Ein Haschischrausch im Sommerloch
von Philipp Berges (ca. 1895)
Philipp Berges war ein 1863 in Lübeck geborener deutsch-jüdischer Journalist und Redakteur, der zeitweise in den USA arbeitete und später in Hamburg lebte. Ende des 19. Jahrhunderts schrieb er die „humoristische Skizze aus dem amerikanischen Leben“ „Ein Haschischrausch“ über einen hanebüchenen Trip mit einer Rauschhanf-Tinktur.
„In den weiten Räumen der Redaktionsoffice war es still geworden. Drückend lastete die Schwüle der Hundstage auf allen Gemütern und verwandelte die „verantwortlich-redaktionellen“ Gehirne in ebenso viele Treibhäuser voll strahlender, exotischer Gewächse, welche die tollsten Blüten trieben.“
Burn-out bei den Redakteuren – da erschien der Chefredakteur, der „Häuptling“, mit einer genialen Idee:
„Sie sollen dem Blatt ein Opfer bringen, ein Rauchopfer…fort, sage ich, in eine Opiumhöhle, damit wir morgen die Wirkungen dieses Giftes auf den Raucher schildern, seine Träume, seine Illusionen, seinen Katzenjammer-…“…
„Aber finden Sie nicht, daß das Opium denn doch ein etwas, nun, sagen wir, „abgedroschener“ Stoff ist?! Wie wär`s mit einem Rausch in dem berühmten indischen Ha-“
„Ha-?“
„Ha-sch-“
„Haschisch???“ schrie der Häuptling.
„Jawohl, Haschisch!“
„Ah! Großartig, herrlich, immens, kolossal, unbezahlbar!…Eilen, laufen, fliegen Sie, opfern Sie sich auf dem Altar des Tagesschrifttums…““
Und los ging`s:
„Nur noch wenige Minuten trennten mich von dem großen, weltgeschichtlichen Augenblicke, der mich – ein unschuldiges Opferlamm auf dem Altar des Tagesschrifttums – in den Rachen des grauen Moloch „Haschisch“ verschwinden sehen sollte.
Nach endlosen Irrfahrten durch New York und Brooklyn war es mir gelungen, den aus den Blütenschwänzen des indischen Hanfs gewonnenen Zaubertrank zu erlangen – gerade genug, wie der Apotheker sagte, um damit einen kapitalen Rausch anzustiften, mit dem man sehr vorsichtig umgehen müsse. Vorsichtig? Jawohl, denn die Wirkung sei in Bezug auf den Zeitpunkt ihres Eintritts ganz unberechenbar und verleite überdies nicht selten zu allerhand tollen Unternehmungen. Ich hatte also dementsprechend meine Vorbereitungen getroffen.
Nun saß ich in einer Sofaecke meines eigenen trauten Junggesellenheims und überschaute noch einmal mit erzwungener Kaltblütigkeit das Schlachtfeld. Die Thüre hatte ich zugeschlossen und den Schlüssel stecken lassen. Im Zimmer herrschte angenehme Dämmerung… Vor mir auf dem Tische stand in hellem Glase das berauschende Gift, daneben eine Flasche frischen Wassers; zur Rechten lag ein Kästchen mit Zündhölzern, zwei Bleistifte und einige Blatt Papier, zur Linken ein verschlossenes Couvert mit Briefen, Notizen und letztwilligen Verfügungen. Alles überragend aber stand in der Mitte des Tisches eine aufs genaueste geregelte Uhr…Wie würde die Wirkung sein? Würde es mich ohnmächtig niederwerfen – ?…Mit einer hastigen Bewegung der Hand gieße ich den Trank in mein Inneres herab – – – –
Ein süßlicher Geschmack verbreitet sich in meinem Munde, über die Zunge, den Gaumen, und steigt prickelnd in das Geruchsorgan empor. Gleich einem Strome flüssigen Feuers scheint der Zaubertrank in mein Inneres herabzurinnen. Der Zaubertrank?! – – – Alles bleibt still und unverändert. Keine Wirkung. Nicht die leiseste.“
Schließlich fing er an zu deklamieren, erst den neunten Gesang der „Odyssee“, dann in freier Rede seine Betrachtungen zu einem „Rückblick aus dem Jahre 2000“. Ob seiner geistigen Klarheit kam er zu dem Schluss:
„Ich bin das Opfer eines Betruges, der Apotheker hat, um den ungestümen Dränger loszuwerden, harmloses Zuckerwasser, Brausepulver oder, ich weiß nicht was sonst, in die Flasche gegossen und ich, der Angemeiertste aller Staubgeborenen, habe es für Haschisch getrunken – – -“
Eine volle Stunde war verflossen. Er zog sich an und verließ das Haus:
„Hm, und wenn die Wirkung später doch noch eintritt, auf offener Straße etwa?! – – Pah! Hatte ich nicht meine Legitimation und eine Reihe blinkender Dollars, ganz abgesehen von den papierenen, in der Tasche?! Vorwärts!!
Im nächsten Augenblick wurde die Thüre geräuschvoll verschlossen und die Treppe hinab schritt pfeifend ein ansehnlicher junger Mensch.
Dieser ansehnliche junge Mensch war ich. Ich – haha! der haschisch-vergiftete Redakteur!“
Mit der Hochbahn fuhr er „downtown“ um doch noch etwas Berichtenswerteres als „Stoff“ für sein Blatt zu erleben „als den elenden Haschischrausch“. Da erfasste ihn „ein gewaltiger Hunger“, den er „als eine Folge des verschluckten Giftmischerproduktes betrachtete“ und trat ins nächstbeste Restaurant um Steak und Kaffee zu bestellen. Plötzlich wurde die Frau in einem Reklamebild lebendig:
„Entsetzt sprang ich auf und blickte in die Höhe. Täuschung! Nichts regte sich, das blanke BIld schaute lächelnd zwar, doch unbeweglich, starr auf mich nieder. Langsam glitt ich zurück in meinen Sessel und stützte den Kopf in die Hand, um noch einmal in fieberhafter Anstrengung hinabzuhorchen in mein Inneres. Ja, jetzt regte es sich; wie mit Geisterhänden begann es mich zu umspinnen. Langsam schien eine fremde Gewalt auf mich niederzusinken – – es war, als ob ich selbst bescheiden zurücktrete, ganz zurück in den schattigen Hintergrund, und ein anderer Besitz nehme von dem Gebilde aus Fleisch und Blut, das meinen Namen trug. Und dieser andere war stark, wild, launenhaft, kampfesmutig – – auf und ab rollte und zuckte es durch meine Nerven. Mein Hunger schien plötzlich verschwunden; die Leere in meinem Magen, die sich eben noch zum Abgrund erweitern zu wollen schien, war bis zum Rande ausgefüllt.
Und während diese seltsame Verwandlung in meinem Wesen vor sich ging, stand mein altes, eigenes Selbst immer noch still im Hintergrund, geistesscharf beobachtend, nachdenkend; erfreut und ängstlich zugleich, und der Dinge harrend, die da kommen sollten. O, heiliger Apotheker, erhabener Freund der Gerechtigkeit, verzeihe mir die übereilten Anklagen! Dein Trank wirkt gut. Schon bin ich nicht mehr ich selbst, bin berauscht, behext, mein Wesen hat sich in zwei geteilt. O, wäre ich zu Hause geblieben, zu Hause in der sicheren Sofaecke.“
Er brach spontan auf:
„Wohin jetzt?! Gleichviel – nur vorwärts! Hurra! Die ganze Welt liegt offen. Nur vorwärts!
Summend, trällernd, pfeifend schritt ich den Broadway aufwärts, und meine Tritte hallten donnernd von den Wänden zurück. Jetzt bog ich in eine westliche Seitenstraße ein. Ein baumlanger Kerl von rowdymäßigem Aussehen, der (mit Recht) glauben mochte, ich befände mich unter dem Einfluß eines berauschenden Getränkes, stellte sich mir in den Weg. Ich prügelte ihn weidlich durch und schritt trällernd weiter, während am anderen Ende der Straße einige durch das Geräusch des Kampfes angelockte Blaujacken erschienen.
Ohne zu wissen, wie ich eigentlich hingekommen, fand ich mich nach einer Weile am „Abfahrtspeer“ der Hobokener Fährdampfer.“
Impulsgesteuert beschloss er nach Europa zu fahren, kaufte einen Fahrschein und enterte das Schiff. Dort nahm er sich eine Kabine und verfiel in Schlaf. Doch beim Erwachen stellte er erschüttert fest, dass er sich in einem Zug auf dem Weg zu den Niagarafällen befand:
„Aber trug denn ich die Schuld? Nein, es war ja die fremde Macht, die diese Verwirrungen angestiftet hatte, die starke Gewalt, die jetzt für mich dachte und handelte, der Geist des Haschisch, der mich fest in seinen Krallen hielt.
Allein der eigentliche Rausch war vorüber, das fühlte ich wohl. Zwar leitete der fremde, ungestüme Geist noch meine Handlungen, aber ich sah, hörte mit offenen Augen und Ohren, begriff, urteilte klar und scharf, lebte wieder in der Wirklichkeit.“
Die folgenden Wochen verweilte er bei den Fällen:
„Der besorgten Redaktion meiner Zeitung hatte ich schon wenige Tage nach meiner Ankunft über die Haschischirrfahrt Bericht erstattet und an meinen Brief das Ersuchen geknüpft, die kommenden Wochen als meine Sommerferien betrachten zu dürfen, da ich wider Willen nun doch einmal unterwegs sei.“
Dies wurde ihm zugestanden. Unterdessen hatte er sich bereits heftig in eine russische Fürstin verliebt:
„Zuweilen, wenn ich auf unseren einsamen Ausflügen neben ihr saß, überkam mich wieder der alte, traumhafte Zauber des Haschischrausches. Dann glaubte ich die Frühlingsgestalt mit dem blonden Haar und den blauen Augen wieder zu erkennen, die in jenem kleinen Restaurant am Broadway Miene machte, aus dem Reklamebild zu mir herabzusteigen.“
Der Chefredakteur schrieb ihm wochenlang genervte Briefe, doch:
„Nichts zog mich zur Arbeit, zum Schreibtisch…Ging ich dem Wahnsinn entgegen? Stand ich noch immer unter dem Einfluß der vielleicht übergroßen Dosis des Haschisch, oder war es nur meine wahnsinnige Liebe, die mich zu ihrem Sklaven machte?!“
Schließlich wurde er entlassen. Als er dieses Opfer seiner Geliebten mitteilen wollte, musste er feststellen, dass diese überraschend abgereist war. Verzweifelt beschloss er, sich von der Niagara-Brücke in den Tod zu stürzen:
„Ein wilder Hilfeschrei entströmte meinen Lippen und brach jäh ab. Heftig fuhr ich empor – erwacht vom Schall meiner eigenen Stimme.
Alles still um mich her, kein rauschendes Wasser, keine zackigen Felsenriffe. Ich bin gerettet. Aber wo, wo bin ich?…Ich befinde mich in meinem eigenen Zimmer, sitze noch immer in der sicheren Sofaecke! Vor mir auf dem Tische steht noch alles in gehöriger Ordnung…seit dem Verschlucken des Zaubertrankes ist der Zeiger nur um zehn Minuten vorgerückt…Tausend Empfindungen, Gefühle, Leidenschaften, unzählige Gedanken und Handlungen, die Zeitdauer von Monaten, mit ihren Leiden und Freuden, habe ich durchlebt in zehn Minuten!! Nur eins vermisse ich – das leere Haschischglas. Ah – hier ist es. Es liegt, in tausend Scherben zersplittert am Boden – – – – –
Verehrter Herr Chefredakteur!
Hier ist nun die Haschischgeschichte, von welcher Sie sich so viel versprochen. Sie sehen, es ist auch nichts besonderes geworden. Zwar ein „echtes Kind meines phänomenalen Verstandes und meiner äquatorialen Phantasie“ (Ihre eigenen Worte, großer Häuptling), wird es mich doch nur auf höchstens acht Tage unsterblich machen. Nun, nicht ich, sondern der Haschischteufel trägt die Schuld, dessen Einflüsterungen ich genau aufgezeichnet habe…“