterer eßbarer Winterpilz.

Der Geflecktblättrige Flämmling (Gymnopilus penetrans) gilt dagegen als bitter und ungenießbar.

Er kann verwechselt werden mit Rauchblättrigen Schwefelköpfen (Hypholoma capnoides), einem typischen Fichten- bzw. Nadelbaumstumpfbegleiter.Wir fanden diese gleich zu Beginn, aber nach Diagnose unseres Meisters zu feucht, liessen sie also stehen, ernteten die Hüte dieses recht schmackhaften Winterpilzes später aber noch in ausreichender Menge für Kostproben und zwar mit der frisch gelernten etwas rabiaten Handkämm-Methode. Der wohlschmeckende Schwefelkopf kann auch mit dem allerdings bitter schmeckenden giftigen Grünblättrigen Schwefelkopf (Hypholoma vasiculare) und einigen nicht eßbaren anderen Schwefelkopf-Arten verwechselt werden kann.

Verwechslungsgefahr besteht für den Laien, so lernten wir noch, zwischen dem beliebten ebenfalls in Gruppen auftretenden nußartig schmeckenden Stockschwämmchen (Pholiota mutabilis) und dem gefährlichen tödlich giftigen mehlartig riechenden Gift-Häubling (Galerina marginata) und obendrein oben erwähnten Flämmling. Alles klar?

Der von manchen Pilzomas und Osteuropäern hoch geschätzte Kahle Krempling (Paxillus involutus) ist roh und ungenügend gekocht giftig und kann bei häufigerem Genuss mitunter erst nach Jahren im Einzelfall schwere Langzeitschäden (Zerstörung der roten Blutkörperchen) bewirken. Deshalb wird heutzutage hierzulande vor ihm gewarnt.

Der Gelbe Knollenblätterpilz (Amanita citrina), den uns Harry zeigt, ist wahrscheinlich allenfalls schwach giftig. Er soll geringe Mengen an Tryptaminen enthalten. Auf einen Versuch sollte man es aber besser nicht ankommen lassen.

Zur Erkennung unverträglicher Täublinge gibt es einen Test: Harry kaute ein Stück von dem weißen Fleisch eines Täublings. Wir machten es ihm nach. Es schmeckte scharf wie Wasabi. Bald schon spuckten wir alle die Stückchen wieder aus. Es handelte sich bei dem obskuren Pilz offenbar um einen verblassenden Roten Speitäubling (Russula emetica). Man soll ihn auf Brot esen oder auch zur Würzung verwenden können. Er gilt als giftig, weil Viele auf seinen Genuss hin mit Erbrechen reagieren.

Stockschwaemmchen

Wir entdeckten Milchlinge und Flämmlinge, die uns hier nicht weiter interessieren sollten.

Auch ein paar Exemplare des verbreiteten und auch eßbaren Hallimasch (Armillaria ssp.) lösten keine Laola-Welle aus.

Aus dem Rotbraunen Milchling (Lactarius rufus), der auch noch zu später Jahreszeit wächst, kann man nach Vorbehandlung um den scharfen Geschmack weg zu kriegen, was machen. Wir liessen ihn stehen.

Navi für Pilzsammler wird kurz Gesprächsthema; aber wo bleibt da der indianische Sportsgeist, was wäre gewesen, wenn Rotkäppchen ein Navi gehabt hätte, und was, wenn der Baum, an dem man hätte rechts abbiegen müssen, längst im Schredder des Forstmannes gelandet ist?! Fragen über Fragen…

Bei den bei Sammlern so beliebten Röhrenpilzen sah es nicht mehr gut aus: Überalterte Maronen (Xerocomus badius), allesamt mit Schimmelpilz und madiger Fleischeinlage, zeigten ob ihrer bisweilen beachtlichen Größe, was hier unter besseren klimatischen Bedingungen möglich gewesen wäre oder war.

Rotfußröhrlinge (Xerocomus chrysenteron), die bei Laien auch als Maronen durchgehen, obwohl sie nicht so aromatisch schmecken, sahen beim Anschneiden ebenfalls enttäuschend aus und mussten entsorgt werden. „Zur falschen Zeit am falschen Ort“ grummelte unser Spezi. Das hätte zwar auch ein Lebensmotto sein können, aber aus Sammlersicht hatte er sicherlich recht. Als enthusiastische Laien und Lernende liessen wir uns jedoch den Spaß nicht nehmen.

Immerhin fanden wir als Nächstes einen Gallentäubling (Russula fellea), der so bitter schmeckt, wie er heißt, wenn man ein wenig auf seinem Fleisch herumkaut, Kategorie ungenießbar bis giftig. „Der Weg ist das Ziel!“ meinte Harry. Und so schlugen die ersten Durchhalteparolen wie philosophische Tiefschläge in das pilzhungrige Gemüt, während wir uns über matschige Waldwege in die Büsche schlugen. Irgendwo in der Nähe, in der Pony-Waldschänke, sollte es wohl gute Fritten geben. Aber noch waren wir nicht am Ende unserer Kräfte, geschweige denn unserer Lust auf Pilze.

Ein Täubling, laut Harry „schmackhaft“ und im Täublingstest von angenehm pilziger Milde, entschädigte zwar nicht für Alles aber sollte doch eventuell überstrapazierte Nerven erst einmal beruhigen. Mittlerweile regnete es auch praktisch fast nicht mehr.

Harry zeigte uns einen angefressenen Schwefelporling (Laetiporus sulphureus), einen Baumpilz, den man länger kochen muss, und der dann von der Konsistenz her ein bißchen an Hühnerfrikassee erinnert.

Der Horngraue Butter-Rübling (Rhodocollybia butyracea), der jetzt immer häufiger auftauchte, sagte uns Harry, sei eßbar, die Hüte gut für Pilzsuppe. „Jung und knacktig ist da zu bevorzugen!“, eine unverdorbene forrestale Lebensweisheit. Sandpilze (Suillus variegatus) von beachtlicher Größe tauchten auf, einige Kleine waren noch brauchbar.

Giftige und eßbare Trichterlinge wie der deutlich nach Anis riechende Grüne Anis-Trichterling (Clitocybe odora) kreuzten unseren Weg.

Ein kleiner putziger korallenartiger Gallertpilz, der orangegelbe Klebrige Hörnling (Calocera viscosa), verriet uns Harry, kann als Dekoelement beim Essen genutzt und gefahrlos mitverspeist werden.

Ein Birkenstamm war über und über mit Birkenporlingen (Piptoporus betulinus) bewachsen. Dieser Pilz wurde einst wundmedizinisch genutzt. Ötzi hatte ihn auf seinem letzten Marsch dabei.

„Ein Stern, der Deinen Namen trägt!“, hieß es wenig später, als wir auf eine wunderschöne Gruppe puffender Erdsterne (Geastrum) trafen.

Dann entdeckte Harry, was ungewöhnlich sei, an einem Kiefernstamm, einen Austernseitling (Pleurotus ostreatus). Leider sah er wie die meisten Pilze hier in der zwar massiv von Kettensägen zerfrästen und mit schweren Zugmaschinen ausgeräumten durch Straßen und Zäune zerteilten aber so sagt man ja trotzdem freien Natur nicht so appetitlich aus wie die Gezüchteten in ihren sterilen Plastikboxen aus dem Supermarkt. Aber das lag sicherlich auch am Wetter, das mittlerweile ein wenig aufklarte.

Da stieß ich auf einen darniederliegenden Stamm der mit reichlich wunderbaren ohrenförmigen und ohrengroßen Judasohren (Auricularia auricularia-judae) besetzt war, dem eigentlich nach nichts schmeckenden aber so angenehm gnubbeligen Chinasuppenpilz (Muh-Err, „Wolkenohr“). Im Süppchen knackig frisch, mundete er mir später sehr. Es war genug für alle Bedürftigen da. Sie mussten von Harry aber erst zu ihrem Glück überredet werden. Langsam füllten sich die Körbchen nun ein wenig, zumal mittlerweile auch oben erwähnte Schwefelköpfe hinzugekommen waren.

Der Zimtblättrige Hautkopf (Cortinarius cinnamomeus) ist allerdings giftig. Er gehört zu den Färbepilzen. Besonders tückische Vertreter der Gruppe der Hautköpfe führen erst nach 10-14 Tagen zu schwersten Vergiftungserscheiniungen, die Nierentransplantationen erforderlich machen können. Pilzfreunde erzählen sich solche Geschichten mit einem gewissen Galgenhumor.

Eine Gruppe schöner pusteliger Violetter Gallertbecher (Ascocoryne sarcoides) auf einem toten Birkenholzstamm war lediglich ein Augenschmaus.

Der giftige Schwefel-Ritterling (Tricholoma sulphureum) ist leicht an seinem eklig-chemischen Leuchtgasgestank erkennbar. Eine Geruchsprobe sollte sicherlich unbedingt beim Begutachten von Pilzen dazu gehören.

Der Brennende Rübling (Gymnopus peronatus) verrät sich durch seinen anhaltenden brennend-kratzigen Geschmack, wenn man ein Stückchen vorsichtig kaut und wieder ausspuckt. Das mochte nicht mal Harry ausprobieren.

Die Fuchsigen Trichterlinge (Lepista flaccida), vor denen wir skeptisch standen, kann man dagegen gut essen. „Mitnehmen!“ befahl der ansonsten herzliche und humorige Harry mit einem Unterton, der keine Widerrede zu dulden schien, denn stehen lassen kann man diese Burschen nicht, wenn man nicht vor sich selbst als totaler Ignorant da stehen will. Und wenn man schon den Fachmann dabei hat, kann wohl auch nichts schief gehen bei diesen sich untereinander sehr ähnlich sehenden und für den Laien leicht verwechselbaren und deshalb vor dieser Tour großzügig übersehenen Pilzen.

Die pilzunkundigen Daheimgebliebenen kann man gut mit dem schleimig-grünlichen Grünspan-Träuschling (Psilocybe aeruginosa) foppen, der verdächtig aussieht, aber eßbar ist.

Unser heimlicher Tagesabschnittsschwarm entdeckte nun auch noch ein schönes Hexenei und nahe bei zwei stattliche phallische Stinkmorcheln (Phallus impudicus). Harry pellte das Hexenei aus seinem schleimigen Mantel und zeigte uns, was man von der Stinkmorchel in statu nascendi als Aphrodosiakum für Männer in die Pfanne hauen kann. So wurde es noch am gleichen Tag befolgt. Tatsächlich schmeckte das Zeug aber irgendwie doch ein Stück weit so merkwürdig wie die Fliegen anlockende Morchel riecht, aber der Glaube versetzt ja angeblich Berge.

Am Ende traten wir dann an zum Gruppenfoto, verteilte Harry Visistenkarten und seine Eigenfunde nach Gusto und koberte nebenbei noch ein paar Passanten, die wohl durch die Notdurftbedürfnisse ihrer Hunde vor die Tür getrieben worden waren, während kurz etwas Blau durch die Wolkendecke brach. Ein angenehmer liebenswerter und super-fachkundiger Typ dieser Harry Käding und eine schöne Pilztour, für die man sich auch bei miesestem Wetter an einem Feiertag früh morgens aus dem Bett wälzen mag – Wiederholungsgefahr.

Links
http://www.harry-kaeding.de
http://www.dgfm-ev.de/index.php?id=giftpilze

 

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Psychopharmakologie

Oxytocin

telepolis, 06.12.2010

Foxy-Oxy?

Das „Liebeshormon“ Oxytocin funktioniert bei weitem nicht so simpel wie bislang angenommen

Das Hormon Oxytocin ist vielseitig. Es kann Vertrauen und Kooperation verstärken; das funktioniert sogar bei Erdmännchen. Es kann sozial kompatibles Verhalten bei Autismus-Patienten fördern und wird während des Orgasmus vom Körper freigesetzt. Auch bei Depressionen, Großzügigkeit und Empathie scheint es eine Rolle zu spielen.

Das Hormon wird in Studien zumeist nasal verabreicht und führt bei den meisten Menschen zu einem Gefühl von Vertrauen. Oxytocin wird daher als „Liebeshormon“ gefeiert. Aber es geht auch anders. 2008 haben Forscher der Universität Zürich gezeigt (pdf), dass das Hormon die Empathie für den Schmerz anderer Menschen nicht erhöht. Eine im letzten Jahr veröffentlichte Studie hatte gezeigt, dass bei den Teilnehmern nach der Hormonvergabe vermehrt Neid und Schadenfreude auftraten. Verlor ein Spielpartner Geld, reagierten die hormongedopten Mitspieler gerne hämisch.

Ein neues Experiment untersuchte nun, wie Oxytocin die Einstellung von Männern gegenüber ihren Freundschaften und der Beziehung zur eigenen Mutter verändert. Die Ergebnisse sind mehrdeutig.

Durchschnittlich veränderte das geschnupfte Hormon die Erinnerung an die Mutter nicht. Bei denjenigen Männern aber, die eher besorgt um ihre Freundschaften sind, führte das Hormon zu eingetrübten Kindheitserinnerungen. Gegenüber der Placebogruppe sahen sie ihre Mutter plötzlich als weniger fürsorglich an. Die Teilnehmer dagegen, die sich ihrer Freundschaften und sozialen Kontakte eher sicher sind, reagierten genau anders herum: Sie würdigten die Nähe zu ihrer Mutter und lobten die Geborgenheit.

Die Untersuchungsleiterin Jennifer Bartz spricht mit Blick auf Oxytocin von einer „nuancierteren Rolle als bisher gedacht“. Die Wirkung der Substanz sei viel individueller als angenommen und kein Patentrezept, um Vertrauen zu schaffen. Die Flutung von Konferenzsälen muss also nicht unbedingt helfen. Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen ist die Wirkung von der aktuellen Situation und der charakterlichen Disposition des Menschen abhängig. Zudem scheint es kulturelle Unterschiede zu geben. US-Amerikaner und Koreaner reagieren beispielsweise unterschiedlich auf das Hormon.

 

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Historische Texte

Grohe – Die Mysterien des Haschisch

Die Mysterien des Haschisch

von M. Grohe (1863)

M. Grohe war ein Künstler, der der Faszination des Orients folgte um eine längere Zeit in Ägypten zu leben. Sein 1863 in Heidelberg erschienenes Werk „Ein Orient-Buch“ ist ein wunderbares Zeugnis dieser orientalistischen Begeisterung. Besonders gerne hielt er sich im Kaffeehaus bei seinen Haschisch rauchenden einheimischen Freunden auf. Den folgenden Text aus dem „Orient-Buch“ kann man praktisch als eine Ode an das Haschisch verstehen.

„Fort, Ungeweihte! Alle, die ihr mit lieblosem Herzen und geistlosem Blick diese Blätter betrachten wollt! Alle, die ihr das Dunkel mehr liebt, als das Licht, und die Kälte mehr, als die Wärme, und die Säuerniß mehr, als die Süße!

Fort, Ungeweihte! Alle, denen der Glaube ein Räthsel ist, und die Liebe eine Thorheit, und die Hoffnung ein Wahn! Für euch sind diese Zeilen leer und dunkel.

Ihr aber, ihr Lichten, die das Weltlicht selig gepriesen, verehrt auch hier die Mysterien der Liebe: ihr Demüthigen, ihr Sehnsüchtigen, ihr Sanftmüthigen, ihr Gerechtigkeitsliebenden, ihr Mitleidigen, ihr Reinherzigen, ihr Friedfertigen, alle ihr von der Welt Verfolgten, höret und leset, dies ist für euch geschrieben.

Wenn du einmal, lieber Leser, in einer jener „Nächte des Vergnügens“ – so heißt der Araber die Vollmondnächte – die Gassen und Gäßchen einer Mosleminenstadt durchwanderst – vielleicht an einem Freitag, wo dich Mittags der aus allen Häusern und Moscheen dringende Weihrauchduft entzückte – so befremdet Dich wohl noch weit mehr, wenn du gerade an einem Kaffeehaus vorübergehst, ein anderer Geruch, ungewohnt ätherisch, süßanziehend, rasch verfliegend, unvergeßlich….. Du bist „sehnsüchtig“, wohlan tritt ein! Grüße freundlich und bescheiden; setze Dich ruhig und still.

Der Wirth bringt dir ein Tässchen Kaffee und fragt dich leise und etwas verlegen, ob du „rauchen“ wolltest, du bejahst – die Liebe sagt immer ja.

Der Wirth rüstet die arabische Volkspfeife, mischt ein Stückchen Haschisch (ein Präparat aus indischem Hanf) unter den Tabak, legt zuletzt einige Kohlen darauf, raucht höflich die Pfeife an und reicht sie dir; du rauchst;.. du rauchst Haschisch….

„Da flog der Seraphim Einer zu mir und hatte in der Hand eine glühende Kohle, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe hiermit sind deine Lippen gerecht, daß deine Missethat von dir genommen sei, und deine Schuld gesühnt“..

Wer aber beschreibt die seligen Schauungen des Eingeweihten? Wer entweiht die Mysterien der Liebe, des Dichtens, des Traums und des Gebets? Denn alle diese vier höchsten Fähigkeiten des göttlichen Menschen vermittelt die Phantasie; der Haschisch ist aber ein phantasievermehrendes Mittel, und zwar das stärkste von allen.

Ich selbst, für meinen Theil, hätte hier vom Haschisch lieber geschwiegen; ich war es aber der Wahrheit schuldig, davon zu reden. Aus zwei Gründen.

Einmal cursieren darüber unter den Europäern ganz lächerlich falsche Vorstellungen. Natürlich ! Irgend ein beliebiger Mister Phibs oder Smith läßt sich von seinem Dragoman in ein Haschischcafé bringen, und raucht, um darüber sofort nach old England zu berichten, vielleicht das erstemal gleich 6-8 volle Pfeifen, das Herz, statt voll Liebe, voll Falschheit und Argwohn und Spionirlust…. und redet dann noch von Schwindel, Betrunkenheit und Unsittlichkeit !… Die Thoren ! Wissen wir doch, welch ein köstliches Reizmittel, mäßig genossen, z.B. auch der Kaffee ist, dieser herrliche Nationaltrank der Gläubigen – wem aber wird es einfallen, einem Neuling gleich 6 Schoppen davon einzugiessen?

Denke man über den Haschisch, wie man wolle; man wird ohne denselben den Orient ebensowenig verstehen, wie die Zeit und das Vaterland Voltaires ohne den Schnupftabak. Niemand wird läugnen, daß der Haschisch, wie der Wein und die Liebe und alles Göttliche, neben seinen Priestern und Dienern auch seine Narren hat, und, leider auch, seine Opfer; Letztere meist arme Schlucker, die ohne sonstige ordentliche Nahrung, oft selbst ohne Kleidung und Obdach, den letzten Heller hingeben für diesen immerhin kostspieligen Genuß, der ihnen alles andere ersetzen soll.

Dagegen mäßig genossen, bei sonstiger vernünftiger Diät, gewährt der Haschisch, nach einem Worte des Propheten, die drei höchsten Segnungen des wahren Glaubens:
„Appetit, Liebeslust und Seelenruhe.“

In der That, einfach physiologisch betrachtet, hat der Haschisch, da er durch den feinsten Sinn, den Geruch, fast unmittelbar auf den Geist einwirkt, eine mächtig potenzirende, höchst genial stimmende Wirkung; er versetzt uns und alles um uns her gleichsam in den Superlativ. Ich citire hiefür ein vortreffliches Gedicht meines Freundes Winkler, das dir, lieber Leser, wenigstens annähernd einen Blick gönnt in die Seele eines Haschischrauchers:

– Zweitausend Türkenköpfe auf einem einz´gen Pfahl, Zehntausend Weiberaugen in einem einz´gen Saal; Dann Millionen Becher vom allerbesten Wein, Das muß für weise Leute ein schöner Anblick sein.

Im Bade, zum Bedienen, ein schwarzgelockter Knab´ Und ferne, wie die Sonne, die Aussicht auf das Grab; Dann Millionen Beutel vom allerfeinsten Gold, So wär´ der Sultan selber dem alten Sünder hold.

Vom allerbesten Meister den allerhöchsten Sang; Den allerreinsten Tabak, den feinsten Mokkatrank, Dann in dem schönsten Herzen den allergrößten Raum, Und süßer wär´ das Dasein, als heut´ mein Haschischtraum.-

Was meine eigene Erfahrung betrifft, so war (außer Garibaldi) der einzige Mensch, der mich auf Erden an Jesus Christus erinnerte, ein „Haschasch“ (ein starker Haschischraucher). Er kam niemals in das Café, ohne allen freundlich die Hand zu drücken, meistens Datteln und andere Süßigkeiten – denn die Haschischraucher lieben vor Allem das Süße – darin zurücklassend; oft auch küßte er uns unter lieblichen Segenssprüchen Stirn und Wange. Ich habe nie wieder solch heiteren Ernst gesehen, solch würdevolle Weichheit, solch ein ganz nur Liebe ausstrahlendes Wesen!

Natürlich müssen diese Leute unter sich etwas Communistisches haben, wie alle Glaubens- und Liebesgenossen, die von andern verachtet und verfolgt werden – denn das werden die Haschischraucher gar oft.

Auch vereinigt sie die liebenswürdige Gewohnheit unter einander zu borgen und zu leihen, da oft Einer die andern freihält, und dann diese wieder ihn. Ueberdieß rauchen oft 6-10 Personen, jeder nur ein paar Züge, aus einer und derselben Pfeife – man gibt wohl zu, Alles eben so viele Vorbedingungen wahrer Liebe.-

Eine andere Form des Haschisch ist der Lachzucker, helau hindi, ein grünlicher Hanfextrakt in kleinen Täfelchen, mit der sonderbaren Eigenschaft, daß er, in gehöriger Quantität genossen, unwiderstehlich zum Lachen reizt, vielleicht gar das altegyptische Mittel, das schon die schöne Helena ihren Gästen in den Wein gemischt hat, um sie aufzuheitern.

Der Gegensatz des Haschisch ist das Opium, aphiun. Wenn der „Haschasch“, dem Centralfugaltriebe des Geistes fast allzusehr nachgebend, gleichsam aus sich herausfahren möchte, „um Millionen liebevoll zu umschließen,“ so brütet der Opiumraucher, der „Aphiungi“, düster und mürrisch in sich hinein.

Wehe dem Unvorsichtigen, der diese gelben, gallsüchtigen Schmeerbäuche in ihren egoistischen Träumereien stört!

Der göttlichgrobe Osmin der „Entführung“ ist solch ein Aphiungi; indeß Alhasi Derwisch im „Nathan“, wie jetzt noch fast alle Derwische, das köstlichste Vorbild ist von einem ächten „Haschasch“.

Jener möchte immer, über seine schwarzen Pläne brütend, ausruhen; dieser aber mit seiner fröhlichen Wanderparole – „nur am Ganges gibt es Menschen“ – gleicht ganz seinen himmlischen Vorbildern, jenen ewigtanzenden Sternderwischen der Nacht.“