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Gesundheitssystem Psychopharmakologie

Demenz: Keine Medikamente in Aussicht

Nach diversen Flops droht sich die pharmazeutische Industrie aus der Entwicklung von Anti-Dementiva zurückzuziehen.

Erschienen in der Telepolis v. 04.03.2015

Die Zahlen variieren, sie sind gleichwohl alarmierend. Bis 2050 sollen nach Schätzungen der UN weltweit 135 Millionen Menschen an Alzheimer oder einer anderen Demenzform erkrankt sein. Die Schicksale sind mit hohen Kosten verbunden, der Versicherungsbranche schwant böses. Ein nun vom „World Innovation Summit for Health“ (Wish) veröffentlichter Report weist darauf hin, dass trotz der Fortschritte in der Ursachenanalyse der Demenz eine Heilung der Krankheit nicht in Aussicht steht. Mehr noch: Die pharmazeutische Industrie droht sich aufgrund diverser Fehlschläge aus der der Entwicklung neuer Medikamente zurückzuziehen.

Pharma-Konzerne wie AstraZeneca, GlaxoSmithKline und auch Novartis haben in den letzten Jahren ihre neurowissenschaftlichen Forschungszentren geschlossen, die sich mit der herkömmlichen Psychopharmaka-Entdeckung beschäftigt hatten. Denn zum einen ist der Markt mit preiswerten, generischen Medikamenten gesättigt, zum anderen waren viele neue Kandidaten in den klinischen Studien gescheitert. Die Suche nach neuen Wirkstoffen gerät trotz Hochdurchsatzscreening zum Glücksspiel.

Der Verband der US-amerikanischen pharmazeutischen Industrie PhRMA gab in einer internen Analyse (PDF) bereits vor zwei Jahren zu bedenken, dass zwischen 1998 und 2012 über 100 klinische Studien scheiterten, die ein Arzneimittel gegen den Verlauf der Demenz getestet hatten. Nur drei Kandidaten schafften es auf den Markt – und diese behandeln Symptome. Die Zulassung des letzten Wirkstoffs (Memantin) liegt mittlerweile über zehn Jahre zurück. Und selbst hier streiten die Experten, ob der Wirkstoff den herkömmlichen Mitteln überlegen ist. Meist geht es in der Diskussion ohnehin um geringere Nebenwirkungen als denn um bessere Wirkungen.

Die mit einer fehlgeschlagenen Entwicklung verbundenen Kosten sind hoch. Bis zur Markteinführung einer neuen Substanz vergehen meist zehn Jahre, im Laufe dieser Zeit können sich die Kosten auf einer halben bis zu 3 Milliarden US-Dollar belaufen.

Versucht man sich an präventiven Wirkstoffen, erprobt man diese an gesunden Personen. Die Effektivität der Droge muss sich dann in einem Zeitraum erweisen, der durch den Patentschutz gedeckt ist. Ansonsten lohnt sich das Investment für die Firma nicht. Und völlig gegen das Geschäftsmodell sprechen Studien, die neue Wirkstoffe mit – vergleichsweise preiswerten – präventiven Maßnahmen vergleichen würden, die eine gesunde Lebensführung beinhalten.

Geht es nach Wish und anderen Experten sollen nun nationale Pläne nebst Finanzspritzen aus der Forschungsmisere heraus führen. Die darin aufgeführten Ideen weisen der pharmazeutischen Industrie wieder eine zentrale Rolle zu.

 

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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