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Interview mit dem Kognitionsforscher John-Dylan Haynes

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Berliner Zeitung v. 24.03.2007

Der Gedankenleser

Interview mit dem Kognitionsforscher John-Dylan Haynes vom Berliner Bernstein-Center über die Möglichkeiten mittels Kernspintomografien dem Menschen beim Denken zuzusehen

Das bildgebende Verfahren der funktionalen Magnetresonanz-Tomographie (engl: fMRI) ermöglicht Einblicke in die Funktionsweise des aktiven Gehirns, Wissenschaftler aus den Bereichen Neurologie, Kognitionswissenschaft und Biotechnologie nutzen die Apparate, um dem Menschen beim Denken zuzusehen.
Die Bilder haben enorme Suggestivkraft, decken sie doch eine bisherige Intimsphäre des Menschen auf: Denken und Emotionen liegen nun scheinbar offen, um auf dem Seziertisch von Psychologen und Hirnforschern analysiert zu werden.

Die Technik der Kernspintomografie funktioniert vereinfacht dargestellt so: Zunächst wird ein starkes Magnetfeld von mindestens 1,5 Tesla auf den menschlichen Kopf ausgestrahlt. Die Veränderung diese Blutflusses beim Denken sowie die Sauerstoffsättigung des Blutes ziehen Veränderungen des lokalen Magnetfelds mit sich, die vom Gerät aufgezeichnet werden können. So kann prinzipiell jede mentale Aktivität gemessen werden.

Am Bernstein-Center hat nun der Kognitionsforscher John-Dylan Haynes die Professur für „Theorie und Analyse weiträumiger Hirnsignale“ angetreten. Er soll weiter in den Welten des Bewusstsein eindringen und klären, auf welchen neuronalen Grundlagen unsere Hirnleistungen beruhen.

Frage: Professor Haynes, in welchen Bereichen ist man schon heute sicher in der Lage aus fMRI-Scans abzuleiten was ein Proband wahrgenommen hat?

John-Dylan Haynes: Man kann schon sehr gut elementare Bilder, wie zum Beispiel Linienmuster oder aber auch komplexere Bilder erkennen. Unsere Forschung hat jetzt auch gezeigt, dass man sogar in der Lage ist, verborgene Absichten und Pläne aus der Hirnaktivität abzulesen.

Zum Beispiel?

John-Dylan Haynes: Wir haben einen Probanden gebeten, sich frei eine von zwei Aufgaben auszusuchen, dann aber vor der Ausführung ein paar Sekunden zu warten. Noch bevor der Proband mit der Bearbeitung der Aufgabe loslegte konnten wir aus dem Gehirn auslesen, welche Aufgabe sich der Proband insgeheim ausgewählt hatte. Wir konnten also quasi seine verdeckten „Absichten“ lesen.

Zur Verdeutlichung: Können sie als Versuchsleiter quasi live am Bildschirm verfolgen, welchen Kreis der Proband gerade betrachtete oder muss dazu erst ein computergestütztes Analyseverfahren bemüht werden?

John-Dylan Haynes: Prinzipiell wäre es schon möglich quasi-online zu rekonstruieren, was ein Proband gerade sieht. Allerdings wäre damit ein erheblicher Rechner-Aufwand verbunden, weshalb wir zur Zeit offline arbeiten und die Wahrnehmung im Nachhinein ermitteln. Die Mustererkennung einer 1-stündigen Kernspin Sitzung kann pro Proband schon mal 24 Stunden dauern. Es liesse sich jedoch ohne viel Aufwand auch ein quasi-realtime Erkennung realisieren.

Existieren theoretische Grenzen bei dem Auslesen von Vorgängen im Gehirn?

John-Dylan Haynes: Auf jeden Fall gibt es theoretische Grenzen. Selbst wenn man einen perfekten Hirnscanner hätte, der Hirnprozesse bis ins feinste Detail auflösen kann, müsste man noch wissen, welcher Hirnzustand zu jedem Gedanken gehört. Theoretisch müsste man also die Aktivierungsmuster zu jedem einzelnen denkbaren Gedanken aufgezeichnet haben, was natürlich unmöglich ist.

Sind nicht viele Hirnprozesse einmalige Aktivitäten, weil sich die Engramme ständig ändern? Was bedeutet das für die Aussagekraft der Experimente?

John-Dylan Haynes: Das Gehirn verändert sich in der Tat ständig, und das könnte auch für das Auslesen von Gedanken ein Problem sein, auch wenn wir hierüber zur Zeit noch nichts genaueres wissen. Es ist aber denkbar Verfahren zu entwickeln, die auch diese Lernprozesse in Betracht ziehen.

Existiert so etwas wie ein „guter Bewusstseinszustand“ (Thomas Metzinger), sollte man Kindern das weltanschaulich neutrale Meditieren beibringen?

John-Dylan Haynes: Sicherlich gibt es positive und weniger positive Bewusstseinszustände und Gedanken, und Meditation trägt sicherlich zu einem ausgeglicheneren und positiveren „Grundbewusstsein“ bei. Ich bin jedoch skeptisch inwiefern es möglich ist, durch „Nachdenken“, oder besser gesagt „Nicht-Nachdenken“, allein wirklich tiefgreifende Veränderungen der Persönlichkeit herbeizuführen. Ich halte die menschliche Persönlichkeit für weitgehend Veränderungsresistent.

Aber verändert sich das Gehirn und damit die Persönlichkeit nicht oft, sei es durch einschneidende Erlebnisse, sei es durch wiederholtes Übungen?

John-Dylan Haynes: Das Gehirn und somit auch die Persönlichkeit ändert sich ständig, mit jeder Erfahrung, die wir machen. Die entscheidende Frage ist jedoch, inwiefern wir diesen Veränderungsprozess in unserem Sinne steuern können. Wir können natürlich durch Training bestimmte motorische Fertigkeiten oder Denkabläufe optimieren. Wir können auch durch Verhaltenstherapie bestimmte Ängste in den Griff bekommen. Beides geht mit Veränderungen im Gehirn einher. Allerdings sind die Kerneigenschaften unserer Persönlichkeit weitgehend resistent gegenüber gezielten Veränderungen, was sich nicht zuletzt darin zeigt, wie schwierig eine psychotherapeutische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ist. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist auch, wie solche gezielten Veränderungen der „Neuropsyche“ am besten zu erreichen sind. Zur Zeit hat die Hirnforschung nur wenig Mittel, gezielte Veränderungen der Persönlichkeit herbeizuführen, weil wir keine gezielten „Inhalte“ in das Gehirn „schreiben“ können. Auf absehbare Zeit ist Psychotherapie dafür immer noch der beste Weg.

Durch die Erfolge des Brain-Readings stellen sich alte ethische Fragen neu. Welche halten sie für die dringensten?

John-Dylan Haynes: Die ethischen Probleme des Brain-Readings sind in den letzten Jahrzehnten schon oft im Zusammenhang mit Lügendetektion diskutiert worden. Die Frage war, inwiefern man die „mentale Privatsphäre“ des Menschen vor technischen Zugriffen schützen sollte. Diese Debatten waren allerdings eher theoretischer Natur, weil wir keine guten Techniken zum Auslesen von Gedanken hatten. In meinen Augen wird sich diese Frage in den nächsten Jahren völlig neu stellen, sobald wir tatsächlich über hocheffektive Techniken verfügen, menschliche Gedanken aus der Gehirnaktivität abzulesen. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass sich Gerichte nicht ewig sperren können, Brain-Reading Beweise zuzulassen, denn die Beweise können ja auch zu einer Entlastung beitragen. Und im Bereich der Rehabilitation werden bereits heute sogenannte Brain-Computer-Interfaces entwickelt, mittels derer Gedanken ausgelesen werden, um künstliche Prothesen oder Joysticks zu steuern. Ein anderes Beispiel: In den USA gibt es den Employee Polygraph Protection Act, der regelt, dass bei Einstellungstests keine Polygraphen-Tests zum Einsatz kommen dürfen. Ausnahmen sind nur für Bundesbehörden mit hohem Sicherheitsbedarf gestattet. Oder nehmen Sie zum Bespiel die Flugsicherheit. Wenn es eine hypothetische Möglichkeit gäbe einen Terroristen an seiner Gehirnaktivität zu erkennen, können wir uns dann dagegen sperren, solche Verfahren einzusetzen? Wir brauchen also eine neue ethische Debatte darüber, in welchen Bereichen wir Brain-Reading zulassen wollen, und in welchen nicht.

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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