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Der Pulsschlag des Prozessors

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.03.2000

 

Im Silicon Valley ist mit „The Tech“ das Denkmal des Informationszeitalters entstanden

Im Herzen von San José, 60 Kilometer nördlich von San Francisco, hat sich das Silicon Valley ein Denkmal seiner selbst gesetzt. Auf drei Etagen entstand ein Museum der jüngsten Vergangengeit – hier wird das technische Zeitalter gepriesen. Bescheidener Name des Ende 1998 eröffneten Baus: The Tech.

Der Besucher spielt mit all dem, was draußen im Tal täglich erfunden wird. Die Leitung legt Wert auf das interaktive Erfahren, die meisten der Ausstellungsstücke sind bedienbar – ob die virtuelle Bobfahrt durch den Eiskanal, der nachgebaute Reinraum zur Chipherstellung oder das digitale Studio, in dem der Gast sich filmt und später zusammen mit Superman seine Runden fliegt. Spielerisch soll das vor allem junge Publikum den Zugang zur Welt der Prozessoren erhalten, um so Technik-Ängste erst gar nicht entstehen zu lassen.

the techPeter B. Giles, Präsident und CEO des The Tech ist sich seines erzieherischen Auftrags bewußt: „Unser Ziel ist es, nicht nur zu informieren und zu unterhalten, sondern zum Denken anzuregen und den Entdecker in jedem zu wecken. Vor allem wollen wir der jungen Generation ihr Verhältnis zur Technik zu zeigen.“ Die immer intimer werdende Beziehung zwischen Mensch und Maschine sieht Giles positiv. „In Zukunft werden wir anders arbeiten, spielen und lernen“, ahnt er und fügt hinzu, „das wird alle Lebensbereiche betreffen“. Die Techno-Generation soll sich ihre Welt erschaffen, finanziert wird sie dabei von den Urvätern des Fortschritts. Über 500 Firmen aus dem Silicon Valley haben sich an dem 113 Millionen Dollar Projekt beteiligt, die Kosten belaufen sich auf 11 Millionen Dollar jährlich.

Brad Whitworth von Hewlett-Packard folgt der Religion des digitalen Tals. Er ist bei dem Computer-Giganten für den reibungslosen Übergang ins nächste Jahrtausend zuständig. Als „Y2K-Manager“ muß er dafür sorgen, daß auf dem Globus am 1. Januar 2000 alle Hardware-Produkte seiner Firma ohne Murren hochfahren. Ob PCs, Drucker oder komplexe Anlage zur chemischen Analyse; die Produktpalette von HP ist breit und überall kann der Fehlerteufel sitzen. Der heiße Stuhl, auf dem Whitworth sitzt, läßt in äußerlich kalt. „Das Jahr 2000 ist der erste große Test, ob die Technik der Feind oder der Freund der Menschheit ist“, polarisiert Whitworth. Er ist sich schon jetzt sicher, alle Eventualitäten des Elektro-Kollaps ausgeschlossen zu haben und damit erneut zu bestätigen, was für jeden im Tal eh schon feststeht: Die Technik ist der Segen der Zivilisation. Die Silvester-Nacht will Whitworth in aller Ruhe am heimischen Kamin verbringen, sie ist für ihn schon jetzt eine gelöste Aufgabe, nie ein Problem gewesen, schon Vergangenheit. Seine Gedanken richten sich in die nahe Zukunft, deren Basis er jenseits der elektronischen Informationsverarbeitung sieht, in der Biotechnologie. „Das wird der nächste Sprung in der Geschichte der Technologie.“ Whitworth verkörpert den Idealtypus der amerikanischen Info-Elite: Schnell, zielstrebig und immer auf der Suche nach dem nächsten Hype.

Das Kapital in der High-Tech Area war noch nie darum verlegen, ständig lukrativen Chancen wahrzunehmen, sich selbst zu vermehren. Im vergangenen Jahr investierten Risikokapitalgeber 3.3 Milliarden Dollar in junge, aufstrebende Unternehmen, die Hälfte davon in Software- und Internetfirmen. Aber die Realität der sattsam bekannten Bilderbuchkarrieren ist für die Menschen nicht immer rosig. Zwar entstehen noch immer 20 Firmen in der Woche und ebenfalls wöchentlich geht ein Unternehmen aus dem Valley an die Börse, der Preis dafür sind aber enorme Belastungen für alle Beteiligten.

„Sie sind besessen, sie denken nur an ihr zauberhaftes Design oder ihr magisches Produkt“, erinnert sich Miroslaw Malek, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt im Silicon Valley verbrachte. Aus Sicht eines Europäers mutet die Arbeitsethik im High-Tech-Zentrum der USA grotesk an. 12 bis 18 Stunden täglich und das sieben Tage in der Woche sind durchaus üblich, die Firmen sind rund um die Uhr besetzt, der hauseigene Babysitter sorgt für den Nachwuchs, das Fitnesscenter für den Körper. Und wenn es mal wieder zu lange gedauert hat, stehen sogar Räume zum Übernachten bereit. Die Trennung von Arbeit und Privatleben existiert im Tal der Chips nicht, nur so ist es auch zu erklären, daß die Scheidungsrate in der Region bei über 60 Prozent liegt.

Im Museum The Tech
In der Museums-Gallerie herrscht mittlerweile Hochbetrieb. Sechsklässler aus einer Schule in San José haben den Chat-Raum entdeckt und suchen gerade ihre virtuellen Stellvertreter für die Kontaktaufnahme via Internet aus. Eine Comic-Figur wird dazu am Computer mit Charaktereigenschaften ausgestattet und betritt danach den Chat-Raum. Mike hat sich einen rüstungsbewehrten Ritter als alter ego ausgesucht und surft nun fast unschlagbar durch die neue Welt. „Dort kann ich mich mit anderen Jungs treffen und über die neuesten Computer-Spiele reden“, sagt Mike begeistert und wendet sich wieder schnell dem Monitor zu, um im laufenden Dialog nicht den Faden zu verlieren. Auch seine Klassenkameraden spielen begeistert an ihrem Übergang in den Cyberspace. „Die Kinder sind schier verrückt danach“, erklärt Kris Covarrubias vom Museum.

Die fortschreitende Verschmelzung von Technik und Körper wird ein paar Meter weiter verdeutlicht. Ein Ultraschallgerät zaubert den inneren Aufbau der Hand auf einen Bildschirm – die Weichteile, die Knochen und der Fluss des Blutes werden sichtbar. Was sonst werdende Müttern begeistert, ist hier für jeden nachvollziehbar: Der Blick in den Organismus. Im nächsten Raum ist eine Thermokamera unter der Decke installiert. Sie zeigt dem Betrachter die Hitzeausstrahlung des eigenen Körper – freiliegende Teile wie Kopf und Hände strahlen rot, während die gut isolierten Füße im Dunklen bleiben. Über 250 interaktive Ausstellungsstücke bilden in The Tech ein Konglomerat von elektronischen und mechanischen Geräten. Alle zeigen, daß die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, daß Human-Tech-Interface, immer besser funktioniert. Und die Firmen des Tals arbeiten mit Hochdruck daran, daß diese Affäre noch inniger wird.

Eine Gruppe von Asiaten taucht im Raum auf und bestaunt den perfekt simulierten Operationsroboter, der in der Praxis künstliche Adern in den Patienten einsetzt. „Mehr Geschwindigkeit, weniger Kosten“, stellt ein Mann fest. Was wie die Strategie eines Amphetaminhändlers klingt, ist in Wahrheit die praktizierte Maxime des Tals. Nur wer mit ständig neuen Produkten den Markt sättigt oder erst schafft überlebt. Indes hat sich die enorme Geschwindigkeit der Produktionszyklen vollends auf den Lebensrythmus der Menschen im Tal übertragen.

the tech

John DiMatteo hat sich der Abhängigkeit entzogen. Mit Ruhe genießt er das Essen beim Chinesen und erzählt: „Früher ging mir das genauso wie allen anderen im Silicon Valley. Ich habe am Tag 18 Stunden gearbeitet, am Wochenende Unterlagen mit nach Hause genommen und Nachts von der Arbeit geträumt. Freizeit gab es für mich nicht.“ Früher für den Elektronikkonzern ITT tätig, verdient DiMatteo heute bei Read-Rite, dem weltgrößten Hersteller von Leseköpfen für Festplatten, als Direktor der Unternehmenskommunikation sein Brot. Auch er kennt die Sehnsucht, die den Tellerwäscher zum Millionär werden läßt. „Es sind Visionäre und Träumer, die hier im Tal in einer Garage eine Firma gründen. Und wenn sie beim ersten Mal mit ihrer Idee scheitern, versuchen sie es halt wieder. Es klingt abgedroschen, aber hier kann es jeder schaffen.“ Die Idee, die hinter dieser Kraft steckt, bringt DiMatteo auf eine einfache Formel. „Es geht nur um zwei Dinge: Geld und Macht“, sagt er und bricht dabei den chinesischen Glückskeks auf, der zum Dessert gereicht wird: „Nutze die günstige Gelegenheit um Deine Karriere zu fördern.“

Trotzdem die Region im Ruf der jungen Entrepeneure steht, ist die Zahl der gescheiterten Existenzgründungen hoch. Rund die Hälfte der Unternehmen überleben den Kampf auf dem Markt, der Rest geht nach spätestens einem Jahr pleite. Das „Silicon Valley Network“, eine Non-profit Gesellschaft, welche die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks seit Jahrzehnten beobachtet, zählte im letzten Jahr genau 92 Firmen, deren Entwicklung sie als „kometenhaft“ einstufte. Dies bedeutete gegenüber dem Vorjahr zwar eine Steigerung um knapp 40 Prozent, zugleich nahm aber 1998 die Rate der exportierten Waren seit 1990 das erste Mal ab. Die Asienkrise zeigte hier ebenso Wirkung wie das Verlangen des Computer-Marktes nach immer mehr Leistung zu niedrigeren Preisen. Die soziale Schere klafft zudem im Silicon Valley von Jahr zu Jahr weiter auseinander. Während Manager und Softwareentwickler zwischen 1991 und 1997 eine Einkommensteigerung von 19 Prozent verbuchen konnten, nahm das Einkommen der Arbeiter um 8 Prozent ab. Ein leitender Angestellter verdiente 1997 somit etwa 130 Tausend Dollar, ein Arbeiter nur 34 Tausend Dollar im Jahr. Der Bericht des „Silicon Valley Network“ drückt es vorsichtig aus: „Nicht alle Einwohner partizipieren an der guten Wirtschaftslage.“


The Tech

Vier Themengallerien führen durch The Tech.


(1) Lebenstechnik: Die menschliche Maschine. Medizinische Technologie rettet Leben und erweitert die menschlichen Fähigkeiten.

(2) Innovation: Silicon Valley und seine Revolutionen. Chipherstellung, das eigenen Gesicht als 3-D Animation mit Farblaserausdruck, Design einer Achterbahn mit anschließender Fahrt.

(3) Kommunikation: Globale Verbindungen. Die persönliche Homepage in fünf Minuten im Netz, Cyberchat mit der Welt, das digitale TV-Studio.

(4) Erforschung: Neue Grenzen. Ein steuerbares Unterwassermobil, ein Mondfahrzeug, eine Erdbebensimulation.

Adresse: 201 S. Market Street San Jose, CA, USA Tel: 001 – 408 – 795 – 6100 Fax: 001 – 408 – 279 – 7167 http://www.thetech.org

Silicon Valley

In dem kleinen Tal 60 Kilometer nördlich von San Francisco drängen sich die großen der IT-Branche. Die 7000 Soft- und Hardwarefirmen rekrutieren ihre jungen Mitarbeiter aus den nicht weit entfernten Universitäten Stanford und Berkeley. Intel, der Prozessorgigant, der noch immer fast 80 Prozent der PCs auf dem Globus mit Chips besetzt und Hewlett-Packard, die nach IBM umsatzstärkste Computerfirma der Welt sitzen hier ebenso wie Apple, Sun und Silicon Graphics. Netzwerkhersteller Cisco, 3Com, Bay Networks beherrschen den Markt, die drei größten Datenbankentwickler Oracle, Sybase und Informix haben ebenfalls im Silicon Valley ihren Hauptsitz. Aber auch die Internetfirmen wie Netscape und AOL betreiben vom digitalen Tal aus ihre weltweiten Geschäfte. Das Einkommen liegt um 55 Prozent höher als im Rest der USA, mit weniger als 100 Tausend Dollar im Jahr braucht hier kein Software-Entwickler nach Hause gehen.

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„Happy, Happy, Same, Same“

„Happy, Happy, Same, Same“

Thailand, Dezember 1998 – Januar 1999

„One Night in Bangkok“, reicht dann wohl tatsächlich aus. Wo unser Geld im Laufe der Nacht gelandet ist, bleibt im Nebel. Drei Flaschen Whiskey am Flughafen gekauft, Marc begrüßt und ab ins Taxi. Der Fahrer rast mit 120 km/h in die Stadt, Fußgänger am Rand. Eine Dunstglocke schwebt über dem Moloch. Lärm, Verkehrschaos, aber alle gut drauf. 33 Stock im Sheraton, Eiswürfel für den Whiskey bestellen, Chivas Regal, gern auch mit Cola. Die Stadt glitzert an allen Ecken. Bunte Lampen, natürliche Entwicklung der Mosaikkunst in den Tempelanlagen.

Wir treiben durch die Menschenmenge. Ein kleiner Stand nach dem anderen: Uhren, Textilien, Leder, CDs, Schmuck. Alles Kopien. Der Thai kennt kein Nein, er will Dich zufriedenstellen. Selbst wenn er oder sie keine Ahnung hat, wird sich bemüht, Dir zu helfen. Fickfänger am Rand: „Massage?“ ist die Frage der Fragen. Die Tuk-Tuks sind unglaublich, wildes Geknatter, luftige Fahrt ins Sea-Food Market. Welch ein Essen! Wir drehen allmählich durch. Hoppsi am Boden, Reis fliegt. Weiter geht’s. Der Tuk-Tuk-Fahrer hat tatsächlich gewartet. Nun von Nachtclub zu Nachtclub. Die Frauen lächeln. Käuflich oder freundlich? Hose runter im Tuk-Tuk. Das erste und letzte Mal sehe ich einen Thai entsetzt. Aber Hoppsi muß halt kacken. Halt vorm nächsten Nachtclub. „Nein, Hoppsi, unter Dir liegt nichts, Du kannst aussteigen.“ Höflicher Rauswurf. Nana-Hotel. Die Dinger wirken jetzt. Müdes geschiebe auf der Tanzfläche. Ich spiele Theater. Frauen umschwirren uns an der Bar. Ich fliehe auf die Straße und lasse mich vom Gewimmel aufsaugen. Warme Luft, alles bunt, ich treibe durch die Nacht, unterhalte mich mit einem freundlichen Thai, entdecke spielende Kinder (ca. zwei Uhr Nachts). Kirmes. Und immer wieder 50-jährige Langnasen mit jungen Thai-Mädchen. Gekauft für eine Woche oder länger. Beide sind froh, echtes Gefühl entsteht. Wirklich? Die Frauen lockt wohl eher der reiche Westen. Die AIDS-Rate ist hoch (40 Prozent bei den registrierten Prostituierten), das verdiente Geld kommt der Familie im Norden zu, es gibt kaum ein zurück in das normale gesellschaftliche Leben Thailands. Marc will acht Damen besorgen. „Fürs Hotel“, wie er sagt. Chiang Mai. Nur etwas ruhiger als Bangkok. Aber auch hier öffnet ein Lächeln alle Türen. Trotz der griesgrämigen Touristenscharen übe ich mich in Faszination. Garküchen am Straßenrand: Lecker. Überall in der Stadt Tempelanlagen (Wat). Mönche wässern Sträucher und Bäume. Mildes Lächeln. Das Wetter ideal zum Wandern, neudeutsch: Trekking. Die Besitzerin des „Chiang Mai Garden“ ist mir ein Stück zu geschäftstüchtig. So oder so landet man wahrscheinlich in dem Schlauch, der sich da Trekking-Tour nennt. 12 Leute auf dreitägiger Tour, bis auf einen Belgier alles verkniffene Deutsche. Wir sorgen für Amüsement. Ausgetretene Pfade durch den leicht steppigen Wald. Originärer Regenwald existiert hier (und in fast ganz Thailand) nicht mehr. Die Vegetation ist trotzdem interessant. Weite Felder mit rosa Blumen: Jah Koh Lah, wie mir Chang, unser Guide, versichert. Wenn er bloß nicht so rennen würde. Die Thais haben sich angewöhnt, englische Wörter immer doppelt auszusprechen: „Joking, joking.“ Chang erzählt deutsche Witze. Wir sitzen am Feuer, dunkel wie im Bärenarsch ist die Nacht. Ich jongliere vor ein paar Dorfkindern. Die Karen-Frau trennt mit eine großen Hammereinrichtung die Hülsen vom Reis und siebt danach aus. Spärlicher Ertrag. Elefanten sind beeindruckende Tiere. So riesig, so ruhig, so gemächlich. Kleine Augen, Riesen Körper. Ich sitze auf dem Kopf des Tieres, welches steile Abgänge zum Fluß sicher nimmt. Die Haut fühlt sich seltsam an, so dick und fest, aber atmend. Die Borsten kitzeln. Meine Knie hinter seinen Ohren, später baumeln meine Füße über seinem Rüssel. Die vor uns wackelnde Kuh entläßt riesige Fladen aus ihrem After. Besuch eines weiteren sogenannte Bergstamms an der Grenze zu Burma. 20 Hütten im Dorf, davon drei für Touristen. Geldquelle Nr.1. „Yes, Yes, you can try Opium, try, try“. Die Atmosphäre in der Hütte des Bauern macht mächtig Eindruck, wir liegen vor ihm und er stopft Pfeifen. Fünf Stück jeder, nix passiert. Wieder nur Fake, aber das Essen war gut. Übernachtungen auf harter Unterlage im Gemeinschaftsraum. Fahrt auf Bambus-Floß, uns kommt dabei ein Idee, die später noch für viel Spaß sorgen wird. Nette Stromschnellen. Steile Hänge am Rand. Wenig Vögel, wilde Tomaten. Wir kaspern weiter rum, um das Gemoser der Gruppe zu ertragen. Erst erwischt es Hoppsi, später mich: Fieber. Die Aktion in Bangkok war wohl etwas viel für uns. Nach zwei Tagen ist es überstanden. Die (traditionellen!) Thai-Massagen sind eingehend. Besonders empfehlenswert sind die Fußreflexzonenmassagen. Danach gehen wir wie auf Wolken. Ich träume von hölzernen Elefanten. Ko Phi Phi. Insel in der Südsee. Sonne, Sand, kesse Krabben. Der Tauschein lockt. Tatsächlich das Ein-Tauchen in eine andere Welt. Mein Lehrer ist relaxed, im Gegensatz zu meinem Tauchpartner, einem dänischen Erstligafußballer. Süße Freundin hat der. Unterwasser rückwärts. Drei Dimensionen, ich schlage Purzelbäume mit Schrauben. Und alles so schön langsam. Das Atmen bekommt was meditatives. Ganz langsam ein, ganz langsam aus. Man muß viel weniger atmen unter Wasser. Unsere Flaschen sind schon fast leer, die unseres Lehrers noch fast halb voll. Relax. Fische, so dünn wie ein Blatt Papier (!), aber DIN A4 Blatt groß. Ein Moräne schaut aus ihrem Bau. Der Lions-Fisch tentakelt vor sich hin. Da, ein Schwarm von schwarzen Fischen, etwa 50 Stück, in Begleitung einige Regenbogenfische, die ihre Farbe je nach Lichteinfall ändern. Ich folge ihnen, kann sie fast greifen. Ach ja, das Buddy-System, immer beim Partner bleiben. (Eine Woche später erlebt Ruthi einen Tiefenrausch (Stickstoffanreicherung im Blut) in nur 30 Meter Tiefe. „Leichte Euphorie, mehr Farben, alles Gut“, beschreibt er die lebensgefährliche Abfahrt. Er wäre immer tiefer gegangen, wenn ihn der Diving-Instructor nicht eingeholt hätte.) Korallen, wunderschön. Gefächert, wie Tuben, grazile Kelche, Kobaltblau, knallrot. Ein gelbes Riesengebilde erscheint, geformt und strukturiert wie ein menschliches Gehirn, nur halt vier Meter groß. Neben mir eine Korallenwand, 15 Meter hoch, überall wächst und gedeiht es. Ich schaue nach oben, 20 Meter Wasser über mir. Wow. Anemonefische, rot mit weißen Streifen, nur 5 Zentimeter groß, bewachen ihre Mutterpflanze. Ein riesiger Hummer in einer Felsspalte. Und immer wieder Druckausgleich, die Ohren schmerzen sonst. Kontrolle der Instrumente. 22 Meter Tiefe, noch genug Luft, alles klar. Eine Unterwasserurwald, alles scheint unberührt. Unbeschreiblich schön. Ein Stück weiter aber ein totes Riff. Eine weiße Schicht überzieht die ehemals leuchtenden Lebewesen. Kaum noch Fische hier. Die Erwärmung der Ozeane, der Tourismus, der Dreck. Eine Flaniermeile für die Touris, Kneipen, Geschenkartikel. Alle bieten nebenbei das Gleiche an: Pringels, Snickers, Cola. Die kleinen Läden, besetzt nur mit einer runzeligen Oma, gehen nach und nach im grellen Glanz ihrer Neon-Nachbarn unter. Und langsam läßt auch das Lächeln nach, das immer währende Lächeln der Thais, die liebevolle Hilfsbereitschaft, die kindliche Neugier, die offene Art, die ehrliche Unbekümmertheit. In diesen Tropen fehlt der südamerikanische Machismos. Das gefällt. All das droht von der mächtigen Walze der internationalen Reisewut plattgemacht zu werden. Hier brauchen die Menschen zwei Sätze mehr, um aus ihrem Touristen-Abfertigungs-Modus herauszukommen. Aber dann ist es wieder da, das aus Frauenmündern so zärtlich klingende kop kun kap. Und sonst? Vati aus Gelsenkirchen stürzt gewohnheitsmäßig seine drei Bier am Abend und wundert sich über den Schädel am nächsten Tag. Versicherungskaufmann Andreas (35) schlüpft in Batic und Shorts. Für drei Wochen Freak sein. Es ist aber auch an alles gedacht, Bundesliga zeitversetzt, Marihuana, E-Mail, Aspirin für den Morgen danach. Und trotzdem ist es die Südsee, lieblicher Duft, braune Haut, leichtes Dasein. Und nicht weit vom Budenzauber herrscht die Kraft der Natur: Hölzer, Gräser, alleiniger Sand, Vögel, Geckos. Das Essen weiterhin eine Abfahrt im Mundraum, falscher Biß – Elefantenschiß, unbekanntes Gaumenterrain will erschlossen werden. Ich sitze bis zum Hals in Seafood, esse ohne satt zu werden, scheißen ohne Schmerz oder schlechten Geruch. Hui, drei Bodybuilder schieben sich in knackigen Shorts und freiem Oberkörper durch die niedrige Menge. Die Frauen aus dem Massage-Salon quieken vor Vergnügen. Alles lacht fröhlich über den Auftritt, selbst die mundwinkelgeschädigten Körperkranken bewegen den untrainierten Lachmuskel kurz. Ok, ok, nur halt nicht mein Stil. Wohin mit dem Müll? Nein, nicht dem Seelenmüll der tausend Frustrierten, sondern dem Konsummüll der tausend Touristen, die Tonnen von Plastik und Papier hinterlassen? Ein Teil liegt einfach in den Büschen und zwischen Palmen. Auch die Thais scheinen wenige Gefühl für dieses Problem zu haben: Neben ihren Häusern türmen sich Berge. Opiumgag im Regenwald. Ha! Chang wird gewußt haben, daß das Zeug nicht wirkt. Zurück im Cafe auf der Flaniermeile. Schicksal der Pärchen auf Reisen: Schweigen im Walde? Miesepetrige Gewohnheitsopfer oder lautlose Verbundenheit? However. Auf der Terrasse unserer Behausung, sinnierend im Stuhl, Zirp, Zirp. Abschalten, die ewige Denk-Maschine ganz langsam laufen lassen, eventuell sogar abschalten. Innerer Friede und die diversen mich schüttelnden und wärmenden Gefühle zu vereinbaren ist nicht einfach. Die Mönche haben es da einfacher, he, he. Ich schalte das TV ein. Thai-Frauen in traditionellen Gewändern tanzen zu Techno. Welch´ Anpassungsfähigkeit. So wie die Thai-Wirtschaft: Adaptieren und dann eine preiswerte Kopie herstellen. Eine Insel weiter, Ko Lanta. Endlich am Ziel: Die Hängematte. An den Tod von Niklas Luhmann gedacht. Die von den Hanseaten schon immer praktizierte zirkuläre Logik: „Wat mut, dat mut“. John, ein 50jähriger Ami, trägt ein Teleskop mit sich rum. Wir sehen die Ringe des Jupiters. Diskussionen über das Weltall. Was ist Gravitation? „Nur ein weiteres Erklärungsprinzip“, äffe ich G. Bateson nach. Schlimm, wenn ich rede ohne wirklich zu verstehen, aber ich bin halt in Urlaubsstimmung und ein kleiner Dämpfer tat dem Hobby-Astrologen gut. Wir spielen am nächsten Tag Fußball am Strand. Plötzlich 15 Thais dabei, wildes Gebolze. Am nächsten Tag gehen wir mit dem Typen fischen und fangen von ihrem Long-Tail-Boot aus einige Fische. Ab in die Küche damit. Lecker. Die Fischer sehen nicht mehr so thailändisch aus. Es sind Nachfahren von „Seezigeunern“, die hier früher die Gewässer spannender gemacht haben. Stolz, etwas ruhiger, die Menschen. Wir treffen ein großes, dschunkenartiges Fischerboot mir zweistöckigem Aufbau. Es gibt Reis für die Familie an Bord. Es wird vor allem Nachts gefischt. Zurück in der Hängematte. „Hey, Jungs, laß uns das Bambus-Floß bauen.“ Mr. Chang, der Besitzer des Bungalow-Ressort, leiht uns seinen Pick-Up. Unvorstellbare Straßenverhältnisse, nur Schrittempo ist möglich. Na, wir haben ja Zeit. Inmitten der Insel ein kleines Bambuswäldchen, wir zahlen den Besitzer, der zunächst die Genehmigung bei der „Behörde“ im Ort einholen mußte. Mit den Fischerjungs schlagen wir sechs dicke Bambusbäume aus dem Wald. Schnittwunde. Der Saft einer Pflanze hilft. Mordsschwer, die Stämme, 500 Meter bis zum Auto. Transport zum Ressort. Tage der Arbeit folgen. Blödsinnig wie wir sind, stehen wir immer erst um 11h auf und werkeln dann in der Mittagshitze an dem Bambus rum. Löcher in alle Stämme, oben und unten, dann zwei Querstangen an beiden Enden, dann erst Vertäuung. Vollmond. Um den Mond eine riesige Corona. Wow. 31.12.1998. Während des Stapellaufs wird Hoppsi von einem Stingray (Rochen) gestochen. Der Unhold fühlt sich belästigt und sticht mit seinem Schwanz zu. Der Fuß schwillt an, unglaubliche Schmerzen, wenn ich Hoppsis Gesichtsausdruck so sehe. Halbstündige, ruckelnde Fahrt ins Krankenhaus. Der Arzt kommt aus dem Norden und hat keine Ahnung. Schmerzmittel, Whiskey, Joint, nichts hilft. Erst David, ein immer leicht angetrunkener 55jähriger Schotte weiß Rat: „Fuß in heißes Wasser.“ Und tatsächlich, der Schmerz ist wie weggeblasen. Die Schotten feiern Silvester, wir tanzen ohne Kilt nach Folklore aus dem Casettenrecorder. Immer im Kreis. Die Thais staunen. Bücherwurm: (1) Matt Ruff: GAS. Super Buch, unbedingt zu empfehlen. Leichte Schreibe (Ami halt), witzige Ideen, nie zäh. Im Gegensatz zu (2) Umberto Eco: Die Insel des vorigen Tages. Inhaltsschwanger, lateinisch, der Herr Professor mußte ich mal wieder austoben. (3) Theodor Fontane: Schach von Wuthenow. Deutsche Literatur vom Feinsten. Der Mann hats raus gehabt. Ein Mann zerbricht am Standesdünkel, obwohl er die Frau liebt. Seufz. (4) Philipp Roth: Sabbaths Theater. Wow, so was ordinäres und schonungsloses habe ich lange nicht mehr gelesen. Der Held, Sabbath, fickt sich durchs Leben (und will nicht alt werden.) Herrliche Psychogramme von Ehen, Beziehungen und sexuellem Verlangen. Macht Lesesüchtig. Ah, hier ein Zitat aus dem Eco: „Ich habe in meinem Leben ein kluges Maß gehalten. Immer ernsthaft zu sprechen verursacht Überdruß. Immer zu spotten Verachtung. Immer zu philosophieren Trübsinn. Immer zu scherzen Unbehagen. Ich habe alle Rollen gespielt, je nach Zeit und Gelegenheit, und manchmal bin ich auch der Hofnarr gewesen. (…) Eine Stunde nach dem Tod ist unsere dahingegangene Seele das, was sie eine Stunde vor dem Leben war.“ Wir leihen uns Mopeds. Mit 80 km/h über die Schotterpiste. Wir sitzen im Sonnenuntergang und der Thai-Kiffer schenkt uns sein Bong. Wir kochen in der Küche des Ressort. Besitzer genervt, das Personal jubiliert. Alle probieren artig, ,an lächelt, aber ich kann mir nicht vorstellen, das die Bratkartoffeln wirklich schmecken. Erholung. Leerer Blick in den Wald, ein Schluck Wasser, und weiterschauen. Es gibt nichts zu sehen, es gibt nichts zu leisten. Spaziergänge, Essen, wieder in die Hängematte. Irgendwann dann plötzlich Rückflug.

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Durch den Regenwald von Costa Rica

Worm Attack

Durch den Regenwald von Costa Rica

Es regnet. Durch das dichte Blätterdach hoch über unseren Köpfen dringt allerdings nur ein Teil der dicken Tropfen. Das Nass stört nicht, denn es ist warm. Zudem waren wir schon vor Beginn des tropischen Schauers bis auf die Haut durchnäßt, denn der ganze Wald strotzt vor Feuchtigkeit. Überall glänzt und glitzert das Grün, von den Blättern tropft das Wasser, die Stiefel versinken bei jedem Schritt im Matsch. Das schwebende Wasser in der Luft hat sich schon seit einiger Zeit mit dem Schweißfilm auf unserer Haut verbunden, die Kleidung klebt am Körper.

Vor etwa einer Stunde haben wir unsere Rucksäcke vom Jeep geladen, der uns bis an den Rand des Regenwalds transportiert hat. Wir, dass sind Olaf, mein Freund aus Hamburg, Spike, ein Amerikaner aus San Franzisko, Hillary, eine junge Frau aus Vancouver in Kanada und David, ursprünglich Amerikaner, nun seit 15 Jahren in Costa Rica seßhaft und Besitzer von 410 Hektar Regenwald. Sein Grundstück grenzt an den Naturschutzpark „Braulio Carillo“ im Herzen von Costa Rica, etwa zwei Autofahrstunden von der Hauptstadt San Jose entfernt.

im urwald von costa ricaSeitdem wir die Piste verlassen haben, dringen wir tiefer und tiefer in den Dschungel ein. Fingerdicke Schlingpflanzen, Farne und Büsche wuchern über den schmalen Pfad. „Schon nach ein paar Monaten wird es schwierig, den Pfad wiederzufinden“, verrät uns David. Mit einer Machete schlägt er den Weg frei, dabei jede kleine Baumwurzel und Moosfläche ausnutzend um nicht knietief im Morast zu versinken. Wir versuchen es im gleichzutun, ächzen unter der Last des Gepäcks, welches einen mehrmals aus der Balance schaukelt, stolpern immer wieder. Für Blicke nach links oder rechts bleibt vorerst keine Zeit, der natürliche Hürdenlauf braucht unsere gesamte Konzentration. Als David sieht das Spike sich, um einem steilen Abhang sicher hinabzusteigen, an einem Baum abstützt, warnt er trocken: „Die Stämme nicht unbesehen anfassen. Teilweise haben sie scharfe Dornen oder eine Schlange fühlt sich durch euch gestört.“ Wir schweigen.

Der zweite Bach den wir überqueren ist mit kleinen und großen Steinen besät. Wir hüpfen über die glitschigen Felsen, immer auf der Suche nach dem Gleichgewicht. Olaf rutscht aus, steht kurz wie eine Ballerina auf einem Bein und fällt mit einem in dem tosenden Lärm des Wasserrauschens kaum zu hörenden Platschen ins Wasser. Wir lachen, er auch. Mit Stiefeln in denen das Wasser bis zur Wade steht, kraxeln wir den nächsten Berg hinauf. Die Schritte werden sicherer, das motorische System stellt sich erstaunlich schnell auf die neue Umgebung ein. Bleibt man kurz stehen, verliert sich der Blick nach drei Metern im Dickicht. Wie eine Wand steht dann die Gemengelage aus riesigen Blättern, Baumstämmen mit ihren meterhohen Wurzeln und Gras dar. Unvorstellbar, hier abseits des Pfades zu gehen. Nachdem wir die Kuppe eines weiteren Hügels erreichen, verdichtet sich im Tal vor uns die Luft zu einem Nebel. Ich versuche durch die Nase tief in den Bauch zu atmen um aus diesem Dampfbad den für meinen Körper nötigen Sauerstoff zu ziehen. Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit, ich stolpere und stecke bis zum Knie in dem hellbraun-lehmigen Schlamm der mich mit einem gewaltigen Schmatzen wieder entläßt.

Das ungewohnte Ambiente flößt allerdings keine Angst ein; Respekt ist wohl das bessere Wort. Während die Flora im Übermaß gedeiht, ja, nach uns zu greifen scheint, zeigt sich die Fauna nur scheu. Zwar pfeift, zirpt, quietscht und zischt es überall, zu sehen sind die Kehlen, Kämme und anderen animalischen Instrumente vorerst aber nicht. In manchen Sequenzen erinnern die Lock- und Warnrufe der Gefiederten an alte Volkslieder. Mit einem lauten Stakkato weist ein Vogel auf seine Existenz hin. Warnt er die anderen Bewohner vor uns? Zumindest die Ameisen zeigen sich von unserer Ankunft unbeeindruckt. Die nur zwei Millimeter kleinen Tiere tragen für ihre Verhältnisse riesige Pflanzenteile auf dem Rücken, die sie zuvor sauber aus Blättern geschnitten haben. In Reih und Glied kreuzen die wandernden Blätter unseren Pfad. Und auch ein anderes Sinnesorgan wird stimuliert: Die Nase wittert Gerüche, die sie nie zuvor wahrgenommen hat. Würzige Noten wechseln mit blumigen, ein kardamonähnliche Duft wird plötzlich von einem süßlich-fauligen übertönt. Getragen wird dieser vegetative Aromateppich von einer schweren, feucht-muffigen Grundluft.

Nach fast drei Stunden Fußmarsch hellt sich der Wald auf und wir betreten eine Lichtung. Aus rohem Holz gebaut steht eine Hütte auf Pfählen vor uns, groß genug um sechs Personen einen trockenen Schlafplatz zu bieten. „Für den Bau haben wir nur das Lichtungsholz verwendet“, versichert David. Die Regierung des mittelamerikanischen Landes achtet streng auf die Einhaltung der den Regenwald schützenden Gesetze: Mehr als ein fünftel des 51 Tausend Quadratkilometer großen Staates steht unter Naturschutz, über 30 Nationalparks und ausgewiesenen Schutzzonen sind nur mit Genehmigung zu betreten. Aber nicht nur das ökologische Bewußtsein zwang das Land von der Größe Niedersachsens Anfang der siebziger Jahre zu einem restriktiven Naturschutz. Das aus den Monokulturen der Bananen- und Kaffeeplantagen erwirtschaftete Geld reichte allein nicht aus, um die Auslandsschulden zu begleichen. Die touristischen Vermarktung des Regenwaldes soll diesen nun wirtschaftlich nutzen, ohne ihn zu zerstören. „Ein Drahtseilakt“, weiß auch David, der den stetig wachsenden Touristenstrom mit Argwohn sieht. Von der Lichtung geht der Blick ins Tal. Dichter, im satten Grün lebendiger Regenwald breitet sich vor uns aus, am nördlichen Horizont erkennt man die Berge von Nicaragua. Über einigen Baumwipfeln hängen kleine Nebelbänke, aus denen die einheimischen Schwalben auftauchen. Wir staunen sprachlos. Ein dicker Käfer kommen auf mich zugebrummt, der Auftrieb der Flügel scheint zu klein um den massigen Körper in der waagerechten zu halten – wie ein Sack hängt dieser beinahe senkrecht hinab. Ein leichtes Pusten bringt das träge Insekt aus der geplanten Flugbahn, mit einem Brummen fängt es sich mühsam und setzt seinen Weg fort. Als wir die Schuhe ausziehen, ergießt sich eine dunkelbraune Brühe aus den Schäften. Alle Sachen, bei Olaf und Spike auch die im Rucksack, sind naß. Auf der me tallenen Abzugshaube der Feuerstelle beginnt ein Gedränge um die besten Trockenplätze; ein Prozedur, welche sich die nächsten Abende wiederholen wird. Wir grillen Hühnerfleisch über dem Feuer, Essen mit den Händen, schmatzen, lecken uns die Finger: Die Natur hat uns wieder.

Fruechte

Tief beiße ich in den Pfannkuchen, den David zum Frühstück zubereitet hat. Das Prasseln des Regens auf dem Blechdach der Hütte hatte uns in den Schlaf gewogen, wir sind um kurz nach sechs Uhr hellwach und trotz des ausgiebigen Abendessens hungrig. David schlägt vor, einen Wasserfall zu besuchen. Los geht es. Ohne das Gepäck geht es sich erheblich leichter, die Schritte sind kontrollierter. Mittlerweile weiß man, welches Moos das Körpergewicht trägt, welches Gras nur stabil scheint, welche dünnen Ranken als Fußangel agieren. Kurz nachdem wir die Hütte verlassen, beginnt es (wieder) zu regnen. Über die Socken und Unterschenkel kriecht das Wasser langsam bis in den Genitalbereich hoch: Wunder der Kapillarwirkung. Ursprünglich von einem Tapir geschaffen, ist der heutige Pfad noch erheblich schmaler als gestern. Wir entdecken im Schlamm einen Hufabdruck des archaischen Wesens. Das bis zu 300 Kilogramm schwere Säugetier mit dickem Körper und kurzem Rüssel gilt unter den Einheimischen als Delikatesse und ist vom Aussterben bedroht. Spike weist uns auf eine Pflanze hin, deren Blüte die Form eines rotgeschminkten Mundes hat. „Vaginalsymbol, würde Freud wahrscheinlich mutmaßen“, sagt Spike lachend. Mehrmals versperren uns gefallene Urwaldriese den Weg, ihre Umrundung dauert über 15 Minuten. Eine waagerecht liegende Palme läßt David an das Abendbrot denken. Nur mit Mühe erreichen wir ihre Spitze, in welcher sich das zarte Palmenherz befindet. Später bereichern wir damit unser Abendbrot.

Durch die Bäume und über ein Tal hinweg sehen wir in weiter Entfernung das Tagesziel: Ein Wasserfall stürzt sich 140 Meter in die Tiefe. Auf dem Drittel des Naturschauspiels fängt ein Pool die flüssige Masse auf, bevor sie weiter herunterfallen. Die Gischt hüllt das kleine Tal in einen feinen Nebel und verbindet sich mit den tiefhängenden Wolken zu einem übergroßen Schleier. Ein paar Kekse, die Fotoapparate klicken. Über einen seitlichen Pfad gelangen wir bis zum Fuße des Falls hinab. Durch das rauschende Wasser herrscht hier starke Luftbewegung, fast Sturm. Die Äste wiegen im Wind, die Luft ist klar, kein Moskito stört das Dasein. Der uns umgebene Urwald scheint keine Ordnung zu kennen. Wirr liegen Blätter, Lianen, Wurzeln, Äste, Gräser, übereinander, Farne ragen in den Pfad, teilweise mit bis zu zwei Meter großen Blättern. Aber, und das weiß man nicht erst seit der Chaosforschung, hinter der vermeidlichen Unordnung steckt System. „Das heimische Faultier verläßt seinen Baum nur einmal in der Woche zum Scheißen“, erzählt David mit einem Schmunzeln. „Dabei läßt es seine Exkremente immer an dem Baum nieder, dessen Blätter es am liebsten mag.“ Unschwer läßt sich der ökologische Kreislauf auch hier nachvollziehen. Tiefer Respekt erfaßt uns vor der kaum faßbaren Leistung der Evolution (oder des Schöpfers?). Als wir auf eine etwa drei Meter große Palme treffen, fängt David vom Hausbau in Costa Rica an zu berichten. Die Palmenblätter, 20 Zentimeter breit und ein Meter lang, werden seit Generationen zum Bau regendichter Palmendächern verwendet. „So ein Dach hält zwischen fünf und acht Jahren, es sei denn, die Blätter werden bei Vollmond geschnitten, dann halten sie bis zu 20 Jahren“, führt David weiter aus. So ganz wollen wir diese Geschichte nicht glauben, Einheimische bestätigen aber später Dav ids Aussage.

Für den Rückweg schlägt unser Guide etwas besonderes vor. Anstatt auf dem Trampelpfad zu gehen, so seine Idee, könnten wir durch den Fluß den Weg nach Hause antreten. „Mitten durch?“ fragt Hillary erstaunt. David versichert, dass das Wasser meist nur knietief ist, garantiert aber nicht höher als bis zur Brust geht, zudem könne man auch teilweise am festen Ufer wandern. Ohne zu wissen, auf was wir uns einlassen, willigen wir ein. „Gute Idee“, sage ich, „das ist doch mal eine Herausforderung“. Spike murmelt: „Eigentlich bin ich aufgrund der Sehenswürdigkeiten gekommen, nicht um mich Herausforderungen zu stellen.“ Zu spät, die Gruppe setzt sich in Bewegung.

Flache, am Ufer und im Wasser liegende Steine dienen nun als Trittbretter für das Fortkommen, ab und zu muß ein umgestürzter Baumstamm überwunden werden. Jeder sucht seine Technik: Während David und ich von Stein zu Stein hüpfen, versuchen Spike und Hillary ihren Weg eher am Ufer zu finden. Olaf probiert erfolglos beide Techniken, er landet mehrere Male fluchend im Wasser. Schließlich hat er genug: Er greift sich einen großen Stock und watet mitten durch den Bach. Teilweise steigt ihm das Wasser bis zur Brust, immer wieder stolpert er und landet komplett im Wasser. Er kämpft unverdrossen gegen den Strom. Seine Methode ist nicht schneller oder langsamer, scheint aber anstrengender.

Ich schaue mich um und sehe Spike und Hillary knapp hundert Meter hinter uns. Ich kann mich täuschen, aber ich sehe Spike leise Flüche durch die Zähne ausstoßen.

Mehrere Male überwinden wir kleinere Wasserfälle. Das schäumende Wasser ergießt sich über uns, ich pruste und schnaufe vor Anstrengung. Ein paar kräftige Schluck aus dem reißenden Bach erfrischen. Wir sind nun bereits zwei Stunden unterwegs, das Rauschen nimmt kein Ende. Auf einem Teilstück sind die vielen Steine im Wasser mit kniehohen Pflanzen bewachsen. Die rosa und lila Blüten lassen keine Sicht nach unten mehr zu, nun sieht man nicht mehr, wohin man tritt. Ein erneute Schlitterpartie beginnt. Ein Schmetterling von der Größe eines DIN A4 Blattes flattert an mir vorbei, aufgeregt will ich Olaf auf den Flieger aufmerksam machen, verliere das Gleichgewicht und lande mal wieder im Wasser. In Ufernähe turnt ein Brüllaffe in den Wipfeln und stößt heulende Laute aus. Etwas später schreckt David eine Kolonie schwarzer Fliegen auf, die es sich auf den Wasserpflanzen gemütlich gemacht hatten. Für eine Minute steht er in einer dunklen Wolke voller schwirrender Leiber. „Es ist nicht mehr weit“, sagt David kurz darauf und ich höre, dass auch er froh ist, diese „Herausforderung“ bald hinter sich zu haben. Am letzten Wasserfall fallen größere Stechfliegen über uns her. Sie sehen aus wie die einheimischen Bremsen und stechen ebenso schmerzhaft. Wir schlagen um uns, zugleich darauf bedacht, dass Gleichgewicht beim Klettern nicht zu verlieren. Wir verlassen den Flußlauf und sind kurz darauf bei der Hütte.

Des Abends stehe ich auf dem Rundgang unsere Hütte und wedle mit einem glühenden Stück Kohle in der Luft herum. David hat mir diesen Tip gegeben, ohne mit zu verraten, was der Sinn dieser Aktion ist. Plötzlich taucht aus dem Dunklen ein Glühwürmchen auf und steuert direkt auf die leuchtende Spur zu, die ich hinterlasse. Noch zwei weitere Insekten fühlen sich angelockt und schwirren auf unseren Balkon. Das eine ist orange, dass andere phosphorgrün. Über den Augen der zwei bis drei Zentimeter großen Tiere sitzen zwei Glühkörper; fliegen sie flach über den Boden, entstehen zwei deutliche Lichtkegel auf den Dielen. Mit etwas Geschick ist es kein Problem die langsamen Flieger einzufangen. Die strahlende Kraft der Käfer ist erheblich, sie erleuchten unser Wohnzimmer für kurze Zeit, bevor wir sie wieder in die Freiheit entlassen.

Der nächste Tag dient der Entspannung. Olaf schnitzt aus einem kleinen Stück Holz eine Pfeife, die er „La Danta“ tauft, der Tapir. Besser schmeckt das Kraut durch dieses Rauchgerät wahrlich nicht, wir freuen uns trotzdem. Ich streife in der Gegend herum, ohne mich zu weit vom Haus zu entfernen.

Der letzte Tag ist angebrochen und uns steht der Fußweg in die Zivilisation bevor. Dieses mal geht es allerdings bergab, zudem sind wir mittlerweile recht geländegängig und das Klima gewohnt. Selbst das immer bis zu den Knöcheln in den Gummistiefeln stehende Wasser nehme ich gelassen hin.

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„I make you good price, man“

HanfBlatt 03/1998

„I make you good price, man“

Kauf und Wirkung von Ganja in Costa Rica

Erkennt er es an unseren weißen Beinchen, die in Shorts und Sandalen stecken, leuchten unsere Augen so gierig oder riechen unsere Rucksäcke noch danach? Wie auch immer, als wir aus dem klapprigen Bus, der keines der Schlaglöcher zwischen Costa Ricas Hauptstadt San Jose und Puerto Viejo ausgelassen hat, wanken, federt ein Rastafa auf uns zu, in der rechten Hand eine Bierflasche und im sichtbaren Bereich vom Mund vier Zähne. „Hey man, what´s up, I am Charlie“, begrüßt er uns. Nach einer Woche Urlaub mittlerweile daran gewöhnt, daß die Menschen anscheinend auf der ganzen Welt freundlicher sind als in Deutschland, grüßen wir zurück. Mit wichtiger Geste beginnt Charlie mit meinen Händen rumzufuchteln und verstrickt sie in ein kompliziertes Begrüßungsritual, eine Art der Kontaktaufnahme, wie wir sie in den nächsten Wochen öfter erleben werden. Zeit für den Austausch von Höflichkeiten. Woher wir kommen, wohin wir wollen, wie uns Costa Rica gefällt: Charlie fragt, wir antworten. Er bietet sich an uns zu dem Haus zu begleiten, welches wir als erste Anlaufstation unseres Aufenthalts in der „Schweiz Mittelamerikas“ empfohlen bekommen haben. Plaudernd stolpern wir unter der Last unserer Rucksäcke weiter, Charlie latscht baren Fußes über den stockdunklen Schotterweg. „Hey man, you wan´t some good ganja?“, fragt er unerwartet. Nun will ich nicht gerade sagen, daß meine Freund Olaf und ich genau aus diesem Grund an die Karibik- und nicht an Pazifikküste gefahren sind, aber immerhin ist Urlaub, Zeit der Entspannung, und vertraute Reisende hatten unsere Vorfreude auf die rauchbaren Köstlichkeiten der Gegend geschürt. Also geben wir der Begeisterung ob dieses Angebotes unverhohlen Ausdruck. „Yeah, man“, versuche ich locker zurückzugeben. Auf meine Frage, wie teuer der psychedelische Spaß denn wird, versichert Charlie: „I make you good price, man“. Noch unsicher in der Handhabung der einheimischen Währung, drücke ich ihm umgerechnet fast 30 Mark in die Hand, verlangt hatte er über 50 Mark für „einen dicken Beutel Gras“. Inzwischen am Tor des Obdachs angekommen, verrät Charlie, daß er das Marihuana erst holen muß. Mmh, ungewöhnlich, „Bares gegen Ware“, heißt es normalerweise bei diesem flüchtigen Geschäft. Wir beschließen, ihm zu trauen (wo soll er in dem 200 Einwohnerdorf auch schon hin?), ziehen in unseren kleinen Raum ein und warten auf Charlies Rückkehr.

Daß sich Ganja an der Karibikküste des kleinen Staates so großer Beliebtheit erfreut, wohnt ein Grund inne: Während im übrigen Costa Rica 98 Prozent der Bevölkerung hellhäutig sind, es sind die Söhne und Töchter der spanischen Inquisitatoren, leben in der Provinz Limon ein Drittel Schwarze. Sie sind die Nachkommen der für die Arbeit auf den Plantagen und den Eisenbahnbau von den Westindischen Inseln verschleppten Menschen. Viele sprechen einen englischen Dialekt, der auf Jamaika gebräuchlich ist, die Worte klingen weich. Mit aus ihrer Heimat brachten sie die Vorliebe für die Wirkung des Hanfs. Auf kleinen Grundstücken hinter ihren Häusern oder auf Lichtungen im naheliegenden Regenwald bauen sie Ganja an – für sich und zunehmend auch für die rauschwütigen Touristen. Die Gegend um Cahuita, Puerto Viejo und Manzanillo, einem kleinem Dorf kurz vor der Grenze zu Panama, evolvierte auch aus diesem Grund zu einer Freak-Kommune. Traveller und andere zivilisationsmüde Personen aus den USA und Europa proben das „Easy Living“; hier, wo sich die menschliche Existenz nicht aus der Arbeit heraus definiert, läßt sich leben. Der lästige Ausspruch „Zeit ist Geld“ besitzt kaum Gültigkeit.

Faul liegen wir in den Hängematten die über den Terrassenboden schaukeln, das kühle Bier erscheint Sekunden nach dem Trinken als Schweißfilm auf der Haut. Obwohl die Nacht naht, umgeben uns tropische Temperaturen, aus dem unsichtbaren Wald dringen ungewohnte Geräusche. Würzige Noten wechseln mit blumigen, ein kardamonähnliche Duft wird plötzlich von einem süßlich-fauligen übertönt. Getragen wird dieser vegetative Aromateppich von einer schweren, feucht-muffigen Grundluft. Wir hören Schritte, Charlie betritt die Terrasse, in seiner Hand statt des Bieres einen Kaffeefilter mit Gras haltend. Das Marihuana ist dunkelgrün, mit bräunlichen Ton, fest gepreßt und riecht streng. Charlie gibt meiner Vermutung recht, daß es sich hier um kolumbianische Ware handelt. Die Menge erscheint mir gering, später teilt uns der Besitzer des Hauses mit, daß wir für das Geld eine Unze bei ihm bekommen hätten. Na ja, uns tut es nicht weiter weh. Die Feuchtigkeit läßt die mitgebrachten Blättchen aneinanderkleben, Olaf bemüht sich um eine passable Formung des Joints. Wir drehen ihn mit Tabak, was in den kommenden Tagen bei Einheimischen wie Zugereisten mehrfach auf Verwunderung stößt, frau bevorzugt hier den getrennten Konsum dieser Kräuter. Drei Züge an der krummen Tüte schicken uns auf die Bretter. Kann es sein, daß „Easy Living“ mit der Schwere des Seins verwechselt wurde? Wir jedenfalls rollen in die Betten, reden zusammenhangloses Zeug, oft unterbrochen von minutenlangen Pausen, in welchen wir wildesten Halluzinationen nachgehen. „Eh, Motherfucker, this is good stuff“, bemerkt Olaf trocken. Nur schweigend-grinsend kann ich ihm recht geben. Nach über einer Stunde der psychedelischen Dröhnung, der Bilderflut, des wortlosen Staunens, schlafen wir ein.

Nicht nur die Nachfahren der Sklaven wissen den Hanf zu schätzen. Die indigenas, die Indianer, bauen seit langer Zeit die magische Pflanze an. Im Gebiet der Karibikküste leben die Huertas, ein Stamm von dem vermutet wird, daß er von den Amazonas-Indianern abstammt. Wie im sonstigen Lateinamerika, gehören die Ureinwohner des Landes zur ärmsten Bevölkerungsschicht und versorgen sich traditionell selbst. Diejenigen, welche Jahrhunderte lang auf ihrem Grund und Boden daheim waren, drängeln sich heute in 35 kleinen Reservaten. Etwa 20 Tausend Menschen der ehemals drei Völker starken Gemeinschaft leben jetzt noch in Costa Rica. Diesen wurde in den letzten Jahren eben wegen des Anbaus von Marihuana hart zugesetzt. Auf Druck aus Washington fiel die Polizei in die Reservate des südlich gelegenen Talamanca Gebirges ein. Unter mysteriösen Umständen kamen bei der Aktion „Cobra“ mehrere Indianer um ihr Leben, mehrere kleine Hanfplantagen wurden zerstört und einige Ureinwohner verhaftet. Seit dieser Zeit sind die sonst sehr offenen Huertas Fremden gegenüber sehr vorsichtig. Ein Besuch einer Anpflanzung war nicht möglich.

Der floristische Tropenhammer besorgte uns noch einige nette Tage, jedesmal schickte er uns jedoch mit ungewaschenen Füßen ins Bett und damit in das Land der nicht erinnerbaren Träume. Zwei Wochen später -wir hatten unsere Vorräte ob ihrer Potenz gut eingeteilt- erstehen wir an einem anderen Ort ein sehr viel leichteres Mittel zur Erhighterung. Ein in einem Hintergarten angepflanztes Gras, nur dürftig getrocknet, mit langen Hanffäden in den Dolden versetzt, erregt unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Unklar, um welche Sorte es sich handelt, turnt dieser Leckerbissen sehr viel higher, gesprächiger. Über uns die Pelikane im Formationsflug, ein seichtes Wellenrauschen, die durch das zurücklaufende Wasser klickernden Kieselsteine, eine leichte Brise der Kühlung, blauer Himmel und weißer Sandstrand. Zu schön, um wahr zu sein, fast schon kitschig, wie aus einem Traum. Wir sitzen stoned auf einem angetriebenen Baumstamm, wachsen langsam mit der Umwelt zusammen, sind ein Teil von ihr. Ja, Hanf ist Grün, Hanf ist eine Pflanze, deren geistbewegende Kraft uns wieder mit dem zusammenführt, wo wir herkommen: Der Natur.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Auf dem Suwannee River

Kanu Sport 12/1997

Auf dem Fluß der Alligatoren

Von Georgia nach Florida auf dem Suwannee River

Jörg Auf dem Hövel

Der Hamburger bietet den Zähnen keinen Widerstand und den Knospen kaum Geschmack. Wohl deswegen mampfen wir zufrieden am Exempel amerikanischer Eßkultur, welches wir uns aus dem Drive-In in unseren Van haben reichen lassen. Oder läßt uns das Wissen, daß dies die letzte Mahlzeit in der Zivilisation für die nächsten fünf Tage sein wird, noch beherzter in die pappigen Brötchen beißen? Wir sind auf dem Weg nach Fargo, einem kleinen Ort in Georgia, kurz hinter der Grenze zu dem südlich gelegenen Florida. Dort warten drei Kanus auf ihre Besatzung, um auf dem Suwannee River langsam flußabwärts zu treiben.

fluss

In den letzten Tagen sahen wir immer wieder erstaunte Gesichter, wenn Menschen in Miami oder Orlando von dem Plan hörten, eine Kanutour auf dem Suwannee zu unternehmen. „Oh, how nice“, sagte die Frau an der Kasse im Supermarkt. „What an amazing idea“, wunderte sich die Dame im Donut-Shop. Der Fluß ist allseits bekannt, zahllose Volkslieder besingen die Schönheit des Wasserlaufs und sogar die Hymne von Florida preist ihn als unvergeßliches Naturereignis. Doch das man auf dem oberen Teil des Suwannee River tagelang paddeln kann, ohne einem Menschen zu begegnen, daß man Tiere in freier Wildbahn beobachten und Pflanzen ungehemmt wachsen sehen kann – das wissen die wenigsten. Nicht nur für Touristen steht Florida noch immer für strandnahe Bettenburgen mit Sonnengarantie sowie riesige Freizeitparks. Wir machen uns auf, dass andere Florida zu entdecken.

Unser Van steht mittlerweile beim Kanuverleih. Der griesgrämige Besitzer erinnert durch seinen gestutzten Bart und den schwarzen Hut an einen Quäker. Unsere Wasserfahrzeuge auf dem Anhänger fährt er mit uns in seinem Bus zu einer kleinen Brücke, an welcher wir unseren Trip starten. Als wir den Fluß das erste mal sehen wissen wir, weshalb die Ureinwohner des Landes, die Seminolen, ihn „Suwannee“ tauften. Der Begriff steht für „schwarzes, schlammiges Wasser“. Mit über sechs Kilometer in der Stunde fließt das dunkelbraune Süßwasser und trägt vermodertes Laub und andere Schwebeteilchen in den Golf von Mexiko. Die sichtliche Geschwindigkeit des Flusses ermutigt uns, denn je stärker die Strömung, desto weniger leiden unsere Muskeln auf der Fahrt.

Zunächst heißt es aber anpacken. Vorräte müssen in den Kanus verstaut werden, zwei große Kühlboxen, Zelte, Rucksäcke. Die Boote liegen tief, aber stabil im Wasser. „See you in five days“, quäkt es vom Ufer und wir paddeln los. Geht alles gut, werden wir in fünf Tagen an seiner Kanustation ankommen. Schon nach der ersten Flußbiegung liegt die moderne Welt hinter und eine andere, von menschlicher Hand unberührte vor uns. Dichte Vegation läßt den Blick am Uferrand verharren, undurchdringlich scheint der Wald. Rechts und links stehen blühende Zypressen im Wasser und am Ufer, satt im grün. Ihre Wurzeln ragen aus dem Fluß um den Baum mit Sauerstoff zu versorgen. Wie kleine Familien gruppieren sich die knorrigen Hölzer um ihre riesigen Eltern, manche bis zu zwei Metern hoch. Verspielte, abstrakten Formen erinnern an Gesichter, mythischen Figuren, menschliche Genitalien. Natur macht Kunst. Das Paddeln fällt umso leichtern, desto weniger man daran denkt und die atemberaubende Umgebung fesselt wahrlich unsere Aufmerksamkeit.

sandbank

Ein schriller Pfeifton im Stakkato unterbricht die Bildübertragung im Kopf. Der kleine Vogel leuchtet knallrot und sitzt nur 10 Meter von der Bootsspitze entfernt. Warnt er die Bewohner der Tierwelt vor den unbekannten Eindringlingen? Das Holz der Zypressen ist äußerst haltbar, so dass es lange Zeit für den Haus- und Eisenbahnbau verwendet wurde. Heute sind die Bäume an diesem Fluß geschützt. Es beruhigt zu hoffen, dass diese Wunderwerke auch noch weitere Jahrhunderte bestehen werden.

Wo haben wir die Spaghettis hingepackt? Und die Gewürze? Die Suche nach den Zutaten für unser Abendessen gestaltet sich kompliziert, denn die Nahrungsmittel sind über die Boxen verteilt. Einige Zeit später köcheln Wasser und Tomatensoße über dem Feuer, ab und zu klappert eine Gabel im noch leeren Blechteller. Die Zelte stehen auf weißem Sand, nur 10 Meter vom Wasser entfernt. Ein Glas Rotwein zum Essen sorgt für die endgültige Bettschwere.

Der Fluß schlängelt sich weiter. Hinter jeder Kurve offenbart sich eine neue natürliche Kathedrale, ausladene Äste bieten Schatten in Ufernähe. Wir staunen immer wieder über die Sandbänke, die der Fluß reingewaschen hat. Leuchtend weiß wie ein Strand in der Karibik liegen sie im Kontrast zum dunklen Wasser dar. Wir staunen still, nur das Zischen des Paddels ist zu hören, wenn es durch das Wasser gezogen wird, dazu ein leichtes Glucksen beim Herausziehen des Instruments aus seinem Element. Hinter unseren Booten schließt sich der Fluß wieder, findet zu seiner Unberührtheit zurück. Ein Paar Geier mit Spannweiten von über zwei Metern segelt über uns hinweg. In weiter Entfernung steigt ein Ibis aus einem Busch auf.

Vance, mein amerikanischer Freund und Steuermann, und ich hören plötzlich ein raschelndes Geräusch am Ufer. Wir schauen nach rechts und höchstens fünf Metern entfernt bewegt sich der schwere Körper eines Alligators. Ungefähr drei Meter Panzer gleiten die Böschung ins Wasser hinab – wir haben das archaische Tier beim Sonnenbad gestört. Erstaunlich flink bewegt sich der Koloß. Ein Gefühl der Angst durchzieht meinen Körper, das Wissen, das die Echse jetzt unter unserem Boot taucht, läßt mich mit dem Rudern aufhören. Ein faszinierender Moment, denn die scheuen Alligatoren zeigen sich nur äußerst selten dem Beobachter. Zudem beruhigt mich Vance: Die Tiere greifen nichts an, was die Größe eines Pudels überschreitet. Wir sparen uns das nächste Bad trotzdem für den Abend auf. Vorfälle mit Alligatoren sind in Florida äußerst selten und basieren zumeist auf der Überheblichkeit der Menschen, die die Tiere füttern oder schlicht ärgern wollen.

zeltstatt

Für das Feuer halten wir Ausschau nach einen speziellen Holz, welches extrem harzhaltig ist und selbst im feuchten Zustand gut brennt. „Ligther“, nennen es unsere amerikanischen Freunde nur. Im vergangenen Jahrhundert benutzte man dieses Holz sogar, um Schießpulver herzustellen. Häuser aus diesem Material waren zwar brandgefährdet, wurden aber nie von Würmern heimgesucht. Wir finden einen dicken Stamm und sägen uns ein mächtiges Stück ab, so dass wir für die nächsten Tage keine Probleme mehr mit dem Entzünden des Feuers haben. Als ich diese Nacht die Augen schließe, ranken Äste über den Fluß und das Kanu zusammen, umschließen mich, hüllen den langsam Körper ein.

Der Suwannee entspringt aus einem sumpfigen Areal namens Okefenokee, was in der Sprache der Indianer soviel wie „zitternde Erde“ heißt. Schwimmende, aber begehbare Inseln gaben dem Gebiet seinen Namen. Heute ist der Okefenokee Naturschutzgebiet und im Sommer ein Paradies für Insekten aller Art. In der heißen Jahreszeit kann auch die Tour auf dem Suwannee River zur Tortur werden: Hitze und Mücken setzen dem Kanuten zu. Die beste Reisezeit auf dem Fluß sind Frühling und Herbst.

Auch am dritten Tag sehen wir keinen Menschen, treffen jedoch auf ihre zerstörerische Spuren. Über einen kleinen Bach, der in den Suwannee fließt, entdecken wir eine gespannte Leine, an der kleine Seile befestigt sind die in das Wasser ragen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die zunächst als harmlos erscheinende Konstruktion als Anlage zum Schildkrötenfang. An den Enden der Seile sind Köder postiert. Wir fischen zwei Panzertiere aus dem Wasser. Eines ist bereist verendet, ein anderes hat den metallenen Haken tief verschluckt, lebt aber noch. Die Aufregung ist groß, Vance schimpft auf die „Rednecks“, die er „biersaufende Ignoranten“ nennt. Mithilfe einer spitzen Zange befreien wir das eine Tier von dem Grund seines Peins. Obwohl es aus dem Rachen blutet, wehrt es sich kaum – wahrscheinlich hängt es schon seit Tagen an dem Haken. Beide Reptilien werden zu Wasser gelassen, das Eine sinkt zu Boden, das Andere nimmt Bewegungen mit seinen Flossen auf und paddelt mitgenommen, aber lebend davon.

Nach dem aufwühlenden Erlebnis bemerken wir erst langsam, dass das Bild des Flußlaufs sich ändert. Wo sonst Sandbänke die Sonne reflektierten, ragen nun Felsen am Uferrand, an deren feuchten Hängen Moose und Flechten wachsen. Winzige Rinnsale entquellen dem Stein, tausende von Tropfen perlen aus dem Bewuchs und landen nach kurzem Flug im Flußwasser. Das Sonnenlicht reflektiert in flachen Höhlen, die nur wenig Platz und Schatten für die Kanus bieten, gleichwohl ist es in ihrer Nähe merklich kühler. Mit etwas Glück finden wir eine der letzten Sandbänke in der inzwischen felsigen Flußlandschaft um das Nacht-Camp aufzuschlagen.

Auch am nächsten Tag brennt die Sonne bereits um 10.00 Uhr so stark, dass wir ständige Abkühlung im Wasser suchen. Während des Paddelns bedecke ich Kopf und Nacken mit einem Nassen Tuch. Die mittlerweile auf schwache Geräusche geschulten Ohren nehmen ein weit entferntes Rauschen wahr – wir nähern uns den Stromschnellen. Nach einer Viertelstunde Fahrt sehen wir den weißen Schaum des aufgewühlten Wassers vor uns. Nun heißt es schnell handeln. Mit kräftigen Paddelschlägen bugsieren wir die Kanus aus der immer kräftiger werdenden Strömung Richtung Ufer und ziehen sie mit Mühe an Land. Unsere vollbeladenen Kähne würden den Ritt durch die reißenden Wellen kaum unbeschadet überstehen, die Gefahr, auf einen Felsen aufzulaufen oder zu kentern ist zu groß. Über einen bewaldeten Hügel tragen wir zunächst das Gepäck, später die Fahrzeuge an den Stromschnellen vorbei. Trotz dieses Kraftakts genießen wir den Einschnitt in unserer Tour, denn die Hitze läßt in Nähe des Katarakts erheblich nach. Das fließende und sprudelnde Wasser kühlt und frischt die Luft auf, lange hocken wir am Wasser und atmen kräftig durch.

Über glitschige Felsen rutschend lassen wir die Kanus wieder zu Wasser. Kurz darauf lädt ein Sandstrand zu einer weiteren Pause und einem ausgiebigen Bad ein. Die Strömung des Flusses ist jetzt so stark, dass ein Schwimmen gegen sie unmöglich wird, man bewegt sich bestenfalls auf der Stelle. Es dämmert und damit bricht für uns der letzte Abend auf dem Fluß an. Friedlich und still fließt er in der Abendsonne dahin, dass Konzert der Vögel, Frösche und Insekten verstummt langsam. Wir genießen die letzten hellen Stunden des Tages. „Best Time on the River“, sagt Sunny leise. Thunfisch mit Reis und Bohnen ist das Abendbrot, auch am vierten Tag spendet die Kühlbox noch ein eisiges Bier. Heute trennen wir uns nur ungern vom Feuer, mit etwas Wehmut denken wir an die morgige Rückkehr in die Welt der Neonreklame – nur die Aussicht auf eine warme Dusche lockt etwas.

gruppo sportivo

Kanuverleih

Es existieren mehrere Stationen für den Kanuverleih am Suwannee-River. Für ein Kanu müssen etwa 30 Mark pro Tag bezahlt werden, Paddel und Schwimmwesten inklusive. Der Transport zur Einsatzstelle kostet je nach Streckenlänge extra. Von ein paar Stunden bis zu fünf Tagen ist jede Fahrzeit möglich. Reservierungen sind erwünscht. Adressen:

  • Suwannee Canoe Outpost, 2461 95th Drive, Live Oak, 32060 Florida, Tel: 1-800-428-4147.
  • American Canoe Adventures, Route 1 Box 8335, White Springs, 32096 Florida, Tel: 904-397-1309.
  • Das Reisebüro „Sun Company“ bietet ein Komplettpaket an: Für einen zweiwöchigen Aufenthalt steht für die erste Woche ein Haus zur Verfügung, die zweite Woche wird mit einem Guide auf dem Fluß verbracht. Sun Company, Dorotheenstrasse 106, 22301 Hamburg, Tel: 040/2795037.

Anreise und Ausrüstung

Tägliche Flüge von Deutschland nach Miami und Orlando. Von dort mit einem Leihwagen zum Suwannee River. Die beste Reisezeit ist im Mai und im September. Eine nicht zu umfangreiche Campingausrüstung reicht aus: Zelt, Iso-Matte, Schlafsack, Kocher. Wichtig: Säge für das gesammelte Feuerholz, Müllbeutel, Sonnenschutz.