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Cognitive Enhancement Psychopharmakologie

Unter Hirndopern

»Neuro-Enhancer« befriedigen die Arbeitswütigen

Erschienen in „Junge Welt“

Heute schon gedopt? Wahrscheinlich ja. Auf jeden Fall dann, wenn Sie zu den Kaffeetrinkern gehören. Koffein ist noch immer der Deutschen liebster Wachmacher und das populärste Fördermittel für die Konzentration. Seit einiger Zeit rücken jedoch neue Mittel ins Licht der Öffentlichkeit – Medikamente, die in dem Ruf stehen, Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit zu erhöhen. Die Rede ist vom „Neuro-“ oder „Cognitive Enhancement“, der Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit über das Normalmaß hinaus. Arzneimitteln wie Modafinil oder Ritalin wird nachgesagt, sie könnten den Geist auf Trab bringen. Einiges davon wurde bislang im wissenschaftlichen Versuch oder der Praxis bestätigt. Die pharmakologischen Helfer sind Zeichen einer veränderten Kultur des Drogenkonsums, die statt auf Ekstase und Entspannung auf Leistung und Durchhalten setzt.

Noch haftet den Hirnmedikamenten das Image klinischer Reinheit und Sicherheit an. Doch diese Sichtweise könnte schnell kippen, sollten die eingesetzten Wirkstoffe in den Schwarzmarkt abgedrängt werden, mitsamt den hinlänglich bekannten Begleiterscheinungen. Es wären nicht die ersten Substanzen, die den Weg vom Medikament über den Geheimtipp bis in die Schmuddelecke genommen hätten. Es sind eben primär die Konsummuster, die jede Substanz, jedes Medikament zum Suchtmittel werden lassen können. Und in einer leistungsorientierten und zugleich pharmaaffinen Gesellschaft liegt es nahe, zu vermuten, dass sich jene Mittel durchsetzen, die versprechen, für den Arbeitsalltag fit zu halten.

Die bisherigen Untersuchungen und Befragungen zu dem Thema zeigen ein differenziertes Bild.
Einer Studie der Krankenkasse DAK aus dem Frühjahr 2015 zu Folge nutzen etwa drei Millionen Deutsche Medikamente, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein. Es sind aber keine aufputschenden Mittel, die hier primär Verwendung finden. Mit 60 Prozent werden am häufigsten Medikamente gegen Angst, Nervosität und Unruhe eingenommen. Arzneimittel gegen Depressionen werden von rund 34 Prozent konsumiert, rund 11 Prozent nehmen beruhigende Betablocker. Nur etwa jeder achte Doper schluckt Tabletten gegen starke Tagesmüdigkeit. „Neuro-Enhancement“ im Sinne der Potenzierung von kreativer oder mnemotechnischer Hirnleistung ist danach ein Randphänomen, es kursieren eher die Nachfolger von Mother’s Little Helper, in der Hälfte aller Fälle verschrieben vom Arzt.

Ist das ein Grund zur Besorgnis? Glaubt man den Zahlen ist der Konsum der oben erwähnten Substanzen über die letzten Jahre kaum angestiegen. Er pendelt sich bei den Berufstätigen zwischen 4 und 6 Prozent ein. Und die Studierenden an den Hochschulen stehen dem Enhancement kritisch gegenüber. In einer Umfrage des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Ruhr-Universität gaben nur rund ein Prozent der 897 Befragten an, jemals eine Psychostimulanz zur Leistungssteigerung eingenommen zu haben. Auch das in jüngster Zeit von einigen praktizierte „Microdosing“ ist eine Randerscheinung. Dabei werden psychedelische Substanzen wie LSD in niedriger Dosierung genommen. Auch hier gilt: Es geht im Leistungsfähigkeit. Insgesamt, so muss man feststellen, ist Hirndoping nicht zum Massenphänomen geworden.

Die Entwicklung hin zu leistungsfördernden Drogen zeigt sich im illegalen Raum bei Drogen wie Kokain, Speed und Crystal Meth und spiegelt sich im illegalen Raum in den Neuro-Enhancern wieder. Neuro-Enhancer sind Teil einer affirmativen, technisch-kulturellen Praxis, die inzwischen selbst die Art der Bewusstseinsveränderung durch psychoaktive Substanzen erfasst hat.

Substanzen, die Menschen stromlinienförmig agieren lassen

Herrschte zunächst Skepsis, ob Mittel wie Modafinil überhaupt einen Effekt aufweisen, der über die aufputschende Wirkung hinaus geht, verdichten sich nun die wissenschaftlich fundierten Hinweise auf positive Effekte auf die Entscheidungsfähigkeit und strategisches Denken. Eine Übersichtsarbeit
im Fachblatt European Neuropsychopharmacology über 24 Studien mit Modafinil zeigt Verbesserungen bei logische Schlussfolgerungen der Teilnehmer. Je komplexer die Aufgabe, die Probanden gestellt wird, desto besser wirkt Modafinil. Sind allerdings flexible Lösungen für ein Problem gefragt, hilft Modafinil anscheinend nicht.

In eine andere Richtung zeigt ein Anfang diesen Jahres von die Universität Mainz veröffentlichtes Experiment mit 39 professionellen Schachspielern. Die Spieler, denen zuvor entweder Ritalin, Modafinil oder Koffein verabreicht wurde, benötigten mehr Zeit zum Nachdenken über die richtigen Züge benötigten als die Spieler unter Placebo-Behandlung. Das wiederum führte dazu, dass sie bei Betrachtung aller knapp 3.000 analysierten Partien unter Stimulanzien-Behandlung nicht mehr Spiele gewannen als unter der Placebo-Behandlung. Wenn man jedoch nur die Partien analysierte, die innerhalb von 15 Minuten auch tatsächlich entschieden wurden, zeigte sich, dass die Probanden unter Ritalin und Modafinil, nicht aber unter Koffein, mehr Partien gegen das Schachprogramm gewannen als unter Placebo-Behandlung. Die Ergebnisse waren für die Wissenschaftler überraschend, da sie damit gerechnet hatten, dass die pharmakologischen Substanzen eher zu einer Schwächung komplexer kognitiver Prozesse führen.

Wie soll eine Gesellschaft mit solchen Mitteln umgehen? Die Autoren des Memorandum „Das optimierte Gehirn“ sahen schon 2009 zunächst den Einzelnen am Zug. Er solle sich in jedem Einzelfall fragen, weshalb er Konzentrationspillen einnehme. In einem liberal orientierten Gemeinschaftsgefüge ist es nur folgerichtig, auf individuelle Redlichkeit zu setzen. Doch natürlich ist der Einzelne in seinen Entscheidungen beeinflusst durch die Rahmenbedingungen, in denen er lebt. Und in einer Gesellschaft, die im Schneller, Höher, Weiter ihr Heil sucht, funktioniert die Methode, Grenzziehungen dem Individuum zu überlassen, nur bedingt. Denn Eigenverantwortung setzt zum einen den mündigen Konsumenten voraus und vernachlässigt zum anderen dessen Einbettung in das moderne Leistungssystem. Schon Marx sprach vom „stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“. Heute, so scheint es manchmal, wird mit erhöhter Subtilität eine Wahlfreiheit vorgegaukelt, die letztlich doch nur wieder das Funktionieren in der Arbeitswelt garantieren soll.

Und geht es nicht um Arbeit, so geht es um die Eliminierung unerwünschter Persönlichkeitseigenschaften; ein seltsames Phänomen einer Zeit, die droht, aus jeder kleinen Macke ein Syndrom zu machen. Selbst Schüchternheit gilt heute als behandlungswürdige Sozialphobie. Psychologen, Wissenschaftler, Ärzte und Pharma-Unternehmen spielen hier eine zentrale Rolle. Sie alle tragen dazu bei, dass der Katalog psychischer Krankheiten seit Jahren immer länger wird. In einem solchen Klima erscheint es vielen kaum noch als paradox, sich eher Gedanken darüber zu machen, wie man den immer höheren Anforderungen der Leistungsgesellschaft durch Medikamenteneinnahme gewachsen ist, als sich darum zu kümmern, wie eine möglichst humane Gesellschaft aussehen könnte. Die Frage die Neuro-Enhancement stellt, geht also weit über die pharmakologische Beeinflussung des Geistes hinaus: Wie kann künftig die Grenze zwischen Selbstgestaltung und Selbstausbeutung gezogen werden?

Sicher steht es im Rechtsstaat jedem grundsätzlich frei, „über sein persönliches Wohlergehen, seinen Körper und seine Psyche selbst zu bestimmen“, wie es die Memorandum-Autoren formulieren. Nur hat diese Freiheit eben ihre Schranken, wo die Freiheiten und Rechte Anderer betroffen sind. Es ist diese rechtliche Konstruktion, die spezifische psychoaktive Substanzen auf der Verbotsliste landen lässt, weil ihr potenzieller Nutzen im Vergleich zu ihrem potenziellen gesamtgesellschaftlichen Schaden als gering beurteilt wird. Provokativ gesagt: Der von manchen Intellektuellen als Neuro-Enhancer genutzte Wirkstoff Kokain steht deshalb im Betäubungsmittelgesetz, weil eine Ausbreitung seines Konsums als sozial zersetzend gilt. An der Reglementierung des Konsums psychoaktiver Substanzen beißt sich die akzeptierende wie die Drogenpolitik seit Jahrzehnten die Zähne aus. So entstehen einerseits viele Probleme erst durch die Kriminalisierung der Konsumenten – auf der anderen Seite beendet der freie Zugang zu reinem Stoff nicht die Verelendungsprozesse der Süchtigen.

Es ist kein Zufall, dass die nun diskutierten Substanzen keine kreativen oder gar spirituellen „Helfer“ sind, sondern pure Beruhigungs- oder Antriebsdrogen. Entsprechend gering ist ihr transformierendes Potenzial, und Kritiker vermuten wahrscheinlich nicht zu Unrecht, dass sie auch deshalb noch nicht in die Schusslinie der drogenpolitischen Wächter geraten sind. Ändern wird sich das wohl erst, wenn der erste Klassenausflug statt auf Wodka-Red Bull auf Modafinil gesetzt hat. Und dann, so viel lässt sich vorhersagen, greifen nicht die wissenschaftliche Diskurse, sondern die klassischen Mechanismen von Schuldzuweisung, Sündenbocksuche und Verteufelung. Spätestens dann wird auch das Stichwort der „Einstiegsdroge“ fallen. Die Frage ist also, wie man die Fehler und Verbotsreflexe der herkömmlichen Drogenpolitik verhindert.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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