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Reisen

Mit Alex Jolig und Sam auf den Azoren

Showdown zur Glaubwürdigkeit

Vom Versuch sich zu vermarkten ohne sich selbst zu verkaufen. Mit „Container-Alex“ und seiner Freundin Sam auf den Azoren.

Es war ein „ganz normaler Sonntag“, wie Sam versichert, als Alex ihr einen Heiratsantrag machte. „Wir waren auf dem Weg vom Sonnenstudio in die Videothek, da sagte der Alex, dass heiraten ja auch nicht schlecht wäre.“ Sam will gerade mit der romantischen Geschichte fortfahren, aber die Dame von RTL ist nicht zufrieden und sagt deshalb „Schnitt, noch mal, bitte.“

Urlaub in der Wetterküche Europas, auf den Azoren, einer Inselgruppen auf halben Wege zwischen Europa und Amerika. „Container-Alex und Sam zur Verlobung auf den Trauminseln“, so sollen die Headlines prangen und darum hat die Tourismus-Zentrale der Azoren geladen. Seit Jahren stagniert der Touristenstrom, zusammen mit einer Münchener Medienagentur sind daher das Ziel und die Mittel festgelegt worden: Das Glamour-Paar soll den Bundesbürgern die Inseln wieder schmackhaft machen. „Promotion“, nennt sich das. Die Presse und deren Opfer kommen in einem Ressort an der Steilküste unter, wunderschön gelegen, ein aparter Erich Honecker-Charme durchweht die Räume und die Servietten sind stets aus gestärkten Leinen.

Alle verstehen sich gut, menschlich sowieso, denn Alex und Sam sind handzahm. Aber auch dienstlich probt man den Gleichklang. Den einen geht es um die Erhellung von mausgrauen Alltags-Wohnzimmern, um die Übertragung des Glanzes eines bunt-schillernden Pärchens auf abgeschuftete Gesichter. Den anderen geht es einfach darum, einen steten Platz im kollektiven Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft zu ergattern, dort zu hocken, wo Boris, Babs und Bohlen sich schon räkeln. Freizeit oder Arbeit? Das bleibt die nächsten Tage unklar, denn das Programm ist dicht gestrickt. Ab jetzt beobachten die mitgereisten Medien jeden Schritt der beiden. Das vierköpfige Kamerateam filmt für RTL-Explosiv, der einsame Journalist schreibt eifrig Notizen in seine Kladde. Erste Station: Der Hafen von Vila Franca, ein sechs Meter Schlauchboot. Es geht hinaus aufs Meer, „Dolphin-Watching“. Die kleinen Racker sind tatsächlich zugegen, ein 30 Tiere großes Rudel Fleckendelphine durchpflügt plötzlich das lauwarme Wasser. Der Bootsmann gibt Gas, den Kindern der Schaumkronen bringt die Geschwindigkeit von fast 80 Stundenkilometern sichtlich Spaß. Ein Delphin schießt sich drei Meter hoch und setzt eine Mords-Arschbombe ins Wasser. Die Kamera läuft, ein gewagter Schwenk zwischen Sams Beine. „Wir brauchen einen O-Ton!“, bestimmt die Frau von RTL. Also raus das Mikro: „Ein tolles Erlebnis“, sagt Sam. Danke, Schnitt.

Nächster Drehtort: Eine Kirche am See. Die Stimmung wird romantisch, Sam und ihr „Großer Bruder“ knutschen. Das Problem dabei: Der Azoren-Plot wird zunehmend beschaulich, dies will kein Programmdirektor sehen. So würde es hier niemand formulieren, aber eigentlich müssen entweder die Titten von Sam ins Bild, Alex sich beim Rafting einen Fuß brechen oder die beiden über ihre Erfahrungen mit Analsex plaudern. Soweit sind die Konstrukteure des medialen Vollgenuss´ auf ihrer Suche nach einer heißen Story hier erfreulicherweise noch nicht. Gleichwohl kann sich das B-Promi-Traumpaar nie sicher sein, ob die sie ständig umschwirrenden Medienvertreter nicht letztlich nur auf einen vielleicht neuen, sicherlich aber schäbigen Skandal warten.

Abendessen, der 1963 geborene Alex betritt der Raum. Eine mannhafte Mischung aus Zorro und Marlon Brando, Panzerkette um den Hals, Silberkette ums Handgelenk. RTL, Schreiberlinge und das verlobte Paar sitzen alle wieder an einem Tisch. Privatsphäre? Davon bleibt zunehmend wenig, denn Sam erzählt mit Begeisterung von Ereignissen aus Pool und Bad.

Brandy, eine Zigarre, kommod lehnt sich Alex zurück. Mittlerweile sitzt man in der Bar des Caloura-Hotels, die Lampen sehen aus als wären sie vom blinden Bruder von Verner Panton designt, rote Cordhocker bevölkern den kleinen Raum, hinter uns eine grob gemauerte Wand. Es dünkt, als dass gleich die unsichtbare Fahrstuhltür aufgleitet und Fantomas heraustritt. Das Meer, ja, das mag er, die fast unendliche Weite. Sein Wunschtraum? „Ein Bötchen“, sagt er bescheiden, „und dann rund um die Welt segeln.“ Meine fade Entgegnung: „ich steh ja mehr auf Berge“, lässt ihn schlingern; „ja“, sagt er, „Berge wären auch nicht schlecht“.

Er braucht die Medien, denn sie waren es, die ihn zu einem Macho, zu einem Diplomatensohn mit Heckspoiler stilisiert haben, niveauvoller als Slatko, aber eben doch nur ein Emporkömmling aus einer Reality-Soap. Im Zweifelsfalle konnte man ihn zu Talkshows einladen, um seine musikalischen Gehversuche, sein Filmauftritte oder seine Liaison mit Jenny Elvers zu belächeln. Der Mensch Jolig, der blieb dabei uninteressant, nur sein Image zählte.

Schon die Authentizität der 24-Stunden Kamera in der blechernen Big-Brother Beziehungskiste war nur eine Scheinbare. An den Mischpulten des Fernsehsenders wurde sehr genau darauf geachtet, welche Bilder über den Äther gingen. Die Damen putzten das Klo, während Alex in Macho-Pose mit Hand im Schritt auf dem Sofa schwieg. „Ich habe genau so im Haushalt gearbeitet wie alle anderen auch“, sagt Alex heute. Zu spät, die Zuschauer waren schon lange auf dem ersten kollektiven Voyeurismus-Trip der Nachkriegsära hängen geblieben. Höhepunkt des visuellen Saugens von platten Oberflächen war sicherlich, als die verliebte Kerstin dem guten Alex vor laufenden Nachtsicht-Kameras einen geblasen hat. Darauf hatten alle nur gewartet.

So entstand das Image vom attraktiven Pascha, der mit dem Motorrad unterm Arsch das pralle Leben in vollsten Zügen genießt. Darunter leidet er, mittlerweile ein wenig mehr als früher, denn ewig will er den Ballermann nicht mimen. Aber er ahnt, dass ein Star nur das ist, was über ihn bekannt wird – egal, ob dies wahr oder falsch, wichtig oder unwichtig ist, ganz egal auch, ob es dem Menschen dahinter gerecht wird. Aber im Gegensatz zu echten Stars bleibt bei vielen medialen Produkten des neuen Jahrtausend zunehmend unklar, weshalb sie überhaupt ihre exponierte Position in der Öffentlichkeit einnehmen.

Jenny Elvers, Ariane Sommer, Verona Feldbusch oder „Party-König“ Michael Ammer: Die Basis dieser Menschen, der „Rohstoff Person“, ist dünn, das um sie entwickelte Zeichensystem umso fragiler. Im Zeitalter des ungebrochenen Talkshow-Hypes sind diese Darsteller die Endprodukte der „Kultur der Schamlosigkeit“, wie der us-amerikanische Medientheoretiker Joshua Meyrowitz den Kult um die authentische Selbstoffenbarung nennt. In diesem Kult reklamiert der Einzelne Beachtung für sein Empfinden, seine Vorlieben und Abneigungen aus keinem anderen irgendwie einsehbaren Grund als der offensiven Freimütigkeit, mit der er seine Befindlichkeiten öffenlich zur Schau stellt. „Seht her, denn ich steh´ nur auf Männer mit Glubschaugen!“

Diese Intimisierung bleibt nicht ohne Folgen für die Teilnehmer, gibt sie doch den Medien die Möglichkeit in die Hand, je nach Gutsto ihre Sittengerichte als Lustspiel oder Melodram zu kreieren. So stellt sich für die Promis die Frage: Wie im Gespräch bleiben ohne zum Gespött zu werden? Darüber grübelt Alex nach, darüber grübelt Sam nach. Was bleibt, ist ein dickes Fell.

Das illustre Gespann bietet sich aber aus noch einem anderen Grund dazu an, als stets beladbarer Container für Hohn und Spott herhalten zu müssen. Hinter den beiden steht keine mächtige Plattenfirma, kein großer Industriekonzern, der den Medien mit dem Entzug der Werbeschaltungen drohen kann. Das Magazin, welches sich dagegen allzu ungeniert verlogen über die sexuellen Vorlieben von Julio Iglesias äußert, nun, das darf mit einen Telefonanruf aus der PR-Abteilung von Sony rechnen. Dabei sind Alex und Sam wahrlich keine Witzfiguren, es sei denn, man hält die normalen Typen aus Nachbarschaft für unbedingt verarschenswert. Sam, 26, gerne keck, manchmal dreist, erinnert an an das gutaussehende Mädchen, das jeder noch aus seiner Schule kennt, als denn an ein blondes Luder, zu dem sie die Klatsch-Postillen gerne generieren. Alex ist freundlich, hilfsbereit, jovial. Er packt bei den Koffern mit an, er begrüßt die Kutscher, er streichelt die Pferde, und er tut dies auch, wenn die Kameras nicht in der Nähe sind. Als Paar sind sie in erster Linie verliebt, zudem aber zunehmend entsetzt darüber, wie die Presse mit ihnen umgeht. „Die machen mit uns was sie wollen.“ Nach dem zweiten Brandy schlägt Alex deshalb vor, man solle mal was „über den Menschen Alex Jolig“ schreiben. Darüber, weshalb er in den Container gegangen sei. Seine damalige Sinnkrise habe bisher noch niemanden interessiert. „Ich war so fertig mit mir und dem Leben, dass es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder ich gebe mir die Kugel oder ich gehe ins Kloster.“ Ob er durch 68 Tage mit den Ordensbrüdern Slatko und Jürgen zu sich selbst gefunden, das lässt er am Ende des Abends offen. Er will nicht wahr haben, dass selbst eine Personality-Story im Stile von Margot Dünser oder Michael Steinbrecher nur eine neue Inszenierung wäre, eine neue Konstruktion von Glaubwürdigkeit; gut vielleicht, um einen Imagewechsel herbei zu führen, aber wahrscheinlich kein Stück näher an seinem subjektiv empfundenen Selbstbild.

Frühstück, dann die nächste Station: Eine Hazienda im Inselinneren, auf der stolze Rösser ihr Stroh futtern. Der käseweiße Verwalter deutet uns als Überfallkommando und gibt sich zugeknöpft. Sam entdeckt schnell einen stattlichen Gaul in den Boxen, der Cowboy aber deutet auf eine 21-jährigen Mähre mit Karies. Der Gedanke, dass Alex einen seiner Klepper wohlmöglich von hinten besteigt, treibt ihm die Schweißtropfen auf die hagere Brust. Egal, RTL will bunte Bilderchen und Hans Alexander Jolig soll jetzt reiten. Also ausziehen. Sam schlüpft in enge Jeans, Alex zwängt sich in eine Military-Tarnhose und ein zu enges T-Shirt. „Mist, beim Einsammeln in diesen Show-Rooms weiß man nie so ganz genau, ob die Klamotten später passen.“ Der Rücken vom Klepper biegt sich so sehr durch, dass die Bauchdecke fast den Boden streift, Alex ist nicht besonders glücklich mit seiner Haltung. Zu allem Überfluss will das RTL-Team Alex verkehrt rum auf dem Pferd sehen, ein wahrhaft explosiver Gag. Der portugiesische Cowboy ist dermaßen begeistert, dass die Stimmung endgültig im Keller ist. RTL fordert wieder O-Ton. Das Wuschelmikro schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar, „Kamera läuft“, die Zwei geben sich begeistert. Ja, toll sei es, dass Sam ihm das Reiten beibringe, nein, nie würde er seine motorisierten gegen diese eine Pferdestärke aufgeben. „Wir wollten mal weg von dem Trubel“, spricht er dann noch, während das Kamerateam und die Pressebegleitung im Hintergrund stehen. Schnitt.

Und so geht es weiter mit dem Event-Hopping. Von schwefelhaltigen Dampfterrassen, Massagezentren und anderen Spa-Einrichtungen, über Teefabriken ohne sichtbar lebende Teepflanzen, bishin zur einheimischen Grützwurst mit Schweinefleisch, alles sechs Stunden im Erdloch gebacken und nur mit Senf zu genießen. Aus dem vermeintlichen Urlaubs-Trip wird ein für alle stressiges Ereignis. Inmitten des auf Zelluloid gebannten Wahnwitzes taumeln Sam und Alex – gebeutelt von den Anforderungen und manchmal recht verloren dastehend. Dann nimmt Sam die Hand von Alex, drückt sie und fragt lächelnd: „Alles Roger in Kambodscha?“

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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