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Interview mit Lester Grinspoon

HanfBlatt 6/1998

Marihuana – Ein medizinisches Wunder

Interview mit dem Cannabis-Experten Lester Grinspoon

Die medizinische Anwendung von Cannabis erregt auf internationaler Ebene und auch in Deutschland immer mehr Aufmerksamkeit. Unglücklicherweise beherrschen noch immer Angst und Desinformation die Diskussion, aber mehr und mehr Menschen entdecken die medizinischen Möglichkeiten der Pflanze. Einer der Pioniere der Erforschung des medizinischen Hanfs ist Lester Grinspoon, Professor an der Harvard Medical School in den USA. In den letzten 30 Jahren schrieb er über 140 Aufsätze und 12 Bücher über Cannabis und andere Drogen. In dem Interview berichtet Grinspoon über seine Arbeit, die neuesten Forschungsergebnisse und den „Krieg gegen die Drogen“.

HanfBlatt:
Was hat Ihr Interesse an Cannabis geweckt?

Grinspoon:
Es war 1967, als ich unerwarteter Weise etwas Zeit zur Verfügung hatte. Da dachte ich daran, mir einmal Marihuana näher anzuschauen, um zu sehen, warum es soviel Theater um die Pflanze gab. Ich war zu dieser Zeit sicher, daß Marihuana eine äußerst gefährliche Droge ist und ich verstand die jungen Leute nicht, die trotz aller Warnungen Cannabis rauchten. Die folgenden drei Jahre verbrachte ich mit Forschung und Sichtung der Literatur und ich mußte lernen, daß ich wie viele andere auch einer Gehirnwäsche unterzogen war. Marihuana ist zwar nicht harmlos, gleichwohl aber viel ungefährlicher als Alkohol oder Tabak. Und -um es vorweg zu nehmen- es ist deshalb der einzig vernünftige Weg damit umzugehen die legale Abgabe durch ein kontrolliertes System. Ich beschrieb das 1971 alles in dem Buch „Marihuana Reconsidered“. Damals wurde das Werk kontrovers diskutiert, heute ist es mit einer neuen Einleitung neu erschienen.

Ihre Forschung ergab, daß Cannabis im Vergleich zu Alkohol oder Tabak harmlos ist…

Ich denke Cannabis ist nicht harmlos. Es existiert keine an sich harmlose Droge. Aber Cannabis ist -egal welche Kriterien man heranzieht- weniger gefährlich als Alkohol und Tabak. Als Beispiel: Tabakkonsum kostet in den USA jährlich 425 Tausend Menschen das Leben, Alkohol vielleicht zwischen 100 und 150 Tausend, gar nicht zu sprechen von all den anderen Problemen, den Alkoholkonsum mit sich bringt. Mit Cannabis gab es keinen einzigen tödlichen Fall. Wenn Cannabis noch immer mit US-Pharmacopoeia1 stehen würde, wäre es unter den am wenigsten giftigen Substanzen aufgeführt.

Es stand noch im Pharmacopoeia am Anfang des Jahrhunderts.

Richtig. Cannabis war eine häufig genutzte Droge, bis es 1941 aus dem Pharmacopoeia entfernt wurde. Das war nachdem das erste drakonische Anti-Marihuana Gesetz im Jahre 1937 erlassen wurde, der „Marihuana Tax Act“. Dieses Gesetz macht es so schwer für Ärzte, Cannabis weiterhin zu verschreiben, daß sie einfach aufhörten es zu nutzen.

Grinspoon

Jüngst wurden Cannabinoid-Rezeptoren im menschlichen Hirn entdeckt. Welche Bedeutung haben diese Rezeptoren für die medizinische Anwendung von Cannabis?

Sehr große. Es ist einige Jahre her, als Solomon Snyder die körpereigenen Opiate entdeckte; sozusagen Substanzen wie Opium, die wir in unseren Körper produzieren. Daraufhin wurde geschlußfolgert, daß auch Opiat-Rezeptoren im Gehirn existieren müssen. Kurz darauf entdeckte eine Frau namens Candace Pert diese. Mit anderen Worten: Wenn man den Rezeptor als Schlüsselloch ansieht und den Neurotransmitter als Schlüssel, dann muß der Schlüssel zu dem Schlüsselloch passen, um die Tür zu öffnen.
Bei Cannabis war es andersherum: Der Rezeptor wurde zuerst gefunden, ich glaube 1990. Von diesem Moment an war klar, daß es ein körpereigenes Cannabinoid geben muß – ein Schlüssel, der den Rezeptor in Gang bringt. Und tatsächlich entdeckte eine Gruppe um W.A. Devane diesen Schlüssel und gaben ihm den Namen „Anandamide“, nach dem Sanskrit-Wort Ananda, was soviel wie Glück bedeutet. Nun wird viel rund um diese Rezeptoren und Anandamide geforscht, welche -und das ist wichtig- nicht nur im Gehirn, sondern ebenfalls in anderen Organen des Körpers entdeckt wurden.
In Zukunft werden wir sehen, daß diese Rezeptoren eine sehr wichtige Rolle bei der medizinischen Anwendung des Hanfs spielen. Schon jetzt ist der klinische Nutzen aber empirisch belegt und aus meiner Sicht Grund genug, um in eine Politik umgesetzt zu werden, die es Menschen erlaubt, Cannabis legal als Medizin zu nutzen.

Stehen diese Erkenntnisse nicht im Widerspruch zu der Behauptung, daß Cannabis Hirnschäden verursacht?

Aus meiner Sicht war diese Behauptung immer nur ein Mythos. Denken Sie doch einmal nach: Wenn der Körper seine eigenen, dem Cannabinoiden ähnliche Substanzen produziert, macht es einfach keinen Sinn das er eine damit einen Stoff herstellt, der sein Hirn zerstört. Schon lange bevor die körpereigenen Cannabinoide entdeckt wurde, gab es genug empirische Beweise dafür, daß Cannabis das Gehirn nicht angreift. Es gibt ein paar wenige methodisch zweifelhafte Studien zu diesem Thema von der NIDA3 und der DEA4.

Was können Sie über die DEA sagen?

Der Vorgänger dieser Organisation war das „Federal Bureau of Narcotics“ und es wurde 1930 von Harry Anslinger geleitet. Anslinger rief eine Kampagne ins Leben, die seiner Ansicht nach zur Aufklärung über die Gefährlichkeit von Marihuana beitragen sollte. In der Realität wurde es zu einer großen Desinformations-Propaganda. Das Flaggschiff dieser Kampagne symbolisiert hervorragend der Film „Reefer Madness“. Wer sich diesen Film heute anschaut, selbst wenn er keine Erfahrungen mit Marihuana hat, wird nur über die unglaublichen Übertreibungen lachen können.

Was denken Sie: Haben die großen pharmazeutischen Firmen etwas mit der prohibitiven Haltung der US-Regierung gegenüber medizinischen Cannabis zu tun?

Absolut. Die Organisation „The Partnership for a Drug Free America“ hat ein Budget von einer Million Dollar am Tag. Viel von diesem Geld kommt von den Pharma-Konzernen und Schnaps-Destillerien. Diese Firmen haben was zu verlieren. Die Pharma-Konzerne sind an Marihuana nicht interessiert, weil die Pflanze nicht patentiert werden kann. Und ohne Patent kann man kein Geld machen. Denken Sie beispielsweise an Krebs-Patienten in einer Chemo-Therapie, die unter ständiger Übelkeit leiden. Momentan können diese das beste der Medikamente gegen Übelkeit nehmen, Ondansetron. Normalerweise nimmt man das Oral, eine 8-Milligramm Pille kostet etwa 40 Dollar und für eine einmalige Behandlung braucht man drei oder vier Tabletten. Viele vertragen das Medikament aber oral nicht und sind auf eine intravenöse Injektion angewiesen. Die Kosten für eine solche Behandlung liegen bei 600 Dollar, denn der Patient muß ins Krankenhaus. Eine andere Möglichkeit: Der Patient raucht eine Marihuana-Zigarette und die Übelkeit wird ebenfalls gelindert. Zur Zeit ist Cannabis auf der Straße zwar sehr teuer. Für eine Unze5 zahlt man zwischen 200 und 600 Dollar. Das ist der Prohibitions-Tarif. Wenn Marihuana als Medizin verfügbar wäre, würde es erheblich weniger als andere Medikamente kosten, ich schätze zwischen 20 und 30 Dollar pro Unze. In den USA kann es nicht mit Steuern belegt werden, weil es ein Medikament ist. Ein Joint würde somit 30 Cents kosten. So könnte ein Chemotherapie-Patient für 30 Cent von seiner Übelkeit nahezu befreit werden. Man sieht also warum die Pharma-Konzerne wenig Interesse an Cannabis hegen.

Sehen Sie das als großes Hindernis in Richtung auf Veränderungen in der Drogenpolitik?

Das spielt zumindest eine Rolle.

In ihrem Buch „Marihuana, die verbotene Medizin“ führen sie viele Referenzen auf, die die heilende Eigenschaft von Hanf bestätigen. Können Sie uns einige der medizinischen Probleme nennen, bei denen Cannabis hilft?

Die am weitesten verbreiteten Erfolge wurden bei der Behandlung von Krebspatienten erreicht, die sich einer Chemotherapie unterziehen. Ein großes Problem bei der Chemotherapie ist, daß die eingesetzten Substanzen Übelkeit und Erbrechen verursachen. Das ist eine Form der Übelkeit, des Ekels, dem man sich kaum vorstellen kann. Es ist sehr wichtig diese Übelkeit zu bekämpfen, damit die Menschen ihr Körpergewicht halten. Wie schon vorhin bemerkt gibt es diverse Medikamente, nur ist Cannabis oft das effektivste. Ein weiteres Beispiel ist das Glaukom, eine krankhafte Steigerung des Augeninnendrucks. Vermindert man dieses Druck nicht, kann das Glaukom zur Erblindung führen. Es gibt hierfür einige Medikamente die gut wirken, aber bei vielen Menschen hilft Cannabis besser und mit weniger Nebeneffekten.

Bei Krämpfen hilft es ebenfalls?

Epilepsie wird seit Jahrhunderten mit Cannabis behandelt. Etwa 25 Prozent der Bevölkerung in den USA die unter Epilepsie leiden, erhalten keine gute Linderung durch die konventionellen Arzneien. Bei vielen hilft da Cannabis besser. Ebenso bei der Multiplen Sklerose, einer sehr schmerzhaften Krankheit, unter der über zwei Millionen Menschen in den USA leiden. Jeder der einmal einen Krampf bei Schwimmen bekommen hat, ahnt die Schmerzen. Cannabis ist sehr effektiv bei Muskel-Spasmen, nicht nur bei Multipler Sklerose, sondern auch bei Lähmungen.
Es ist nicht lange her, als ich bei einer Diskussion im britischen Fernsehen zugegen war. Eine Frau aus dem Publikum meldete sich und erzählte, daß sie aus Leeds käme und die zweieinhalb Stunden Fahrt nach London auf sich genommen habe, obwohl sie aufgrund ihrer Multiplen Sklerose unter einer nicht zu kontrollierenden Blase leide. Cannabis würde ihr dagegen dabei helfen, die Kontrolle über ihre Blase zu halten.
Cannabis hilft bei leichten Schmerzen und wird auch seit Jahrhundert auf diesem Gebiet angewandt, genauso wie bei Migräne. Die Liste ist lang und ich glaube nicht, daß sie wollen, daß ich weiter mit der Aufzählung fortfahre. Kurzum: Es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten, Cannabis hat einen erstaunlich niedrigen Grad an Giftigkeit und es ist preiswert. Meiner Meinung nach wird Cannabis die Wunderdroge des ausgehenden Jahrhunderts, genauso wie es Penicillin in der 40er Jahren war.

In ihrem ersten Buch über Cannabis, „Marihuana Reconsidered“, erwähnen Sie die Unsinnigkeit der Behauptung, daß die internationalen Konventionen, speziell die der UN, ein ernsthaftes Hindernis bei der Legalisierung von Cannabis sind. Stehen Sie noch heute auf diesem Standpunkt?

Keine Frage, ja. Übereinkünfte kann man ändern und ich denke, der Anschub hierfür wird von Europa ausgehen. Das Interesse wächst in Europa schneller als in den Vereinigten Staaten. Ende 1995 erhielten wir einen Brief des Deutschen Herausgebers des Buches „Marihuana, Die verbotenen Medizin“, der uns zur siebten Auflage gratulierte. Er sagte, daß das Buch eine „gesunde Debatte um das medizinische Cannabis in Deutschland“ angeschoben hätte. Die Europäer sind uns weit voraus und der Druck wird von ihnen kommen. Die momentane Situation ist aber auch wirklich furchtbar. Viele kranke Menschen kämpfen schon genug mit ihrer Krankheit, zusätzlich sind sie auch noch dem Druck der Illegalität ausgesetzt.

Denken Sie, daß die internationalen Abkommen den „Krieg gegen die Drogen“ am Leben erhalten?

Ich bin kein Experte, aber die Rechtsexperten mit denen ich sprach sagen, daß das nicht das Problem wäre. Der „Krieg gegen die Drogen“ hat eine erheblich größere Dimension als unsere Diskussion um den medizinischen Hanf. Der Weg könnte aber derselbe sein: Druck auf die Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft. Die Leute müssen aufgeklärt werden. Das gilt vor allem für die Ärzte. Sehen Sie, normalerweise erhalten Ärzte ihre Ausbildung über Drogen von den pharmazeutischen Konzernen, von Artikeln in Fachzeitschriften und Kampagnen. Viele dieser Institutionen haben aber -oft aus wirtschaftlichen Gründen- kein Interessen an einer Verbreitung von Cannabis. Seit einiger Zeit ändern sich aber was, denn vermehrt lernen nun die Ärzte von ihrer Patienten. Ein AIDS-Patient erzählt seinem Arzt, daß er Marihuana als Mittel gegen seinen Gewichtsverlust einsetzt. Und der Arzt sieht den Beweis auf der Meßskala seiner Waage. Das macht natürlich Eindruck und so ändern sich halt Einstellungen.

Aus dem Nexus Magazine 3/96
E-Mail: nexus@peg.apc.org
Übersetzt von Jörg Auf dem Hövel

 

 

 

 

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Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Roger Liggenstorfer

Pilzmänchen und Freiheitskappen

Interview mit Roger Liggenstorfer zum Thema Psilos

In den letzten Jahren hat sich die Einnahme von psiloc(yb)inhaltigen Pilzen zu einem Phänomen entwickelt, bei dem nicht mehr von einem vorübergehenden Hype gesprochen werden kann. Pilze sind wahrscheinlich noch vor LSD das am häufigsten gebrauchte Psychedelikum unserer Breiten. In den Niederlanden stellen sie die umsatzstärkste Basis eines jeden sogenannten „Smartshops“ dar, von denen es allein in Amsterdam etwa 50 Stück gibt. Diverse professionell gezüchtete Sorten sind dort frisch und getrocknet im Angebot. In Deutschland konnte man bis vor kurzem Anzuchtmaterialien kaufen bis hin zu mit Mycelien durchwachsenen Boxen, in denen die Pilze nur noch zur Fruktifizierung gebracht werden müssen. Vom Versandhandel, der in den einschlägigen Zeitschriften oder im Internet inserierte, liessen sich ausserdem sogenannte „Duftkissen“ oder „Raumaromatisierer“ bestellen, die einige Gramm der getrockneten Pilze enthalten. So hoffte man den Strafverfolgungsbehörden ein Schnippchen zu schlagen, denn die Wirkstoffe der Pilze sind wie auch in den Niederlanden explizit dem Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstellt. Natürlich darf man die Behältnisse nicht öffnen oder gar den Inhalt verspeisen, denn das verstosse gegen das Gesetz, aber jeder weiss, wozu die relativ teuren Dinger wirklich gut sind. Manch ein Headshop oder ethnobotanischer Spezialitätenhändler (Smart-Shop) in den Städten liess die einträglichen Pilze in dieser Aufmachung über oder unter dem Ladentisch seinem erlauchten Kundenkreis zukommen. Aber im Grunde herrscht eine grosse Rechtsunsicherheit, was im Umgang mit den „Psilos“ oder „Zauberpilzen“ denn nun wirklich legal ist, und was mit Bestrafung bedroht wird. Mit einer von der Rot-Grünen Regierung durchgesetzten BtmG-Änderung wurden die „Psilos“ nun mit Wirkung zum 1.Juli 2001 entgültig „verboten“ und Ihre Freunde der Strafverfolgung anheimgestellt.

Als einer der wenigen Verleger geistbewegender Schriften zum Thema psychoaktiver Pflanzen und Substanzen ist Roger Liggenstorfer vom Nachtschatten Verlag über Stadt und Land allen Fraggles wohlbekannt. Er hat sich eingehend mit den Pilzen beschäftigt und plant die Veröffentlichung eines neuen Buches dazu. Also freuen wir uns ihm ein paar Fragen zum Thema stellen zu dürfen.

HB: Woher kommt deine Liebe zu den Psiloc(yb)inpilzen?

RL: Diese Symbiose mit den Pilzen hat bei mir schon früh angefangen: In den Siebziger Jahren, als ich anfing psychoaktive Substanzen zu konsumieren, war die Auswahl noch relativ klein, nebst Haschisch/Gras gab es hauptsächlich LSD und vereinzelt Pilze. Die ersten Pilze wurden dazumal noch von Wales/England importiert. Ich hatte das Glück, dass ich damals als Marktfahrer in der Schweiz von einem Pilzmännchen aus England besucht wurde, der einen riesigen Sack voll getrockneter ‚Spitzkegeliger Kahlköpfe‘ bei sich hatte. Wir probierten die natürlich gleich aus – und der Marktschirm flog fast davon, so high waren wir. Durch diese nun in grösserem Rahmen auftauchenden ‚Liberty Caps‘ mutmaßte man, dass diese Pilze eigentlich auch hierzulande wachsen könnten. Und sie wurden dann tatsächlich zahlreich gefunden – hauptsächlich in den Jurahöhen, die wiederum ‚Freiberge‘ heissen. Macht auch Sinn: Liberty Caps auf den Freibergen!

HB: Es gibt bereits einige wertvolle Bücher über Psilos, an deren Publikation du zum Teil maßgeblich beteiligt warst. Wie bist du auf die Idee gekommen, ein weiteres Buch zum Thema Psilos zu machen?

RL: Die Idee zu diesem Buch kam mir als ich im Zusammenhang mit Gerichtsfällen in der Schweiz auf ein Rechtsgutachten aufmerksam wurde, das im Namen des Bundesamtes für Gesundheit bei einem bekannten Juristen in Auftrag gegeben wurde. Dieses Gutachten beschreibt auf eindrückliche juristische Weise, dass a) getrocknete Pilze kein Präparat im Sinne des BTM sind (ein Präparat ist es erst im Sinne des BTM, wenn die Inhaltstoffe extrahiert werden), und b) diese psilocybinhaltigen Pilze nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, wohl aber unter das Lebensmittelgesetz. Da sie aber als Lebensmittel nicht deklariert sind, kann bei einem nachgewiesenen Handel eine Strafe diesem Gesetz entspechend ausgesprochen werden, das aber weitaus humaner ist als eben das Betäubungsmittelgesetz. Dieses Gutachten inspirierte mich ein Buch mit dem Titel ‚Legalitätsbetrachtungen zu psilocybinhaltigen Pilzen‘ herauszugeben.

Wie weit ist dieses Buch gediehen?

Zuerst wollte ich nur dieses ’nackte‘ Gutachten (dessen Abdruckbewilligung ich vom Bundesamt für Gesundheit ausdrücklich bekam) herausgeben, mit einem kleinen Vorwort meinerseits. Dann dachte ich, wenn schon so ein Buch, dann sollten noch weitere Aspekte drin enthalten sein, so u.a. eine Legalitätsbetrachtung aus naturwissenschaftlicher Sicht (die Jochen Gartz beisteuert), aus einer kulturhistorischen/evolutionären Sicht und weitere Aspekte. Leider hatte ich mir da etwas zu viel vorgenommen, und dann blieb das Buch ‚auf der Strecke‘ liegen und viele andere Arbeiten haben mich überhäuft. Nun sind wir, ein Jurist der mir dabei noch hilft, dabei, das Buch fertigzustellen und hoffe, dass die Erscheinung noch dieses Jahr erfolgen wird.

HB: In welchen Kontexten werden Psilos genommen?

RL: Ursprünglich wurden die Pilze in einem schamanistischen/heilenden Kontext (siehe Maria Sabina) eingenommen. Heute werden sie hauptsächlich zum Spass, aber auch zur Selbsterkenntnis (die ja auch Spass machen kann!) verwendet. Als Partydroge sind die Pilze nicht wirklich geeignet, wenn überhaupt, dann in kleineren Dosierungen. Um einen wirlich intensiven Trip zu erleben, um eine Begegnug mit dem Pilzgott (oder der Pilzgöttin) zu erlangen, sollte man sich gut darauf vorbereiten und eine Umgebung wählen, in der man ungestört seine Reise durchleben kann. Vorteilhaft ist natürlich ein Platz in der Natur, da wohl keine andere Substanz eine so starke Symbiose Mensch-Natur erzeugen kann und ein Bewusstsein für unsere ‚Umwelt‘ wie auch für unsere ‚Innenwelt‘ entwickeln kann.

HB: Wo liegen die Risiken bei der Einnahme von Psiloc(yb)inpilzen?

Wie oben bereits beschrieben, ist es enorm wichtig sich Zeit zu nehmen und sich vorgängig Gedanken zu machen, wieso man diesen Pilztrip will (Set & Setting). Und genau hier liegen die Risiken: Schlechte Vorbereitung, Einflüsse von Aussen an die man nicht gedacht hat, selbst einen Haufen ungelöster Probleme in sich usw. können einen Pilztrip ins Gegenteil verwandeln – und plötzlich liegt man völlig verstört am Boden, weiss nicht mehr was oben und unten ist, was das alles soll – und die Kontrolle geht verloren und man wünscht sich, der Trip würde endlich aufhören. Und dies kann nicht der Sinn sein. Schön ist es, wenn man nach dem Pilztrip sagen kann: Wow, war das geil, das hätte ich nie gedacht, dass es so was Schönes gibt. Weil nach einer solchen Erfahrung ist man auch nicht gleich wieder geil auf den nächsten Trip: Zuerst verarbeiten, integrieren – und sich dann auf den nächsten Trip wieder freuen!

HB: Wer sollte keine Psilos zu sich nehmen?

RL: Wer psychisch labil ist, in einer persönlichen Krise steckt, sonst „viel um die Ohren hat“, sollte vorsichtig sein im Umgang mit (allen) psychoaktiven Substanzen. Auf keinen Fall sollte jemand, der unsicher ist, alleine auf einen Pilztrip gehen. Angst ist auch eine ganz schlechte Voraussetzung, dies heisst aber nicht, dass der nötige Respekt vor den Pilzen fehlen darf. Nicht jede (legale oder illegalisierte) Substanz ist für jede Person geeignet – das muss schlussendlich jede/r selbst herausfinden, ob und welche Substanzen für ihn/sie verträglich sind. Und dann gibt es bekanntlich auch noch einschlägige Literatur um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Unser Verlagsmotto heisst schliesslich nicht umsonst: Mehr Wissen – mehr Spass!

HB: Wie geht man in der Schweiz mit den Pilzen um? Wird der Genuß dieser putzigen kleinen Gesellen in der Öffentlichkeit wahrgenommen oder diskutiert? Wie sieht man ihn im Verhältnis zu anderen Genussmitteln, wie´z.B. Hanf?

RL: Zur Zeit haben Pilze in der Schweiz noch ein sogenanntes Schattendasein. Sie werden zwar wahrgenommen, zur Saison im Herbst gibt es dementsprechende Zeitungsartikel, in den Medien werden sie hauptsächlich positiv und auch mit dem den Pilzen typischen Schalk umschrieben. Sie werden eher als weiche Droge beschrieben, stärker als der Hanf, aber trotzdem weitaus weniger gefährlich als viele andere Substanzen. Und es herrscht natürlich hinsichtlich der Legalität eine grosse Unsicherheit. Ähnliche Diskussionen wie die neueste Betäubungsmittelverordnung in Deutschland sind hierzulande auch im Gange, das BAG (Bundesamt für Gesundheit) ist etwas in diese Richtung am Vorbereiten. Andererseits stehen wir in der Schweiz vor einer Revision des Betäubungsmittelgesetzes, bei der weiche Substanzen eigentlich eher liberalisiert werden sollten. Und es wäre ja Blödsinn pur, in einer Zeit der Liberalisierung nun eine weiche Substanz wie die Pilze auf den Index zu setzen – dies würde bekanntlicherweise wiederum ganz andere prohibitionsbedingte Probleme erzeugen.

HB: Was ist dir über den verschiedentlich postulierten traditionellen Gebrauch in der Schweiz z.B. unter Almhirten bekannt?

RL: Ein richtig traditioneller Gebrauch ist nicht bekannt. Es ist nicht erwiesen, dass die alten Eidgenossen dank der Pilze diese Schlauheit erlangten um sich von den Vögten zu befreien – aber ausgeschlossen ist es auch nicht. Sergius Golowin berichtet von Nachfahren alpenländischer Nomaden, die Kenntnisse von Pilzen haben, die aber sehr zurückhaltend sind mit Informationen. Aus anderen Quellen ist zu erfahren, dass Pilzkreise in den 60er und 70er Jahren im Berner Oberland in einem stark rituellen Kontext stattfanden (mit Schwitzhütten, Fasten, Gebeten, Räucherungen etc.). In der Neuzeit werden wieder vermehrt Pilz-Kreisrituale, wie ich sie im Buch ‚Maria Sabina‘ beschrieben habe, abgehalten.

HB: Was hälst Du von einem Psilotourismus? Man kennt ihn ja von vielen Orten auf der ganzen Welt. RL: Den gab es natürlich schon seit man von Pilzen weiss. Dieser Tourismus dürfte aber im Zuge der zunehmenden Verbote wieder steigen.

B: Wie wird sich der Umgang mit Psiloc(yb)inpilzen entwickeln?

RL: Ich denke, dass der Irrsinn mit dem Verbot psychoaktiver Pflanzen einmal ein Ende haben wird. Es ist die einzige Chance, uns und unseren Planeten zu retten. Hirnvitamine, wie sie Albert Hofmann auch nennt, sind genau so wichtig für unser Bewusstsein wie Mineralien, Vitamine und Spurenelemente für unseren Körper. Und Substanzen, die unser Bewusstsein verändern, waren schon immer ein evolutionärer Motor, d.h. Drogen haben schon immer gesellschaftliche Entwicklungen eingeleitet. Und so wie Kaffee das Industriezeitalter miteingeläutet hat, die psychedelischen Drogen wie LSD, Pilze etc. die Flower Power-Zeit ausgelöst und damit auch die spirituelle Auseinandersetzung beeinflusst haben, werden Drogen auch – oder erst recht – in Zukunft eine grosse Bedeutung haben. Hanf wird nach und nach wieder normalisiert, als nächstes werden die Pilze drankommen bis hin zu einer integrierten Rauschkultur – dass wir davon noch weit weg sind, ist mir bewusst, aber es ist wie gesagt, der einzige Weg um die Spaltung Geist/Materie durchbrechen zu können und wieder den Einklang mit uns und dadurch mit unserer (Um)-Welt zu erreichen.

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Drogenpolitik

Sohn des britischen Innenministers handelte mit Cannabis

Setzt Großbritannien seine harte Linie in der Drogenpolitik fort?

Die englischen Gazetten zeigten sich schon immer äußerst trickreich, wenn es darum ging an eine brisante Story zu kommen. Der jüngste Fall: Eine Reporterin des Daily Mirror, Dawn Alford, kaufte vom Sohn des Innenministers Cannabis. Strohdumm von William Straw, könnte man meinen, gleichwohl lastet man der Journalistin nun an, daß sie den 17jährigen Straw zu der Tat verführt haben soll. Kurz vor Weihnachten trafen sich die Beiden in einer Gaststätte in London, William Straw verkaufte Cannabis im Wert von sage und schreibe 25 Mark an die Pressefrau. Diese händigte das Kraut der Polizei aus und wurde -Ironie der Geschichte- auf der Stelle verhaftet.

Das Massenblatt veröffentlichte die Geschichte umgehend, konnte den Namen des Jugendlichen wegen seiner Minderjährigkeit nach britischem Gesetz aber nicht nennen. Dies übernahmen nun Zeitungen in Schottland, Irland und Frankreich. Ein Richter am High Court in London verfügte deshalb, daß auch in England der Name des Betroffenen genannt werden kann. William Straw besucht eine Gesamtschule in London, wo er gerade sein Abitur macht. Er will in Oxford studieren.

Der besorgte Vater Jack Straw, der im Kabinett von Tony Blair für die Drogenpolitik zuständig ist und als Hardliner gilt, sprach in einer eilig einberufenen Pressekonferenz von „Schock und Betroffenheit“, die er über die Vorwürfe gegen seinen Sohn empfunden habe. Er hatte William persönlich zur Polizeistation begleitet. Eine Anklageerhebung gegen den jungen Kiffer ist nach Angaben aus Justizkreisen unwahrscheinlich.

Der Chefredakteur des Daily Mirrors verteigte inzwischen das Vorgehen seiner Zeitung, welche die Reporterin ausgesandt hatte, um von einem Minderjährigen Drogen zu kaufen. „Hier liegt doch ein eindeutiges öffentliches Interesse vor“, sagte Piers Morgan. „Der Sohn des Innenministers verkauft Drogen und dieser Minister ist bekannt für seine harte Linie in Sachen Drogenkonsum.“

Die Politik auf der Insel nahm den kuriosen Fall zum Anlaß, auf die verfehlte Drogenpolitik des Landes hinzuweisen. Paul Flynn, Abgeordneter der Labour-Partei im Unterhaus, ging sogar soweit, die Legalisierung des Rauschhanfs zu fordern. „Vielleicht begreifen sie jetzt, daß weiche Drogen zum Alltag vieler junger Leute gehören – auch von Mittelklasse-Kindern von Ministern.“ Flynn behauptete, daß der Krieg gegen die Drogen verloren sei. „Die Wahrheit ist, daß 50 Prozent der jungen Frauen und 70 Prozent der Männer zwischen 20 und 24 schon einmal illegale Drogen genossen haben.“ Der einzige Weg um den Drogenkonsum zu mindern und die Drogenkriminalität wirkungsvoll zu bekämpfen sei, so der dem linken Flügel seiner Partei zugehörige Flynn, die Austrocknung des illegalen Marktes durch den Ersatz mit einen legalen Markt. „Dieser kann überwacht, reguliert und kontrolliert werden“, spann der Hinterbänkler seinen Gedanken weiter.

Die Reaktion von Jack Straw ließ nicht lange auf sich warten. Der Innenminister machte in einem Interview mit der BBC deutlich, daß die Regierung nicht beabsichtige, die Drogenpolitik grundsätzlich zu ändern. „Marihuana ist eine gefährliche Droge und sollte natürlich nicht legalisiert werden“, erzählte Straw den Journalisten. Erst wenn nachgewiesen werde könne, daß Cannabis ungefährlich sei, müsse diese Haltung überdacht werden. „Die Berichte der Vereinten Nationen sagen aber immer wieder, daß diese Droge narkotisch wirkt und gefährlich ist“, meinte Straw weiter. Aus dem Dunkeln tauchte am Tag nach dem Interview plötzlich Steve Grant auf, Herausgeber des Londoner Magazins „Time Out“. Er gab der Öffentlichkeit bekannt, daß er in den 60er Jahren mit dem Bruder des heutigen Innenministers, Ed Straw, Joints geraucht habe. Und trotz dieses Umstands sei Ed heute ein ganz normaler Bürger in Essex, mit einer Familie und einem festen Job.

In Großbritannien formieren sich immer mehr Kräfte, die auf die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsum drängen. Paul McCartney, mittlerweile geadelt und mit „Sir“ anzureden, fordert dies ebenso wie Alan Yentob, Direktor des Fernsehsenders BBC, Sir Kit McMahon, ehemaliger Vorsitzender der einflußreichen Midland Bank, Schauspieler Richard Wilson und die Inhaber der auch in Deutschland florierenden „Body-Shop“ Kleinkaufhäuser. Mit vorsichtigen, aber doch bestimmten Worten schaltete sich jüngst auch der „Lord Chief Justice“, einer der höchsten und wichtigsten Richter im Lande, in die Diskussion ein. Lord Bingham wünschte „objektive und unabhängige Überlegungen“ zu dem Themenkreis. Ob aber tatsächlich -wie vorgeschlagen- eine Royal Commission eingesetzt wird, muß bezweifelt werden. Schon 1969 hatte ein vom Unterhaus eingesetzte Cannabis-Kommission festgestellt, daß Cannabis keine physische oder psychische Abhängigkeit verursacht. Der Wootton-Report und seine Vorschläge der Entkriminalisierung fanden ein weites Echo, wurden aber vom damaligen Innenminister Jim Callaghan rundweg abgelehnt.

Tony Blair und seine Regierung haben sich der Aufgabe einer Revision der Drogenpolitik bislang noch nicht gestellt. Noch vor vier Jahren, als Labour in der Opposition weilte, schlug Clara Short, heute Staatssekretärin für Ministerium für Entwicklungshilfe, die Legalisierung von Cannabisprodukten vor. Heute gibt sich das Kabinett ahnungslos und befindet sich damit auf gleicher Ebene wie die Konservativen, deren innenpolitischer Sprecher Brian Mawhinney (auch geadelt) zur Diskussion seinen Teil beitrug: „Diese Partei meint nicht, daß Drogen legalisiert werden sollten.“ Brian Mackenzie, Präsident der Vereinigung der Polizeichefs, stieß ins gleiche Horn: „Jede Änderung der Einstellung, Menschen wegen Drogenbesitz anzuklagen, wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Das würde ein völlig falsches Signal senden.“ Nur die britischen Grünen sprechen sich offen für eine Entkriminalisierung des Hanfs aus.

Inzwischen mischen sich Wissenschaftler und Mediziner in die Diskussion ein. Wie in den USA und anderen Ländern fordern auch britische Therapeuten den Einsatz von Marihuana als Medizin freizugeben. Die „British Medical Association“ drängt seit einiger Zeit darauf, den wissenschaftlichen Umgang mit der natürlichen Substanz zu erleichtern. In einer Resolution, veröffentlicht auf ihrer jährlichen Tagung in Edinburgh (Schottland), forderten die Mediziner die Legalisierung zumindest der Inhaltsstoffe der Pflanze, die nachgewiesenermaßen Linderung bei Schwerkranken bringt. Bis 1971 war dies den Doktoren in Britannien ohnehin erlaubt. 74 Prozent der Mitglieder der Association sprachen sich jetzt in einer Umfrage dafür aus, Pot wieder verschreibungsfähig zu machen. Mike Goodman, Direktor der einflußreichen „National Drugs and Legal Advice Charity Release“, deutete nun ebenfalls an, daß eine Reform der bestehenden Gesetze notwendig sei. Das Gesundheitsministerium kann bislang nur Lizenzen vergeben, die es Wissenschaftlern erlauben, die therapeutischen Effekte der Cannabinoide zu erforschen. Momentan sind 19 solcher Lizenzen an Forschungseinrichtungen vergeben.

Harte Strafen

Der Umgang mit Cannabis wird in England noch immer hart bestraft. Allein der Besitz kann mit bis zu fünf Jahren, der Handel mit bis zu 14 Jahren Gefängnis enden. Das Aufziehen von Pflanzen ist natürlich ebenfalls verboten, der Import, Besitz und Verkauf von Samen ist allerdings nicht illegal, es sei denn, die Ordnungshüter weisen nach, daß die Samen für Kultivierung an die Frau gebracht werden sollen. Wer das erste Mal mit einer kleinen Menge Marihuana oder Haschisch erwischt wird, kommt zumeist mit einer Verwarnung oder Geldstrafe davon. Diese kann aber durchaus empfindliche Ausmaße annehmen. Den Sohn vom Minister wird’s weniger kratzen. In einem Londoner Außenbezirk hob die Polizei im vergangenen Jahr die größte Indoor-Marihuana-Plantage der Geschichte Englands aus. Insgesamt rupften die Beamten 1205 Hanfpflanzen aus der Steinwolle. Der Trend ist eindeutig: Die Briten kiffen gerne und bauen ihr Kraut auch selbst an. Während im Jahre 1977 rund 10 Tausend Pflanzen beschlagnahmt wurden, waren dies 1984 bereits 23.592 Pflanzen. Diese Zahl schnellte bis 1994 auf über 100 Tausend hoch (genau 107.629 Pflanzen). Wie aus der Tabelle deutlich wird, stieg auch die Menge der verfolgten Straftaten enorm an. 1992 machten die Cannabis-Vergehen 84.5 Prozent aller Drogenstraftaten aus, rund 1000 Menschen landen jährlich wegen Cannabis in Haft.

Gegenüber Kiffern hat sich vor allem in den Großstädten -ähnlich wie in einigen deutschen Bundesländern- eine informelle Politik der Polizei durchgesetzt, die von restriktiver Verfolgung absieht. Das Kiffen wird von den Beamten geduldet, so lange es nicht in aller Öffentlichkeit geschieht. Wenn die Situation keine formellen Aktionen fordert, wird auch nichts unternommen. Verlassen auf diese Gnade kann sich aber auch auf dem grünen Eiland niemand.

Die Pointe für den Schluß: Im nächsten Monat wird Jack Straws „Eltern-haften-für-ihre-Kinder-Gesetz“ im Oberhaus debattiert. Eltern, so will es Minister Straw, sollen Strafe zahlen, wenn die Kids etwas anstellen. Straw mache sich zum Gespött des Landes, wenn er das durchziehe, bemerkte Lord Russell von den Liberalen voller Vorfreude.

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Hans-Georg Behr

HanfBlatt 8/1997

„Ich sehe keine Bewegung“

Hans-Georg Behr. Der kiffende Psychater, Schriftsteller und anerkannte Experten in Sachen Cannabis, ist für die Einen noch immer ein rotes Tuch, für andere ein stets auskunftsfreudiges Kompendium. Behr spart ungern an Kritik und nimmt auch die Hanf-Bewegung davon nicht aus.

Im Gespräch spannt sich der Bogen von der momentanten Hanfeuphorie, über die herrschende Drogenpolitik, bishin zu dem Gefühl, was der Mensch als Glück bezeichnet. Es ist nützlich, ihm zuzuhören, denn nur wer auch die eigenen Prämissen in Frage stellen kann, entwickelt sich.

Hans-Georg Behr
Hans-Georg Behr

HanfBlatt: Ihre Aufsätze erfreuen durch eine farbige, ausdrucksstarke Sprache, Herr Behr.

Behr: Herr Professor Keup, der große Cannabis Gutachter der ersten Generation, hat einmal gesagt: „Längerer Cannabisgebrauch führt weg vom abstrakten Denken hin zu bildhaft-konkretem (Mechanismus unbekannt).“ Dafür bin ich natürlich eine Bestätigung.

HB: Wie sind sie zum Cannabis-Konsum gekommen und was bewegte sie, sich eingehend damit zu beschäftigen?

Behr: Albert Paris Gütersloh war in Wien ein sehr bekannter Künstler, Philosoph und Schriftsteller. Einmal fragte ich ihn, was das denn sei, und er riet mir, damit zu warten, bis er mir etwas abgäbe. Das hat er dann an meinem 16. Geburtstag getan. Das Zeug tat mir gut und so bin ich dabei geblieben.

Während meines Medizinstudiums begann die Hysterie um das Haschisch. Schon aufgrund meines Studiums habe ich darüber mehr gewußt als viele andere, und die Unehrlichkeit in der Argumentation hat mich maßlos geärgert. Praktisch haben wir es mit einer postkolonialen Übernahme von US-amerikanischen Normen unter völliger Leugnung der vorhandenen europäischen Geschichte der Pflanze sowie der medizinischen Tatsachen zu tun. Da habe ich dann halt ein bißchen gegen gemotzt.

Nicht, daß ich so was Besonderes am Kiffen finde – das ist für mich ein Rauschmittel bzw. Genußmittel wie viele andere auch.

HB: Worin liegt das Verbot denn noch begründet?

Behr: Unsere Gesellschaft braucht anscheinend immer wieder Sündenböcke. Die werden dann „Langhaarige“, „Penner“ oder „Flower-Power-Kinder“ genannt. Da gibt es viele Namen. Es ist doch seltsam, daß man sich bei den zwei Teufeln, die unsere verwaltete Gesellschaft kennt, bei der Sexualität auf Formen und beim Rausch auf Mittel beschränkt.

HB: Die Suche nach dem Sündenbock ist also auch ursächlich verantwortlich für die jetzige Hanf-Politik?

Behr: Also, wenn ich mir den historischen Anfang der Cannabis-Politik ansehe, dann kommen mir doch erhebliche Zweifel, ob das heute noch „politically correct“ wäre. Anslinger brauchte, nachdem die Prohibition gefallen war, eine Beschäftigung für seine Beamten. Er brachte den Hanf in’s Kreuzfeuer, indem er behauptete, daß die schwarze Bevölkerung Cannabis rauchte, um unter dessen Einfluß weiße Frauen zu schänden. Der weiße Mann müsse sich aus diesem Grund gegen das „Negerkraut“ wehren.

HB: Und so kam auch der Begriff des „Marihuana“ in’s Spiel.

Behr: Na ja sicher, wenn man etwas anders benennt, kann man es dämonisieren. Und nach einer Weile schnatterte die Ente ganz frei durch die Wildbahn. 1983 haben nicht einmal die High-Times-Redakteure gewußt, daß „Pot“ und „Hemp“ dieselbe Pflanze sind.

HB: Später übernahmen die Deutschen die Prohibition gegen den Hanf.

Behr: Die CDU liest noch heute, was unter Reagan signiert wurde und bringt es in den Bundestag ein. Die beiden abstrusen Verhärtungen im Betäubungsmittelgesetz sind allerdings unter SPD-Ägide erfolgt. Die Drogenpolitik der Bundesrepublik ist eine fantasielose Kopie der ärgsten amerikanischen Auswüchse, gewürzt mit etwas deutschem Perfektionismus.

HB: Nun scheint ja aber langsam Bewegung…

Behr: Nein, Nein. Das ist vielleicht ein Orkan im Wasserglas. Einmal angenommen, wir nehmen jetzt unsere anerkannten wissenschaftlichen Koryphäen. Soll jemand wie der Karl-Ludwig Täschner auf einmal sagen: „Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren Kollegen, ich habe die ganzen Jahre hysterischen Scheiß erzählt“?
Auch die Politiker können sich nicht an der Realität orientieren.

HB: Also muß erst noch eine neue Generation heranwachsen?

Behr: Auch das wird nichts nützen. Auch die neuen kommen nur hoch, wenn sie die Idiotien der Alten nachbeten. Der etablierte Apparat läßt nur seinen Nachwuchs zu. Was ist denn Claudia Nolte? Die ist doch das älteste Regierungsmitglied!

HB: Die Chance auf tatsächliche Bewegung ist also gleich null?

Behr: Die wirklichen Bewegungen finden woanders statt. Wir befinden uns doch in einer hyperkomplexen Gesellschaft, in der fast nichts mehr zu regeln ist. Natürlich kann überlegt werden: „Wenn wir das jetzt so und so machen, läuft das besser“, aber dazu braucht man schon lange keinen Staat mehr. Weitgehende Bereiche haben sich der staatlichen Regulierungsversuche entzogen – dort findet was statt, dort ist Bewegung.

HB: Der Staat zieht sich also auch aus der Drogenpolitik zurück?

Behr: Polizei und Justiz profitierten bisher am meisten von der staatlichen Drogenpolitik: Noch mehr Geld, noch mehr Posten, noch mehr Kompetenzen. Ausgerechnet die begehen jetzt Feigheit vor dem Feind und sagen: „Wir sind nicht in der Lage, dieses Problem in den Griff zu bekommen“. In Hamburg dürfen die Balkone grünen, weil die Ordnungshüter dies nicht mehr für ihre Aufgabe halten. Die andere Seite ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Denen ist auch klar, daß man nicht jeden kleinen Kiffer verfolgen kann. Nun ist die Frage, wie klein man den Kiffer annimmt.

HB: Teilweise wird ja immer noch angenommen, daß der Wirkstoff des Haschisch, das THC, suchtbildende Eigenschaften hat.

Behr: Auch da müssen andere Normen gesetzt werden. Dieses Problem stellt sich auch bei der UNDCP. Dort ist schon sehr lange eine neue Anhörung zur Gefährlichkeit der einzelnen Substanzen beantragt. Das fürchten die wie der Teufel das Weihwasser. Sie wollen keine neue wissenschaftliche Debatte mehr, denn sie wissen, daß die heute ganz anders ausgehen würde als im Jahre 1949. Auf die drei Experten, die damals (von Anslinger ausgesucht) angehört wurden, stützt sich noch heute die Völkergemeinschaft.
Sie sehen, daß Ganze ist ein so verzurrtes Paket, daß da keine Bewegung reinkommt.

HB: Nun versuchen ja Teile der Legalisierungsanhänger, über den Faserhanf Bewegung in das Spiel zu bringen.

Behr: Ja, Ja, dann haben wir französische Zustände, wo die Hanffelder von der Europäischen Gemeinschaft subventioniert und die Kiffer mit Straßenrazzien beglückt werden. Darauf will ja auch Gesundheitsminister Seehofer hinaus. Gut und schön, dann sollen die Kids halt so blöde sein und dem Waigel Wasser auf die Mühle zu schütten. Die Konsequenz: Es gibt die guten Hanfbauer und die schlechten Kiffer.

HB: Und wie könnte ein Legalisierungsmodell aussehen?

Behr: Entwerfen kann man mehrere. Maßgebliche Fortschritte kommen ja aus den Oberlandesgerichten und vom Verfassungsgericht. Ich weiß auch nicht, ob wir von einem Drogenproblem reden sollten: Die Zahl der Kiffer ist mit vier bis fünf Millionen relativ konstant. Ob die das mal mehr öffentlich oder mehr geheim machen, spielt kaum eine Rolle. Die Zahl der Opiatabhängigen, seit 1901 erfaßt, macht immer etwa 0.2% der Bevölkerung aus: Legal, Illegal, Scheißegal. Eduard Lintner behauptet aber nach wie vor, bei einer Liberalisierung der Cannabis-Politik würden fünfmal mehr Leute kiffen. Er verrät natürlich nicht, woher er diese Zahlen hat. Aber auch sonst ist die Vorstellung völlig absurd. In Holland kiffen eher weniger Leute, weil der Nimbus des Unanständigen weg ist. Die Holländer behandeln das nicht anders als Pornographie. Aber mittlerweise hat sogar die Bundesregierung eingesehen, daß ein wenig Pornographie auch zum saubersten Deutschen gehört.

HB: All dies stellen Sie in Ihrem Buch: „Von Hanf ist die Rede“ dar. Was hat zur Neuauflage des Werkes geführt?

Behr: Wollen Sie die schöne oder die wahre Geschichte hören?

HB: Die Wahre.

Behr: Ich muß beide erzählen. Die Schöne: Mein Verleger blätterte das Buch durch und befand es für so gut, daß es neu aufgelegt werden müsse. Die Wahre: Jack Herer hat aus der Erstausgabe meines Buches sein: „The Emperor wears no clothes“ gequetscht. Matthias Bröckers setzte dem ganzen noch eins drauf und hat mein Buch ebenfalls als fast einzige Quelle benutzt. Da dachte sich mein Verleger, bevor er mit einem Plagiatsprozeß in die Zeitungen kommt, legt er lieber das Original wieder auf.

HB: Auch Bröckers ist ja ein wichtiger Apologet der Faserhanf-Bewegung.

Behr: Wenn sich der Bröckers hinstellt und dann sagt: „Wir wollen den guten Hanf, wir wollen den Planeten retten“, dann muß er aufpassen, welche Klientel er in sein Hanfhaus kriegt: Die Kiffer, die das, was sie nicht rauchen dürfen, wenigstens anziehen möchten. Und wenn der Christian Rätsch die Verschreibungsfähigkeit von Hanf fordert, dann bin ich froh, daß er nur Doktor der Philosophie ist, denn ansonsten müßte ich mir mein Abend-Bier von ihm verschreiben lassen.

HB: Nun führt ja auch ein Umweg manches mal zum Erfolg.

Behr: Entschuldigen Sie, aber mit Umwegen sollen sich doch die anderen befassen; wir selbst sollten gerade sein. Und wenn Rätsch 118 Indikationen auflistet, gegen die Hanf verschreibungsfähig sein soll – tja, dann denke ich mir: „Wußte ich es doch: Hanf heilt alles.“ Aber bei Asthma würde ich die Leute nicht auch noch rauchen lassen.

HB: Was gilt es zu tun, was bleibt übrig?

Behr: Da ich kein Hanf-bewegter Mensch bin, ist die Frage an mich falsch adressiert. Eine Legalisierung ist nicht unbedingt mein Ziel, eher eine Egalisierung. Soll ich mir den Kopf zerbrechen, wie man den Hanf dann besteuert? Die Holländer haben das übrigens auf ihre Weise gelöst, indem sie in den Coffee-Shops Kaffee abrechnen, der gar nicht getrunken wird.

HB: Herr Behr, ich danke für das Interview.

Behr: Sind sie immer so schnell zufrieden zu stellen? Das war doch höchsten die Anbahnung eines Gesprächs.

HB: Eines Gesprächs ja. Für ein Interview im HanfBlatt reichte das aus.

Behr: Glauben Sie? Obwohl ich seit 42 Jahren kiffe, habe ich was gegen Kurzatmigkeit. Derzeit sieht mir zuviel nach Bewegung aus: Es gründen sich Hanf-Vereine, eine Hanf-Partei und vieles mehr. Ich halte das für lächerlich. Denn es gibt so viele Gruppen die der Regierung sehr viel näher am Herzen liegen und die kriegen auch nichts.

HB: Das Problem der Kriminalisierung der Kiffer bleibt bestehen. Dagegen lohnt es sich doch vorzugehen.

Behr: Gegen die Kriminalisierung der Konsumenten ist ja bereits das Bundesverfassungsgericht vorgegangen. Eine höhere Instanz können Sie nicht haben. Natürlich tut die Bundesregierung so, als würde es dieses Urteil nicht geben. Die gute Tante SPD will das Thema auch nicht angreifen. Wenn Scharping aber rot-grün will, wird dieses Thema vielleicht auf die Tagesordnung gesetzt werden, obwohl ich auch hier sagen muß, daß man sich auf die Grünen nicht zu sehr verlassen sollte. Herr Plotnitz ist mit seiner Apothekengeschichte eine Lächelnummer.

HB: Die Marktwirtschaft entdeckt den Hanf.

Behr: Wenn ich mir die ganzen Anhänger anschaue: Jetzt gibt’s eine Zeitschrift mit dem Namen „Hanf“, jetzt soll „Grow“ rauskommen, wo irgendwelche Werbeagenturen erst das Media-Konzept und die Inseraten-Preise verschicken. Was soll ich denn dazu sagen? Wenn ich mir anschaue, wie die „Hanf“ gemacht ist, dann ist Ihr „HanfBlatt“ zwar auch kein Meisterwerk, aber unter Blinden ist der Einäugige König. Aber was bringt es? Wenn beklagt wird, wie böse die Polizei, wie uneinsichtig die Politiker sind, frage ich mich: Was soll’s. Dieses Lied kann ich auch satte dreißig Jahre singen. Ich sehe keine Bewegung.

HB: Wo könnte denn angesetzt werden?

Behr: Ein Gesamtpaket in der Drogenpolitik muß die unterschiedlichen Eigenschaften der Substanzen berücksichtigen. Die einzelnen Bestandteile des Pakets müssen wieder zerlegt werden. Die gegenwärtige Debatte leidet darunter, daß wenn der Eine von Cannabis redet, der Nächste von den Junkies, und der Dritte will Kokain behandelt wissen. Und: Die Sache ist nur dort aufzudröseln, wo der Knoten gemacht wurde – bei einer nuttigen Wissenschaft.

HB: Andere Kulturen gehen natürlich anders mit Drogen um. Sie selbst haben lange in Asien gelebt. Was hat sie dorthin verschlagen?

Behr: Insgesamt habe ich mich 18 Jahre in Asien rumgetrieben. Mein Großvater war auch schon um die Jahrhundertwende dort und hatte vor dem Ersten Weltkrieg einige wilde Prinzen aus Indien, Nepal und Afghanistan zu Besuch. Deren Adressen haben meine erste Reisen begleitet, und so sie noch lebten, traf ich uralte Herren, die sich für die Gastfreundschaft meines Großvaters freundlich rächten.
Afghanistan und Nepal liebte ich sehr, denn im Gegensatz zu Indien waren die beiden Länder nie Kolonien. Ganz Indien ist ja ein riesiger Minderwertigkeitskomplex. Asien ist ein Lehrstück für uns Europäer, die wir ja auch in einer Kastengesellschaft leben.

HB: Große Teile der psychedelischen Bewegung der 70er Jahre zog es nach Indien.

Behr: Ja sicherlich, die ganze Idee der Esoterik als Eskapismus vor der auch im Westen real existierende Not, das wird es immer geben. Jede Weltfluchtbewegung ist ja in Indien fantastisch aufgehoben. Was dort in den Gemeinden und Ashrams stattfindet, ist ja auch Weltflucht. Auch dort ist es nicht die Religion des Volkes. Die Gurus haben auch dort nur ihre Sektengemeinschaft.

HB: Ähnliches wiederholte sich jüngst, als die Techno-Bewegung Indien und Asien wiederentdeckte.

Behr: Schon Hermann Hesse war der Karl May des Buddhismus. In Europa gibt es buddhistische Gesellschaften seit 1874. Das hat es schon immer gegeben. Natürlich habe auch ich Hesse gelesen. Mit 16 bin ich dann in den Schulferien mit dem Fahrrad zu ihm gewallfahrtet. Zu meinem Entsetzen sah ich einen alten Junkie, der sich nicht geniert hat, vor mir einen Druck zu setzen. Verstehen Sie? Da kam der Jung-Kiffer zum alten Meister und sah einen alten Morphinisten.

HB: Sehr lehrreich.

Behr: Die ganze westliche Esoterik ist nichts anderes als Karl May’s Indianer-Kult. Da kann ich doch nur Nietzsches Zitat entgegenhalten: „Oh, wie grauenvoll ist es im Mitleid.“

HB: Weniger distanziert betrachtet ist vieles durch eine Suche nach Spiritualität motiviert.

Behr: Mit derselben Suche nach Spiritualität ist Rabindrunate Tagore nach Westen gegangen, um sich literarische Gewerkschafter als Organisationsmuster anzuschauen. Diese Beziehungen hat es immer gegeben und wird es immer geben. Ich interessiere mich dafür, ich schaue sie an, aber ich bin weder ihr Apostel noch ihr Adept. Natürlich war für mich in Asien auch der kulturelle Hintergrund interessant. Als ich 1956 dort war, war dieser schon heillos zerstört. Man sah nur Ruinen und Relikte. Und zu den Religionen: Wenn ich auf den Sinai in die Wüste fahre, dann kann ich verstehen, daß dort eine monotheistische Religion entstanden ist. Wo es nur Steine und Himmel gibt, da kann es auch nur einen Gott geben. Und wenn ich mir die vielgestaltige Landschaft hier oder in Indien anschaue, dann weiß ich, daß die Götter aus den Wurzeln hervorgekrabbelt und -gewachsen sind.

HB: Heute finden sich also kaum noch intakte nicht-christliche Glaubenssysteme?

Behr: Die Blöcke des kalten Krieges, die unterschiedlichen Einflußsphären, die Erniedrigung der Völker Afrikas und Asiens, denen erklärt wurde: Wenn du im Stehen pinkelst und die Cola-Dose richtig öffnest, bist du reif für die höheren Weihen des Fortschritts…

HB: Inwieweit hat Ihre medizinische Ausbildung Einfluß auf Ihren weiteren Lebenslauf gehabt?

Behr: Als Psychiater kümmert man sich nicht um Wehwechen. Da zählt die Krankheit der Seele. Das gibt eine gelassene Sicht auf Kleinigkeiten.
HB: Und was verbinden Sie mit dem Begriff der „Bewußtseinserweiterung“?

Behr: Bewußtsein wird durch Bewußtsein erweitert. Je mehr ich lerne und begreife, desto mehr erweitert sich mein Bewußtsein. Nun gibt es sicherlich Situationen -ob sie durch eine Substanz bewirkt sind oder durch Meditation spielt keine Rolle- die einem einen Horizont vorübergehend eröffnen, der wünschenswert erscheint. Den muß man dann in geduldiger Arbeit und ohne Rausch füllen. Unsere Vorgaben und unsere Lebensplanungen werden wir in jenen traumhaften und halluzinatorischen Phasen haben, die wir Glück nennen. Sich auf ein Mittel zu verlassen, das die ganze Sache liefert, ist immer trügerisch. Ebenso trügerisch ist es, sich auf die Dauer des Zustands zu verlassen.

HB: Beherbergt die Suche nach diesem Glück unter der Zuhilfenahme bestimmter Mittel die Gefahr für Psychosen?

Behr: Nein, kaum. Die Gefahr von Psychosen lauert ganz woanders. Wenn beispielsweise Hess von „Cannabis-Psychosen“ redet, irrt er. Die Cannabisinduzierten und aggrarierten Psychosen sind alle ausführlich untersucht worden. Eine Wechselbeziehung ist nicht feststellbar gewesen. Natürlich, wenn jemand schon in einer Psychose ist und glaubt, er kann sich durchs Kiffen heilen, wird das nicht funktionieren. Schon rein chemisch ist das unserem Körper nicht möglich.

HB: Nun wird ja auch versucht, Alkoholiker oder andere Drogenabhängige mithilfe von Ibogain zu heilen.

Behr: Obwohl ich einer derjenigen war, der diese Debatte in Deutschland auch losgetreten hatte, habe ich mit dieser Substanz meine Schwierigkeiten. Bestimmte Interaktionen sind zu zweideutig, als daß da schon jetzt die Hand für in’s Feuer gelegt werden kann. Es ist vielversprechend, aber noch wissen wir zuwenig über die Olive im Kleinhirn.

HB: Wie stehen sie ansonsten zu den sogenannten Hallzuzinogenen, wie LSD und Psilocybin?

Behr: LSD ist ein hervorragendes Diagnosticum in der Psychatrie, aber ich halte es für überhaupt kein Therapeutikum.

HB: Das spricht gegen die Arbeit von Stanislav Grov.

Behr: Ja. Als Diagnosticum ist es das beste, was wir zur Zeit haben. Und wenn der Herr von Sandoz sich heute hinstellt und behauptet, es wäre eine „dreckige“ Substanz, weil sie nicht punktuell wirkt, dann muß ich sagen, daß ich dieses bißchen Dreck gerne in Kauf nehme, weil immer dort, wo man nach Punkten gesucht hat, keiner war. Als Therapeutikum scheidet es genau aus diesen Gründen aus.

HB: Wenn wir beim Thema sind: Wie würden Sie in diesem Zusammenhang MDMA einordnen?

Behr: Vergleichsweise harmlos. Das größte Problem bei all diesen hochpotenten Chemikalien ist: Wenn sie unsauber hergestellt werden, können Sie verheerend sein.
Als LSD aus der Psychatrie entfernt werden mußte, setzte man große Hoffnungen auf MDMA. Die haben sich nicht erfüllt. Überhaupt verstehe ich nicht, wozu wir immer diese pharmakologischen Neuerungen, die oft keine sind, brauchen. Die Naturprodukte sind hier vorzuziehen, da sie weniger Nebenwirkungen haben. Dazu kommt: Ob einer sein Feierabend-Bier trinkt, ob er seinen Hanf raucht, ob er Coca-Blätter kaut…, es gilt der Satz von Paracelsus: Auf die Dosis kommt es an.
Ich bin heilfroh darüber, daß man jetzt von der moralischen Schaumschlägerei weg ist und daß bei Späterkrankungen und bei Krebs wieder Opiate gegeben werden. Es ist halt so, daß bei Opiaten ein bis zwei Drittel der schmerzstillenden Wirkung die Euphorie ist, so daß man gar nicht an seine Schmerz denkt. Das fehlt halt anderen Produkten und deswegen muß man den Körper vergiften und eine viel größere Dosis verabreichen.

HB: Gibt es ein Recht auf Rausch?

Behr: Als Wolfgang Neskovic in seiner Urteilsbegründung von einem „Recht auf Rausch“ schrieb, schrie die Nation auf. Wenn ich heute jemanden sage, daß der Rausch erlaubt ist, entgegnet der: „Nein, der Rausch ist außerhalb unserer Zivilisation.“ Ja, natürlich ist er das, sonst wäre es nicht der Rausch. Ein Rausch innerhalb der Zivilisation widerspricht ihrem Selbstverständnis, welches auf Vernunft ausgelegt ist. Wenn ich mir anschaue, daß etwa 60 Prozent der Bevölkerung gerne saufen und nur zwei Prozent behaupten, sie seien abstinent von allen Rauschmitteln, dann wundert mich doch, daß diese 2 Prozent die Leitlinien für die offizielle Politik stellen. Das ist meinem Demokratieverständnis nicht leicht zu erklären. Daß unser Bundestagsabgeordneter ….. mit einem schweren Alkoholproblem gegen jede pfleglichere Behandlungen von Kiffern ist, kann ich verstehen. Doch Gott sei Dank lallt er das im Plenum so, daß keiner es versteht.

HB: Herrscht also auch eine Art Angst vor dem Rausch?

Behr: Schon Horkheimer und Adorno haben in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ erwähnt, daß sich von diesem ältesten Ritual der Menschheit jede Zivilisation bedroht gefühlt hat. Im Rausch muß etwas liegen, was die Gesellschaft nicht bieten kann. 15tausend Leute sterben jährlich in unserer Republik an den Folgen des Alkohols. Soll man nun den Alkohol verbieten? Ich wette, die Zahlen würden sich sogleich vervierfachen, denn dann werden wieder die Badewannen zur Herstellung des Stoffes benutzt. Geschwindigkeitsrausch, Kaufrausch: Überall sonst nehmen wir Restrisiken in Kauf.
Es ist nicht zu verhindern, daß für manche Leute der Rausch ein tödliches Erlebnis wird. Aber soll man deswegen den Rausch schuldig sprechen? Dann sage ich: Autobahnen sofort sperren!
Hans-Georg Behr unterhielt Jörg Auf dem Hövel

 

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Drogenpolitik

Kanada leidet trotz zahlreicher Proteste weiterhin unter der Cannabis-Prohibition

HanfBlatt Oktober 1996

Die süßesten Früchte sind die Verbotenen

Chance vertan: Kanada leidet trotz zahlreicher Proteste weiterhin unter der Cannabis-Prohibition

Der Beginn schuf Hoffnung: Im letzten Jahr beschloß die kanadische Regierung die Reform ihrer Drogengesetzgebung. Eine umfassende Neugestaltung der Betäubungsmittelgesetze („Narcotic Control Act“ und „Food and Drug Act“) unter Berücksichtigung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse war geplant, ein neues Werk, welches die Drogenpolitik des Staates in das nächste Jahrtausend leiten würde, kurzum, es sollte der ganz große Wurf werden. Die Gründe für eine Revision lagen auf der Hand: Die seit 1993 regierende Liberal Party von Premier Jean Chrétien blickt auf einen verlorenen „Krieg gegen Drogen“ ihrer konservativen Vorgänger zurück, noch niemals zuvor gab es in Kanada soviele Konsumenten von harten, die Kosten im sozialen- und Gesundheitssystem explodierten. Trotz (oder aufgrund?) des Verbots von Cannabis blieb der Anteil der kiffenden Nordmänner und Frauen über die Jahre gleich. Wie in vielen anderen Staaten der westlichen Hemisphäre auch, orientieren sich kanadische Politiker an der Drogenpolitik der USA, die seit nunmehr sieben Jahrzehnten den „war on drugs“ führen, einen Krieg, welche nach Ansicht vieler Experten nicht zu gewinnen ist. Maßgebliche Unterstützung erhielten diese jüngst von Milton Friedmann, Nobelpreisträger für Ökonomie, der in einem offenen Brief im „Wall Street Journal“ zur Illegalität von Drogen formulierte: „Illegalität kreiert die unanständig hohen Gewinne, die die mörderischen Pläne der Drogenbarone finanzieren, Illegalität führt zur Korruption der Gesetzesanwender, Illegalität bindet die Anstrengungen der Staatsgewalt an sich, so ist sie nicht mehr fähig, sich der Bekämpfung von Mord, Raub und Vergewaltigung zu widmen.“

Die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis witterten ihre Chance. Sie drängen seit Jahren auf eine Revision der bestehenden Bestimmungen, die Produktion, Besitz und Konsum der Pflanze unter Strafe stellen. Nach geltendem Recht kann die Kultivierung von Marihuana mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden, eine Regelung, von der die Gerichte aufgrund ihrer Realitätsferne bei Kleinfarmern allerdings keinen Gebrauch mehr machen. Die Geldstrafen für den Besitz von kleineren Mengen von Gras gehen aber zum Teil bis 1500 Mark oder führen wahlweise sechs Monaten hinter schwedische Gardinen. Unter Strafandrohung steht auch der Besitz und Verkauf von Paraphernalia, wer mit einem Bong erwischt wird, landet also ebenfalls vor Gericht. Die einschränkenden Verordnungen gelten desgleichen für Literatur, die sich mit der Hege und Pflege gewisser Pflanzen beschäftigt oder Anleitungen für deren Konsum gibt – die Zeit für eine Neuorientierung war reif.

Nun wollten nicht die Politiker allein über die Gestaltung eines Katalogs entscheiden – eine eigens einberufene Kommission sollte zunächst die momentanen Verhältnisse kritisch überprüfen, Vorschläge erarbeiten und Alternativen einbringen. Dabei stand neben der Frage der Legalisierung von Marihuana auch eine neue Perspektive auf andere Drogen auf der Agenda. Erinnerungen bei den älteren Drogen-Aktivisten wurden wach: Schon einmal, im Jahre 1973, hatte sich eine Kommission mit der Frage von nicht-medizinischen Anwendungen von berauschenden Substanzen beschäftigt. Die „LeDain Commission“ plädierte damals für eine Abkehr von der restriktiven Drogenpolitik, ihre Vorgaben wurden allerdings nie umgesetzt…

Ohne Frage, der dieses Mal betriebene Aufwand stand dem von damals in nichts nach. Wissenschaftliche Honorationen wurden bestellt, Experten für die medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Drogenkonsums. Sie diskutierten über mehrere Monate mit geladenen Senatoren und Politikern aller Parteien. Ein Name für das große Reformwerk war schnell gefunden:

„Controlled Drugs and Substances Act“ (Bill C-8). Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten, denn nach kurzer Zeit sprachen sich Senatoren der beiden großen kanadischen Parteien (Liberal Party und Progressive Conservative Party) für die Dekriminalisierung von Cannabis aus. „Ich bin für die Dekriminalisierung von Marihuana“, berichtete Rose-Marie Losier-Cool, eine der fünf SenatorInnen im Ausschuß vorsichtig. „Das momentane Strafmaß ist überzogen hoch und hat keinerlei Wirkung gezeigt. Vielleicht sollte das Problem eher aus gesundheitlicher Sicht gesehen werden.“ Sogar Pierre-Claude Nolin, 45, ließ sich von den Wissenschaftlern überzeugen. „Cannabis ist um einiges weniger schädlich als Zigaretten und Alkohol. Leben wir nur deswegen in einer Prohibition, weil diese eine Art nie hinterfragbares Dogma ist und weil viele anderen Staaten es ebenso halten?“ fragte der konservative Senator sich und die Öffentlichkeit. Nolin gab zu, selber einmal Marihuana probiert und dabei sogar inhaliert zu haben. „Hat mich aber nie interessiert, wahrscheinlich weil es zu teuer war“, kommentierte er sein Jugenderlebnis. Die Vorsitzende des Gremiums, Sharon Carstairs, bekräftigte die Aussagen ihrer Kollegen: „Wir sind sehr viel mehr an einem Modell interessiert, welches den Schwerpunkt auf die Linderung des vielfältigen Leids setzt, als auf den Ausbau noch härterer Gesetze.“ Mit auf den Weg gebracht werden solle, so der einhellige Wunsch der Senatoren, auch die Erforschung des Hanfanbaus für industrielle Zwecke.

Mittlerweile war es am anderen Ende des Commonwealth-Staates zu aufsehenerregenden Ereignissen gekommen. In Vancouver, einer Hafenstadt am Pazifik, veröffentlichte die für Drogenfälle zuständige Staatsanwältin einen Brief an die örtlichen Polizeidienststellen, daß sie in Zukunft keine Strafverfolgungen mehr gegen Drogen-Konsumenten einleiten wolle, es sei denn es existierten erschwerende oder strafverschärfende Faktoren. Die Chefanklägerin sah sich zu diesem Schritt veranlaßt, weil die Gerichte mit Bagatellfällen völlig überlastet waren – in den beiden Amtsgerichte in Vancouver Downtown seien, so Lindsay Smith, nur noch Verfahren wegen des Besitzes von kleineren Mengen von Drogen anhängig. Die sich schnell ausbreitende Aufregung in der Metropole legte sich auch nicht, als Lindsays Vorgesetzter, Tony Dohn, in einem Interview relativierte: „Wir haben einfach festgestellt, daß das System über alle Maßen beansprucht ist und wir mehr Verfahren haben, als wir jemals bewältigen können. Es sollte keine Lizenz zum Drogenkonsum sein und auch keine Anweisung an die Polizei, auf beiden Augen blind zu sein.“

Zahlreichen Marihuana-Liebhaber in der Stadt sprachen trotzdem von dem „schönsten Tag in ihrem Leben“ und Initiativen wie „Hemp BC“ oder „Cannabis Canada“ feierten die Order aus dem Justizministerium als wichtigen Schritt zu einer Normalisierung. Zu den Vorgängen befragt, konstatierte der Bürgermeister der Stadt, Phillip Owen: „Die Justiz weiß, daß es ein Gesetz gibt, sagt aber auch, daß sie es zukünftig ignorieren wird. So geht es nicht, denn entweder legalisiert man die Drogen oder man setzt das Gesetz durch.“ Am selben Tag veröffentlichte der Direktor des Justizministerium eine Nachricht, in der die neuen Richtlinien konkretisiert wurden: Jeder Fall den die Polizei an die Gerichte herangetrüge, würde ab sofort auf zwei Kriterien überprüft werden: Langen die Beweise voraussichtlich aus, um den Wurf des Konsumenten in die Mühlen der Justiz zu rechtfertigen? Und: Besteht ein öffentliches Interesse an einer Anklage? Dies sei nur gegeben, wenn die Straftat schwerwiegend, das Gerichtsverfahren nicht zu lang, zu teuer und zudem keine Alternativen zur Bestrafung zur Verfügung stehen. Niemand sollte daraus aber schließen, daß „der Besitz von sogenannten weichen Drogen grundsätzlich straffrei bleibt“, hieß es in der Presseveröffentlichung weiter. Die Konfusion im Ort war perfekt. Durfte man nun Rauchen oder nicht? Mutige Kiffer probten das Exempel: Sie fragten Polizeibeamte auf der Straße, was diese tuen würden, wenn eine Person sich vor ihnen einen Joint anzündet. Die einhellige Antwort: „Denjenigen Bürger bitten, den Joint wieder auszumachen.“ Weit entfernt von einem Ende der Prohibition schien dies den Aktivisten einer erster Schritt in die richtige Richtung zu sein.

In der Hauptstadt Ottawa blieben die Ereignisse in Vancouver nicht unbemerkt, deckten sie sich zum Teil mit den hitzigen Diskussionen um eine Neuorientierung im Umgang mit berauschenden Substanzen. Ein Studie kam in Umlauf, die heraushob, daß in Kananda 4.2 Prozent der über 15jährigen schon einmal Marihuana probiert hätten, nur der kleinste Teil dieser Frauen und Männer den Hanf aber öfter durch ihre Hirnwindungen rauschen lassen. Einer der konsultierten Experten, Ethan Nadelmann, zog den Schluß, daß nicht die Frage der Legalsierung oder Kriminalisierung im Vordergrund steht, sondern die Frage, „welches die besten Mittel zu Regulierung der Produktion, Verteilung und des Komsums der vielfältigen psychoaktiven Substanzen sind, die heute und in Zukunft erhältlich sind“. Darüber hinaus muß, so Nadelmann, „jede Drogenpolitik unterscheiden: Zwischen gelegentlichen Konsum, der keine oder kaum Auswirkungen für jemanden hat, Drogenmißbrauch, der in erster Linie Schäden für den Konsumenten hat und Mißbrauch, der im Resultat auch Schäden für andere in sich trägt.“

Entäuschung breitete sich aus, als das Kommitee im Juni seine Entscheidung bekannt gab: Keine Dekriminalisierung von Cannabis, keine Neuausrichtung der Drogenpolitik. Was war geschehen? Nach wie vor, so Senatorin Carstairs, sei man sich im Prinzip einig, daß die Dekriminalisierung vom Besitz von Marihuana für den Eigenbedarf der richtige Weg sei, man hätte aber die Konsequenzen gescheut. So nahmen die Mitglieder an, daß eine quasi-Legalisierung diverse internationale Abkommen verletzt, die Kanada mitunterzeichnet hat. „Völliger Blödsinn“, hieß es in einer erster Stellungnahme von NORML-Kanada.

Scharfe Kritik übten die Vereinigung der Kanadischen Rechtsanwälte, die „Canadian Medical Association“ und die Vereinigung der Kanadischen Strafrechtsanwälte. Im Herbst soll ein gemeinsames Kommitee aus Senat und Unterhaus die bestehenden Gesetzte noch einmal gründlich überprüfen. Die Herausgeber der konservativen us-amerikanischen „National Review“ kommen zu dem Schluß: „Nach unserem Urteil ist der <Krieg gegen die Drogen> verloren. Er lenkt die Kräfte von dem Ziel ab, wie man mit den Problemen der Sucht fertig werden könnte, welche unsere menschlichen Resourcen verschwendet. Er fördert zudem juristische, politische und zivile Methoden, die denen von Polizei-Staaten ähnlich sind. Wir alle unterstützen die Bewegung in Richtung einer Legalisierung von Drogen, wenn wir auch unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie weit wir darin gehen sollten.“

Jörg Auf dem Hövel

 

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

 Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

Galilei des Bewußtseins oder Verführer der Jugend? Timothy Leary,
Prophet der Bewußtseinserweiterung, starb im Alter von 75 Jahren.

Das konservative Amerika der 60er Jahre sah in ihm den Verführer der Jugend, einen Drogenapostel, dessen angepriesene Substanzen und fernöstlichen Praktiken ihre Kinder, wenn nicht in den Tod, so doch in den Wahnsinn trieben. Die keimende Jugend- und Studentenbewegung dagegen sog seine -meist in Ekstase entstandenen- Ideen auf, sie dienten als Basis für den Protest gegen die bigotten Lebensweise eines in seinen Strukturen patriarchal-hierarchisch aufgebauten Staates.

Timothy Leary, ehemaliger Professor für Psychologie an der Harvard Universität, Künder der ständigen Erweiterung des Bewußtseins, Opa im Cyberspace und Uropa der Hippies, verstarb vor einer Woche an einem Krebsleiden. Was bleibt von Leary außer einem leblosen Hirn im Tiefkühlsarg und seiner Asche im Weltraum?

Timothy Leary hat viel gesagt, aber nur ein Satz schwebte als Konstante durch sein Leben: „Glauben Sie nichts von dem was ich sage, ich bin auch bloß neugierig.“ Dürstend nach neuen Erfahrungen, setzte er immer wieder neue Trends – nur um Jahre darauf wieder von ihnen Abstand zu nehmen. Propagierte er zunächst, daß die wahre Freude von den Sinnen, vom eigenen Körper und den menschlichen Beziehungen kommt, hörte er kurz darauf auf Albert Hofmann, den Schweizer Chemiker, welcher 1943 das mysteriöse Lysergsäurediethylamid (LSD) zum ersten mal synthetisierte: Der Einklang mit den Kräften der Natur bestimme das psychedelische Erlebnis, Maschinen brächten nicht sehr viel Freude, die großen Städte würden bald veröden, die Zukunft läge im friedlich, ökologisch orientierten Leben auf dem Land. Ende der 70er Jahre kündigte sich ein Paradigmenwechsel (Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl. 1976, hatte Leary inzwischen auch gelesen) an. Maschinen waren von nun an „nötig, um Menschen einander näher zu bringen, ihnen eine Möglichkeit zum Lachen, zum vermehrten Aufnehmen zu geben, die Intelligenz zu erweitern und Informationen zu streuen.“ Diese Glaube an den kontinuierlichen technischen Progreß schritt fort in Learys Hoffnung auf die „Space Migration“ der Menschheit. Nur der Weltraum gäbe den Humanoiden eine Chance auf das Überleben ihrer Art, ja, Leary nahm sogar an, „daß der einzige Platz, wo wir in Zukunft noch Natur haben werden, in kleinen Raumkolonien sein wird“. Damit nahm er endgültig die Kraft aus seinem Denken und Handeln, die auf eine Verbesserung der (menschlichen) Umwelt auf dem Planeten Erde zielte. Ökologische Themen standen von nun an nicht mehr auf seiner Agenda.

Während die „neuen Kathedralen“ im All sich als Luftschlösser erwiesen, enstand Learys Neubau auf elektronischem Grund. Ihn, der Intelligenz als „Empfangen und Weitergeben von Information“ definierte, faszinierten Anfang der 90er Jahre die entstehenden Möglichkeiten der Kommunikation im Internet. War es zunächst nur zwischenmenschlicher Austausch, versprach die „Virtuelle Realität“ noch mehr. Waren die Drogen nur Schlüssel für die Pforten zu transzendenten Ebenen, konnte der Mensch jetzt, so Leary, sich eine andere Realität an einem anderen Ort selbst schaffen. Und endlich konnte auch die nutzlose Hülle des Körpers abgestreift werden. Nicht mehr der klassisch-mühsame Pfad eines religiösen Weges mußte gegangen werden, um das Ich sterben zu lassen, den Körper von der Lust zu befreien und in reines Bewußtsein überzugehen. Sollte es möglich sein die Essenz des Menschseins in die Weiten der elektronischen Sphären zu transformieren? Dies fragte sich mit den Netzjüngern auch Leary. Im Mekka der späteren Cyberkultur sitzend, sah Leary im Netzwerk den zukünftigen, anzustrebenden Aufenthaltsort für das menschliche Bewußtsein. Der Computer als Schnittstelle zwischen Mensch und Cyberspace: Paradiesische Zustände lockten die Technokraten. Den Pfad des Wissenschaftlers verließ Leary in seinem Leben meist nur scheinbar, für ihn lagen Gebetsraum und Laboratorium stets nebeneinander, eine Einsicht, für die der französische Philosoph Jean Guitton immerhin 93 Jahre nachgedacht hat.

Im Herbst 1960 kostete der Sohn irischer Einwanderer das „göttliche Fleisch“ eines Pilzes in Mexiko, ein einschneidendes Erlebnis, denn er glaubte das göttliche Wesen der Welt erkannt zu haben. Kurz zuvor zum Professor für Psychologie an der Harvard Universität ernannt, suchte er von dort an den Geheimnissen der mystischen Welterfahrung durch halluzinogene Substanzen mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden auf die Spur zu kommen. „Der Sinn des Lebens liegt darin, die vergessene Göttlichkeit wiederzuentdecken“, stellte Leary für sich fest. Waren es zunächst nur kleine Studentengruppen, denen Leary und seine Mitarbeiter den Wirkstoff des Pilzes (Psilocybin) verabreichten, veranstaltete er später zweiwöchige „psychedelische Kurse“ mit der weitaus stärkeren bewußtseinserweiternden Substanz LSD, zu denen mehr und mehr junge Personen pilgerten. Seinen Forschungsauftrag hatte er mittlerweile zurückgeben müssen. Dabei waren die Ergebnisse ermutigend: Von den 35 Insassen eines Gefängnisses, zumeist sogenannte Gewohnheitsverbrecher, wurden nur 32 Prozent nach einer mit Psilocybin begleiteten Therapie wieder rückfällig; eine Zahl, die sonst bei 67 Prozent lag. Die amerikanische Öffentlichkeit registrierte die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht mehr, sie war durch Pressemeldungen über die Gefahren des LSD-Konsums aufgebracht. Immer mehr Amerikaner gingen auf ihren ersten „Trip“, zu ernsthaften Unfällen unter dem Einfluß der 1943 erstmals synthetisierten Droge kam es aber erst, als der amerikanische Geheimdienst Personen ohne deren Wissen die Substanz verabreichte. Während die Droge so zum „Sorgenkind“ für ihren Entdecker, dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann, wurde, nahm Leary seinen medialen Kampf gegen das Establishment und für die psychedelische Revolution auf. Zusammen mit der entstehenden Hippie-Bewegung glaubte Leary zutiefst daran, daß sich die Menschheit schnell zu höherer Weisheit entwic keln kann. Die Kinder aus den 60er Jahren, so hoffte Leary damals noch, „werden LSD nur noch für die Geisteskranken brauchen – die Geisteskranken in der zweiten Generation danach werden die sein, die an Symbolen festhalten und nach Macht streben. Aber schon die dritte Generation nach uns wird LSD nicht mehr brauchen. Sie wird in so vollständiger Harmonie und jeder Form der Energie leben, daß LSD unnötig wird.“

„Turn on, tune in, drop out“. Diese Verkürzung seiner Ideen auf einen Satz verstanden die staatlichen Stellen nicht nur als Aufforderung zum illegalen Drogenkonsum, sondern auch, und erst dies zwang sie zum Handeln, als Aufruf zum Ausstieg aus dem bestehenden gesellschaftliche System. Die Regierung nahm den Kampf gegen den zum „Staatsfeind Nummer Eins“ beförderten Revolutionär auf. Unwillig, für den Besitz von ein paar Gramm Marihuana zehn Jahre die Welt nur durch Gitterstäbe zu sehen, floh er aus dem Gefängnis und dem gelobten Land, setzte sich nach Nordafrika und Europa ab, bevor ihn 1973 der CIA aus Afghanistan in die Heimat zurück verfrachtete. Die Brandmarkung zum „Drogenapostel“ und „LSD-Papst“ ließ Learys Schriften zumeist ungelesen und dies obwohl sie die philosophischen Konzepte des radikalen Konstruktivismus sowie der modernen Hirnforschung enorm bereichern könnten. Seine Thesen: Jeder Mensch ist mit verschiedenen Formen des Bewußtseins ausgestattet, die Leary als Schaltkreise definiert. Diese Stufen treten nicht nur zwangsläufig im Laufe jeder menschlichen Entwicklung auf, sie können auch selektiv ein- und ausgeschaltet werden. Das Bewußtsein ist, so Leary, die von der Struktur empfangene Energie. Seine Forschungen brachten ihn dazu anzunehmen, daß es ebenso viele Dimensionen des Bewußtseins wie Strukturen im Körper gibt, die Energie empfangen und entziffern können. Diese Annäherung an die fernöstlichen Philosophien vollzieht die Neurowissenschaft heute nach. So nimmt Franzisco J. Varela vom „Institut des Neuroscience“ in Paris an, daß beim Tod das Ich auf der Strecke bleibt, während das Bewußtsein auf einer anderen Stufe von Zeit und Raum landet. „Die Existenz findet in verschiedenen Dimensionen statt, und die meisten liegen vermutlich jenseits der Individualität.“

Der Tod sollte Learys letzter Trip werden. Abermals ein Tabu der Gesellschaft aufgreifend, vermarktete er auch diesen Trip, zelebrierte er auch hier seine Person, kündigte sogar an, sein letztes Röcheln live im Internet zu übertragen. Sicher, wohin die finale Reise geht, war selbst Leary nicht. Seiner Theorie nach müßte sein Bewußtsein inzwischen als reine Energie weiterbestehen, eine Art der Unsterblichkeit, die ihm nicht genügte. Schon vor einigen Jahren legte Leary fest, daß sein Körper nach dem Ableben tiefgefrostet wird. In einem Metallsarg wartet momentan allerdings nur sein Materie gewordener Verstand darauf, von Wissenschaftlern der Zukunft wiederbelebt zu werden, die Asche seines Körpers unternimmt in einer Rakete die Flucht ins All. Die Furcht vor der Stabilität des amerikanischen Präsidialsystems hatte ihn auch kurz vor seinem Tod nicht verlassen: Das Testament verbietet sein Auftauen, wenn ein Republikaner Präsident ist.

Jörg Auf dem Hövel

 

Literatur:

  • T. Leary, R. Metzner, R. Alpert: Psychedelische Erfahrungen
  • T. Leary: Politik der Ekstase
  • T. Leary: Neurologik
  • T. Leary: Neuropolitik
  • T. Leary: Was will die Frau?
  • T. Leary: Höhere Intelligenz & Kreativität
  • T. Leary: Info-Psychologie
  • T. Leary: Über die Kriminalisierung des Natürlichen
  • E. Reavis (Hrsg.): Rauschgiftesser erzählen, Frankfurt 1967.
  • „Neue Kathedralen im Weltraum“, Interview mit Timothy Leary in der „Esotera“ v. 14.9.1980.

 

JENSEITS DES SELBST

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unsere Wünsche

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Körper

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Leben

Hier draussen

sind Zeit

und Wünsche

ohne Bedeutung

 

Timothy Leary: Gebete