HanfBlatt 2002
Der Kosmos am Wegesrand
Interview mit Wolf-Dieter Storl
Wolf-Dieter Storl ist Kenner psychoaktiver und germanisch-keltischer Heilpflanzen und weiß bildhaft von deren Mythen und Geschichten zu berichten. Er selbst lebt in einem Verhältnis zur Natur, das stark von seiner Verbindung zu den lebenden Pflanzen geprägt ist. In seinen Büchern, wie beispielsweise „Pflanzendevas“, vermittelt Storl die Perspektive, dass die menschliche Kultur maßgeblich von Pflanzen bestimmt wurde und wird und dass wir direkt von den Pflanzen lernen können. Wir treffen den „Wurzelsepp“ nach einem Vortrag, den er im Rahmen des Hamburger Hanffest gehalten hat. Storl fühlt sich in der Großstadt sichtlich unwohl, seine Augen fangen immer wieder dann an zu leuchten, wenn es um Pflanzen und alte Mythen geht.
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Es entspannt sehr, durch den Garten zu schlendern und hier und dort einen Grashalm auszuzupfen, ihn zu zerreiben und daran zu riechen. Wie aber bist du darauf gekommen, in den Pflanzen ein Wesen zu entdecken? Wo wir vielleicht noch den Geschmack ersinnen, entdeckst du in jeder Pflanze eine besondere Wesenheit, die sich mitteilt. Das klingt für mich sehr esoterisch.
Storl
Als ich als Junge nach Amerika kam, bin ich anstatt Baseball zu spielen in die Wälder gegangen. In Ohio auf dem Land gab es Schlangen, Schildkröten, Waschbären, Opossums, und vor allem Pflanzen. Dort gibt es noch heute fast zehn mal so viele Pflanzenarten wie hier in Deutschland. Alleine 150 verschiedene Laubbäume – das war enorm faszinierend. Ich habe dann die Lehrer nach den Pflanzen gefragt und die antworteten nur: „God dammed weeds, they are not interesting“. Ich fand sie aber sehr wohl interessant und meine ganze Freizeit war ich im Wald und auf den Bäumen. Es gab keine Bücher darüber, keinerlei intellektuelle Information, und so saß ich da, habe die Pflanzen beobachtet und einen Spürsinn für sie entwickelt.
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Also ein sehr frühes Interesse. In den 50er Jahren in den USA dürftest du dabei vom Hanf wenig mitbekommen haben. Es herrschte die Verteufelung des Hanfs.
Storl
Man sah nie eine Hanfpflanze, ich hätte nie gewusst, wie eine aussieht. Es war irgendein Rauschgift, dass die Leute zum Wahnsinn treibt, zu Mord und zu ausschweifender, perverser Sexualität.
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Wenn man den Mord streicht, eigentlich alles Dinge die wir uns wünschen.
Storl (lacht)
Nicht wenn ihr im Mittleren Westen der USA aufwachst. Dort war Sexualität das Werk des Teufels. Eine vollkommen schizophrene Entwicklung.
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Die sich bis heute durch die amerikanischen Gesellschaft zieht.
Storl
Klar, schau dir nur den Clinton mit seiner Tussi an. Hanf habe ich aber erst bei einer Reise nach Kalifornien kennen gelernt. Ich hatte enorme Angst vor dem Rauchen. Ich studierte dann Botanik, hörte damit aber bald wieder auf, weil ich nur im Labor stand und ich wollte ja raus in die Natur.
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Das muss am Anfang der Hippie-Bewegung gewesen sein.
Storl
Auf den Campus kamen um 1964 die ersten Leute die Indien bereist hatten. Sie hatten lange Haare, sie hatten natürliche Klamotten, fließende Gewänder, sie haben Sachen gerne geteilt, sie hatten Zeit und saßen gerne im Grünen. Es waren Blumenkinder. Davon war ich natürlich begeistert. Der Begriff der „Hippies“ kam erst auf, als Journalisten in New York fragten: „Hey, was ist das für ein neuer Trend?“. Beatniks waren das nicht, Hipsters auch nicht, denn das waren die Leute aus dem Ghetto, die wussten, wo es die Drogen gibt. Aber gekifft haben sie, also nannte man sie Hippies. Das war die Zeit in der die ersten Flugzeuge regelmäßig nach Indien flogen. Dort entdeckten die Abenteuerlustigen eine völlig neue Welt. Die Inder konnten nicht wissen, wer diese Menschen waren, vielleicht ja Shiva und Parvati? Also nahmen die Ärmsten sie in ihre Hütten auf, haben sie bewirtet. Diese Leute haben auch die Sadhus kennen gelernt, Cannabis geraucht und kamen völlig ekstatisch zurück nach Amerika. Sie brachten ein Element der Ekstase mit. Lange Zeit hatte sie jeder gerne, Probleme mit der Polizei gab es kaum. Dies entwickelte sich erst, als die Bewegung politisiert wurde und Klassenkampf-Parolen Einzug hielten.
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Was lehrte dich das Botanik-Studium?
Storl
Im Studium habe ich gleich gespürt, dass die Pflanzen wie tote Gegenstände behandelt wurden, die Wirkstoffe akkumulieren, Zellulose anhäufen und das war’s. Das waren reine Materialisten die dort lehrten. Sie sagten: „Die Pflanze lässt ihre Wurzeln nicht wachsen um Nährstoffe zu suchen. Dies würde ihr ein Motiv zusprechen, was nicht vorhanden ist.“ Ihrer Ansicht nach ist alles in der Natur einfach eine chemisch-mechanische Reaktion.
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Seelenlose Biomassefabriken.
Storl
Genau. Ich wusste, dass stimmt nicht. Ich hatte über Jahre im Wald gesessen und die Natur empfunden. Ein Teil dieser Ansicht war sicherlich auch dadurch bestimmt, dass ich in meiner frühen Jugend einige Bücher der Romantik gelesen hatte. Aber das amerikanische Ethos unterscheidet zwischen „Kultur“ und „Natur“. Kultur ist zivilisiert und kontrolliert, die Natur ist wild. Dementsprechend wurden die Indianer behandelt. Genauso sind Wildkräuter aus dieser Sicht wertlos. Mir scheint es fast anders herum: Das was Kultur ist, dieser kurzgemähte Rasen, die ganze Entseelung. Der Wald ist für mich viel wertvoller und mit viel mehr Seele ausgestattet. Ja, ja, so ist es.
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Das kam mir bei den Vegetariern schon immer etwas merkwürdig vor. Im Grunde genommen ist es auch ein Akt der Grausamkeit, wenn man eine Pflanze schlachtet, tötet.
Storl
Dann muss man es wie die Jains machen, die kein Karma mehr verursachen wollen. Sie setzen sich hin und nach 40 bis 60 Tagen entschweben sie ins Nirwana.
HanfBlatt
Schneller noch, wenn sie das Atmen eingestellt haben.
Storl
Es gibt keine Naturvölker, die Vegetarier sind, aber die Tiere werden respektvoll von ihnen behandelt. Vegetarismus ist eine späte zivilisatorische Entwicklung, die entstand, als die indische Gesellschaft um 500 v.u.Z. eine Krise durchmachte. Die ganzen Sekten wie der Buddhismus und Jainismus sich den Brahmanen gegenüber brüsteten, dass sie viel heiliger wären, weil sie keine Tiere essen würden.
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Wie aber nimmt man Kontakt zu Pflanzen auf. Was können wir, als „Vertreter der gelangweilten genusssüchtigen Konsumkultur“, wie du es einmal nanntest, lernen?
Storl
Eine bequeme Antwort wäre: man pfeift sich eine Menge Shit rein, dies öffnet die „Pforten der Wahrnehmung“, wie Aldous Huxley das sagte und dann geschieht das. Ich denke nicht, dass dies automatisch geschieht. Als ich Ethnologie und Anthropologie studierte, unternahm ich eine Feldforschung unter Gärtnern in Genf. Ich tarnte mich als Gärtner, um die Gruppe dort zu studieren. Was mir dort auffiel: Wenn man stundenlang in einem Garten hackt, jätet und arbeitet, dann wirkt das wie das monotone schamanische Trommeln. Wenn man es schafft, das schnell schnatternde Gehirn zur Seite zu legen, dann kommt die Natur und spricht einfach. Dann kommen Sachen rüber. Das ist nicht etwas, was man mal eben am Wochenende macht, sondern das geschieht über eine lange Zeit. Zum Beispiel stand ich bei einem Busch, der viele Blattläuse hatte. Da dachte ich: „Eigentlich sollten hier ein paar Marienkäfer sein“. Ein Jahr später sah ich tatsächlich viele Marienkäfer an dem Busch.
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Das hatte sich rumgesprochen.
Storl (lacht)
Ja. Wenn man solche Beobachtungen lange und öfter macht, dann merkt man, dass die Natur zuhört und reagiert. Natur ist nicht tot, sondern sie besitzt einen seelisch-geistigen Aspekt, der für uns meistens unsichtbar ist.
HanfBlatt Von diesem Prozess sind wir aufgrund der Kulturation stark entfremdet.
Storl
Vor kurzem war der älteste Medizinmann der Cheyenne, George Elkshoulder, ein guter Freund von mir, bei einer Schamanen-Tagung in Garmisch. Dort waren viele Schamanen aus der ganzen Welt und George war in der Hoffnung dahin gekommen, das diese Schamanen zusammen daran arbeiten, das der ganze destruktive Prozess auf dem Globus umgekehrt wird. Sein Eindruck war allerdings das dort nur, wie er es ausdrückte, „Ceremonial people“ waren, „Showmen“. Und er fragte mich, weshalb ich ihn überhaupt eingeladen hätte. Ich sagte: „Weil wir alles verloren haben. Wir haben keine sakralen Lieder, keine sakralen Tänze, und wir wissen nicht wie man mit der Natur umgeht.“ George sagte: „Ihr habt überhaupt nichts verloren. Ihr habt doch die Berge, die Tiere, Bäume und Pflanzen. Fragt sie. Fragt sie doch. Die sagen euch, was ihr wissen wollt.“ Dass der springende Punkt ist, dass wir nicht mal mehr wissen, wie wir fragen sollen, das hat er nicht begriffen.“
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Müssen wir uns nur trauen zu fragen?
Storl
Dazu muss man wohl erst einmal die beengenden Annahmen der Psychoanalyse abstreifen. Selbst Jung deutet alle unsere Ideen als Projektion in eine leere Welt hinein – solch ein Kontakt zur Natur besteht danach nur in unserer Fantasie. Das ist eine Annahme, die nie irgendjemand bei den Naturvölkern haben würde. Das ist ein klares Produkt unserer kranken Zivilisation.
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Projektionen sind ein wichtiges Stichwort.
Storl
Projektionen finden ja auch statt. Und viele Phänomene der New Age-Szene sind voller Projektionen. Diese Menschen hören ja überhaupt nicht zu, sie projizieren alle ihre Wünschen und Vorstellungen hinein. Wie viele Cleopatras sind inzwischen reinkarniert worden!
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Und die Männer werden Napoleon.
Storl
Gleichwohl ist eine Kommunikation mit der Außenwelt, der Natur, möglich.
HanfBlatt
Aber wie kommuniziert die Natur?
Storl
In den Schulen wird uns eingedrillt nur nach der objektiven Außenwelt zu schauen. Alles muss wägbar, messbar, analysierbar sein. Das ist ein Kult. Aber es gibt auch eine andere Art der Wahrnehmung. Die kann man als innerliche Resonanz mit der Umwelt bezeichnen. Dies erlangt man, indem man sich seines Inneren bewusst wird. Dann sieht man die Welt mit dem Spiegel der Seele, nicht nur mit den äußeren Augen. Die Seele des Menschen kommuniziert dann mit der Seele der Natur.
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Dagegen arbeitet eine wissenschaftliche Tradition, die alles einteilen will. Alle Pflanzen sind eigentlich individuell, jeden Moment anders, es herrscht buntes Chaos. Wir nennen es Löwenzahn, aber es könnte auch viele andere Namen haben.
Storl
Das ist ein Teil der äußeren Wahrnehmung und gegen diese Kategorisierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ein Löwenzahn kann mit den nach außen gerichteten Sinnen wahrgenommen werden, aber eben auch mit den inneren. Wir haben einen Seelenspiegel, der das innere Wesen des Löwenzahn wahrnehmen kann. Man kommuniziert nicht mit dem äußeren Wesen, sondern mit dem inneren. In den westlichen Industrieländern herrscht seelische Hungersnot. Und wir werden abgespeist mit einer Massenmedien-Industrie, die letztlich nur seelisches Junkfood bietet. Darum sind die sogenannten Drogen auch so bedrohlich. Es ist der Versuch etwas zu finden – wieder Zugang zu den seelischen Aspekten der Welt zu erhalten.
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Kann das klappen?
Storl
Manche Pilze beispielsweise klinken den Menschen in die makrokosmische Intelligenz der Erde ein. Ganja kann den Menschen Zugang zur göttlichen Seele offenbaren – dazu muss man aber die innere Bereitschaft haben.
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Zeit scheint mir eine große Rolle zu spielen. Und die nehmen wir uns wenig. Ein Wochenendseminar unter dem Titel „Jetzt höre ich meiner Pflanze zu“ kann es ja wohl nicht sein.
Storl
„Mit der Pflanze sein“ oder „Mit dem Tier sein“; dazu bedarf es schon Geduld. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Konsumgesellschaft von dem Frust des verlorenen Kontaktes zur Natur lebt. Wenn man nicht befriedigt ist, dann greift man zur Ersatzbefriedigung. Neue Klamotten, ein neues Auto. Das sich Finden in einem sprechenden und göttlichen Universum bringt Seelenheil. So geht man beispielsweise eine Straße entlang und sieht zwischen zwei Gehwegplatten einen Storchenschnabel hervorwachsen. Man riecht daran, stellt sich vor wie eine Ameise den Samen in die Ritze transportiert hat, und erinnert sich an alte Geschichten. Daran, dass der Geruch Depressionen lindert oder man erinnert sich an Adebar, den Storch. Schon geht man durch eine ganz interessante und beseelte Landschaft und rennt an den vielen Schaufenstern glatt vorbei. Pflanzen können dabei helfen uns mit der Heiligkeit des Seins zu verbinden. Aber wenn Mafiastrukturen einen Pflanzenmarkt beherrschen und Leute mit Knarren rumrennen, zudem der Staat Katz und Maus spielt, dann können sich die Leute hier die Rübe vollrauchen und sind trotzdem blöd und entfremdet. Ich habe Leute kennen gelernt, die rauchen Unmengen Cannabis, natürlich mit Tabak, obwohl der eine entgegengesetzte Wirkung hat und sind trotzdem so schlecht drauf wie vorher. Vielleicht hören sie die Musik, die sie gerne haben, ein wenig besser.
HanfBlatt
Hardcore! Die denken viel hilft viel.
Storl
Weiter geführte Konsummentalität. Ich höre Leute rauchen Skunk: Es ist eine Qual für eine heilige Pflanze unter Kunstlicht, in Nährlösungen und geschlossenen Räumen aufzuwachsen. Die Leute die das rauchen sind dann genau so wie die Pflanzen, denn die Pflanzen vermitteln das was sie sind.
HanfBlatt
In der Natur reicht es einem ja meist auch aus etwas sensibilisiert zu sein.
Storl
Ich habe vor vielen Jahren einen letzten LSD-Trip in der Natur genommen und ich fand das irritierend.
HanfBlatt
Zu „artificial“?
Storl
Ja, wie eine Plastikwelt. Aber selbst die psilocybinhaltigen Pilze bergen Gefahren. Ich habe Leute kennen gelernt, die ständig Pilze genommen haben. Die waren in einer Art Pilzwelt gefangen. Auch Terence McKenna, ein großer Pilzexperte, hat sich mit seiner „Time Wave Zero“ verrannt. Beschleunigte Geschichte, ein Attraktor und ein Kumulationspunkt, der zufällig genau auf seinen Geburtstag fiel: das ist typisch Pilzfreak.
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Respektvoller Umgang ist auch bei Pilzen wichtig. Damit man sie nicht das ganze Jahr nimmt, wachsen sie ja auch im Herbst.
Storl
Bei den Naturvölkern ist es Tradition, dass die sakralen Pflanzen nur zu bestimmten Jahreszeiten genommen werden. Erdbeeren isst man auch nur im Juni und Juli. Der Fliegenpilz wird in den nordpolaren Kulturen zur Wintersonnenwendzeit genommen, weil er das Licht der Erde sichtbar macht. Auch Wein war einmal eine hochekstatische wilde Pflanze, dem Dyonisos geweiht. Und was haben wir heute? So völlig verschrumpelte Leute, die was von „wunderbares Bouquet“ und „Chateau Sowieso“ faseln. Eine totale Überästhetisierung.
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Wen trifft man in den Weinkellern Würzburgs? Die spießigsten und konservativsten aller alten Knacker bei einer Mumienversammlung. Im pseudogepflegten Stil wird sich da die Kante gegeben.
Storl (lacht)
Das sind dann die wilden Mänaden. Oder nehmt das Beispiel Tabak in den indianischen Kulturen: Das wurde in genau bemessenen Dosierungen genommen und dann wurde -zack- die Seele aus dem Alltag rausgehauen um in die Welt der Geister zu gehen. Und bei uns? Dieses gelangweilte Rauchen bis einem die Zunge dick wird ist wieder Ausdruck der ewigen Konsumlust. Ich sehe diese Entwicklung auch beim Ganja. Mein Gott, was die jungen Leute da reinstopfen! Die stopfen viel rein, es kommt aber nicht viel raus.
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Eine deiner Leistungen ist die Öffnung der Tür zu den Mythen, Geschichten und Betrachtungsweisen traditioneller Kulturen. Da hast du nicht nur eine Geschichte zu erzählen; manchmal erscheint es, als gäbe es Tausende. Die Menschen haben sich früher offenbar sehr intensiv mit den sie umgebenden Pflanzen auseinandergesetzt.
Storl
Die Kelten und auch die nordamerikanischen Indianer haben diese Geschichten von den Pflanzen bekommen. Das Wissen darüber habe ich den Cheyenne zu verdanken. Über 1 ½ Jahre bin ich mit einem alten Medizinmann oft durch die Wälder Montanas gewandert. Der sagte zu mir: „Bilde dir nicht ein, dass du die Rituale oder den Zugang zu den Pflanzen erfindest. Die Pflanzen suchen dich! Die Heilpflanze weiß, wenn du kommst. Sie geben dir die Rituale.“ Praktisch sieht das so aus, dass die Pflanze einem das Ritual gibt, wie man zukünftig den Kontakt aufnimmt. Das können Worte sein oder etwas Feuer. Die Pflanze gibt einem sozusagen ihre Telefonnummer und das Wählen ist das Ritual. Wenn man nicht richtig zugehört hat, dann kommt kein Kontakt zustande und man kann nur fantasieren. Genau dies sagen uns doch die Naturvölker auf der ganzen Welt: Wir sind nicht die einzigen Aktiven, die Pflanzen nehmen Kontakt auf. Vielleicht sind wir gar nicht so aktiv wie wir meinen.
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Im Grunde genommen verdanken wir den Pflanzen und der Sonne das Leben.
Storl
Aus der Dialektik von Sonne und Erde besteht unser Planet. Die Sonne gibt die Energie und die verschiedenen Pflanzen nehmen verschiedene Aspekte dieser Energie auf und transformiert sie je nach Standort auf der Erde auf ihre Weise. Beim Essen vermittelt jede Pflanze diese Kräfte.
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Und wir rasen mit Autos durch die Pflanzen, degenerieren sie zu Schnittblumen und stellen Plastikblumen her.
Storl
In Los Angeles ist es mittlerweile Aufgabe der Stadtgärtner, die großen Plastikpalmen an den Boulevards einmal im Monat abzuwaschen.
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Bestehst du auf die pure Nutzung von Pflanzen und Heilpflanzen oder wie stehst du Extraktion und Synthetisierung gegenüber? Wo würdest du da die Grenze ziehen wollen?
Storl
Ich würde da keine Grenze ziehen. Wenn die Möglichkeit gegeben ist barfuss zu laufen, dann laufe ich lieber barfuss. So einfach und natürlich wie möglich. Klar, Destillieren, Potenzieren, dass macht ja auch Spaß. Aber wenn es um Heilung geht, um das heil werden, dann würde ich so nah wie möglich am Heil sein der Natur arbeiten. Bei den Kelten reichte eine Schale, Wasser, Feuer, die Pflanze und ein Segensspruch: „Hier das hilft.“ Das ist genügend. Die Einfachheit betrügt einen sehr selten im Leben.
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Alchemie und Chemie dürsten nach der Vervollkommnung.
Storl
Dahinter steht die Vorstellung, dass die Natur unvollkommen ist – wir, die Menschen, müssten sie vorwärts bringen und das sei eine ehrenwerte Aufgabe. Davon halte ich nicht viel. Die Natur ist göttlich und vollkommen in Ordnung. In der Einfachheit und dem Leben mit der Natur sind wir am besten dran. Das ist alte daoistische Weisheit und das ist auch die Weisheit, welche die Naturvölker leben.
adh und az
Wolf-Dieter Storl hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Die einheimischen Kräuter behandeln tut „Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor“, die Praxis der Naturrituale erklären tut „Naturrituale. Mit schamanistischen Ritualen zu den eigenen Wurzeln finden“. Beide Bücher und andere Werke sind neu oder gebraucht zu bestellen bei Amazon: