Kategorien
Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Daniel Siebert, dem weltweit führenden Experten für Salvia divinorum

hanfblatt, Nr. 117, Januar 2009

„Salvia ist keine Eskapisten-Droge, im Gegenteil,
es ist ein philosophisches Instrument“

Interview mit Daniel Siebert, dem weltweit führenden Experten
für Salvia divinorum, den Wahrsagesalbei.

Daniel Siebert erforscht den Wahrsagesalbei (Salvia divinorum) seit über 20 Jahren. Er untersuchte die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung in Mexiko, arbeitete vor Ort mit Schamanen zusammen, entdeckte die Psychoaktivität des Inhaltstoffs Salvinorin A, veröffentlicht wissenschaftliche Aufsätze über den Göttersalbei und hält gut besuchte Vorträge. Salvinorin A gilt als das potenteste natürlich vorkommende Halluzinogen. Zur Zeit wohnt er mit Frau und jungem Kind im kalifornischen Malibu. Im Gespräch geht das Aussterben der bedrohten Pflanzenart und die besondere Qualität der Salvia-Erfahrung.

Daniel Siebert in seinem Labor

Herr Siebert, stimmt es nach wie vor, dass das gesamte auf dem weltweiten Markt erhältliche Salvia divinorum von einem Klon abstammt, der aus einer Ursprungspflanze aus der mexikanischen Sierra Mazateca gezogen wurde?

Daniel Siebert: Lebende Salvia divinorum Pflanzen werden seit Jahrzehnten in der Mazateca-Region gesammelt, es wird also unterschiedliche Klone geben. Die Mazateken vermehren die Pflanze per Setzling, denn sie produziert sehr selten Samen. Daher ist es gut möglich, dass die verschiedenen Exemplare identisch sind. Der überwiegende Teil von heute verkauften Salvia wird aus Mexiko importiert und davon wiederum stammt das meiste aus der Mazateca-Region. Aber es wird durchaus auch in anderen Ländern Salvia kommerziell angebaut. Es kann durchaus sein, dass die Pflanze nirgendwo mehr auf der Welt wild wächst. Sollte dies der Fall sein, liegt es in den Händen der Menschen sie vor dem Aussterben zu bewahren. Aus ökologischer Sicht ist es eine sehr seltene Pflanze. Die Tatsache, dass viele Länder Salvia divinorum verbieten gefährdet die gesamte Art.

Zur Zeit ist es äußerst populär seine Salvia-Trips auf Youtube zu veröffentlichen. Die meisten der Menschen scheinen eine außergewöhnliche Erfahrung zu machen. Was ist aus ihrer Sicht zu den Bedingungen zu sagen, unter denen Salvia genommen wird?

Die meisten der Youtube-Videos zeigen Menschen, die das Kraut unvorsichtig und in maßlos überhöhten Dosen nehmen. Ich bin verwundert: Warum sendet irgendjemand Videos in die Welt, auf denen man so töricht handelt? Die Leute blamieren sich nicht nur, sie sorgen auch für ein negatives Image von Salvia und das spielt genau in die Hände derjenigen, die die Pflanze verbieten wollen. Typischerweise zeigen die Filme Menschen in ihren Interaktionsversuchen mit Kamera und anderen Menschen im Raum. Dabei geht die eigentliche Qualität der Salvia-Wirkung verloren: Die innere Erfahrung. Es ist wichtig Salvia mit guter Vorbereitung, in angemessener Dosis und in friedlicher Atmosphäre zu nehmen, wobei die Aufmerksamkeit nach Innen gelenkt werden sollte. Dies ist nun garantiert nicht das, was die Leute auf Youtube tun.

Welche Einnahmeform würden sie empfehlen? Das Kauen oder Rauchen der Blätter, einen Alkoholextrakt oder pures Salvinorin A?

Ich persönlich bevorzuge die orale Aufnahme. So machen es auch die Mazateken. Oral flutet die Wirkung langsamer an und dauert zugleich beträchtlich länger als beim Rauchen. Dies macht den Übergang in die Erfahrung leichter, gibt mehr Zeit sie zu erforschen und konstruktiv mit ihr umzugehen. Die langsame Anflutung ermöglicht zudem ein Erinnern daran, warum man Salvia genommen hat und was man während des Erlebnis angehen wollte. Dies ist besonders dann wichtig, wenn jemand den Göttersalbei für ernsthafte Selbsterkenntnis und innere Arbeit konsumiert. Das ist aus meiner Sicht ohnehin die beste Art Salvia zu nutzen.

Wie lange dauert so eine Erfahrung?

Oral genommen hält die Spitzenwirkung zwischen 45 Minuten und 1,5 Stunden an. Das Abklingen dann noch einmal eine Stunde. Dagegen führt das Rauchen zu einem schnellen Effekt, der nur fünf bis sechs Minuten anhält, bevor er wieder abklingt. Das plötzliche Anfluten ist oftmals sehr desorientierend und bevor man dann überhaupt schnallt, um was es geht, verschwindet die Wirkung auch schon wieder. Gerade bei starken Extrakten kann das passieren. Manche Leute empfinden die orale Wirkung aber als zu schwach, daher rauchen sie lieber.

Verfolgt man die öffentliche Drogen-Diskussion herrscht Befangenheit: Unterschiedliche Typen, Inhalte und Wirkqualitäten von unterschiedlichen Drogenarten kommen nicht zur Sprache. Das englische Wort für das schöne deutsche Wort „Rausch“ ist „intoxication“, also Vergiftung. Würde es helfen vernünftige Charakterisierungen von Drogenerlebnissen einzuführen, trotz der Tatsache, das die Wirkung so individuell verschieden ist?

Generalisierungen führen oftmals zu oberflächlichen und inakkuraten Vorstellungen über bestimmte Drogen. Das sehe ich regelmäßig bei Salvia divinorum. Weil es visionäre Effekte verursacht nennen es die Menschen „halluzinogen“, „psychedelisch“ oder „entheogen“. Das sind zwar alles angemessene Generalisierungen für Vision-induzierende Substanzen, es ist aber wichtig zu verstehen, dass die Wirkung von Salvia sich von allen ähnlich kategorisierten Drogen unterscheidet. Bedauerlicherweise übertragen die Menschen ihr Vorwissen über andere Drogen auf Salvia. Aber Salvia ist einzigartig.

Und als was für eine Art von Erfahrung würden sie Salvia beschreiben?

Üblicherweise nenne ich Salvia divinorum ein Vision-induzierendes Kraut und Salvinorin A als Vision-induzierende Diterpenoid. Die Begriffe „halluzinogen,“ „psychedelisch“ oder „entheogen“ versuche ich zu vermeiden, hauptsächlich, weil dies die Menschen an Alkaloide wie LSD und Psilocybin denken lässt. Salvia Trips variieren in ihrem Charakter, abhängig von Set, Setting und Dosierung, aber generell gesagt sind es traumartige, visionäre Erfahrungen.

Über die Qualität dieser Erfahrungen läuft eine lang anhaltende Diskussion. Von den einen werden sie als chaotische Zustände des Gehirn beschrieben, als irreale Halluzinationen. Andere beschreiben sie dagegen als wertvolle Verfassungen des Bewusstseins, aus denen zu lernen ist. Gibt es so etwas wie einen Trick um die Erfahrungen so zu übersetzen, dass sie in Leben und Alltag hilfreich sind?

Salvia divinorum species from Oaxaca (Mexico). Photographed at the Conservatory of Flowers in San Francisco

Salvia ermöglicht Zugang zu Teilen der Psyche, die sich normalerweise außer Reichweite befinden. Aus diesem Grund lernen viele Menschen oftmals etwas über sich. Um das zu ermöglichen ist es sehr wichtig, während der Erfahrung fokussiert und achtsam zu bleiben. Die Bilder und Szenen die auftauchen sind häufig bedeutungsvoll. Nicht immer ist diese Bedeutung sofort zugänglich, dann hilft es abzuwarten und nach der Sitzung das Erlebte zu reflektieren. Es kann hilfreich sein bereits kurz nach dem Abklingen eine Zusammenfassung aufzuschreiben. Salvia kann nützlich sein, gerade wenn es um die Einsicht in den weiteren Lebensweg oder Freundschaften geht.

Aber sind die Einsichten nicht manchmal überwältigend? So dass die Nachricht gar nicht zu extrahieren ist?

Ja, das kann vorkommen. Häufig ergibt das Material was nach oben kommt keinen Sinn. Das kann aus mehreren Gründen passieren: Fehlende Reife, fehlender Fokus, zu viel Ablenkung, mangelnde Vorbereitung, fehlende Erfahrung, um einige Beispiele zu nennen.

Wenn Sie die Vorteile von Salvia mit anderen therapeutischen Optionen vergleichen müsstest, mehr über sich und die Welt zu erfahren, was wäre Ihr Fazit? Kann man die Gefahren eines Salvia-Trips mit anderen Therapien vergleichen?

Ich bin eigentlich nicht qualifiziert diese Frage zu beantworten, denn ich weiß nicht viel über Psychotherapie. Ich weiß, dass Menschen tiefe Einsichten während eines Salvia-Trips haben und das sie sich danach oft vitalisiert und mental erfrischt fühlen. Sicherlich kann Salvia vielen Menschen helfen, vorausgesetzt Set, Setting und Dosierung stimmen. Aber ich würde es nicht jedem empfehlen. Obwohl es viel Potential hat ist der Nutzen von Salvia als therapeutisches Werkzeug kaum erforscht.

In einem Interview mit Hans-Christian Dany, Autor eines lesenswerten Buches über Amphetamin, behauptet dieser, dass es gute Gründe geben kann, unter den falschen Umständen nüchtern zu bleiben. Dany denkt dabei an das kapitalistische System, in dem Drogen wie Speed zur Kontrolle der Gesellschaft beitragen. Ist dies ein Argument, welches sich aus deiner Sicht auf den Salvia-Konsum übertragen lässt?

Ich denke die sozial-ökonomischen Bedingungen haben wenig damit zu tun, ob eine Person sich entscheidet Salvia zu nehmen oder nicht. Salvia ist keine Eskapisten-Droge, im Gegenteil, es ist ein Philosophen-Instrument. Es motiviert die Menschen das eigene Leben zu betrachten und positive Veränderungen herbeizuführen. Der gezielte und gelegentliche Einsatz von Salvia kompromittiert nicht die Fähigkeit ein gesundes, produktives Leben zu führen, geschweige denn ein fruchtbares Mitglied der Gesellschaft zu sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Kategorien
Drogenpolitik

Das Ende der Akzeptierenden Drogenarbeit?

Juli 2008

Ein Abgesang

Die Akzeptierende Drogenarbeit als Gegenentwurf zum Abstinenzparadigma der herrschenden Drogenpolitik scheint am Ende zu sein. Es ist Zeit Bilanz zu ziehen.

Zunächst ein Rückblick: Während des ersten großen Drogenkonsumbooms in den 60ern und Anfang der 70er keimten in einer Phase der Orientierungslosigkeit auf staatlicher Seite aus der linken Szene gewachsene offene Hilfsprojekte wie „Release“ auf. Für kurze Zeit (1970 bis 1975) konnten sie eine Alternative zur damaligen Psychiatrisierung sprich Einweisung der Konsumenten illegaler Drogen in die Irrenanstalten bieten. Kiffende Weltverbesserer versuchten damals mittels diverser kreativer Projekte Junkies zur Speerspitze der subkulturellen Revolution zu machen. Dank geschickter Selbstdarstellung gelang ihnen eine Zeit lang die Finanzierung über Spenden und staatliche Tagegelder.

Schnell berappelte man sich jedoch auf Behördenseite und förderte praktisch nur noch auf totale Abstinenz setzende therapeutische Unternehmen, die bereit waren mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen zu arbeiten. Das „Drogenhilfesystem“ wurde auf drei Säulen gestellt: Erstens Prävention, sprich Dramatisierung zur Abschreckung, zweitens Strafverfolgung und damit Ausgrenzung der Konsumenten, um diese quasi als Seuchenherde sozial zu isolieren und über die Verschärfung des sogenannten „Leidensdrucks“ zum Ausstieg zu „motivieren“, und drittens rigide Abstinenztherapien, offiziell seit 1982 „statt“ aber defacto als alternative Strafe. Dieses System erwies sich als weitgehend uneffektiv und trug erheblich zu einer Verschlechterung der Verfassung der stigmatisierten Konsumenten bei.

Mit der zweiten Drogenwelle in den Achtzigern und der rasanten Verbreitung der damals nicht effektiv behandelbaren HIV-Infektion bzw. AIDS-Erkrankung trat in Kreisen injizierender Drogengebraucher eine massive Verelendung ein, die von kritisch denkenden Sozialwissenschaftlern und Pädagogen insbesondere freier Träger, Initiativen und der AIDS-Hilfen als unmittelbare Folge einer in eine Sackgasse geratenen repressiven Drogenpolitik interpretiert wurde. Man entwickelte einen Gegenentwurf, eine auf einer „rationalen und humanen Drogenpolitik“ basierende „Akzeptierende Drogenarbeit“, die der Schadensminimierung dienen sollte. 1990 wurde gar ein „Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik, akzept e.V.“ gegründet.

Zugute kam dieser neuen drogenpolitischen Ideologie, dass in den Aufbruchsjahren nach der „Wiedervereinigung“ 1989 plötzlich vieles realisierbar erschien, was in den deprimierenden 80er-Jahren der reaktionären „Wende“ unter BRD-Kanzler Helmut Kohl noch als undenkbar galt. In diese Zeit Anfang der 90er fielen auch das Haschischurteil des Bundesverfassungsgerichts, die folgenden Coffeeshop-Experimente in den Großstädten, der Growshop-Boom, die Smart Drugs-, Herbals- und Psilo-Wellen, die von den Autoren Herer/Bröckers angezettelte „Hanf rettet die Welt“-Euphorie mit ihren Hanf-Produkten und Läden und die parallel laufende „Ecstasy“-Party-Seeligkeit der frühen Techno-Jahre inklusive LSD-Revival in der Goa-Szene. Ähnliche Entwicklungen fanden zudem nicht nur in Deutschland statt, sondern in weiten Teilen Europas, insbesondere in den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Spanien. Offene Grenzen, das Internet und moderne Kommunikationstechnologien trugen ihren Teil zur Gesamtentwicklung bei.

Die abstinenzorientierte Drogenpolitik wirkte überkommen, realitätsfern und geradezu lächerlich. In der Folge gelang es in Deutschland zahlreiche „niedrigschwellige“ Projekte mit akzeptanzorientiertem Ansatz zu verwirklichen, wie Szene-Cafes mit Spritzentausch, Fixerstuben, Übernachtungsstätten und pädagogisch betreute Wohngemeinschaften. Ein wichtiges Ziel war die Substitutionsbehandlung der Opiatabhängigkeit. Die Möglichkeit der ärztlichen Verschreibung von Methadon/Polamidon, heute auch Buprenorphin/Subutex, wurde schließlich sogar gesetzlich garantiert. Da sich die Konsumenten dafür zeitweise einer „Psychosozialen Betreuung“ unterwerfen mussten, boomten Einrichtungen, die hier zur Stelle waren.

Dennoch schwebte über Allem immer noch der Anspruch staatlicher Drogenpolitik Akzeptierende Drogenarbeit nur für eine Übergangsphase im Leben der Klienten finanzieren zu wollen. Das Ausstiegsdenken war keineswegs vom Tisch. Aus Ratlosigkeit lies man machen, was auf der dienstleistenden Seite eine Art Wildwuchs zur Folge hatte. Da die Finanzierung der entsprechenden Einrichtungen meist nicht pauschal sondern über die Zahl der Klientenkontakte oder Stundenhonorare erfolgte kam es zu undurchschaubaren Abrechnungen. Nicht selten wurden Klienten obendrein in mehreren Einrichtungen gleichzeitig betreut. Zusätzlich wanderten sie ihrem primären Bedürfnis nach Grundversorgung und Obdach folgend nach erfolgten Rausschmissen oft von einer Einrichtung in die Nächste. Es haperte aus Sicht der Kostenträger insgesamt an Zielvorgaben und an Qualitäts- und Effektivitätskontrollen.

In den letzten Jahren bemühte man sich nun von Behördenseite aus diese Lücken zu schließen. Projekten, die den neuen Kontrollansprüchen nicht genügen konnten oder wollten, wurde die Finanzierung entzogen. Wer im Rennen bleiben will orientiert sich in der Konzeptualisierung seines Unternehmens an scheinbar modernen Leitbildern: Ausufernden Antrags- und Dokumentationssystemen, wie sie die WHO bei ihrem Versuch im Rahmen der Globalisierung ein einheitliches von der westlichen Medizin geprägtes Menschenbild zu konstruieren und zu institutionalisieren vorgibt, Floskeln aus dem Case-Management, therapeutischen Ansätzen aus der Verhaltenstherapie, wie sie mit dem materialistischen auf Genetik und Epigenetik setzenden Menschenbild der US-amerikanischen NIDA konform gehen. Sah man die Arbeit vorher als schadensminimierend und suchtbegleitend, sollen die „Klienten“ jetzt offiziell selbst, wenn sie sterbenskrank sind, „trainiert“ (das klingt „ein Stück weit“ nach Boot-Camp) und „auf Ausstieg orientiert“ werden (aus der „Sucht“ natürlich). Wo vorher in vielen Projekten eine relative Gleichberechtigung unter den Mitarbeitern herrschte, werden Hierarchien aufgebaut, die der klassischen Hackordnung Psychiater, Psychologe, Sozialpädagoge, Hilfspersonal entsprechen.

Teilen des (Führungs-)Personals kommt der rigidere und gängelnde Umgang mit unter Druck gesetzten Klienten durchaus recht. Mittlerweile älter geworden, sehnt man sich nach mehr Distanz zum Objekt, nach strikterem Regelwerk und konzentriert sich ohnehin mehr auf sein Privatleben. Für die Klientel ist so eine Entwicklung bedenklich. Was sich als professionelle Distanz verkleidet, droht in Ignoranz gegenüber im humanen Ansatz immerhin theoretisch gleichwertigen und gleichberechtigten Mitmenschen umzukippen. Aus Akzeptierender Drogenarbeit kann auf diesem Wege eine überheblich auftretende Entmündigende Drogenarbeit werden.

Der Leistungsdruck unter dem nicht nur die Klienten sondern auch die relativ schlecht bezahlten Mitarbeiter stehen führt bei diesen teilweise zu Burn out-Symptomen und Krankheitsausfällen. Qualifiziertes Personal zu finden, dass sich derartige Arbeitsbedingungen reinzuziehen bereit ist, wird schwierig. Die Akzeptierende Drogenarbeit als optimistische Alternative ist am Ende. Doch die Vereinsmitgliedschaft bleibt bestehen. Licht am Ende des Tunnels ist nicht zu sehen.

Welche Fehler führten zu dieser Misere?

Das zentrale Problem aller Drogenkonsumenten ist nach wie vor die Kriminalisierung und die damit zusammenhängende soziale Ausgrenzung. Ihrer Beendigung müsste eigentlich das Hauptengagement gewidmet sein, nicht der Besitzstandswahrung, dem Erhalt pädagogischer „Idyllen“, die keine (mehr) sind. Die Meisten, die ihren staatlich finanzierten Laden bekommen hatten, hielten sich schließlich drogenpolitisch zurück. Mancheine Einrichtung war froh, wenn ihr Kontrollen erspart blieben. Man blieb inkonsequent in der Durchsetzung von Zielen innerhalb der Projekte wie auf der langfristig viel bedeutsameren drogenpolitischen Ebene. Auf dieser ließ man sich mit Kompromissen abspeisen. So auch in der Opiat-Substitution mit Methadon/Polamidon. Nach deren immerhin erfreulichen Realisierung war hinter der Durchsetzung der Originalstoffvergabe, sprich Heroin, nicht mehr der erforderliche Druck.

Inkonsequent war man auch in der Diskussion und Klärung von Fragen, wie man beispielsweise mit Schwerstabhängigen umgehen oder wie man sich gegenüber dem sogenannten „Beikonsum“, insbesondere dem von Kokain („Base“, „Steinen“, „Crack“), verhalten soll. Das Phänomen des süchtigen Verhaltens ist bis heute wissenschaftlich und ethisch nicht hinreichend ergründet worden. Zuverlässige dauerhaft effektive Hilfen gibt es daher nicht. Bedeutende das Leben stabilisierende Faktoren scheinen am Ende ganz banal eine unkomplizierte medizinische Versorgung, gesicherte menschenwürdige Wohnverhältnisse, flexible Arbeitsangebote und vor Allem eine kontinuierliche menschliche Anbindung darzustellen.

Unter den Projekten herrscht obendrein mangelnde Solidarität. Letztlich wurschteln die verschiedenen Einrichtungen unterschiedlicher Träger mehr oder weniger unkoordiniert und bisweilen unambitioniert vor sich hin. Die Träger stehen gegenüber den staatlichen Geldgebern zueinander in starker Konkurrenz. So lässt sich drogenpolitisch nichts durchsetzen. Von einer Lobby kann nicht die Rede sein.

Leider herrscht bei den Mitarbeitern selbst nicht selten Ignoranz gegenüber dem Menschenbild und den Idealen der Akzeptierenden Drogenarbeit. Die Leitlinien von einem parteiischen akzeptierenden, respektierenden, an der Menschenwürde orientierten, die Selbständigkeit des Individuums fördernden, die Handlungsspielräume erweiternden Umgang mit Drogengebrauchern sind vielfach auch mit dem Älterwerden der Mitarbeiter aus dem Fokus geraten. Dass auch drogenpolitisches Engagement zu den Aufgaben der Akzeptierenden Drogenarbeit gehört ist Vielen gar nicht mehr bewusst.

Generell fehlt die Bereitschaft zu einer ehrlichen (selbst)kritischen Bestandsaufnahme sowohl der tatsächlich geleisteten Drogenarbeit mit all ihren Pleiten und Pannen, wie auch der Auswirkungen der Drogenpolitik in den vergangenen Jahren unter Herbeiziehung aller Beteiligten inklusive der Betroffenen. Aber so locker funktioniert Drogenpolitik nun mal nicht, schon gar nicht in Zeiten des Neoliberalismus. Dieser verlangt gleichermaßen nach der Kontrolle Aufmüpfiger und staatlicher Knauserei bei den Bedürftigen wie nach Schaffung maximaler Freiheiten für die Aktionen kapitalistischer Unternehmen.

Es bleibt zu hoffen, dass die in Folge dieser Hinwendung zu einer tendenziell auf Bevormundung und Überwachung setzenden Drogenpolitik zu erwartenden Verelendungsprozesse bei den Betroffenen und damit zusammenhängende Frustrationserfahrungen bei in der Drogenarbeit Tätigen irgendwann doch noch einmal zu einem dann koordinierteren nachhaltigeren Engagement für einen menschlicheren Ansatz in der Drogenpolitik wie in der Gestaltung des Hilfesystems führen mögen.

 

 

Kategorien
Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Eine kurze Geschichte der Orgie

HanfBlatt Nr. 115, Juli 2008

Sex, Drogen, alles außer Rand und Band

Eine kurze Geschichte der Orgie

Kaum jemand kann sich der Faszination der Orgie entziehen, sei es aus Begeisterung, sei es aus Abscheu. Die lustvolle Hemmungslosigkeit beflügelt die Phantasie. Welche Funktion hatte die Orgie in der Geschichte? Und spielt sie heute noch eine Rolle in der Gesellschaft?

Die klassischen Griechen hatten schon Jahrhunderte vor dem Erscheinen von Jesus Christus einen speziellen Gott, nämlich Dionysos. Dieser war für Rausch, Ekstase und den Wein zuständig. Ein wilder Kerl. Jedes Jahr feierten die Griechen Dionysos mit mehreren Festspieltagen. Dort wurde aber nicht gesoffen und gefummelt, sondern hohe Kultur zelebriert: Dichter trugen ihr Kunst vor, Komödien und Tragödien wurden aufgeführt, Satyrspiele abgehalten. Satyrn sind mythologische Figuren, halb Mensch, halb Tier, die wie Dionysos immer feierbereit waren. Der Sage nach scharten sie sich um den Gott, um mit ihm zusammen allerhand Schabernack zu treiben. Der prominenteste Vertreter dieser Gattung ist Pan. Die weiblichen Fans von Dionysos waren die sogenannten Mänaden. In der griechischen Welt vermengten sich der Mythos der Dichtungen, tatsächliche historische Figuren und gelebter Alltag auf heute kaum noch vorstellbare Weise. So sind die Mänaden nicht nur die erdachten Begleiterinnen von Dionysos, sondern auch die Anhängerinnen eines Kultes, der lange Zeit sein Wesen trieb. Ursprünglich waren Orgien religiöse Festspiele, erst später wurden sie zu Anlässen trunkener Wildheit.

Eine besondere Rolle in der Geschichte der Orgie spielt ein kleines Örtchen in der Nähe von Athen mit Namen Eleusis, heute ein Vorort der Millionenmetropole. Hier spielten sich die legendären „Mysterien von Eleusis“ ab. Im antiken Griechenland waren diese Mysterien über einen Zeitraum von annähernd 2000 Jahren ein wichtiger Kultkomplex. Auch sie waren keine Orgien im engeren Sinne. Die Teilnahme war einem Griechen nur ein einziges mal im Leben gestattet. Die Gesetze verlangten bei Androhung der Todesstrafe absolutes Schweigen über die Vorgänge in Eleusis. Es ist bis heute unklar, was genau dort passierte, die überlieferten Schriften zeugen allerdings davon, dass viele Teilnehmer hier beeindruckende spirituelle Erfahrungen gemacht haben. Da während der Mysterien auch ein Trank eingenommen wurde, spekuliert man bis heute darüber, dass dieser Trank halluzinogene beziehungsweise entheogene Substanzen enthalten haben muss.Der Chemiker Albert Hofmann hat mit anderen Autoren dazu eine Theorie vorgelegt. Stichhaltige Beweise fehlen aber. Denn mutterkornbefallener Roggen oder Wildgrasmutterkörner sind schwer dosierbar und führen oft eher ins Delirium als denn ins Götterreich. Wahrscheinlicher ist der Einsatz von Bilsenkraut oder Schlafmohn. Auf der anderen Seite dürfte die Empfänglichkeit der antiken Menschen für spirituelle Erfahrungen durch Lebenswelt sowie Set und Setting sehr hoch gewesen sein, so dass vielleicht schon kleine Mengen einer Droge zu außergewöhnlichen Erfahrungen geführt haben. Wie auch immer, zu sexuellen Massenakten ist es während dieser antiken Techno-Party nicht gekommen. Dionysien und die Eleusis-Mysterien waren eng an naturgegebene Vorgänge gebunden, sie fanden zumeist im März zu Beginn der neuen Vegetationsperiode statt.

Die Römer übernahmen viele der griechischen Traditionen, so auch der Gott Dionysos. Er hieß ab jetzt Bacchus. So entstanden die Bacchanalien und allmählich die Art der zügellosen Orgien, die bis heute in unseren Vorstellungen präsent sind. Mengen von Alkohol, wahrscheinlich aber auch Laudanum und anderen berauschenden Substanzen gehörten von nun an zu den Festen dazu. Man verkleidete sich, der Mummenschanz erhöhte die Hemmungslosigkeit – hier gibt es Berührungspunkte zum Karneval.

Im 2. Jahrhundert v. Chr. steigerten sich die Bacchanalien zu volksfestartigen, vollkommen entfesselten Massenorgien. Es bildete sich die Grundstruktur der Orgie heraus, wie wir sie bis heute kennen und definieren. Alle Beteiligten streben danach, einander durch möglichst sinnliche Handlungen gegenseitig zu überbieten und erotisch zu reizen. Die Partner einer Orgien treten in eine ständige Wechselwirkung, sie sind gleichzeitig Handelnde und Zuschauer. Es gilt in einem Rausch der Sinne zu versinken, durch ständige Reizung und Überreizung alle Grenzen fallen zu lassen. Alle dafür nötigen Mittel sind legitim. Damals wurden dabei die Grenzen zu menschenverachtenden Methoden immer wieder überschritten. Sklaven konnten sich nicht wehren, Kinder auch nicht. Selbst Tiere wurden missbraucht. Im Jahre 186 v. Chr. wurde es schließlich dem römischen Senat zu bunt. Er erließ einen Beschluss über die Bacchanalien und verbot sie. Um klar zu machen wie ernst man es meint, ließ man mehrere Tausend Teilnehmer hinrichten.

Von hier an trieb man es um Untergrund weiter. Ein Phänomen, das sich bis heute gehalten halt. Der Mythos der Bacchanalien wurde in zu einem bevorzugten Thema der bildenden Kunst. Ursprünglich zeigten die Maler die eigentlichen Bacchusfeiern, mit der Renaissance erweitert sich der Darstellungskreis. Er umfasste von da an alles, vom fröhlichen Gelage bis zur entfesselten Orgie. Kaum einer der großen Künstler der Neuzeit blieb vom Stoffgebiet der Bacchanalien unberührt. Die Wiedergabe der orgiastischen Hemmungslosigkeit ist das eigentliche künstlerische Problem, denn zuviel zeigen durfte man oft nicht. Zuletzt zeigte Georges Grosz in seinem Bild „l’orgie“ scheißende Damen und überlaunige, schwerstbesoffene Herren in der für ihn typischen Art des dekadenten Verfalls.

Vögelei

Von den Geschichtsschreibern überliefert sind meist nur die Ausschweifungen am Hofe. Berüchtigt in der Neuzeit waren die Orgien, die der Regent von Frankreich, Philipp II. von Orléans (1674–1723), veranstaltete. Als überzeugter Atheist hielt er sie gerne an christlich-religiösen Festtagen ab. Bestechend liebenswürdig, rasant frivol, künstlerisch begabt; Philipp sah im eigenen Vergnügen die einzige Richtschnur des Handelns. Er und seine Freund erdachten immer neue Ausschweifungen, die im Paris des 17. Jahrhunderts das bewundernd-schaurige Stadtgespräch bildeten. Es herrschten Verhältnisse, die heute undenkbar scheinen. Mit seiner eigenen Tochter unterhielt Philipp eine leidenschaftliche und öffentlich bekannte Liebesaffaire. Inzest war damals ohnehin in hohen Kreisen nichts ungewöhnliches, selbst das „gemeine Volk“ stieß sich nicht daran. Auch die anderen, üblichen Grenzen des Geschlechtsverkehrs wurden wenig beachtet. Kinderschändung war niemals wieder so verbreitet wie in diesem Zeitalter, das heute Rokoko genannt wird. Nach einigen Herzanfällen begriff er als 47-Jähriger, dass seine exzessive Lebensweise ihren Tribut forderte und gab sein nächtliches Lotterleben auf.

Mit der Angebotsvielfalt steigerte sich auch die Zahl der während Orgien konsumierten Drogen. Heute dürfte bei sexuell ausgelassenen Festen neben dem Alkohol vor allem Kokain eine Rolle spielen. Das Pulver gilt als Rammelgarant. Schade, das die Klavitatur der Liebesmittel heute meist nur auf chemischen Wege angeschlagen wird. Die Natur bietet viel. Es ist wenig darüber bekannt, ob heute Rituale existieren, die mit Hilfe psychoaktiver Substanzen und sexuell-erotischer Spielarten ein ekstatischen Erleben für alle Teilnehmer generieren wollen. Die schwülen und muffelnden Hinterzimmer der vorstädtischen Swinger-Clubs und die reglementierten Dark-Rooms der schwulen Szene kommen zwar der Orgie noch am nächsten, haben aber kaum zum Ziel sich im Wollusttaumel zu verbrüdern.

Heute ist die wilde Orgie domestiziert. Zum einen durch wissenschaftliche Einsicht, denn man weiß, dass Freiwilligkeit zum Erleben dazu gehören muss und erotische Exzesse mit Minderjährigen bei diesen mentale Narben hinterlassen. Zum anderen ist die Orgie durch moderne Regeln und Tabus domestiziert. Denn trotz aller Freizügigkeit ist die beklagte Pornographisierung weithin virtuell, sei es im Internet, sei es in literarischen Feuchtgebieten. Auch der am Ende des alten und Anfang des neuen Jahrhunderts vielgescholtene Hedonismus (Stichwort: Spaßgesellschaft) zeigte eher die soziale Tendenz, sich mit einer dauerhaften, aber dadurch halbschlaffe Erektion zufrieden zu geben. In diesem Sinne leben wir in einer ständigen semi-orgiastischen Zustand, umgeben von Gewaltorgien, Medienorgien und Konsumorgien.

Die Abgrenzung zwischen einer ordentlichen Orgie und der Perversion ist schwer. Menschen haben Macken aller Art, das macht uns aus. Das reicht vom Spleen, immer nur bei Sinatra vögeln zu können, über Bondage und justierbaren Krokodil-Brustklammern bis hin zu Lustgewinn durch menschlichen Kot, Koprophilie genannt. Was es nicht alles gibt. Und: Erlaubt ist was gefällt. Die Orgie muss nicht unbedingt Zeichen einer degenerierten, rohen Lustwelt sein. Der Begriff der Sublimierung trifft es schon ganz gut: Sublimierung kann eine Erhöhung der Sinne sein, trägt aber immer auch die Gefahr einer Umlenkung von Wünschen in sich, die untergründig und unbewusst in jedem von uns schlummern. Sie ab und zu auszuleben ist die eine Sache, sich ihrer bewusst zu werden eine andere.

 

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit dem Buchautoren Hans-Christian Dany über die Rolle von Amphetamin in der modernen Gesellschaft

Telepolis v. 21.04.2008

Der Körper geht sich selbst

Interview mit dem Buchautoren Hans-Christian Dany über die Rolle von Amphetamin in der leistungsorientierten Gesellschaft

Der Hamburger Autor Hans-Christian Dany hat eine lesenswerte Geschichte des Amphetamins vorgelegt. Darin beschreibt er die wirtschaftlichen und kulturellen Hintergründe einer Droge, die als Stimulanz bis heute eine wichtige Rolle sowohl in der medizinischen Anwendung wie auch im illegalen Gebrauch spielt. Seiner Meinung nach konzentrieren sich in dem kristallinen Beschleuniger die Sehnsüchte des leistungsorientierten und geschwindigkeitsverliebten 20. Jahrhunderts. „Speed“, wie Amphetamin gemeinhin genannt wird, ist aus dieser Sicht eine Droge der Disziplinierung, um den Anforderungen des Fordismus gerecht werden zu können. Dany, Jahrgang 1966, spricht im Interview über die Droge der Nazis, den motorisierten Geschwindigkeitsrausch der Beatniks, das Wachbleiben als Hilfsmittel der Kunst und systemstabilisierende Drogenbenutzer.

Frage: Amphetamin erlebt seine erste Blütezeit als Asthmamittel mit Namen Benzedrine in den USA der frühen 30 Jahre. Wie kam es zu dieser erster Konjunktur?

Hans-Christian Dany: Benzedrine erweiterte wirkungsvoll die Bronchien und half gegen Asthmaanfälle. In der Zeit der großen wirtschaftlichen Depression erreichte das neue Produkt aber schnell weitaus mehr Menschen als es Asthma-Kranke gab und wird zu einem Antreiber für den ökonomischen Aufschwung.

Lässt sich vergleichbares im europäischen Raum feststellen?

Zunächst entwickelte ein Franzose das erste europäische Amphetamin, aber auch die Deutschen wollten unabhängig von den Lieferungen des Wundermittels aus den USA werden.

Aber Deutschland galt doch als Apotheke der Welt.

Ja, aber in dem Fall lagen die Deutschen zunächst hinten, sollten durch ihren Willen zu einer rohstoffabhängigen Alternative aber rasant aufholen. Kunststoffe waren im an Rohstoffen armen Dritten Reich, dass plante die Welt anzugreifen, ein zentrales Thema. Perlon oder synthetischer Treibstoff wurden mit Blut und Boden zusammengedacht. Vor diesem Hintergrund entwickelten deutsche Wissenschaftler auch ein Recylingverfahren um aus Industrieabfällen Methamphetamin herzustellen. Ein Produkt das Ende der dreißiger Jahre unter dem Namen Pervitin auf den Markt kam.

Und von den Temmler-Werken in großen Mengen hergestellt.

Zielrichtung des zivilen Projektes war zunächst ein Alternativprodukt zu dem erfolgreichen Benzedrine, auf den Markt lanciert wurde das Ergebnis dann eher als leichtes Antidepressiva und Gegenrauschgift. Man nutzte es als Substitutionsmittel bei Alkoholismus, Opiat, und Kokainabhängigkeit. Pervitin war ein Versuch den Drogenmarkt unter Kontrolle zu bekommen.

Und landete schließlich bei der Wehrmacht.

Die war hellhörig geworden und testete das neue Wundermittel. Während der Blitzkriege wurden innerhalb weniger Monate 29 Millionen Dosen von Pervitin ausgegeben. Teilweise nahmen die Soldaten ihre Methamphetamin-Rationen aber auch von der Front mit nach Hause und schenkten es ihren Frauen. Etwas Chanel Nr. 5 und ein paar rote Kapseln aus Paris. Nach dem Krieg bekamen dann Kinder die Reste des Pervitins aus dem väterlichen Sturmgepäck, um in ihren Not-Abituren gut abzuschneiden.

Der „Generalluftzeugmeister“ Ernst Udet war abhängig von Amphetamin, auch andere Nazi-Größen nahmen Drogen in hohen Mengen, bekannt ist Görings Morphinaffinität. Wurde das innerhalb der Gruppe nie problematisiert?

Die Nationalsozialisten agierten in dieser Hinsicht widerspüchlich. Einerseits wurde im Zuge ihres Krieges gegen Rauschgift der Alkoholkonsum gebrandmarkt, andererseits zeigen die Statistiken einen Anstieg des Konsums im Dritten Reich. Daneben galt, was auch heute noch gilt: Solange man in bestimmten Strukturen funktioniert, wirft einem ja niemand den Drogenkonsum vor.

Funktionieren tat zeitgleich auch die junge Schauspielerin Judy Garland.

Garland sang 1938 in den USA 16-jährig unter starkem Amphetamin-Einfluss „Somewhere over the Rainbow“. Bei Garland ging es dem Werksarzt der Filmfabrik darum den Körper der pubertierenden Darstellerin auf die Figur der 10-jährigen Dorothy in „Wizard of Oz“ herunter zu hungern. In der damaligen Faszination für die technologischen Möglichkeiten von Drogen schien die Medizin kein Problem bei der Behandlung von Kindern zu haben. Die bis heute
verbreitete Form Behandlung von Kindern mit Amphetamin hatte sogar schon früher angefangen: 1937 erprobte Charles Bradley erstmals die Medikation unkonzentrierter Kinder mit Speed. All das macht die enorme Geschwindigkeit deutlich mit der das erst 1933 auf den Markt gekommene Präparat zu den Verbrauchern gebracht wurde. 1937 erhalten es erstmals Kindern, 1938 singt Garland den ersten Amphetamin-verstärkten Superhit und 1939 marschiert die deutsche Wehrmacht unter Amphetamin-Einfluss in die Blitzkriege.

Benzedrine Werbung von 1945
Benzedrine Werbung von 1945

Und es geht weiter: 1947 schreibt Jack Kerouac „On the road“, einen Klassiker der Speed-Literatur.

Die militärische Erfahrung des Amphetamin-gestärkten Geschwindigkeitrausches dringt nach dem 2. Weltkrieg in Zivilleben eine. Es ist ein neuer Weg, Mensch und Maschine bis zum äußersten zu treiben. Die industriell-kapitalistische Ordnung liefert die Voraussetzungen dafür, den Menschen als optimierbares Teilchen eines großen Apparates zu betrachten. Speed fördert die Dressur des Einzelnen im Gefüge der Maschine. Erst in den 70er Jahren sollte es zu einer Krise dieser Sichtweise kommen. Die Grenzen des Wachstums werden diskutiert. Aber die Skepsis war nur von kurzer Dauer, schon in den 80er Jahren kommt es zu einem Comeback der technischen Verbesserungsvorstellung des Menschen, ein Bild, in dessen Rahmen wir bis heute leben. Das Bewusstsein für den Preis, der für diese technologische Idee von Fortschritt gezahlt werden muß, ist zwar größer geworden, aber die Alternativen sind nicht gegenwärtig.

Und die Beatniks um Kerouac und Konsorten haben, so schreibst du, eher ihren Egoismus gefrönt als politische Verhältnisse ändern zu wollen?

Vielleicht kann man sich heute nicht mehr vorstellen, was individuelle Freiheit und Optimierung damals bedeutet haben. Schon länger ist diese Haltung der beschleunigten Bedürfnisbefriedigung problematisch geworden, weil es eines der letzten Versprechen ist, die die Gesellschaft zu bieten hat: Wie kann ich aus meinem eigenen Leben das maximale rausholen? Dazu kommt die Verherrlichung von Technologie als Freiheitsbegriffs. Das haben die Beatniks auf romantische Weise verkörpert.

In den 60er Jahren folgten die Hippies. Deren Verhältnis zu Speed war ambivalent. Speed galt als unnatürliche Droge.

Der berühmte Slogan „Speed kills“ wurde damals in Haight Ashbury geprägt. Dahinter steckte, neben der konkreten Angst vor der Übertragung von Hepatitis, eine Technologieskepsis. Drogen dienen aber auch als Vehikel zur sozialen Unterscheidung. Die Hippies kamen vornehmlich aus der Mittelschicht und wollten sich von der Arbeiterklasse und dem „White trash“ unterscheiden. Sie wollten kultivierter Drogen nehmen. Und das böse Speed galt und gilt bis heute als Droge der armen Leute.

Andy Warhol evozierte als „Fabrikdirektor“, wie du ihn nennst, zur gleichen Zeit mit Hilfe von Speed eine Art Dauerhysterie in seinem Umfeld.

In einem permanenten Ausnahmezustand sollten massenhaft Ideen freigesetzt werden. Jeder einzelne sollte sich als Subjekt bis zum Äußersten in den Produktionsprozess einbringen.

Kann das klappen, kreative Schübe durch Speed?

Für die moderne Kunst spielt das Kreative nur eine nachgeordnete Rolle. Warhol oder andere Kunstbewegungen der sechziger Jahre, wie auch vieles was in den Zusammenhängen von Punk oder Techno entstand – kulturellen Bewegungen die ohne Speed kaum vorstellbar wären, verstanden sich bewusst antikreativ. Da ging es darum Energien zu bündeln, sich reinzusteigern, Gedanken extrem zu fokussieren und rückhaltlos auf den Punkt zu zusteuern. Die Ausgangsidee kann dabei ganz banal sein, man muss es halt nur mit der Letztgültigkeit isolieren und behaupten. Das braucht Zeit, in der man einfach wach sein muss. Häufig ist es weniger der Einfall die Leistung, sondern deren Behauptung. Warhol, dem selten was einfiel, ließ sich Ideen von anderen flüstern und hat sie dann auf die Spitze getrieben.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner repetitiven Kunst und Amphetamin?

Auf Amphetamin zeigt sich bei vielen Benutzern das Phänomen des „punding“. Das ist die Faszination für Monotonie und Wiederholung. Deshalb entstanden unter Einfluss von Speed vielleicht soviele wunderbare Bild für die fordistische Revolution, deren Grundgedanke – die Wiederholung des immer gleichen Handgriffs am Fließband – sich durch den Gebrauch einer Droge übersteigert.

In den 80er Jahren kommt es dann zur Nutzung von Drogen auf breiter Ebene. Eine weiteres Amphetamin-Derivat, nämlich MDMA, ist hier Vorreiter.

Mit Ecstasy kommt es zur endgültigen Normalisierung chemischer Rauschmittel, wie wir sie heute kennen. Bevölkerungskreise unterschiedlichster sozialer Schichten haben ja heute Drogenerfahrung, wozu die Techno-Bewegung Anfang der 90er Jahre viel beitrug. Sie hat vorgeführt, wie Drogen als Spaß- und Arbeitsfaktor zusammen gehen. Lange schien Drogenkonsum ein „Außerhalb“ darzustellen; so fühlen sich ja heute noch manche Drogenbenutzer. Dem ist ja gar nicht mehr so.

hc-danyWozu werden Drogenkonsumenten dann heute noch verfolgt?

Um Migration zu kontrollieren, nicht gezahlte Steuern einzutreiben, geopolitische Interessen zu verpacken oder um die Eigentumsverhältnisse an Technologien zu wahren. In Thailand wurden vor fünf Jahren in wenigen Wochen über zweitausend Amphetamin-Schieber von der Polizei erschossen, die im Prinzip die gleichen Wirkstoffe verkaufen, die Pharmaunternehmen herstellen, um Medikamente auf den Markt zu bringen. Die United Nations lobten damals Thailands Drogenpolitik mit dem Argument: Kinder hätten das Recht in einer drogenfreien Umgebung aufzuwachsen. Auf Novartis, den Hersteller von Ritalin, werden solche Maßnahmen aber nicht angewendet.

Wie müsste Drogenpolitik aussehen, wenn sie nicht Kontrollpolitik sein will?

Dazu müssten sich die gesamten Verhältnisse des kapitalistischen Systems ändern. Die Tendenz geht aber eher dahin immer mehr Technologien – und Drogen sind eben auch eine Technologie – als Eigentum zu deklarieren. Es soll ja nicht nur Kontrolle über Drogen, sondern beispielsweise auch über landwirtschaftliche Produkte mittels Patente garantiert werden. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Letzlich kommt man immer wieder auf den gleichen Punkt: nicht die Drogen sind das Problem, sondern die Umstände, in denen sie genommen werden.

Du schließt das Buch mit der Ansicht, dass es gute Gründe gibt, nüchtern zu bleiben. Warum?

Was ich damit zu beschreiben versuche ist die aktuelle Konjunktur bestimmter Drogen – zu denen ich auch den Hanf zählen würde – in einer Welt fremdbestimmter Arbeit. Drogen – legale, wie illegale fügen sich einfach erstaunlich gut in die Mechanismen der Kontrollgesellschaft ein. Wobei nicht die Drogen, bei denen es sich ja zunächst nur um Technologien handelt, das Problem sind, sondern wie sie vom Machtapparat mißbraucht werden. Da wird versprochen, man könne damit funktionieren. Dagegen zu funktionieren spricht viel, insofern gibt es gute Gründe in den falschen Umständen nüchtern zu bleiben.

 

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Hans Cousto von Eve & Rave

 

HanfBlatt

TECHNO, TANZEN, TÖRNEN, FICKEN – WEGBEREITER DER EKSTASE

Ein Interview mit dem Mathematiker, Musiker („Die kosmische Oktave“) und vor allem Eve & Rave-Urgestein Hans Cousto

Hanfblatt: Seit wann gibt es Eve&Rave?

Hans Cousto:  Im Sommer 1994 entwickelten ein paar Raver in Berlin die

Idee von Eve & Rave. Auf wöchentlichen Treffen wurde das Konzept

entwickelt. Am 27. September 1994 wurde das Konzept und die

„Party-Drogen-Broschüre – Safer Use“ im Rahmen einer Pressekonferenz im

E-Werk in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 12. Oktober 1994

wurde der Verein Eve & Rave zur Förderung der Party- und Technokultur

und zur Minderung der Drogenproblematik offiziell gegründet.

 

Hanfblatt: Wie finanziert sich der Verein?

 

Hans Cousto:  Vor allem sind zwei Einnahmequellen zur Finanzierung der

Arbeit von Eve & Rave zu nennen: Beiträge der Mitglieder (Schüler und

Studenten DM 5.- pro Monat. Erwerbstätige DM 10.- pro Monat) und

Spenden (Eve & Rave Verein, Kto. Nr. 5809907009, Berliner Volksbank,

BLZ 10090000). Die Arbeit der Mitglieder von Eve & Rave Berlin ist nach wie

vor ausschliesslich ehrenamtlich. Dies gilt auch, von ganz wenigen

Ausnahmen abgesehen, für alle Eve & Rave Vereine.

 

Hanfblatt: Was kann man bei Eve&Rave machen?

 

Hans Cousto:  Die Augabenbereiche sind vielfältig. Das Organisieren,

Aufbauen und Betreuen von Informationsständen an Parties wie auch das

Planen und Durchführen von Fortbildungskursen für Mitarbeiter und

Szenemultiplikatoren sind zentrale Aufgabenbereiche bei Eve & Rave.

Hinzu kommt das Erstellen von Informationsmaterialien, die Gestaltung

von Internetseiten, die Bearbeitung der Post und E-mails und das

Veranstalten von Parties.

 

Hanfblatt: Und seit wann bist du dabei?

 

Hans Cousto: Ich bin Gründungsmitglied von Eve & Rave.

 

Hanfblatt: Wie bist du als menschliches Wesen Hans Cousto dazu gekommen, dich

ausgerechnet drogenpolitisch zu engagieren, in den trüben Ozean der

Drogenpolitik zu tauchen, und dann auch noch von der Seite aus, die die

Verhältnisse nicht gerade im Sinne der herrschenden Meinung betrachtet, und

von daher mit staatlichen finanziellen Segnungen zu rechnen hätte?

 

Hans Cousto: Prinzipell: Ob ich Haschisch rauche oder nicht, ob ich Zauberpilze esse

oder nicht oder ob ich LSD geniesse oder nicht, diese

Entscheidung will ich frei nach eigener Überzeung treffen. Diese

Entscheidung betrifft nur mich. Sie betrifft grundsätzlich keinen

anderen Menschen. Diese Entscheidung treffe ich für mich nach

individual-ethischen Prinzipien auf Grund meiner Erfahrungen und

Erkenntnisse betreffend der Wirkungsweise dieser Substanzen.

Das Recht ist die verbindliche Ordnung des Verhaltens,

das der Einzelne gegenüber anderen äussert. Das Recht reguliert

menschliche Beziehungen. Mein Drogenkonsum betrifft nur mich.

Nur ein Verhalten, das die Rechtsgüter anderer Menschen oder einer ganzen Gruppe unmittelbar

beeinträchtigen könnte, kann strafwürdig sein.

Nur solange sich das im Gesetz verankerte Recht, insbesondere das Strafrecht,

auf die Regelung menschlicher Beziehungen nach Massgabe sozial-ethischer

Prinzipien beschränkt und nicht, wie das beim Betäubungsmittelgesetz der Fall ist,

die Gebote der individuellen Sphäre oder gar der individual-ethischen

Grundprinzipen tangiert, ist gewährleistet, dass die

praktizierte Gesetzestreue nicht unwürdig entartet, wie das Wüten des

Strafrechts in totalitären Staaten (der Stalinismus in der Sowjetunion,

der Volksgerichtshof im III. Reich, u.s.w.) oder das Wirken der Inquisition

der römisch-katholischen Kirche (Hexenverbrennungen, Bücherverbrennungen).

Also, erstens bin ich nicht bereit, die durch das heutige

Betäubungsmittelgesetz bedingten freiheitlichen Einschränkungen

individueller Lebensgestaltung zu tolerieren oder gar zu akzeptieren,

und zweitens sehe ich die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch

das Betäubungsmittelgesetz gefährdet. Darum setze ich mich politisch für

eine grundlegende Änderung dieses Gesetzes ein.

Generell: Das Betäubungsmittelgesetz gibt vor, die individuelle als auch

die öffentliche Gesundheit zu schützen, wirkt sich aber in der Realität

als gesundheitsschädigend aus. Bezugnehmend auf das

Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. bis in die 90er Jahre hinein die

Abgabe von sterilen Spritzen an Fixer be- und verhindert. Dies

begünstigte nicht nur den Gebrauch bereits verwendeter Spritzen, sondern

nötigte die Fixer zum gemeinsamen Gebrauch ihrer Sprtzen. Dadurch haben

sich Tausende mit HIV infiziert, sind Tausende an AIDS erkrankt und

Tausende in jungen Jahren verstorben.

Bezugnehmend auf das Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. auch in vielen

Städten die Einrichtung von Fixerstuben verhindert, obwohl seit langem

bekannt ist, dass die Überlebenschancen nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube bei weitem grösser sind als in einer Privatwohnung. In

Deutschland geschehen 70% der Todesfälle, zumeist durch eine

Atemdepression bedingt, in Wohnungen, dem gegenüber ist weder in

Deutschland noch in der Schweiz jemand nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube verstorben, da dort beim Auftreten einer Atemdepression

rechtzeitig Hilfe geleistet werden kann. Auch hier haben die

drogenpolitischen Hardliner Menschenleben auf dem Gewissen.

Heute wird z.B. in Deutschland das Drug-Checking, die chemische Analyse

von auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Drogen und die Veröffentlichung der

Testergebnisse, be- und verhindert, was die Vergiftungsgefahr von

Drogenkonsumenten erhöht. Allein diese drei Beispiele offenbaren

deutlich, dass das Betäubungsmittelgesetz von der Grundstruktur her

nicht geeignet ist, die individuelle als auch die öffentliche

Gesundheit zu schützen. Deshalb ist das Grundkonzept der

Betäubungsmittelpolitik zu überdenken und neu zu strukturieren.

Zum letzten Punkt betreffend der finanziellen staatlichen Segnungen sei

hier angemerkt, dass ich etliche Drogenberater, die ihren Lohn

von staatlichen Institutionen beziehen, kenne, die leider aus Angst ihren

Arbeitsplatz zu verlieren, nicht sagen was sie denken oder was ihrer

Erfahrung und Überzeugung entspricht, sondern sich in

selbstverräterischer Weise zu opportunistischen Formulierungen verleiten

lassen. Nicht zuletzt trübt eben dieser Opportunismus den Ozean der

Drogenpolitik!

 

 

Hanfblatt: Eve & Rave war ein Phänomen früher Technopartystunden, sozusagen der

intellektuelle Extrakt des Technofeierspirits zum Verein gefasst, die

Botschaft: Friede, Freude, Pillentesten (Drug-Checking). Du als Veteran der

Bewegung kannst sicher auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Wie hat

sich die Technoszene und ihr Genussmittelgenuss über die Jahre gewandelt und

wie veränderte sich Eve & Rave?

 

Hans Cousto: Vorweg: Ich gehe immer noch gerne feiern, liebe es nach wie vor

nächtelang zu tanzen und dabei mit anderen die ekstatischen Gefühle der

Lebenslust zu geniessen. Dies gelingt mir vor allem in kleineren Klubs,

die eher der alternativen Szene zuzurechnen sind, da sich hier auch

heute noch häufig Partyfamilies mit einer ausgeprägt reifen Partykultur

treffen. In grossen komerziellen Klubs – ich denke, dies gilt nicht nur für

Berlin – kann es einem jedoch leicht passieren, dass man zwischen

Tausenden von sich modisch präsentierenden Schaulustigen und TänzerInnen

so wenig wahrgenommen wird, dass man nicht selten auf dem Dancefloor

angerempelt wird und so auf äusserst unangenehme Weise aus der Ekstase

herausgerissen wird. Die merkantilistische Vereinnahmung grosser Teile

der Technoszene hat einen unübersehbaren kulturellen Flurschaden

hinterlassen, so dass viellerorts die Voraussetzungen für echtes

Partyfeiern nicht mehr gegeben sind, ja vielerorts ist die Kunst des

gemeinsamen Geniessens erschreckend schnell verwelkt und verdorrt.

Der Gebrauch psychoaktiver Genussmittel entwickelt sich von Szene zu

Szene sehr unterschiedlich. In bestimmten Kreisen wird sehr bewusst mit

den psychedelischen, die Seele erhellenden und ästhetischen, die

Sinneswahrnehmung betreffenden Wirkungen verschiedener Pflanzen und

synthetischer Substanzen experimentiert. Hier trifft man oft auf Leute,

die in subtiler Weise unterschiedliche psychoaktive Substanzen

miteinander kombinieren, so dass ein ausgewogenes Wirkungsprofil zur

Entfaltung kommen kann und die Genussfähigkeit beflügelt wird. In

anderen Kreisen hingegen werden vor allem die Drogen konsumiert, die in

den Massenmedien unter reisserischen Überschriften hochstilisiert

werden. Ecstasy – weil es einfach gemäss Medien dazugehört – und viel

Speed, Amphetamin, zum Durchhalten, in letzter Zeit auch immer mehr

Methamphetamin, da auf Grund der Gewöhnung normaler Speed kaum noch eine

Wirkung hervorrufen kann. Für das Ego werden dann noch ein paar Nasen

Kokain reingezogen, und da man auf Dauer ein solches Übermass an

Aufputschmitteln nicht mit Genuss aushalten kann, wird der entstandene

Frust mit reichlich Alkohol ertränkt. Auf dieses Gebrauchsmuster trifft

man vor allem in kommerziellen Klubs, wo die Schönlinge aus der

sogenannten „High Society“ sowie jene, die den Schein erwecken wollen,

sie gehörten auch dazu, verkehren.

Um der Verwahrlosung der Genusskultur bezüglich Drogen und Rausch in

gewissen Kreisen entgegenzuwirken, wäre es sinnvoll, in Schulen das Fach

Drogen- und Rauschkunde einzuführen. Hier sollte nicht nur ein

theoretischer Unterricht anvisiert werden, sondern auch den jungen

Menschen die Möglichkeit geboten werden, im Rahmen von professionell

geführten praktischen Übungen eigene Erfahrungen zu sammeln. Ein solcher

Unterricht wäre sicherlich für viele Menschen ein wertvoller Beitrag zum

Erlernen einer kompetenten Drogenmündigkeit. Da jedoch das

Betäubungsmittelgesetz in der heute rechtskräftigen Fassung einen

derartigen praktischen Unterricht verbietet, ist eine Änderung dieses

Gesetzes eine unabdingbare Notwendigkeit, um der Verwahrlosung der

Drogenkultur entgegenzuwirken.

Die Verbotspolitik vermochte weder die Verfügbarkeit bestimmter

Substanzen noch die Nachfrage nach denselben einzudämmen. Einige

Untersuchungen zeigten sogar, dass eine verstärkte Repressionspolitik

eine beschleunigte Verbreitung des Drogenkonsums nach sich zog. So haben

z.B. in der welschen Schweiz mehr Jugendliche und junge Erwachsene

Erfahrungen mit illegalisierten Drogen als in der deutschsprachigen

Schweiz, obwohl oder vielleicht gerade weil in der welschen Schweiz der

polizeiliche Verfolgungsdruck auf Drogenkonsumenten wesentlich grösser

ist als in der deutschsprachigen Schweiz.

Nun zu Eve & Rave: Nebst Förderung der Techno- und Partykultur sind

Aufklärung und Informationsvermittlung nach wie vor Leitmotiv der

Tätigkeit der Eve & Rave Vereine. Früher konzentrierte sich das

Betätigungsfeld hierfür vor allem auf Informationsstände an Parties,

heute gewinnt das Internet immer mehr an Gewicht in diesem Bereich.

Mehrere Eve & Rave Vereine betreuen eine Homepage, wobei die

Schwerpunkte der Inhalte sich unterschiedlich entwickelten. Eve & Rave

Schweiz konzentriert sich vor allem auf Drug-Checking (in der Schweiz

völlig legal) und Substanzinformationen (http://www.eve-rave.ch), Eve &

Rave Münster auf „safer use“ und Szeneinformationen

(http://www.eve-rave.de), Eve & Rave Berlin auf Technokultur,

Drogenrecht und Drogenpolitik (http://www.eve-rave.net). In Kassel

konzentriert man sich nach wie vor auf die vor Ort Arbeit in Klubs, die

Homepage von Eve & Rave Kassel ist im Aufbau (http://www.eve-rave.org).

Die Kölner sind noch nicht im Netz, dafür noch immer auf Parties

präsent. Das kulturelle und drogenpolitische Engagement wird durch die Vernetzung

mit anderen Vereinen wie Eclipse e.V Berlin und Projekten wie

Drug-Scouts in Leipzig, Alice in Frankfurt am Main oder dem

Party-Projekt in Bremen im bundesweit tätigen Sonics Netzwerk

koordiniert.

 

Hanfblatt: Siehst du Chancen, dass legales Drug-Checking einmal so selbstverständlich

werden wird wie Kiffen, Spritzentausch, Oktoberfest und Koksen auf dem

Reichstagsklo? Wohin wird und will sich Eve & Rave bewegen?

 

Hans Cousto: In den Niederlanden ist Drug-Checking schon lange so selbstverständlich

wie Spritzentausch. In der Schweiz hat ausser Eve & Rave auch die

Stiftung Contact in Bern mit dem Project-e (Drug-Checking an Parties mit

mobilen Labor vor Ort) positive Erfahrungen gemacht. In Österreich führt

der Verein Wiener Sozialprojekte mit dem Projekt Check-it mit grossem

Erfolg ebenfalls seit Jahren chemische Analysen von Partydrogen vor Ort

an Parties durch. Die Testresultate werden im Internet dokumentiert

(http://www.checkyourdrugs.at). Auch in Belgien ist ein grosses

Drug-Checking-Programm im Aufbau. Auf Dauer wird sich auch Deutschland

trotz seiner vornehmlich repressiv-konservativ ausgelegten Drogenpolitik

nicht mehr gegen vernünftige Lösungsansätze zur Schadensminimierung im

Umfeld der Drogenkonsumenten verschliessen können. Zum Leidwesen der

Betroffenen kommt in Deutschland die Einsicht des Gesetzgebers bezüglich

der Notwendigkeit einer Legalisierung vernünftiger Massnahmen in der

Drogenpolitik oft reichlich spät. Die Spritzenabgabe wurde erst 1992 und

die Fixerstuben erst 2000 legalisiert!

 

Hanfblatt: Was ist das Geheimnis von MDMA? Warum wird es allen Unkenrufen und

Horrormeldungen zum Trotz immer noch beliebter?

 

Hans Cousto: MDMA verstärkt das Auftreten wie auch das Empfinden von Gefühlen. Die

eigenen inneren Gefühle werden angeregt und stärker wahrgenommen. Darum

bezeichnet man MDMA auch als Entaktogen von griechisch en gleich innen und gen gleich

erzeugen und lateinisch tacto, ich fühle, ich empfinde. Des weiteren wird die

Wahrnehmung der Gefühle anderer Menschen ebenfalls angeregt. Darum

bezeichnet man MDMA auch als empathische Droge. In einer gefühlsarmen

rein leistungsorientierten Gesellschaft ist das Bedürfnis nach einer

Gefühlsdroge gross.

 

Hanfblatt: Gibt es neue psychedelische Highlights bei den JüngerInnen der Tanzkultur,

auf die man sich schon mal geistig-moralisch vorbereiten sollte?

 

Hans Cousto: Biogene Substanzen, also pflanzliche Stoffe, werden nicht nur in der

Technoszene immer beliebter. Der Garten der Natur ist reichhaltig und

vielfältig. Vor allem Zauberpilze, aber auch Ayahuasca, ein

Pflanzentrunk mit den Wirkstoffen Harmalin und DMT, werden heute von

weit mehr Leuten als psychoaktive Stimulans geschätz als dies vor ein

paar Jahren der Fall war. Zauberpilze und Ayahuasca wurden von Schamanen seit

alters her bei rituellen Zeremonien eingesetzt. Somit kann man hier auf eine lange

Tradition aufbauen, die es zu pflegen gilt und auf einen grossen

Erfahrungsschatz zurückgreifen, den es zu vermitteln gilt.

 

Hanfblatt: Wie geht man am besten an psychoaktive Substanzen heran, ein kurzer,

knackiger Tip vom Fachmann?

 

Hans Cousto: Erst informieren, dann konsumieren. Neue Substanzen nie alleine nehmen,

sondern nur in Begleitung von einem oder mehreren Menschen, zu denen man Vertrauen hat

und die bereits Erfahrungen mit dieser Substanz haben. Vor

dem Mischkonsum sollte man auf jeden Fall erst die Wirkungsweise der

einzelnen Substanzen gut kennen lernen.

 

Hanfblatt: Schon fast seit Anbeginn der Technobewegung wird behauptet,

Techno sei eigentlich schon lange tot. Wann ist Techno tot und was kommt

dann?

 

Hans Cousto: Derzeit ist Techno eine gelebte Kultur – und das geniesse ich. Ich kann

weder den „Tod“ von Techno voraussehen, noch kann ich sagen was danach

kommen wird.

 

Hanfblatt: Was haben Sex und Drogen und Tanzmusik miteinander am Hut?

Hat das was mit Leitkultur zu tun?

 

Hans Cousto: Ein Mantra ist ursprünglich eine magische Formel der Inder, die als

wirkungskräftig geltender Spruch durch ständige Wiederholung Erlösung

herbeiführt. Der englische Punk-Musiker Ian Dury setzte mit seinem Song

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ ein ausgeprägt rhythmisch betontes

Mantra in die Welt, wobei er durch die stetige Wiederholung der Worte

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ in einer eingängigen Melodie eine

magische Wirkung bewirkte, die so manchem neue Dimensionen des Glücks

ebnete. Über Jahre hinweg erinnerte ich mich immer wieder an diesen Song

und er ging mir oft minutenlang durch den Kopf. Im Wandel der

kulturellen Vorlieben prägte sich mir wie aus dem Nichts auf dem

Dancefloor ein neues Mantra ein, das im 4/4-Takt simultan zu Technomusik

über Stunden durch den Kopf kreisen kann:

Techno, Tanzen, Törnen, Ficken – Wegbereiter der Ekstase!

 

az

 

 

Lesetips:

H. Cousto: „Techno – Eine neue Kultur mit alten Traditionen. Vom Urkult

zur Kultur – Drogen und Techno“

2. erweiterte Fassung, Berlin 2000 (im Netz bei http://www.eve-rave.net)

1. Aufl., Nachtschatten Verlag, Solothurn 1995; ISBN 3-907080-10-6

H. Cousto: „Drug-Checking – Qualitative und quantitative Kontrolle von Ecstasy und anderen Substanzen“

Nachtschatten Verlag, Solothurn 1997; ISBN 3-907080-23-8

 

 

Adressen von Eve & Rave:

Berlin: Eve & Rave e.V. Berlin, Postfach 450519, D-12005 Berlin

(http://www.eve-rave.net)

Kassel: Eve & Rave e.V. Kassel c/o Beate Marx, Gottschalkstr. 31,

D-34127 Kassel

(http://www.eve-rave.org)

Köln: Eve & Rave NRW e.V. c/o Ralf Wischnewski, Postfach 250349, D-50519

Köln

Münster: Eve & Rave Münster, Schorlemerstr. 8, D-48143

(http://www.eve-rave.de)

Eve & Rave Schweiz, Kronengasse 11, Postfach 140, CH-4502 Solothurn

(http://www.eve-rave.ch)

 

Kategorien
Drogenpolitik

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Koksen ist 80er? Weit gefehlt.

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Jörg Auf dem Hövel

Same procedure as every year: Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) legt ihren Bericht für das europäische Drogenjahr vor. Die EBDD überwacht im Auftrag der EU die Entwicklung im Drogensektor in den Mitgliedstaaten. Einige Zahlen lassen aufmerken: Jeder siebte Erwachsene hat im letzten Jahr mindestens einmal zum Joint gegriffen – das sind rund 23 Millionen Menschen. Damit bleibt Cannabis die beliebteste illegale Droge Europas. Trotzdem der Konsum nach wie vor auf hohem Niveau liegt, schöpft die EBBD Hoffnung: „Nach einem stark ansteigenden Cannabiskonsum in den 90er Jahren und einem leichteren Anstieg nach 2000 weisen die jüngsten verfügbaren Daten darauf hin, dass sich der Cannabiskonsum insbesondere in den Ländern mit hohen Prävalenzraten stabilisiert oder sogar rückläufig ist“, schreibt die EBDD. Im Klartext: Der große Hype ist nach Ansicht der Experten vorbei. In einigen Mitgliedstaaten gäbe es Anzeichen für eine „sinkende Popularität der Droge unter jüngeren Menschen“.

Laut Drogenbericht haben durchschnittlich 13 % der jungen erwachsenen Europäer (das sind die zwischen 15 und 34 Jahren) in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Der höchste Konsum wird in Spanien (20 %), der Tschechischen Republik (19,3 %), Frankreich (16,7 %), Italien (16,5 %) und dem Vereinigten Königreich (16,3 %) verzeichnet. Die aktuellen Daten für Länder mit mittlerem Konsum zeigen eine Stabilisierung in Dänemark und den Niederlanden sowie sinkende Raten in Deutschland. Unter jüngeren Erwachsenen stieg der Konsum in Ungarn, der Slowakei, Norwegen und Italien.

Laut Drogenbericht konsumiert nur ein relativ geringer Anteil der Konsumenten Cannabis „regelmäßig und intensiv“. Was heißt das? Schätzungsweise ein Prozent (ja, 1 %) der europäischen Erwachsenen, also rund 3 Millionen Menschen, kiffen nach Ansicht der EBDD möglicherweise täglich oder fast täglich. Die Prävalenz ist unter männlichen Jugendlichen im Allgemeinen höher.

Damit kommt auch der EBDD zum neuen Steckenpferd aller Statistiken über Cannabis, den „behandlungswürdigen Kiffern“. Zwischen 1999 und 2005 habe sich die Zahl der Europäer, die eine Behandlung wegen Cannabisproblemen nachfragten, etwa verdreifacht. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Behandlungsnachfragen wegen Cannabisproblemen von 15 439 auf 43 677 an. Allerdings, so die Beobachtungsstelle, scheint sich dieser Aufwärtstrend jetzt zu stabilisieren. Unklar ist nach wie vor, inwieweit die zunehmende Behandlungsnachfrage auf einen Anstieg eines intensiven Konsums und des damit verbundenen Behandlungsbedarfs zurückzuführen ist. Oder aber andere Faktoren eine größere Rolle spielen, wie eine größere Zahl von Zuweisungen aus dem Justizsystem, ein besseres Berichtswesen oder die Eröffnung spezifischer Behandlungsdienste für Cannabiskonsumenten.

]]>

Interessant ist aus dieser Sicht vor allem der Beliebtheitsgrad von Cannabis unter Schülern und Schülerinnen. Die europaweit höchste Lebenszeitprävalenz („habe schon mindestens einmal im Leben gekifft“) des Cannabiskonsums unter 15- und 16-jährigen Schülern wurde in Belgien, der Tschechischen Republik, Irland, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich und Spanien verzeichnet, die allesamt Raten zwischen 30 % und 44 % meldeten. Deutschland, Italien, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei verzeichneten Raten von über 25 %. Dagegen wurden aus Griechenland, Zypern, Rumänien, Schweden, der Türkei und Norwegen Schätzungen für die Lebenszeitprävalenz von unter 10 % gemeldet.

Laut Drogenbericht wird die Bewertung der Cannabissituation in Europa durch Marktfaktoren erschwert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der EU berichteten 2007 über die Herstellung beträchtlicher Mengen von Cannabis im eigenen Land. Der Trend zur Selbstversorgung und Home-Growing scheint sich fortzusetzen.

Rechtslage

In Europa ist auch 2007 die Tendenz fortgesetzt worden, alternative Maßnahmen zu strafrechtlichen Verurteilungen zu finden, wenn es um den Besitz kleiner Mengen Cannabis für den persönlichen Gebrauch geht und keine erschwerenden Umstände vorliegen. Stattdessen setzt man auf Geldbußen, Verwarnungen, Bewährungsstrafen, Straffreiheit und Beratung. Es gibt deutliche Hinweise: die Abschaffung der Haftstrafen in Luxemburg (2001) und Belgien (2003) sowie die Verringerung der Haftstrafen in Griechenland (2003) und in Großbritannien (2004). Entspannte Leitlinien für Polizei oder Staatsanwälte wurden in Belgien (2003 und 2005), Frankreich (2005) und im Vereinigten Königreich (2004 und 2006) verabschiedet. 2006 war man in der Tschechischen Republik nahe daran, unterschiedliche Klassen nicht-medizinischer Drogen einzuführen.

Pulvermanie

Trotz großer Unterschiede zwischen den Ländern scheinen die neuen Daten zu belegen, dass Kokain zu einer Primärdroge in Europa geworden ist. Es ist nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge, und hat damit Ecstasy und den Amphetaminen den Rang abgelaufen hat. Die EBDD schätzt, dass rund 12 Millionen Europäer, das sind 4 % aller Erwachsenen, einmal in ihrem Leben Kokain ausprobiert haben. Rund zwei Millionen Europäer haben in den letzten 30 Tagen Kokain konsumiert, das ist mehr als das Doppelte der Schätzung für Ecstasy.

Über psychedelische beziehungsweise entheogene Drogen macht der EBDD-Bericht kaum Angaben. Trotzdem sie immer mal wieder durch das mediale Sommerloch getrieben werden, scheint entweder ihre Mengenrelevanz auf dem gesamteuropäischen Markt zur Zeit unbedeutend zu sein oder aber die Konsumenten fallen nicht unangenehm auf. In Zahlen: In den letzten 12 Monaten haben laut EBDD in nur sieben Ländern mehr als ein Prozent (1 %) der 15-24-Jährigen LSD genossen. Das war in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Italien, Lettland, Ungarn und Polen. Die Lebenszeiterfahrung des LSD-Konsums liegt bei Erwachsenen in Europa zwischen 0,2 % und 5,5 %, wobei zwei Drittel der Länder sogar nur Prävalenzraten zwischen 0,4 % und 1,7 % melden. Unter jungen Erwachsenen (15 bis 34 Jahre) liegt die Lebenszeitprävalenz des LSD-Konsums zwischen 0,3 % und 7,6 %, während er in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen zwischen 0 % und 4,2 % beträgt.

Kategorien
Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen Übermensch

Interview mit Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber und die Zukunft der Drogenkultur

Hanfblatt Nr. 112, März 2008 „

Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt!“

Interview mit dem Psychologen Wulf Mirko Weinreich über das Bewusstseinsmodell von Ken Wilber, dessen Anwendung in der Suchttherapie und die Zukunft der Drogenkultur.

Der US-Forscher Ken Wilber hat ein Erklärungsmodell für das Bewusstsein entwickelt, das verschiedenste philosophische und psychologische Ansätze integriert. Dadurch kommt er zu einem räumlichen Modell, dass im wesentlichen aus drei Elementen besteht: Quadranten, Ebenen und Zuständen. Quadranten sind die unterschiedlichen Bereiche, die jedes Ding ausmachen. Danach besitzt alles (ja, alles) eine Außenseite, nämlich den Körper, und eine Innenseite – das individuelle Bewusstsein. Zugleich steht dieses „Objekt/Subjekt“ in einem kollektiven Verbund, nämlich einem kulturellen und einem systemischen. Klingt kompliziert, ist aber ein einem Beispiel ganz einfach zu begreifen: Ein Mensch hat immer ein ganz persönliches Bewusstsein, zu dem nur er Zugang hat. Dieses ist mit seinem Gehirn als körperlichem Ausdruck verbunden. Zugleich ist kein Mensch allein auf der Welt, sondern er ist in das kollektive Bewusstsein seiner Kultur eingebunden. Der äußere Ausdruck seiner Gesellschaft findet sich in ihren Systemen und Institutionen wieder, wie beispielsweise der Wirtschaft und dem Verkehrswesen.

Und nun kommts: Keiner dieser Bereiche lässt sich auf einen anderen reduzieren, es gibt von allen Dingen also immer vier Aspekte, „vier edle Wahrheiten“, wie es im China-Restaurant heißen würde. Die Auswirkungen dieser Sichtweise sind phänomenal, denn nun es ist möglich, die seit Jahrhunderten propagierte Trennung zwischen Körper und Geist beizulegen: Das sind nach Wilber nur zwei Seiten der gleichen Medaille.

Quadranten nach Wilber
Quadranten und Ebenen nach Ken Wilber

Nun kann man einwenden: „Ja aber ein Stein, hat der auch ein persönliches und gar kollektives Bewusstsein? Die Anwort lautet „Ja“, wenn auch auf einer sehr niedrigen Ebene. Damit kommt man schon zur nächsten Annahme (nicht nur) Wilbers, daß die Evolution nämlich eine Richtung hat, hin zu mehr Bewusstheit. Ein Stein hat, so weit wir wissen, sehr sehr wenig Bewusstsein, eine Pflanze schon etwas mehr, weil sie auf ihre Umwelt reagieren kann, und dass ein höheres Tier recht viel Bewusstsein hat, wird wohl niemand bestreiten wollen. Aus diesem Beispiel wird aber auch ersichtlich, dass die Quadranten in Wechselwirkung zueinander stehen: je komplexer der Körper, desto komplexer ist auch das Bewusstsein. Und weil sich Atome, Moleküle, Zellen, höhere Lebewesen und Menschen zeitlich nacheinander entwickelt haben, spricht Wilber von Entwicklungsebenen, wobei jede folgende die vorherige integriert: Eine Zelle kann ohne Atome und Moleküle nicht sein.

Auch das menschliche Bewusstsein im Speziellen hat sich bis heute über mehrere deutlich unterscheidbare Ebenen entwickelt. Das Bewusstsein der Urhorden war archaisch, die Stämme hatten ein magisches, die frühen Hochkulturen ein mythisches Bewusstsein. In unserer Gesellschaft dominiert die rationale Ebene, die vom wissenschaftlichen Weltbild geprägt ist. Sie wird jedoch immer mehr von der pluralistischen Postmoderne („alles geht“) abgelöst. Wilber hofft für die Zukunft auf eine neue, integrale Bewusstseinsebene.

Jeder Mensch durchläuft die oben genannten Ebenen während seines Lebens. O.k., manche werden nie erwachsen, wie es so schön heißt, sie bleiben auf einer vorrationalen Ebene stehen. Die Mehrheit aber schwingt sich im Laufe des Lebens bis zu der Stufe auf, auf der der Großteil der Gesellschaft steht und die Wilber daher das „Durchschnittsbewusstsein“ nennt. Wer weiter will, wird durch den Magneten der sozialen Kontrolle zurück gehalten, wer hinterherhinkt, wird durch den Magneten der gesellschaftlichen Anforderungen nach oben gezogen.

Das dritte wichtige Element in Wilbers Bewusstseinsmodell sind die Bewusstseinszustände. Diese leitet er ganz einfach von den drei natürlichen Bewusstseinszuständen Wachen, Träumen und Tiefschlaf ab. An die letzen beiden können wir uns normalerweise nach dem Aufwachen nicht erinnern. Doch sind Wilber zufolge außergewöhnliche Bewusstseinszustände nichts anderes als ein wacher Zugang zu den Welten, die wir im Traum oder Tiefschlaf erleben. Auslöser für außergewöhnliche Bewusstseinszustände können extreme Lebenserfahrungen, spirituelle Techniken, aber auch psychoaktive Substanzen sein.

Zustände nach Wilber
Zustände nach Ken Wilber
Und nun kommts: Diese psychoaktiven Substanzen lassen sich recht elegant im Wilberschen Modell von Ebenen, Quadranten und Zuständen beschreiben. Nehmen wir nur einmal die Wirkung von Cannabis in den vier Quadranten: Zum einen haben wir den Konsumenten, der sein Wohlbefinden steigert und einen bestimmten, inneren, allein ihm zugänglichen Zustand erreicht. Zum anderen verändern sich dadurch seine Körper- und Hirnaktivität. Cannabis wirkt aber zugleich im kulturellen Quadranten, intersubjektiv, sozusagen. Hier wird ausdiskutiert, welche Bedeutung die Substanz für die Gesellschaft hat. Wohlgemerkt sprechen wir hier von der Innenseite, da durch Kommunikation gegenseitiges Verständnis erzeugt wird. Von außen betrachtet schafft Cannabis aber auch eine gesellschaftliche Infrastruktur (Headshops, Firmen, Polizeieinheiten, usw.): Das ist der untere rechte Quadrant.

Was nun Cannabis und andere psychoaktive Substanzen sonst noch mit dem Menschen aus der Sicht dieses Modells anstellen, darüber handelt das folgende Gespräch mit dem Psychologen und Suchttherapeuten Wulf Mirko Weinreich. In seinem Buch „Integrale Psychotherapie“ hat er das Wilbersche Modell für die psychotherapeutische Praxis umgesetzt, im März diesen Jahres wird er auf dem „Welt Psychedelik Forum“ in einem Vortrag die psychedelische Erfahrung im Kontext dieses Modells erläutern.

Frage:
Legt man das Modell Ken Wilbers zu Grunde, wirken psychoaktive Substanzen zum einen in den Quadranten, zum anderen auch im Bewusstsein des Menschen auf besondere Weise. Wie würden Sie die Wirkung von „Drogen“ zunächst einmal auf der subjektiven Ebene erklären?

Antwort:
Das hängt natürlich ganz von der Art der Substanz ab. Die lassen sich ja grob in drei Wirkungsrichtungen einteilen: die anregenden „Upper“, die beruhigenden „Downer“ und die Psychedelika. Es gibt auch noch ein paar Zwitter, wie MDMA und Cannabis.

Drogenwikrungen

Alle Substanzen, die auf dem Upper-Downer-Pfeil liegen, scheinen vor allem unser normales Tagesbewusstsein zu verändern, wobei die Upper bei den meisten Menschen deutlich Ich-stärkend wirken, die Downer eher Ich-auflösend. Um es extrem zu illustrieren: Man vergleiche dafür nur mal den typischen Kokainbenutzer mit dem typischen Heroinkonsumenten. Ganz anders dagegen wirken die Psychedelika, die es ermöglichen, das normale Tagesbewusstsein einschließlich des Ichs weitgehend zu transzendieren und in außergewöhnliche Bewusstseinszustände einzutauchen. Das Ich verstehe ich hier als individuelle psychische Struktur, also den Teil des Bewusstseins, der dafür sorgt, daß wir morgens beim Aufwachen immer noch wissen, das wir die gleiche Person sind wie gestern.

Frage:
Und wovon ist abhängig, ob die verschiedenen Substanzen einen positiven Aspekt in das Leben des Konsumenten einbringen?

Antwort:
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass es nichts Negatives in unserem Universum gibt. Positiv und negativ sind menschliche Bewertungen, die einfach davon abhängen, ob etwas intelligent oder unintelligent eingesetzt wird: „Das Messer in der Hand eines Mörders ist etwas anderes als das Messer in der Hand eines Arztes.“ Selbst Heroin als die verrufenste Droge entfaltet als Morphium bei Schmerzpatienten ihr positives Potential.

Frage:
Intelligenter Einsatz ist also abhängig von der Kompetenz, der Motivation und vom Kontext?

Antwort:
Richtig. Psychoaktive Substanzen können uns die Möglichkeiten unseres eigenen Bewusstseins zeigen, oder auch, was uns fehlt. Sie können also Wegweiser sein – für dauerhafte Veränderung braucht man andere Methoden, wenn man nicht im Kreislauf der Sucht landen will. Ich benutze bei meinen Patienten gerne ein Bild: „Stell Dir vor, Du sitzt in einer dunklen Einzelzelle. Und dann nimmst Du eine Droge, die Fensterläden gehen auf, Du siehst die Sonne, den Himmel, eine Landschaft ohne Grenzen et cetera. Die Droge lässt nach – die Fensterläden schließen sich und Du sitzt wieder im Dunkeln. Um dauerhaft nach draußen zu kommen, hilft nur eines: Du musst Deinen Hintern bewegen!“ Und „Hintern bewegen“ ist für mich nur ein anderes Wort für Selbst-Entwicklung.

Frage:
Das zielt auf den transformatorischen Aspekt, der ja nicht immer erwünscht ist. Die meisten der Konsumenten wollen ja eher eine kurzzeitige Entspannung oder Erregung ihrer Lebenslage.

Antwort:
Die meisten Menschen benutzen psychoaktive Substanzen für Dinge, für die sie eigentlich nicht da sind: zur Gefühlsregulation, zur Problembewältigung, für Kontakt und Abgrenzung und so weiter. Das geht am wahren Potential der Substanzen vorbei. Sich nur entspannen zu wollen, das ist psychologisch gesehen, wie mit dem LKW Brötchen holen fahren – ein Fahrrad hätte es auch getan – beispielsweise Sex oder eine Phantasiereise. Aus integraler Sicht ist der transformatorische Aspekt natürlich der interessantere, wobei Transformation durchaus auch Spaß machen darf.

Frage:
Aber wie benutzt man psychoaktive Substanzen korrekt?

Antwort:
Der Hauptunterschied zwischen der hedonistischen und der transformatorischen Verwendung ist das Setting und vor allem die Aufmerksamkeitsausrichtung. Im ersten Falle agiert der Konsument in der Außenwelt und nimmt sich selbst nur am Rande wahr. Im zweiten Falle liegt die Aufmerksamkeit ganz auf der Selbstbeobachtung: Was verändert sich wie in Körper und Bewusstsein während der Wirkzeit? Erst dadurch können die Substanzen ihr volles Potential entfalten – und der Anwender kann lernen, in diese Zustände ohne chemische Hilfe zu kommen. MDMA kann das Wesen der Liebe zeigen, LSD ermöglicht spirituelle Erfahrungen. Aber natürlich ist in MDMA keine Liebe und in LSD keine Transzendenz enthalten – das ist alles im Bewusstsein des Anwenders. Ob jemand nun fähig ist, eine Substanz als Wegweiser zu benutzen, oder hedonistisch oder sich sogar nur zudröhnt, hängt natürlich von seiner persönlichen Reife ab – was integral gesehen nichts anderes als seine individuelle Bewusstseinsebene ist. .
Um mal ein Beispiel zu bringen: 1985 habe ich einen Beutel Marihuana geschenkt bekommen. Das war natürlich ein Schatz in der DDR, den man nicht so einfach wegpaffen konnte. Also habe ich mir immer wieder Settings überlegt, wie ich das meiste da rausholen konnte. Z.B. mehrere Runden den gleichen Weg durch ein Stück Straße und Park gehen, jedes Mal mit einem anderen Musikstück im Walkman und dabei beobachten, wie sich die eigenen Gefühle und der visuelle Eindruck je nach Musikstück änderten. Jedes Mal habe ich mir irgendetwas einfallen lassen, was ich erforschen wollte. Die einzelnen Experimente fanden immer im Abstand von mehreren Wochen statt. Nach 10-12 Malen hatte ich das Gefühl, alles gelernt zu haben und Marihuana wurde uninteressant. Nach der Wende habe ich noch ein paar andere Substanzen kennengelernt, mit denen es mir genauso erging: Ein paar Mal ausprobieren, lernen, wie ich den Zustand willentlich ohne Substanz herbeiführen kann – und Tschüß.

]]>

Frage:
Und die Gefahr der rein entspannenden Herangehensweise liegt worin?

Antwort:
Die hedonistische Haltung verführt sehr zur eigenen Passivität und dazu, immer öfter immer mehr zu nehmen. Das verändert den Konsumenten auch – aber eher in regressiver Weise. Es ist für mich zum Beispiel erstaunlich, dass die meisten Patienten in meiner Klinik schon zig „Pappen“ eingeworfen, aber noch nie das volle Potential von LSD erlebt haben. Sie sagen, es sei schön bunt gewesen –von der wahren Natur des Bewusstseins keine Spur. Bei anderen Substanzen genau das gleiche. Und sie sind immer ganz platt, wenn ich ihnen zeige, dass sie mit bestimmten Trance-Techniken die gleichen Zustände wie mit ihren Drogen erreichen können.

Frage:
Denkt man dieses Argument bis zum Ende, könnte es zur Legitimation der momentanen Drogenpolitik dienen, da die hedonistischen Nutzer den Zusammenhalt des sozialen Systems gefährden.

Antwort:
Drogen sind meines Erachtens gerade in der hedonistischen Anwendung grundsätzlich systemstabilisierend, da die hedonistische Anwendung nicht zu kritischen Einsichten führt. Anregende Drogen wirken leistungssteigernd, beruhigende Drogen stellen die Leute ruhig – was will der Staat mehr? Das es Gesetze gegen viele psychoaktive Substanzen gibt, hat meines Erachtens weniger mit deren Gefahrenpotential, sondern eher was mit Traditionen und rivalisierenden Lobbies zu tun. Wissenschaftlich lässt sich der derzeitige Zustand jedenfalls nicht begründen.

Frage:
Müssen, um zu einer besseren Anwendung von Drogen zu kommen, zugleich immer auch Veränderungen in allen Quadranten angestoßen werden?

Antwort:
Grundsätzlich käme der notwendige Veränderungsimpuls aus dem kollektiv-inneren Quadranten, nämlich dann, wenn genügend Individuen die derzeit herrschenden Auffassungen in Frage stellen. Das Problem ist, dass diese Diskussion kaum von den reinen Hedonisten ausgeht, obwohl sie in der Überzahl sind. Eigentlich müsste beispielsweise der „Verein für Drogenpolitik“ mehrere Millionen Mitglieder haben – tatsächlich sind es nur einige hundert. Dagegen schafft es die Gruppe von Menschen, die sich für eine transformatorische Anwendung dieser Substanzen einsetzt, allein in diesem Jahr im deutschsprachigen Raum zwei Großkongresse auf die Beine zu stellen – dabei sind das weltweit vielleicht nur tausend Menschen.

Frage:
Der kollektive-innere Quadrant, also das „Wir“, unterliegt in seiner Bewertung von psychoaktiven Substanzen den Zwängen der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Gesellschaftsform. Wie kann es angesichts der Konsummechanismen zum Umdenken kommen?

Antwort:
Die Frage verleitet ja fast zu einer allgemeinen Kapitalismuskritik – das spare ich mir hier mal. Integral betrachtet gehe ich davon aus, dass die Evolution einfach weiter geht – also auch die Evolution des individuellen und kollektiven menschlichen Bewusstseins. Daraus folgt, dass sich das Durchschnittsbewusstsein unserer Gesellschaft langsam aber sicher nach oben verschiebt. Damit wird irgendwann sowohl genügend Wissen vorhanden sein, um psychoaktive Substanzen differenziert zu bewerten, als auch genügend Kraft im Sinne von gesellschaftlichem Druck, um aus diesem Wissen konkrete Gesetze entstehen zu lassen. Man braucht also nur etwas Geduld.

Frage:
Wie könnte denn eine integrale Drogenpolitik aussehen?

Antwort:
Lassen Sie mich mal ein bisschen in die Zukunft spinnen: Eine solche Drogenpolitik müsste sowohl die Quadranten als auch die Ebenen beachten. Das heißt beispielsweise, dass restriktive Gesetze für Menschen, die sich mit relativ einfachen Bewusstseinsstufen identifizieren, weiterhin angebracht sein können – in diese Richtung geht ja der Jugendschutz. Dummerweise hört die Differenzierung der Gesetze mit 18 Jahren auf. Nur weil der Körper dann ausgewachsen ist, sind noch längst nicht alle Menschen „erwachsen“. Auch nach dem 18. Lebensjahr gibt es noch Entwicklung, allerdings verlagert sie sich immer stärker vom Körper auf das Bewusstsein in Form von Persönlichkeitsreifung. Es gibt zwar eine Wahrscheinlichkeit, dass ältere Menschen auch reifer sind, das ist aber kein linearer Zusammenhang. Das heißt, dass Erwachsene gleichen Alters nicht alle auf derselben Bewusstseinsebene stehen. Ich nenne die Bewusstseinsebene gerne „inneres Alter“ – im Gegensatz zum „äußeren Alter“ des Körpers. Anders ausgedrückt: Menschen über 18 unterscheiden sich nicht nur quantitativ voneinander, indem der eine vielleicht etwas schlauer ist, als der andere, sondern auch qualitativ. Konsequent zu Ende gedacht müssten für jede Ebene eigene Gesetze gemacht werden…

Frage:
… was unter falscher Anwendung leicht zu einem totalitären Staat führen kann.

Antwort:
Als Suchttherapeut würde ich mir Liberalität lieber auf anderen Gebieten denn dem der Drogen wünschen. Psychoaktive Substanzen können zwar durchaus intelligent eingesetzt werden, sind aber nicht wirklich lebensnotwendig. Da ich als junger Mensch auch etwas zur Übertreibung neigte, bin ich ganz froh, als ehemaliger DDR-Bürger erst mit 30 richtig mit dem Thema Drogen konfrontiert worden zu sein. Doch zurück zu einer integralen Drogenpolitik:
Da sich Bewusstseinsebenen derzeit nur relativ aufwendig bestimmen lassen, wäre die einzige praktikable Möglichkeit, den Zugang zu bestimmten Substanzen auch über das 18. Lebensjahr hinaus nach dem körperlichen Alter zu regeln, also Gesetze für 30-, 40- oder 50-jährige zu erlassen. Vielleicht gibt es irgendwann ja mal die Möglichkeit, die Bewusstseinsebene relativ schnell und sicher neurologisch zu bestimmen.

Frage:
Die neurologische Bestimmung wäre ja eine reine Messung im rechten Quadranten.

Antwort:
Wenn Wilber Recht hat, dass alle Phänomene in den inneren Quadranten Korrelate in den äußeren haben, müsste sich die Bewusstseinsebene des Einzelnen auch neurologisch nachweisen lassen. Zielorientierte Bewusstseinstests sind leider sehr anfällig, wie z.B. Assessment-Center zeigen: Nur um die begehrte Stelle zu bekommen, werden die richtigen Antworten von den Anwärtern auswendig gelernt, egal, ob man für den Job geeignet ist, oder nicht. Da bietet der rechte Quadrant einfach die objektiveren Daten, weshalb ja auch das körperliche Alter oft als Kriterium genommen wird. In meiner Zukunftsspekulation wäre ein neurologischer Status nichts anderes, als ein körperliches Kriterium – nur viel differenzierter. Genau genommen wäre es eher eine Form von Leistungsdiagnostik, so wie Schulzeugnisse. Nur dass hier nicht Intelligenz, sondern das allgemeine Bewusstseinsniveau gemessen würde. Leider sind Intelligenz und Persönlichkeitsreife ja nicht identisch, sonst würden es die Schulzeugnisse auch tun. Aber wie gesagt, dass ist nur eine Idee auf der Suche nach einem einfachen, objektiven und akzeptablen Kriterium.

Frage:
Und was hätte man von so einem so differenzierten Kriterium?

Antwort:
So, wie Schulzeugnisse einem Menschen unterschiedliche Rechte verleihen – z.B. die Möglichkeit zu studieren oder eine bestimmte Stellung in der Gesellschaft einzunehmen – so könnte das gleiche für die Bewusstseinsebene in Bezug auf einen differenzierten Zugang zu psychoaktiven Substanzen gelten. Auch wenn es im Moment ungewöhnlich klingt, so gäbe es dann die Möglichkeit, dass Menschen gleichen äußeren Alters aufgrund ihres unterschiedlichen inneren Alters unterschiedliche Rechte hätten. Das könnte z.B. heißen, dass ein Mensch Alkohol trinken darf. Einem anderen – gleichaltrigen – wäre es dagegen verboten, weil man sich aufgrund seiner Bewusstseinsebene nicht sicher sein kann, ob er anderen Leuten unter Alkoholeinfluß nicht den Schädel einschlägt. Aus der Anwendung der Persönlichkeitsreife als Kriterium, ergäbe sich ein ironisches Paradoxon: Derzeit sind Drogen vorrangig ein Jugendthema. Nach dem integralen Modell käme es zu einer Umkehrung: Je älter – besser: je reifer – ein Mensch ist, desto eher würde ihm legaler Zugang zu bestimmten Substanzen gewährt.

Frage:
Ich wüsste aber immer noch gerne etwas mehr über die Auswirkung einer integralen Drogenpolitik auf die kollektiven Quadranten?

Antwort:
Eines hatte ich schon genannt: Eine differenziertere Betrachtung dieser Substanzen in der öffentlichen Meinung und daraus abgeleitete Gesetze. Außerdem müßte eine wirkliche Kultur im Umgang mit psychoaktiven Substanzen entwickelt werden, wie sie viele Naturvölker noch haben. Das heißt, die Menschen müssen lernen, mit diesen hochpotenten Mitteln sinnvoll umzugehen, nicht nur im Party-Setting. Thomas Metzingers Vorschlag für einen LSD-Führerschein geht z.B. in diese Richtung. Im kollektiv-äußeren Quadranten ginge es z.B. darum, außer dem Repressionsapparat eine Infrastruktur zu schaffen, die einen konstruktiven Gebrauch überhaupt erst ermöglicht. Das würde mit einer staatlich kontrollierter Produktion und dem Vertrieb beginnen, um Missbrauch weitestgehend auszuschließen, und vielleicht mit speziellen Forschungslaboratorien enden.
Um hier keine falschen Hoffnungen zu wecken und es ganz deutlich zu sagen: Eine integrale Drogenpolitik wäre weit von einer generellen Drogenfreigabe entfernt! Statt dessen ginge es um einen mit dem integralen Modell begründbaren differenzierten und rationalen Umgang mit diesen Substanzen. Der derzeitige Umgang in der westlichen Welt ist völlig irrational – was einer der Gründe für die Drogenkriminalität ist: Gesetze, die keiner versteht, werden ignoriert. Lediglich Holland versucht da andere Wege zu gehen.
Viele der jungen Leute, die sich heute die Freiheit nehmen, Drogen nach eigenem Gutdünken zu konsumieren, wären auch nach dem integralen Modell von bestimmten Substanzen ausgeschlossen. Verschiedene Drogen, deren Gefahrenpotential nachgewiesenermaßen geringer ist als die des Alkohols und die jetzt noch verboten sind, wären dann aber sicher auch in jungen Jahren schon erlaubt. Das 21. Lebensjahr sollte aber nach meiner Auffassung die absolut untere Grenze sein – Bewusstseinsebene hin oder her. Vorher haben Körper und Geist noch mit der Pubertät zu tun, so dass der Drogenkonsum in 99% aller Fälle nur dazu dient, die damit verbundenen Unannehmlichkeiten zu kompensieren. Vielleicht würde das Konsumalter für Alkohol sogar auf 25 oder 30 Jahre heraufgesetzt. Weitere Substanzen wiederum, deren Sucht und Gefahrenpotential absolut nicht beherrschbar ist, würden sicher für den Normalbürger generell verboten bleiben und wären nur bestimmten, z.B. medizinischen, Anwendungsbereichen vorbehalten. Wenn Evolution nach Wilber eine ständige Zunahme an Differenzierung und Komplexität ist, kann eine zukünftige Drogenpolitik auch nur eine differenzierte und komplexe sein. Im Moment ist das ja oft sehr grob: Die Befürworter sagen „Ja“ und die Gegner „Nein“ – und das wars.

Frage:
Wie sieht es aus mit der integralen Drogenpolitik im rechten oberen Quadranten, die sich mit den objektiven, beobachtbaren Tatsachen beschäftigt? Was können die herkömmlichen Naturwissenschaften leisten?

Antwort:
In diesem Bereich sind natürlich vor allem die Biochemie, die Psychologie, die Medizin und die Neurowissenschaften gefragt, um die Auswirkungen psychoaktiver Substanzen sowohl auf den Körper als auch auf das Bewusstsein des Individuums zu untersuchen. Verrückterweise werden diese Wissenschaften am stärksten von der allgemeinen Drogenprohibition getroffen: Während der Jugendliche auf dem Parkplatz vor seiner Disko das – illegale – Drogenparadies vorfindet, quält sich der interessierte Wissenschaftler von Sondergenehmigung zu Sondergenehmigung. In Wissenschaftskreisen ist allgemein bekannt, dass das Gefahren- und Suchtpotential der Substanzen sehr unterschiedlich ist. Das zeigen auch meine eigenen Ratings bei Konsumenten. Drogenklassifikation

Zu ähnlichen Ergebnissen ist 2007 eine englische Befragung gekommen, die an Ärzten, Polizei- und Justizbeamten durchgeführt wurde, die im Drogenbereich arbeiten. Aus diesen und auch vielen medizinischen Erkenntnissen müsste die Politik nur mal die entsprechenden Schlüsse ziehen.
Was Sie in der oberen Tabelle sehen, sind bloß die negativen Aspekte. Viel spannender wären natürlich die positiven, nämlich das einmalige Potential der einzelnen Substanzen. Der weitaus größte Teil der Untersuchungen, die es dazu gibt, stammt leider aus den 60er Jahren, also aus der Zeit, bevor der „war on drugs“ ausgerufen wurde. Erst in den letzten Jahren gibt es wieder eine nennenswerte Forschung. Diese ist vor allem neurologisch orientiert, versucht also mit bildgebenden Verfahren die Wirkung auf das Gehirn zu untersuchen. Die wirklich spannende Frage ist natürlich, wie eine Substanz zum Wohl der Menschen genutzt werden kann – und da reicht es nicht, die chemischen und biologischen Veränderungen im Gehirn zu untersuchen, sondern auch die Auswirkungen auf Denken, Fühlen und Verhalten.

Frage:
Sie sind ja nun Psychologe und Suchttherapeut, beschäftigen sich also überwiegend mit dem individuell-inneren Quadranten. Wo sehen Sie da Anwendungsmöglichkeiten?

Antwort:
Da ich selbst über 20 Jahre Meditationserfahrung habe, interessieren mich persönlich besonders außergewöhnliche Bewusstseinszustände – also das, was man u.a. auch mit bewusstseinserweiternden Drogen erreichen kann. Unsere Gesellschaft leidet unter anderem ja an einer Sinnkrise. Weder der rationale Materialismus – „Money makes, that the world goes round“ – noch das mythische Christentum sind in der Lage, dieses Loch in den Seelen zu füllen. Erforschung des Innenraumes über Meditation wäre eine Möglichkeit – doch hat nicht jeder die Zeit dazu, sich 20 Jahre lang hinzusetzen. Ein entsprechendes Setting vorausgesetzt, bräuchte es eigentlich nur 45 Minuten, damit einem Menschen deutlich wird, dass Atheismus ein Irrtum ist und auch der christliche Vater-Gott ein bißchen an der Wahrheit vorbei geht – nämlich so lange, wie die meisten oral eingenommenen Halluzinogene brauchen, um zu wirken. Wer jemals die entsprechende Erfahrung gemacht hat, weiß, dass es sich dabei nicht um „Halluzinationen“ handelt, wie uns der Name Halluzinogene weismachen möchte, sondern dass es so ist, als ob einem eine Augenbinde abgenommen wird – und man die Welt zum ersten Mal sieht, wie sie wirklich ist.

Frage:
Wenn man das so hört, wundere ich mich, dass halluzinogene Drogen keinen größeren Einfluß auf das religiöse Leben haben?

Antwort:
Ich finde ihn ziemlich stark. Das ganze vielgeschmähte New Age ist letztlich nichts anderes als ein Nachhall der ersten psychedelischen Revolution in den 60ern: Ein Teil der Jugend machte unter Drogen spirituelle Erfahrungen pantheistischer und panentheistischer Natur. Da unsere Gesellschaft dafür keine Erklärungsmodelle hatte, wandten sie sich in den Osten. Sie suchten nach Erklärungen und nach Wegen, um diese Zustände permanent zur Verfügung zu haben. Das beste Beispiel sind die Beatles, die zu Maharishi Mahesh Yogi gingen, nachdem sie LSD genommen hatten. Das hat letztendlich den Buddhismus-, Zen- und Hinduismus-Boom ausgelöst. Auch die Beschäftigung mit dem Schamanismus gehört dazu. Im Westen bieten die Unitarier bzw. Freireligiösen zwar Erklärungsmodelle im Geiste der Aufklärung, aber keine Erfahrungswege, wie man solche Zustände dauerhaft verwirklichen kann. Letztendlich geht es aber darum, beides zusammenzubringen: Die Wege, um unmittelbare spirituelle Erfahrungen zu machen, sowie Erklärungsmodelle, die möglichst moderne und postmoderne Erkenntnisse mit einschließen sollten, die also einer rationalen oder pluralistischen Bewusstseinsebene entsprechen. Das könnte ein zeitgemäßer Ausweg aus der heutigen Sinnkrise sein. Dank des deutschen Papstes geht es im Moment ja eher wieder zurück in Richtung Mittelalter.

Frage:
Gibt es direkte therapeutische Anwendungen?

Antwort:
Die meisten Therapeuten beschäftigen sich hauptsächlich mit dem Tagesbewusstsein, also dem manifesten ICH. Aus integraler Sicht könnte man es so beschreiben, dass sie psychisch Kranken helfen, eine Bewusstseinsstufe zu erreichen, die die umgebende Gesellschaft für das äußere Alter des Betroffenen für angemessen hält. Dabei wird sehr viel mit Verhaltenstraining, Aufarbeitung der Vergangenheit, Einsicht, etc. gearbeitet, wenig jedoch mit intensiven korrigierenden Erfahrungen. Und gerade da könnten solche Substanzen hilfreich sein, als Wegweiser oder als Katalysator für psychische Prozesse. Z.B. erhielten in den 60ern Alkoholabhängige in Kanada eine einmalige Dosis LSD in einem klinisch-therapeutischen Setting – mit einer bis heute anhaltenden umwerfenden Effektivität. Ich persönlich halte zwar LSD aufgrund von Wirkungsdauer und Intensität gerade bei wenig strukturierten Patienten für ein extrem heftiges Medikament. In letzter Zeit wird der Einsatz von MDMA und verwandten Stoffen bei verschiedenen psychischen und psychosomatischen Krankheiten untersucht, z.B. bei Posttraumatischen Belastungsstörungen. Diese Substanz scheint das größte therapeutische Potential zu haben, bei einem relativ geringen Gefahren- und Suchtpotential. In meinen Gruppen hatte ich z.B. noch nie einen Ecstasy-Abhängigen. Die meisten, die diese Droge hedonistisch einnehmen, kennen sie ja nur im Party-Setting, meist überdosiert, damit sie länger tanzen können und mehr Alkohol vertragen. 95% meiner Patienten haben noch nie den Zustand erlebt, den man vielleicht am besten als „Herzöffnung“ bezeichnen kann, obwohl sie schon hunderte Pillen „geklinkt“ haben. Wenn ich „95%“ sage, ist mir schon bewusst, dass das nicht repräsentativ ist, da Menschen, die eine Therapie nötig haben, diesbezüglich eine Negativ-Auswahl darstellen. Dieser Zustand der „Herzöffnung“ zeichnet sich durch absolute Angstfreiheit, Urvertrauen und Kontaktfähigkeit aus. Dadurch ist es recht leicht möglich, sich mit Traumata auseinanderzusetzen, deren Konfrontation man normalerweise vermeiden würde. Das ist das, was man als Katalysatorfunktion bezeichnen könnte.

Frage:
Kritiker wenden ein, dass es absurd sei, in der Suchttherapie Drogen einzusetzen.

Antwort:
Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine einmalige Erfahrung im therapeutischen Setting Süchtigen klar machen könnte, was sie eigentlich in den Drogen suchen, nämlich Nähe, Kontakt, Sicherheit. Viele von ihnen sind ja genau das Gegenteil: Sie sind voller Spannungen, misstrauisch und absolut nicht kontaktfähig. Gerade wenn jemand durch traumatische Erfahrungen oder eine lange Haftzeit emotional total blockiert ist, könnte die Erfahrung dessen, was möglich ist, eine Neuorientierung anstoßen.
Eine andere Möglichkeit ergäbe sich bei der Therapie von Menschen, die eine drogeninduzierte Psychose haben, die nach einem „Horrortrip“ „auf LSD hängengeblieben“ sind, wie man so schön sagt. In der normalen Psychiatrie versucht man das manifeste ICH zu stabilisieren. Als Gegengewicht zur Unordnung, die der Horrortrip im subtilen Selbst dieser Menschen verursacht hat, mag das ganz hilfreich sein – die Unordnung selbst wird dadurch aber nicht beseitigt. Eine wirkliche Heilung von Horrortrips kann meines Erachtens nur erfolgen, wenn man mit therapeutischer Hilfe noch einmal an diesen Platz geht, das heißt, indem man den ursächlichen Bewusstseinszustand jenseits des Tagesbewusstseins noch einmal induziert. Da die meisten dieser Menschen das nicht willentlich hinbekommen, wäre eine Möglichkeit die therapeutisch gesteuerte Anwendung eines Halluzinogens um dann den Schrecken bewusst zu integrieren. Allerdings wären solche Anwendungen sicher Einzelentscheidungen, da nicht alle Patienten fähig sind, aus derartigen Sitzungen die entsprechenden Einsichten zu ziehen. Und es kann ja nicht darum gehen, bestehende Psychosen oder Suchtstrukturen zu verfestigen. Das vorhin erwähnte Beispiel mit den Alkoholikern oder die erfolgreiche Therapie von Heroin-Abhängigen mit Ibogain zeigen, dass die therapeutische Anwendung psychoaktiver Substanzen nicht zu mehr, sondern zu weniger Sucht führt.

Frage:
Das therapeutische-transformatorische Setting, das Sie immer wieder betonen, was ist das besondere daran?

Antwort:
Die Beschreibungen ähneln sich da ziemlich: Statt „Risiko-Mischkonsum“ in großen Mengen werden die Substanzen dort in sehr geringer Dosis und pur verabreicht, dann niemals häufig, sondern nur einmal oder wenige Male in großen Abständen und nach sorgfältiger vorheriger Vorbereitung, statt Lärm ist dort Stille, statt Bewegung ist dort Ruhe, statt um den Kontakt mit anderen Menschen geht es um den Kontakt mit sich selbst. Dazu kommt dann noch eine entsprechende Lenkung durch Fragen, die der Therapeut stellt. Das ist natürlich das genaue Gegenteil vom Party-Setting.

Frage:
Wenn der therapeutische Nutzen so offensichtlich ist, warum wird das aus ihrer Sicht nicht schon längst praktiziert?

Antwort:
Da gibt es mehrere Gründe. Die politischen hatten wir schon. Dann gibt es natürlich wirtschaftliche: MDMA wurde schon 1913 entdeckt. Doch damals gab es noch keine richtige Psychotherapie. Heute, wo man wüsste, was man damit anfangen kann, sind die Patente abgelaufen. Das heißt, dass MDMA für die Pharmakonzerne völlig uninteressant ist, da sich damit kein Geld mehr verdienen läßt. Für andere Substanzen wie LSD und Psilocybin gilt ungefähr das gleiche. Außerdem müssen Vorteile und Nachteile natürlich erst einmal genau erforscht werden – wobei die Risiken der meisten klassischen psychoaktiven Substanzen natürlich bekannter sind als die Nebenwirkungen vieler Medikamente, die die Pharmakonzerne aktuell auf den Markt bringen. Hinzu kommt der alte Streit zwischen Medizin und Psychotherapie: Nur Ärzte dürfen Medikamente geben, auch psychoaktive. Aufgrund ihrer Ausbildung und ihres Auftrages sind die meisten Mediziner allerdings nicht an Medikamenten interessiert, die zu außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen führen – im Gegenteil: Der Mensch soll doch wieder „normal“ werden. Morphium ist okay, das nimmt die Schmerzen und der Patient ist wieder normal. Und Polamidon nimmt den Heroinabhängigen den Suchtdruck, ohne einen Rausch zu erzeugen. Aber MDMA, Ibogain oder LSD? Dabei haben diese 3 Substanzen wenig oder kein eigenes Suchtpotential. Wenn ich all die abhängig machenden Medikamente sehe, habe ich manchmal das Gefühl, dass die meisten Ärzte mehr Angst vor dem Rausch als vor der Sucht haben.

Weinreich

Frage:
Was haben Sie für ein Klientel? Können Sie das genauer beschreiben?

Antwort:
Altersmäßig natürlich eher junge Leute, die meisten aus dem Prekariat. Und wenn ich es nach den Hauptdrogen trennen sollte, könnte ich sagen, ca. 30% Heroin, 30% Kokain, 30% Methamphetamin und 10% THC. Von diesen 100% sind 98% aber auch Raucher und 80% haben ein Alkoholproblem. Oft steht letzteres sogar im Vordergrund.

Frage:
Und das Wilbersche Modell findet Verwendung bei Ihrer Arbeit?

Antwort:
Klar! Daran wird doch eines deutlich: dass Sucht in erster Linie keine Krankheit, sondern eine Entwicklungsstörung ist. Das zeigt sich an den Symptomen in allen Quadranten, z.B. emotionale und kognitive Unreife im individuell-inneren und süchtiges Verhalten und die körperlichen Auswirkungen im individuell-äußeren. An den Grenzen zu den kollektiven Quadranten kommen dann Störungen der Beziehungsfähigkeit und eine radikale Weltsicht im inneren und dissoziales Verhalten wie Beschaffungskriminalität etc. im äußeren hinzu. Normalerweise bekommen wir einfach nicht mit, das das alles zusammengehört, weil wir unsere Aufmerksamkeit aus dem Kontext heraus immer nur auf einen Quadranten richten. Und dann sehen wir entweder den Kriminellen, oder den Süchtigen, oder den Radikalen oder den emotional instabilen Menschen. Das sind einfach alles Symptome, die für eine bestimmte Entwicklungsebene typisch sind, mit der sich die meisten der oben beschriebenen Klienten identifizieren. In der klassischen Psychologie läuft sie unter dem Terminus „Persönlichkeitsstörung“. Der Blick durch die Quadrantenbrille hilft mir, das ganze Paket von Symptomen als ein Ganzes zu sehen und mich nicht an einzelnen festzubeißen. Das heißt, ich versuche nicht nur, den Patienten von seiner Sucht wegzukriegen, sondern ihm auch zu helfen, einen Entwicklungsschritt als ganzer Mensch, also in allen Quadranten zu machen.

Frage:
Ist das Modell für Ihre Patienten denn nicht etwas zu kompliziert?

Antwort:
Ich arbeite da schon mit Vereinfachungen, doch versuche ich ihnen grundsätzlich die Bewusstseinsebenen klar zu machen, vor allem, was es für Vorteile hat, sich da weiterzuentwickeln. Manchmal geht es auch ganz handfest zu. Z.B. lasse ich mich nicht auf rechtsradikale Diskussionen ein, da es dabei meines Erachtens nicht um eine wirkliche politische Meinung geht. Ich mache ihnen einfach deutlich, dass Rechtsradikalität eine Kinderkrankheit des Geistes ist, wie Mumps oder Masern für den Körper. Und dagegen hilft nur eines: Schnell erwachsen werden.

Frage:
Wo sehen Sie denn als nächstes Veränderungen im öffentlichen Umgang mit psychoaktiven Substanzen?

Antwort:
Ich bin mir sicher, dass die psychotherapeutische Anwendung über kurz oder lang kommen wird. Die Forschung in anderen Ländern ist sehr verheißungsvoll. Und spätestens wenn die Krankenkassen mitbekommen, dass sie damit viel Geld und Therapiezeit sparen können, werden sie Druck auf die Pharmakonzerne und die Politiker ausüben, damit die ihre Blockadehaltung aufgeben. Das könnte noch vor einer Liberalisierung des Betäubungsmittelgesetzes kommen.


Personeninfo:
Wulf Mirko Weinreich

geb. 1959, Dipl.-Psych., außerdem Studium der Ethnologie, Sinologie und Religionswissenschaft, schon viele Jahre mit Unterstützung vieler Lehrer und Methoden auf Entdeckungsreise im eigenen Innenraum, seit 1985 therapeutische Arbeit mit Methoden der Humanistischen, Systemischen und Transpersonalen Psychologie im Einzel- und Gruppensetting, mehrere Jahre ehrenamtliche Mitarbeit in einer Drogenberatungsstelle, z. Zt. Gruppentherapeut in einer Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen, Autor des Buches „Integrale Psychotherapie“
Website: http://www.integrale-psychotherapie.de

Kategorien
Cannabis Drogenpolitik

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

This will get you medicated!

In den USA hat sich Cannabis als Medizin längst durchgesetzt. Das verändert auch die Kifferkultur.

Über die vergangenen Jahre hat sich immer deutlicher herausgestellt: Cannabis hilft bei schweren Krankheiten. In den USA ist daher in 12 Bundesstaaten Patienten die Anwendung von Marihuana oder Haschisch erlaubt, es soll an die 300.000 autorisierte Cannabis-Nutzer geben. Die Regierung in Washington kämpft gegen die Verschreibungswelle.

Es ist eine groteske Situation, die sich da in den USA entwickelt hat. Die Bundesregierung unter George W. Bush wehrt sich strikt gegen die Zulassung von Hanfprodukten als Medizin. Mehr noch, sie bekämpft die Anstrengungen einzelner Bundesstaaten Cannabis für Schwerkranke zugänglich zu halten. Dabei haben mittlerweile 12 der 50 Bundesstaaten Gesetze erlassen, welche die Abgabe von Cannabis an Patienten regeln. Mittlerweile soll es in den USA 250.000 bis 300.000 autorisierte Medizinalhanf-Nutzer geben.

So ist auf regionaler Ebene legal, was auf Bundesebene illegal ist. In Staaten wie Montana und Colorado kam es im vergangenen Jahr zu seltsamen Szenen: Der örtliche Polizei hatte sich in einigen Städten damit arrangiert, dass Ärzte Marihuana verschreiben, Patienten, die mit einem Beutel angetroffen wurden, blieben unbehelligt. Am nächsten Tag aber verhafteten Beamte der Strafverfolgungsbehörde DEA die Personen und räumten die Läden aus, in denen die Patienten ihr Cannabis erhalten hatten.

Der Vertrieb des heilkräftigen Cannabis‘ ist ohnehin die Crux: Zwar dürfen Ärzte Hanf verschreiben, nur gibt es aufgrund der Bundesgesetze keine offiziell legalen Möglichkeiten für die Kranken, an ihr Medikament zu kommen. So entstanden Cannabis-Clubs, die unterschiedlichen funktionieren. In einigen erhält man nur Cannabis, wenn man ein ordentliches Clubmitglied ist. Bei anderen reicht es aus, wenn man am Eingang seine Rezept vom Arzt vorzeigt. In beiden Fällen öffnet sich dahinter meist eine breite Auswahl an Therapeutika. Verschiedenen Sorten, meist grob nach Sativa und Indica und ihres Wirkungsgrades getrennt, Öle, Butter und Kekse sind in unterschiedlichen Mengeneinheiten zu kaufen. Ein typischer Beutel mit einer 1/8 Ounce (3,5 Gramm) kostet 50 Dollar. In einigen Clubs zahlen arme Kranke nichts für ihr Gras, die anderen Klienten tragen dieses Modell. Sogar Haschisch gibt es auf Rezept.

Die Hochburg dieser Entwicklung ist Kalifornien. Alleine hier sind zur Zeit über 10.000 Patienten registriert. Die Genehmigungen für Rauschhanf gelten ein Jahr lang. Die Clubs agieren halblegal, aber nicht im Untergrund. Ihre Namen klingen wie aus einem Hippie-Streifen: Das „Purple Heart Center“ in Oakland, das „Love Shack“ und die „Bernal Heights Arzneiausgabe“ in San Francisco.

Der dortige „Medical Cannabis Act“ wurde 2005 erlassen, damit wurde ein Entwicklung angestoßen, von der selbst die Cannabis-Befürworter nicht immer genau wissen, ob sie gut verläuft: Innerhalb kurzer Zeit entstanden fast 100 Clubs, manche von Aktivisten der ersten Stunde, manche aus reinen Profitgründen gegründet. Nicht immer war klar, wer unter welchen Umständen Cannabis erhielt. Der Druck aus Washington wurde größer. Seit Sommer 2007 müssen sich die Clubs nun einer strengen Sicherheitsüberprüfung stellen, die Bürokratiemühle kam in Gang. Gesundheitsamt, Arbeitsschutz, Feuerwehr: jeder brachte seine Richtlinien vor. 6.600 Dollar Anmeldegebühr sind seither pro Club fällig.

Clubs wie die „HopeNet Co-Op“ und der „Good Fellows Smoke Shop“ haben die Zulassung erhalten, auch, weil sie eng mit den Behörden zusammenarbeiten. Matt Kumin, ein Anwalt aus San Francisco, berät Cannabis-Clubs und ist überzeugt: „Nur die Kooperationen werden überleben, die Allianzen mit Gesundheits- und Strafverfolgungsbehörden eingehen und auch Forscher ihre Projekt überprüfen lassen.“

Martin Olive vom „Vapor Room“ stimmt dem zu, er und sein Kompagnon arbeiten mit „Americans for Safe Access“ zusammen, einer Vereinigung von Bürgerrechtlern, Wissenschaftler und Patienten mit über 40.000 Mitgliedern (sic!), die sich für den ordentlichen Zugang zu Cannabis einsetzen. Olive berichtet von 75 Todkranken, die sein Club kostenlos mit Cannabis versorgt. Im „Vapor Room“ wird ein großer Teil des Medizinalhanfs gleich vor Ort konsumiert, „das schließt den Wiederverkauf aus“.

Abseits der Cannabis-Clubs haben sich Lieferservices und Head-Shops mit Hinterzimmer etabliert, die Autoren Patrick McCartney and Martin A. Lee („Acid Dreams“) sprechen gar von 400 Stück, 200 davon alleine in der Region in und um Los Angeles. Die Zeiten der „Social Clubs“ sind vorbei, neuerdings wird von „Dispensaries“ gesprochen, ein medizinischer Fachausdruck für Arzneiabgabestellen. Gras aus Mittel- und Südamerika wird in diesen modernen Apotheken kaum noch verkauft, die örtlichen Grower in Orange County und dem Rest der USA liefern seit Jahren gute Qualität. Man spricht in Anlehnung an goldene Zeiten bereits vom „Großen kalifornischen Grasrausch“.

Es mehren sich die Zeichen, dass die gute Idee der Abgabe eines naturnahen Medikaments an schwerkranke Menschen aus dem Ruder gelaufen ist. Darunter leiden vor allem die tatsächlich Kranken: Die Genehmigungen führen immer wieder zu Problemen, sei es, weil ein Patient von einem Bundesrichter angeklagt wird oder er mehr als die genehmigten Pflanzen in seinem Garten groß gezogen hat. Die Zahl der Anklagen gegen Patienten ist enorm angestiegen, immer wieder schließt die DEA auch sauber arbeitende Clubs und vernichtet das Cannabis vor Ort. Ärzte werden verdächtigt, ohne vernünftige Diagnose Rezepte auszustellen. Journalisten proben die Praxis und erhalten tatsächlich ohne Probleme eine Verschreibung. Es ist ein absurdes Durcheinander entstanden.

Der Wunsch nach Normalisierung des Cannabiskonsum für jedermann droht die zarte Wurzel des Medizinalhanfs anzufressen.
Mit großen Problemen sind diejenigen konfrontiert, die Cannabis für medizinische Zwecke anbauen. 1996 rief der Bürgermeister des kalifornischen Santa Cruz den 15. November zum Tag des “medizinischen Cannabis” aus und ehrte Valerie Corral in seiner Rede. Damals gediehen unter ihrer Obhut Hanfpflanzen für 125 schwerkranke Menschen, denen sie die harzhaltigen Blütenstände lieferte. Zwei Jahre später wurde ihre hoch gelobte Plantage von der DEA hoch genommen.

Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten (Stand: Januar 2008)
Blau = Bundesstaaten mit Gesetzen zu medizinischem Cannabis
Orange = Bundesstaaten mit Gesetzen zur Cannabis-Entkriminalisierung
Pink = Bundesstaaten mit Gesetzen auf beiden Gebieten
(Stand: Januar 2008)

In anderen Bundesstaaten ist die Medizinalhanf-Bewegung ebenfalls weit fortgeschritten. Zur Zeit haben neben Kalifornien noch elf weitere Bundesstaaten Cannabis als Medizin (meist über Volksentscheide) legalisiert: Alaska, Colorado, Hawaii, Maine, Maryland, Montana, Nevada, New Mexico, Oregon, Rhode Island, Vermont und Washington.

Meist ist nur relativ genau geregelt, wer wievielt Cannabis sein Eigen nennen darf. Beispiel Rhode Island. Hier darf „ein Patient zwölf Pflanzen besitzen“ und 2,5 Ounces (rund 70 Gramm) Gras besitzen. Beispiel Oregon: Dort hat die Konkretisierung des Cannabis-Gesetzes im Jahr 2006 fest geschrieben: Jeder Patient darf bis zu sechs reife Pflanzen und 18 Setzlinge beherbergen, zudem 24 Ounces (680 Gramm) Cannabiskraut für den persönlichen Gebrauch horten. Auch in Oregon ist der Erhalt von Cannabis kein Einzelfall mehr: Das medizinische Programm umfasst rund 15.000 Patienten.
Auch die Indikationen sind von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Meist umfassten sie AIDS, Krebs und Multiple Sklerose, nicht immer auch Glaukom, Epilepsie und chronische Schmerzen.

Angesichts solcher Zahlen ist es kein Wunder, dass die Gegner der Verschreibung vermuten, dass jeder mit Lust auf Rausch sich zu einem Arzt bewegt. Und tatsächlich: Besonders verschreibungswillige Mediziner werden auf Listen im Internet geführt. Auf der anderen Seite stehen eine große Anzahl von Menschen mit ernsthaften Leiden, wie Multipler Sklerose oder AIDS, die enorm von der Wirkung des natürlichen Cannabis profitieren. Die Entkriminalisierung-Bewegung, vor allem aber die Kiffer, die Cannabis nur aus verständlichen Kreativitäts- und Entspannungsgründen konsumieren, werden sich überlegen müssen, ob ihr Aufsatteln auf das Pferd mit Namen „Cannabis als Medizin“ dieses nicht allzu schnell zum erlahmen bringen wird. Damit wäre dann niemanden mehr geholfen.

Kategorien
Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Drogenklassifikationsversuche

Hanfblatt Nr 107, Mai 2007

Die Einteilung des Unverstandenen

Sinn und Unsinn der Klassifikation von Drogen

Ein Bericht eines britischen Wissenschaftlerteams sorgt für Aufsehen. Die Forscher ordnen die Gefährlichkeit von Drogen neu ein und fordern eine gänzlich reformierte Einteilung der Drogenklassen. Hilft das weiter?

Es ist bei vielen Drogen unklar, weshalb sie als besonders gefährlich gelten. Manche sind eher durch Zufall in die Kontrolllisten geraten, wie beispielsweise Cannabis, manche sind legal, obwohl sie schädlich sein können, wie beispielsweise Alkohol. Im Rahmen ihrer Studie fragten David Nutt von der Universität Bristol und seine Kollegen rund 80 britische Suchtexperten nach ihrer Einschätzung des Gefahrenpotentials von legalen und illegalen Drogen und Medikamenten, die sie selbst auswählen konnten. Im angesehenen medizinischen Fachblatt Lancet (2007, Nr. 369, S.1047-1053) publizierten sie eine Rangliste, die sie als Grundlage neuer Betäubungsmittelgesetze sehen wollen.

Dazu benannten sie drei Kriterien, welche das Gefährdungspotenzial durch Drogen umschreiben. Dies sind: körperliche Schädlichkeit, die Verursachung einer Abhängigkeit und drittens die soziale Wirkunge, die der Drogenkonsum auf Familie, Bekanntenkreis und Gesellschaft hat.

Herausgekommen ist ein Verzeichnis (s. Abbildung), das in deutlichen Gegensatz zu den weltweiten Anti-Drogen Gesetzen steht. Noch gewohnt sind die Spitzenplätze von Heroin und Kokain. Dann aber folgen schon die Barbiturate, auf Rang 5 steht bereits Alkohol, es folgen Ketamin und Benzodiazapine, fast gleich auf mit den im allgemeinen als gefährlicher eingestuften Amphetaminen. Cannabis steht auf Platz 11. Die Liste soll der britischen Regierung vorgelegt werden und sorgt schon jetzt für Gesprächsstoff. Die Autoren hoffen auf eine Neueinordnung der auf der Insel bekannten Drogenklassen.

In Großbritannien werden psychoaktive Substanzen in drei Klassen eingeteilt, die den Grad ihrer Gefährlichkeit entsprechen sollen. In der Klasse A stehen Drogen wie Heroin, sie gelten als die gefährlichsten Substanzen, in der Klasse C stehen Drogen wie Cannabis und Benzodiazepine (Beruhigungsmittel), sie gelten als die ungefährlichsten Drogen. Dazwischen tummeln sich Substanzen wie Speed, das in Großbritannien eine Klasse B Droge ist. Auch das deutsche Betäubungsmittelgesetz kennt die dreiteilige Einordnung, hier ist von „nicht verkehrsfähigen“, „verkehrsfähigen, aber nicht verschreibbaren“ und „verkehrsfähigen und verschreibungsfähigen“ Betäubungsmitteln die Rede. Die USA arbeiten mit der Klassifikation von Schedule I bis Schedule V.

Die Einteilung in „harte“ und „weiche“ Drogen hat nicht weit geführt. Sie ist heute unter Experten und Usern umstritten, denn weder ist Alkohol eine „weiche“, noch LSD zwangsläufig eine „harte Droge“.

Welchen Sinn könnte nun eine neue Klassifikation ergeben, wie sie Nutt und seine Kollegen vorschlagen?
Zwei Extreme bestimmen die Diskussion um die Schädlichkeit von Drogen. Da ist zum einen die Ansicht, es existiere gar nicht so etwas wie eine schädliche Drogen an sich, es seien Konsummuster und Dosierung, die aus einem Medikament eine Droge machen. Eine Einteilung von psychoaktiven Substanzen nach Gefahrenklassen ist aus dieser Sicht unsinnig, weil es immer das (sozial eingebettete) Individuum ist, dass die Wirkung einer Droge bestimmt. Als Beispiel wird der Wein angeführt, der eine muntere Abendbegleitung mit sogar gesundheitlich fördernder Wirkung sein kann – oder aber eben das Gift ewiger Trunkenheit.

Wahrscheinlich spricht tatsächlich wenig dagegen, sich einmal im Jahr in einer Kurklinik in den Schweizer Alpen reines Heroin spritzen zu lassen. Aber: Praktisch dürfte eine solche Politik nur zu verantworten sein, wenn eine Jahrzehnte vorher angelaufene Aufklärung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen die Signalwirkung in vernünftige Bahnen lenkt. Bislang verwurstet das Zusammenspiel menschlicher Triebe und sozialer Konsumkultur noch jeden Wunsch in eine Gier. Es kann vermutet werden, dass erst diese Prozesse geändert werden müssen, aber das würde eine völlig umgekrempelte Gesellschaft erfordern.
Am anderen Ende der Extreme steht die Ansicht, dass die medizinische Erforschung der Wirkung und Auswirkung von Drogen immer weiter Fortschritte macht. Die Neurowissenschaften zeigen, dass Substanzen unterschiedliche Wirkstärken im menschlichen Körper haben, die durchaus übergreifende Geltung beanspruchen können (s. das Interview mit Andreas Heinz auf dieser Webseite). Zugleich zeigen sie aber auch die Mächtigkeit der sozialen Einflüsse auf physiologischer Ebene.

Es ist die „objektive Wissenschaft“, die aus Zahlen Fakten schafft und die individuelle und intersubjektive Perspektive dabei vernachlässigt. So hat sich die Wissenschaft immer weiter vom Menschen entfernt, die Folgen sind Hinwendung zu Alternativ-Medizin oder gar Esoterik. Man beginnt erst langsam wieder einzusehen, dass schon bei der einfachen Aspirinvergabe eine Passung von Substanz und Patient vorhanden sein muss.

Es war und ist diese reduktionistische Wissenschaft, die in jedem Drogenkonsumenten primär einen armen Wicht und potentiellen Süchtigen sieht. Es war zunächst nur die Gegenkultur der 60er Jahre und später das Aufkommen der massenhaften Verbreitung von „Tripberichten“ im Internet, die dieser starren Pathologisierung Einhalt geboten haben.

Eine neue und „realistischere“ Klassifizierung von Drogen, wie sie Nutt und andere nun vorschlagen, ist nur dann ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch diese Liste wieder nur als die halbe Wahrheit angesehen wird, weil auch sie mit den Konstitutionen verschiedener Menschen schwer abzugleichen ist. Sicher, der Mensch braucht Kategorie um die Dinge für sich einzuordnen. Aber er braucht auch den Freiraum die Gültigkeit dieser Kategorien für sich und seine geistigen Verwandten zu erforschen. Anders herum: Es gibt Menschen, für die dürfte selbst der Konsum des von Nutts Experten als relativ ungefährlich eingestufte Khat schnell zum Problem werden.

Der Kenntnisstand über eine Droge ist zudem immer zeitabhängig. Die heute aktuellen Therorien und „Beweise“ über cannabisinduzierte Schizophrenien könnten schon morgen über Bord geworfen werden, weil irgendwelche bis dahin unberücksichtigten Variablen auftauchen. Es besteht nur eine vage Hoffnung, das mit Hilfe von Verfahren wie Cochrane und Meta-Studien wirklich die industrie- und interessengeleitete Spreu vom Weizen der reinen Erkenntnis getrennt wird. Ob die sagenumwobene „evidenzbasierte Medizin“ zur Klärung strittiger Fragen beiträgt, das ist zu hoffen.

Noch einmal anders gesehen gebiert auch eine „Neuklassifikation der Schädlichkeit“ nur eine weiteres Schreckgespenst, das sich von Angst und Unwissenheit nährt. Zukünftig kann es nicht nur darum gehen, einen risikoarmen Umgang zu fördern, sondern den Augenmerk auf die vielen positiven Eigenschaften zu lenken, die den vielen pflanzlichen und chemischen Wirkstoffen inne wohnt. Von den verborgenen Potentialen der Wiedererkennung des unauflösbaren Zusammenhang zwischen Mensch und Natur mal ganz abgesehen.

Man braucht gar nicht so weit reiten, um zu ahnen, dass der Vorschlag von Nutt & Co. in politischen Kreisen ohnehin auf taube Ohren stoßen wird. Nicht zuletzt ist das britische Betäubungsmittelgesetz, der „Misuse of Drugs Act“, ein Versuch den Anforderungen des UN-Abkommens von 1961 (Single Convention on Narcotic Drugs) stromlinienförmig gerecht zu werden. Ein Ausscheren aus den Reihen der internationalen Gemeinschaft wird Großbritannien nicht wagen; ein Argument, das auch in Deutschland immer wieder angeführt wird, wenn es um die mögliche und nötige Reform der Drogengesetze geht. Der Weg zu einer realistischen Drogenpolitik führt über kurz oder lang über UN, deren drogenpolitischen Ansichten sind allerdings so verschroben und von diversen Kräften getrieben, dass eine Besserung zur Zeit nicht in Sicht ist.

 

Kategorien
Interviews Interviews

Interview mit Baba Rampuri

HanfBlatt Nr. 107, Mai 2007 Ein Interview mit Baba Rampuri

az

Im Jahre 1969 machte sich ein in Chikago geborener und in Beverly Hills aufgewachsener junger Mann mit wenigen Dollar in der Tasche dem Hippie-Trail folgend auf den Weg nach Indien. Er war einer jener Suchenden, die von spiritueller Entwicklung und Erleuchtung träumten und sich mit Dope-Rauchern und Abenteuer-Begeisterten, oft alles in ein und der selben Person vereinigt, auf die Reise begaben. Zufällig begegnete er einem Typen, der ihm Hinweise gab, wohin er sich auf seiner persönlichen Suche in Indien wenden könne. Er landete zu Füssen von Hari Puri Baba, der in Rajasthan residierte. Dieser war ein wichtiger Naga Yogi, einer jener bärtigen von Dreadlocks überwucherten Chillam-rauchenden mit Asche bedeckten heiligen Männer, die ein Leben führen, das dem, was Westler gewöhnlich für eine nützliche Existenz halten, komplett entgegengesetzt zu sein scheint. Von einem Augenblick auf den nächsten entschied er in einem Versuch, seine westlichen Vorurteile und Prägungen über Bord zu werfen, dies ist die Chance, selbst ein Yogi zu werden. Hari Puri Baba begrüßte ihn als Schüler und wurde sein Guru. Der junge Amerikaner wurde rasiert und zu Rampuri. Er ging auf einen sehr langen erschütternden und transformierenden Trip, der ihn zum ersten Fremden werden ließ, der in „Juna Akhara“ initiiert wurde, einen uralten Orden, der auch „Die Entsagenden der zehn Namen“ genannt wird. Später gründete er selbst einen Ashram in Hardwar. Er blieb bis zum heutigen Tag in Indien. Vor Kurzem ist er wieder in den Westen gereist und hat ein sehr aufschlussreiches Buch über seinen Prozess der Initiation in die spirituelle Welt der Yogis mitgebracht. Im Namen des „Ordens der Völlerei“ früher bekannt als „hanfblatt“ stelle ich Baba Rampuri einige typische westliche Fragen zur Erbauung der weniger erleuchteten Dope-Raucher. Aber Spaß beiseite, hier kommt das Interview:

 

Hanfblatt: Was war dein Motiv, nach all diesen Jahren gerade jetzt mit einem Buch heraus zu kommen?

Baba Rampuri: Es gab mehrere Motive. Das Persönlichste davon war die Notwendigkeit den Geist meiner 37 Jahre in Indien auszutreiben und mich, indem ich dieser sehr seltsamen Erfahrung etwas Bedeutung gab, weiter zu entwickeln. Spiritualität ist so sehr Mainstream geworden – und ich möchte bemerken und anfügen, dass in den 70ern sogar die wilden Freaks, Anarchisten und Psychedeliker oft, indem sie eine Art von Spiritualität in die Arme schlossen, so wurden, wie die angepassten Christen oder Juden, gegen die sie scheinbar rebellierten, außer, dass sie es anders bezeichneten, mit einem indischen Namen für gewöhnlich, und ihr Vokabular dann mit indischen Wörtern würzten. Ich habe es nie gemocht, Händchen zu halten und „OM“ zu brummen, „Saving Grace“ zu singen, „Hanuman Chalisas“ auf Country und Western-Musik zu propfen, in Flughäfen zu predigen oder mir selbst auf die Schulter klopfend zu gratulieren, dass ich gerettet wurde. Im Gegenteil – meine Erfahrung ließ den Anarchisten in mir wachsen, vergöttlichte das psychedelische Mittel, dehnte meine kleine Politik in die Metapolitik der Kultur aus und verband mich fest mit einem Universum, das im Widerspruch zu dem Weltbild meiner Erziehung stand. Ich schätze, du könntest das meine Spiritualität nennen.

Nun, während mich dies im Westen „widerspenstig“ oder sogar subversiv erscheinen lässt, werde ich merkwürdigerweise innerhalb der ältesten Tradition Indiens, den Naga Sannyasis als ein wenig konservativ angesehen. Ich wusste, dass es keinen Weg gab, die Leute verstehen und fühlen zu lassen, was meine Erfahrung war; aber Geschichten erzählen muss das nicht leisten. Es gibt wichtigere Aufgaben. Analogie hat einigen Nutzen oder Bedeutung jenseits der Spezifitäten der Geschichte. So war ich nicht wirklich interessiert am Schreiben einer „Autobiographie“. Das Wort im Titel meines Buches wurde von meinem Verleger hinzugefügt nachdem ich BABA geschrieben und editiert hatte. Aber eine Geschichte, wie alle Geschichten, muss unterhalten, muss die Aufmerksamkeit der Menschen erhalten. Dann muss sie die Leserschaft auf eine Reise nehmen. Und, wenn sie einmal auf dem Trip ist, dann gibt es da einen Pfad, ein Paradigma, das in all unserer Literatur und unseren Märchen tausende von Malen wiedergespiegelt worden ist, das man die „Reise des Helden“ nennen kann. Dann mag ein Individuum selbst auf diesem Pfad wandeln, ohne Jahre lang nackt in einer Höhle in Indien verbringen zu müssen. Ein Vater kann das Ergebnis seiner Lebensarbeit seinem Sohn vererben, doch dem Nachlass eines Geistesmenschen fehlt die Materialität, und er muss einen anderen Weg finden, ihn zu hinterlassen für wen auch immer er von Interesse sein mag.

Hanfblatt: Während ich das Buch las, wunderte ich mich erfreut, dass ich in der Lage war, deine spannende Geschichte einfach als etwas Authentisches und Mögliches zu akzeptieren, obwohl es leicht gewesen wäre, sie durch Rationalisierung als reine Phantasien eines desorientierten oder sogar härter eines verwirrten Geistes abzutun, in westlich-psychiatrischem Stil sozusagen. Wurdest du mit solchen Einschätzungen konfrontiert?

Baba Rampuri: Ich lache. Tatsächlich, nein, wurde ich nicht. Niemand hat mich je damit konfrontiert, aber, wenn es jemand tun würde, müsste ich ihm zustimmen. Ich bin kein Wissenschaftler oder Akademiker. Ein durchschnittlicher Psychiater würde sicherlich kommentieren, dass ich keinen Kontakt mit der Realität habe, dass ich mit „imaginären Freunden“ kommuniziere. Das ist nicht die Welt, in der ich lebe. Die Beschreibungen und Ereignisse in meinem Buch wurden zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit abgemildert. Es ist eine geradezu nüchterne Welt, die ich porträtiere, im Vergleich zu dem rationalitätsopfernden – mordenden? – Lebenstheater, in welchem ich sowohl Schauspieler wie auch Publikum war.

Hanfblatt: Wir fragen uns alle, zumindest manchmal in Zeiten eines langweiligen Fernsehprogramms: Was ist der Grund für dies Alles, warum bin ich hier, was ist der Sinn des Lebens? Hast du irgendwelche in Worte transformierbaren Antworten gefunden?

Baba Rampuri: Ein junger Mann aus der Ukraine, ein enttäuschter Katholik, kam eines Tages in Riga zu mir, um überzeugt oder konvertiert oder sowas in der Art zu werden. Er fragte mich, an was ich glaube. Ich sagte ihm, es sei nicht zu verkaufen.

Ich bin kein Prediger. Ich versuche nicht, irgend jemandem zu erzählen, was es damit auf sich hat, was dies alles bedeutet. Ich bin ein Zeuge seltsamer Dinge, und als Geschichtenerzähler berichte ich von dem, was ich gesehen habe. Eine Sache, von der ich Zeuge bin, ist, dass ständig Veränderung stattfindet. Sie hört niemals auf. Also solltest du jeden, der dir den Sinn des Lebens erklärt, am folgenden Tag anklingeln, ob der Sinn immer noch der Gleiche ist.

Hanfblatt: Was kann jemand erwarten, der dich in deinem Ashram besucht?

Baba Rampuri: Mein Ashram ist traditionell und nicht davon beeinflusst, wie man sich einen Ashram vorstellt. Es mag ruhig sein, oder es mag dort eine wilde Bande nackter Schamanen und Yogis sein, die bis spät in die Nacht Chillams rauchen. Leute kommen um dort ihr heiliges Bad im Ganga-Fluss zu machen und still an seinem Ufer zu meditieren. Wenn ich da bin, haben wir meist lebhafte Diskussionen, machen ein paar Rituale und manchmal einen großen Festschmaus. Meinen engen Schülern gebe ich einige traditionelle esoterische Instruktionen.

Hanfblatt: Die Entwicklung der Menschheit, offensichtlich angetrieben von Gier, geht parallel mit einer rapiden Zerstörung unserer einstmals wunderschönen Welt. Es gibt Einiges an ökologischem Bewusststein, aber nicht selten auf seine Art neurotisch, auch Enthusiasmus für Tiere und Pflanzen, manchmal geradezu fetischistisch; aber Alles in Allem werden der Respekt gegenüber der Natur und die Faszination für die Schöpfung in den westlichen Medien wie im praktischen Verhalten der Menschen eher der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Geschenke, die Niemandem gehören, werden ausgebeutet. Sie werden in Statussymbole verwandelt und schüren die Illusion von Wohlstand, dienen als Treibstoff für die süchtig machende Erfahrung von Macht. Wo siehst du noch das Potential dafür, dass sich etwas zu etwas Wunderbarem auswächst? Oder haben wir uns dem Unausweichlichen zu fügen, die Welt den Amok-Läufern zu überlassen, den Pseudo-Krupps oder wem auch immer?

Baba Rampuri: Ja, wir konsumieren alles in Sichtweite, und ich kann kein Ende davon sehen. Können wir es umkehren? Ich bezweifle es. Sitzen wir tief in der Scheisse? Das glaube ich. Was können wir tun? Es bezeugen.

Hanfblatt: In Europa hat die Psytrance- oder Goa-Szene einen spirituellen Kern, von dem aus sie durch psychedelische Tanzveranstaltungen spirituelles und Umwelt-Bewusstsein zu pushen versucht, und dabei Elemente, zumindest Deko-Elemente, traditioneller Kulturen inkorporiert. Der D.J. Goa Gil und andere der alten Garde westlicher Reisender und Suchender, die seit den Sechzigern in Indien geblieben sind, zählen zu deinen Freunden. Was ist los mit dieser Szene?

Baba Rampuri: Ich würde den Ausdruck Psytrance bevorzugen, weil, offen gesagt, habe ich keine Ahnung, was Goa-Szene wirklich bedeutet. OK, es ist eine Referenz an die Mythologie von Goa, die in unterschiedlichen Köpfen unterschiedliche Formen annimmt. Es gab eine Zeit, in der eine Goa-Szene existierte, die aus Outlaws, Anarchisten, Poeten, Musikern, Künstlern, Schamanen, Junkies und Träumern bestand. Jetzt haben wir eine „Möchtegern“-Replik, eine Art „virtuelles“ Goa, das hauptsächlich aus Händlern und Touristen besteht. Ich denke „Psytrance“ kann eine moderne Reflektion dessen sein, was ein zeitloses transkulturelles Ritual der Freiheit durch Tanz zu sein scheint. Tanz ist eine Art Widerspruch zur Produktionsgesellschaft; du bewegst deine Arme und Beine, aber gehst nirgendwo hin, und du machst nichts. Im antiken Griechenland bestanden die Rituale des Dionysos hauptsächlich aus Vollmondtänzen, irgendwo im Wald, weit weg von missgünstigen Blicken. Ich denke, die Gesellschaft war nie mit diesem Verhalten einverstanden, was tatsächlich eine gute Sache ist, nicht weil es nicht passieren sollte, sondern weil auf diese Weise der Tanz nicht durch die Gesellschaft oder deren Gesetze kontrolliert werden und so unbegrenzte Möglichkeiten entfalten kann. Schließlich ist das Psytrance-Ereignis nicht eine soziale Versammlung oder eine Cocktail-Party, sondern mehr eine spirituelle Übung, die zu einer gemeinschaftlichen befreienden Erfahrung führt.

Hanfblatt: Was ist der Unterschied zwischen Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Baba kann „Vater“, „Großvater“ oder „Baby“ bedeuten, genauso wie „Schamane“, „Yogi“ oder „Entsagender“. Baba ist also ein sowohl mehr liebevolles als auch vertrautes Wort. Ein Sadhu ist ein Entsagender. Ein Yogi ist jemand, der in seiner oder ihrer spirituellen Praxis fortgeschritten ist.

Hanfblatt: Was bedeutet Cannabis den Babas, Sadhus und Yogis?

Baba Rampuri: Vorab, es gibt viele Arten von Babas in vielen verschiedenen Traditionen. Viele Babas in meiner Tradition und Andere halten Cannabis unter allen Rauschmitteln für „ausgeglichen“, geeignet und sogar hilfreich für die spirituelle Praxis. In der Sanskrit-Sprache ist das Wort für Cannabis „Vijaya“, was „allbesiegend“ bedeutet; und außerdem wird Cannabis in vielen medizinischen Rezepturen verwendet um die diversen anderen Kräuter auszugleichen. Cannabis war einer der 14 Schätze, die aus dem Ozean der Milch kamen, als er von den Göttern und Dämonen auf der Suche nach dem Nektar der Unsterblichkeit aufgewühlt wurde. Der Gott Shiva ergriff Besitz vom Cannabis als es erschien, und seitdem ist es immer mit Shiva und dem Bewusstsein verbunden geblieben. Vor dem Rauchen rufen wir häufig Shiva an.

Hanfblatt: Wie wird ein Chillam auf Sadhu-Art geraucht?

Baba Rampuri: Das Chillam ist die Erde. Die Mixtur ist der Mond. Das Feuer, welches sie anzündet, ist die Sonne. Der feuchte „Safi“-Lappen am unteren Ende des Chillams ist Jupiter. Wenn also das Feuer der Weisheit (die Sonne) sich durch die Veränderungen des Geistes (den Mond) im Gefäß des Menschen (der Erde) brennt, gefiltert durch den Guru (Jupiter), dann ist das Ergebnis eine Berauschung mit Freude. Das Chillam wird mit beiden Händen geraucht und gen Himmel gerichtet. Die Lippen des Rauchers berühren nur seine Hände, niemals das Chillam oder den „Safi“-Lappen.

Hanfblatt: Warum wird Tabak zusammen mit Cannabis geraucht?

Baba Rampuri: Schwierige Frage. Ich spekuliere, wahrscheinlich, weil es das Cannabis abkühlt, es weniger stark auf den Hals und die Lunge wirken lässt und dadurch angenehmer macht.

Hanfblatt: Was sind die Unterschiede zwischen Bhang, Haschisch und Ganja?

Baba Rampuri: Im allgemeinen Sprachgebrauch bezieht sich Bhang auf die Pflanze, und Haschisch und Ganja bezeichnen deren Produkte. Aber es gibt drei grundsätzlich verschiedene Pflanzen unter der Kategorie Cannabis, die alle ein unterschiedliches Produkt liefern. Wenn Menschen Bhang konsumieren, dann handelt es sich um die Pflanze, die den geringsten Anteil von dem aufweist, was man als THC, Harz und ätherische Öle bezeichnet. Bhang zu rauchen, macht einen nicht high. Man muss es essen oder trinken nachdem man es zu einer Paste verarbeitet hat. Sein High ist dann das Ausgewogenste aller drei Produkte, am ähnlichsten dem eines psychedelischen Highs und oft genutzt von Intellektuellen und Ringkämpfern. Es scheint die Gedanken und die Artikulationsfähigkeit zu stimulieren. Ganja ist die harzige Blütenspitze, die im Ganzen geerntet und dann getrocknet wird und von einer Pflanze stammt, die große Blütenstände bildet. Wenn es getrocknet ist, werden dem Ganja ein paar Tropfen Wasser hinzugefügt, um es von Hand zu pressen, bevor man es mit Tabak mischt und dann in einem Ton-Chillam raucht. Haschisch ist das Harz, das entweder mit der Hand von den harzigen Blütenspitzen gerieben oder auf andere Weise extrahiert wird, wie durch Ernte der Pflanzen und Abschütteln des Harzpulvers. Erst vor Kurzem ist eine neue Technologie der Harzabtrennung aufgetaucht, die Eis verwendet. Dieses „neue“ Produkt wird in Manali liebevoll „Ice-cream“ genannt.

Hanfblatt: Hat sich die Rolle von Cannabis über die 37 Jahre, die du jetzt in Indien lebst, verändert?

Baba Rampuri: Für die Babas war die größte Veränderung der Preis, der um hundert mal gestiegen ist, seitdem ich nach Indien gekommen bin. Im Rest der indischen Gesellschaft hat sein Gebrauch unter den Armen und der Arbeiterklasse kontinuierlich nachgelassen, aber unter den jungen Leuten der oberen Mittelschicht zugenommen. Während der Regierungszeit von Premierminister Rajiv Gandhi 1984 bis 1989 wurden offensichtlich die Produktion von Alkohol und dessen Konsum gefördert, und von der Regierung lizensierte Cannabisgeschäfte wurden geschlossen.

Hanfblatt: Ein Freund von mir war der Ansicht, dass die Sadhus heute mehr Tabak als obendrein noch schlechtes Cannabis rauchen würden, nachdem er im Rahmen einer Kumbha Mela zu ihnen stieß. Möglicherweise war es in früheren Zeiten besser, stärker, inspirierender. Kannst du das kommentieren?

Baba Rampuri: Nein, da würde ich nicht zustimmen. Man darf nicht alle Babas in einen Topf werfen. Es gibt Babas der verschiedensten Klassen und Richtungen. Man darf keine Schlüsse über alle Babas ziehen, wenn man nur Wenige getroffen hat. Und die andere Sache ist, dass wir immer über „die gute alte Zeit“ sprechen können, als „Alles“ besser war, aber das bringt uns tatsächlich nirgendwo hin. Aber ich möchte hinzufügen, dass reiche Leute heutzutage für gewöhnlich besseres Cannabis rauchen als arme Menschen.

Hanfblatt: Gibt es noch legales Cannabis in Indien?

Baba Rampuri: In Madhya Pradesh werden immer noch einige Formen medizinischen Hanfes legal in Markenpräparate eingearbeitet.

Hanfblatt: Was für eine Rolle spielt Datura?

Baba Rampuri: Datura ist beträchtlich schamanischer. Es transportiert seinen Gebraucher in eine Welt von Geistern und ist deshalb gefährlich für jeden außer den Erfahrenen und Initiierten. Es wird niemals zum Vergnügen oder für das Bewusstsein benutzt, vielmehr für die Kommunikation mit Geistern, was in der Tat sehr heikel ist.

Hanfblatt: Es hat einige Verwirrung um das Rauchen von Skorpion-Gift gegeben. Kannst du uns darüber etwas berichten?

Baba Rampuri: Skorpion-Schwänze sind sehr giftig, und sie zu rauchen ist sehr gefährlich. Nichtsdestotrotz rauchen einige Babas in großen Höhen im Himalaya Skorpion-Gift. Es erhitzt den Körper durch Fieber, was einige Babas nützlich finden um nackt im Schnee zu leben.

Hanfblatt: Das am meisten diskutierte unbekannte psychoaktive Sakrament ist „Soma“. Es wurde in antiken vedischen Texten erwähnt. Der Pilzforscher Gordon Wasson dachte, er hätte es im Fliegenpilz gefunden. Andere glaub(t)en, es handelte sich dabei um Somlata (Ephedra ssp.), Peganum harmala oder Zubereitungen daraus, Psiloc(yb)in-haltige Pilze oder sogar den guten alten Hanf. Was denkst du oder weißt du darüber?

Baba Rampuri: Ich liebe einfach psychoaktive Sakramente! Und ich denke, es wäre extrem cool, wenn Soma ein psychoaktives Sakrament wäre. Ich bin Einhundert Prozent dafür. Also, ich denke, dass Gordon Wasson, den ich einmal getroffen habe, ein extrem interessanter und wichtiger Mann war. Aber offen gesagt glaube ich, dass wir unser gegenwärtiges Denken über eine alte Tradition stülpen, die ein ganz anderes Denken, eine andere „Sprache“ und eine kulturell sehr verfeinerte Art die Welt wahrzunehmen hatte. Wir setzen voraus, dass Soma psychoaktiv war, und obwohl ich sogar selbst psychoaktiv bin, kann ich es einfach nicht erkennen, selbst nachdem ich hunderte von vedischen Ritualen beobachtet und all diese Jahre mit Babas zusammengelebt habe. Ich würde nach psychoaktiven Substanzen eher in den schamanischen und den Stammeskulturen als unter den kultivierten Brahmanen-Priestern suchen. Und man vergesse nicht, die vedische Kultur ist nur ein winziger Teil der riesigen indischen Tradition. Das vorausgesetzt, verstehen wir in meiner Tradition das Soma der Veden als Somlata, das Gestrüpp, das im Punjab wächst. Es gab und gibt sehr spezifische Bedingungen für die Auswahl und die Ernte von Somlata, an die man sich halten muss, wenn man das Somlata in der vorgeschriebenen Weise verwenden möchte.

Hanfblatt: Ich danke dir.

Baba Rampuri: Liebe, Licht und Freude!


Das Buch:

Baba Rampuri
„Baba.
Autobiography of a Blue-Eyed Yogi“
Bell Tower, New York 2005
Englisch, Geb. mit Su., 244 S.
ISBN 1-400-8038-X
23 US-Dollar

Homepage: www.rampuri.com

Dieses Buch bei Amazon neu oder gebraucht bestellen:

 

 

 


 

 

]]>

 

zurück zur Startseite von Jörg Auf dem Hövel mit weiteren Interviews und Artikeln