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Elektronische Kultur

Freie Software soll den Markt revolutionieren

Open Source

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.03.00

Vom Nutzer zum Entwickler

Wird Open Source den Software-Markt revolutionieren?

Ein Anwalt des Software-Herstellers Microsoft bezeichnete den Programmcode des Betriebssystems Windows 95 einmal als „eines der wertvollsten und geheimsten Stücke geistigen Eigentums auf der Welt“. Geistiges Eigentum sichert die Geschäfte, so ist zumindest die landläufige Meinung. Im Source Code (Quelltext) eines Programms steckt die Arbeit der Programmierer, er ist das Kapital einer Firma und sein Geheimnis wird gegen jedweden Kopierversuch gehütet. Seit einiger Zeit aber ist Spannung in die Branche gekommen, denn das eherne Gesetz der verschlossenen Quelltexte ist in Auflösung begriffen. Die Methode des Open Source, der offenen Quelltexte, verspricht bessere Programme bei niedrigeren Kosten. Begriffe wie Linux, Copyleft und natürlich Internet stehen für die erwünschte Revolution auf dem Markt. Was dabei oft vergessen wird: Ohne die Idee der Freien Software wäre Open Source nie zu einer Alternative zur gängigen Distributionsmethode für Computerprogramme geworden.

Der Gedanke hinter Open Source ist einfach: Der in Programmiersprache geschriebene Quelltext wird von seinem Entwickler frei gestellt. Damit liegen Algorithmen, Schnittstellen und verwendete Protokolle offen. Andere Programmierer können den Quelltext begutachten, verändern und –je nach Lizenz- auch weiterverbreiten. Mit dem Internet steht eine Infrastruktur zur schnellen Veränderung und Kommentierung zur Verfügung. Systemadministratoren und Sicherheitsfachleute fordern schon lange die Öffnung der Programme, denn liegen die Quelltexte erst einmal offen, lassen sich Programmfehler, die sogenannten „Bugs“, Hintertüren und trojanische Pferde eher entdecken. Die in regelmässigen Abständen für Unruhe sorgenden Sicherheitslöcher in Browsern, Webservern oder Office-Anwendungen würden mit offenen Quelltexten schnell gestopft. HTML, die Formatierungssprache aus der die Seiten im WWW bestehen, ist ein anschauliches Beispiel für offenen Code. Im Browser kann sich jeder unter dem Menupunkt „View Source“ ansehen, wie eine Webseite aufgebaut ist, sie studieren und das Gelernte auf den eigenen Seiten anwenden.

Die historischen Anfänge von Open Source liegen in den 80er Jahren. Richard Stallmann, ein Programmierer am Massachusetts Institut for Technology (MIT), war unzufrieden mit der Tatsache, dass es nur noch proprietäre Software für Computer gab. Es gab zwar unterschiedliche Betriebssysteme (DOS, Unix), weder durfte man aber Kopien mit anderen Nutzern austauschen, noch erfahren, wie das Programm funktionierte. Gemeinsam mit anderen Programmierern schrieb er aus diesem Grund ein Unix-kompatibles, aber freies Programm. Sinn für Humor beweist schon die Namensgebung des ersten freien Betriebssystems: GNU steht für „GNU is not Unix“, die Auflösung der Abkürzung dreht sich im Kreis und ist damit Kind der zirkulären Logik. Nach und nach enstanden die Systemkomponenten: Der GNU Emacs entwickelte sich schnell zu einem der beliebtesten Editoren auf Unix-Rechnern, der GNU Compiler war als schneller Umsetzer von Programmcode bekannt. 1984 gründete Stallmann die Free Software Foundation, die sich der Verbreitung der Idee von freier Software verschrieben hat. Der begriff der Freien Software besitzt für Stallmann keine Relevanz in Hinblick auf den Preis. Freie Software kann, muss aber nicht gratis sein. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wort „Frei“: Jedermann hat das Recht, Freie Software zu verändern und auch die modifizierten Versionen weiter zu verteilen. Um zu verhindern, dass aus freiem und offenem Code proprietäre Software wird, untersteht alle GNU-Produkte dem sogenannten Copyleft. Danach kann jeder das Programm kopieren und verändern, diese Versionen müssen aber ebenfalls Freie Software sein. Der Sinn dieses Vorgehens geht weit über die Verbreitung von freier Software mit offenen Quelltexten hinaus. Mit der GNU-Software sollte sich die Idee einer Gemeinschaft verbreiten, die sich gegenseitig ohne finanzielle Interessen hilft. Stallman gilt heute als einer der striktesten Vertreter dieses Konzepts. Er selbst sagt: „Wenn Softwar e proprietär ist, wenn es einen Eigentümer gibt, der ihren Gebrauch einschränkt, dann können Benutzer keine Gemeinschaft bilden.“

Abseits der politischen Ideenlehre der Free Software Foundation schrieb der Finne Linus Torvald 1991 den lange fehlenden Kern eines GNU-Betriebssytems, den sogenannten Kernel, und nannte das System „Linux“. Für die Bewegung der Freien Software ein zweischneidiges Schwert, denn obwohl nun endlich ein voll funktionstüchtiges, freies Betriebssystem zur Verfügung stand, koppelte sich durch den primär technisch orientierte Torvald die Philosophie von der Software ab. Für Stallmann die grösste denkbare Katastrophe: „Dies System, das wir so entwickelt haben, dass es allein wegen seiner technischen Fähigkeiten, wegen seiner Überlegenheit immer bekannter wird, nutzen nun immer mehr Leute, die sich überhaupt nicht um die Freiheit kümern. Und nicht nur das – sie bekommen überhaupt keine Chance sich darum zu kümmern, weil überhaupt niemand ihnen davon erzählt.“ Schon 1989 sprach ein Teil der Hacker-Gemeinschaft nicht mehr von Free Software, sondern von Open Source. Das war für Stallmann und seine Mitstreiter nur solange kein Problem, wo diese Unterscheidung der Begriffsentwirrung von „frei“ und „gratis“ diente. Die Apologeten der Freien Software werfen Teilen der Open Source Bewegung aber vor, diese Namensgebung vorgenommen zu haben, um sich zukünftig mehr am Markt als an der Gemeinschaft, mehr am Geld als an der Kooperation zu orientieren. So gesehen stellt Open Source auf ihr Potenzial ab, bessere Software zu entwickeln, ohne dabei über die zugrunde liegende Idee von Freiheit, Gemeinschaft und Prinzipien zu sprechen. Freie Software und Open Source beschreiben im Kern die gleiche Kategorie von Software, zielen aber in ihren Aussagen auf andere Werte. Stallmann ist nach wie vor überzeugt, dass Freiheit, und nicht nur Technik bei der Entwicklung von einem Gut, welches mittlerweile massgeblich zum Funktionieren der westlichen Hemissphäre beiträgt, wichtig ist. Moderatere Ansichten in de r Open Source Gemeinde gehen dagegen davon aus, dass kommerzielle Software durchaus zur Verbesserung der Gesamtleistung von Freier Software beitragen kann.

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Man könnte Stallmanns Beharren auf die reine Lehre als den Starrsinn eines alt gewordenen Blumenkind ansehen, wenn nicht der Erfolg der bisherigen Projekte der Freien Software Bewegung im Recht geben würde. Linux, jüngst acht Jahre alt geworden, läuft inzwischen weltweit auf schätzungsweise zehn Millionen Computern und wird aufgrund seiner durchsichtigen Architektur und der damit verbundenen Anpassungsfähigkeit geschätzt. Die Spezialeffekte für das Film-Epos „Titanic“ wurden unter Linux berechnet. Sendmail ist der Standard für den Transport von E-Mail im Internet, Apache ist der verbreiteste Webserver, etwa 58 Prozent der Internet-Hosts laufen unter dem Programm. Die Übersetzung der Rechnernummer im Netz (62.144.161.32) in einen Namen (www.faz.de) setzt auf Bind (Berkeley Internet Name Server) auf. Tim Berners-Lee hob das WWW aus der Taufe, damit Physiker untereinander neue Erkenntnisse austauschen können. Alle diese Programme wurden unter der Maxime einer Vereinfachung von Kommunikation zwischen Menschen geschrieben und sind noch heute Open Source.

Wo offener Quellcode früher als Spielwiese für Programmierer galt, schickt sich Open Source heute an, zur Software-Entwicklungsmethode des kommenden Jahrhunderts zu werden. Industriegrößen wie Datenbankanbieter Oracle oder die jüngst von Sun aufgekaufte Hamburger Star Division bieten ihre Programme für Linux an. Umsonst. SAP präsentierte auf der diesjährigen Cebit seine Standardsoftware R/3 in einer Linux-Version. Hasso Plattner, Vorstandssprecher der SAP AG, begründete diesen Schritt mit „einer beachtlichen Anzahl von Kundenanfragen“. Bislang liegen die Erfolge von Linux vor allem dort, wo kleine Serverlösung gefragt ist. Darüber hinaus schlüpft es als Lückenbüßer in die Rolle eines Netware- oder Windows NT-Servers, wenn diese nach anfänglich großen Investitionen nicht das leisten, was der Preis beinhalten müsste. Das Web ist voller Geschichten, in denen die Linux-Lösung dann das leistete, was man sich eigentlich von den kommerziellen Systemen versprochen hatte. Dieser Erkenntnis folgen zunehmend kleinere Firmen, die ihre Dienstleistungen, etwa Netzinstallation und Wartung, gern mit Linux-Hilfe erbringen. Während die Einen hier das Aufsteigen einer neuen Ökonomie sehen, dessen Grundlage nicht mehr länger geistiges Eigentum ist, ist Open Source für andere das Software-Business-Modell einer flexiblen Dienstleistungsgesellschaft. Die Gemeinde der Hacker ist gespalten: Hätte Richard Stallmans ideologische Beharrlichkeit Erfolg, würde Freie Software wieder in ihr universitäres Nischendasein der 80er Jahre zurückfallen. Folgt man dagegen einem allzu industriefreundlichen Open Source Modell, ist die „feindliche Übernahme“ durch die Software-Konzern wahrscheinlich.

Ein Beispiel für Idealismus ohne geistiges Eigentum ist KDE: Mit der Windows ähnlichen Benutzer-Oberfläche steht auch dem unerfahrenen PC-Anwender eine Desktop mit Mausbedienung für Linux zur Verfügung. Kalle Dallheimer, Entwickler beim KDE-Projekt und Fachbuchautor, erklärt auf die Frage, ob es ihn nicht stört, dass Distributoren an seinem Programm verdienen, er selbst aber nicht: „Nein. Diese Frage wird sehr oft gestellt, und zwar meistens von Leuten, die die Anhäufung von Geld als den Hauptzweck des Lebens betrachten.“ Diese Art von Lebenseinstellung ist unter den Programmierern Freier Software durchaus nichts ungewöhnliches. Das Ziel ist nicht Geld, sondern -ähnlich wie im Wissenschaftssystem- die Anerkennung der Kollegen. „Die etwas zwei Millionen Codezeilen werden aktiv von mehr als zweihundert Entwicklern aus der ganzen Welt gepflegt. Die gesamte Entwicklung und Verwaltung findet dabei über das Internet statt.“

Ein Beispiel für den kommerziellen Erfolg ist die Suse GmbH, die 1992 von vier Studenten gegründet wurde. Sie brannten Linux auf eine CD-Rom und boten den Versand der Software an, die im Internet noch heute frei zum runterladen auf den heimischen PC liegt. Um Downloadkosten zu sparen und den Support in Anspruch zu nehmen entschieden sich viele Linux-Fans für Suse. Im vergangenen Jahr hat die Firma mit ihren 160 Mitarbeitern 14 Millionen Mark umgesetzt, der Börsengang steht kurz bevor. Eine neuer Zweig entsteht: Nicht an der gratis Software, sondern erst an Beratung und Distribution wird verdient. Dienstleistungen rund um Open Source Technik ist das neue Zauberwort der Branche. Sebastian Hetze von der Linux-Supportfirma Lunetix weiss von den Vorteilen der Open Source Software zu berichten: „Immer weniger Kunden sind bereit eine Black Box zu kaufen, wenn Open Source massgeschneiderte Softwareanpassungen ermöglicht.“ Zusätzlich besteche das Konzept durch „zusätzliche Ressourcen durch kooperative Entwicklung“. Im Klartext: Liegt der Quellcode offen, können Fehler in Programmen schnell behoben werden. Ob die vielen Idealisten, die das Open Source Projekt bis heute aus Spass an der Freude vorangetrieben haben, auch bereit sind ihren Idealismus für Firmen einzusetzen, ist allerdings noch unklar. Wenn hier die nonfiskale Balance zwischen Nehmen und Geben nicht stimmt, dürften sich die Hacker bald aus dem Kreis der Entwickler verabschieden. Ob dann das Netz der gegenseitigen Hilfe noch hält, ist fraglich. Und ohne die unentgeltliche Arbeit der Entwickler können auch die Dienstleister nicht existieren.

Jörg Auf dem Hövel

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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