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Die schwarze Welle – Der Kaffee- und Kaffeehaus-Boom

Aus dem Hanfblatt, Nr. 106, März 2007

Vom Filterkaffee zur Latte Macchiato: Die Kaffeekultur erlebt den Höhepunkt ihres Booms

Seit ein paar Jahren rollt eine schwarze Welle über Stadt und Land. Nachdem Kaffee lange Zeit ein Dasein als aus schnorchelnden Maschinen tropfende Plörre gefristet hat, ist der Wachmacher in neuer Aufmachung plötzlich wieder hip geworden. Espresso-Bars nach italienischem und Galao-Bars nach portugiesischem Vorbild, „Coffee to Go“ im US-Style, in den Privathaushalten mehren sich wuchtige und knuddelige Espresso-Maschinen, es gibt sogar Shops in Innenstadtlagen, die nur mit an Geschirrspüler erinnernden Aufmunitionierungs-„Pads“ für die neue Schnell-Schnell-Kaffeemaschinen-Generation ihren Umsatz generieren. Nicht nur in den noch gebliebenen traditionellen Kaffeeläden legt man wieder Wert auf exotische Sorten mit genauer Herkunftsangabe, selbst bei Tchibo und Arko versucht man sich in blümerantem Kaffee-Exotismus zu übertrumpfen. Aus dem Einheitsgesöff der 80er ist ein ausdifferenziertes Produkt geworden, inzwischen kommt der seltsame Spruch „eine Latte, bitte“ bei keiner Bedienung mehr schräg an. Fehlen nur noch Capuccino-Seminare in Volkshochschulen. Deutliches Zeichen des Booms ist nicht zuletzt das Vordringen der Starbucks-Kette.

Zentralste Lage in Hamburg, gegenüber dem Rathaus. Das Anstellen ist nervig, vor allem, wenn danach 3 Euro für eine Tasse koffeinhaltiges Heißgetränk gezahlt werden müssen. Aber halt, bei Starbucks geht es nicht um Koffein, sondern, wie immer in den Zeiten nachmoderner Produktverhökerung, um Lifestyle. Marvin Gaye im Hintergrund, der Kaffeemacher ruft meinen verflüssigten Lifestyle zusammen mit meinem Vornamen aus. Wie persönlich! Die Sessel sind bequem, ich versinke im Schaum. Irgendwo in weiter Ferne ahnt man den hippiesken Ursprung des Ladens.

Zwei Studenten aus San Francisco eröffneten 1971 in Seattle das erste Starbucks-Cafe, es ging ihnen um die Verbreitung der Genusskultur von Kaffee und Tee. Kommt zusammen, chillt aus, hängt ab in einer außeruniversitären Teestube, einem freakigen Gruppenraum. Das erste Logo von Starbucks zeigte noch eine barbusige Hippie-Nixe, das wurde im Rahmen der political correctness abgeschafft. Der Duft, die Musik, die Entspannung; in den USA war dieser Ansatz neu. Die Welt muss beglückt werden, klar, der heutige Inhaber Howard Schultz will Starbucks in so ziemlich jedes Land der Welt bringen. Das Ziel sind weltweit mehr als 20.000 Filialen, mehr als McDonald’s, er eröffnet jeden Tag drei neue Kaffeebars. In Deutschland sind es Anfang 2007 genau 57 Läden in 19 Städten.

Im Sessel neben mir eine etwa 35-jährige Frau mit Harry Potter-Roman. Gegenüber ein Typ mit Wollmütze und Tarnhose, Handy auf dem Tisch. Lang geübte Lässigkeit. Er trinkt Bionade aus einer Plastikflasche. Aus einer Plastikflasche! Wenn das nicht der Untergang des Abendlandes ist, dann weiß ich auch nicht. Aber wer kann schon in dieser Welt ohne Widersprüche leben. Die Fluktuation ist hoch, die Frau liest weiter. To stay, to go, Transit und Verweilen, der Kaffee wirkt.

Die Ziele von Starbucks waren hoch gesteckt. Noch 2002 plante man bis Ende 2007 über 180 Filialen in Deutschland. Der Plan geht nicht auf, das urbane Publikum trinkt nicht mit, die Kette stößt in Deutschland auf einen bereits etablierten Markt, der von Kaffeehäusern nach Wiener Vorbild, italienischen Espresso-Bar-Abkömmlingen und „szenigen“ Cafes besetzt ist. Auch für die anderen Ketten wie San Francisco Coffee Company und Balzac ist Old Germany ein hartes Pflaster. Leiser Marktführer war 2002 laut „Food Service“ Segafredo mit 81 Outlets und einer interessanten Strategie: Der italienische Kaffeeröster kooperiert mit zwei Tankstellennetzen (Agip und Esso) sowie mit der Mitropa, was Präsenz in Bahnhöfen ermöglicht.

In den privat geführten Kaffeehäusern ticken die Uhren anders. Hier hängt man entweder beim Milchkaffee ab oder gibt sich sein zerebral-gutturales Stößchen. Der Inhaber ist oft Kaffeefan aus Leidenschaft. Diese atmosphärischen Sitzcafes wollen wenig gemein haben mit der alten, an die Konditorei angehängte Oma-Stube. Durch Wärme und Gemeinschaft etablieren sie den „dritten Ort“, einen Platz zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Das ist nichts neues, sondern aus der Wiener Kaffehauskultur abgeschaut. Dort sollen sich manche Literaten ihre Post ins Cafe gebracht haben lassen. Heute bietet das moderne Cafe ebenfalls ein ideales Ambiente, gerade für die Scharen von halbkreativen Halbarbeitslosen, die auf das nächste Teilzeitprojekt warten und die vielen Mutter-Baby-Einheiten, die auf das nächste Kind warten.

Vati und die halbglücklichen Festangestellten ziehen die agressivere Variante des Koffein-Schubs vor. Sie stürzen den doppelten Espresso in der Mittagspause, das garantiert Arbeitswut. Der To-Go-Hype ist die bürgerliche Variante des Kokain-Booms, Starbucks dealt die Kaffee gewordene Globalisierung. Was verdrängt wird: Die alleinige Nutzung von Kaffee als gesüßtes Aufputschmittel zur Aufrechterhaltung der Arbeitsleistung fordert seine Opfer letztlich wahrscheinlich nicht viel anders als der Missbrauch anderer Stimulantien, wie Koka, Kath oder Ephedra. Irgendwie haben es die Kaffee-Vermarkter im Einklang mit dessen Konsumenten allerdings geschafft den Teufelstrank im Gegensatz zu anderen Anregungsmitteln als harmloses Stimulantium zu etablieren.

Die Marktforschung erforscht den Trend und gibt die Erkenntnisse weiter: Der Deutsche trinkt im Jahr über 150 Liter Kaffee. Gerade das junge, angemessen situierte Zielpublikum feiert in der Nacht, will aber am nächsten Morgen fit sein. Party-Gänger sind enorm koffeinaffin, am Morgen danach hilft die schicke Espresso-Schleuder, die als Prämie beim Kauf des Ipod mitgeliefert wurde. In Folge weiter Verbreitung ist Kaffee seit zwei Jahrhunderten aus dem Fokus drogenpolitischer Zwangsmaßnahmen geraten. Ein Umstand, der sich, wie sich an anderen Substanzen zeigen lässt, durchaus ändern kann.

Sultan Murad der IV. (1623-1640) verfolgte Kaffeetrinker mit Folter und Todesstrafe, da er die Kaffeehäuser für Orte des politischen Widerstandes hielt. In Hessen war ab 1766 eine 14-tägige Gefängnisstrafe für das Trinken von Kaffee vorgesehen. Das galt für Arme, Reiche durften Trinken, wenn sie einen Obolus in die Staatskasse zahlten. Friedrich der II. von Preußen erklärte ein Monopol auf die Einfuhr und das Rösten von Kaffee. Es wurden Kaffeeschnüffler eingesetzt, um das schon damals in der Bevölkerung beliebte Produkt zu entdecken. Seit zwei Jahrhunderten gilt Kaffee nun als versinnbildlichte Nüchternheit und Trockenheit der protestantischen Arbeitsethik, die To-Go-Variante ist letzter Ausfluss dieser Entwicklung. Es kann durchaus vermutet werden, dass Kaffee auch deshalb nach Definition der Weltgesundheitsorganisation nicht als Suchtmittel gilt, weil er die Arbeitsfähigkeit und die Leistungsbereitschaft nicht zu beeinträchtigen scheint.

Von der viertelstündigen Anflutungsphase des Koffeins merke ich nichts, ich stehe bereits nach fünf Minuten in Schweiß und hacke Buchstabenfolgen in die Tastatur. Besonders kreativ fühle ich mich nicht, dafür ist die Atmosphäre bei Starbucks nicht so ganz mein Ding. Ab mit dem Fahrrad Richtung Karo-Viertel, dort, in einem unorganisierten Cafe ist es ruhiger. Vielleicht der bessere Zustand des Kaffee-Genusses: Außen steht die Zeit still und innen werkelt die sanfte Konzentration. Wie sagte der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar so schön: „Ins Kaffeehaus gehen Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen.“

Wirkung und Dosierung

Koffein ist die weltweit am häufigsten konsumierte pharmakologisch aktive Substanz. Koffein (= Thein=Guaranin) in Reinform ist ein weißes, geruchloses Pulver, das von dem Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge 1820 erstmals aus Kaffeebohnen isoliert wurde. Eine starke Tasse Kaffee entspricht einer „vernünftigen“ Koffein-Dosierung (100 mg), die optimal wirksame Menge ist aber von Menschen zu Mensch unterschiedlich. Ein kleiner Espresso enthält circa 40 mg Koffein, eine Tasse Schwarztee bis zu 50 mg, Vollmilchschokolade rund 15 mg pro 100 g-Tafel, Halbbitterschokolade sogar 90 mg pro Tafel. Coca Cola bringt es auf rund 30 mg in der 330er Dose. Die maximale Konzentration im Blut wird 15-20 Minuten nach der Einnahme erreicht. Tee flutet langsamer an als Kaffee, wirken tut die Substanz dann 1-4 Stunden, je nach Stoffwechsel des Konsumenten. Bei Menschen liegt die tödliche Dosis bei ungefähr 10 Gramm Koffein, also etwa 100 Tassen Kaffee.

 

Ein weiterer Beitrag aus dem Hanfblatt zum Thema:
Extrakt eines Koffein-Junkies. Eine Koffein-Topologie

 

 

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Koffein – Ein Streckbrief

Aus dem Hanfblatt, Nr. 106, März 2007

Extrakt eines Koffein-Junkies

Eine subjektive Kurzbilanz der Möglichkeiten und internationale Topologie des beliebten Wachmachers

Ja, ich bin koffeinabhängig, und das ist auch gut so. Ja, ich konsumiere Koffein, auch wenn mich die nervositäts- und gereiztheitsfördernde Wirkung gelegentlich ebenso nervt, wie die sich vehement artikulierende Darmperistaltik, die Rumpelkammer im Magen, Sodbrennen und saures Aufstoßen, das ungeile Körpergefühl, die schlechte Durchblutung von Haut und Extremitäten, die Stauung in den Krampfadern, die Blähung der Hämorrhoiden, der Kopfdruck bis hin zum Kopfschmerz, die vielen unangenehmen Nebenwirkungen, die bisweilen auftreten können. Ja, manchmal erreiche ich durch die Einnahme überhaupt nicht, was ich erzwingen will, werde schlapp und todmüde anstatt aufgeputscht, laberfreudig, konzentriert und wach. Ja, ich habe Angst vor dem Entzug, ein oder zwei Tagen bohrenden Kopfschmerzen und einem tagelang anhaltenden Gefühl der Mattigkeit und dem wiederkehrenden Gedanken, jetzt was mit Koffein, das wärs, und die kommende Zeit bin ich gerettet, besonders morgens und mittags und nachmittags und am frühen Abend. Ja, wenn ich es mal zur Abstinenz schaffe, dann baue ich regelmäßig meine von langer Hand geplanten Rückfälle. Ja, ich war in den letzten zwei Jahrzehnten nie länger als ein ganzes Jahr koffeinabstinent. Oha, und das mach mir erst mal einer nach.

Ich kenne praktisch keine Koffeinabstinenzler. Denn Koffein ist in zahlreichen Pflanzen und Produkten enthalten. Und man kann sie jederzeit konsumieren ohne strafrechtliche Konsequenzen dafür befürchten zu müssen, auch auf der Arbeit oder im Straßenverkehr. Kein Lebensabschnittspartner zwingt mich mit meiner Tasse Koffein-Dröhnung auf den zugigen Balkon. Niemand schnappt mich und führt mich in Handschellen ab, wenn ich von meinem Koffein-Dealer ein Pfund fein gemahlenen Stoff nach Hause trage um mir einen Schuss (Espresso) zuzubereiten. Überall kann ich problemlos Nachschub besorgen, notfalls an der Tanke. Ja, als Koffein-Junkie bleibt es allein mir überlassen, was ich wann, wo und wie zu mir nehme. Herrliche Zeiten, wurden doch einst Koffeinkonsumenten eingesperrt, verstümmelt oder umgebracht. Wobei sich schon wieder mancherorts so etwas in dieser Richtung herauszukristallisieren scheint, wenn es um die Reinsubstanz, den Stoff auf dem das aufgeregte Zittern basiert, das Koffein, geht. In der Volksrepublik China, dem Land des Tees und in Folge des lokalen Wirtschaftswunders neuerdings auch begeisterter stylischer Kaffeetrinker, wird das reine Koffein als gefährliche Droge klassifiziert.

Ein Potential für Denunziatoren bietet sich also auch wieder beim Koffein. Bis dato zapft man in erster Linie Steuern aus der Leidenschaft für den banalen zerebralen Treibstoff des materialistischen Arbeits- und Konsumalltags, zu dem sich die einst in rituellen Kontexten mit spirituellen oder das Sozialleben fördernden Intentionen eingenommenen Koffein-Drogen entwickelt haben. Und ich bin einer von Vielen, einer unter Gleichen, einer von Euch. Auch wenn wir selbst untereinander den Grad unserer Abhängigkeit gerne leugnen, wissen wir doch im Grunde alle Bescheid: Ohne unser Käffchen, unseren legalen Kick, unser Koffein-Äffchen, wollen und können wir nicht sein. Warum auch? Man gönnt sich doch sonst nichts! Jeder hat seine individuelle Suchtgeschichte. Mit Muttermilch fing alles an.

Mate (Ilex p.) im Supermarkt Salta, Argentinien, 2008
Mate (Ilex p.) im Supermarkt Salta, Argentinien, 2008

 

Ich weiss noch, wie ich von einem Klassenausflug aus dem Hamburger Freihafen meine ersten grünen Kaffeebohnen mitbrachte. Die röstete ich zu Hause im Topf auf der Herdplatte, mahlte sie mit Omas alter Kaffeemühle, dann wurde frisch aufgebrüht und -voila- mein erster Filter-Kaffee war fertig, zu meinen Geschmacksknospen zwar nicht gerade zärtlich, aber in seiner natürlichen Vollkommenheit unvergeßlich, der Beginn einer großen Leidenschaft. Filter-Kaffee ist meines Erachtens immer noch die beste Art und Weise den Charakter eines guten Arabica-Kaffees zu erkennen. Man unterscheidet nach Ländern und Provenienzen, teilweise auch nach Plantagen. Aus vielen Tropenländern kommen exzellente Kaffees, besonders aus Guatemala, Kolumbien, Äthiopien und Indonesien. Zu den auf Grund ihrer geringen Produktionskapazität raren und wegen ihrer hohen Qualität besonders nachgefragten und daher teuren Kaffees zählen der Jamaica Blue Mountain, ein geradezu idealer Kaffee, der von der Insel Kona (Hawaii), eher sanft und abgerundet, Kaffee von den Galapagos-Inseln (Ecuador) und St.Helena.

Seit dem Kaffeespezialitätenboom in den Neunzigern tauchen immer neue Spezereien auf. Der von wilden Kaffeebäumen stammende Waldkaffee aus Äthiopien ist eine dieser interessanten Entdeckungen. Was leider die Ausnahme bleibt, sind ökologisch verträglich angebaute und fair gehandelte Kaffees. Initiativen für diese Richtung sind unbedingt zu unterstützen. Diese sollten aber nie die Qualität aus dem Auge verlieren. Geschmack und Wirkung müssen einfach optimal sein. Ein schlechtes Gewissen allein ist kein guter Konsumratgeber und nichts worauf man auf Dauer verbesserte ökonomische Verhältnisse aufbauen kann.

Wenn Kaffee wirkungstechnisch das „Crack“ unter den Koffein-Drogen ist, dann ist Guarana das „Speed“. Eine sanftansteigende und relativ langanhaltende Wirkung versprechen die gerösteten und gemahlenen Samen dieser brasilianischen Regenwaldliane (Paullinia cupana). Ein Teelöffel des hellbraunen feingemahlenen Guarana-Pulvers mit Bourbonvanille-Rohrohrpuderzucker vermengt und in einem Becher kalter Bio-Vollmilch eingerührt bilden ein köstliches Getränk. Beim Guarana gibt es aber leider erhebliche Qualitätsunterschiede. Gutes Guarana ist nicht zu dunkel geröstet, riecht nicht muffig oder gar schimmelig und schmeckt auch nicht erdig oder holzig, sondern leicht bitterlich scharf mit einem ganz eigenen leckeren Aroma. Auch der Wirkungsbogen ist wie beschrieben, bei schlechteren Qualitäten jedoch deutlich kürzer und entweder schwächer oder nervöser. Ich muss zugeben, dass ich trotz jahrelangen Konsums selten überzeugende Qualitäten bekommen habe. Eine Probe einer Kosmetikzubehörfirma, die für mich behördlich analysiert wurde, enthielt gar ein ganzes Potpourrie an Schimmelarten. Der Dilettantismus bei Einkauf und Lagerung hat zu einem nachlassenden Ruf beim Guarana geführt.

Ende der Achtziger marktschreierisch angepriesen und überteuert verkauft, findet man Guarana jetzt häufiger als Bestandteil in Lebensmitteln oder in Pharmapräparaten als als Reinsubstanz zur eigenständigen Getränkezubereitung, traurig eigentlich. Brasilianische mit Guaranaextrakten aromatisierte Limonaden stellen übrigens schon lange eine passable Alternative zu Cola-Getränken dar. Man denke zum Beispiel an „Brahma-Guarana“ oder „Guarana-Antarctica“, die 2006 die schlappe brasilianische WM-Fußballmannschaft sponsorten.

Aus Südamerika stammt auch Mate, ein Heißwasseraufguß der getrockneten oder gerösteten Blätter des Mateteebaums (Ilex paraguariensis). Traditionell wird Mate mit Lippenverbrennungsrisiko für Ungeübte durch ein Metallröhrchen mit eingebautem Sieb, der Bombilla, aus einem kleinen Kalebassenkürbis getrunken. Diese Paraphernalia stellen beliebte Mitbringsel für Reisende zwischen Südbrasilien und Argentinien dar. Trotz postulierter Gesundheitsvorteile und wiederkehrender Werbekampagnen hat sich das zwar koffeinhaltige aber nicht besonders aufregend schmeckende Getränk keinen nennnenswerten Markt jenseits der Reformhäuser erobern können. In Teemischungen taucht es dagegen regelmäßig auf, und mit dem erfrischenden „Club-Mate“, einem zuckerhaltigen Kaltgetränk auf Mate-Basis steht Feierwütigen eine angenehme Alternative zu Cola-Getränken zur Verfügung.

Ähnlich von Wirkung und Geschmack, aber wesentlich obskurer ist Guayusa. Die Blätter des Guayusa-Baumes (Ilex guayusa) kann man zu kleinen Bündeln zusammengefasst in Kräutergeschäften in Ekuador erwerben. Von einem Volksgenussmittel kann man bei Guayusa allerdings nicht sprechen. Es handelt sich um ein Heilkraut, dass von diversen indigenen Stämmen der Region rituell eingenommen wird. Dabei wird auch die in größerer Menge getrunken brechreizbefördernde Wirkung zur inneren Reinigung genutzt.

Jenseits seines Vorkommens praktisch unbekannt ist Yoko, nein nicht Ono, sondern Yoco, die Rinde der Stengel der in Kolumbien und Ekuador spriessenden und mit Guarana verwandten Dschungel-Liane Paullinia yoco. Das Besondere an Yoko ist, dass aus der Rinde ein Kaltwasserauszug bereitet wird. Verwendet wird das wildwachsende frische Yoco als morgendliches Aufputschmittel. Dabei stellen die von Yoco begeisterten Stämme einen anscheinend besonders viel Koffein enthaltenden Auszug her. Die Liane soll sehr langsam wachsen und dürfte sich somit einer kommerziellen Nutzung widersetzen.

Die Edelste unter den Koffeinpflanzen ist der Tee (Camellia sinensis). Der aus Südchina stammende Baum, der über tausend Jahre alt werden kann, wird im kommerziellen Anbau in der Regel so zusammengestutzt, dass man ihn gemeinhin nur als Teestrauch kennt. Auf Bergen angelegte Teeplantagen gehören zu den landschaftlich reizvollsten Monokulturen. Wie aber auch bei Kaffee und Kakao ist die Geschichte des Teeanbaus in weiten Teilen und in vielen Regionen bis zum heutigen Tag auch eine Geschichte der Ausbeutung von Mensch und Natur. Tee ist ohne Zweifel die vielseitigste der Koffeindrogen. Durch verschiedene Verarbeitungsmethoden gibt es ein breites Spektrum an Produkten mit unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen und auch Koffeingehalt. In Ostasien, ausgehend von China über Korea, aber zur Perfektion verfeinert in Japan, hat sich eine einzigartige Teekultur entwickelt, die den Genuss zur spirituellen Erfahrung werden lassen kann.

Die größte Vielfalt des Tees als Produkt lässt sich zweifelsohne in der Volksrepublik China erfahren, vom bei hohen Qualitäten jahrelang lagerbaren und nur schwach Koffein-haltigen Pu-Erh-Tee aus Yunnan über weiße, gelbe, rote und schwarze fermentierte Tees bis zu legendären Grüntees, wie den leider wie allgemein verbreitet meist mit Pestiziden gespritzten berühmten Longjing-Tee vom Westlake, der frisch geerntet in heißen Pfannen getrocknet wird, und dessen bessere Qualitäten bereits vor Ort 60 Euro pro 100 Gramm kosten. 100 Gramm der Spitzenblätter einiger alter kaiserlich ausgezeichneter Longjing-Teesträcher wurden 2005 gar für knapp 14.500 Euro ersteigert. Für 3 Gramm über 60 Jahre gelagerten Pu-Erh-Tee zahlte ein chinesischer Liebhaber knapp 1.000 Euro. Hier kennt die Narretei also genauso wenig Grenzen wie unter Weinfreunden. Wer wirklich stimuliert werden möchte, sollte qualitativ möglichst hochwertigen Grüntee trinken oder sich auf halbfermentierten Oolong-Tee einlassen. Taiwan bietet exzellente Qualitäten. Relativ viel dieses Tees wird mehrfach hintereinander aufgegossen, aber immer nur für kurze Zeit ziehen gelassen. So erhält man ein maximales Geschmackserlebnis und dabei eine ordentliche Dosis Koffein. Die aufgegangenen Blätter sind obendrein ein Augenschmauß und lassen weitere Schlüsse über die Qualität zu. In der Regel gelten die früh im Jahr gesprossenen obersten Blätter mit Triebspitze als Topqualität. In den auf Massenproduktion von Schwarztee ausgerichteten Ländern wie Sri Lanka hat man vor Ort dagegen oft Schwierigkeiten auf die Schnelle wirklich gute Qualitäten zu finden. Das Meiste geht zur Devisengewinnung in den Export. Wie bei Kaffee bleiben oft nur schlechtere Qualitäten im Land.

Noch deutlicher kann man dies beim Kakao erfahren. Dieser aus Mittelamerika stammende Baum (Theobroma cacao) liefert Früchte mit einem leckeren weißen an Litschis erinnernden aber schleimigen Fruchtfleisch, das den einheimischen Kindern in einer Plantage auf Java, durch die wir in den Achtzigern spazierten, wohl mundete. Was man allerdings aus den darin enthaltenen Kakaosamen in den reichen Ländern herstellt, nämlich Schokolade, das kannten sie nicht. Das was damals an Schokolade in diesen Anbauländern erhältlich war, war ein äußerst bescheidenes und für einheimische Verhältnisse sehr teures Angebot importierter harter tropentauglicher Ware für westliche Reisende. Man stelle sich derartige Verhältnisse einmal für den Weinanbau am Rhein vor. Andererseits hat dagegen Mexiko als Heimatland des Kakaos eine richtige Trinkschokoladenkultur mit spezialisierten Geschäften, die köstlich nach geröstetem Kakao duften, und die zu erkunden sich unbedingt lohnt. Man vergleiche ihre Produkte aber nicht mit der mittlerweile exaltierten Schokoladenspezialitätenkultur, wie sie sich seit den Neunzigern besonders in Mitteleuropa etabliert hat. Es bringt sicherlich Spaß auch im Kakao immer neue abenteuerliche Geschmacksrichtungen zu entdecken, aber ob sich dieser Trend langfristig wird halten können, bleibt abzuwarten. Schokoladengeniesser sollten diese Welle, die bis in den letzten Supermarkt geschwappt ist, ruhig auskosten. Der Koffeingehalt von Schokolade ist gering. Wenn man allerdings Koffein-abstinent lebt und dann eine Tafel Bitterschokolade verspeist, wird man durchaus einen Effekt vergleichabr einer Tasse Tees oder Kaffees verspüren können. Leider bekomme ich von manchen gerade auch teuren Bitterschokoladen ausgeprägte migräneartige Kopfschmerzen.

Die letzte bedeutende koffeinhaltige Pflanze ist der Kola-Baum (Cola ssp.). Seine frischen rotbraunen oder weißen Samen spielen im kulturellen Leben Westafrikas eine wichtige Rolle. In afrikanischen Geschäften kann man die frisch eingeflogenen „Kolanüsse“ („Colanuts“) bisweilen günstig kaufen. Man muss sie dann entweder baldigst kauen (ein Viertel bis ein Drittel einer Samenhälfte dürfte fürs Erste genügen), zügig trocknen oder in Schnaps einlegen um sie haltbar zu machen. Ein Enzym sorgt für schnelle Rotbraunverfärbung an der Luft. Auf Grund des Feuchtigkeitsgehaltes sind die Samen sehr schimmelanfällig. Im getrockneten Zustand gilt das schon für Guarana Gesagte. Vorsicht vor Schimmel und dergleichen! Kolanüsse enthalten zwar ziemlich viel adstringierende Gerbstoffe und bedeutende Mengen des bitteren Koffeins, haben aber auch korrekt verarbeitet ein charakteristisches Aroma. Sie dürfen nicht muffelig oder pilzig riechen oder schmecken. Nicht umsonst werden sie seit über hundert Jahren zum Aromatisieren von Erfrischungsgetränken benutzt. Der Koffein-Gehalt von Kola-Getränken und den meisten Kola-Zubereitungen (Schokakola, Kola-Dallmann usw.) basiert allerdings auf künstlich zugesetztem Koffein. Würde man ganz auf Kola-Samen setzen, wäre das Produkt auf Grund der einzusetzenden Menge möglicherweise ungenießbar. Einer meiner besten Liköre basierte auf frischen weißen und roten Kolasamen in Wyborowa-Wodka fein vermahlen, mit Bourbon-Vanille angesetzt und ziehen gelassen, dann abgefiltert und mit Ahorn-Sirup verfeinert. Lange Zugzeiten und diverse Nachfiltrationen nahmen ihm seine Gerbstofflast, aber beließen das charakteristische Aroma und eine Up-up-in-the-sky-Koffein-Potenz bei einer wunderbar klaren rotbraunen Farbe.

Wer nach Koffein giert, kann mittlerweile auf eine enorme Palette an angereicherten Bonbons, sogenannten „Energy“-Getränken und medizinischen Präparaten, die den schnellen Kick versprechen, zurückgreifen. Percoffedrinol (50 mg, bis Anfang 1984 noch zusätzlich mit 13 mg Ephedrin HCl pro Tablette!) und Coffeinum-Tabletten (200mg pro Tablette) sind reine Koffein-Präparate. An Koffein führt kein Weg vorbei. Und wer sich fragt, was Koffein aus uns macht, der greife einmal zu dem amerikanischen Kult-Comic „Too Much Coffee Man“ von Shannon Wheeler. Beissender und pointierter kann man das neurotisch-wahrhaftig-wahnhaftige Kreisdenken eines archetypischen Koffein-Addicts wohl kaum darstellen.

 

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Ein Interview mit Jerry Beisler über den Haschisch-Trail und darüber hinaus

HanfBlatt, Nr. 105

Der Bandit von Kabul

Ein Interview mit Jerry Beisler über den Haschisch-Trail und darüber hinaus

Der Autor und Dichter Jerry Beisler hat kürzlich ein sehr schönes autobiographisches Buch vollendet, in dem er von seinen Erfahrungen in den Siebzigern berichtet. Er stieß in Kabul/Afghanistan zum berüchtigten Haschisch-Trail, exportierte Tibetanische Teppiche aus Kathmandu, baute in Kalifornien Marijuana an, promotete als Freund die Musik von Jerry Garcia, Jefferson Starship, Santana, Fleetwood Mac, David Crosby, Taj Mahal und der Mike Bloomfield Band und so weiter. Für Old-School-Hanf-Aficionados sind die Erinnerungen ein Lesevergnügen, in das abzutauchen Spaß bringt. Im gleichen Atemzug sind sie ein einzigartiger, dabei auch repräsentativer Teil der kollektiven Erinnerungen dieser für die Entwicklung der internationalen Gegenkultur so wichtigen aber nun mehr längst vergangenen Zeit. Eine Fülle von Schnappschüssen aus dem Hippie-Leben bieten zusätzlichen Augenschmauß. Ich überraschte Jerry während des Aktes: Er schreibt an drei weiteren Büchern, die sich mit den Sechzigern beschäftigen („Hoosiers and Hippies“), den Achtzigern („Cocaine Cowboys“) und – erraten – den Neunzigern („Paradise, Pain and Production“). Er nennt diese Serie „As the Prayer Wheel Turns“. Was mich betrifft muss ich die Gebetsmühle im Namen des Hanfblattes stoppen, um ihm, auch wenn in seinem Buch „The Bandit of Kabul“ mehr steckt als faszinierende Dope-Stories, ein paar bohrende Fragen von besonderem Interesse für unsere wissbegierige Leserschaft zu stellen.

Hanfblatt: 1971, in den Zeiten vor Handy, Internet, Walkmen und globalem Satelliten-Fernseh-Overkill selbst im abgelegensten Dorf, hast Du die USA verlassen, um dich mit deinen Freunden auf dem bereits etablierten sogenannten Hippie- oder Hashish-Trail zu treffen, dem magischen Pfad von Europa durch die Türkei, den Iran, Afghanistan und Pakistan nach Goa in Indien und Kathmandu in Nepal und darüber hinaus zu vielen anderen Plätzen Asiens. Was war dein Beweggrund?

Jerry Beisler: Der sich entwickelnde Polizeistaat in den USA. Meine Freunde und ich waren gegen den völkermörderischen Krieg, der in Vietnam tobte. Wir kamen aus der politisch aufgeladenen Bürgerrechtsbewegung und waren Ziele für inszenierte Razzien gewesen. Im „Bandit von Kabul“ kulminiert diese Unterdrückung in einer Massenverhaftung, die sich gegen Anwälte richtete, die Kriegsdienstverweigerer und Cannabisfälle verteidigten. Wenn die Regierung anfängt, Rechtsanwälte anzuvisieren und einzuschüchtern, bleibt friedliebenden Menschen keine Verteidigung mehr übrig. Sein Land zu verlassen und ins Exil zu gehen war über Jahrhunderte hinweg die einzige Wahl, wenn Tyrannei regiert.

Hanfblatt: Was für Menschen hast Du auf dem Haschisch-Pfad getroffen? Wie würdest Du die Szene beschreiben?

Jerry Beisler: Es hing davon ab, ob du beispielsweise mit dem Red-Eye-Charterflug billig über Island oder Frankfurt anreistest oder auf dem Weg in die Hände eines verzweifelten Diebes oder eines korrupten Zöllners fielst. Auch, ob du krank wurdest oder tödlich erkranktest, war häufig reine Glückssache. Das gesagt, überlebten die, die etwas über Tibetische und Ayurvedische Medizin lernten, drei Pfeifen rauchten anstatt drei Tage in einer Opiumhöhle abzuhängen und darüber hinaus geschäftstüchtig etwas ins Laufen brachten.
Die Szene war ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Es gab kreative Leute, die großzügig gaben, wohltätige Geister, die ihren Weg in Waisenhäuser und Flüchtlingslager fanden. Andere liefen in die Arme von Gurus, begannen spirituelle Lebensweisen oder begaben sich auf hochabenteuerliche Bergwanderungen, Flussfahrten oder die wildesten, verrücktesten und gefährlichsten Busfahrten, die man sich vorstellen kann. Einige Leute rauchten Dope, blieben im Hotelgarten und genossen Tee und Philosophie. Das Beste an „der Szene“ war, dass Alle Reiseerfahrungen und Informationen über die lokale Politik oder Geschichte austauschten und sich generell an der Anwesenheit der Anderen erfreuten, unabhängig von ihrem ethnischen oder religiösen Background. Junkies sind eine Szene und ein Kapitel für sich. Das kann jemand anderes schreiben.

Hanfblatt: Durch welche Art von Unternehmungen schafften es die Leute auf dem Trail zu überleben?

Jerry Beisler: Amsterdam war so ein Geldmagnet, dass es alles verschlang. Einige Leute zogen ausschließlich aus diesem Markt Vorteile. Im „Bandit von Kabul“ beschreibe ich ein Hotel in Indien, das 60 Räume hatte. In jedem Raum wurden Koffer mit falschen Böden präpariert, um sie mit Haschisch hauptsächlich aus Kashmir, Manali und Nepal speziell für den Schmuggel nach Amsterdam zu präparieren. Es gab allerdings auch noch andere Märkte. Andere handelten mit Antiquitäten, Schmuck und Teppichen. „Der Bandit von Kabul“ dokumentiert, dass die schräge Wirtschaftspolitik verschiedener asiatischer Länder in bizarrer Weise Geschäftsmöglichkeiten schuf. Zum Beispiel Indira Gandhi, Herrscherin Indiens in den Siebzigern, verbot zu einem bestimmten Zeitpunkt Gold. Inder lieben Gold. Man stelle sich die finanziellen Möglichkeiten vor, die sich dadurch boten, dass Indien von Ländern umgeben war, in denen Gold reichlich und legal vorhanden war.

Hanfblatt: Du hast dich mit deiner Freundin in Kabul niedergelassen. So wie Du es beschreibst, muss Afghanistan in jenen Tagen ziemlich gefährlich gewesen sein. Die Leute waren nicht an westliche Menschen gewöhnt und noch weniger an Hippies und ihre freiheitsliebenden Frauen. Was war die Faszination von Afghanistan in den frühen Siebzigern?

Jerry Beisler: Freiheit. Pure unverschnittene Freiheit. Zusätzlich war ich ein Pferdenarr. Ich habe seit meinem sechsten Lebensjahr geritten. Wie ein Fußballer in Europa in der Weltmeisterschaft mitspielen möchte, wollte ich mit den großen Reitern der Steppe reiten. Ökonomische Freiheit. Der Geldmarkt hatte 95 lizensierte Händler, die für eine kleine Gebühr jede Währung der Welt gegen jede andere tauschten. Für einige der kleinen abgeschiedenen Länder der Welt brauchte es ein oder zwei Tage, aber es war Geld gegen Geld. Außerdem waren die Reisenden, die sich nach Afghanistan hingezogen fühlten und keine Junkies waren, körperlich auf der Höhe und intelligent. Sogar das Botschaftspersonal und die Afghanischen Beamten waren angenehm. Alleinreisende Frauen waren in den beiden weltoffensten Stadtteilen von Kabul-Stadt absolut sicher. Überall sonst im Land war es geschlechtsunabhängig, Hund frißt Hund, Überleben des Stärkeren.

Hanfblatt: Du wurdest Teil von einigen Haschischschmuggel-Aktionen. Der berühmte Schwarze Afghane wurde zum boomenden Dope-Markt in den liberalen Niederlanden geschafft. Was war das Geheimnis einer erfolgreichen Haschischschmuggel-Operation in dieser Zeit?

Jerry Beisler: Diplomaten und ihre unmittelbaren Günstlinge. Königliche Lizenzen in Großbritannien. In den USA waren es Zollspeicher. Nichtsdestotrotz braucht man Leute mit Mut und Integrität um den wichtigen Schritt von den verzweifelten Farmern in die Umgebung eines asiatischen Flughafens zu machen. Der kleine Sprung von irgendeinem abgelegenen Bergdorf über den Khyber-Pass oder die Berge runter von Manali trennt den Mutigen vom Hochmütigen.

Hanfblatt: Welche Art von Operationen waren zum Scheitern verurteilt?

Jerry Beisler: Alle Schmuggelaktionen, die ein Tier mit einschlossen. Leute versuchten Käfige voller Haschisch für alle möglichen Tiere dieses Planeten zu bauen, so scheint es. Sie schickten Durchfall-gebeutelte, finanziell abgebrannte weibliche „Mulis“ mit henna-rotgefärbten Haaren auf jeder Billigairline los, die noch einen freien Sitzplatz hatte. Das hat sicherlich einen komischen Aspekt, unter dem all die durchgeknallten gescheiterten Ideen zu einem Film verarbeitet werden könnten.

Hanfblatt: Du hast auch die Installation der wahrscheinlich ersten Hasch-Honigöl-Produktionsanlage in Afghanistan mitgekriegt. Kannst Du uns darüber etwas berichten?

Jerry Beisler: Die Ladaine-Kommission in Kanada hatte 1968 einen Nationalen Bericht zur Cannabisforschung herausgegeben. Sie publizierten jedes Fünkchen vorausgegangener Cannabisstudien, pharmazeutischer Verkäufe und medizinischer Anwendungen, die gedruckt worden waren. 1923 und 1924 hatten zwei große Amerikanische Firmen per Postversand bestellbar eine Haschischöl-Tinktur im Angebot. Durch den Ladaine-Report wurde ich auf Hasch-Öl aufmerksam. Ich wurde in Afghanistan einfach darin involviert als der Erste, der es ohne eine richtige Ahnung für eine Vermarktungs- oder Geschäftsstrategie wiederbelebte. Ich dachte, gelagerte Flaschen goldenen Öls würden nicht viel anders sein als feiner Wein in einem Keller. Eines Tages wollte und nahm jemand die Idee und sie pumpte Geld und Arbeit in eine lokale Ökonomie, die in großer ökonomischer Not war.

Hanfblatt: Eine eigenartige Sache für ältere Europäer ist, dass Du Marijuana gegenüber Haschisch bevorzugtest. Du hast in Kabul sogar einen Gärtner angestellt, um dir einen Bestand an Acapulco Gold zu pflanzen. Kannst Du erklären warum? Wie entwickelte sich das Grass unter Afghanischen Bedingungen? Hast Du Kreuzungsexperimente gemacht?

Jerry Beisler: Keine Zuchtexperimente an sich. Akmed Ahmen war ein Marokkanischer Lieferant von Cannabisprodukten für die Rockstars Pete Townsend, Jim Hendrix, Keith, Mick und Brian Jones von den Rolling Stones. Akmed hatte große Schwarzweiß-Fotos von jedem von ihnen, wie sie im Garten seines Wohnhauses in Tanger rauchen. Im selben Haus überzeugte mich Akmed, dass Haschisch zu stark sei um es außer bei seltenen Gelegenheiten zu benutzen. Ich folgte seinem Ratschlag. Alle Grass-Samen, die ich oder irgendjemand von denen, die ich kannte, in einem anderen Klima oder Kontinent anzubauen versuchten, so die einhellige Meinung, entwickelten sich dürftig im ersten Jahr, passten sich dann aber klimatisch an und gediehen.

Hanfblatt: Zurück in den Bergen von Kalifornien fingst Du an Marijuana anzubauen und wurdest Teil der aufblühenden Homegrowing-Industrie. Aber zunächst war es nicht einfach, Dein Selbstangebautes zu verkaufen. Wie hast Du es geschafft, potentielle Kunden für dein Produkt zu interessieren?

Jerry Beisler: T-Shirts mit Slogans wie „Sweet and Spicy“ oder „Grown 1000 meters up in the Flavor Zone“. Ich gab sie als Erinnerungsstück zu jedem Kauf dazu, und sie wurden auf ihre Weise Sammlerstücke. Im Nachhinein amüsant ist, dass die Grower-Szene so paranoid war, dass es schwierig war einen T-Shirt-Produzenten zu finden, der bereit war, Shirts mit der Abbildung von Buds zu fabrizieren. Man stelle sich vor, davor Angst zu haben, für eine Zeichnung eingesperrt zu werden.

Hanfblatt: Welche Samensorten hast Du in den Siebzigern benutzt? Hast Du Kreuzungsversuche gemacht?

Jerry Beisler: Im „Bandit von Kabul“ dokumentiere ich einige der Sorten, die daraus entstanden Thai, Afghan, Sumatran, Mexican und Kreuzungen zu vermischen. Ich hab es mehr aus persönlicher Neugier gemacht, als aus irgendeiner Art wissenschaftlich botanischem Interesse heraus.

Hanfblatt: Warum hast Du 1981 mit dem Anbau aufgehört?

Jerry Beisler: Der Amerikanische Präsident Reagan erklärte den „War on Drugs“, im wahrsten Sinne des Wortes. Flugzeug- und Hubschrauber-Überwachung über privatem Eigentum und aus niedriger Höhe begannen, was den Verlust eines weiteren Bürgerrechts bedeutete. Obendrein begann die Bundespolizei mit Beobachtungen und Festnahmen rund um Gärtnereibedarfsläden.

Hanfblatt: Was wurde aus der Hippie-Bewegung, wie ich die nicht-dogmatische Gegenkulturbewegung der Sechziger und frühen Siebziger einmal nennen will? Warum ist sie zu Ende?

Jerry Beisler: Viele der Überlebenden kämpfen immer noch für die gute Sache. Die Hippies haben in zehn Bundesstaaaten das Recht Marijuana medizinisch zu nutzen erkämpft. Sie haben die grüne Bewegung vorangebracht und waren an vorderster Front in der ökologisch verträglichen Landwirtschaft. Das sickert durch zur nächsten Generation, zumal sie jetzt angefangen haben zu fordern, den Schulkindern weniger Zucker und schlechte Fette zuzuführen. Obwohl zehn Staaten cool sind, gibt es dafür zehn mehr, die einem für zehn Gramm zehn Jahre Knast geben. Um also die Frage zu beantworten: Sie ist nicht zu Ende.

Hanfblatt: Im Rückblick scheinen die Hippies subjektiv viel mehr die Speerspitze der Avantgarde gewesen zu sein als die engstirnigen politischen Dogmatiker dieser Zeit. Welche Art der Veränderungen, die immer noch nachwirken, würdest Du der Hippie-Generation zuschreiben?

Jerry Beisler: Rassische und religiöse Toleranz wurde erweitert. Der Kampf Mutter Erde davor zu bewahren durch Pestizide, Verschmutzung und Ausplünderung der Meere zerstört zu werden begann. Ich glaube, die nachhaltigste Idee wird die sein, dass im Gegensatz zu vergangenen Generationen, die an kleine beschränkte Definitionen der menschlichen Existenz glauben wollten, die Hippies an das Wachstum des menschlichen Verstandes und Bewusstseins glaubten.

Hanfblatt: Danke für die Beantwortung der Fragen. Und selbstverständlich werde ich es den Lesern überlassen, die wahre Identität des Banditen von Kabul herauszufinden.

Jerry Beisler: Peace, ich danke euch.

Das Buch:

Jerry Beisler
„The Bandit of Kabul“
Regent Press, Oakland, California, USA 2006
Pb., 251 pp., many black&white photos
ISBN 1-58790-094-7
29.95 US-Dollar

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Interviews Interviews

Interview with Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Hallucinogens and Higher Wisdom

Interview with Charles S. Grob

Charles S. Grob, M.D., is Professor of Psychiatry and Pediatrics at the Harbor-UCLA Medical Center. He is one of the rare breed of scientists that was allowed to conduct studies with empathogens and psychedelics in the recent years. In his case he was able to work with MDMA, Ayahuasca and Psilocybin. He published two
books („Hallucinogens“ and „Higher Wisdom“), that allow readers to dive into the  knowledge of emminent psychedelic researchers. We interviewed him during the „Spirit of Basel“-LSD-Symposium celebrating the 100th birthday of Albert Hofmann.

Charles Grob

adh/az: What kind of studies did you conduct with MDMA?

CG: I did a normal volunteers safety study with 18 subjects in 1994-95. There we looked at psychological and physical reactions and did some brain scans before and after MDMA. That was our only study with MDMA. After that we conducted a study with ayahuasca and psilocybin. We did separate studies, first with ayahuasca and later with psilocybin. Keep in mind that the psilocybin and ayahuasca studies were very dfifferent from one another.

adh/az: What was the reason for changing from MDMA to psilocybin?

CG: We were permitted to do a study with MDMA with normal volunteers, which we accomplished. It took a couple of years to do that. By the time we were applying again for approval to do a study with cancer patients, the field had become much more sensationalized, and also
recreational use had become more widespread among youth in the U.S.. By then the neurotoxicity issue had also become very politicized, so we decided for that reason and also because we felt psilocybin would be physiologically gentler and safer than MDMA in patients with serious medical illness, to switch our application from MDMA to psilocybin.

adh/az: Did you follow up the discussion about the neurotoxicity of MDMA?

CG: Yes. The neurotoxicity issue was flawed by very poor methodologies, statistical errors, manipulation of the data and conclusions that are not warranted. The conversant study of George Ricaurte has a number of flaws.
adh/az: Is there in the scientific community a discussion of the results of Rainer Thomasius, reputed in Germany for his „ecstasy“ studies?

CG: They say he does the same as George Ricaurte has done manipulating the data. Some scientists are searching for negative data, because that’s the way they get funded.

adh/az: How high are the psilocybin-doses that you use in your study? And what kind of psychotherapy-model do you use?

CG: We got an approve for a modest dose of 0,2 mg per Kilogram (equivalent to 14 mg for a 70 kg-person). Later I hope to climb up to 0,3 mg per Kilogram (equivalent to 21 mg for a 70kg-person). As a preparation we inform the patient about the study. We know them and they know us. The session itself is based  on the model of Stanislav Grof, mostly just guiding the patient through the experience. They lie down, put eye-shades and some head-phones attached to a CD-Player on. I just encourage them to go deeply into the experience. Every hour I check in, controlling the blood pressure and asking how they are doing. Some people may want to sit up
and talk about the experience but after a while I encourage them to lie down again. There is a lot of time for talking after the session.

adh/az: So after all the years it is still the almost 40-year old work of Grof guiding the therapists using psychedelics?

CG: Yes, he wrote and spoke more effectivly than any other I am aware of.

adh/az: You did research on the UDV (Uniao do Vegetal) in Brazil, one of three religious communities that are allowed to take ayahuasca as a sacramental drug.

CG: Yes, and I was surprised how well the people are developing. Their psychological testing was very good. In fact on certain measures they performed much better than the control group. Their personality structures looked very healthy. Some of them have had several pathologies in the past, like alcoholism, drug addiction, serious mood regulation disorders, and the current assessment was quite healthy. And all these conditions appear to be in remission. I would like to do a study which analyses the use of  ayahuasca in the treatment of alcoholics and drug addicts.

adh/az: Do you think the methods of the UDV can be an example for the sensible
use of entheogens?

CG: There are aspects of this religious group which are unique for Brazil. So for the brazilian culture it works very, very well. There are efforts to transplant it into the USA and it is more controversity here, but I think the proof is in the outcome. Many of the people transform their lives in a positive direction. There is great potential in our culture to examine how it might incorporate religious structures who use psychoactive sacraments.You need a ritual context to get good results. The compounds of ayahuasca alone might be not enough. More than other psychedelics ayahuasca is group work medicine.
adh/az: How far can we go in using psychedelics or entheogens? Are they really necessary in our society?

CG: Our cultures are in great crisis in social, economic and ecologic prospect. Horrible wars are going on. It is a very troubled world we live in. Psychedelics offer the potential to send some light and facilitating the
healing process. They have the potential to play an important role in the future going back to the planetary roots which have been damaged for centuries. This work is exhausting but a foundation for the generation
following us. To awaken for this potential accepting, open, legally  protected manners is important. Perhaps the shamanic model is providing a strong container for psychedelics.

adh/az: The shamanic model and the ritual model of groups like the UDV depend on the responsibility of their leader or leaders?

CG: Yes, that is a problem. His ethics have to be at the highest level. There is always a risk getting to people, setting themselves up as the all-knowing, all-wise gurus, who misuse and abuse their patients or followers. In the jungle of south america a lot of disreputable ayahuasceros are in it for the money. And in the western society this
problem will be getting worse, because of the seductions of the modern culture.

adh/az: You just edited a book called „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. What can the elders teach the psychedelic greenhorns?

CG: First, the elders of the psychedelic movement have great stories to tell, because they were the pioneers of a fascinating time in history. Second, people from one generation to the next don’t have to reinvent the wheel. Everone should learn from the lessons of the past. This is one problem of our culture, forgetting the lessons of the past and we keep making the same mistakes in the future.

adh/az: Which leads to the mistakes of the sixties.

CG: Sure there were mistakes. Pretty wild, pretty out of control. Efforts to create safe protected structures failed. In part because the culture wasn’t ready. Things got crazy and out of the hand. There were cases in which
unprepared people took very powerful drugs in an inadequate context without people supporting them, perhaps mixing it with alcohol or other drugs. People really didn’t understand to safeguard the experience. They looked
at it as a recreational drug which LSD and other psychedelics are not. These are powerful therapeutic tools, powerful transformative tools, powerful facilitators of religious experiences.

adh/az: Is for example Timothy Leary still a cultural hero for you?

CG: For me personally? Well, he is a fascinating figure. I met him on several occasions and was impressed by his intelligence and his sense of humor. And he articulated the concept of set and setting very early. But Tim
Leary also had a tremendous need to be in the spotlight, to get attention. Also he was a provocateur and had an animosity towards the establishment. This perhaps unneccessarily alienated parts of the culture that might have been potential allies. He wanted it all as soon as possible and for all the people. Beside that if not Tim Leary someone else would have filled that role. He is a tragic figure.

adh/az: Aldous Huxley preferred it the other way round.

CG: Yes, his concept was to introduce these drugs quiet and slowly to the leaders of the society, than there will be a ripple down effect. Leary thought that everone should have this experience.

adh/az: How would you define something called the psychedelic movement?

CG: There are young and old people who strongly identify with the counterculture of the sixties or the experience they had with psychedelics. From their perspective it is neccessary to stick together and build something like a community with analog values. The psychedelic communities from the sixties never died of and the rave and techno scene is anoffshoot of the psychedelic movement too.

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Interview mit Charles Grob

HanfBlatt Nr. 102

Halluzinogene und höhere Weisheit

Interview mit dem Psychiater Charles S. Grob

adh/az

Charles S. Grob ist Professor für Psychiatrie und Kinderheilkunde am Harbor-UCLA Medical Center in Los Angeles. Er gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die in den letzten Jahren in den USA die Wirkungen empathogener und entheogener Substanzen an Freiwilligen legal beforschen durften. In seinem Falle waren dies MDMA, volkstümlich als „Ecstasy“ bekannt, und Psilocybin, dem Wirkstoff der sogenannten „Zauberpilze“. In Brasilien untersuchte er die Rolle des halluzinogen Pflanzencocktails Ayahuasca als Sakrament in der Religionsgemeinschaft UDV (Uniao do Vegetal). Dabei handelt es sich um eine der drei Gruppen, denen dort der Gebrauch von Ayahuasca erlaubt ist.

Grob hat neben diversen wissenschaftlichen Aufsätzen zwei Bücher („Hallucinogens“ und „Higher Wisdom“) herausgebracht, in denen er wichtige Schriften bedeutender Persönlichkeiten zur Thematik und Problematik der Halluzinogene (Psychedelika bzw. Entheogene) und Empathogene (Entaktogene) versammelt. Wir interviewten ihn auf dem LSD-Symposium anläßlich des 100sten Geburtstages von Albert Hofmann in Basel. Grob ist als Interviewpartner heiß begehrt, gleichwohl nimmt er sich viel Zeit für uns.

Charles Grob Hb: Professor Grob, welche Art von Studien haben Sie mit MDMA durchgeführt?

Charles S. Grob: Ich führte in den Jahren 1994 und 1995 mit 18 normalen Freiwilligen eine Sicherheitsstudie durch. Wir beobachteten die psychischen und physiologischen Reaktionen und machten einige Gehirnscans vor und nach Einnahme von MDMA. Das war unsere einzige Studie mit MDMA. Danach führten wir eine Studie mit Ayahuasca und eine weitere mit Psilocybin durch. Dabei darf man nicht vergessen, dass diese beiden Studien sehr unterschiedlich waren.

Hb: Was war der Grund dafür, von MDMA zum Psilocybin zu wechseln?

CG: Wir hatten mehrere Jahre gebraucht, bis man uns erlaubte, an gesunden Freiwilligen die Studie mit MDMA durchzuführen. Zu dem Zeitpunkt als wir schließlich die Erlaubnis für eine weitere Studie mit Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium beantragten, war das Thema MDMA mittlerweile sehr dramatisiert worden. Auch der Freizeitgebrauch von „Ecstasy“ unter Jugendlichen in den U.S.A. hatte sich weiter verbreitet. Die Neurotoxizitäts-Problematik war stark politisiert worden. Aus diesem Grunde, und weil wir der Auffassung waren, dass Psilocybin bei Patienten mit schweren Erkrankungen physiologisch sanfter und sicherer als MDMA sein würde, beschlossen wir unseren Antrag von MDMA auf Psilocybin umzustellen.

Hb: Haben Sie sich über die Neurotoxizitäts-Diskussion auf dem Laufenden gehalten?

CG: Ja. Die Neurotoxizitäts-Thematik wurde verfälscht durch sehr schwache Methoden, statistische Fehler, Manipulationen der Daten und Schlussfolgerungen, die nicht berechtigt waren. Die umstrittene Studie von George Ricaurte weist eine Reihe von Fehlern auf.

Hb: Gibt es in der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine Diskussion der Ergebnisse von Rainer Thomasius, der in Deutschland für seine „Ecstasy“-Studien bekannt ist?

CG: Sie sagen, dass er dasselbe macht, was George Ricaurte getan hat: Manipulieren der Daten. Einige Wissenschaftler suchen nach negativen Daten, weil sie auf diese Weise finanziert werden.

Hb: Wie hoch sind die Psilocybin-Dosen, die Sie in ihrer Studie verwenden? Und welches psychotherapeutische Modell verwenden Sie?

CG: Wir erhielten die Erlaubnis für eine maßvolle Dosis von 0,2 mg pro Kilogramm Körpergewicht (entsprechend einer Dosis von 14 mg bei einer 70 kg-Person). Später hoffe ich auf bis zu 0,3 mg (entsprechend 21 mg bei einer 70 kg-Person) steigen zu können. Zur Vorbereitung klären wir die Patienten über die Studie auf. Wir kennen sie, und sie kennen uns. Die Sitzung selbst basiert auf dem Modell von Stanislav Grof, im Wesentlichen heißt das einfach den Patienten durch die Erfahrung zu geleiten. Sie legen sich hin und setzen Augenklappen und an einen CD-Spieler angeschlossene Kopfhörer auf. Ich halte sie dazu an, tief in die Erfahrung einzusteigen. Stündlich schalte ich mich ein, kontrolliere den Blutdruck und frage nach, wie es ihnen geht. Einige Leute möchten sich aufrichten und über die Erfahrung sprechen, aber nach einer Weile rege ich sie dazu an, sich wieder hinzulegen. Nach der Sitzung ist reichlich Zeit zum Reden vorhanden.

Hb: So ist es immer noch die nun mehr fast 40 Jahre alte Arbeit von Grof, die den Psychedelika einsetzenden Therapeuten als Anleitung dient?

CG: Ja, er schrieb und lehrte effektiver als irgend jemand sonst, der mir bekannt ist.

Hb: Sie haben die UDV (Uniao do Vegetal) in Brasilien untersucht, eine von drei religiösen Gemeinschaften, denen es erlaubt ist, das DMT-haltige Ayahuasca als sakramentale Droge zu nutzen.

CG: Ja, und ich war überrascht, wie gut sich die Menschen dort entwickeln. Ihre psychologischen Testergebnisse waren sehr gut. Tatsächlich schnitten sie in bestimmten Kategorien besser ab als die Kontrollgruppe. Ihre Persönlichkeitsstrukturen sahen sehr gesund aus. Einige von ihnen hatten in ihrer Vergangenheit verschiedene Pathologien gehabt, wie Alkoholismus, Drogenabhängigkeit, schwere Stimmungsregulationsstörungen, und der aktuelle Befund war ziemlich gesund. Und all diese Konditionen scheinen in Remission zu bleiben. Ich würde gerne eine Studie machen, die den Gebrauch von Ayahuasca in der Behandlung von Alkoholikern und Drogenabhängigen analysiert.

Hb: Glauben Sie, dass die Methoden der UDV ein Beispiel für den vernünftigen Umgang mit Entheogenen sein können?

CG: Einige Aspekte dieser religiösen Gruppe sind ziemlich einzigartig für Brasilien. Für die brasilianische Kultur funktioniert sie sehr, sehr gut. Es gibt Bestrebungen, sie in die U.S.A. zu verpflanzen, und es ist hier kontroverser, aber ich glaube, dass am Ende zählt, was dabei rauskommt. Viele der Menschen verändern ihr Leben in einer positiven Richtung. In unserer Kultur besteht ein großes Potential darin zu untersuchen, wie sie religiöse Strukturen, die psychoaktive Sakramente benutzen, inkorporieren kann. Man braucht einen rituellen Kontext um gute Ergebnisse zu erhalten. Die Bestandteile des Ayahuascas allein dürften nicht genügen. Mehr als jedes andere Psychedelikum ist Ayahuasca Gruppenarbeits-Medizin.

Hb: Wie weit sollte man im Gebrauch von Psychedelika oder Entheogenen gehen? Sind sie für unsere Gesellschaft wirklich notwendig?

CG: Unsere Kulturen sind in sozialer, ökonomischer und ökologischer Hinsicht in einer großen Krise. Schreckliche Kriege finden statt, wir leben in einer sehr problembelasteten Welt. Psychedelika bieten das Potential etwas Klarheit zu bringen und den Heilungsprozess zu fördern. Sie haben das Potential in der Zukunft eine wichtige Rolle dabei zu spielen, uns wieder an die planetarischen Wurzeln zu führen, die seit Jahrhunderten beschädigt werden. Diese Arbeit ist anstrengend, aber eine Grundlage für die Generationen, die nach uns kommen. Für dieses Potential akzeptierende, offene, legal geschützte Bedingungen zu schaffen ist wichtig. Vielleicht bietet da das schamanische Modell eine gute Grundlage für die Psychedelika.

Hb: Das schamanische Modell und das rituelle Modell von Gruppen wie der UDV hängt von der Verantwortlichkeit ihres Führers oder ihrer Führer ab.

CG: Ja, das ist ein Problem. Seine Ethik muss auf dem höchsten Niveau sein. Da besteht immer ein Risiko für die Menschen, sich selbst als allwissendende, allweise Gurus aufzuspielen, die ihre Patienten und Anhänger missbrauchen und erniedrigen. Im Regenwald Südamerikas sind eine Menge verrufener Ayahuasceros nur des Geldes wegen bei der Sache. Und in der westlichen Gesellschaft wird das Problem auf Grund der Versuchungen der modernen Kultur noch schlimmer werden.

Hb: Sie haben gerade ein Buch herausgebracht mit dem Titel „Higher Wisdom. Eminent Elders Explore the Continuing Impact of Psychedelics“. Was können die Alten den psychedelischen Greenhorns lehren?

CG: Erstens haben die Altvorderen der psychedelischen Bewegung großartige Geschichten zu erzählen, weil sie Pioniere in einer faszinierenden Zeit der Geschichte waren. Zweitens müssen die Menschen von einer Generation zur Nächsten nicht das Rad neu erfinden. Jeder sollte von den Lektionen der Vergangenheit lernen. Das ist ein Problem unserer Kultur, dass man die Lektionen der Vergangenheit vergisst und die gleichen Fehler in der Zukunft wiederholt.

Hb: Was uns zu den Fehlern der Sechziger führt.

CG: Sicher gab es da Fehler. Ziemlich wild, ziemlich außer Kontrolle. Bemühungen sichere geschützte Strukturen zu schaffen scheiterten, teilweise, weil die Kultur dafür nicht bereit war. Dinge wurden abgedreht und entglitten. Es gab Fälle, in denen unvorbereitete Leute sehr machtvolle Drogen in unangemessenen Kontexten einnahmen, ohne Menschen, die sie unterstützten, vielleicht auch noch gemischt mit Alkohol oder anderen Drogen. Die Leute verstanden nicht wirklich, die Erfahrung zu schützen. Sie betrachteten sie als Freizeitdrogen, was LSD und andere Psychedelika nicht sind. Es handelt sich dabei um mächtige therapeutische Hilfsmittel, mächtige transformierende Werkzeuge, mächtige Förderer religiöser Erfahrungen.

Hb: Ist Timothy Leary noch ein kultureller Held für Sie?

CG: Für mich persönlich? Nun ja, er ist eine faszinierende Figur. Ich traf ihn bei verschiedenen Gelegenheiten und war von seiner Intelligenz und seinem Sinn für Humor beeindruckt. Und er artikulierte sehr früh das Konzept von Set und Setting. Aber Tim Leary hatte auch ein enormes Bedürfnis im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Obendrein war er ein Provokateur und hatte eine Abneigung gegenüber dem Establishment. Das verschreckte vielleicht unnötigerweise Teile der Kultur, die potentielle Verbündete hätten sein können. Er wollte alles so schnell wie möglich und für alle Menschen. Unabhängig davon, wenn nicht Tim Leary, dann hätte jemand anderes diese Rolle eingenommen. Er ist eine tragische Figur.

Hb: Aldous Huxley bevorzugte es anders rum.

CG: Ja, sein Konzept war es, diese Drogen ruhig und langsam den Führenden der Gesellschaft nahe zu bringen, dann würden die positiven Auswirkungen nach unten durchrieseln. Leary war der Auffassung, jeder sollte diese Erfahrung haben.

Hb: Wie würden Sie das definieren, was man die „psychedelische Bewegung“ nennt?

CG: Es gibt junge und alte Menschen, die sich stark mit der Gegenkultur der Sechziger identifizieren oder den Erfahrungen, die sie mit Psychedelika machten. Aus ihrer Perspektive ist es notwendig zusammen zu halten und so etwas wie eine Gemeinschaft mit analogen Werten zu bilden. Die psychedelischen Gemeinschaften der Sechziger sind nicht ausgestorben, und die Rave- und Techno-Szene ist auch ein Spross der psychedelischen Bewegung.

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Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Rick Doblin von MAPS

HanfBlatt Nr. 103, September 2006

Psychedelische Forschung

Ein Interview mit dem MAPS-Gründer Rick Doblin

Rick Doblin ist der Gründer der einzigartigen „Multidisziplinären Assoziation für Psychedelische Studien“, besser bekannt als MAPS. MAPS unterstützt seit nun mehr 20 Jahren Wissenschaftler dabei, die staatliche Erlaubnis für die Erforschung heilender und spiritueller Potentiale von Psychedelika (wie LSD, Psilocybin, Peyote, Ketamin, Ibogain, DMT und Ayahuasca), Empathogenen (wie MDMA) und Cannabis-Produkten zu erhalten. Auch für die Forschung selbst stellt MAPS Gelder zur Verfügung. Die gemeinnützige Arbeit von MAPS wird durch die Spenden ihrer Mitglieder ermöglicht. Obwohl MAPS ihre Basis in den USA hat, ist sie international ausgerichtet und offen für jeden mit einem ebensolchen Geist, der etwas in dieser Hinsicht bewegen möchte. Nebenbei hat sich der MAPS-Informationsbrief zu einem bemerkenswerten Magazin voll erstaunlicher Informationen über die Szene der psychedelischen Forscher entwickelt. Auf dem erfolgreichen LSD-Symposium (www.lsd.info) anlässlich Albert Hofmanns 100tem Geburtstag in Basel im Januar 2006 mit über 2000 Teilnehmern aus 37 Ländern war auch MAPS mit den von ihr unterstützten Wissenschaftlern stark präsent.

az: Du hast MAPS 1986 gegründet, in dem Jahr, als die empathogene Substanz MDMA, auch „Ecstasy“ genannt, kriminalisiert wurde. Was war der Grund für diesen idealistischen Schritt?

Rick Doblin: Ich hatte gesehen, wie MDMA erfolgreich therapeutisch eingesetzt wurde, als es noch legal war. 1985 kriminalisierte die Drug Enforcement Agency (DEA) auf einer Notstandsbasis das MDMA, sowohl für den Freizeitgebrauch als auch den medizinischen und therapeutischen Einsatz. Das abschließende Verbot erfolgte 1986. Auch wenn wir zunächst einen Gerichtsprozess zur Aufrechterhaltung des legalen therapeutischen Gebrauchs gegen die DEA gewannen, wurde mir doch klar, dass wir am Ende wohl verlieren würden. Die DEA konnte die Empfehlung des Richters, MDMA legal für die Therapie verfügbar zu halten, ignorieren und tat es auch. Der einzige Weg, MDMA zurück in den legalen therapeutischen Gebrauch zu bringen, war der als ein von der Lebensmittel- und Arzneibehörde FDA zugelassenes verschreibungsfähiges Medikament. Ich gründete MAPS, um Gelder für die dafür nötige Forschung zu akquirieren, weil weder die pharmazeutische Industrie noch die größeren Stiftungen MDMA-Forschung finanzieren würden.

az: Wie war es für Dich mitzuerleben, wie MDMA, weitgehend unbekannt, aber erfolgreich als psychotherapeutisches Hilfsmittel eingsetzt, als es noch legal war, der Treibstoff für die schließlich riesigen Rave-, Acid House- und Techno-Szenen wurde?

Rick Doblin: Persönlich mag ich Raves und durch die Nacht bis zum Sonnenaufgang zu tanzen. Die Unterscheidung zwischen dem Freizeitgebrauch, dem therapeutischen und dem spirituellen Gebrauch ist oft willkürlich und keineswegs so klar und deutlich wie uns Anti-Drogenkrieger glauben machen wollen. Nichts desto trotz erkannte ich, dass der Gebrauch von MDMA auf Raves, die DEA dazu motivieren würde, alle unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von MDMA zu kriminalisieren. Aber anstatt mich über Raves und Raver aufzuregen, wurde ich wütend auf die Regierung, dafür, dass sie sowohl den therapeutischen als auch den Freizeitgebrauch von MDMA kriminalisierten. Die Risiken von MDMA sind am Größten im Rave-Setting. Wie auch immer, ich denke, dass wir mit angemessenen Risikominderungsstrategien die Gefahren des MDMA-Konsums auf Raves erheblich verringern könnten. Ich glaube nicht, dass die Prohibition die Risiken, die mit dem MDMA-Gebrauch auf Raves verbunden sind, verringert.

az: Nach all diesen Jahren: Gibt es irgendwelche wissenschaftlichen Beweise für Gefahren des therapeutischen oder des Freizeitgebrauchs von reinem MDMA?

Rick Doblin: Ja, es gibt Gefahren sowohl beim therapeutischen wie beim Freizeitgebrauch von MDMA. Keine Droge ist vollkommen sicher oder frei von Nebenwirkungen. Die größte Gefahr des therapeutischen Gebrauchs ist erhöhter Blutdruck. Deshalb schließen wir derzeit in unseren MDMA-Studien Menschen mit Bluthochdruck und beeinträchtigter Herzfunktion aus. Das Risiko der Neurotoxizität und möglicherweise reduzierter geistiger Leistungsfähigkeit ist kein bedeutendes Problem im Zusammenhang mit dem therapeutischen Einsatz von MDMA.
Was den Freizeitgebrauch betrifft, sind unreine Drogen eines der größten Risiken. Ein weiteres meines Erachtens ernsthaftes Risiko ist die Aufdeckung tiefer und komplexer Gefühle, für deren Erfahrung manche Menschen nicht bereit sind. Das kann dazu führen, dass man sich nach MDMA schlechter fühlt, wenn Gefühle hochkommen und man sie dann zu verdrängen versucht. Überhitzung ist auch eine Sorge, weniger das Trinken von zuviel Wasser. Neurotoxizität ist meines Erachtens kein bedeutendes Problem, selbst bei Leuten nicht, die MDMA ziemlich regelmäßig und über lange Zeiträume nehmen. Wie auch immer, es gibt einige Beweise dafür, dass Menschen, die 60mal oder häufiger MDMA genommen haben, bei manchen neurokognitiven Tests schlechter als der Durchschnitt abschneiden, aber immer noch innerhalb der normalen Spannbreite. Ob das auf MDMA direkt oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist, ist unklar.
Mit der Steigerung der Dosis und der Einnahmefrequenz steigt auch das Risikopotential.

az: Kürzlich hat es eine emotional aufgeladene Diskussion über Eure Unterstützung des Gebrauchs von MDMA in Fällen traumatisierter israelischer Soldaten gegeben. Kannst Du in Kürze die Fakten klar stellen?

Rick Doblin: MAPS sponsert eine Leitstudie in Israel, die den Einsatz von MDMA-unterstützter Psychotherapie bei Subjekten mit Kriegs- und Terrorismus-bedingtem Post-Traumatic-Stress-Disorder (PTSD) untersucht. Die Studie ist in Gänze genehmigt und soll im Juli 2006 beginnen. Derzeit (April 2006) sind wir dabei, die Ausbildung des israelischen Co-Therapeuten-Teams vorzubereiten, indem wir sie nach Charleston, SC, bringen, damit sie Dr. Michael und Annie Mithoefer dabei beobachten können, wie sie dort MDMA/PTSD-Sitzungen durchführen.

az: MAPS hat Forschung unterstützt, die sich damit beschäftigt hat, den sichersten Weg für die Applikation von Cannabinoiden herauszufinden. Vaporizer, Wasserpfeife, Purpfeife oder Joint, was ist die für die Atemwege sicherste Methode der Cannabinoid-Zufuhr?

Rick Doblin: Die sicherste Methode ist der Gebrauch eines Vaporizers, der die Verbrennungsprodukte eliminiert. Aber da selbst das Rauchen von Marijuana nicht ursächlich mit Lungenkrebs in Verbindung gebracht wurde, ist es schwierig zu artikulieren, welche Risiken durch das Vaporisierungssystem reduziert werden.

az: Hat es andere wichtige Entdeckungen rund um das heilige Kraut gegeben?

Rick Doblin: Die jüngste Studie von Dr. Donald Abrams hat gezeigt, dass Marijuana signifikante Wirksamkeit bei der Behandlung HIV-bedingter Neuropathie (Schmerzen) hat.

az: Wie sieht es aus mit Salvia divinorum und seinem Wirkstoff Salvinorin A? Gibt es derzeit irgendwelche Forschungen dazu, wie man sie effektiv in einem therapeutischen oder spirituellen Kontext nutzen kann?

Rick Doblin: Ich weiss von keiner klinischen Forschung am Menschen mit Salvia oder Salvinorin A. Wenn man wissen will, wie man sie am effektivsten im spirituellen Kontext gebraucht, dann sind die Kulturen, die sie bereits nutzen, die besten Informationsquellen.

az: Ich weiss, es dauert in den USA sehr lange, bis man die Regierungs-Erlaubnis für psychedelische Forschung erhält. Was sind die größten Schwierigkeiten dabei?

Rick Doblin: Die FDA betrachtet die Protokolle vorrangig unter wissenschaftlichen und nicht politischen Gesichtspunkten. Mehr können wir nicht erwarten. Die Hauptschwierigkeiten kommen von der DEA, die Lizenzen ausstellen muss, damit die Studien beginnen können. Ihr ist kein regulärer Zeitplan vorgeschrieben, nach dem sie handeln muss, was eine Verzögerungsstrategie von Seiten der DEA zur Folge hat. Wir müssen oft politischen Druck auf die DEA ausüben, damit sie unsere Studien genehmigt. Die DEA hat Angst davor, dass objektive Forschung den aufgebauschten Informationen über die Risiken widerspricht, die vom National Institute on Drug Abuse (NIDA) herausgebracht werden.
Wenn man an Regierungsfinanzierung denkt, dann kann man das für die nächste Zeit vergessen. Ein stark einschränkender Faktor ist die Finanzierung, aber es war bis jetzt schwieriger, die Erlaubnis zu erhalten. Deshalb bin ich stolz, sagen zu können, dass unser Spendenaufkommen immer ausreichend war und keine Studien durch einen Mangel an Finanzen hinausgezögert wurden.

az: Stellt die für die Genehmigung und Durchführung von legaler Forschung notwendige Zusammenarbeit mit Behörden wie der DEA ein mögliches Risiko für die Menschen dar, die mit den Wissenschaftlern zusammenarbeiten? Ich denke, das ist eine wichtige Frage, denn unter den gegenwärtigen Gesetzen mögen manche der Unterstützer psychedelischer Forschung in dieser Hinsicht persönlich verwundbar sein. Es gab da auch einige Gerüchte rund um den Forscher Dr. John Halpern, er sei in der Zusammenarbeit mit der DEA zu weit gegangen.

Rick Doblin: Versuchspersonen in der psychedelischen Forschung, ausgeführt von Dr. Halpern und Anderen, sind absolut keinem Risiko von Seiten der DEA ausgesetzt. Die Forscher erhalten ein von der Regierung ausgestelltes Vertraulichkeitszertifikat, das davor schützt, dass Informationen über die Versuchspersonen an die DEA weitergegeben werden.

az: In den letzten Jahren haben die Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen mit Psilocybin, Entzugsbehandlungen mit Hilfe von Ibogain und Ayahuasca („Daime“), als Sakrament im rituellen Kontext brasilianischer Religionen eingenommen, besonderes Interesse hervorgerufen. Was geht gerade jetzt in der psychedelischen Forschung ab?

Rick Doblin: Studien, den Nutzen von Psilocybin zur Behandlung von Angst bei Krebspatienten zu untersuchen, und unsere bald beginnende Studie, die MDMA zur Behandlung der Angst bei Krebspatienten einsetzt. Anstrengungen werden unternommen, die LSD-Forschung wiederzubeleben, zuerst für grundlegende Gehirnforschung, dann gegen Cluster-Kopfschmerzen, schließlich für LSD-Psychotherapie.

az: Wo liegt die Zukunft der psychedelischen Forschung?

Rick Doblin: In der therapeutischen Applikation bei psychischen Krankheiten, so dass Psychedelika verschreibungsfähige Medikamente werden können.

az: MAPS spielt eine bedeutende und angenehm sichtbare Rolle in der weltweit verstreuten psychedelischen Gemeinschaft. Was sind die besten Events, wo man sich treffen, kommunizieren und feiern kann?

Rick Doblin: Der Burning Man, das Boom Festival und Konferenzen, wie „Spirit of Basel“, die Albert Hofmann´s 100ten Geburtstag feierte.

 

 

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Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem visionären Künstler Fred Weidmann

Hanfblatt, Nr. 103, September 2006

Kunst war mir immer suspekt

Ein Interview mit dem visionären Künstler Fred Weidmann

Der Künstler Fred Weidmann ist an psychedelischer Kunst Interessierten ein Begriff durch seine faszinierenden Porträts psychoaktiver Pilze und inspirierende Hanfdarstellungen, wie sie z.B. der NachtschattenVerlag publiziert hat. Jüngst konnte man fantastische Bilder von ihm im Original und mitsamt anwesendem Schöpfer auf dem mittlerweile schon legendären „Spirit of Basel“-Symposium anlässlich des 100sten Geburtstages von LSD-Entdecker Albert Hofmann bewundern. Fred Weidmann hat aber noch weitaus mehr geschaffen und zu vermitteln. Grund genug, ihm Aufmerksamkeit zu schenken.

az: Du bezeichnest Deine Kunst als visionär. Das lässt sich aus dem Bauch heraus nachvollziehen, aber was verstehst Du selbst unter visionärer Kunst?

Fred Weidmann: Man findet Meinesgleichen am ehesten unter dieser Rubrik: Visionäre Kunst. Vielleicht ist das gut so. Mir wäre „Bewusstseinskunst“ lieber. Über die Jahre habe ich erlebt, dass alle vernünftigen Namen (auch „Visionary Art“) von gierigen Grüppchen für sich belegt worden sind. Wenn ich also antworten soll, was ich unter visionärer Kunst verstehe, dann müssen wir erst über „die Kunst an Visionen zu gelangen“ reden. Ich glaube grundlegend für visionäre Kunst ist: Man berichtet von Visionen. Der Künstler legt oder setzt sich hin und wartet auf Visionen, die er sich merkt, falls sie kommen. Er skizziert oder malt sie, weil es ihn treibt, davon zu berichten. Und er kann das, weil er eine Vision, ein inneres Gesicht, hatte oder gerade hat. Manche berichten live vom Land des inneren Lichts. Eigentlich sind nur das die echten visionären Künstler. Der echte Visionär schwebt an der Grenze zu anderen Bewusstseinszuständen, Träumen oder Halluzinationen. Dabei versucht er sein Beobachter-Bewusstsein wach zu halten, um noch Skizzen oder Notizen machen zu können. Der Visionär ist nicht einfach besoffen oder weggetreten. Er erfindet auch nicht voller Raffinesse die Zukunft, sondern er ist besonders wach im Jetzt und Hier. Bei den weniger Echten, scheinen die Visionen sich nicht einstellen zu wollen, so dass sie auf dem Weg dorthin alles Mögliche erdenken und erkünsteln. Auch das können nette Menschen sein, aber sie entlehnen gerne Dinge, benutzen abgegriffene Symbole und hängen in Trends, weil nichts Eigenes, Jetziges von Innen an ihren Schädel pocht. Ich weiss, ich verwende das Wort visionär sehr eng, weil ich mich über den inflationären Missbrauch des Wortes in Wirtschaft und Politik ärgere. Man muss ja nicht diesen mühsamen Weg der Bewusstseinsarbeit gehen. Man kann ja auch andere Motivationen für sein bildendes Tun finden.

az: Wie würdest Du diese Richtung gegenüber psychedelischer und fantastischer Kunst abgrenzen?

FW: Ich finde, alle Kunst, die diesen Namen zu Recht trägt, sollte psychedelische Kunst sein. Sie sollte die Seele ansprechen oder von besonderen seelischen Zuständen berichten. Der Begriff ist aber heimtückisch. Wenn einer von deiner Kunst sagt, sie sei psychedelisch, dann meint er, dass du Drogen nimmst. Der Name bezieht sich mehr auf den Weg der Ideenfindung hinter den psychedelischen Werken. Man unterstellt dir, du seist mit deinem Werk gedoped ins Ziel gegangen. Das ist wieder die Sache mit der Zuschreibung: Gibt es nüchterne Kunst? Ich glaube nicht, weil Kunst und Nüchternheit sich ausschließen. Die Anderen, die uns Bewusstseinsarbeiter anfeinden, sind meist dem Alk zugeneigt. Ein echtes psychedelisches Werk aber ist visionär, fantastisch, ehrlich, spontan, erleuchtet, ungekünstelt und einmalig, nicht wiederholbar. Ich selber bin nicht immer psychedelisch, also nicht visionär, erleuchtet, und nicht auf Drogen. Meistens arbeite ich wie ein Illustrator, setze Ideen illustrierend um. Dann wieder bin ich einfach der brave Protokollant eines Augenblicks in der realen Aussenwelt und versuche diese mit Respekt wiederzugeben. Wenn ich unterwegs bin, habe ich immer ein Tagebuch zum Aquarellieren dabei. Manche Experten meinen, Hanf – in Maßen verabreicht – sei dieser Art der Hinwendung zuträglich. Sorgfalt bei der Beobachtung hilft auf jeden Fall. Fantastische Kunst muss nicht visionär im engen Sinne sein.

az: Wer sind Deine wichtigsten künstlerischen Vorbilder und warum?

FW: Ich fühle mich der deutschen Romantik (Philipp Otto Runge) und einigen Ansätzen im 20sten Jahrhundert verpflichtet. M.C. Escher könnte in 100 Jahren noch relevant sein, vielleicht der einzige Nüchterne der Kunstgeschichte. Escher hat praktisch für alle regelmäßigen Flächenfüllungen Sinn-gebende Lösungen gefunden. Das klingt nicht weiter berauschend, ist aber für den, der im Tun etwas wie er finden will, ein Weg zur Erleuchtung. Beim Ornamentieren beschäftigt sich das Gehirn erst mal nur mit Kanten von Vielecken, mit geraden, krummen und gebrochenen Linien, spiegeln, drehen, verschieben.
Dabei geschieht das Figuren finden fast automatisch, weil die Gesetze der Pflasterung selbsttätig wirken. Dein Gehirn ist beurlaubt.
Ohne die Surrealisten wäre meine Arbeit nicht denkbar. Aber es ist eher die Reibung mit den Bekenntnissen hinter dieser Kunstrichtung, die mich zu Surrealismus-Anspielungen angetrieben hat. Noch immer geistert der ungelesene Freud durch jene Reihen. Noch immer bilden Surrealisten exklusive Gralshütervereinchen.
Vorbilder darf man in der Jugend haben. Später hat man genug zu tun, um bis an seine individuellen Grenzen zu gelangen. Da ist man zwangsläufig einsam. Besser als andere Künstler im Auge zu haben, ist es, ab und zu ein Buch zu lesen. Ich darf das vielleicht an einem Beispiel illustrieren: Seit alters her gibt es die Weisheit, dass die Welt im Großen sei wie im Kleinen. 1980 kam Mandelbrots erste Publikation über den fraktalen Aufbau der Welt. Es war die Geburt einer neuen Mathematik, und sie erzeugte ganz wie die Ornamentik automatisch die wunderbarsten Pflasterungen, Seepferdchenalleen etc.. Manch ein Künstler riss die Gelegenheit an sich und gebrauchte die neue Ästhetik. Solche Leute können nicht Vorbild sein. Vorbild ist der Gedanke, dass in der Natur Fraktales geschieht, dass ein Apfel näher an der Dreidimensionalität liege, als die Blattrosette eines Löwenzahns. Auch ist die Anwendung Fraktale schreibender Programme noch keine Kunst, das Programm schreiben dagegen schon eher.
Natürlich gibt es Einflüsse von bildenden Künstlern, aber die kommen von vielen Seiten. So verdanke ich einem zu früh verstorbenen Wiener Maler, Richard Matuschek, die Geheimnisse der Abklatschtechnik. Auch kann ich mich begeistern, wenn Renaissance Künstler mit Weiß auf getöntem Grund gezeichnet haben. Die haben auf dem Papier nach dem Licht getastet. Das ist ganz etwas Anderes als eine Bleistift- oder Tusche-Zeichnung, die die Schatten einzufangen versucht. Oder, wenn Tiepolo Schatten mit der Komplementärfarbe zum Licht malt, und nicht einfach mit Dunkel, dann lass ich mir das nicht entgehen. Aber mir ist wohler, wenn die Erleuchtung aus meiner Situation gedeiht, nicht aus Vorbildern.

fredweidemann

az: Unter Pilzfreunden hast Du Dir zweifellos durch deine faszinierenden Porträts einer Serie verschiedener „Magic Mushrooms“ (im Jahr 2000 als Kalender, sowie als Postkarten im Nachtschatten-Verlag erschienen) einen Namen gemacht. Zwölf Pilzarten haben ihre individuelle einzigartige Darstellung erhalten. Woher hast Du die Inspiration zu diesen Werken bezogen und wie bist Du technisch an die Sache herangegangen?

FW: Ich erzähl Dir jetzt aus dem Herzen von Bayern die Wahrheit, die volle Wahrheit: …but I didn’t inhale! Es gibt Mykologen in Universitätskreisen, die von Berufswegen die Genießbarkeit und die chemische Beschaffenheit von Pilzen erkunden müssen. In diesem Fall hatte ich wunderbare Unterstützung von den kompetenten Fachleuten Dr. Jochen Gartz und Dr. Christian Rätsch. Ich habe deren differenziertes Wissen und ihr Fotomaterial eingebaut. Man hört, dass die Gewichtung der Wirkstoffe bei den verschiedenen Arten von Schleimlingen unterschiedlich sei, das aber sei nicht so wichtig wie der Standort und der Stand deiner Herzensdinge. Jedenfalls als wir den Kalender planten, gab es bereits ein paar Bilder, die so sehr zum Thema passten, dass wir nur noch ein Pilzfoto hineinpappen mussten, um die Wissenschaftlichkeit zu signalisieren. Um zwölf verschiedene Pilze zu behandeln, mussten auch Exoten herhalten, die kein Mensch kennt – ich auch nicht. Da weiss ich gar nicht mehr, wie der göttliche Funke zu mir übersprang. So ist die Mayastele (Psilocybe cubensis) aus dem Bedürfnis entstanden, die grausige, blutige historische Wahrheit der Mayakultur zu verfälschen. Wenn das Werk von einem Anderen wäre, würde ich sagen, der hatte was geraucht.

az: Welche Bedeutung haben Psychedelika für Deine künstlerische Entwicklung gehabt?

FW: Im Jahre 1968 bin ich gerade 30 geworden – das richtige Alter, um einem strebsamen Bildungsbürger den mehrdimensionalen Spiegel in die Hand zu geben. Ich arbeitete damals als Soziologe in einem Projekt der Harvard- Universität, wo Timothy Leary und die Anderen, die man kennt, so vehement Interesse für Selbsterfahrung weckten. Hanf konnte damals noch Visionen auslösen. LSD kam über Umwege von Sandoz. In meinen Kreisen war das Erkenntnisinteresse sehr groß, gaben wir doch vor, etwas von Kommunikation zu verstehen. In den 70ern gab es Menschen, die glaubten an der Realität der realen Welt zweifeln zu müssen. Man durfte an Allem zweifeln, am Ende blieben da nur die eigenen Visionen, für die man das uneingeschränkte Copyright hatte. Kunst war mir immer suspekt, Berichterstattung aus meinem wie auch immer unfertigen Kosmos war jedoch sehr mein Ding. Wie ich dann vom Verkaufen der inneren Wahrheiten zu leben lernen musste, wurde mir klar, dass das in Galerien und mit Einrahmungen zu geschehen hatte. Also ward ich Künstler. Eigentlich bin ich noch immer kein Künstler, sondern noch immer ein Forschender. Das Attribut Künstler kriegt man zugeschrieben. Wenn’s denn stimmt, ist das hoffentlich eine Ehre.

az: Deine Kunst wirkt in der Art der Darstellung, wie in ihren Motiven oft ziemlich erotisch. Man könnte im Künstler geradezu einen Erotomanen wittern. Sind Erotik und Kunst gar letztlich nicht voneinander zu trennen?

FW: In meinem Rechner ist immer eine Rubrik „Erotomanes“. Da tu ich die Arbeiten hin, von denen ich denke, dass sie nicht in Dubai ausgestellt werden können. Ein Leben voller Erotik ist ein schönes Leben – ich steh auf Schmusesex und monogames Vertrauen. Man kann da Erlebnistiefe erreichen, von der man gerne singen würde. Da man aber nicht mit Pinseln und giftigen Farben hantieren und gleichzeitig Sex betreiben kann, kommt immer auch ein Hauch von Sehnsucht nach Erotik ins Werk. Du hast schon Recht mit deiner Frage; Malerei hat etwas von Erotik. Als früh pubertierender Junge malte ich heimlich geile Szenen – anstatt. Und noch immer befällt mich jenes prickelnde Glück wenn ich Themen der Liebe anfasse. Ölfarbe hatte den Vorteil, dass sie sofort verwischt werden konnte, wenn Mutter ins Zimmer kam. Profan aber wahr.

az: Du hast Anfang der Siebziger Jahre den Doktor der Soziologie gemacht und Dich als Kommunikationswissenschaftler mit Missverständnisforschung beschäftigt. Hast Du eine Idee, wie man es als Künstler vermeiden kann, dass man missverstanden wird?

FW: Ja, das ist ganz einfach: Man erwartet nicht, dass man verstanden wird. Hundert Prozent Missverständnis garantiert. In der Tat war das einer der schwierigsten Schritte auf dem Weg der Befreiung. Man hofft immer verstanden zu werden. Jeder von uns versteht ja irgendwie die innere Konsequenz seines Wortens und Tuns und denkt, man könne Solches auch von der Aussenwelt erwarten. So funktioniert das aber nicht. Alltagskommunikation geht ganz anders: Man redet so lange aneinander vorbei, bis genügend Worte aus dem gemeinsamen Wortschatz gefallen sind. Dann kann man aufhören, weil man annimmt, das Gegenüber würde diese ebenso entziffern wie man selbst. Schließlich leitet man daraus ab, es habe Verständigung stattgefunden. Ich schwimme in diesem Ozean von Missverständnissen, Desinformation und Trugschlüssen so einigermassen wohlig. Das geht natürlich nur, wenn man an etwas Wesentlicheres glaubt. Wir kommunizierenden Menschen messen nämlich das nicht Perfekte am Idealen. Wir haben einen Hintergrund, wo wir uns keine Fehler erlauben können, wo wir alle eins sind und totales Verständnis Voraussetzung ist. Vor diesem unfehlbaren Lebensstrom können wir uns den Luxus vordergründiger Missverständnisse leisten. Das ist die Art von Pfauenschwanz oder Hirschgeweih, die uns die Evolution auferlegt hat. Meine Bewusstseinsmalerei will gar nicht zu etablierten Inhalten führen, sie zeigt einen Schritt ins Lockerlassen. Meine Suggestionen sollen nur gespürt werden, ohne dass da jemandem ein Verständnis diktiert wird.

az: Eines Deiner Werke hast Du „Evolution ohne Ziel“ genannt. Ein tolles Bild und ein interessanter Gedanke. Lauert da etwa eine Philosophie absoluter Freiheit um die Ecke?

FW: Das ist schon so. Das Konzert der Evolution ist chaotisch, lässt also keine Voraussage zu. Leider sind wir nicht absolut frei. Aber das ist eine andere Geschichte.

az: Gibt es etwas, was Du in Zukunft noch unbedingt gerne ausdrücken oder womit Du dich gerne noch beschäftigen würdest?

FW: Ja. Jetzt mit 68 Jahren ist es mein sehnlichster Wunsch, wie Albert Hofmann, 100 Jahre zu leben. So lange hätte ich gerne, um ein Spätwerk zu schaffen, weise zu werden. Da sind so viele ungemalte Bilder, so viele Herzensdinge, die ich noch nicht ausgedrückt habe. Aber als Erstes ist ein Werkkatalog in Sicht, der zu meinem 70sten Geburtstag erscheinen soll. Bis es soweit ist, wird meine Homepage die lieben Interessierten auf dem Laufenden halten. Und sollte jemand die eierlegende Wollmilchsau, die der Gravitation trotzt, erfinden, dann wird das meine Pläne ändern.

 


 

Homepage: www.fredweidmann.com

Publikationen:

– Frühe wissenschaftlichen Arbeiten, wie „Grundlagen einer Kommunikationssoziologie“ und Verwandtes (bis 1972, mit späteren Auflagen), gelegentlich antiquarisch erhältlich.
– Ein Bildband „Fred Weidmann“ (1984, Bonn, Troja Verlag), einige Exemplare noch beim Autoren.
– In „Die berauschte Schweiz“ (1998, Nachtschattenverlag, CH-Solothurn)
– Kalender „Magic Mushrooms 2000“ (Nachtschattenverlag), für Sammler haben Verlag und Autor noch einige Exemplare.

 


 

 

 

Kategorien
Psychoaktive Substanzen

Der Fliegenpilz – Ein Ausstellungsbesuch mit Wolfgang Bauer

HanfBlatt, Nr. 105

Der Fliegenpilz

Ein Ausstellungsbesuch mit Wolfgang Bauer

Der Fliegenpilz, der Flugpilz der Schamanen, unser Glückspilz, der die Fliegen berauschende Pilz, das Zwergenhaus, das Zwergenmobiliar, der Hexenbecher, das Hexenei, das kosmische Ei, das Rabenbrot, der Stein der Weisen, der Weltenbaum, mit seinen weißen Tupfen, die wie Sternlein prangen, der Himmel und Erde verbindet, der Donnersohn der Griechen und Römer, Leibspeise der Rentiere und Glücksschweine, aus Speichel gewachsen, den Funken des göttlichen Schmieds, des schmiedenden Zwerges, der Pilz, der den Weihnachtsbaum zur Wintersonnenwende schmückt und das neue Jahr beglückt und Pfingsten und Ostern und Geburtstage, der Phallus, von dem niemand weiss, dass er Rumpelstilzchen heißt, das Soma der Veden, Brücke zum Tod, kaum einmal wirklich tödlich, doch der Giftpilz schlechthin, so schön, so offensichtlich, weil er nicht wie die kleinen Kahlköpfe sagt, du musst mich kennen, wenn du mich nehmen willst, sondern, nimm mich, wenn du mich wirklich nehmen willst, denn er kann dich hinabgeleiten in die Unterwelt zu den kleinen Wesen, die dir mal griesgrämig Verachtung zeigen, dich taumeln und im Schwindel kreiseln und göbeln lassen, oder dir zu Ehren eine Orgie feiern, auf der du dann gerade zum richtigen Zeitpunkt als Stargast erscheinst.

Oder er führt dich wie ein Schornsteinfeger die Himmelsleiter hinauf auf das Dach der Welt zu den Himmelskindern, den brummselnden Glückskäfern und den schrillen Meisen, damit du allen ein glückliches neues Jahr zuprosten kannst, bevor du mit Wotan und dem Rest der Bande auf die wilde verwegene Jagd gehst. Dieser einzigartige Lamellenpilz hat die Menschheit und die Tierwelt schon sehr lange begleitet und wurde in Religionen als kultisches Sakrament verehrt und von nordischen Schamanen als Heilpilz verzehrt. Dieser botanisch Amanita muscaria Genannte ist in jedem Falle eine Ausstellung wert. Fängt man erst einmal an, sich mit dem Fliegenpilz zu beschäftigen, dann taucht er plötzlich überall auf. Dabei verrät er Einem ganz nebenbei, dass es nicht nur darum geht, der Natur der Dinge zu lauschen, sondern mit der Natur zu plauschen.

Es geht nicht nur darum, Zusammenhänge rational zu verstehen, sondern man kann zwecks Natur- und Selbsterkenntnis auch mal wieder in Sümpfe oder Wälder gehen. In dieser Stimmung suchte ich im Frühsommer an einem schönen Freitagnachmittag in Frankfurt-Bornheim den Psychologen und Therapeuten Wolfgang Bauer auf, nein, nicht um mir den Fliegenpilz austreiben zu lassen, im Gegenteil, ich klingelte bei einem Infizierten, dem bekanntesten deutschen Fliegenpilz-Kenner. Er war an der Veröffentlichung zahlreicher wertvoller Bücher beteiligt. „Der Fliegenpilz“ aus dem AT-Verlag sollte man unbedingt lesen! (Für 15 Euro noch erhältlich bei Werner Pieper/Die Grüne Kraft) Gemeinsam mit dem Natur-Künstler und Botaniker herman de vries (von Mel Gooding bei 2001 in einem empfehlenswerten Bildband präsentiert) brachte er die bei Psychoaktiva-Freunden berühmte Zeitschrift „integration“ (1-6) und bringt mit Holger Jordan („Magister Botanicus“) „Magische Blätter“ heraus.

Ende der Achtziger Jahre führte Wolfgang Bauer nach einer Idee von herman de vries und gemeinsam mit Alexandra Rosenbohm und Michael Fehr im Rahmen des Karl-Ernst-Ostheim-Museums in Hagen und mit Hilfe einer ganzen Reihe weiterer Leihgeber und Donatoren die Fliegenpilzsammlung zusammen, die wir nun gemeinsam besuchen werden. Die Sammlung wurde bereits in mehreren Museen und Ausstellungen unter verschiedenen Gesichtspunkten präsentiert („Märchen und Fliegenpilz“ in Friedrichsdorf, „Botanik des Fliegenpilzes“ in Mannheim, „Hexen und Fliegenpilz“ in Schongau, „Fliegenpilz und Magische Pflanzen“ in Frankfurt a.M.). Ihr größtes Publikum hatte sie wohl im Rahmen der Schamanismus-Ausstellung im Tropenmuseum in Amsterdam, wo sie von mehr als 150.000 Menschen gesehen wurde. Nun befanden sich etwa zwei Drittel der Gesamtausstellung im Dreieich-Museum in der instandgesetzten Ruine der über tausend Jahre alten Burg „Hayn in der Dreieich“ in Dreieichenhain.

Als wir vor Ort aufschlugen, feierte dort gerade ein Biotech-Unternehmen sein grundsaniertes Florieren inklusive Bauchtänzerin, Stelzenläufern, Clowns und Ochse am Hightech-Spieß. Das Museumspersonal hatte man auf Betriebsausflug geschickt. Eine freundliche Angestellte schloss uns Verschwörern mitsamt Shaktis trotz Besatzern die Kellergewölbe auf, so dass wir gemeinsam in die Welt des Fliegenpilzes abtauchen konnten. Wolfgang Bauer nahm uns mit auf die Reise durch einen Zirkel von Vitrinen mit diversen Artefakten, Büchern, Ansichtskarten, Kitsch, Kunst und Krempel mit dem Fliegenpilzmotiv. Mit profunder Kenntnis und großer Begeisterung für die Materie führte er uns in die Vielfalt der Geschichten um den Fliegenpilz ein.

Der Fliegenpilz ist sehr weit verbreitet, in Europa, Asien, Nord- und Südafrika, Nord- und Mittelamerika und Neuseeland. Christian Rätsch hat ihn in den Bergen von Kolumbien gefunden.

Wenn man den Fliegenpilz verstehen will, ist es ratsam, den Entwicklungszyklus des Pilzes zu betrachten. Vom an der Oberfläche nicht sichtbaren Myzel ausgehend, das in Symbiose mit Nadelbäumen (insbesondere Fichten) und Birken lebt, spriessen hierzulande von Juni an bis zum ersten Frost, als wären es die Früchte oder Kinder der besagten Bäume, die Pilzfruchtkörper. Früher dachte man, sie würden überall dort gedeihen, wo bei Gewitter der Speichel von Wotans achtbeinigem Pferd niedergegangen sei oder später der des Schimmels des heiligen Veits. Der Fruchtkörper macht eine beachtliche Entwicklung durch. Erst erscheint ein weißes bei starkem Regen eventuell rotes Ei. Der weiße Stein der Alchemisten wird mit dem Fliegenpilz in Verbindung gebracht. Das rote Osterei wird seit Jahrtausenden kultisch verehrt, besonders in der orthodoxen christlichen Kirche. Es erinnert an den jungen Fliegenpilz. Genau sind da die Zusammenhänge nicht geklärt.

Der Fliegenpilz findet sich aber in vielen österlichen Darstellungen, so auch auf Ostereiern, einige wie die von Reinhild Massey wahre Kunstwerke.

Aus dem Ei explodiert der phallische Pilz mit weißen Tupfen, der sich schließlich zu einem Tisch, einem Schirm und zum Krötenstuhl und eventuell bis zum Hexenbecher aufwölbt, in dem sich psychoaktiviertes Regenwasser, der Zwergenwein, zu sammeln vermag. Regenwasser, das derart eineinhalb Tage in so einem Pokal quasi auf dem Zwergentisch gestanden hatte, wurde getrunken und bescherte sehr schöne farbige Träume.

Das „Trinkgold“ wird zubereitet, indem man die Hüte ohne die verwässernden Stengel in einem Tuch auspresst und so den wunderschön goldorangenen Saft erhält, ein Getränk, das bekömmlicher als der ganze Pilz sein dürfte, der allein auf Grund seiner Masse nicht selten Übelkeit verursacht. Experimentierer nehmen zu Beginn höchstens einen ganzen Pilz. Einen Tag fasten und Kamillentee trinken mag auch die unerwünschten Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt lindern. Bei der Einnahme von vier bis fünf Pilzen, einer schamanischen Dosis, ist allerdings ohnehin mit erheblichen körperlichen Nebenwirkungen, wie Schwindel, Erbrechen und Durchfall zu rechnen, bevor der eigentliche Rausch mit voller Kraft einsetzt und bis in den nächsten Tag hineinreichen kann. Sergius Golowin kam nach der Einnahme von sieben Pilzen erst nach zwei Tagen wieder zu sich. Seine Familie ließ ihn freundlicherweise gewähren und liegen. Und natürlich hatte er Unbeschreibliches erlebt, das Geheimnis des Universums geschaut, aber als er es wiedergeben wollte, war es weg. Aber er war auch ein ganz besonderer Mensch. „Deshalb ist es ja so gefährlich, wenn Jugendliche einfach so etwas vor sich hin fressen und nicht daran denken, dass das eine machtvolle Droge ist. Wir dürfen nicht vergessen, wir sprechen über einen heiligen Pilz von sehr vielen Völkern auf dieser Erde!“ Respekt ist die Grundlage im Umgang mit psychoaktiven Pflanzen und Pilzen. Das kann man in dieser Gesellschaft gar nicht oft genug betonen. Zum Glück konsumieren Neugierige viel eher die körperlich bekömmlicheren Psiloc(yb)in-Pilze und lassen die Finger von diesem sehr speziellen eher anstrengenden Kandidaten. Der Fliegenpilz reinigt also praktisch den Konsumenten körperlich, bevor er ihn psychisch aufrüttelt oder sensibilisiert.

Jochen Gartz („Narrenschwämme“, Nachtschatten Verlag) sammelt Berichte von Vergiftungen durch psychoaktive Pilze. Darunter findet sich ein Bericht von einem Fliegenpilzvergifteten aus der Zeit um 1920, der Flötentöne hörte, Hexen tanzen sah, dem Armin der Cherusker in den Wolken erschien und zum Schluss Gott selbst als Allvater Wotan, der ihm das ganze Weltall zeigte. Er erlebte also einen vollen psychedelischen Trip, wie man heute sagen würde. Und schließlich glaubte er, er wäre selber Gott. Und da wurde der Arzt, der ihn behandelte, langsam böse und bescheinigte ihm eine exogene Psychose. Ein anderer Fall ist der eines jungen Mannes, der sich aus Liebeskummer im Wald mit vier Fliegenpilzen umbringen wollte, weil er glaubte, dass der Fliegenpilz halt ein für derartige Zwecke geeigneter Giftpilz sei. Er stolperte aus dem Wald und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Dort hörte er draußen seine Geliebte, die im Herzen bereute, dass sie ihn so schlecht behandelt hatte und ihn zurück haben wollte. Doch in Wirklichkeit war dort niemand. Der Pilz erfüllte ihm also in der Phantasie seinen Wunsch. Derartige Vergiftungen gehen außer in Kriminalromanen in der Regel glimpflich aus. Tödliche Vergiftungen sind nicht bekannt. Man kann den Fliegenpilz aber mit dem gefährlicheren Pantherpilz verwechseln.

In geringen Dosierungen ist der Fliegenpilz ein traditionelles Volksheilmittel. Heute wird er noch in der Homöopathie eingesetzt. Da langt einer für ganz Deutschland. Der Fliegenpilz soll dem Pharma-Unternehmen Madaus zu Folge in Deutschland in seiner Kraft gen Süden deutlich zunehmen und in den Bergen stärker sein. Da mag was dran sein. Die heilige Droge und Gottheit der indogermanischen Religion des Rigveda, das Soma der Arier, bei dem es sich nach den Forschungen des wohl bedeutendsten Erforschers psychoaktiver Pilze Gordon Wasson mit hoher Wahrscheinlichkeit um Fliegenpilz handelt, wurde in den Bergen gesammelt. Bauern im Alpenraum halten ebenfalls die auf Bergen gewachsenen Pilze für potenter.

Ich als Nordlicht kann jedoch nur sagen, man sollte nicht unterschätzen, was in Himmel- und Teufelsmooren Norddeutschlands sprießt. Es gibt ohnehin relativ starke Schwankungen im Wirkstoffgehalt in Abhängigkeit von Standort, Jahreszeit und Entwicklungsstadium. Auch die Trocknung und Zubereitung spielt eine Rolle. Die Trocknung kann die Wirkung erheblich potenzieren, weil sich dadurch der Wirkstoff Ibotensäure in das mehrfach stärkere Muscimol umwandelt. Deshalb ist sie bei den sibirischen Schamanen üblich. Bauern im Alpenland haben getrocknete Fliegenpilze in ihren Kräutermischungen geraucht. Fliegenpilze waren vor der Durchsetzung des Reinheitsgebotes, wie Christian Rätsch anschaulich geschildert hat, ebenso wie Nachtschattengewächse und andere psychoaktive Pflanzen eine durchaus nicht ungewöhnliche Bierzutat. Wie man aus persönlichen Berichten weiss, gab es bis in die Prähippie-Zeiten Menschen, die die Fliegenpilzwirkung zu schätzen wussten.

In den schamanischen Kulturen des Nordens nahmen und nehmen Schamanen im Rahmen einer Zeremonie mit Feuer, monotonem Trommeln und Gesang Fliegenpilze ein, wenn vermisste Gegenstände oder Personen gesucht werden, man Rat für die Wanderung mit Wild oder Rentieren verlangt oder Stammesangehörige erkrankt sind. Der Schamane fällt in Trance. Seine meist tierischen Hilfsgeister erscheinen. Man hört entsprechende Geräusche. Schließlich sackt er in sich zusammen und geht auf die schamanische Reise in die Unterwelt oder auch in den Himmel, sucht dort die Seele oder spricht mit Dämonen oder Geistern über sein Anliegen und hilft so den Ratsuchenden oft mit erstaunlicher Treffsicherheit, zu finden, was sie gesucht haben. Bei schamanischen Behandlungen gelingt es mitunter auch verlorene Seelen zurück zu holen und der aus westlicher Sicht psychotisch Erkrankte kann wieder normal mit der Gemeinschaft zusammenleben. Die WHO erkennt mittlerweile das Handwerk der Schamanen indigener Völker als dem westlicher Mediziner gleichwertig an.

Schamanen, Hexen, Medizinmänner und Götter haben immer wieder Raben bei sich. In der Antike war er der alles ausplaudernde Göttervogel des Apollon. Odins schwätzende Raben sind letztlich seine Ideengeber. Was hat der Rabe nun mit dem Fliegenpilz am Hut? Da gibt es eine Mythe, nach der der Rabe mit Hilfe des Fliegenpilzes die Welt erschaffen hat. Das heißt, die Welt ist der Trip eines von Fliegenpilz berauschten Raben. Das erscheint mir kurzfristig recht plausibel, zumindest als akzeptable Option.

Dem heiligen Antonius, der einsam in der Wüste Sinai saß, brachte jeden Tag ein Rabe biblisches Brot. Der heilige Antonius hatte dauernd Visionen von Dämonen, besonders weiblichen, gehabt, die ihn verführen wollten. Bei diesem Rabenbrot könnte es sich ebenfalls um den Fliegenpilz gehandelt haben, der in dieser Region vorkommt.

Schweine, Rehe und besonders Rentiere essen gerne den Fliegenpilz um sich damit zu berauschen. Nach einer Legende sollen durch die Beobachtung der sich berauschenden Rentiere auch die Menschen einst auf die Wirkungen des Fliegenpilzes gekommen sein. Der von Fliegenpilzberauschten ausgeschiedene Urin enthält übrigens den unveränderten Wirkstoff des Pilzes, so dass dieser sich in Sibirien sowohl bei Rentieren wie auch Menschen großer Beliebtheit erfreute.

Ob der Fliegenpilz so heißt, weil man früher mit ihm Fliegen betäubt hat oder weil er den Hexen und Schamanen zum Fliegen verhilft, ist bis heute nicht sicher.

Mit den zahlreichen Fliegenpilz-Spielzeugen und Utensilien bis hin zur Fliegenpilz-Tapete und Schultüte mit Fliegenpilz-Motiv, mit denen man schon die Kinder konfrontiert, möchte man fast meinen, dass sie hier schon irgendwie auf Schamanentauglichkeit getestet werden. Schon das Kleinkind sieht, wenn es in die Welt schaut, Fliegenpilze. Die meisten Menschen leben mit den aus langer Tradition gewachsenen Fliegenpilzbedeutungen, denken sich aber nichts dabei, allenfalls, dass es sich um ein lustiges Glückssymbol handelt. „Der Pilz hat überall auf der Welt seine Diener, die zumindest unbewusst dafür sorgen, dass er wieder an die Oberfläche kommt.“

Schon bei den alten Griechen war die Farbe rot mit einem Tabu belegt und die Einnahme psychoaktiver Sakramente der Priesterkaste oder Einweihungsritualen vorbehalten.

„Man kann annehmen, dass von uralten Zeiten an, ein Tabu existiert, dass, wenn du kein Eingeweihter bist oder etwas von Zauberei oder Magie verstehst, dann hast du die Finger davon zu lassen, und es bekommt dir nicht.“ Unbewusste Vergiftungen Ahnungsloser mit entsprechenden Todesängsten und Magen-Darm-Verstimmung entsprechen denn meist auch eher dem Klischee einer Pilzvergiftung.
Die Hippies haben einen Kult um die Fliegenpilze gemacht. Eine ganze Reihe von Büchern, Comics, Katalogen und anderen Artefakten bis in die heutige Psytrance-Szene zeugen von ihrer Begeisterung für Fliegenpilze und Psilos. Die Schamanismus-Forscherin Johanna Wagner experimentierte mit dem Pilz. Seyfried zeichnete Berlin auf Fliegenpilz. Der Fliegenpilz-Hamburger zum Selberbasteln ist ein schräges Artefakt. Auf einer Abbildung hängt ein Maulwurf Fliegenpilze in den Weihnachtsbaum. Der Kreativität scheinen beim Fliegenpilz keine Grenzen gesetzt zu sein.

Nach Christian Rätsch ist der Weihnachtsmann letztlich nur ein abgeleiteter Schamane. In diesem symbolischen Zusammenhang steht auch der Schornsteinfeger.

Aus dem Kontext der indogermanischen Soma-Religion entstammt die Gottheit Mithras, die auf einem blonden Schopf ein rotes Zwergenmützchen trägt und mit rotem Röckchen, grünem Beinkleid und Elfenschuhen wie ein Zwergenkönig ausschaut. Sie wurde vom ersten bis zum dritten Jahrhundert besonders entlang der Grenzen des römischen Reiches im Rahmen eines siebenstufigen Einweihungskultes für Männer rituell verehrt. Im Zentrum der Mysterien, bei denen die Adepten in unterirdischen Tempeln je nach Status Tierverkleidungen, unter anderem auch die von Raben, anlegten und deren Höhepunkt die Offenbarung eines Mithrasbildes zu Sonnenaufgang darstellte, stand hier ein mitternächtlich eingenommener Rauschtrank, der möglicherweise fliegenpilzhaltig war. Man holte wohl auch Unwissende in diese Zirkel. Zumindest deutet die Sage von den Feenhügeln, in die Menschen entführt werden, darauf hin. Nahe bei Frankfurt a.M. hat man so einen Tempel ausgegraben. Besonders Edzard Klapp hat diese Zusammenhänge untersucht.

Der britische Orientalist John Allegro („Der Geheimkult des heiligen Pilzes“) kam auf die Idee, dass das Christentum, wie viele andere Religionen auch, einfach auf der Einnahme eines Rauschmittels basiert. Bei dem Baum der Erkenntnis und der Liebe, wie auf einer alten christlichen Abbildung aus dem 13. Jahrhundert zu sehen, oder dem Apfel vom Baum der Erkenntnis handelte es sich vielleicht um den Fliegenpilz. Der Amerikaner Clark Heinrich („Die Magie der Pilze“) hat diese Fragen fanatisch weiter verfolgt und im Rahmen seiner Forschungen und Spekulationen selbst geradezu gewalttätige Fliegenpilztrips gemacht.

Wahrscheinlich war der Gepunktete auch den alten Ägyptern bereits wohlbekannt.

Ein faszinierendes Phänomen sind die Hexenringe, kreisförmiges Wachstum von Fliegenpilzen. Manche von diesen Pilzkreisen sollen schon 600 Jahre alt sein. Im europäischen Hexenglauben gibt es keinen konkreten Hinweis auf die Verwendung von Fliegenpilzen. Möglicherweise sprach man aber auch von Kröten, wenn man in Wahrheit Fliegenpilze meinte.

Aus der Märchenwelt ist der Fliegenpilz nicht wegzudenken. Hier sind Hexen immer mit Fliegenpilzen verbunden. „Eine anständige Hexe, wenn sie was zusammenkocht, dann muss auch ein Fliegenpilz rein.“
Auf Märchen-Illustrationen, zum Beispiel zu „Peterchens Mondfahrt“ oder auf Schwinds berühmtem Rübezahl-Bildnis, sieht man oft unten den Fliegenpilz und darüber den Geist. Auch bei dem magischen Pilz in Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ handelt es sich vermutlich um einen Fliegenpilz. Das subjektive Empfinden, alles sei plötzlich riesig oder ganz klein um einen herum, oder umgekehrt, man selbst werde plötzlich ganz groß oder ganz klein, ist eine vielbeschriebene Fliegenpilzwirkung. Auch der tiefe Blick bis ins Innerste der Atome oder in die Unendlichkeiten des Universums gehört zu den klassischen Trip-Erfahrungen.

Immer wieder wird der Pilz als Männlein dargestellt. Millionen von innigst geliebten unpfändbaren deutschen Gartenzwergen oft in unisono mit Fliegenpilzen erinnern an die Hausgötter der Römer und könnten geradezu auf eine eigenartige Art von Drogenkult schließen lassen.

Die Fahrenden verehren den Fliegenpilz, was sich zum Beispiel in entsprechendem Geschirr äußert. Im Fasching verkleidet man sich gern als Fliegenpilz. „Jedes Fest, von dem man sich etwas Positives verspricht, wird vom Fliegenpilz ausgestattet.“

„Man könnte unendlich weitermachen“, sagt Wolfgang Bauer und möchte zum Ende kommen. Doch ich hake noch mal nach, denn mich interessiert, wo dieses besondere Interesse am Fliegenpilz seinen Ursprung fand. „1944, über uns waren die Tiefflieger. Meine Mutter zerrt mich in eine Fichtenschonung. Wir müssen uns verstecken, sonst schießen die auf uns, und da waren die Fliegenpilze. Ich renne darauf zu und meine Mutter sagt, Nein, bleib stehen, das ist die Wohnung von den Zwergen. Du willst ja auch nicht, dass man dir auf dem Dach rumtrampelt. Ich denke, das war mit auslösend, dass ich mich immer wieder mit den Fliegenpilzen beschäftigt habe.“

Und die Sammelleidenschaft? „Das muss ich ganz klar sagen. Das Zusammentragen der Fliegenpilzausstellung war keine Sammelleidenschaft. Die meisten dieser Sachen haben wir geschenkt bekommen oder haben uns Leute zugetragen. Sie sind im Besitz von Alexandra Rosenbohm, Edzard Klapp und zig anderen Leuten. Mich interessiert die Kulturgeschichte des Fliegenpilzes, die ich gerne anhand solcher Gegenstände zeige, aber ich bin kein Sammler von Fliegenpilzgegenständen. Sammler ist ein Wiener, der in seiner Privatwohnung eine völlig wahllose Sammlung hat, die man gegen einen kleinen Obolus besichtigen kann.“

Derart aufgeklärt und von der Thematik berauscht, werden wir schließlich wieder ans Tageslicht gedrängt, wo wir uns entschließen, keine Fliegenpilze zu knabbern, sondern in der Burgschänke Ebbelwoi und Handkäs mit Musik zu ordern. Ein herrlicher Tag.

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Cannabis Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen

Gute Wirkungsgrade: Universität analysiert den Vaporizer

HanfBlatt Nr. 102

Die Universität in Leiden (Niederlande) hat einen Vaporizer der Firma Storz & Bickel auf Herz und Nieren getestet. Es ging vornehmlich darum festzustellen, ob sich Vaporizer als Geräte im medizinischen THC-Einsatz eignen. Die Ergebnisse sind auch für Freizeit-Liebhaber äußerst interessant. Das Verdampfen von Marihuana oder reinem THC hat gegenüber dem Rauchen den Vorteil, das sich erheblich weniger schädliche Nebenprodukte bilden. Beispielsweise entsteht rund 56% weniger Teer. Für ihren Versuch besorgten sich die Forscher deshalb reines THC sowie weibliche Blütenstände mit einem Anteil von 12% THC(A). Die beste Temperatur zum Verbrennen Verdampfen der Substanzen liegt nach Aussagen der Forscher bei 226 Grad Celsius. Dies entsprach der höchsten Stufe (9) bei dem Gerät. Das Material sollte innerhalb von 45 Sekunden verdampft werden, danach ist kaum noch THC vorhanden. 200 mg der Blüten von der Firma Bedrocan BV wurden aufgelegt, die sehr freiwilligen Testpersonen inhalierten über einen Luft-THC-Ballon rund 8 Liter, hielten das Gemisch 10 Sekunden und exhalierten. Die Menge des ausgeatmeten THC liegt zwischen 30% und 40%. Wobei interessant ist: Die verschiedenen Probanden nahmen alle ungefähr gleich viel THC auf, egal wie sportlich sie waren oder wie groß ihr Lungenvolumen war. Von 20 mg THC kommen 6-8 mg an. Das Fazit der Forscher: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass mit dem Volcano ein sicheres und effektives Verabreichungssystem für Cannabinoide für Patienten verfügbar zu sein scheint.“
Zum nachlesen: Hazekamp Arno u.a.: Evaluation of a Vaporizing Device, Journal of Pharm. Science, Vol. 95, Nr.6, Juni 2006, S.1308-1317.

 

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Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

telepolis, 18.06.2006

Von der ewig missachteten Gerichtsentscheidung

Interview mit Carsten Schäfer, Autor der Max-Planck Studie über Cannabiskonsum und Strafverfolgung in der Bundesrepublik

Vor zwölf Jahren gab ein Richterspruch des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Anschub zu einer politischen Diskussion und gesellschaftlichen Entwicklung, die bis heute anhält. In ihrer „Cannabis-Entscheidung“ legten die Richter fest, dass ein gelegentlicher Eigenkonsum von Haschisch oder Marihuana straflos bleiben soll. In einem zweiten Schritt verpflichtete das Gericht die Bundesländer dazu, die Strafverfolgung von Haschisch- und Marihuana-Konsumenten anzugleichen. Es könne nicht sein, so die Richter, dass in Bayern der Konsum viel härter als in Schleswig-Holstein verfolgt würde. Seither herrscht Verwirrung in der Republik. Die Entscheidung fiel in die Ära von Love-Parade, Neo-Hippies und Spaßkultur, viele interpretierten den Richterspruch als Quasi-Legalisierung von Cannabis. Kiffen war cool, alle wollten dabei sein, die Konsumenten schienen immer jünger zu werden. Von den Bundesländern wurde der Auftrag eine im wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung zu garantieren und ihre Vorschriften zu harmonisieren tapfer ignoriert.

Jetzt scheint Bewegung in die festgefahrene Situation zu kommen: Das Bundesgesundheitsministerium hatte beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben, die die gegenwärtige Rechtspraxis untersuchen sollte. Zusammen mit Letizia Paoli analysierte Carsten Schäfer über 2000 Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und befragte Experten zur Lage der „Kiffernation“. Im Interview spricht Schäfer, der heute als Staatsanwalt in Baden-Baden tätig ist, über erwachsene Ersttäter, den umstrittenen Begriff der „geringen Menge“ und den Unterschied zwischen juristisch und politisch zu klärenden Fragen.

Frage: Herr Schäfer, durch ihre Studie haben sie ein umfangreiches Bild über die Strafverfolgung bei Cannabis-Besitz gewinnen können. Ist die Praxis der Verfahrenseinstellung in den verschiedenen Bundesländern gravierend unterschiedlich?

Antwort: Aus meiner Sicht ja. Die Unterschiede ergeben sich insbesondere aus den unterschiedlichen Höchstewerten für die Anwendung des § 31 a BtMG, die zumeist in Länderrichtlinien festgelegt sind (zwischen 6 g und 30 g), insbesondere aber aufgrund der Unterschieldichen Anwendung des § 31 a BtMG auf Wiederholungstäter. Insbesondere bei Letzterem ergibt sich eine sehr große Bandbreite: von der Anwendung nur auf Ersttäter, bis zu regelmäßigen oder gar obligatorischen Anwendung bis zu bestimmten Cannabis-Höchstwerten. Dies führt auch in der Praxis zu den festgestellten und auch prozentual messbaren Unterschieden. Da die absolute Mehrzahl aller Cannabis-Konsumentendelikte sich in einem Grammbereich deutlich unter sechs Gramm abspielen, haben hier die unterschiedlichen Höchstgrenzen keinen großen Einfluss.

Foto Carsten Schäfer
Carsten Schäfer

Frage: Eine andere Frage ist aber, ob diese gravierenden Unterschiede auch zu einer verfassungsrechtlich bedenklichen Rechtspraxis geführt haben.

Anwort: Hier gibt es derzeit noch sehr wenig Rechtsprechung und kaum Literatur. Diese Frage ist aus meiner Sicht – auch nach Vorliegen unserer Studie – vollkommen offen. Der Grund: Die förderalistische Grundstruktur des GG verbietet grundsätzlich die Anwendung des Art. 3 GG – und damit des Gleichheitssatzes – über die Bundesländergrenzen hinweg. Verlangt wird vom Bundesverfassungsgericht eine „im Wesentlichen gleichmäßige Rechtsanwendung“, ohne dass dies allerdings bisher konkretisiert worden wäre.

Frage: Also kann es auch in Zukunft normal und rechtskonform sein, wenn in den Ländern unterschiedlich bestraft wird? Die Bundesregierung sieht ja auch nach der Veröffentlichung ihrer Studie weiterhin „primär die Länder in der Verantwortung“.

Antwort: Grundsätzlich ist eine unterschiedliche Rechtspraxis zulässig, die Frage ist jedoch „wie“ unterschiedlich diese sein darf. Hier ist es auch weiterhin grundsätzlich die Pflicht der Länder, durch Anpassung der Richtlinien für eine gleichmäßige Rechtsanwendung zu sorgen. Erst wenn dieses nicht gelingt, und ein Ergebnis unserer Studie war ja, dass trotz der Cannabis-Entscheidung aus dem Jahr 1994 (!) bisher keine Einigung erzielt werden konnte, wäre der Bundesgesetzgeber in der Pflicht, durch Neuregelung des § 31 a BtMG für eine gleichmäßigere Rechtsanwendung zu sorgen. Dies aber nur unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber aufgrund unserer Studie Handlungsbedarf sieht. Sieht er das nicht und belässt alles beim Alten, wäre letztendlich das Bundesverfassungsgericht – nach erneuter Vorlage dieser Streitfrage durch ein erstinstanzliches Amtsgericht – berufen, dies zu entscheiden und die derzeitige Rechtspraxis als verfassungskonform oder verfassungswidrig zu erklären.

Frage: Hier gibt es dann ja ein weiteres Problem: Da Art. 3 GG nicht anwendbar ist, besteht grundsätzlich auch kein Anspruch des betroffenen Cannabis-Konsumenten auf Gleichbehandlung.

Antwort: Richtig. Ein Beschuldigter, der z. B. in Bayern wegen Besitz von 10 g Cannabis angeklagt und verurteilt wird kann sich also grundsätzlich nicht darauf berufen, dass er zum Beispiel in Berlin oder Schleswig-Holstein nicht verfolgt würde! Lediglich ein zu entscheidendes Amtsgericht kann der Rechtsauffassung sein, dass die Rechtslage so ungleich ist, dass der § 31 a BtMG in seiner jetzigen Fassung nicht verfassungskonform ist und diese Frage sodann Karlsruhe vorlegen.

Frage: 12 Jahre nach der Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts ist man also nicht nur keinen Schritt weiter gekommen, die Frage nach der „geringen Menge“ droht zur endlosen Geschichte zu werden. Existieren solche Burlesken in anderen Rechtsbereichen auch?

Antwort: In der empirischen kriminologischen Forschung wurden auch bei anderen Opportunitätseinstellungen im Bereich der sogenannten Bagatellkriminalität unterschiedliche Rechtsanwendungen festgestellt. Hierbei handelt es sich um Einstellungen wegen Geringfügigkeit nach § 153 StPO, etwa bei Diebstählen mit geringfügigem Schaden. Das Problem besteht darin, dass der Beschuldigte hinsichtlich der Nichtanwendung sogenannter Opportunitätseinstellungsvorschriften durch die Staatsanwaltschaft – und hierzu gehört nebend dem erwähnten § 153 StPO u. a. auch der hier behandelte § 31 a BtMG – kein Rechtsmittel einlegen kann. Somit gelangen die Voraussetzungen des § 31 a BtMG nicht zur Überprüfung höherrangiger Gerichte, die mit ihrer Rechtsprechung für eine gleichmäßige Rechtsanwendung sorgen könnten. Voraussetzung einer Einstellung nach § 31 a BtMG ist neben der geringen Menge auch eine geringe Schuld, und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Diese „unbestimmten Rechtsbegriffe“ unterliegen grundsätzlich der Auslegung durch den sachbearbeitendenden Staatsanwalt, regelmäßig gesteuert durch Länderrichtlinien, die durch diesen bindend anzuwenden sind. Unterschiedliche Richtlinien im Bundesgebiet führen so fast zwangsläufig zu einer unterschiedlichen Rechtsanwendung, ohne dass höhere Gerichte, etwa der BGH, regulierend eingreifen könnten.

Frage: Welche cannabisbezogenen Tatbestände führen häufig zur Einstellung des Verfahrens seitens der Staatswaltschaft und Amtsgerichte?

Antwort: Im Rahmen unserer Studie hat sich eine „Idealkonstellation“ herauskristallisiert, bei der davon ausgegangen werden kann, dass in allen von uns untersuchten Bundesländern eine Einstellung des Verfahrens nach § 31 a BtMG erfolgt: Bei erwachsenen Ersttätern ab dem 21. Lebensjahr, Umgang mit einer Cannabismenge unter 6 g, keine Fremdgefährdung und lediglich eine Tatbegehung. Diese Verfahrenkonstellation betrifft allerdings nur knapp 20 % aller untersuchten Cannabisverfahren. Bei den Amtsgerichten werden hauptsächlich Verfahren gegen Jugendliche bis 18 Jahren beziehungsweise gegen Heranwachsende bis 20 Jahren nach dem Jugendstrafrecht eingestellt. Zumeist gegen die Ableistung von Arbeitsauflagen. Hier ließ aber die Untersuchung aufgrund der geringeren Fallzahlen keine Klassifizierungen zu. Regelmäßig dürfte es sich um Delikte handeln, die geringfügig oberhalb der für eine Einstellung relevanten Kriterien angesiedelt sind; etwa bei Mengen knapp oberhalb des Höchstwertes, oder – bei konservativeren Bundesländern – erstmaliger Wiederholungstat. Andere Einstellungen durch die Gerichte sind von eher untergeordenter Bedeutung.

Frage: Und auf der Ebene der Staatsanwaltschaften?

Antwort: Im Rahmen der Untersuchung konnten lediglich in Bayern und Sachsen Einstellungen mit Auflagen in nennenswerter Anzahl beobachtet werden. Auch hier handelt es sich überwiegend um Verfahren gegen Jugendliche oder Heranwachsende. Dies führt letztlich auch zu den oben dargestellten Ungleichheiten bei Abweichungen von der beschriebenen „Idealkonstellation“, wenn man den Parameter „Alter“ des Täters verändert. Insbesondere in Bundesländern mit liberalerer Einstellungspraxis wird hier aber regelmäßig nach § 31 a BtMG, bei Jugendlichen auch nach Jugendrecht, § 45 Abs. 1 JGG, also ohne Auflagen eingestellt.

Frage: Neben der Auswertung von knapp 2000 Akten haben sie für ihre Untersuchung auch Gespräche mit Amtsrichtern, Polizisten und Strafverteidigern geführt. Kann man deren Einschätzung in Bezug auf die Rechtspraxis der Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten länderübergreifend zusammenfassen?

Antwort: Grundsätzlich konnten wir im Rahmen unserer Expertenbefragungen feststellen, dass in der Justiz (Staatsanwaltschaften, Gericht) zwar bekannt ist, dass gewisse Unterschiede und ein Nord-Süd-Gefälle bestehen, im großen und ganzen jedoch wenig über die Rechtspraxis in anderen Bundesländern – insbesondere etwa die Höhe der unterschiedlichen Grenzwerte – bekannt ist. Naturgemäß sind es eher die Stravferteidiger, die sich diesbezüglich bereits Wissen angeeignet haben. Allerdings war auch zu beobachten, dass die Einschätzung stark von der konkreten Problemlage abhängt. In ländlichen Gebieten ist die Belastung mit BtM-Verfahren, insbesondere auch was die sogenannten „harten“ Drogen anbetrifft, bei weitem nicht so ausgeprägt wie in Großstädten oder in grenznahen Bezirken wie beispielsweise Aachen. Dies hat natürlich auch Einfluss auf die Strafverfolgung von Massendelikten, wie es Konsumentendelikte mit kleinen Mengen Cannabis sind. Letztendlich werden diese Delikte in Bezirken mit hoher Belastung eher nierderschwellig behandelt und zwar nicht nur auf Seiten der Staatsanwaltschaften durch vermehrte Einstellungen, sondern bereits auf Ebene der Polizei durch die Anwendung vereinfachter Verfahren, bei denen die Ermittlungstätigkeit auf ein Minimum beschränkt und insbesondere auf ausführliche Beschuldigtenvernehmungen verzichtet wird. Dies spiegelt sich dann natürlich auch in der Einschätzung der Problemlage durch die Ermittlungsbeamten wider.

Frage: Kann man nach den Ergebnissen ihrer Studie die praktikable Höhe der „geringen Menge“ Cannabis genauer festlegen?

Antwort: Das Problem ist ja, dass es sich hierbei um eine rein politische Frage handelt bei gleichzeitig relativ geringer Praxisrelevanz. Im Rahmen der Studie betrafen über 80 % aller untersuchten Cannabisverfahren Delikte im BtM-Mengen unterhalb von 6 Gramm. Dennoch hat beispielsweise die hessische Landesregierung nach dem politischen Wechsel von der SPD zur CDU die Höchstmenge von 30 Gramm auf 15 Gramm Cannabis herabgesenkt, während die Berliner Landesregierung zum Zeitpunkt des Abschlusses unserer Untersuchung umgekehrt eine Anhebung von 15 auf 30 Gramm beschlossen hatte. Aus meiner Sicht ist dieses Problem aber weniger dringlich, als eine Einigung hinsichtlich der Auslegung anderer Kriterien. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 festgelegt, dass der „gelegentliche Eigenkonsum“ straflos bleiben soll. Dies betrifft zweifellos das Kriterium der Wiederholungstäterschaft: wie behandelt man einen Konsumenten, der zum Beispiel mit 2 Gramm Cannabis erwischt wurde, aber bereits ein Jahr zuvor – oder auch schon mehrfach – durch BtM-Besitz oder Erwerb aufgefallen war? Hier entstehen die gravierenden Unterschiede, da dies auch einen prozentual höheren Anteil an Verfahren betrifft. Um auf die Höchstmenge zurückzukommen: Der BGH hat 1998 einmal – ausgehend von einem angenommenen relativ geringen Wirkstoffgehalt 10 Gramm Cannabis ins Spiel gebracht, ohne dass dies allerdings Bindungswirkung für die Staatsanwaltschaften oder Instanzgerichte entfaltet hätte. Dies scheint mir ein tragfähiger Kompromiss zu sein.

Frage: Spielt der Wirkstoffgehalt eine Rolle?

Antwort: Damit ist tatsächlich ein weiteres Problem angesprochen: Grundsätzlich ist juristisch nicht auf die Grammmenge, sondern auf den Wirkstoffgehalt abzustellen. Die Festlegung von Höchstgrenzen für die Anwendung des § 31 a BtMG diente einzig der Verfahrensvereinfachung, da ein an sich notwendiges Wirkstoffgutachten bei Bagatelldelikten unverhältnismäßg wäre. Die derzeitige Diskussion über Marihuana-Produkte mit relativ hohem Wirkstoffgehalt lassen erwarten, dass unter Umständen auch die Diskussion über die Höchstmengen neu entfacht wird. Zumindest in der juristischen Fachliteratur werden Konsequenzen bezüglich der Gefährlichkeitseinstufung von Cannabis neu diskutiert. Hier muss die weitere Entwicklung abgewartet werden.

Frage: Welche Rolle sollte ihrer Ansicht nach das Strafrecht bei der Regulierung des Drogenkonsums der Gesellschaft zukünftig spielen?

Antwort: Ich denke, dass das Strafrecht nach wie vor eine wichtige Rolle spielt und auch spielen muss, man sollte aber die Auswirkungen auf das Drogenkonsumverhalten nicht überbewerten. So hat gerade die Drogenprohibition der letzten Jahrzehnte nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Umgekehrt halte ich aber auch eine Freigabe von Cannabis nicht für angebracht. Aus meiner Sicht wird das Gefährdungspotenzial von Cannabis – insbesondere bei Dauerkonsum Jugendlicher – nach wie vor unterschätzt. Letztlich geht es doch um die Frage, in wieweit der Staat mit seinem schärfsten Schwert – dem Strafrecht – in das selbstbestimmte Handeln des Menschen eingreifen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 in diesem Zusammenhang die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabis grundsätzlich für legitim erklärt, gleichzeitig aber festgelegt, dass ein gewisser Bereich der „selbstverantwortlichen Eigengefährdung“ straflos bleiben soll. Das Gericht hat dies mit „gelegentlichem Eigenkonsum geringer Mengen Cannabis zum Eigenkonsum ohne Fremdgefährdung“ umschrieben. Diese Linie sollte konsequent fortgeführt und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtseinheitlichkeit umgesetzt werden. Wo dann die Grenze der „geringen Menge“ und des „gelegentlichen Eigenkonsums“ gezogen wird, vermag ich nicht zu entscheiden. Im Fahrerlaubnisrecht wird bereits seit längerem zwischen gelgentlichem und regelmäigem Konsum unterschieden und Anhand des Abbauproduktes THC-COOH im Blut bestimmt. Dies könnte auch für das Strafrecht ein gangbarer Weg sein.

Parallel hierzu sollte jedoch die Strafbarkeit nicht aufgegeben werden. Zum einen halte ich gerade die Einwirkungsmöglichkeiten im Jugendrecht für unverzichtbar, denken Sie an die Möglichkeit von suchstspezifischen Auflagen, wie zum Beispiel Drogenscreening, Drogenberatung, ambulante Therapien. Zum anderen darf nicht übersehen werden, dass die Strafbarkeit des Drogenbesitzes häufig auch als Auffangtatbestand für die Bestrafung von Dealern eingreift, denen ein Handeltreiben nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Deswegen ist es auch wichtig, dass den Staatsanwaltschaften durch den § 31 a BtMG ein Spielraum verbleibt, in Einzelfällen von der vorgegeben Linie auch abzuweichen.

Literatur:
Carsten Schäfer; Letizia Paoli:
Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis. Berlin 2006, Duncker&Humblot.
447 Seiten. EUR 35,-